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Erstes Kapitel.

Der Tod faßt uns auf unserm Steckenpferd
Und reißt uns weg, wie eine Amm' ein Kind
Von seinem Spielzeug, und lös't schonungslos
Die Bande, die uns an die Erde fesseln.
Wohl uns, wenn ihrethalb in jener Welt
Verantwortung wir nicht zu fürchten haben.

Altes Schauspiel.

Es war ein schauerlicher Auftritt, als Martha Trapbois mit dem Lichte zurückkam. Ihre hagern, harten Züge waren entstellt durch die Verzweiflung des Schmerzes, der Angst, vornehmlich aber des Zornes. Auf dem Boden lag der Räuber, der lautlos den Geist aufgegeben hatte und in seinem Blute schwamm. Nicht weit von ihm lag ein anderer Körper, über welchen sich das unglückliche Weib in der Verzweiflung des Schmerzes hinwarf. Es war der Körper ihres Vaters. Im nächsten Augenblick fuhr sie in die Höhe und rief: »Vielleicht ist noch Leben in ihm!« und bemühte sich, den Leichnam aufzurichten. Nigel näherte sich, um ihr zu helfen, warf aber dabei einen Blick nach dem offenen Fenster, den Martha bemerkte und richtig deutete.

»Seid außer Sorgen,« rief sie; »es sind feige Schurken, denen Muth eben so fremd ist, wie Mitleid. Wenn ich Waffen gehabt hätte, wollte ich mich ihrer ohne Hülfe erwehrt haben. – Ach, mein armer Vater! Die Hülfe kommt zu spät für diese kalte Leiche. Er ist todt – todt!«

Während sie so sprach, war sie mit Nigeln bemüht, den Leichnam aufzurichten. Allein schon das Gewicht und die steifen Gelenke verriethen, daß das Leben entflohen war. Nigel suchte nach einer Wunde, fand aber keine. Die Tochter des Todten, welche mehr Besonnenheit behauptete, als man von einer Tochter unter solchen Umständen erwarten konnte, entdeckte das Todeswerkzeug, eine Art Feldbinde, mit welcher er erdrosselt worden war.

Sie machte die tödtliche Schlinge los, legte den Leichnam in Lord Glenvarlochs Arme und eilte, Wasser, Weingeist und Essenzen herbeizuholen, in der Hoffnung, daß das Leben nur zeitweilig stille stehe. Diese Hoffnung zeigte sich als eitel. Sie rieb seine Schläfe, hob seinen Kopf in die Höhe, machte seinen Schlafrock auf (wie es schien, war er nach dem Eindringen der Räuber aufgestanden) und öffnete endlich mit Mühe seine geballten Fäuste. Aus einer derselben fiel ein Schlüssel, aus der andern das Goldstück, welches dem Unglücklichen wenige Stunden vorher so viel Unruhe gemacht hatte, und welches er vermuthlich in seiner Geistesschwäche mit solcher Verzweiflung hatte bewahren wollen, als wäre es ihm zum Leben unentbehrlich.

»Es ist vergeblich – es ist vergeblich,« sprach Martha, von ihren fruchtlosen Bemühungen abstehend. »Es ist vergeblich. Er ist ermordet. Ich wußte, daß es so kommen würde, und jetzt sehe ich's.«

Sie ergriff den Schlüssel und das Goldstück, schleuderte sie zu Boden und rief: »Verflucht seid ihr! Ihr seid die Ursache dieser Unthat.«

Nigel wollte sprechen, wollte sie erinnern, daß augenblickliche Maßregeln zur Verfolgung des entsprungenen Mörders getroffen werden müßten, und zugleich zu ihrer Sicherheit gegen seine Rückkehr.

»Schweigt!« unterbrach sie ihn mit Heftigkeit. »Bin ich nicht genug von meinen eignen Gedanken in Anspruch genommen bei einem solchen Anblick? Schweigt!« wiederholte sie nachdrücklicher. »Kann eine Tochter hören, wenn der Leichnam ihres Vaters auf ihren Knieen liegt?«

Nigel fühlte selber lebhaftes Bedauern; allein dies hinderte ihn nicht, die Mißlichkeit seiner Lage zu erwägen. Er hatte seine beiden Pistolen abgeschossen. Der Räuber konnte zurückkehren. Er hatte vermuthlich noch andere Helfershelfer außer dem Erschossenen. Nigel glaubte ein Flüstern unter den Fenstern zu vernehmen. Er äußerte gegen seine Gesellschafterin, daß er sich mit Schießbedarf versehen müsse.

