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Drittes Kapitel.

Auf dieser Seit' ist Rettung, Sicherheit,
Auf jener dort Gefahr und Schand' und Straf'.
Willkommen denn Gefahr, ja Schande selbst
Und Strafe. Denn bin in der That ich schuldig,
So leist' Genugthuung ich dem Gesetz;
Und bin ich schuldlos, dann ist mein' Straf'
Nur eine Schmach für Die, so sie verhängen.

Das Gericht.

Wir haben den Freiherrn von Glenvarloch, um dessen Schicksale unsere Geschichte sich hauptsächlich dreht, auf dem Punkte verlassen, wo er rasch die Themse hinabfährt. – Der Leser wird bereits gemerkt haben, daß er von Natur nicht sehr gesprächig und nicht gewohnt war, mit zufälligen Gesellschaftern Unterhaltungen anzuknüpfen. Dieser Fehler in seinem Benehmen hatte nicht sowohl seinen Grund in einem gewissen Stolze, von dem er keineswegs frei war, als vielmehr in einer rücksichtsvollen Scheu, sich in das Gespräch von Unbekannten zu mischen. Ein solcher Fehler wird nur durch Erfahrung und Weltkenntniß geheilt, dadurch, daß wir inne werden, wie nicht nur Ergötzung, sondern auch Belehrung und Erweiterung unserer Kenntnisse aus dem Gespräche mit jedem Menschen geschöpft werden können, mit welchem wir uns auf einen ungezwungenen Gedankenaustausch einlassen. Der Verfasser seines Theils kann versichern, daß er nie einen Eckenausfüller in einem Postwagen gefunden hat, mochte derselbe auch noch so dumm sein, welcher ihn nicht im Verlaufe eines angeknüpften Gesprächs auf einen scherzhaften oder ernsthaften Gedanken gebracht oder ihm eine Belehrung mitgetheilt hätte, die er ungern vermißt oder vergessen haben würde. Wenn es dem Verfasser zuweilen gelungen ist, dem Leser Unterhaltung zu gewähren, so ist dies großentheils diesem Umstande zuzuschreiben. Nigel war so zu sagen in die Bastille seines Ranges eingesperrt, wenn wir uns des glücklichen Bildes eines Philosophen (Thomas Paine, wenn wir nicht irren) bedienen dürfen, um die Zurückhaltung vornehmer Leute zu bezeichnen, welche weniger in verachtendem Hochmuthe ihren Grund hat, als in der Ungewißheit, wie weit und mit wem sie vertraulich sein dürfen, ohne sich Unannehmlichkeiten auszusetzen. Ueberdem war die Lage seiner Angelegenheiten von der Art, daß sie ausschließlich seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

Er saß also in seinen Mantel gewickelt im Hintertheile des Kahnes ganz in Gedanken über den muthmaßlichen Ausgang des von ihm gesuchten Zusammentreffens mit dem Könige versunken. Das Vertieftsein war zu entschuldigen, obwohl er vielleicht in einem Gespräche mit den Fährleuten Dinge hätte erfahren können, die für ihn sehr wichtig gewesen wären. Erst als sie sich der Stadt Greenwich näherten, brach er das Schweigen, indem er den Schiffern befahl, bei dem nächsten Landungsplatze anzulegen, wo er sie zu entlassen gedenke.

»Das geht nicht an,« erwiderte der Bursche in der grünen Jacke, der den Steuermann machte. »Wir müssen nach Gravesend fahren, wo ein schottisches Schiff, welches eben deshalb mit der letzten Ebbe den Fluß hinabgegangen ist, über dem Anker steht, um Euch in Eure liebe nordische Heimath zurückzuführen. Eure Hängematte ist angeschnürt, und Alles ist für Euch in Bereitschaft, und Ihr sprechet davon, bei Greenwich an's Land zu gehen, so ernsthaft, als ob so Etwas möglich wäre.«

»Ich sehe keine Unmöglichkeit für Euch, mich an's Land zu setzen, wo ich an's Land gesetzt sein will,« versetzte Nigel. »Dagegen sehe ich nicht wohl die Möglichkeit ab, wie Ihr mich an einen Ort führen könnt, wo ich nicht hin will.«

»Hm! Meister, führt Ihr den Kahn, oder wir?« fragte Grünjack in einem halb scherz-, halb ernsthaften Tone. »Ich denke, er wird dahin gehen, wohin wir ihn rudern.«

»O ja,« versetzte Nigel; aber ich denke, Ihr werdet ihn dahin rudern, wohin ich es haben will, sonst werdet Ihr schlechte Aussicht auf Bezahlung haben.«

»Angenommen, wir wollten es darauf ankommen lassen,« erwiderte der unerschrockene Schiffer, »so möchte ich wohl wissen, wie Ihr, der Ihr – Nichts für ungut – so trotzig redet, Euch in einem solchen Falle helfen wolltet.«

»Einfach so,« antwortete Lord Glenvarloch. »Ihr habt mich vor einer Stunde einen Koffer tragen sehen, den keiner von euch Beiden aufheben konnte. Kämen wir in Streit über das Ziel unserer Reise, so würde dieselbe Stärke, welche jenen Kasten in den Kahn gebracht hat, hinreichen, Euch aus demselben hinauszuwerfen. Also ehe es zum Balgen kommt, bedenkt gefälligst, daß ich Euch zwingen werde, mich dahin zu bringen, wohin ich will.«

»Ihr seid sehr gütig,« erwiderte Grünjack. »Aber nun hört auch mich an. Mein Kamerad und ich, wir sind unserer Zwei, und Ihr, wäret Ihr auch so stark wie Georg im Grünen, könnt nur für Einen gelten, und Ihr werdet zugeben, daß Zwei Einem überlegen sind. Ihr rechnet falsch, guter Freund.«

» Ihr rechnet falsch,« versetzte Nigel, der lebhaft zu werden begann. »Ich bin Drei gegen Zwei, Bursche! – ich trage das Leben von zwei Männern in meinem Gürtel.« Mit diesen Worten schlug er den Mantel zurück und zeigte seine beiden Pistolen.

Grünjack ließ sich dadurch nicht irre machen. »Ich habe ein Paar Brummer, die es mit den Eurigen aufnehmen,« sprach er und zeigte, daß er ebenfalls mit Pistolen bewaffnet war. »Demnach könnt Ihr anfangen, sobald es Euch gefällt.«

»Nun denn, je eher je besser,« rief Lord Glenvarloch, ein Pistol herausziehend und den Hahn spannend. »Merkt Euch, ich betrachte Euch als einen Spitzbuben, der erklärt hat, Gewalt gegen mich brauchen zu wollen, und ich jage Euch eine Kugel durch den Kopf, wenn Ihr mich nicht augenblicklich bei Greenwich an's Land setzt.«

Der andere Schiffer, erschreckt durch Nigels Geberde, hörte auf zu rudern, aber Grünjack antwortete kaltblütig: »Seht, Meister, ich achte es keinen Pfifferling, in dieser Sache mein Leben gegen Euch aufs Spiel zu setzen. Aber die Wahrheit ist, daß ich angewiesen bin, Euch Gutes zu thun, nicht Euch ein Leid zuzufügen.«

»Von wem seid Ihr angenommen?« fragte Lord Glenvarloch. »Wer darf sich um mich oder um meine Angelegenheiten bekümmern, ohne daß ich darein zu reden habe?«

»Was das betrifft,« antwortete der Fährmann in seinem gleichgültigen Tone, »so werde ich meine Beauftragung nicht nachweisen. Mir ist es, wie gesagt, gleichgültig, ob Ihr bei Greenwich an's Land steigt, um Euch hängen zu lassen, oder ob Ihr hinunter geht und die Königliche Distel besteigt, um in Eure Heimath zu entfliehen. In beiden Fällen seid Ihr außer meinem Bereich. Aber es gebührt sich, daß ich Euch die Wahl gebe.«

»Meine Wahl ist getroffen,« erwiderte Nigel. »Ich habe Euch schon drei Mal gesagt, daß mein Wille ist, bei Greenwich an's Land gesetzt zu werden.«

»Schreibt auf ein Stück Papier, daß dies Euer ausdrücklicher Wille ist,« sprach der Schiffer. »Ich muß Denen, welche mich angenommen haben, den Beweis bringen, daß die Schuld der Verletzung ihrer Befehle an Euch liegt und nicht an mir.«

»Ich will vorläufig dies Spielzeug in der Hand behalten,« erwiderte Nigel, das Pistol ihm entgegenhaltend, »und will Euch die Quittung schreiben, wenn ich an's Land gehe.«

»Ich möchte nicht für hundert Goldstücke mit Euch an's Land gehen,« sprach der Schiffer. »Unglück hat Euch überall begleitet, außer bei niedrigem Spiele. Thut was recht und billig ist und schreibt mir das Zeugniß. Fürchtet Ihr falsches Spiel, während Ihr schreibt, so nehmt meine Pistolen.« Er reichte seine Waffen dem Freiherrn. Dieser nahm sie, um vor jeder Tücke gesichert zu sein, und schrieb folgendes Zeugnis;:

»Hans im Grünen und sein Genosse auf dem Kahne, genannt der muntere Rabe, haben treulich ihre Schuldigkeit gethan, indem sie mich auf meinen ausdrücklichen Befehl bei Greenwich an's Land gesetzt haben, während sie ihrerseits mich an Bord des Schiffes die Königliche Distel bei Gravesend bringen wollten.« Er unterzeichnete mit den Buchstaben N. O. G. Indem er dem Schiffer das Papier übergab, wiederholte er die Frage, wer ihn angenommen habe.

