Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtzehntes Kapitel.

Im Dorf und im Kloster von Kennaqhueir verursachte die Nachricht von dem verlornen Treffen die größte Bestürzung und Verwirrung. Der Sakristan riet zur Flucht, und nicht wenige Mönche pflichteten ihm hierin bei. Der Schatzmeister meinte, es werde am besten sein, alles Kirchensilber als Tribut zu spenden, um den englischen Befehlshaber günstig zu stimmen. Der Abt war der einzige, der den Mut nicht verlor, sondern Mut und Entschlossenheit wahrte.

»Meine Brüder,« sagte er, »Gott hat den Unsrigen nicht den Sieg verliehen, mithin legt er uns sicherlich den Kampf als Märtyrer auf, und in diesem edlen Kampfe kann uns nur eins um den Sieg bringen, und das ist unsre eigne Kleinmütigkeit. Laßt uns die Rüstung des Glaubens anlegen und uns bereiten zum Tod unter den Trümmern jener heiligen Stiftung, deren Dienste wir uns geweihet haben. Uns winkt hohe Ehre, von dem frommen Bruder Nikolaus an, dessen graues Haar ihm geblieben ist, daß es die Krone des Märtyrertums trage, bis zu meinem geliebten Sohne Edward hinunter, dem die Mitarbeit in unsern Hallen vergönnt wurde, wiewohl er erst in des Tages letzter Stunde Aufnahme gefunden hat im Weinberge unsers lieben Herrn. ... Aber seid alle gutes Mutes, meine Kinder und Brüder! freilich darf ich Euch nicht Rettung durch ein Wunder verheißen, wie es meinen gepriesenen Vorgängern so oft vergönnet war, denn wir sind solcher Auszeichnung längst nicht mehr würdig; drum müssen wir selbst zusehen, daß wir uns der Aufgabe würdig zeigen, die jetzt an uns herantritt! wir müssen sorgen, daß Euer Vater und Abt die Mitra weiter in Ehren auf seinem Haupte tragen könne, und daß diese Mitra nicht entehrt werde... Drum gehet in Eure Zellen, Kinder, und betet zu unserm Herrn, daß er uns stärke! Und dann legt Eure Chorröcke an, als solltet Ihr das hehrste unsrer Feste begehen. Haltet Euch bereit, dem Feinde, wenn das Geläut der großen Glocke ihn kündet, in feierlichem Ornate entgegenzuziehen! Lasset die Portale der Kirche öffnen, damit sie denjenigen unserer Vasallen eine Zuflucht gewähre, die infolge des unglücklichen Treffens und wegen ihres Anteils daran den Zorn des Feindes am ärgsten zu fürchten haben. ... Und – dann meldet dem Sir Piercie Shafton, wenn er dem Treffen glücklich entronnen sein sollte ...

»Hochwürdiger Abt, hier bin ich,« sprach Sir Piercie Shafton, »und falls es Euch schicklich erscheinen sollte, so will ich ohne Säumen alle Mannschaft sammeln, die dem Treffen entronnen ist, und den Kampf hier von neuem beginnen und fortführen bis zum letzten Hauche meiner Seele. O, hätte es Julian Avenel gefallen, nach meinem Rate zu handeln ... Ihr werdet von allen Ueberlebenden hören, daß ich meine volle Schuldigkeit in dieser Sache getan habe, ... hätte Julian Avenel, wie gesagt, nach meinem Rate gehandelt, hätte er sein Haupttreffen um einige Glieder zurückgehalten, wie Ihr ja sicher schon bemerkt haben werdet, wenn der Reiher dem niederschießenden Falken ausweicht, um ihn, statt mit den Flügeln, lieber mit dem Schnabel zu nehmen, so wären, meine ich, die Dinge wohl anders gekommen, und wir hätten uns ohne Frage auf eine weit kriegsmäßigere Weise geschlagen. Demungeachtet liegt es mir ferne, irgend welche geringschätzige Aeußerung über Julian Avenel zu tun, im Gegenteil, denn ich sah ihn in mannhaftem Kampfe fallen, mit dem Antlitz dem Feinde zugewandt, und das hat den häßlichen Ausdruck, den er mir zurief: »Vorlauter Naseweis«, wie ich sagen muß, in einem Momente der Unbedachtsamkeit, aus meinem Gedächtnis getilgt, wenn ich mir auch vorgenommen hatte, den trefflichen Menschen, wenn es dem Himmel und seinen Heiligen gefallen hätte, sein Leben zu verlängern, zur Rechenschaft zu ziehen ...«

