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Sechstes Kapitel.

Und wäre nach des Schicksals Schluß
Dir des Verbrechers Loos bestimmt,
Dein Freund, voll Lebensüberdruß,
Ein gleiches willig auf sich nimmt.

Volkslied von Jemmy Dawson.

Meister Georg Heriot und seine Mündel (so konnte man sie nennen, denn seine Zuneigung zu Margarethen legte ihm alle Sorgen eines Vormundes auf) wurden von dem wachthabenden Wärter in das Zimmer des Lieutnants eingeführt, wo sie diesen mit seiner Gemahlin antrafen. Sie wurden von Beiden mit der Höflichkeit empfangen, welche selbst ein pünktlicher alter Soldat und Hofmann, wie Herr Edward Mansel, der Stellung und dem vermeintlichen Einflusse des Goldschmiedes nicht versagen konnte. Frau Mansel empfing Margarethen mit gleicher Höflichkeit und benachrichtigte den Meister Heriot, daß dieselbe jetzt ihr Gast und nicht mehr ihre Gefangene sei.

»Es steht ihr frei,« erklärte die Dame, »unter Eurer Obhut zu ihren Freunden zurückzukehren. So ist der Wille Sr. Majestät.«

»Das ist mir lieb, gnädige Frau,« erwiderte Heriot. »Nur wünschte ich, ihre Freilassung hätte eher stattgefunden, damit sie nicht thörichter Weise mit dem sonderbaren jungen Manne zusammengekommen wäre. Ich begreife nicht, wie Ihr, gnädige Frau, dies, verstatten konntet.«

»Lieber Meister Heriot,« erwiderte Herr Edward Mansel, »wir handeln nach den Befehlen dessen, der weiser und besser ist als wir. Die Befehle, welche wir von Sr. Majestät erhalten, müssen streng und buchstäblich befolgt werden, und ich brauche wohl nicht zu sagen, daß die Weisheit Sr. Majestät mehr als genügende Zusicherung gibt – –«

»Ich kenne Sr. Majestät Weisheit,« unterbrach Heriot. »Aber es gibt ein altes Sprichwort: Feuer und Flachs – –. Nun wohl, lassen wir es gut sein.«

»Ich sehe Herrn Mungo Malagrowther durch den Hof humpeln wie ein lahmer Kranich,« sprach Frau Mansel. »Dies ist heute sein zweiter Besuch.«

»Er hat den Befehl gebracht, welcher den Lord Glenvarloch von der Anschuldigung des Hochverraths freispricht,« bemerkte Herr Edward.

»Von ihm habe auch ich viel von dem, was vorgefallen ist, vernommen,« sagte Heriot. »Ich bin erst gestern Abend spät und etwas unerwartet aus Frankreich zurückgekommen.«

Während sie sprachen, trat Herr Mungo ein, grüßte den Lieutnant des Towers und seine Gemahlin mit förmlicher Höflichkeit, beehrte den Goldschmied mit dem Kopfnicken eines Gönners und redete Grethchen an mit den Worten: »Nun, meine kleine Gefangene, habt Ihr noch nicht Eure Mannskleider abgelegt?«

»Sie will dieselben nicht ablegen, Herr Mungo,« erwiderte Heriot mit lauter Stimme, »bis sie Genugthuung von Euch hat dafür, daß Ihr als ein falscher Ritter mir ihre Verkleidung verrathen habt. Aber ernstlich, Herr Mungo, ich dächte, als Ihr mir sagtet, daß sie in dieser sonderbaren Kleidung herumlaufe, hättet Ihr auch hinzufügen können, daß sie unter der Obhut der gnädigen Frau Mansel stehe.«

»Das war des Königs Geheimniß, Meister Heriot,« sprach der alte Ritter, sich mit einer Miene mürrischer Wichtigkeit in einen Stuhl werfend. »Das Andere war ein wohlgemeinter Wink für Euch, als den Freund des Mädchens.«

»Ja wohl,« versetzte Heriot, »das sieht Euch ganz ähnlich. Ihr sagtet mir gerade so viel, als nöthig war, mich wegen ihrer in Verzweiflung zu bringen, aber kein Wort, um meine Angst zu beschwichtigen.«

»Herr Mungo will diese Bemerkung nicht hören,« sprach die Dame. »Wir müssen von etwas Anderem reden. Was gibt es Neues am Hofe, Herr Mungo? Ihr seid doch in Greenwich gewesen?«

»Ihr könntet mich ebensowohl fragen, was es Neues in der Hölle gibt,« antwortete der Ritter.