»Herr,« antwortete Hans im Grünen, »ich habe Euer Geheimniß geachtet, sucht nicht das meinige zu ergründen. Es kann Euch Nichts nützen, zu wissen, für wen ich mir die Mühe nehme, und – kurz und gut, Ihr sollt es nicht erfahren, und wenn Ihr darum fechten wollt, so sage ich, wie Ihr vorhin, je eher je lieber. Nur das seid versichert, daß wir nichts Böses gegen Euch im Sinne haben, und daß, wenn Euch dergleichen widerfährt, Ihr es Euch muthwillig selber zuzieht.« Während er so sprach, stießen sie an's Land. Nigel sprang an's Ufer, und die Schiffer setzten seinen Koffer auf die Treppe, bemerkend, daß müßige Hände genug in der Nähe seien, um ihn dahin zu bringen, wohin er wolle.

»Ich hoffe, wir scheiden als Freunde, ihr Jungen,« sprach der junge Freiherr, indem er den Schiffern mehr als den doppelten Fährlohn darreichte.

»Wir scheiden, wie wir zusammengekommen sind, antwortete Grünjack. »Was Euer Geld betrifft, so bin ich mit diesem Stückchen Papier hinlänglich bezahlt. Wenn Ihr mir aber einige Liebe für meinen Dienst schuldig zu sein glaubt, so erlaubt mir die Bitte, nicht so tief in die Tasche des nächsten Lehrburschen zu fahren, den Ihr thöricht genug findet, den Cavalier zu spielen. – Du, gieriges Schwein,« rief er seinem Gefährten zu, welcher einen sehnsüchtigen Blick auf das Geldstück in Nigels Hand heftete, »drück' ab, oder ich nehme den Fahrbaum und schlage Dir den Kopf ein!« der Bursche drückte gebotener Maßen ab, konnte sich jedoch nicht enthalten zu brummen: »Das ist ganz gegen Fährmannsregel.«

Glenvarloch hatte jetzt, wiewohl ohne die Begeisterung des »Gekränkten Thales« des Moralisten für das Andenken der großen Königin Elisabeth,

»Den heil'gen Ort, wo sie geboren ward«

erreicht, dessen Palasthallen jetzt von ihrem weniger Achtung gebietenden Nachfolger bewohnt waren. Es fehlte, wie ein Schriftsteller neuerer Zeit nachgewiesen hat, dem König Jakob weder an Talent noch an gutem Willen, und seine Vorgängerin war mindestens eben so willkürlich in der Praxis, wie er in der Theorie. Aber während Elisabeth einen männlichen Sinn und eine unbeugsame Entschlossenheit besaß, die sogar ihre, zum Theil lächerliche, Schwächen achten ließen, fehlte es ihrem Nachfolger so gänzlich an Festigkeit, welche ein schottischer Dichter den Hanfstengel im Manne nennt, daß selbst seine Tugenden und sein Wohlmeinen lächerlich wurden durch die wunderliche Unsicherheit seines Benehmens, und daß seine besten Handlungen einen Anstrich von seinem närrischen Wesen erhielten. So suchte er zu verschiedenen Zeiten sich beim Volke beliebt zu machen, allein es gelang ihm immer nur auf kurze Zeit, denn die Masse achtet eher einen schuldbeladenen Herrscher, als einen, den seine Schwächen blos lächerlich machen.

Wir kehren von dieser Abschweifung zu unserm Helden zurück. Lord Glenvarloch erhielt bald, wie Grünjack ihn versichert hatte, das Anerbieten eines unbeschäftigten Schiffers, sein Gepäck zu tragen, wohin er wollte. Aber dieses Wohin war jetzt die Frage. Endlich besann er sich, daß er vor allen Dingen sein Haupt- und Barthaar in Ordnung bringen lassen müsse, bevor er versuchte, sich dem König vorzustellen, und daß er sich erkundigen müsse, was der König und sein Hof in diesem Augenblicke trieben. Also hieß er seinen Lastträger ihn in die nächste Barbierstube führen, als einen Ort, wo immer Neuigkeiten ausgekramt werden. Dort angelangt, fand er, daß er hier erfahren konnte, was er wissen wollte und noch viel mehr, während sein Gesicht der Kunst eines behenden Scherers unterworfen war, dessen geläufige Zunge mit seinen geschwinden Fingern Schritt hielt.

»Ob der Hof hier ist? – Ja, Meister; und das ist sehr gut für die Geschäfte. Viel gute Kundschaft. Se. Majestät liebt Greenwich, jagt alle Morgen im Park. Alle hoffähigen Personen zugelassen – keinen Pöbel – sie erschrecken des Königs Roß mit ihrem Halloh, das ungekämmte Gesindel. – Nicht wahr, Herr, den Bart mehr gespitzt? Ja, so trägt man's. Ich kenne den neuesten Schnitt, – bediene mehr Leute vom Hof, – einen Kammerdiener, zwei Leibpagen, den Küchenschreiber, drei Heiducken, zwei Hundsjungen und einen gestrengen schottischen Ritter, Herrn Mungo Malgröler.«

»Wahrscheinlich Malagrowther,« bemerkte Nigel in gleichgültigem Tone.

»Ja, ja, Malkrauter, wie Ihr sagt. Die Schotten haben harte Namen für einen englischen Mund. Herr Muncho ist ein hübscher Mann – Ihr kennt ihn vielleicht – abgerechnet den Verlust seiner Finger und die Lahmheit seines Beines und die Länge seines Kinnes. Seht, sein Kinn zurechtzumachen nimmt mir eine Minute zwölf Sekunden mehr weg, als irgend ein anderes in der Stadt Greenwich. Aber trotzdem ist er ein stattlicher Herr, und ein angenehmer – ein sehr angenehmer Mann, und gar gutmüthig, abgerechnet daß er so taub ist, daß er nie etwas Gutes von Jemand hören, und so klug, daß er es nie glauben kann. Aber trotzdem ist er ein gar gutmüthiger Herr, ausgenommen, wenn man zu leise spricht oder wenn sich ein Haar verdreht. – Hab' ich Euch geritzt, Herr? Den Augenblick soll es wieder gut sein mit einem Tropfen von meinem Stypticum oder vielmehr von meines Weibes Stypticum. Sie macht das Wasser selber. Ein Tropfen Stypticum und ein Stückchen schwarzes Pflaster, so groß, daß es ein Fliegensattel sein könnte, – verschönert eher, als es entstellt. Der Prinz trug gestern ein Pflästerchen, desgleichen der Herzog, und, Ihr dürft mir glauben, schon sind siebenundzwanzig und dreiviertel Ellen schwarzes Taffet zu Pflästerchen für die Hofleute zerschnitten.«

»Aber Herr Mungo Malagrowther?« fragte Nigel gedehnt.