»Ihr habt Recht,« erwiderte sie verächtlich. »Ihr habt schon mehr gewagt, als ich je von einem Manne erwartet hätte. Geht und sorgt für Euch selber, wie es Eure Absicht ist. Ueberlaßt mich meinem Schicksal.«

Ohne sich mit einer Erwiderung aufzuhalten, eilte Nigel auf sein Zimmer, holte Pulver und Blei, und kehrte eben so schnell wieder zurück. Er wunderte sich über sich selbst, daß er im Dunkeln sich durch die Windungen des engen Ganges, den er nur ein Mal durchschritten hatte, so gut zurechtfand, und zwar in einem Augenblicke so heftiger Auflegung.

Bei seiner Rückkehr fand er das unglückliche Weib wie eine Bildsäule neben dem Leichnam stehend, den sie auf den Fußboden gelegt und dessen Gesicht sie mit dem untern Ende des Schlafrocks bedeckt hatte. Sie äußerte weder Ueberraschung noch Freude über Nigels Rückkehr. »Meine Klage ist geendigt,« sagte sie; »mein Schmerz, wenigstens all mein Schmerz, den die Menschen bemerken sollen, ist vorüber. Aber ich will Rache haben. Der niederträchtige Schurke, welcher diesen hülflosen Greis ermordet hat, der kaum noch ein Jahr zu leben hatte, er soll nicht lange nach ihm die Erde belasten. – Fremdling, den der Himmel zur Beschleunigung der Rache für diese That gesandt hat, gehe zu Hildebrod. Sie sind dort auf bei ihren Schwelgereien. Sage, er solle herkommen. Er ist dazu verpflichtet; er darf und wird seinen Beistand nicht verweigern; er weiß, ich kann ihn bezahlen. – Was zögert Ihr? Geht auf der Stelle!«

»Ich wollte es gern,« antwortete Nigel; »aber ich fürchte Euch allein zu lassen. Die Mörder könnten wiederkommen und –«

»Das ist wahr,« erwiderte Martha; »er könnte wiederkommen. Ob er mich umbrächte, wäre mir gleichgültig; aber er könnte das erlangen, wonach er strebt. Nehmt diesen Schlüssel und dies Goldstück – beide sind von Wichtigkeit. Wehrt Euch, wenn Ihr angegriffen werdet, und wenn Ihr den Schurken tödtet, will ich Euch reich machen. Ich will selbst gehen, Hülfe zu holen.«

Nigel wollte ihr abrathen; allein im Nu war sie weg, und er hörte die Hausthür hinter ihr zufahren. Einen Augenblick hatte er den Gedanken, ihr nachzugehen; doch er bedachte, daß der Weg nach der Trinkstube Hildebrods nicht weit sei, daß sie ihn vermuthlich besser kenne, als er, und auf demselben nicht leicht einer Gefahr ausgesetzt sein werde, daß es mithin besser sei, er bleibe und halte ihrem Wunsche gemäß Wache.

