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Viertes Kapitel.

Ihr Juliusthürme! Londons stete Schande,
Mit manchem schnöden Meuchelmord befleckt!

Gray.

So ruft Gray aus, und lange vor ihm hat Bandello etwas Aehnliches gesagt. Derselbe Gedanke muß sich Jedem aufgedrängt haben, welcher, des Schicksals früherer Gefangenen in dieser Veste gedenkend, Grund hatte, wegen seines eigenen besorgt zu sein. Der dunkle, niedrige Bogengang, welcher, gleich dem Eingange in Dante's Hölle, alle Hoffnung auf Rückkehr abzusprechen schien, das Murmeln der Thorwärter und die beim Oeffnen und Schließen des Gitterthürchens beobachteten kleinen Förmlichkeiten, der kalte, gezwungene Gruß des Lieutenants, der dem Gefangenen die gemessenen Achtungsbezeugungen eines Höheren erwies, – Alles dies machte einen tiefen Eindruck auf Nigeln und ließ ihn empfinden, daß er Gefangener sei.

»Ich bin gefangen, ich bin im Tower,« sagte er unwillkürlich.

Der Lieutenant verbeugte sich und sprach: »Und meine Pflicht ist, Ew. Herrlichkeit in Dero Gemach zu weisen, wo ich dem Befehle gemäß Euch einige Beschränkung auflegen muß. Ich werde dieselbe so sehr erleichtern, wie meine Pflicht es erlaubt.«

Nigel erwiderte dies Compliment mit einer Verbeugung und folgte dem Lieutenant nach den alten Gebäuden neben der Kapelle westlich vom Paradeplatze, welche damals als Staatsgefängniß dienten, jetzt aber den Speisesaal der wachthabenden Officiere enthalten. Die doppelten Thüren wurden aufgeschlossen, der Gefangene ging etliche Stufen hinauf und der Lieutenant und ein Gefangenwärter ersten Ranges folgten ihm. Sie traten in ein weitläufiges, unregelmäßiges, niedriges, finsteres Gemach, welches mit nur wenigem Geräth versehen war. Der Wärter erhielt die Weisung, Feuer anzumachen, und Lord Glenvarlochs Befehle in allen Stücken, die nicht wider seine Pflicht gingen, auszurichten. Der Lieutenant machte seine Verbeugung mit dem gewöhnlichen Compliment: »Er hoffe, Se. Herrlichkeit werde nicht lange unter seiner Aufsicht bleiben«, und empfahl sich.

Nigel richtete einige Fragen an den Gefangenwärter, der zurückblieb, um das Zimmer in Ordnung zu bringen. Aber der Mann schien den Geist seines Amtes gefaßt zu haben. Er that meist, als überhöre er die Fragen des Gefangenen, und wenn er eine Antwort gab, so geschah es in kurzen Worten und mürrischem Tone, der, wenn auch nicht geradezu unehrerbietig, doch die Lust zu weiterem Gespräche benahm. Nigel ließ ihn also gewähren und machte sich das nicht sehr erheiternde Geschäft, die Namen, Sinnsprüche und Hieroglyphen zu entziffern, mit welchen seine Vorgänger die Wände des Gefängnisses bedeckt hatten. Er fand die Namen vieler vergessenen Dulder unter solchen, welche fortleben werden, so lange es eine Geschichte Englands gibt. Neben den Herzensergießungen des frommen Katholiken, aufgeschrieben am Vorabende des Tages, wo er sein Bekenntniß zu Tyburn mit dem Tode besiegelte, fanden sich die des standhaften Protestanten, welcher den Flammen von Smithfield zur Beute bestimmt war. Die Züge von der zarten Hand der unglücklichen Johanna Grey, deren Schicksal künftigen Geschlechtern Thränen entlocken sollte, bildeten einen starken Gegensatz zu den festen Linien, in welchen der Bär und Knotenstock, das stolze Sinnbild der stolzen Dudley's eingegraben war. Das Ganze glich dem Buche des Propheten, eine Urkunde von Trauer und Klagen, vermischt mit kurzen Ausrufungen von Ergebung und mit Sätzen, welche die festeste Entschlossenheit ausdrückten Diese Denkmäler von berühmten Verbrechern und von Unschuldigen, welche das Schicksal von Verbrechern hatten, sind noch vorhanden, wiewohl sie einmal in Gefahr gewesen sind, übertüncht zu werden. Sie werden jetzt mit gebührender Sorgfalt bewahrt, und die meisten derselben sind in Kupfer gestochen. – Siehe Bayley's Geschichte und Alterthümer des Towers..