»Ja, ja, Herr – Herr Muncho, wie Ihr sagt, ein angenehmer, gutartiger Mann, wie es nur je einen gegeben hat. Ob er zu sprechen ist, meint Ihr? O, sehr leicht, das heißt so leicht, als es sein Uebel erlaubt. Wenn ihn nicht Jemand zum Frühstück eingeladen hat, so wird er seinen Knochen Rindfleisch bei meinem Nachbar Kunz Kilderkin dort drüben zu sich nehmen. Kunz hat eine Garküche, die wegen ihrer Schweinscarbonaden berühmt ist. Aber Herr Muncho kann das Schweinefleisch nicht leiden Bis zum Anfang dieses Jahrhunderts hatten die Schotten überhaupt denselben Widerwillen gegen Schweinefleisch, wie ein Hochländer noch bis auf den heutigen Tag. Es galt als ein Beweis außergewöhnlicher Raubsucht, wenn die Grenzer sich herabließen, Vieh von der Art wegzutreiben, in welcher der Teufel seine Wohnung genommen hatte. Ben Jonson sagt in der Schilderung Königs Jakob: »Er konnte Nichts vom Schwein leiden.«, so wenig wie Se. Majestät und wie der Herr Herzog von Lennox und der Lord Dalgarno – Herr, wenn ich Euch dies Mal verletzt habe, so war es Eure Schuld, nicht meine. Aber noch ein Tropfen Stypticum und ein zweites Pflästerchen, so groß, um einem Floh ein Wams davon zu machen, gerade unter dem linken Schnurrbart – das wird Euch gut stehen, wenn Ihr lächelt, so gut wie ein Grübchen, und wenn Ihr Euer Liebchen grüßt –. Ich bitte um Vergebung, Ihr seid ein ernsthafter Herr, sehr ernsthaft für Eure Jugend. Hoffe, Ihr werdet es mir nicht übel nehmen; es ist meine Schuldigkeit, die Kunden zu unterhalten, – Schuldigkeit und Vergnügen, lieber Herr. – Herr Muncho Malkrauter? Ja, Herr, ich glaube bestimmt, er ist jetzt in Kunzens Garküche, denn wenige Leute laden ihn ein, seitdem der Herr von Huntinglen nach London gegangen ist. – Nehmt Euch in Acht, sonst gibt es einen dritten Schnitt. – Ja, dort werdet Ihr ihn finden bei einer Kanne Dünnbier mit einem Rosmarinzweig umgerührt; denn er trinkt nie starke Getränke, ausgenommen dem Lord Huntinglen zu Gefallen. – Nehmt Euch in Acht, Herr! – oder sonst Jemandem, der ihn einladet. Bei Kunz trinkt er immer Dünnbier zu seinem Stück Rind- oder Hammelfleisch, auch wohl Lammfleisch, wenn es gerade die Zeit mit sich bringt – aber nie Schweinefleisch, obwohl Kunz wegen seiner Carbonaden berühmt ist. Aber die Schotten essen kein Schweinefleisch – sonderbar! Manche Leute meinen, sie wären eine Art Juden. Eine Aehnlichkeit ist vorhanden – meint Ihr nicht? Man nennt unsern allergnädigsten König den zweiten Salomo, und Salomo, wißt Ihr, war König der Juden. – So, jetzt hat das Ding ein Ansehen. Ich hoffe, Ihr werdet Euch zu Eurer Zufriedenheit zurecht gemacht finden. Eure Liebste soll über meine Arbeit urtheilen. Bitte um Verzeihung, – es ist nicht böse gemeint. – Befragt den Spiegel – noch einen Druck vom Kräuseleisen, um dies herausstehende Haar in Ordnung zu bringen. – Danke für Eure Freigebigkeit; hoffe, Ihr werdet mir ferner die Ehre schenken, so lange Ihr in Greenwich bleibt. Wünscht Ihr ein Stückchen auf der Cither zu hören, um Euch für heute heiter zu stimmen? Twang-twang, twang-twang. – Ein Bischen verstimmt. Es kommen zu viele Hände daran. Wir können diese Dinge nicht im Stande halten wie Künstler. Erlaubt mir, daß ich Euch helfe den Mantel anlegen. Ihr wollt nicht selber spielen? – Den Weg nach Herrn Muncho's Speisehaus? – Gleich Herr! Aber es ist Kunzens Speisehaus, nicht Herrn Muncho's. Freilich, der Ritter speiset dort, und so ist es gewissermaßen sein Speisehaus. Ha! ha! Seht dort, etwas von der Straße zurück, mit den neuangestrichenen Pfosten und dem rothen Gitter, wo der dicke Mann im Wams in der Thür steht. Das ist Kunz selber; – er ist seine tausend Pfund schwer. – Es ist einträglicher, Schweineköpfe zu schaben, als Hofmannsgesichter. Aber unser Geschäft ist weniger handwerksmäßig. Lebt wohl, Herr; schenkt mir ferner die Ehre.« Damit ließ er endlich Nigeln ziehen, dem die von seinem unaufhörlichen Geschnatter gequälten Ohren sauseten, wie wenn während der Zeit eine Glocke dicht bei ihnen geläutet worden wäre.

Als Lord Glenvarloch bei dem Speisehause anlangte, wo er Herrn Mungo Malagrowther anzutreffen wünschte, um von diesem, in Ermangelung eines besseren Rathgebers, zu hören, wie er am besten vor den König kommen könne, fand er bei dem Wirthe, an den er sich wandte, die vornehme Wortkargheit eines wohlhabenden Engländers. Auf die Frage, ob Herr Mungo Malagrowther da sei, antwortete Kunz: »Nein.« Auf die Frage, ob er erwartet werde, erwiderte er: »Ja.« Er sprach, wie ein Bankier schreibt, sich auf das Nothwendige beschränkend. Auf die weitere Frage, wann derselbe erwartet werde, erfolgte die Antwort: »den Augenblick.« Als endlich Lord Glenvarloch sich erkundigte, ob er selber Etwas zu essen haben könne, verlor der Wirth keine Silbe zur Antwort, sondern wies ihn in ein reinliches Zimmer, wo mehre Tische standen, zog einen von diesen vor einen Sessel, winkte Nigeln, hier Platz zu nehmen, und setzte ihm binnen wenigen Minuten ein Stück Rindsbraten nebst einer schäumenden Kanne vor, welchen beiden Stücken Nigel mit einem durch die Wasserluft gereizten Appetit, trotz seiner innern Beklemmung, tapfer zusprach.

Während dieses Geschäftes hob Nigel jedes Mal, so oft er die Thür aufgehen hörte, den Kopf in die Höhe, in der Hoffnung, Herrn Mungo ankommen zu sehen, – eine Hoffnung, wie sie noch selten Jemand gehegt hatte. Statt des Ritters sah er eine Person eintreten, die wenigstens eben so wichtig zu sein schien; denn der Wirth, mit dem sie ein Gespräch anknüpfte, fand für gut, die Mütze abzuziehen. Das Geschäft dieser wichtigen Person ließ sich aus ihrer Kleidung schließen. Ein milchweißes Wams und Hosen von weißem Kirsey, eine wie eine Feldbinde um den Leib geschlungene weiße Schürze, in welcher statt des Dolchs ein langes Messer mit Hirschhorngriff stack, endlich eine weiße Nachtmütze, welche säuberlich sein Haar bedeckte, bezeichneten ihn hinlänglich als einen der Priester des Komus, welche das gemeine Volk Köche nennt. Die Miene, mit welcher er den Wirth zur Rede stellte, daß er versäumt habe, gewisse Victualien in's Schloß zu schicken, bewies, daß er der Majestät diente.

»Damit kommt Ihr nicht durch, Meister Kilderkin,« sprach er. »Der König hat zwei Mal Kalbsbröschen und fricasirte Hahnenkämme verlangt, welche eine Lieblingsspeise Sr. geheiligten Majestät sind, und sie waren nicht zu haben, weil Meister Kilderkin sie dem Küchenschreiber nicht geliefert hatte, wie er vertragsmäßig verbunden war.« Kilderkin brachte eine, seiner Art gemäß, kurze Entschuldigung vor, und murmelte Etwas daher, wie Einer, der sich in Verlegenheit befindet. Sein Oberer entgegnete in herrischem Tone: »Sprecht mir nicht von dem Fuhrmann und seinem Wagen und von den Hühnerkörben, die von Norfolk kommen! Ein ordentlicher Unterthan würde einen eignen Boten abgeschickt haben, würde auf seinen Stumpfen gegangen sein, wie Widdrington. Was meint Ihr, Meister Kilderkin, wenn der König seinen Appetit verloren hätte? Was meint Ihr, wenn Se. Majestät Ihr Mittagsmahl verloren hätte? O Meister Kilderkin! hättet Ihr doch den richtigen Begriff von der Wichtigkeit unsers Geschäftes, von welcher der witzige afrikanische Sklave (wie ihn Se. Majestät bezeichnet) Publius Terentius redet: Tanquam in speculo – in patinas inspicere jubeo« Wie in einen Spiegel, sag' ich, schau' in die Pfann' hinein..

»Ihr seid gelehrt, Meister Linklater,« erwiderte der Garkoch, indem er seinem Mund Gewalt anthat, fünf Wörter hintereinander auszusprechen.

»Ein armseliger Halbwisser,« erwiderte Meister Linklater; »aber es wäre eine Schande für uns, Sr. Majestät Landsleute, nicht einigermaßen diejenigen Künste zu pflegen, in welche er so tief eingeweiht ist. Regis ad exemplar totus componitur orbis, das heißt so viel, wie: der König spricht gelehrt, und der Koch lernt's. Da ich das Glück hatte, an einem Orte erzogen zu werden, wo man Humaniora für fünf englische Groschen das Vierteljahr lernen konnte, habe ich wie Andere – Hm – hm!« – – Hier hielt der Koch, dessen Blick auf Lord Glenvarloch gefallen war, in seiner gelehrten Rede inne, und ließ eine solche Verlegenheit merken, daß Kilderkin, seine natürliche Einsilbigkeit überwindend, ihn fragte, was ihm fehle, oder ob er Etwas zu sich nehmen wolle.