Für Nigel, der an solche Auftritte nicht gewöhnt war, mußte es eine widerwärtige Lage sein, bei den Leichen zweier Menschen zu verweilen, die vor weniger als einer halben Stunde noch gelebt hatten und eines gewaltsamen Todes gestorben waren – der Eine von Mörderhand, der Andere, dessen Blut noch immer aus einer Halswunde strömte, durch seine, des Zeugen, tödtliche Waffe. Er wandte sich mit Widerwillen und nicht ohne abergläubische Regungen von diesem Anblicke weg; aber er fand, daß der Gedanke an diese grausigen Erscheinungen, wenn er sie nicht sah, unheimlicher war, als wenn er seine Blicke auf sie richtete, und den Todten in die starrenden Augen sah. Die Einbildungskraft trieb ihr Spiel mit ihm. Bald war es ihm, als höre er den abgetragenen damastenen Schlafrock des Wucherers rauschen, bald glaubte er eine Bewegung des Beines von dem Erschossenen zu vernehmen und den Stiefel über den Fußboden schlürfen zu hören, als wolle der Mensch sich aufrichten; bald wollte es ihm bedünken, als machten sich die Tritte und das Flüstern des Entflohenen bemerkbar unter dem Fenster, zu welchem er hinausgesprungen war. Um diesem letzteren, minder phantastischen Schrecken Trotz zu bieten und den anderen auszuweichen, trat er an's Fenster. Hier bemerkte er zu seinem Troste das Licht mehrer Fackeln in der Straße, und das Blinken von Handbüchsen und Hellebarden in den Händen eines Trupps, mit welchem Hildebrod sich näherte, – nicht in seiner phantastischen Eigenschaft als Herzog, sondern in seiner wirklichen als Vogt von Whitefriars, – um die Umstände des Verbrechens zu ermitteln.

Es war ein eigner, nicht eben erbaulicher Anblick, diese in ihrem mitternächtlichen Saufgelage gestörten Schwelger bei den Leichen ankommen zu sehen. Sie starrten einander und die Todten mit gläsernen Augen an, glitten aus auf dem mit Blut überströmten Boden, mäßigten ihre lauten Zänkerstimmen zum Flüstern, fühlten ihren trunkenen Muth abgekühlt, während ihr Gehirn durch die starken Getränke benebelt blieb, und glichen so in allen Stücken Schlafwandlern. Nur der alte Hildebrod machte eine Ausnahme. Dies lebendige Faß war allezeit bewegungsfähig, sobald eine hinreichende Ursache vorhanden war. Der Anblick schien einen starken Eindruck auf ihn zu machen, und sein Verfahren hatte mehr Regelmäßigkeit und Gemessenheit, als man sonst von ihm erwarten durfte. Zuerst vernahm er die Tochter, welche mit bewunderungswürdiger Genauigkeit folgende Angaben machte. Sie sei durch ein Getümmel in ihres Vaters Zimmer aufgeschreckt worden, während sie, über seinen Gesundheitszustand beunruhigt, gewacht habe. Sie sei hineingeeilt und habe gesehen, wie ihr Vater unter den Händen zweier Männer zusammengesunken sei. Sie sei wüthend auf dieselben losgestürzt. Die Männer seien verkleidet und ihre Gesichter geschwärzt gewesen, und es sei ihr unmöglich gewesen, in einem Zustande so schrecklicher Aufregung einen derselben zu erkennen. Sie wisse sich übrigens Nichts weiter zu erinnern, als daß Schüsse gefallen seien, daß sie sich nachher mit ihrem Miethsmanne allein gesehen und gefunden habe, daß die Bösewichter entkommen seien.

Lord Glenvarloch erzählte die Geschichte, wie wir sie dem Leser mitgetheilt haben. Nachdem Hildebrod die Aussagen vernommen hatte, untersuchte er die Oertlichkeit. Er fand, daß die Uebelthäter durch das Fenster gekommen waren, durch welches der Ueberlebende entsprungen war. Räthselhaft war es, wie dies zugegangen sei, da der alte Trapbois jeden Abend seine Fenster mit starken Eisenstangen zu verwahren pflegte. Hildebrod schrieb mit großer Genauigkeit den Befund aller Dinge in dem Zimmer nieder, und untersuchte sorgfältig die Gesichtszüge des Erschossenen. Derselbe war wie ein gemeiner Matrose gekleidet. Keinem der Anwesenden war sein Gesicht bekannt. Hildebrod schickte sodann nach einem Elsaßer Wundarzt, den seine Laster, trotz seiner etwaigen Geschicklichkeit, auf die armselige Praxis dieses Quartiers beschränkt hatten. Er ließ ihn die Leichen untersuchen, und die muthmaßliche Weise, in welcher sie den Tod gefunden hatten, bestimmen. Die Feldbinde entging nicht der Aufmerksamkeit des gelehrten Richters. Nachdem er Alles, was über den Fall gesagt oder vermuthet werden konnte, angehört und alle Einzelnheiten des Thatbestandes aufgenommen hatte, gebot er, das Zimmer bis zum bevorstehenden Morgen zu verschließen, führte die unglückliche Tochter des Ermordeten in die Küche, wohin Niemand ihm folgen durfte, als Lord Glenvarloch, und stellte ihr die Frage, ob sie Niemand als Thäter im Verdachte habe?