»Hoho! Herr Mungo!« rief Herr Edward. »Bemeßt Eure Ausdrücke etwas besser. Ihr sprecht von dem Hofe von König Jakob.«

»Herr Edward,« versetzte der Alte, »und wenn ich von dem Hofe der zwölf Kaiser redete, so würde ich sagen, er ist in diesem Augenblicke so verwirrt, wie die höllischen Regionen. Hofleute, die es schon vierzig Jahre sind, sehen hier eben so wenig dem Dinge auf den Grund, als wenn sie eine Elritze im Maelstrome suchen wollten. Gewisse Leute sagen, der König habe dem Prinzen einen finstern Blick zugeworfen; Andere behaupten, der Prinz habe dem Herzoge eine ernste Miene gezeigt; wieder Andere, Lord Glenvarloch werde als Hochverräther gehenkt werden, – und noch Andere wollen wissen, es lägen wider Lord Dalgarno Dinge vor, die ihm so viel als den Kopf kosten könnten.«

»Und was denkt Ihr von allem diesem, als ein Hofmann seit vierzig Jahren?« fragte Herr Edward Mansel.

»Nein, fragt ihn das nicht, Herr Edward,« fiel die Dame ein, mit einem bedeutungsvollen Blick auf ihren Gemahl.

»Herr Mungo« – bemerkte Heriot – »ist zu klug, als daß er nicht wissen sollte, daß Derjenige, welcher Etwas sagt, das zu seinem Nachtheile wieder gesagt werden kann, eine Büchse ladet, mit welcher der Erste Beste aus der Gesellschaft ihn todtschießen kann.«

»Was?« rief der kühne Ritter, »meint Ihr, ich fürchte mich vor einer Falle? Gesetzt, ich sagte, Lord Dalgarno hat mehr Witz als Ehre, der Herzog mehr Segel als Ballast, der Prinz mehr Stolz als Klugheit, und der König« (Frau Mansel hielt warnend den Finger in die Höhe) »der König ist mein guter Herr, der mir seit mehr denn vierzig Jahren Hundelohn gibt, das ist, Knochen und Schläge – Nun, Alles das ist gesagt, und Archie Armstrong sagt Schlimmeres noch jeden Tag von dem Besten unter ihnen.«

»Ein um so größerer Narr ist er auch,« bemerkte Georg Heriot. »Uebrigens hat er nicht so ganz Unrecht, denn Narrheit ist seine beste Weisheit. Aber Ihr, Herr Mungo, werdet doch nicht Euren Witz neben den eines Narren stellen wollen? wär' er auch ein Hofnarr.«

»Ein Narr?« wiederholte der Ritter, und that als habe er Heriots Worte nicht recht verstanden. »Gewiß bin ich ein Narr gewesen, mich an einen kargen Hof zu hängen, während Männer von Verstand und Thatkraft an jedem andern Orte in Europa ihr Glück gemacht haben. Aber hier kommt ein Mann schlecht weg, wenn er nicht einen großen Schlüssel zu hüten kriegt,« (dabei sah er Herrn Edward an,) »oder auf einer Zinnplatte mit einem Hammer Vergaderung schlagen kann. – Nun abgesehen davon, meine Herren, ich muß eilen, meine Botschaft zurückzubringen, so schnell, als wär' ich ein gemietheter Bote. – Herr Edward und gnädige Frau, ich empfehle mich Euch, – und Euch, Meister Heriot, bleibe ich wohlgewogen. Was diese Uebertreterin betrifft, so ist meine Meinung, ein wenig Fasten und eine gelinde Anwendung der Ruthe wird ihr die Possen aus dem Kopfe treiben.«

»Wenn Ihr nach Greenwich zurückwollt, Herr Mungo,« bemerkte der Lieutenant, »so könnt Ihr die Mühe sparen. Der König geht eben nach Whitehall.«

»Darum ist auch der Rath in solcher Eile zusammenberufen,« sprach Herr Mungo. »Gut denn. – Wenn Ihr es erlaubt, will ich den armen jungen Glenvarloch besuchen und ihm einigen Trost zusprechen.«

Der Lieutenant sah in die Höhe und schien einen Augenblick unschlüssig zu sein.

»Der Junge wird einen lustigen Gesellschafter brauchen,« fuhr Herr Mungo fort, »Einen, der ihm die Beschaffenheit der Strafe, die er zu erleiden hat, und andere Sachen, die ihn angehen, auseinandersetzen kann. Ich will nicht von der Stelle gehen, bis ich ihm einleuchtend gemacht habe, daß er sich vollkommen zu Grunde gerichtet hat, daß seine Lage eine ganz erbärmliche, und daß seine Hoffnung, sie zu bessern, gleich Null ist.«

»Herr Mungo,« erwiderte der Lieutenant, »wenn Ihr wirklich meint, daß dies für den betreffenden Theil sehr tröstlich sein werde, so will ich Euch durch einen Gefangenwärter zu ihm führen lassen.«

»Und ich,« sprach Georg Heriot, »wollte die gnädige Frau gehorsamst ersuchen, mir einen Anzug von einer ihrer Mägde für dies verrückte Mädchen zu leihen. Denn ich würde meinen guten Ruf einbüßen, wenn ich mit ihr in dieser tollen Verkleidung den Towerberg hinaufginge. Und doch sieht das alberne Ding darin gar nicht so übel aus.«

»Ich will augenblicklich meine Kutsche für Euch anspannen lassen,« erwiderte die Dame.