In dem trübseligen Geschäfte, den Jammer seiner Vorgänger zu erforschen, wurde Lord Glenvarloch durch das plötzliche Oeffnen seiner Gefängnißthür unterbrochen. Der Wärter kam, um ihm im Auftrage des Lieutenants vom Tower anzukündigen, daß Se. Herrlichkeit einen Mitgefangenen zur Gesellschaft und Bedienung bekommen werde. Nigel erwiderte schnell, er wünsche keine Bedienung und wolle lieber allein sein. Aber der Wärter gab ihm mit brummender Höflichkeit zu verstehen, daß der Lieutenant am besten wisse, wie seine Gefangenen gebettet werden müßten, und daß ihm der Junge keine Ungelegenheit machen werde, denn derselbe sei kaum der Mühe werth, einen Schlüssel herumzudrehen. »He, Gilg!« rief er, »bring' das Kind herein.«

Ein anderer Gefangenwärter schob den Jungen am Kragen herein. Beide Wärter entfernten sich, der Riegel und die schwere Kette rasselten, und die Thür war wieder fest verschlossen. Der Knabe war gekleidet in feines graues Tuch mit Silbertressen und in einen ähnlich verzierten Mantel von Büffellederfarbe. Seine schwarzsammtne Jagdmütze war über die Stirn gezogen und verhüllte in Verbindung mit seinen langen Locken fast ganz sein Gesicht. Er blieb unbeweglich auf dem Flecke, wo der Gefangenwärter ihn hatte stehen lassen, etwa zwei Schritte von der Thür, die Augen auf den Boden geheftet und vor Verwirrung und Schrecken an allen Gliedern zitternd. Nigel hätte recht wohl seine Gesellschaft entbehren können, aber es ging ihm wider die Natur, Leibes- und Seelenschmerz zu sehen, ohne die Linderung desselben zu versuchen.

»Beruhige dich, feiner Knabe,« begann er. »Es scheint, wir werden auf kurze Zeit Gesellschafter sein, – wenigstens hoffe ich, deine Haft soll nicht lange dauern, da du zu jung bist, um Etwas gethan zu haben, was längere Einsperrung verdiente. Komm, komm, laß den Muth nicht sinken. Deine Hand ist kalt und zittert. Die Luft ist warm, aber vielleicht macht es die Feuchtigkeit dieses finstern Gemaches. Setze dich zum Feuer. – Wie? Du weinst, kleiner Mann? Sei kein Kind. Du hast noch keinen Bart, daß deine Thränen dir Schande machen könnten, aber du darfst doch nicht heulen wie ein Mädchen. Denke, du wärest eingesperrt, weil du neben die Schule gelaufen bist, und gewiß wirst du doch einen Tag sitzen können, ohne zu weinen.«

Der Knabe ließ sich an das Feuer führen und auf einen Stuhl setzen. Nachdem er lange Zeit regungslos dagesessen, begann er plötzlich verzweiflungsvoll die Hände zu ringen, bedeckte dann sein Gesicht mit denselben und weinte so bitterlich, daß die Thränen zwischen seinen zarten Fingern hervorströmten.