»Habt Ihr Niemand im Verdachte?« fragte Martha, ihn fest in's Auge fassend.

»Vielleicht, Jungfer. Aber meine Sache ist zu fragen, und Eure, Antwort zu geben. So ist die Regel des Spiels.«

»Nun, ich habe den im Verdachte, der jene Feldbinde trug. Wißt Ihr nicht, wen ich meine?«

»Hm,« erwiderte Hildebrod, »wenn Ihr solche Trümpfe bringt, dann muß ich sagen, ich habe an Hauptmann Peppercull eine dergleichen gesehen, und er war nicht der Mann, der seine Kleider viel wechselte.«

»Nun so sendet hin und laßt ihn verhaften,« sprach, Martha.

»Wenn er der Thäter ist, dann wird er bereits über alle Berge sein,« bemerkte der Richter. »Aber ich will den höheren Behörden Mittheilung machen.«

»Ihr möchtet ihn entschlüpfen lassen,« erwiderte Martha mit grimmigem Blicke.

»Auf Cerevis,« erwiderte Hildebrod, »wenn es von mir abhinge, so müßte mir der Spitzbube so hoch hängen, wie Haman. Aber laßt mir Zeit. Ihr wißt, er hat Freunde unter uns, und Alle, die mir beistehen sollten, sind besoffen wie die Schweine.«

»Ich will Rache haben,« erklärte Martha in entschiedenem Tone. »Merkt Euch das und hütet Euch, mit mir, Possen zu treiben.«

»Possen treiben?« wiederholte der Herzog. »Lieber wollte ich mit einer eben gehetzten Bärin Possen treiben. Ich sage Euch, Mamsell, habt Geduld; wir wollen ihn schon kriegen. Ich kenne alle seine Gänge; er kann dieselben nicht meiden, und ich will ihm Fallen stellen. Es kann Euch Gerechtigkeit nicht fehlen, denn Ihr habt die Mittel, sie zu erlangen.«

»Wer mir zu meiner Rache behülflich ist, soll an diesen Mitteln Theil haben,« sprach Martha.

»Genug gesagt,« erwiderte Hildebrod. »Ich dächte, Ihr ginget jetzt mit mir nach Hause und nähmet etwas Warmes zu Euch, denn so allein hier werdet Ihr es frostig finden.«

»Ich will die Putzfrau kommen lassen, und außerdem haben wir den fremden Herrn hier,« erwiderte Martha.

»Ah, ah, den fremden Herrn!« sprach Hildebrod, Nigeln bei Seite nehmend. »Ich vermuthe, der Hauptmann hat das Glück des fremden Herrn gemacht, während er einen kühnen Wurf für sein eigenes versuchte. Ich kann Ew. Gestrengen sagen – Ew. Herrlichkeit darf ich nicht sagen –, ich glaube, dadurch, daß ich den Schuft Etwas von meinem heut Morgen Euch gemachten Vorschlage habe merken lassen, habe ich ihn zu diesem bösen Spiel veranlaßt. Desto besser für Euch – so kriegt Ihr das Geld ohne den Schwiegervater. – Ich hoffe, Ihr werdet die Bedingungen erfüllen.«

»Ich wollte, Ihr hättet gegen Niemand Etwas von einem so unsinnigen Plan geäußert,« versetzte Nigel.

»Unsinnig? – Hm! Meint Ihr vielleicht, sie wolle Euch nicht. Nehmt sie mit der Thrän' im Aug' – nehmt sie mit der Thrän' im Aug'. Laßt mich morgen früh von Euch hören. Gut' Nacht, gut' Nacht – genickt ist so gut wie gewinkt. Ich muß an mein Geschäft, Verschließen und Versiegeln. – Da fällt mir ein – diese abscheuliche Geschichte hat mir ganz das Concept verrückt –, da ist ein Bursche von Meister Lowestoffe, der nach Euch gefragt hat. Da er sagte, sein Geschäft sei dringend, so hat ihn der Senat nur ein Paar Flaschen trinken lassen, und eben wollte er Euch aus den Federn jagen, als dieser Sturm sich erhob. – Heda! Freund! hier ist Meister Nigel Grahame.«