»Gnädige Frau,« sprach Heriot, »wenn Ihr uns eine solche Höflichkeit erweisen wollt, nehme ich sie mit Freuden an; denn ich habe dringende Geschäfte und der Vormittag ist schon ohne großen Nutzen verflossen.«

Die Kutsche fuhr vor, nahm den ehrsamen Bürger und seine Schutzbefohlene auf und brachte sie nach seiner Wohnung in der Lombardstraße. Hier fand er, daß Frau Hermione ihn mit Ungeduld erwartete. Sie hatte eben Befehl erhalten, sich bereit zu machen, um binnen einer Stunde vor dem königlichen geheimen Rathe zu erscheinen, und diese Meldung hatte auf sie, bei ihrer Unkunde in Geschäften und bei ihrer langen Zurückgezogenheit von der Welt, einen so tiefen Eindruck gemacht, als wäre sie ganz unerwartet gekommen, und als wäre sie nicht die nothwendige Folge der von Monna Paula überreichten Bittschrift. Georg Heriot tadelte sie sanft, daß sie nicht seine Rückkehr aus Frankreich abgewartet habe, um irgend einen Schritt in einer so wichtigen Angelegenheit zu thun, zumal da er sie in dem Briefe, welcher die von Paris überschickten Beweisstücke begleitete, dringend ersucht habe, sich ruhig zu verhalten. Sie führte zu ihrer Entschuldigung an, daß sie sich von ihrem ungesäumten Anregen der Sache einen günstigen Einfluß auf die Angelegenheit ihres Vetters Lord Glenvarloch versprochen habe; aber sie gestand nicht, wie sehr sie dazu bestimmt worden sei durch die dringenden Bitten ihrer jungen Freundin. Margarethe beabsichtigte natürlich Nigeln zu retten; wie dies aber mit der Bittschrift der Frau Hermione zusammenhing, das wird sich erst später ergeben. Einstweilen kehren wir nach dem Tower zurück, um Zeugen des Besuches zu sein, mit dem Herr Mungo Malagrowther den betrübten jungen Freiherrn in seinem Gefängnisse erfreuen wollte.

Nach seinen gewöhnlichen Begrüßungen und nach einer großes Bedauern ausdrückenden Vorrede setzte sich der Ritter neben dem Freiherrn nieder, verzog sein possirliches Gesicht zu einer Miene kläglicher Niedergeschlagenheit und begann folgendes Rabenlied: »Ich preise Gott, edler Herr, daß ich Derjenige gewesen bin, welcher das Vergnügen hatte, dem Lieutenant hier Sr. Majestät milde Botschaft zu überbringen. Ew. Herrlichkeit ist kraft derselben von der wichtigeren Anschuldigung eines Anschlags auf Sr. Majestät geheiligte Person entbunden, und wenn Ihr nun annehmt, daß Euch blos für das geringere Vergehen, für den Bruch der Freiheit des Palastes und seines Umkreises, der Proceß gemacht wird usque ad mutilationem, d. i. bis zur Verstümmelung, so ist doch der Verlust eines Gliedes eine Kleinigkeit gegen das Schicksal, als Hochverräther gehangen und lebendig aufgeschlitzt zu werden.«

»Die Schande, eine solche Strafe verdient zu haben, würde mir empfindlicher sein, als der Schmerz, sie zu erleiden,« bemerkte Nigel.

»Ohne Zweifel, gnädiger Herr, sie verdient zu haben, muß eine Seelenqual für Euch sein, eine Art geistigen und metaphysischen Hängens, Schlitzens und Viertheilens, welches gewissermaßen gleichsteht der äußerlichen Anwendung von Hanf, Feuer und dergleichen gegen den äußern Menschen.«

»Ich sage, Herr Mungo,« versetzte Nigel, »und bitte Euch zu bemerken, daß ich mir keines Fehltritts bewußt bin, ausgenommen, daß ich Waffen bei mir hatte, als ich zufällig der Person des Königs nahe kam.«