»Es fehlt mir Nichts,« antwortete das gelehrte Ebenbild des philosophischen Syrus. »Es ist mir nur ein Bischen schwindelig im Kopfe, so daß ich ein Glas von Eurer Frauen aqua mirabilis versuchen könnte.«

»Ich will es holen,« sprach Kunz. Kaum hatte er den Rücken gewandt, so ging der Koch auf den Tisch zu, an welchem Lord Glenvarloch saß, sah ihn scharf an, und sagte mit bedeutsamem Blick: »Ihr seid fremd in Greenwich. Ich rathe Euch, die Gelegenheit zu benutzen, um in den Park zu kommen. Die westliche Thür stand halb offen, als ich hieher ging. Sie wird den Augenblick verschlossen werden. Ihr thut also wohl, zu eilen, – heißt das, wenn Ihr Etwas sehen wollt. Es ist jetzt gerade Jagdzeit, und es ist ein Vergnügen, so einen feisten Hirsch zu sehen. Wenn sie so lustig vorbeispringen, denk' ich immer, welch' ein Vergnügen es sein muß, ihre fleischigen Ziemer an einem Spieße zu braten, oder ihre Brüste in einen Auflauf, wie in eine Festung, mit schwarzem Pfeffer einzuschließen.«

In diesem Augenblicke kam Kilderkin mit der Herzstärkung zurück. Der Koch schwieg und schlich, ohne eine Antwort abzuwarten, von Nigel weg, indem er ihm abermals einen bedeutsamen Blick zuwarf.

Nichts macht den Menschen so aufmerksam, wie die Gefahr. Sobald der Garkoch mit dem Beamten der königlichen Küche fertig zu sein schien, beeilte sich Nigel, seine Rechnung zu bezahlen und sich nach der bezeichneten Parkthür weisen zu lassen. Er fand diese gekläfft und bemerkte, daß sie zu einem schmalen Fußpfad führte, der sich durch ein zum Schutz der Hindinnen und Hirschkälber bestimmtes Dickicht zog. Hier, dachte er, sei es gut zu warten. Kaum hatte er fünf Minuten dagestanden, so kam der Koch fast athemlos und so erhitzt, als stehe er an seinem großen Herde, zur Thür herein, und schloß sie hinter sich mit seinem Hauptschlüssel zu.

Ehe Lord Glenvarloch Zeit hatte, Betrachtungen über diese Handlung anzustellen, kam der Mann eilends auf ihn zu und sagte: »Mein Gott! edler Herr von Glenvarloch, warum wollt Ihr Euch in solche Gefahr begeben?«

»Ihr kennt mich also, lieber Freund?« erwiderte Nigel.

»Nur wenig, edler Herr; wohl aber kenne ich Ew. Gestrengen edles Geschlecht. – Mein Name ist Lorenz Linklater.«

»Linklater?« wiederholte Nigel. »Ich erinnere mich – –«

»Verzeihen Ew. Herrlichkeit, daß ich Euch unterbreche,« fuhr der Koch fort. »Ich bin Lehrbursche gewesen beim alten Mungo Moniplies an der Westpforte zu Edinburgh, die ich vor meinem Tode noch ein Mal zu sehen hoffe. Da Ew. Herrlichkeit hochedler Vater den Richard Moniplies als Euren Diener in sein Haus genommen hatte, so fand eine Art von Zusammenhang statt.«

»Ah!« sprach Lord Glenvarloch. »Euren Namen hatte ich fast vergessen, aber nicht Euer wohlgemeintes Unternehmen. Habt Ihr nicht dem Richard Gelegenheit verschafft, dem Könige eine Bittschrift zu überreichen?«

»Ganz recht, edler Herr,« antwortete des Königs Koch. »Ich wäre bei dem Spaße beinahe übel weggekommen, denn Richard, der stets eigensinnig gewesen ist, ›wollt' mir nicht folgen, der Wicht,‹ wie es im Volksliede heißt. Aber keiner von den geschickten englischen Köchen versteht es, Sr. Majestät geheiligten Gaumen mit unseren schmackhaften schottischen Gerichten zu kitzeln. Ich nahm meine Kunst zusammen, bereitete aus jungen Klosterhühnern eine Suppe und ein schmackhaftes Hachis, und das gab der ganzen feindseligen Rotte den coup de grace, so daß ich statt Ungnade Beförderung davontrug. Ich bin jetzt, Gott sei Dank, Küchenschreiber, habe einen Fuß im Hoffouriersamte und komme mit der Zeit wohl ganz hinein.«

»Es ist mir recht herzlich lieb, zu hören, daß Ihr meinethalben nicht zu Schaden gekommen seid,« erwiderte Lord Glenvarloch. »Noch mehr freue ich mich über Eure Beförderung.«

»Ihr seid sehr gütig, edler Herr,« sprach Linklater, »und vergeßt arme Leute nicht. Warum sollte man sie auch vergessen, da des Königs Botschaft zuweilen auf des Hökers Weg fallen kann. Ich bin Ew. Herrlichkeit auf der Gasse nachgegangen, um mir den stattlichen Sprößling von der alten Eiche zu betrachten, und mein Herz kam mir auf die Zunge, als ich Euch so offen in der Garküche dort sitzen sah, während ich wußte, daß Ihr in so großer Gefahr schwebt.«

»Wie? Sind Befehle gegen mich erlassen?« fragte Nigel.

»Leider, edler Herr,« antwortete der Koch, »und es fehlt nicht an Leuten, die Euch anzuschwärzen suchen. Gott verzeihe ihnen, daß sie ein edles Haus ihren niedrigen Zwecken opfern wollen!«

»Amen!« sprach Nigel.

»Ew. Herrlichkeit mag wohl ein Bischen wild gewesen sein, wie andere junge Herren –«

»Wir haben keine Zeit, hiervon zu reden, lieber Freund,« unterbrach ihn Nigel. »Die Frage ist, wie ich mit dem Könige zu sprechen kommen kann.«

»Mit dem Könige, edler Herr?« fragte Linklater erstaunt. »Sollte das nicht heißen, sich muthwillig in Gefahr stürzen? – Euch mit Eurem eigenen Löffel verbrennen?«

»Lieber Freund,« antwortete Nigel, »meine Kenntniß des Hofes und die Erwägung meiner Umstände sagen mir, daß der gerade Weg hier der beste ist. Der König hat Kopf, um zu sehen, was recht, und Herz, um zu thun, was billig ist.«

»Das ist wohl wahr, edler Herr,« erwiderte Linklater. »Wir, seine alten Diener, wissen das. Leider aber gibt es gar viele Leute, die es sich zum täglichen Geschäft machen, seinen Kopf mit seinem Herzen und sein Herz mit seinem Kopfe in Widerspruch zu bringen, und ihn zu bewegen, harte Dinge zu thun, die man gerecht nennt, und ungerechte Dinge, die als Werke der Güte dargestellt werden. Es geht mit Sr. Majestät und mit den Günstlingen, die auf ihn einwirken, wie das Sprichwort gegen mein Geschäft sagt: Gott gibt die Speise, aber der Teufel gibt die Köche.«

»Das hilft Alles Nichts,« bemerkte Nigel. »Ich muß es darauf ankommen lassen; meine Ehre erheischt es. Sie mögen mich verstümmeln oder zum Bettler machen; aber sie sollen nicht sagen, daß ich vor meinen Anklägern geflohen sei. Meine Standesgenossen sollen meine Rechtfertigung hören.«

»Eure Standesgenossen?« rief der Koch. »Lieber Himmel! wir sind nicht in Schottland, edler Herr, wo die Großen ihre Sache unter einander, zuweilen selbst mit dem Könige, ausmachen können. Dies Gericht muß in der Sternkammer gekocht werden, und die ist ein siebenfach geheizter Ofen, edler Herr. – Doch wenn Ihr sagt, Ihr seid entschlossen, den König zu sehen, so will ich nicht gerade behaupten, daß Ihr nicht Gnade finden könnt. Denn er hat es gar gern, wenn man unmittelbar an seine Weisheit appellirt, und ich habe ihn in solchen Fällen zuweilen bei seiner Meinung verharren sehen, die stets eine gute ist. Nur das vergeßt nicht, – erlaubt mir die Bemerkung, gnädiger Herr – Eure Rede mit Latein wohl zu würzen; ein Paar Körner Griechisch können auch nicht schaden, und wenn Ihr Etwas von dem Urtheile Salomonis auf Hebräisch vorbringen und es mit einem Spaße würzen könnt, wird das Gericht ihm um so besser munden. Ich bin überzeugt, daß mir neben meiner Kochkunst auch die Schläge des Rectors auf der Schule viel genützt haben, durch die mir die Küchenscene im Heautontimorumenos eingeprägt worden ist.«

»Lassen wir das, lieber Freund,« sprach Nigel. »Könnt Ihr mir angeben, auf welchem Wege ich am leichtesten den König zu sehen und zu sprechen bekommen kann?«

»Zu sehen könnt Ihr ihn leicht bekommen,« antwortete Linklater; »er galoppirt in diesen Baumgängen herum, um Hirsche schießen zu sehen und sich Appetit zum Mittagsmahle zu machen. (Das erinnert mich, daß ich in der Küche sein sollte.) Zu sprechen könnt Ihr nicht so leicht mit dem Könige kommen, es sei denn, daß Ihr ihn allein trefft, was nicht leicht der Fall ist, oder daß Ihr Euch unter die Menge mischt, die wartet, um ihn absteigen zu sehen. Jetzt aber lebt wohl, edler Herr, Gott sei mit Euch! Wenn ich mehr für Euch thun könnte, würde ich es anbieten.«

»Ihr habt vielleicht genug gethan, um Euch in Gefahr zu bringen,« erwiderte Lord Glenvarloch. »Geht und überlaßt mich meinem Schicksale.«

Der ehrliche Koch zögerte, aber naher Hörnerklang erinnerte ihn, daß er keine Zeit zu verlieren habe. Er bemerkte nur, daß er die Hinterthür unverschlossen lassen wolle, damit der Freiherr durch dieselbe eintreten könne, empfahl ihn dem Schutze Gottes und eilte davon.