Ein junger Mensch in grünem Plüschwams mit einem Schildchen auf dem Aermel, dem Ansehen nach ein Fuhrmann, trat vor und nahm Nigeln bei Seite, während Herzog Hildebrod von Ort zu Ort ging, um seine Amtsgewalt zu üben und zu sorgen, daß die Fenster und Thüren des Zimmers verschlossen würden. Die von Lowestoffes Boten gebrachte Kunde war nicht sehr erfreulich. Der Bote flüsterte Nigeln in höflichem Tone zu: »Meister Lowestoffe läßt Euch bitten, augenblicklich Whitefriars zu verlassen, wofern Ihr Euch retten wollt. Der Oberstlandrichter hat einen Haftbefehl wider Euch erlassen, und dieser soll diesen Morgen vollzogen werden unter dem Beistande einer Abtheilung Musketiere – einer Macht, welcher zu widerstehen die Elsasser weder Luft noch Muth haben würden. Gestrenger Junker, mein Kahn wird auf Euch warten dort an der Tempeltreppe um fünf Uhr in der Frühe. Wollt Ihr also den Bluthunden entschlüpfen, so steht es bei Euch.«

»Warum hat Meister Lowestoffe mir nicht geschrieben?« fragte Nigel.

»Lieber Gott! der gute Herr sitzt im Trocknen und hat so wenig mit Dinte und Feder zu thun, als ob er ein Pfarrer wäre.«

»Hat er mir ein Erkennungszeichen geschickt?« fragte Nigel.

»Ja gewiß,« antwortete der Bursche, »wenn ich es nur nicht vergessen habe.« Er zupfte an dem Bunde seiner Hosen und fuhr fort: »Ja, jetzt hab' ich's. Ihr hättet mir zu glauben, weil Euer Name mit O geschrieben werde, statt Grahame. – Ja, so ist es, glaub' ich. – Nun? werden wir uns in zwei Stunden treffen, wenn die Ebbe anfängt, und den Fluß hinuntergehen wie eine zwölfrudrige Barke?«

»Weißt du, wo jetzt der König ist?« fragte Nigel.

»Der König? Hm, der ist gestern zu Wasser nach Greenwich gegangen, wie ein ächter König, der immer obenauf schwimmt, wo er kann. Er sollte diese Woche jagen, aber dieser Plan ist, wie ich höre, aufgegeben, und der Prinz und der Herzog und die ganze Gesellschaft zu Greenwich sind so lustig wie die Fischlein im Wasser.«

»Gut,« erwiderte Nigel. »Ich will um fünf Uhr bereit sein. Komm um diese Zeit hieher, meine Sachen abzuholen.«

»Ja Herr,« erwiderte der Bursche und entfernte sich mit den unordentlichen Begleitern Hildebrods, die jetzt das Haus verließen. Der Herzog empfahl Nigeln, hinter ihm fest zuzuschließen, und raunte ihm ins Ohr, indem er auf die Person deutete, welche mit ausgestreckten Gliedern, als ob die Hand des Todes sie schon gefaßt hätte, an dem erlöschenden Feuer saß: »Habt Acht auf Euer Ziel und habt Acht auf Euren Handel, sonst zerschneide ich Euch die Sehne, ehe Ihr sie spannen könnt.«