Nigel war unempfindlich gegen seine eigene Lage geworden durch das Mitgefühl für den tiefen Schmerz, der ein so junges und schönes Geschöpf zu überwältigen schien. Er setzte sich dicht neben dem Knaben nieder und wandte die besten Worte an, um ihn zu beruhigen. Er strich ihm schmeichelnd das lange Haar. Das Kind schien so blöde, daß es vor dieser Vertraulichkeit zurückbebte. Als Lord Glenvarloch, sein scheues Wesen berücksichtigend, sich auf die andere Seite des Kamins setzte, schien es sich weniger unheimlich zu fühlen und hörte mit einiger Aufmerksamkeit auf die Gründe, welche Nigel vorbrachte, um ihn zur Beruhigung oder Mäßigung seines Schmerzes zu bestimmen. Seine Thränen flossen weniger heftig, sein Schluchzen war weniger krampfhaft und verwandelte sich allmälig in leise Seufzer, welche vielleicht eben so viel Kummer, aber weniger Angst bezeugten, als seine früheren Aeußerungen.

»Sage mir, wer du bist, liebes Kind,« sprach Nigel. »Betrachte mich als einen Gefährten, der dir Gutes erweisen will, wofern du ihm nur sagen kannst, wie er es anzufangen hat.«

»Herr, – gnädiger Herr,« antwortete der Knabe schüchtern und so leise, daß Nigel ihn selbst in geringer Entfernung kaum verstand. »Ihr seid sehr gut – und ich – bin sehr unglücklich.«

Ein abermaliges Weinen unterbrach seine Worte, und es bedurfte des freundlichen Zuredens und der Ermunterungen von Lord Glenvarloch, um ihn wieder so weit zu beruhigen, daß er sich verständlich machen konnte. Endlich sprach er: »Ich erkenne gerührt Eure Güte an, edler Herr, und bin dankbar dafür. Aber ich bin ein armes, unglückliches Geschöpf und, was schlimmer ist, ich habe mir allein mein Unglück zu verdanken.«

»Wir sind selten ganz unglücklich, ohne dafür mehr oder weniger verantwortlich zu sein, liebes Kind,« erwiderte Nigel. »Ich kann dies von mir sagen, denn wäre ich ganz schuldlos, so würde ich jetzt nicht hier sein. Aber du bist so jung und kannst nur wenig zu verantworten haben.«

»Ach, Herr! ich wollte, ich könnte das sagen. Ich bin eigensinnig gewesen und störrisch und unbesonnen – und jetzt – jetzt muß ich es schwer büßen.«

»Still, liebes Kind,« versetzte Nigel, »ein Kinderstreich – eine Unart – eine kleine Ungezogenheit! – Doch wie kann dich Etwas der Art in den Tower bringen? – Hier liegt ein Geheimniß, welches ich aus dir herausbringen muß.«

»Nein, nein, gnädiger Herr, ich habe nichts Böses gethan,« rief der Knabe, den Nigels letzte Worte beredter zu machen schienen, als aller frühere freundliche Zuspruch. »Ich bin unschuldig – das heißt, ich habe Unrecht gethan, aber Nichts, daß ich verdiente, an einen so schrecklichen Ort zu kommen.«

»Sage mir die Wahrheit,« sprach Nigel in halb befehlendem, halb bittendem Tone. »Du hast Nichts von mir zu fürchten und vielleicht eben so wenig zu hoffen. Allein in meiner Lage hier möchte ich doch wissen, mit wem ich rede.«

»Mit einem unglücklichen – Knaben, lieber Herr, der, wie Ew. Herrlichkeit gesagt hat, unartig und ungezogen ist,« antwortete der Kleine, indem er aufsah und ein von Angst und Scham abwechselnd blasses und erröthendes Gesicht zeigte. »Ich habe ohne Erlaubniß meines Vaters das Haus verlassen, um den König im Park von Greenwich jagen zu sehen. Da erhob sich der Ruf: »Verrath!« und alle Thore wurden verschlossen, und ich gerieth in Angst und versteckte mich in ein Gebüsch, und wurde von den Förstern gefunden und befragt. Und sie sagten, ich gäbe keine befriedigende Auskunft – und so ward ich hieher geschickt.«

»Ich bin ein unglückliches, ein höchst unglückliches Wesen!« rief Nigel, und ging mit großen Schritten in dem Gemache auf und nieder. »Wer mir nahe kommt, theilt mein böses Geschick! Tod und Haft verfolgen mich auf allen Schritten und treffen zugleich alle die, welche sich in meiner Nähe befinden. – Aber die Geschichte dieses Knaben lautet doch sonderbar. – Du sagst, du wärest verhört worden, junger Freund? Sage mir doch, ob du deinen Namen angegeben hast und die Art und Weise, wie du im Park Zutritt gefunden; denn in diesem Falle begreife ich nicht, wie sie dich festhalten mochten.«