In dem Wohlwollen dieses bescheidenen Landsmannes, welches theils im Nationalgefühl, theils in der Erinnerung an Wohlthaten, die von den Gebern kaum beachtet waren, seinen Grund hatte, glaubte Nigel die letzte Spur von Mitgefühl zu sehen, die er in der kalten Region des Hofes zu erwarten habe, und er machte sich mit dem Gedanken vertraut, daß er jetzt sich selber helfen oder verloren sein müsse.

Geleitet von dem Jagdgetöse durchschritt er mehrere Baumgänge und begegnete verschiedenen Jägerburschen, die ihn für einen der Zuschauer hielten, welche bisweilen durch Vergünstigung von Hofbeamten Einlaß im Park erhielten. Aber von Jakob oder von höher stehenden Hofleuten bekam er Nichts zu sehen, und er überlegte, ob er nicht auf die Gefahr hin, so übel anzukommen, wie Richard Moniplies, sich an das Thor des Palastes stellen sollte, um den König bei seiner Rückkehr anzureden. Der Zufall verschaffte ihm eine nähere Gelegenheit.

Er befand sich in einem der langen Gänge des Parks, als er erst ein fernes Rauschen vernahm, dann schnell sich nähernden Hufschlag, der den festen Boden, auf welchem er stand, zittern machte. Ein fernes Halloh bestimmte ihn, auf die Seite zu treten und die Jagd vorbeigehen zu lassen. Ein Hirsch, taumelnd, mit Schaum bedeckt und schwarz von Schweiß, mit weit geöffneten Nüstern nach Luft schnappend, suchte die Stelle zu erreichen, wo Nigel stand, und wurde, ohne sich zur Gegenwehr zu stellen, niedergerissen von zwei großen Windhunden, wie sie noch jetzt die hochländischen Wildschützen haben, die aber in England längst außer Gebrauch gekommen sind. Der eine Hund packte den Hirsch bei der Kehle, der andere stieß ihm seine spitze Schnauze so zu sagen in die Eingeweide. Es wäre natürlich gewesen, wenn Lord Glenvarloch, selbst wie ein Jagdthier verfolgt, in diesem Augenblicke gedacht hätte, wie der schwermüthige Jacques. Allein Gewobnheit ist ein eigenes Ding, und ich fürchte, seine Gefühle waren hier mehr die des Jägers, als die des Moralisten. Jedenfalls hatte er keine Zeit, denselben nachzuhängen.

Ein einzelner Reiter folgte dem Wilde. Er saß auf einem Pferde, welches dem leisesten Rucke des Zügels, wie eine Maschine dem Drucke einer Feder, folgte, so daß der Reiter, tief in seinem Jagdsattel sitzend und so verwahrt, daß Fallen kaum möglich war, mit Leichtigkeit und Sicherheit seinen Gang beschleunigen oder mäßigen konnte. Er ritt, obwohl es jetzt Eile galt, nur Dreiviertelgalopp und sein Pferd streckte die Füße nicht weiter aus, als es die Schule mit sich brachte. Diese ängstliche Bedächtigkeit und sein ganzer Aufzug bezeichnete den König Jakob, der sich auch bei seiner Lieblingsbelustigung keiner Gefahr aussetzen wollte. Kein Diener war zu sehen. Die Schmeichelei der Hofleute brachte es mit sich, den König zuweilen glauben zu lassen, Niemand von der Jagdgesellschaft habe mit ihm gleichen Schritt halten können.

»Brav, Basch! – brav, Batt!« rief er, als er zur Stelle kam. »Auf Königswort, ihr macht den Bergen von Balwhither Ehre. – Heda! haltet mein Pferd!« rief er Nigeln zu, ohne ihn ins Auge zu fassen; »haltet mein Thier, und helft mir aus dem Sattel! Hol' Euch der Teufel, könnt Ihr nicht geschwinder machen, ehe die Faulpelze nachkommen? Haltet den Zügel leicht, – laßt es keinen Seitensprung machen! Jetzt haltet den Steigbügel! So ist's recht; jetzt sind wir auf terra firma Festem Boden..« Darauf zog der gute König, ohne auf seinen dienstbaren Geist einen Blick zu werfen, seinen kurzen Hirschfänger, – das einzige schwertähnliche Ding, welches er sehen konnte, – stieß mit großem Behagen die scharfe Klinge durch die Kehle des Hirsches und machte so seinem Todeskampfe ein Ende.

Lord Glenvarloch, der die Jägerpflicht kannte, hing den Zügel des königlichen Pferdes auf einen Baumast, kniete nieder, legte das getödtete Thier auf den Rücken und hielt es in dieser Lage fest, während der König demselben auf der Brust einen Kreuzschnitt machte und entzückt ausrief: »Drei Zoll weißes Fett auf dem Brustbeine! – Capital! capital! so wahr ich ein gekrönter Sünder bin! Und keiner von den faulen Schlingeln ist bei der Hand, außer ich! Sieben – acht – acht Enden. Bei Gott! ein Achtender, und der erste in dieser Jagdzeit! – Basch und Batt, ihr seid brav. Küßt mich, ihr Kinder, küßt mich!« – Die Hunde schwänzelten um ihn herum, leckten ihn mit ihren blutigen Schnauzen, und gaben ihm ein solches Ansehen, daß man hätte glauben sollen, der Hochverrath habe seine Hände an seinen gesalbten Leib gelegt. »Bleibt drunten! – zum Teufel! – Bleibt drunten, ihr Racker!« rief der König, fast umgeworfen durch die schmeichelnden großen Bestien. »Ihr seid gerade wie andere Leute; gibt man euch einen Finger, so nehmt ihr die ganze Hand. – Aber wer seid Ihr denn, Freund?« fragte der König, der jetzt endlich Zeit fand, Nigeln zu betrachten. »Ihr gehört nicht zu Unserm Gefolge. Wer zum Teufel seid Ihr denn?«

»Ein unglücklicher Mann, Sire,« antwortete Nigel.

»Das glaube ich wohl, sonst würde ich Euch nicht zu sehen bekommen haben,« versetzte in unverbindlichem Tone der König. »Meine Unterthanen behalten ihr Glück für sich; laufen aber ihre Kugeln schief, so bekomme ich gewiß davon zu hören.«

»An wen anders können wir unsere Klagen bringen, als an Ew. Majestät, Gottes Statthalter?« entgegnete Nigel.

»Recht! wohlgesprochen, Alter,« erwiderte der König. »Aber Ihr solltet des Himmels Statthalter auch einige Ruhe auf Erden lassen.«

»Wenn Ew. Majestät mich ansehen will,« sprach Nigel, da der König, erst mit dem Aufbrechen des Hirsches, dann mit seinen Hunden beschäftigt, ihm nur einen flüchtigen Blick zugeworfen hatte – »so werdet Ihr sehen, wen die Noth so kühn macht, eine Gelegenheit zu benutzen, die vielleicht nie mehr wiederkehrt.«

Der König sah auf und erblaßte, so daß die Blutflecken von den Schnauzen seiner Hirschhunde um so greller hervortraten. Er ließ das Messer aus der Hand fallen, warf einen Blick rückwärts, als ob er auf Flucht sänne oder Hülfe herbeirufen wolle, und rief endlich: »Glenvarlochides! so wahr ich Jakob Stewart getauft bin. Das ist eine saubere Geschichte, und ich bin allein und obendrein zu Fuße.«

Bei diesen Worten setzte sich der König in Bewegung, um wieder auf sein Pferd zu kommen. Nigel stellte sich zwischen ihn und das Thier und sprach: »Allergnädigster Herr, verzeiht, daß ich Euch aufhalte. Hört mich nur einen Augenblick an.«

»Zu Pferde kann ich Euch am besten anhören,« erwiderte der König. »Zu Fuße kann ich kein Wort anhören – kein Wort! Es ziemt sich nicht, Uns so vor die Nase zu treten. Geht Uns aus dem Wege! Wir befehlen es Euch bei Eurer Unterthanenpflicht! – Der Teufel steckt in den Burschen; wo sie nur bleiben?«