»Sir Piercie Shafton,« sagte der Abt, indem er ihm endlich ins Wort fiel, »wir haben uns jetzt nicht damit zu befassen, was man hätte tun und lassen können ...«

»Ihr habt recht, hochwürdigster Herr und Vater,« erwiderte der unverbesserliche Schönredner, »das Präteritum, wie sich die Sprachlehrer auszudrücken lieben, kümmert die sterbliche Menschheit weit weniger als das Futurum, und im Grunde genommen beziehen sich unsre Gebauten vornehmlich auf das Präsens. Mit einem Worte, ich bin bereit, mich an die Spitze der Mannschaften zu stellen, die bereit sein sollten, mir Gefolgschaft zu leisten, um dem Vordringen der Engländer, trotzdem sie meine Landsleute sind, allen Widerstand entgegenzusetzen, der einem sterblichen Wesen möglich ist. ... Verlaßt Euch drauf, edler Abt, Piercie Shafton wird mit seiner Länge von fünf Fuß zehn Zoll eher den Boden messen, auf dem er steht, als um nur einen Zoll zurückzuweichen.«

»Ich zweifle nicht, Herr Ritter, daß Ihr Euer Wort auch einlösen würdet, allein es ist des Himmels Wille nicht, daß wir mit irdischen Waffen siegen sollen. Es ist uns bestimmt zu dulden, und darum steht uns kein Recht weiter zu, das Blut unsrer unschuldigen Gemeinde nutzlos zu vergeuden. ... Männern meines Standes ziemt unnützer Widerstand nicht ... Unsre Paniere sind von Gott und der Jungfrau gesegnet!«

»Bedenkt Euch noch, ehrwürdiger Herr,« wandte Piercie Shafton sehr eindringlich ein, »bevor Ihr auf Verteidigung verzichtet, die doch in Eurer Macht steht, daß es am Eingange des Dorfes mehrere Stellen gibt, an denen tapfere Männer viel vermögen gegen einen andringenden Feind, und daß ich noch einen andern Grund habe, auf die Verteidigung nicht zu verzichten, die Rücksicht auf die Wohlfahrt einer Freundin, die den Händen der Ketzer, wie ich hoffen will, entronnen sein wird ...«

»Ich verstehe, Sir Piercie, Ihr sprecht von der Tochter unsers Klostermüllers ...«

»Hochwürdiger Herr,« erwiderte Sir Piercie, diesmal nicht, ohne zu stocken, »die schöne Mysie ist die Tochter eines Mannes, so läßt sich in gewissem Sinne sagen, ... dessen Beruf es ist, auf mechanischem Wege Korn zu verarbeiten, so daß Brot aus dem Produkt gebacken werden kann, ohne welches die Menschen nicht zu bestehen vermöchten, so daß mithin sein Gewerbe nicht bloß ein höchst ehren- und segensreiches, sondern auch ein unentbehrliches ist. Wenn indessen die hehrsten Empfindungen eines adlig gesinnten Frauenherzens, das davon überströmt, gleich dem Diamant, der die Sonnenstrahlen widerspiegelt, im stande sind, ein Weib zu adeln, das allerdings die Tochter eines Korn auf mechanischem Wege verarbeitenden Müllers ist ...«

»Meine Zeit, Sir Piercie Shafton, ist zu kurz, mich mit dergleichen Dingen zu befassen. Laßt Euch darum an der Antwort genügen, daß wir nicht mehr mit irdischen Waffen fechten werden und dürfen. Wir Männer geistlichen Berufs werden Euch weltliche Leute lehren, wie man kalten Blutes stirbt, nicht mit geballter Faust, sondern mit gefalteten Händen, nicht mit haßerfülltem Herzen, sondern mit christlicher Sanftmut, nicht unter dem Lärm von sinnverwirrenden Kriegsdrompeten, sondern unter dem milden Klange frommen Hallelujahs ...«

»Lord-Abt,« erwiderte Sir Piercie Shafton, »dies kann an dem Schicksal unsrer Molinara nichts ändern, die ich, wie ich bitte, nochmals bemerken zu dürfen, nicht verlassen werde, so lange noch das goldne Heft und die stählerne Klinge meines Dolches zusammenhalten. ... Ich gab ihr den Befehl, uns nicht in die Schlacht zu folgen, und doch meine ich, sie in der Tracht eines Edelknaben unter dem Nachtrab bemerkt zu haben ...«