Nigel empfand ganz die unaussprechliche Rohheit, welche die Verfolgung solcher Zwecke bei einer Unglücklichen in solcher Lage empfehlen konnte. Allein er bezwang seinen Unwillen, hörte den Rath stillschweigend an und befolgte den ersten Theil desselben, indem er die Hausthür sorgfältig hinter Herzog Hildebrod und seinem Gefolge verschloß, hoffend, daß er Nichts mehr von ihnen zu sehen und zu hören bekommen werde. Dann kehrte er in die Küche zurück, wo die Unglückliche noch immer in derselben Stellung saß mit starren Augen, geballten Fäusten und ausgestreckten Gliedern, als ob sie im Starrkrampf läge. Lebhaft ergriffen von ihrer gegenwärtigen Lage und von der Aussicht in die Zukunft, welche vor ihr zu liegen schien, suchte er, sie wieder zur Besinnung zu bringen. Nachdem es ihm gelungen war, ihre Aufmerksamkeit zu erregen, erklärte er ihr, daß er im Begriff stehe, Whitefriars binnen wenigen Stunden zu verlassen, daß seine Zukunft ungewiß sei, daß er aber wissen möge, ob er Etwas zu ihrer Beschützung thun könne, indem er etwa einen Freund von ihrer Lage benachrichtige. Sie begriff nicht sogleich was er sagen wollte, und antwortete endlich in ihrer gewöhnlichen kurzen, abstoßenden Weise: »Ihr meint es vielleicht gut; aber Ihr solltet wissen, daß der Unglückliche keine Freunde hat.«

»Ich will Euch nicht weiter belästigen,« erwiderte Nigel. »Allein da ich in Begriff stehe, Whitefriars zu verlassen – –«

»Ihr wollt Whitefriars verlassen?« unterbrach sie ihn. »Ich will mit Euch gehen.«

»Ihr mit mir gehen?« rief Lord Glenvarloch.

»Ja,« antwortete sie. »Ich will meinen Vater überreden, diese Mördergrube zu verlassen.« Während sie so sprach, kam sie wieder zum Bewußtsein des Vorgefallenen. Sie verbarg ihr Gesicht in ihren Händen und brach in heftiges Schluchzen, Wimmern und Jammern aus, welches mit heftigen, ihrer Leibes- und Seelenstärke entsprechenden Krämpfen endigte.

Lord Glenvarloch, ergriffen, verwirrt und unerfahren, wollte weggehen, um ärztlichen oder wenigstens weiblichen Beistand zu holen. Aber die Leidende, bei welcher der heftigste Anfall eben vorüber war, hielt ihn mit der einen Hand am Arm zurück, während sie mit der andern ihre Augen bedeckte, aus denen ein Thränenstrom, ihr gepreßtes Herz erleichternd, hervorbrach.

»Verlaßt mich nicht,« sprach sie; »verlaßt mich nicht und ruft Niemand. So bin ich in meinem Leben noch nicht gewesen, und ich würde auch jetzt nicht so sein – wenn – wenn er nicht mich geliebt hätte, er der sonst keinen Menschen liebte. So zu sterben – und von solchen Händen!« Bei diesen Worten hatte sie sich wieder aufrecht gesetzt und wischte ihre Augen mit der Schürze ab. Am Schluß derselben brach sie abermals in Schluchzen und Jammern aus, bis sie endlich allmählig wieder ihre gewöhnliche ruhige Fassung bekam und, dieselbe mit einem festen Entschluß behauptend, die Wiederkehr der Krämpfe unterdrückte, wie zuweilen Epileptische die Anfälle ihrer Krankheit durch eine innere Anstrengung aufhalten. Indeß vermochte ihre geistige Kraft nicht völlig die Erregung ihrer Nerven zu beschwichtigen. Sie wurde wiederholt von einem heftigen Zittern befallen, welches Minuten lang dauerte und ihren ganzen Körper auf eine schreckliche Weise schüttelte. Nigel vergaß seine eigne Lage und alles Andere über der Theilnahme, welche die Unglückliche ihm einflößte. Diese Theilnahme machte auf den stolzen Sinn des Weibes einen um so größeren Eindruck, je weniger sie geneigt war, der Menschlichkeit oder dem Mitleid Anderer Etwas zu verdanken.

»Ich bin nicht gewohnt, so zu sein,« sprach sie. »Aber die Natur behauptet ihre Gewalt über ihre schwachen Geschöpfe. An Euch, Herr, habe ich ein Recht, denn ohne Euch würde ich diese Nacht nicht überlebt haben. Ich wollte, Euer Beistand wäre früher oder später gekommen. Ihr habt mein Leben gerettet und Ihr seid verpflichtet, es mir erträglich zu machen.«

»Wofern Ihr mir zeigt, wie ich das vermag,« erwiderte Nigel.