»Bei der Krone, die Ihr tragt, allergnädigster Herr! bei der Krone, für welche meine Ahnen wacker gefochten haben, beschwöre ich Ew. Majestät, sich zu beruhigen und mich einen Augenblick anzuhören.«

Die Gewährung seiner Bitte lag nicht in der Macht des Königs. Die Furchtsamkeit Jakobs war nicht die einfache Feigheit, welche wie ein Naturtrieb einen Menschen zur Flucht nöthigt und nur Mitleid oder Verachtung einflößt, sondern eine närrische gemischte Empfindung. Der arme König war entsetzt und zugleich zornig; er wünschte sich in Sicherheit und schämte sich doch auch, seine Würde aufs Spiel zu setzen. Ohne also Nigels Erklärung abzuwarten, suchte er auf sein Pferd zu kommen und rief in einem fort: »Wir sind ein freier König! Wir sind ein freier König! Wir wollen Uns von keinem Unterthan hindern lassen. – Um Gotteswillen, wo bleibt nur Steenie? – Gottlob! da kommen sie. Halloh! Ho! hier! hier! Steenie! Steenie!«

Der Herzog von Buckingham kam herbeigesprengt, und hinter ihm mehre Hofleute und Jäger. Mit gewohnter Vertraulichkeit begann er: »Ich sehe, Fortuna ist unserm geliebten Papa günstig gewesen, wie gewöhnlich. – Aber was ist das?«

»Was es ist?« wiederholte der König. »Verrath, so viel ich weiß, und Euch trifft der Vorwurf dafür, Steenie. Euer lieber Papa und Gevatter hätte ermordet werden können, und Ihr hättet Euch Nichts darum gekümmert.«

»Ermordet?« rief der Herzog. »Nehmt den Schurken fest! – Bei Gott, es ist Olifaunt selber!« Ein Dutzend Jäger sprangen von den Pferden und ließen diese laufen, wohin sie wollten. Einige packten unsanft den Freiherrn, der es für thöricht hielt, Widerstand zu leisten, Andere drängten sich um den König mit der Frage: »Seid Ihr verwundet, allergnädigster Herr? seid Ihr verwundet?«

»Ich wüßte nicht,« antwortete der König mit einer Unbestimmtheit, die man seiner natürlichen Furchtsamkeit und der Erfahrung von mehren sonderbaren Angriffen auf sein Leben zugute halten durfte. »Ich wüßte nicht. Aber durchsucht ihn, durchsucht ihn. Ich weiß, ich habe Feuergewehre unter seinem Mantel gesehen – ich habe Pulver gerochen, das weiß ich ganz gewiß.«

Die Jäger rissen dem Herrn von Glenvarloch den Mantel herunter, und als seine Pistolen zum Vorschein kamen, erhob sich ein allgemeiner Ausruf des Staunens und des Abscheues in dem Haufen, der jetzt mit jedem Augenblicke anwuchs. Das berühmte Pistol, welches, obwohl an einer eben so treuen Brust, wie die Nigels ruhend, bei einer neulichen großen Festlichkeit unter Rittern und Frauen so grundlose Besorgniß verbreitet hat Bei der Krönung Georgs IV. gerieth eine Dame unnöthiger Weise in Schrecken beim Anblicke der Pistolen, welche Mhic-Allastair-More, Häuptling von Glengarry, als einen Theil seines hochländischen Schmuckes trug. Jener Schrecken brachte einige Verwirrung in die Festlichkeit und veranlaßte einiges Gerede., kam in ihrer Bestürzung erregenden Wirkung bei weitem nicht den Waffen gleich, welche dem Lord Glenvarloch abgenommen wurden, und unmöglich konnte Mhic-Allastair-More mit größerem Unwillen und mehr Verachtung die Andeutung zurückweisen, daß es einen unheilvollen Zweck habe.

»Fort mit dem Elenden – dem Vatermörder – dem blutgierigen Bösewicht!« erscholl es von allen Seiten. Der König, welcher natürlich einen eben so großen Werth auf sein Leben setzte, wie es die Andern thaten oder zu thun schienen, rief lauter noch, als die Uebrigen: »Ja, ja – fort mit ihm! Ich bin seiner müde, und das Land ist es ebenfalls. Aber thut ihm kein Leid – und, um Gotteswillen! ihr Herren, wenn ihr gewiß seid, ihn ganz entwaffnet zu haben, so steckt eure Schwerter, Dolche und Jagdmesser ein, sonst richtet ihr sicher unter einander Unheil an.«

Schnell fuhren auf des Königs Befehl die Waffen in die Scheiden; denn Diejenigen, welche sie bisher im Diensteifer geschwungen, erinnerten sich des großen Widerwillens Sr. Majestät gegen blanken Stahl – einer Schwäche, welche ihm angeboren zu sein schien, wie seine Furchtsamkeit, und welche der Ermordung Rizzios vor den Augen seiner Mutter, als sie mit ihm schwanger ging, zugeschrieben wurde.

In diesem Augenblicke kam der Prinz, welcher in einem andern Theile des weitläufigen Parks gejagt und eine eilige verwirrte Kunde von dem Vorfalle erhalten hatte, mit etlichen großen Herren, darunter Lord Dalgarno, herangeritten. Er sprang vom Pferde und fragte dringend, ob sein Vater verwundet sei.

»Ich spüre keine Wunde, Kindlein Karl,« antwortete Jakob, »wohl aber einige Erschöpfung in Folge des Ringens mit dem Mörder. – Steenie, fülle Uns einen Becher Wein. Die lederne Flasche hängt an Unserm Sattelknopf Roger Coke sagt in seiner Entdeckung des englischen Hofes und Staates, London 1697, S. 70, von Jakob I.: »Der König war über die Maßen der Jagd ergeben und dem Trinken, nicht von gewöhnlichen französischen und spanischen, sondern von starken griechischen Weinen, womit er die Erschöpfung in Folge des Jagens aufzuheben suchte. Er hatte auf der Jagd stets einen eignen Beamten bei sich, der ihm auf Verlangen den Becher füllen mußte. Ich habe meinen Vater sagen hören, daß er auf der Jagd ein Mal mit dem König getrunken und in Folge dieses Trunks sich drei Tage übel befunden habe, obwohl er ein junger kräftiger Mann war. Sei es, daß es von diesem Weine oder daß es aus einer sonstigen Ursache kam, der König wurde so träg und unbehülflich, daß man ihn auf dem Sattel befestigen mußte, und daß er regungslos darauf sitzen blieb.«
Dagegen sagt Welldon in seiner Geheimen Geschichte Königs Jakob, Bd. 2, S. 3, Edinburgh 1811: »Er war nicht unmäßig im Trinken. In seinen alten Tagen übernahm er sich zuweilen bei Buckinghams lustigen Nachtmahlzeiten, was er den andern Tag mit Thränen bereute. Er trank starke Weine, wie Frontignac und Madera, und schottisches Doppelbier, so daß er, wofern sein Gehirn nicht so stark gewesen, täglich hätte betrunken sein müssen.«
Der Verfasser besitzt eine lederne Jagdflasche, an welcher ein Zettel ist mit der Inschrift: »König Jakobs Jagdflasche.« Die Aechtheit läßt er dahin gestellt sein.
. – Küsse mich, Kindlein Karl,« fuhr er fort, nachdem er die Herzstärkung zu sich genommen. »O, das Gemeinwesen und du seid glücklich dem schweren und blutigen Verlust eines theuern Vaters entgangen. Denn Wir sind sowohl pater patriae wie pater familias. Quis desiderio sit pudor aut modus tam cari capitis? Vater des Vaterlandes wie Familienvater. Wo ist ein Maß und Ziel der Trauer für ein so theures Haupt? Wehe! Das schwarze Tuch würde in England theuer und kaum trocken geworden sein!«

Und der gute König weinte bei dem bloßen Gedanken an den Schmerz, welchen sein Tod überall hervorgebracht haben würde.