»O, edler Herr,« antwortete der Knabe, »ich habe mich wohl gehütet, den Namen des Freundes zu nennen, der mich eingelassen hat, und meinen Vater – nicht für allen Reichthum Londons möchte ich, daß er wüßte, wo ich jetzt bin.«

»Glaubst du denn, sie würden dich entlassen, bevor sie wissen, wer du bist?«

»Was kann es ihnen helfen, ein so unnützes Geschöpf, wie mich, festzuhalten?« entgegnete der Knabe. »Sie müssen mich der Schande wegen gehen lassen.«

»Rechne darauf nicht,« versetzte Nigel. »Nenne mir deinen Namen und Stand. Ich will dem Lieutenant Mittheilung machen. Er ist ein Mann von Stand und Ehre; er wird nicht nur bereit sein, dir die Freiheit zu verschaffen, sondern auch, sich bei deinem Vater für dich zu verwenden. Ich bin gewissermaßen verbunden zu der geringen Hülfe, die ich dir hierbei leisten kann, insofern ich den Lärm veranlaßt habe, der deine Verhaftung herbeigeführt hat. Also sage mir deinen und deines Vaters Namen.«

» Euch meinen Namen sagen? Niemals!« erwiderte der Knabe mit einer Lebhaftigkeit, die Nigeln unbegreiflich war.

»Fürchtest du dich vor mir, weil ich angeschuldigt und gefangen bin?« fragte Nigel den Kleinen. »Bedenke, daß ein Mensch beides sein kann, ohne Verdacht oder Einsperrung zu verdienen. Warum solltest du mir mißtrauen? Du scheinest freundlos zu sein, und ich bin so sehr im gleichen Falle, daß ich nicht leicht umhin kann, deine Lage zu bedauern, wenn ich an die meinige denke. Sei klug. Ich habe freundlich zu dir geredet und meine es so, wie ich spreche.«

»Ich zweifle nicht daran, edler Herr,« erwiderte der Knabe. »Ich könnte Euch Alles sagen, – das heißt beinahe Alles.«

»Sage mir Nichts, kleiner Freund, als was mir dazu dienen kann, dir nützlich zu sein,« sprach Nigel.

»Ihr seid edelmüthig, edler Herr,« sprach der Knabe, »und ich bin überzeugt – o gewiß, ich dürfte unbedenklich auf Euer Ehrgefühl rechnen. Aber – aber – ich bin in solcher Verlegenheit – ich bin so unbesonnen gewesen, so unachtsam – ich kann Euch meine Thorheit nicht sagen. Ueberdies habe ich schon zu viel gesagt zu Einem, dessen Herz ich gerührt zu haben glaubte – und dennoch befinde ich mich hier.«

»Wem hast du diese Eröffnung gemacht?« fragte Nigel.

»Das darf ich nicht sagen,« antwortete das Kind.

»Junger Freund, es ist etwas Sonderbares in deinem Wesen,« sprach Lord Glenvarloch, indem er sanft die Hand wegzog, mit welcher der Knabe abermals seine Augen bedeckt hatte. »Quäle dich nicht mit Gedanken über deine Lage in diesem Augenblicke. Dein Puls geht heftig, deine Hand zittert fieberhaft. Lege dich auf die Pritsche dort und überlasse dich dem Schlafe. Er ist das nächste und beste Mittel wider die Phantasien, mit denen du dich quälst.«

»Ich danke Euch für Eure rücksichtsvolle Güte, edler Herr,« erwiderte der Knabe. »Wenn Ihr es erlaubt, will ich ein wenig in diesem Sessel ausruhen. – Ich befinde mich da besser als auf dem Lager. Ich kann so ungestört nachdenken über das, was ich gethan, und über das, was ich zu thun habe; und wenn Gott einem so erschöpften Wesen Schlaf verleiht, soll er sehr willkommen sein.«

Mit diesen Worten zog der Knabe seine Hand aus der Hand Nigels, schlug seinen Mantel um sich und zum Theil über sein Gesicht und überließ sich dem Schlaf oder dem Nachsinnen, während Lord Glenvarloch, ungeachtet der angreifenden Auftritte dieses und des vergangenen Tages, auf den Beinen blieb und gedankenvoll auf und ab ging.