»Ihr habt recht, edler Herr,« fuhr der Ritter fort, »Nichts zu gestehen. Wir haben ein altes Sprichwort: Gestehe, und – so weiter. Und wirklich, was die Waffen betrifft, so hat Se. Majestät einen absonderlichen Widerwillen gegen Waffen jeglicher Art, vornehmlich gegen Pistolen Wilson (Leben und Regierung Jakobs IV., bei Kennet, Geschichte Englands, Bd. 2, S. 389) berichtet, daß Oberst Grey, ein Schutte, der Etwas darin suchte, auch in Friedenszeiten im Büffelwams zu erscheinen, in dieser Kleidung an den Hof kam, und daß der König, als er Pistolen (die er nicht leiden konnte) in seinem Gürtel erblickte, ihm scherzhaft bemerkte, er sei jetzt dermaßen gerüstet, daß er nur noch wohl verproviantirt zu sein brauche, um unbezwinglich zu sein. – S. 690 heißt es: Im J. 1612, dem zehnten Regierungsjahre Jakobs, ging das Gerücht, eine Schiffsladung Taschenpistolen sei von Spanien abgegangen zu dem Zwecke einer allgemeinen Niedermetzelung der Protestanten. Demzufolge ward verordnet, daß Niemand Pistolen tragen solle, deren Lauf kürzer als ein Schuh sei.. Aber ich habe bereits gesagt, daß dieser Punkt erledigt ist. Ich wünschte nur, daß Ihr auch in dem andern so gut wegkommt; aber das ist leider unwahrscheinlich.«

»Herr Mungo,« erwiderte Nigel, »ohne Zweifel könntet Ihr Etwas zu meinen Gunsten sagen in Betreff der Geschichte im Park. Niemand weiß besser als Ihr, daß ich in jenem Augenblicke auf's Aeußerste getrieben war durch die empörendsten Beleidigungen Dalgarno's, von denen ein großer Theil mir durch Euch kund gemacht wurde.«

»Leider! leider!« sprach der Ritter. »Nur zu wohl erinnere ich mich, wie sehr Euer Zorn aufloderte trotz den mancherlei Vorstellungen, die ich Euch mit Hinweisung auf die Heiligkeit des Ortes machte. Leider könnt Ihr nicht sagen, daß Ihr in Ermangelung von Warnung in die Patsche gekommen seid.«

»Ich sehe, Herr Mungo, Ihr wollt Euch an Nichts erinnern, was für mich spricht.«

»Herzlich gern wollte ich Etwas für Euch thun,« erwiderte der Ritter, »und das Beste, was ich für Euch thun kann, besteht darin, Euch das Verfahren bei der Strafe, welcher Ihr ohne Zweifel unterworfen werdet, zu schildern. Ich habe das Glück gehabt, eine Vollstreckung derselben an einem Wichte, der ein Pasquill geschrieben, zur Zeit der Königin mit anzusehen. Ich befand mich damals im Gefolge des Lord Gray, der hier Gesandter war, und da ich von jeher begierig gewesen bin, Angenehmes und Nützliches zu sehen, so konnte ich nicht verfehlen, bei jener Gelegenheit mich einzufinden.«

»Es sollte mich in der That wundern,« bemerkte Nigel, »wenn Ihr Eurer Gutmüthigkeit die Gewalt angethan hättet, von einem solchen Schauspiele wegzubleiben.«

»Wie?« fragte der Ritter, als ob er nicht recht gehört hätte, »Ew. Herrlichkeit bittet mich, bei ihrer eigenen Execution gegenwärtig zu sein? Edler Herr, es muß ein peinlicher Anblick für einen Freund sein, aber ich will mir lieber eine Pein auflegen, als Eure Einladung versäumen. Es ist im Ganzen ein hübsches Schauspiel. Der Bursche kam heran mit einem so kecken Blicke, daß es eine Lust war, ihn anzusehen. Er war ganz weiß gekleidet zum Zeichen der Unschuld. Die Sache ging auf einem Gerüste zu Westminster vor sich. (Die Eurige wird vermuthlich zu Charing aufgeführt werden.) Die Leute des Landrichters und des Marschalls waren gegenwärtig, und der Scharfrichter mit Beil und Schlägel und einer Pfanne glühender Kohlen sammt Brenneisen. Er war ein geschickter Kerl, dieser Derrick. Gregor, der jetzige Scharfrichter, reicht ihm nicht das Wasser. Ew. Herrlichkeit thäte wohl, ihn in eine Barbierstube zu schicken, und das Nothdürftigste aus der Anatomie lernen zu lassen. Es würde eine Wohlthat für Euch sein und für andere Leute, und zugleich eine Gefälligkeit gegen Gregor.«

»Diese Mühe will ich sparen,« entgegnete Nigel. »Wenn das Gesetz meine Hand verlangt, mag der Scharfrichter zusehen, wie er sie herunter kriegt. Läßt sie der König, wo sie ist, kann sie ihm vielleicht besseren Dienst thun.«