»Ist es möglich?« fragte Karl zornig; denn auf der einen Seite war sein Stolz verletzt durch das Benehmen seines Vaters, und auf der andern empfand er den Unwillen eines Sohnes und Unterthanen über den vermeintlichen Mordversuch gegen den König. »Laßt Einen sprechen, der den Vorfall mit angesehen hat. Edler Herr von Buckingham!«

»Ich kann nicht sagen, gnädiger Herr,« antwortete der Herzog, »daß ich eine wirkliche Gewaltthätigkeit gegen den König bemerkt hätte, sonst würde ich auf der Stelle Rache dafür genommen haben.«

»Da hättet Ihr in Eurem Eifer unrecht gehandelt, Georg,« bemerkte der Prinz. »Solche Frevler muß man dem Gesetze überlassen. – Aber hat der Bösewicht nicht mit Sr. Majestät gerungen?«

»Ich kann es nicht so nennen, gnädiger Herr,« antwortete der Herzog, der bei all seinen Fehlern es doch verschmäht haben würde, geradezu zu lügen. »Er schien Se. Majestät zurückhalten zu wollen und Se. Majestät schien zu Pferde steigen zu wollen. Aber man hat Pistolen bei ihm gefunden, was wider die Verordnung ist, und da es sich herausstellt, daß es Nigel Olifaunt ist, von dessen störrischem Wesen Ew. königliche Hoheit Beispiele hat, so dürfen wir wohl das Schlimmste fürchten.«

»Nigel Olifaunt?« wiederholte der Prinz. »Kann dieser unglückliche Mann sich so schnell ein neues Vergehen zu Schulden kommen lassen? Laßt mich die Pistolen sehen.«

»Ihr seid nicht so unverständig, Euch mit solchen Schnapphähnen zu befassen, Kindlein Karl!« rief der König ihm zu. »Gib sie ihm nicht, Steenie! – ich befehl' es dir bei deiner Unterthanenpflicht. Sie könnten von selbst losgehen, was oft der Fall ist. – Ihr thut es doch? – Hat man je so eigensinnige Kinder gesehen, wie die, mit denen wir geplagt sind? – Haben wir nicht Leibwächter und Söldner genug, daß Ihr sie selber entladen müßt, Ihr, Unser leiblicher Kronerbe, während so viele Leute umherstehen, die dafür bezahlt werden, daß sie ihr Leben für Uns wagen?«

Ohne auf seines Vaters Ausrufungen zu achten, zog Prinz Karl, mit dem ihm eigenen Eigensinn, eigenhändig die doppelten Kugeln heraus, mit denen die Pistolen geladen waren. Die Umstehenden schlugen die Hände über den Kopf zusammen über den Gräuel des vermeintlichen Verbrechens und über die mit genauer Noth stattgehabte Rettung des Königs.

Bis dahin hatte Nigel kein Wort gesprochen. Jetzt bat er ruhig um Gehör.

»Wozu?« versetzte der Prinz mit Kälte. »Ihr wißt, daß Ihr eines schweren Vergehens angeklagt seid, und anstatt Euch der Verordnung gemäß zu stellen, laßt Ihr Euch hier finden, Euch dem König aufdringend und mit verbotenen Waffen versehen.«

»Erlaubt, Herr,« antwortete Nigel, »ich habe diese Waffen zu meiner Verteidigung getragen, und noch vor wenigen Stunden habe ich sie zum Schutze des Lebens Anderer gebraucht.«

»Ohne Zweifel,« versetzte der Prinz in ruhigem Tone, »hat Eure Lebensweise und Eure Gesellschaft in jüngster Zeit Euch mit blutigen Auftritten und Waffen vertraut gemacht. Aber bei mir müßt Ihr Euch nicht rechtfertigen wollen.«

»Hört mich an – hört mich an, edler Fürst!« rief Nigel dringend. »Hört mich an. Ihr selber könnt eines Tages in den Fall kommen, Gehör zu verlangen und zwar vergebens.«

»Was?« fragte der Prinz erstaunt. »Wie soll ich das verstehen, edler Herr?«

»Wenn auch nicht auf Erden,« erwiderte der Gefangene, »doch dem Himmel gegenüber, zu dem wir Alle um geduldiges, gnädiges Gehör flehen müssen.«

»Das ist wahr, edler Herr,« erwiderte der Prinz, stolz sein Haupt neigend. »Auch würde ich solches Gehör Euch nicht verweigern, wofern es Euch nützen könnte. Aber es soll Euch kein Unrecht geschehen. Wir wollen selber Eure Sache prüfen.«

»Ja, ja,« fiel der König ein. »Er hat appellatio ad Caesarem Appellation an den Kaiser. eingelegt. Wir wollen Glenvarlochidem selber verhören an passendem Orte und zu passender Zeit. Unterdessen bringt ihn und seine Waffen weg. Ich bin ihres Anblicks überdrüssig.«

In Folge dieses eiligen Befehles ward Nigel aus der Gegenwart des Königs entfernt, wo übrigens seine Worte nicht ganz verloren gegangen waren. »Das ist eine sonderbare Sache, Georg,« bemerkte der Prinz gegen den Günstling. »Dieser junge Mann hat kein abstoßendes Aussehen, und viel Ruhe und Festigkeit in Sprache und Blick. Ich kann mir nicht denken, daß er ein so verzweifeltes und nutzloses Verbrechen wagen sollte.«

»Ich hege weder Liebe noch Gunst für den jungen Mann,« erwiderte Buckingham, der mit seinem Ehrgeiz stets Offenheit verband. »Aber ich kann nicht umhin, mit Ew. Hoheit übereinzustimmen, daß unser lieber Gevatter sich einigermaßen übereilt hat, wenn er persönliche Gefahr von ihm fürchtete.« König Jakob gerieth oft aus den unbedeutendsten Anlässen in ernstliche Angst um sein Leben. Einst nahm er eine Einladung an, eine Kohlengrube an der Küste von Fife zu besehen, und wurde ein Stück Wegs unter der See fortgeführt bis an eine Stelle, wo der Schacht ausmündete. Diese Stelle bildete während der Fluth eine Insel. Jakob gerieth, als er sich von Wasser umgeben sah, in Besorgniß eines Anschlags auf sein Leben oder seine Freiheit, und anstatt eine angenehme Ueberraschung zu äußern, schrie er aus Leibeskräften: Verrath! und beruhigte sich nicht eher, als bis er ans Land gerudert war. Bei einer andern Gelegenheit erschrak er über Fische, die ihm im Schlosse Lochmaben als ein Leckerbissen vorgesetzt wurden. Diese Art Fische, Vendiß genannt, war dem König unbekannt, also schloß er, sie seien vergiftet, und machte dem Gastmahl ein plötzliches wunderbar unordentliches Ende.

»Meiner Seele! Ihr seid nicht blöde, wenn Ihr so sprecht,« sprach der König. »Kenn' ich etwa nicht den Pulvergeruch? Wer anders hat den fünften November ausgeschnüffelt, als Unsere Majestät? Cecil und Suffolk u. s. w. waren alle auf der falschen Fährte, wie schlechte Köther, aber ich habe es herausgebracht. Meint Ihr, ich röche das Pulver nicht? Hm! Schwerenoth! Joannes Barclaius hielt meinen Verstand theilweise für Inspiration, und hat seine Geschichte von der Verschwörung betitelt: Series patefacti divinitus parricidii Verlauf des durch Gott offenbarten Hochverrates.; und Spondanus spricht gleicher Weise von Uns: Divinitus evasit« Er ist durch Gott gerettet worden..

»Das Land wurde beglückt durch Ew. Majestät Rettung,« bemerkte der Herzog von Buckingham, »und nicht minder durch den Scharfsinn, welcher die Irrgänge der Verschwörung mit einem so feinen und fast unsichtbaren Faden ausfindig gemacht hat.«

»Meiner Seel', Steenie, du hast Recht! Wenige junge Leute haben ein so richtiges Urtheil wie du in Betreff der Weisheit älterer Leute. Was diesen falschen, verrätherischen Gesellen betrifft, so möcht' ich prüfen, ob er nicht ein Vogel aus demselben Neste ist. Habt Ihr nichts Papistisches an ihm gesehen? Die Leute sollen Acht haben, ob er nicht ein Crucifix oder sonst dergleichen römischen Tand bei sich trägt.«

»Es würde mir übel anstehen, die Entschuldigung dieses unglücklichen Mannes zu unternehmen,« bemerkte Lord Dalgarno, »besonders wenn ich gegenwärtiges Attentat betrachte, welches aller treuen Unterthanen Blut in den Adern gerinnen macht. Indessen kann ich mich nicht enthalten, mit gebührender Unterwürfigkeit unter Sr. Majestät unfehlbares Urtheil zu bemerken, um gerecht gegen einen Menschen zu sein, welcher sich als Feind gegen mich bewiesen hat, sich jetzt aber in viel schwärzeren Farben zeigt, als mir dieser Nigel Olifaunt immer mehr wie ein Puritaner, als wie ein Papist vorgekommen ist.«

»Ah, seid Ihr da, Dalgarno?« erwiderte der König. »Ihr habt Euch auch im Hintergrunde gehalten, und Uns Unserer natürlichen Stärke und der Obsorge der Vorsehung überlassen, als Wir Uns mit dem Schurken gepackt hatten.«

»Verzeihen Ew. Majestät,« erwiderte Dalgarno, »die Vorsehung würde nicht verfehlen, in solcher Noth den heißen Wünschen dreier weinender Königreiche zu Hülfe zu kommen.«

»Ganz gewiß, ganz gewiß,« sprach Jakob. »Aber Euren Vater mit seinem langen Messer zu sehen, wäre vor einigen Augenblicken gar nicht unangenehm gewesen. In Zukunft wollen Wir die Absichten der Vorsehung zu Unsern Gunsten dadurch fördern, daß Wir zwei handfeste Bursche von der Garde in Unserer Nähe halten. – Also dieser Olifaunt ist ein Puritaner? – Das macht seinen Papismus nicht unwahrscheinlich, denn, wie der Scholiast sagt, die Extreme berühren sich. Es gibt, wie ich in meinem Buche bewiesen habe, Puritaner von papistischen Grundsätzen, – ein neues Getute auf einem alten Horne.«

Der Prinz, welcher fürchtete, der König möchte vielleicht das ganze Basilicon Doron Die Königsgabe, ein theologisches Werk von König Jakob. hersagen, hielt für gut, ihn zu erinnern, es sei am besten, den Weg nach dem Palast einzuschlagen und zu erwägen, was zu thun sei, um das Publikum zu beschwichtigen, welches vermuthlich durch das Abenteuer von diesem Morgen in Bewegung gesetzt werden werde.