Jeder Leser hat die Erfahrung gemacht, daß zu Zeiten der Mensch nicht allein die äußern Umstände nicht bemeistern kann, sondern auch nicht Herr seiner eigenen Gedanken ist. Es war Nigels natürlicher Wunsch, seine eigne Lage mit kaltem Blute zu erwägen und sich zu entscheiden über das Verhalten, welches er als vernünftiger und beherzter Mann zu beobachten habe. Allein trotz seinem Willen und trotz der Wichtigkeit der Frage geschah es, daß seines Mitgefangenen Lage seine Gedanken mehr beschäftigte, als seine eigne. Er konnte sich keine Rechenschaft geben über diese Abschweifung seiner Einbildungskraft und eben so wenig konnte er sie hemmen. Die bittenden Töne einer der lieblichsten Stimmen, die er je gehört, klangen fortwährend noch in seinem Ohre, während der Schlaf die Zunge, von welcher sie ausgegangen waren, gefesselt zu haben schien. Nigel schlich auf den Zehen herbei, um sich zu überzeugen, ob dies wirklich der Fall sei. Die Falten des Mantels verdeckten den untern Theil des Gesichtchens gänzlich; dagegen war die Mütze etwas auf die Seite gerückt und ließ die mit blauen Adern durchzogene Stirn, die geschlossenen Augen und die langen seidenen Wimpern sehen.

»Armes Kind!« dachte Nigel, als er den Knaben so ansah. »Die Thauperlen stehen noch auf deinen Wimpern; du hast dich rein in Schlaf geweint. Kummer ist eine harte Amme für ein so junges und zartes Wesen. Schlafe in Frieden; ich will dich nicht aufstören. Mein eignes Mißgeschick nimmt meine Aufmerksamkeit in Anspruch, und seiner Betrachtung will ich mich widmen.«

Er versuchte dies zu thun. Allein alle Augenblicke kamen ihm, wie zuvor, Vermuthungen in die Quere, welche mehr den kleinen Schläfer, als ihn selber betrafen. Er ärgerte und ereiferte sich über sich selbst wegen der ungebührlichen Theilnahme für ein Kind, von dem er weiter Nichts wußte, als daß es ihm zur Gesellschaft aufgedrungen war, vielleicht als Spion. Allein der Zauber wollte sich nicht lösen lassen, und die Gedanken, welche er zu bannen sich bemühte, fuhren fort, ihn zu verfolgen.

So verging Etwas über eine halbe Stunde. Dann ließ sich abermals der rauhe Klang der zurückgeschobenen Riegel vernehmen, und die Stimme des Wärters kündigte an, daß ein Mann mit Lord Glenvarloch zu sprechen wünsche. »Ein Mann mit mir sprechen? unter den gegenwärtigen Umständen? Wer mag das sein?« Seine Zweifel waren bald gelöset; Hans Christie, sein Hauswirth von der Paulslände trat ein. »Willkommen, herzlich willkommen, mein ehrlicher Hauswirth!« rief Lord Glenvarloch ihm entgegen. »Wie konnt' ich mir träumen lassen, Euch in meiner gegenwärtigen engen Wohnung zu sehen?« so sprechend ging er auf Christie zu und reichte ihm traulich die Hand. Aber der Schiffkrämer fuhr zurück wie vor dem Blicke eines Basilisken.