»Sehr edel, sehr großartig, gnädiger Herr,« sprach der Ritter. »Es ist ein Vergnügen, einen tapferen Mann dulden zu sehen. Der Bursche, von dem ich rede, Tubbs oder Stubbs, oder wie der Kerl hieß, trat auf, kühn wie ein Kaiser, und sprach zum Volke: »Liebe Freunde, ich komme, um hier die Hand eines ächten Engländers zu lassen.« Und er legte die Hand auf den Fleischklotz so ungezwungen, als schlänge er sie um seines Mädchens Nacken. Derrick, der Henker, setzte die Schneide seines Beils genau auf das Gelenk und schlug den Schlägel mit solcher Gewalt auf das Beil, daß die Hand von dem Eigenthümer so weit wegflog, wie der Handschuh, den der Herausforderer auf der Stechbahn hinwirft. Tubbs oder Stubbs verzog keine Miene, bis der gute Freund das glühende Eisen an den Stumpf brachte. Herr, das zischte, wie eine Speckschnitte in der Pfanne, und der Bursche schrie wie ein Neuntödter, so daß Einige glaubten, sein Muth sei gesunken. Aber nichts weniger als das. Mit der linken Hand nahm er den Hut ab, schwang ihn und rief: »Gott erhalte die Königin und mache alle bösen Rathgeber zu Schanden!« Das Volk rief ihm ein dreimaliges Lebehoch zu, was er für seine Herzhaftigkeit verdiente. Ich hoffe, Ew. Herrlichkeit mit derselben Seelengröße dulden zu sehen Stubbs, ein fanatischer Puritaner, hatte eine heftige Schrift wider die Ehe zwischen Elisabeth und dem Herzoge von Alençon erscheinen lassen, worin er diese Verbindung als die einer Tochter Gottes mit einem Sohne des Antichrists bezeichnete. Elisabeth gerieth in großen Zorn über die Freiheit, welche der Verfasser sich herausnahm, und ließ diesem, nebst dem Verleger Page und dem Drucker Singleton, den Prozeß machen in Gemäßheit eines unter Philipp und Maria wider Verfasser und Verbreiter aufrührerischer Schriften erlassenen Gesetzes. Sie wurden überwiesen, und obwohl Rechtsgelehrte behaupteten, das Gesetz sei blos zeitweilig gewesen und mit Maria's Tode erloschen, wurden Stubbs und Page verurtheilt, die rechte Hand zu verlieren. Dies Urtheil ward an Beiden vollzogen; der Drucker ward begnadigt. – Camden sagt in seinen Annalen beim Jahr 1581: »Ich war zugegen und erinnere mich, daß Stubbs, als seine rechte Hand abgehauen war, mit der Linken den Hut herunterriß und mit lauter Stimme rief: »Gott erhalte die Königin!« Die umstehende Menge beobachtete ein tiefes Stillschweigen, sei es aus Abscheu über diese neue und ungewöhnliche Strafart, sei es aus Mitleid mit dem Manne, der einen untadelhaften Ruf hatte, sei es endlich aus Haß wider die Heirath, in welcher die Meisten den Umsturz der Religion voraussahen.«

»Ich danke Euch, Herr Mungo,« antwortete Nigel, der sich während dieser lebendigen Beschreibung einiger unangenehmen Gefühle nicht erwehren konnte. »Ich zweifle nicht, daß es für Euch und andere Zuschauer ein sehr anziehender Anblick sein wird, mag es für die Hauptperson ausfallen, wie es will.«

»Sehr anziehend,« wiederholte der Ritter, »sehr interessant, gewiß sehr interessant, wenn auch nicht ganz so, wie eine Execution wegen Hochverrath. Ich habe Digby, die Winter, Fawkes und die Uebrigen von der Pulververschwörung für diesen Streich hängen sehen, und das war ein großartiges Schauspiel, sowohl in Betracht dessen, was sie litten, als in Betracht der Standhaftigkeit, mit welcher sie litten.«

»Um so mehr bin ich Euch für die Güte verbunden, mit welcher Ihr mir zu meiner Rettung Glück wünscht, die Euch eines so erbaulichen Anblicks beraubt.«