Als sie zum Palastthore hineinritten, verbeugte sich eine weibliche Person und überreichte ein Papier. Der König nahm dasselbe an und schob es stöhnend in die Tasche. Der Prinz äußerte Neugier auf den Inhalt desselben. – »Der Kammerdiener wird ihn dir mittheilen, wenn ich meinen Rock ausgezogen habe,« erwiderte der König. »Meinst du, Kindlein Karl, ich könnte Alles das lesen, was man mir in die Hände schiebt? Sieh' mich an, Alter!« (dabei deutete er auf die mit Papieren vollgestopften großen Taschen seiner Pluderhosen) »Wir sind wie ein Esel, wenn Wir so sagen dürfen, der zwischen zwei Lasten sich krümmt. Ja, asinus fortis accumbens inter terminos Ein starker Esel, der zwischen den Grenzen liegt., wie es in der Vulgata heißt. Ja, ja! vidi terram, quod esset optima, et supposui humerum ad portandum, et factus sum tributis serviens Ich sah das Land, daß es sehr gut war, und bot die Schulter dar zum Tragen und bin zum Lohndiener geworden.. Ich habe dies England gesehen und bin ein überladener König desselben geworden.«

»Ihr seid allerdings wohl beladen, mein lieber Papa und Gevatter,« bemerkte der Herzog von Buckingham, als der König seine Taschen ausleerte und ihm die Papiere in die Hände gab.

»Ja wohl,« erwiderte der König. »Nehmt sie zu Euch, Kinder; ich habe eine Aversion davor. Die eine Tasche ist voll von Bittschriften, die andere voll von Pasquillen. Das ist ein schönes Leben! Auf mein Gewissen, ich glaube, die Sage von Kadmus ist hieroglyphisch, und die Drachenzähne, die er gesäet hat, sind die von ihm erfundenen Buchstaben. – Du lachst, Kindlein Karl? Merk' auf, was ich sage. Als ich zuerst hieher kam aus Unserm Lande, wo die Menschen so rauh sind, wie das Wetter, da war England ein gar ruhiges Ländchen. Man hätte meinen sollen, der König habe Nichts zu thun, als auf stillen Wassern zu fahren per aquam refectionis Auf dem Lustwasser.. Aber, weiß der Himmel, der Ort hat sich sehr verändert. Lies diese Schmähschrift auf Uns und Unser Regiment. Die Drachenzähne sind gesäet, Kindlein Karl; ich bete zu Gott, daß sie ihre bewaffnete Ernte nicht in deinen Tagen bringen mögen, falls ich sie nicht erleben sollte. Gott bewahre mich davor; das wird ein gräuliches Kämmen setzen, wenn es an's Scheeren geht.«

»Ich werde die Saat auszutilgen wissen, während sie noch grün ist; was meinst du, Georg?« erwiderte der Prinz, sich mit einem Ausdruck von Verachtung der Besorgnisse seines Vaters und voll Vertrauen in die Entschiedenheit und Festigkeit seiner Entschließungen zu dem Günstling wendend.

Während dies Gespräch im Palaste geführt ward, befand sich Nigel unter der Aufsicht eines Herolds und wurde durch die Gassen des Städtchens gezerrt und gedrängt. Die Einwohner, von einem Angriff auf des Königs Leben benachrichtigt, drängten sich herbei, den Hochverräther zu sehen. In der Verwirrung unterschied Nigel das Gesicht des Garkoches, der in stumpfsinniger Verwunderung ihn anglotzte, und den Barbier, dessen grinsendes Antlitz Abscheu und lebhafte Neugier ausdrückte. Es war ihm auch, als habe er seinen Fährmann in der grünen Jacke auf einen Blick gesehen.

Bemerkungen zu machen hatte er keine Zeit, denn er wurde mit dem Herold und zwei Trabanten in einen Kahn gesetzt und flußaufwärts gefahren, so schnell, als sechs starke Männer wider den Strom rudern konnten. Sie fuhren vorbei an dem Walde von Masten, welcher schon damals, als ein Zeichen von Londons ausgedehntem Handel, den Fremden in Erstaunen setzte, und näherten sich endlich den niedrigen schwarzen Bastionen und Wällen, auf denen man hie und da ein Stück Geschütz und eine Schildwache, sonst aber wenig von den kriegerischen Schrecken einer Citadelle erblickt. Sie kamen zu einem vorspringenden niedrigen Bogengange, der schon manchem Unschuldigen und manchem Schuldigen entgegengegähnt hatte, und der jetzt finster auf Nigeln herabblickte Das nach der Themse führende Thor des Towers heißt das Verrätherthor, und diente zum Eingange für die Staatsgefangenen. Von innen gesehen nahm sich dies alte Thor zur Fluthzeit ehedem sehr malerisch aus. Jetzt ist es halb verbaut mit Mauerwerk, auf welchem eine Dampfmaschine oder Etwas der Art ruht.. Der Kahn wurde bei der breiten Treppe beigelegt, gegen welche die Wellen träge anschlugen. Der Thorwart sah zum Gitterthürchen heraus, und flüsterte mit dem Herold. In wenigen Minuten erschien der Lieutenant des Towers, übernahm den Gefangenen, und gab dem Herold eine Bescheinigung, daß er den Leib von Nigel Lord Glenvarloch empfangen habe.

Anmerkung zum dritten Kapitel.

Es ist ein Gemälde der alten Schule vorhanden, welches eine merkwürdige Aehnlichkeit mit einem im obigen Kapitel geschilderten Auftritte hat. Diese Aehnlichkeit ist rein zufällig, denn der Verfasser hat nicht eher Etwas von dem Dasein des Gemäldes erfahren, als bis es verkauft wurde, und folgende Beschreibung desselben in einem Katalog erschien.

 

» Die in Nigels Schicksalen geschilderte Scene, von Frederigo Zucchero, des Königs Maler

»Dies seltene Gemälde hat, abgesehen von seinem Kunstwerthe, eine große literarische Bedeutsamkeit. Es stellt treu das Zusammentreffen des Königs Jakob mit Nigel Olifaunt im Parke zu Greenwich vor, wie es in Nigels Schicksalen beschrieben ist, und es beweiset, daß der Verfasser diese Anekdote aus authentischen Quellen geschöpft hat. In der Mitte des Gemäldes erscheint König Jakob zu Pferde in steifer Haltung. Zur Linken ist Prinz Karl. Zwischen ihm und dem Könige sieht man den Herzog von Buckingham auf einem schwarzen Pferde, mit lebhafter Geberde nach dem Schuldigen, Nigel Olifaunt, deutend, der sich auf der rechten Seite des Gemäldes befindet. Nigel hat in der rechten Faust eine Büchse oder eine Armbrust, und blickt zornig nach dem Könige, welcher verwirrt und beunruhigt zu sein scheint. Hinter Nigeln steht sein Diener, zwei grimmig bellende Hunde zurückhaltend. Nigel und sein Diener sind in Roth gekleidet, die Leibfarbe des Hauses Olifaunt, in welcher bis auf diesen Tag noch die Stadtdiener von Perth erscheinen, da eine alte Urkunde die Familie Olifaunt berechtigt, diese Diener in ihre Livree zu kleiden. Der Herzog von Buckingham ist eben so prächtig gekleidet, wie der König und der Prinz, nur ist er barhaupt, während der König und der Prinz die Hüte auf haben. In Letitia Aikin's Denkwürdigkeiten der Regierung Königs Jakob findet sich ein Brief von Herrn Thomas Howard an Lord L. Harrington, worin diesem empfohlen wird, an den Hof zu kommen und, um dem Könige zu gefallen, eine wohlgestärkte Halskrause zu tragen, vornehmlich aber den Rothschimmel zu loben, den der König täglich reite. Auf diesem Rothschimmel ist der König auf unserem Gemälde vorgestellt. Im Hintergrunde erblickt man einige verdächtige Gestalten, die auf den Ausgang eines Complots zu lauern scheinen, – vielleicht eine Erfindung des Malers, um dem Könige zu schmeicheln, als sei er einem ernstlichen Anschlage entgangen. Hinter dem Könige sind viele Diener und Hofleute, alle in Bewegung, um den Frevler festzunehmen. Die Malerei ist sehr gut, die Zeichnung aber steif und ohne Beachtung der Perspective. Der Ton ist äußerst dunkel.«



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