»Ihr sagt, Ihr wollt ohne Verzug von hier weggehen,« fuhr sie fort. »Nehmt mich mit. Für mich allein kann ich dieser Wildniß des Frevels und Elendes nicht entrinnen.«

»Lieber Himmel! was kann ich für Euch thun?« versetzte Nigel. »Mein Weg, von dem ich nicht abgehen kann, führt mich aller Wahrscheinlichkeit nach in einen Kerker. Ich könnte Euch wohl mit mir von hier wegnehmen, wenn Ihr sodann ein Unterkommen bei einer befreundeten Person zu finden wüßtet.«

»Befreundet!« rief sie. »Ich habe keinen Freund. – Sie haben uns längst verstoßen. Ein Gespenst aus dem Grabe würde willkommener sein, als ich, wenn ich jetzt an den Thüren derer erschiene, die uns verleugnet haben. Und wenn sie mir jetzt ihre Freundschaft wiederschenken wollten, würde ich dieselbe verachten, denn sie haben sie ihm entzogen, – ihm« – hier wurde sie durch eine heftige innere Bewegung unterbrochen, nach deren Bezwingung sie fortfuhr: – »ihm, der dort liegt. Ich habe keinen Freund.«

Sie schwieg. Plötzlich aber, als ob sie sich besonnen hätte, fuhr sie fort: »Ich habe keinen Freund, aber ich habe das, womit man viele erkaufen kann, womit man Freunde erkaufen kann und Rächer. – Es ist gut, daß ich daran denke. Ich darf es nicht Betrügern und Gaunern zur Beute lassen. – Fremdling, geht in das Zimmer dort. – Geht unverzagt durch dasselbe in das seinige – ich meine, in das Schlafzimmer, schiebt die Bettstelle bei Seite, und Ihr werdet unter jedem der Füße eine Messingplatte finden, scheinbar bestimmt, den Fußboden zu schonen. Ihr habt aber blos die zur Linken an der Wand zu beachten. Drückt auf die Ecke der Platte, und sie wird in die Höhe fahren und ein Schlüsselloch zum Vorschein kommen lassen, welches Ihr mit diesem Schlüssel öffnen könnt. Hebt dann eine verborgene Fallthür in die Höhe, und Ihr werdet in einer Höhlung unter dem Fußboden ein Kästchen erblicken. Bringt es hieher; es soll unser Reisegefährte sein, und es müßte schlimm zugehen, wenn ich mir nicht mittelst desselben eine Zuflucht erkaufen könnte.«

»Aber die Leute haben ja die Thür verschlossen,« bemerkte Nigel.

»Das ist wahr; daran habe ich nicht gedacht,« erwiderte sie. »Ohne Zweifel hatten sie ihre Gründe dazu. Aber der geheime Weg von Eurem Zimmer aus ist offen, und den könnt Ihr einschlagen.«

Lord Glenvarloch nahm den Schlüssel und zündete eine Lampe an. Martha bemerkte auf seinem Gesicht eine gewisse Unlust, den Auftrag auszurichten.

»Fürchtet Ihr Euch?« fragte sie. »Das braucht Ihr nicht. Der Mörder und sein Opfer sind zur Ruhe eingegangen. Fasset Muth. Ich will mit Euch gehen. Ihr könnt nicht wissen, wie die Feder gedrückt werden muß, und das Kästchen wird Euch zu schwer sein.«

»Ich habe keine Furcht,« erwiderte Lord Glenvarloch, beschämt über die Deutung, welche sie seiner Unlust gab, der Folge des Widerwillens gegen einen gräßlichen Anblick, wie ihn der Furchtloseste haben kann. »Ich will Euren Auftrag ausrichten. Aber Ihr dürft, Ihr könnt nicht hingehen.«

»Ich kann und will,« sprach sie. »Ich bin gefaßt; das sollt Ihr sehen.« Sie nahm von dem Tische eine Näharbeit und fädelte einen Seidenfaden mit fester Hand in eine feine Nadel ein. »Könnte ich das,« fragte sie mit einem Lächeln, welches noch grausiger war, als ihr früherer verzweifelter Blick, – »könnte ich das, wenn mein Herz und meine Hand nicht fest wären?«

Rasch ging sie voran die Treppe hinauf nach Nigels Zimmer und von da die geheime Treppe hinab. Ihre Eile schien die Besorgniß zu verrathen, daß ihr Entschluß vor der Ausführung wankend werden möchte. Unten an der engen Treppe blieb sie einen Augenblick stehen, ehe sie die Thür öffnete; dann aber trat sie eilenden Schrittes in das Schlafzimmer. Lord Glenvarloch folgte ihr auf dem Fuße. Sein Widerwille, den Schauplatz des Mordes zu betreten, verlor sich in seiner Besorgniß um die Ueberlebende.