»Ja wohl, edler Herr« fuhr der Ritter fort, »es ist blos der Anblick, welcher für Manche etwas Schreckliches hat. Und der Verlust ist mehr nur scheinbar. Die gütige Natur hat uns Dubletten von einigen Organen verliehen, damit wir den Verlust von Einem ertragen können, wenn er uns zufällig auf unserer Pilgerfahrt trifft. Seht da meine arme rechte Hand abgekürzt zu einem Daumen, einem Finger und einem Stumpf – jedoch durch den Hieb von meines Gegners Schwert, nicht etwa durch ein Scharfrichtermesser. Nun, diese arme verstümmelte Hand thut mir in gewisser Beziehung dieselben Dienste, wie früher, und angenommen, die Eurige würde am Gelenke abgenommen, so bleibt Euch noch die Linke, und Ihr kommt immer noch besser weg, als der deutsche Zwerg hier in der Stadt, der eine Nadel einfädelt, malt, schreibt und eine Pike schwingt, blos mit seinen Füßen, ohne Beihülfe einer Hand.«

»Gut, Herr Mungo,« erwiderte Lord Glenvarloch; »das Alles ist ohne Zweifel sehr tröstlich. Aber ich hoffe, der König wird meine Hand verschonen, auf daß sie für ihn fechte auf dem Schlachtfelde, wo ich, all Eurer freundlichen Zureden ungeachtet, mein Blut lieber vergießen möchte, als auf einem Schaffot.«

»Es ist leider nur zu wahr,« fuhr der Ritter fort, »daß Ew. Herrlichkeit die Aussicht hatte, auf dem Schaffot zu sterben. Keine Seele sprach für Euch außer dem bethörten Mädel, Grethchen Ramsay.«

»Wer?« fragte Nigel mit größerer Spannung, als er bisher bei des Ritters Aeußerungen gezeigt hatte.

»Nun wer anders, als das verkleidete Mädel, mit dem wir gespeiset haben damals, als wir dem Goldschmied Heriot die Ehre schenkten. Ihr müßt am besten wissen, wie Ihr sie erobert habt; ich habe sie für Euch vor dem König auf den Knieen liegen sehen. Sie ward meiner Obhut anvertraut, um sie in Ehren und Sicherheit hieher zu bringen. Hätte ich meinem Kopfe folgen dürfen, so würde ich sie in's Zuchthaus geführt haben, auf daß ihr mit der Ruthe das wilde Blut abgezapft würde. Verfluchtes Mensch! – läßt sich einfallen, die Hosen anzuziehen, ehe sie verheirathet ist.«

»Hört einmal, Herr Mungo Malagrowther,« rief Nigel, »ich bitte mir aus, daß Ihr von diesem Frauenzimmer mit gebührender Achtung redet.«

»Mit all der Achtung, die Ew. Herrlichkeit Liebchen und David Ramsays Tochter gebührt,« erwiderte der Ritter im Tone trockenen Spottes.

Nigel hatte große Lust, ernstlichen Streit anzufangen; allein mit Herrn Mungo würde eine Ehrensache gar zu lächerlich gewesen sein. Er unterdrückte also seinen Zorn und beschwor den Alten, ihm zu sagen, was er in Betreff dieses Mädchens gesehen und gehört habe.

»Das ist kurz Folgendes,« antwortete der Ritter: »Ich war im Vorzimmer, als sie Audienz hatte, und hörte den König zu meinem großen Erstaunen sagen: Pulchra sane puella. Maxwell, der keine sonderliche lateinische Ohren hat, verhörte das sane für Sahnd, wie ihn der König mit Abkürzung seines Vornamens Alexander zu rufen pflegt, und stürzte in die Audienz. Da sah ich unsern König Jakob mit eigner Hand das Mädel aufheben, welches, wie gesagt, Mannskleider anhatte. Ich hätte mein Theil darüber denken können; allein unser allergnädigster Herr ist alt, und hat selbst in seiner Jugend dem Weibsvolke nicht wehe gethan. Genug, er tröstete sie in seiner Weise und sprach: »Ihr braucht nicht darum zu weinen, liebes Kind. Glenvarlochides soll ehrlich behandelt werden; auch konnten Wir nicht glauben, daß er Etwas wider Unsere Person im Schilde führte, sobald wir die erste Verwirrung überstanden hatten. Was seine weiteren Vergehen betrifft, so wollen Wir die Sache weislich und sorgfältig untersuchen.« Und darauf erhielt ich die Weisung, die junge Heckenhüpferin hieher in den Tower zu schaffen und sie in die Hände der Frau Mansel zu überliefern. Se. Majestät gebot mir, ihr kein Wort von Euren andern Vergehungen zu sagen: »denn,« sprach er, »dem armen Dinge bricht das Herz um ihn.«

»Und darauf habt Ihr liebreich die nachtheilige Meinung von dem Mädchen gebaut, die Ihr vorhin ausgesprochen?« fragte Nigel.