»Behaltet Eure Höflichkeiten für Euch, gnädiger Herr,« erwiderte er grob. »Ich habe deren schon so viel, daß ich für mein Lebenlang daran genug haben werde.«

»Wie, Meister Christie?« fragte Nigel erstaunt. »Was bedeutet das? Ich habe Euch doch hoffentlich nicht beleidigt?«

»Bleibt mir mit Euren Fragen vom Leibe!« rief Christie. »Ich bin ein friedlicher Mann. Ich bin nicht hieher gekommen, um mit Euch an diesem Orte und zu dieser Zeit zu streiten. Nehmt an, daß ich genau alle Verbindlichkeiten kenne, die Ew. Herrlichkeit mir zugedacht hat, und sagt mir nur mit kurzen Worten, wo das unglückliche Weib ist. – Was habt Ihr mit ihr angefangen?«

»Was ich mit ihr angefangen habe?« fragte Glenvarloch. »Mit wem? Ich weiß nicht, was Ihr meint.«

»Ja, edler Herr,« versetzte Christie, »spielt nur recht den Verwunderten! Ihr merkt doch wohl, daß ich von der armen Thörin spreche, die mein Weib war, bis sie Ew. Herrlichkeit Buhlin wurde.«

»Euer Weib? – Hat Euer Weib Euch verlassen? – Und von mir fordert Ihr sie zurück?«

»Ja, edler Herr,« antwortete Christie mit bitterem Spotte und einem grinsenden Lächeln, welches übel zu der Entstellung seiner übrigen Züge, zu der Gluth seines Auges und zu dem Schaum auf seinen Lippen paßte. »So sonderbar es scheinen mag, ich komme, an Ew. Herrlichkeit diese Forderung zu stellen. Ohne Zweifel seid Ihr erstaunt, daß ich mir diese Mühe nehme; allein ich weiß nicht, wie das ist; geringe Leute denken anders als Große. Sie hat an meinem Busen gelegen und aus meinem Becher getrunken, und mag sie sein, wie sie will, ich kann mir nicht ausreden, daß sie – sehen will ich sie nicht mehr – daß sie nicht Hunger leiden darf oder etwas Schlimmeres thun, um Brod zu erwerben; obwohl Ew. Herrlichkeit ohne Zweifel denkt, daß ich das Publikum beraube, indem ich ihren Lebenswandel zu ändern suche.«

»Bei meinem Glauben als Christ, bei meiner Ehre als Edelmann versichere ich Euch, daß, wenn etwas Schlimmes mit Eurer Frau vorgegangen ist, ich nichts davon weiß. Ich hoffe zu Gott, Ihr seid eben so sehr im Irrthum, wenn Ihr sie für schuldig haltet, als mit der Annahme, daß ich ihr Mitschuldiger sei.«

»Ei, ei, ei, gnädiger Herr, wie mögt Ihr so zähe sein!« erwiderte Christie. »Sie ist ja blos das Weib eines alten klotzköpfigen Krämers, der einfältig genug war, ein Weibsbild zu heirathen, das zwanzig Jahre jünger ist als er. Ew. Herrlichkeit kann dabei nicht mehr Ruhm gewinnen, als Ihr bereits habt, und was den Genuß betrifft, so glaube ich, Frau Lenchen ist jetzt ein Ueberfluß für Euch. Den Lauf Eurer Vergnügungen möchte ich nicht gern stören; – ein alter Hahnrei muß seine Lage bedenken. Allein da Ew. Herrlichkeit hier bei anderen Reichskleinodien eingeschlossen ist, so glaube ich, Frau Lenchen kann nicht zugelassen werden, um Schäferstunden –« – hier stotterte der ergrimmte Ehemann, stieß seinen Stock auf den Boden und fuhr fort, seinen ironischen Ton wechselnd: »O wären doch Eure verrätherischen Gliedmaßen gelähmt gewesen, ehe sie über meine ehrliche Schwelle traten! oder wären sie jetzt frei von den verdienten Fesseln! Ich wollte Euch den Vortheil Eurer Jugend und Eures Gewehres lassen und meine Seele dem Teufel zum Pfand setzen, daß ich Euch mit diesem Eichenholz zum Spiegel für alle undankbaren Fuchsschwänzer und Höflinge machen würde, und daß ein Sprichwort lauten sollte: Wie Hans Christie den Buhlen seines Weibes durchgewalkt hat.«