Das Erste was sie that, war, daß sie die Vorhänge des Bettes ihres Vaters aufzog. Die Bettdecke war unordentlich bei Seite geworfen, vermuthlich in Folge seines plötzlichen Aufspringens, um sich dem Eindringen der Räuber in das anstoßende Zimmer zu widersetzen. Die harte Matratze zeigte kaum einen Eindruck von dem ausgemergelten Körper des Geizhalses. Martha sank neben dem Bette nieder, faltete die Hände und betete kurz und inbrünstig um Beistand in ihrer Trübsal und um Rache wider die Bösewichter, die sie zur Waise gemacht hatten. Ein leiseres und kürzeres Gebet empfahl dem Himmel die Seele des Getödteten und erflehte Vergebung seiner Sünden kraft des großen christlichen Sühnopfers.

Nach Erfüllung dieser Pflicht der Frömmigkeit bedeutete sie Nigeln, ihr zu helfen. Sie schoben die schwere Bettstelle bei Seite und erblickten die bezeichnete Messingplatte. Martha drückte auf die Feder, die Platte sprang in die Höhe, und das Schlüsselloch kam zum Vorschein nebst einem starken eisernen Ringe. Sie faßte diesen und hob die Fallthür auf. Das von ihr bezeichnete Kästchen stand in der Vertiefung, aber es hatte ein solches Gewicht, daß Nigel, obwohl ein starker Mann, es schwerlich allein hätte herausheben können.

Nachdem sie Alles wieder in den vorigen Stand gesetzt hatten, hob Nigel mit Hülfe seiner Begleiterin die Last auf und trug sie in das anstoßende Zimmer, wo der bisherige Eigenthümer lag, unempfindlich gegen Laute und Bewegungen, die seinen letzten langen Schlaf hätten unterbrechen müssen, wenn irgend Etwas es vermocht hätte. Martha machte Halt, ging zu dem Leichnam hin und hatte sogar den Muth, die Hülle von seinem Gesicht wegzunehmen. Sie legte ihre Hand an sein Herz; aber es schlug nicht mehr. Sie hielt ihm eine Feder an den Mund, aber dieselbe blieb unbeweglich. Endlich küßte sie ehrfurchtsvoll die geschwollenen Adern auf der bleichen Stirn und die magere Hand.

»Ich wollte, Ihr könntet mich hören!« sprach sie. »Vater, ich wollte, Ihr könntet meinen Schwur hören, daß ich das, was Euch das Liebste auf Erden war, nur darum rette, um damit Rache für Euren Tod zu erlangen!«

Sie zog die Hülle wieder über das Gesicht, ergriff wieder ohne weiter eine Thräne, einen Seufzer oder ein Wort zu verlieren, die Handhabe des Kastens und trug ihn mit Hülfe Glenvarlochs in dessen Schlafzimmer. »Er muß als ein Theil Eures Gepäcks gelten,« bemerkte sie. »Ich werde in Bereitschaft sein, wenn der Fährmann ruft.«

Mit diesen Worten entfernte sie sich. Nigel riß ein Stück von der alten Tapete herunter und befestigte dasselbe um das Kästchen, damit die eigenthümliche Gestalt desselben und die eisernen Kreuz- und Querbänder, mit denen es verwahrt war, nicht auf die Vermuthung des darin enthaltenen Schatzes führen könnten. Nach dieser Vorsichtsmaßregel vertauschte er die schuftige Verkleidung, zu welcher er sich bei seinem Eintritt in Whitefriars bequemt hatte, mit einem anständigen Gewand, und warf sich, erschöpft von den Erlebnissen der Nacht, wiewohl unfähig zu schlafen, auf sein Bett, um in Ruhe die Ankunft des Fährmannes zu erwarten.



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