»Ehrlich gesprochen,« versetzte der Ritter, »welche Meinung soll ich von einem Weibsbilde haben, die sich in Mannskleider steckt und auf ihren Knieen zu dem König rutscht für einen hochadeligen Wildfang? Ich weiß nicht, wie der Modeausdruck für ein solches Verhältniß ist, denn die Redensarten wechseln, und die Gewohnheit bleibt. Ganz gewiß muß ich denken, diese junge Dame – wenn Ihr Uhren-Ramsays Tochter eine junge Dame nennen wollt – beträgt sich mehr wie ein Lustmädchen, als wie ein Ehrenmädchen.«

»Ihr thut ihr schmähliches Unrecht, Herr Mungo,« erwiderte Nigel, »oder vielmehr, Ihr seid durch den Schein irre geleitet worden.«

»So wird alle Welt irre geleitet werden,« sprach der Satyriker, »wofern Ihr nicht zur Enttäuschung des Publikums thut, was Eures Vaters Sohn schwerlich für passend halten wird.«

»Und das wäre?« fragte der Freiherr.

»Hm! das Mädel heirathen, sie zur gnädigen Frau von Glenvarloch machen. – Nicht wahr, da macht Ihr große Augen? Aber das ist der Weg, auf dem Ihr seid. Lieber heirathen, als Schlimmeres thun, wenn das Schlimmste nicht bereits geschehen ist.«

»Herr Mungo,« erwiderte Nigel, »ich bitte Euch, diesen Gegenstand fallen zu lassen und lieber auf das Kapitel von der Verstümmelung zurückzukommen, über welches Ihr Euch vor Kurzem so weitläufig ausgelassen habt.«

»Dazu habe ich jetzt keine Zeit,« versetzte der Ritter, welcher eben vier Uhr schlagen hörte. »Aber sobald Ew. Herrlichkeit ihr Urtheil hat, könnt Ihr Euch darauf verlassen, daß ich Euch die Feierlichkeit bis in die geringsten Einzelnheiten beschreiben werde, und ich gebe Euch mein Wort als Ritter und Edelmann, daß ich selber Euch auf das Schaffot begleiten will, mag mich darum ansehen, wer da will. Ich habe Herz, einem Freunde in den schlimmsten Augenblicken zur Seite zu stehen.«

Nach diesen Worten wünschte er Nigeln Lebewohl und entfernte sich. Der Gefangene war so herzlich froh über seinen Abgang, wie kaum irgend Jemand noch gewesen war, der seine Gesellschaft erduldet hatte. Als er aber einsam seinen Betrachtungen überlassen war, fand er diese Lage eben so widerwärtig, wie die Gesellschaft des Herrn Mungo Malagrowther. Der gänzliche Untergang seines Vermögens, welcher seit dem Verluste der königlichen Anweisung unvermeidlich schien, war ein neuer Schlag. Er konnte sich nicht mit Bestimmtheit entsinnen, wann er die Anweisung zum letzten Mal gesehen hatte; er meinte aber, sie habe in dem Kästchen gelegen, als er aus demselben Geld nahm, um den Geizhals für die Wohnung zu bezahlen. Seitdem hatte er das Kästchen stets unter Augen gehabt, ausgenommen in der kurzen Zeit der Beschlagnahme und einige Augenblicke vor seiner Verhaftung im Parke von Greenwich. In jener kurzen Zeit konnte das Schreiben allerdings herausgenommen worden sein, wenn berücksichtigt ward, daß Diejenigen, welche ihn und sein Eigenthum in Händen hatten, ihm Nichts weniger als wohl wollten. Aber auf der andern Seite konnte er keine Spur von gewaltsamer Oeffnung der künstlichen Schlösser finden, und Nachschlüssel zu machen, dazu war die Zeit zu kurz gewesen. Mochte er sich übrigens den Kopf zerbrechen so viel er wollte, die wichtige Urkunde war fort, und vermuthlich nicht in Freundeshand.

»Mag es sein!« rief Nigel endlich; »meine Aussichten in dieser Beziehung sind nicht viel schlimmer als damals, wo ich zuerst diese verfluchte Stadt betrat. Aber mit grausamen Anklagen verfolgt, mit häßlichem Verdacht beladen und ein Gegenstand des erniedrigendsten Bedauerns zu sein für jenen ehrlichen Bürger, und eine Zielscheibe des boshaften Witzes dieses neidischen, schwarzgalligen Hofmannes, welcher so wenig das Glück und die guten Eigenschaften Anderer leiden kann, wie der Maulwurf das Sonnenlicht – das ist freilich eine klägliche Lage. Die Folgen derselben müssen sich auf mein ganzes Leben erstrecken, und verhindern, was mein Kopf oder meine Hand – vorausgesetzt, daß diese mir bleibt – zu meinem Besten thun könnten.«