»Ich begreife Eure Unverschämtheit nicht,« sprach Nigel, »aber ich verzeihe sie, weil Ihr in einer sonderbaren Täuschung befangen seid. So weit ich Eure Beschuldigung verstehe, ist sie von meiner Seite ganz unverdient. Ihr scheint mir die Verführung Eures Weibes beizumessen; – ich hoffe, sie ist unschuldig. Für mich wenigstens ist sie so unschuldig wie ein Engel im Himmel. Ich habe nie an sie gedacht, nie ihre Hand oder Wange anders berührt, als in ehrenhafter Höflichkeit.«

»Ja wohl, Höflichkeit! das ist das rechte Wort. Sie hat immer Ew. Herrlichkeit ehrenhafte Höflichkeit gelobt. Ihr habt Beide mich berückt mit Eurer Höflichkeit. Edler Herr! Ihr wißt, Ihr seid nicht als ein reicher Mann zu uns gekommen. Nicht aus Gewinnsucht habe ich Euch und Euren großmäuligen Knappen Don Diego unter mein bescheidenes Dach aufgenommen. Es war mir gleichgültig, ob das Stübchen vermiethet war oder nicht; ich konnte doch leben. Wenn Ihr es nicht hättet bezahlen können, würde man Euch nichts abgefordert haben. Die ganze Lände weiß, daß Hans Christie Mittel und Neigung hat, einen Liebesdienst zu erweisen. Als Ihr zuerst über meine ehrliche Schwelle tratet, war ich so glücklich, wie ein Mann sein kann, der nicht jung ist und Rheumatismen hat. Lenchen war das liebste und bestgelaunte Weib. Dann und wann gab es wohl einen Wortwechsel über ein Kleid oder ein Band; aber im Ganzen war sie so seelengut und so sorgsam, bis Ihr kamet! Und was ist sie jetzt? Aber ich will nicht so thöricht sein zu heulen, wenn ich umhin kann. Was sie ist, darum handelt es sich nicht, sondern wo sie ist, und das muß ich von Euch erfahren, Herr.«

»Wie könnt Ihr das,« erwiderte Nigel, »wenn ich Euch sage, daß ich es so wenig oder vielleicht noch weniger weiß, als Ihr selber? Bis zu dieser Stunde habe ich nie von einer Mißhelligkeit zwischen Eurer Frau und Euch gehört.«

»Das ist eine Lüge,« platzte Hans Christie heraus.

»Wie, gemeiner Schuft!« rief Lord Glenvarloch, »läßt du dich durch meine Lage zur Frechheit verleiten? – Wenn ich dich nicht für verrückt hielte, vielleicht in Folge erlittenen Unrechtes, sollte meine Wehrlosigkeit dich nicht schützen; ich würde dir den Kopf an der Wand zerschmettern.«

»O,« versetzte Christie, »spielt nur recht den Eisenfresser. Ihr seid in den Speisehäusern gewesen und im Elsaß, und habt die Gauner-Redensarten gelernt. Aber ich wiederhole, Ihr habt die Unwahrheit gesprochen, da Ihr sagtet, Ihr wüßtet Nichts von meines Weibes Falschheit. Denn Eure lustigen Gesellen haben Euch damit aufgezogen, – es war ein gewöhnlicher Spaß unter euch, und Eure Herrlichkeit hat den Ruhm gelten lassen, den sie Euch für Eure Galanterie und Eure Dankbarkeit beilegten.«

In diesem Vorwurfe lag etwas Wahres, das den Freiherrn aus der Fassung brachte. Als Ehrenmann konnte er nicht leugnen, daß Lord Dalgarno und Andere gelegentlich mit ihm über Frau Lenchen gescherzt hatten, und daß, obwohl er nicht geradezu den fanfaron des vices qu'il n'avait pas Prahler mit Lastern, die er nicht hatte. gespielt, er sich wenigstens nicht genugsam beeifert hatte, sich von dem Verdachte eines solchen Verbrechens vor Leuten zu reinigen, die es als etwas Verdienstliches betrachteten. Er sprach darum in einem zögernden und milderen Tone, als er zugab, daß einfältige Späße der Art, wiewohl ohne den geringsten Grund der Wahrheit, vorgekommen seien. Eine weitere Rechtfertigung wollte Hans Christie nicht anhören. »Ihr selbst gebt zu,« rief er, »daß Ihr im Scherz über Euch habt lügen lassen. Wie kann ich wissen, ob Ihr die Wahrheit jetzt redet, wo Ihr ernst thut? Ihr habt es meines Erachtens für eine hübsche Sache gehalten, im Rufe der Entehrung einer ehrlichen Familie zu stehen. Muß nicht Jedermann denken, daß Ihr Grund hattet für Eure niederträchtige Prahlerei? Ich wenigstens kann nicht anders. Also hört, edler Herr, was ich Euch sage. Ihr seid jetzt selber in Noth. So wahr Ihr hofft, aus derselben ohne Verlust Eures Lebens und Vermögens herauszukommen, sagt mir, wo das unglückliche Weib ist. Sagt es mir, wofern Ihr auf den Himmel hofft, sagt es mir, wofern Ihr die Hölle fürchtet; sagt es mir, wofern Ihr nicht von dem Fluch eines zu Grunde gerichteten Weibes und eines Mannes, dem das Herz bricht, Euer Leben lang verfolgt sein, und an dem großen Tage nach dem Tode erreicht werden wollt. Ihr seid erschüttert, edler Herr; ich sehe es. Ich kann das Unrecht, so Ihr mir gethan habt, nicht vergessen. Ich kann selbst nicht versprechen, es zu vergeben; – aber sagt es mir, und Ihr sollt mich nie mehr sehen und nie mehr meine Vorwürfe hören.«

»Unglücklicher Mann!« rief Lord Glenvarloch; »Ihr habt mehr gesagt, als genug ist, um mich zu erschüttern. Wäre ich frei, so würde ich Alles aufbieten, um Euch zu unterstützen in Euren Nachforschungen nach dem, der Euch Unrecht angethan hat, um so mehr, da ich vermuthe, daß mein Aufenthalt in Eurem Hause den entfernten Anlaß gegeben hat, den Verderber in die Hürden zu bringen.«

»Es ist mir lieb, daß Ew. Herrlichkeit mir so viel zugibt,« erwiderte Christie, der wieder den Ton bitterer Ironie annahm. »Ich will Euch mit ferneren Vorwürfen und Vorstellungen verschonen. Ihr seid gefaßt und ich bin es auch. – He! Wärter!« – der Gefangenwärter trat ein, und Christie fuhr fort: »Ich will hinaus, Bruder. Habe wohl Acht auf deinen Gefangenen. Es wäre besser, die Hälfte der wilden Thiere dort würden aus ihren Zwingern auf den Towerberg losgelassen, als daß dieser glatte, höfliche Herr wieder unter ehrliche Menschen käme.«

Damit verließ er hastig das Gemach, und ließ Nigeln Muße, sein eignes Schicksal zu beklagen, welches ihm unablässig den Schein von Verbrechen, die er verabscheute, aufbürden zu wollen schien. Nigel mußte indeß gestehen, daß er die Unannehmlichkeit der Anschuldigung Christies durch die Eitelkeit oder vielmehr falsche Scham verdient habe, mit welcher er unterlassen hatte, den Vorwurf eines Verbrechens zurückzuweisen, weil Thoren es Galanterie nannten. Mit Beschämung erinnerte er sich der Bemerkung seines Dieners, daß die Gesellschaft im Speisehause sich hinter seinem Rücken über ihn lustig machte, weil er im Rufe eines Liebeshandels stehen wolle, den zu betreiben es ihm an Muth fehle. Mit einem Worte, sein zweideutiges Benehmen hatte ihn in die Lage gebracht, bei den liederlichen jungen Leuten, in deren Augen ein wirklicher Ehebruch ihm Ehre gemacht haben würde, als ein leerer Prahler zu gelten, und auf der andern Seite als schändlicher Verführer gebrandmarkt zu sein in den Augen des verletzten Ehemannes, der fest von seiner Schuld überzeugt war.



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