Das Gefühl, von aller Welt verabscheut und verlassen zu sein, ist eins der unerträglichsten für den Menschen. Die abscheulichsten Verbrecher, deren Nerven bei den gräßlichsten Unthaten nicht gebebt haben, leiden mehr durch das Bewußtsein, daß kein Mensch Mitgefühl für ihre Schmerzen hat, als durch die Vorstellung dieser Schmerzen bei ihrer bevorstehenden Bestrafung. Darum sieht man sie oft bemüht, ihre Gräuelthaten zu entschuldigen oder wider den klarsten Beweis in Abrede zu stellen, nicht um der Verurtheilung, sondern um dem Fluche der Menschheit zu entgehen. Sehr natürlich war es, daß Nigel, während er den allgemeinen, obwohl unverdienten Verdacht auf sich lasten sah, etwas Wohlthuendes in dem Gedanken fand, daß ein Wesen ihn nicht nur für schuldlos hielt, sondern sich selbst, schwach wie es war, in Gefahr begeben hatte, um sich für ihn zu verwenden.

»Armes Mädchen!« sprach er für sich; »armes, unbedachtsames, aber edelmüthiges Mädchen! Du gleichst in deinem Schicksale jener Jungfrau in der schottischen Geschichte, die ihren Arm in die Krampe der Thür schob, um ihn als Riegel den Mördern entgegenzusetzen, die ihren königlichen Gast bedrohten. Die Aufopferung war fruchtlos, ausgenommen, daß sie einen unsterblichen Namen dem Opfer gab, dessen Blut, wie man sagt, in den Adern meiner Familie fließt.«

Nicht unwahrscheinlich ist es, daß die lebhafte Wirkung, welche diese etwas übertriebene Vergleichung zu Gunsten von Margarethe Ramsay hervorzubringen begann, eine Gegenwirkung fand in dem Gedanken von hoher, alter Abkunft, welche sich mit dieser geschichtlichen Erinnerung verknüpften. Diese widerstreitenden Regungen führten auf eine neue Gedankenreihe. »Was sind für mich Ahnen und alte Abkunft?« dachte der Gefangene. »Mein Erbgut ist veräußert, mein Titel ist eine Schmach, – denn was ist schmählicher, als betitelte Bettelhaftigkeit? Mein Ruf ist durch Verdacht befleckt. – Ich will in diesem Lande nicht bleiben, und kann ich es verlassen in Gesellschaft eines so liebenswürdigen, muthvollen und treuen Wesens, wer will dann sagen, daß ich meinem Range Etwas vergebe, auf den ich ja in der That verzichten muß?«

Es lag etwas Anziehendes und Romantisches in dem Bilde, welches er sich von einem treuen Liebespaare entwarf, von zwei Wesen, die sich einander Alles wurden und Arm in Arm wider den Strom des Schicksals ankämpften. Aber plötzlich ward er in diesem lieblichen Traume gestört durch den Gedanken, daß derselbe auf einer selbstsüchtigen Grundlage ruhe. Wäre er Herr seiner Burg und seiner Thürme, seiner Forsten und Fluren, seines Erbes und Adels gewesen, so würde er als eine Unmöglichkeit die Vorstellung zurückgewiesen haben, die Tochter eines Handwerkers zu seinem Range zu erheben. Aber erniedrigt, in Armuth versunken wollte er zugeben, daß dies arme Mädchen in ihrer blinden Leidenschaft den bessern Aussichten auf eine sorgenfreie Lage in ihrem Stande entsage, um sich in die unsichere Lebensbahn zu werfen, zu welcher er verurtheilt war. Sein edler Sinn schrak mit Scham vor einem so eigennützigen Glücksplan zurück, und er nahm seine Kraft zusammen, um für den Rest des Abends das bezaubernde Bild des Mädchens aus seiner Phantasie zu verbannen, oder wenigstens nicht dem Gedanken nachzuhängen, daß sie in diesem Augenblicke das einzige Geschöpf sei, welches Wohlwollen für ihn hege.

Allein seine Willenskraft vermochte nicht ihr Bild aus seinen Träumen zu verbannen, nachdem er sich, erschöpft von den Erlebnissen dieses Tages, zur Ruhe begeben hatte. Es mischte sich unter die seltsamsten Traumgestalten, welche in Folge seiner letzten Abenteuer in seiner Seele aufstiegen. Als die lebendige Beschreibung des Ritters Mungo bei ihm zur Anschauung ward, als ihm seine Einbildungskraft sein strömendes Blut und das zischende Eisen vorgaukelte, stand Margarethe hinter ihm, wie ein Engel des Lichts, und hauchte heilenden Balsam auf die Wunde. Endlich erschöpfte sich die Natur in Erschaffung phantastischer Bilder. Nigel schlief ruhig und sanft bis zum Morgen, wo ihn eine bekannte Stimme aufweckte, welche vordem oft zu derselben Stunde seinen Schlummer unterbrochen hatte.



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