»Ihr werdet anderswo nach der Person suchen müssen, an der Euch so sehr viel gelegen zu sein scheint,« erwiderte der Abt, »indessen hindert Euch nichts, Euch in der Kirche nach ihr zu erkundigen unter den wehrlosen unsrer Vasallen, die sich dorthin geflüchtet haben ... Euch gebe ich den gleichen Rat, gleichfalls unter den heiligen Altar zu flüchten, im übrigen könnt Ihr Euch einer Sache versichert halten, Sir Piercie Shafton,« schloß er seine Rede, »geschieht Euch ein Leid, so leidet darunter die ganze fromme Brüderschaft, denn nie wird der Geringste von uns sein Heil erkaufen dadurch, daß er einen Gast oder Freund des Klosters ausliefert ... Und nun, mein Sohn, verlaßt uns! und seid Gottes Schutz empfohlen!«

Kaum war Sir Piercie Shafton aus der Zelle des Abtes verschwunden, als dieser, im Begriffe, sich in sein Ornat zu kleiden, von einem Unbekannten um eine Unterredung gebeten wurde. Als er diesem Wunsche willfahrte und er sich den Mann ansah, der zu ihm trat, erkannte er zu seinem nicht geringen Staunen den reformierten Prediger Heinrich Warden. Der Abt stutzte und rief voll tiefen Verdrusses:

»Ha! sollen die wenigen Stunden, die das Schicksal vielleicht dem Manne läßt, der wohl zum letzten Male den hehren Schmuck dieser heiligen Stätte tragen wird, noch durch die Zudringlichkeit der Ketzerei vergällt werden? Kommst Du, Dich der Hoffnungen zu freuen, die Deiner fluchwürdigen Sekte verstattet zu sein scheinen? kommst Du, den Besen zu führen, der unsre Heiligtümer hinwegfegen, unsre heilige Religion schänden soll? der die Zinnen dieses heiligen Gotteshauses zertrümmern helfen soll?«

»Ruhig, William Allan,« antwortete mit Fassung und Würde der protestantische Prediger, »aus solchem Grunde komme ich nicht! Freilich sähe ich gern diese heiligen Hallen der Götzenbilder beraubt, die nicht mehr betrachtet werden als Darstellungen guter und weiser Menschen, sondern die zu Gegenständen schändlichsten Mummenschanzes geworden sind! Nichtsdestoweniger tadle ich scharf all jene Verwüstungen, die das niedre Volk in seiner blinden Zerstörungswut begangen hat, indem es sich, von seinem Eifer gegen falschen Götzendienst zu blutigen Verfolgungen hinreißen läßt ...«

»Nichtswürdiger!« erwiderte Pater Eustachius, »wozu der Vorwand, unter dem Du dieses Gotteshaus beraubst? Warum willst Du in solcher Zeit schwerer Bedrängnis seinem letzten Abte Hohn sprechen durch Deine unheilkündende Nähe?«

»William Allan, Du bist unbillig, und doch bleibe ich bei meinem Entschlusse! Du hast mich vor kurzem mit Gefahr Deines Standes und, was bei Dir noch mehr gilt, Deines Rufes, bei Deiner eignen Sekte in Schutz genommen. Jetzt hat unsre Partei die Oberhand. Aber ich bin, glaube mir, bloß darum in dieses Tal hernieder gekommen, das Du mir seinerzeit bis zur Entscheidung der Angelegenheit angewiesen hast, um meine Schuld bei Dir abzutragen.«

»Es mag wohl sein,« erwiderte der Abt, »daß mich jetzt dafür, daß ich einst schwach genug war, weltlichem und unmännlichem Mitleid Gehör zu geben, die Strafe trifft durch das Herannahen dieses Gerichts ... und daß der Himmel um deswillen den irrenden Hirten gestraft und die Herde zerstreut hat.«

»Denke besser vom göttlichen Gericht!« erwiderte Warden, »nicht um der Sünden willen, an denen Deine verkehrte Erziehung die Schuld trifft, wirst Du gestraft, sondern für jene Sünden, die Deine unselige Kirche durch jahrhundertelange Irrtümer auf ihr Haupt und aus das Haupt ihrer Getreuen gehäuft hat.«

»Nun, bei meinem unerschütterlichen Glauben an den Felsen Petri,« rief der Abt, »Du entfachst den letzten Funken menschlichen Unwillens, den ich aus meinem Busen gebannt wähnte, und Deine Stimme reizt mich noch einmal zur Aeußerung ungöttlichen Zornes. Ha, in diesen Stunden schweren Herzeleids willst Du der Kirche Hohn sprechen, die das Licht des Christentums seit den Zeiten der Apostel bis auf uns ungetrübt erhalten hat!«

»Seit den Zeiten der Apostel!« wiederholte Warden, »nein! William Allan, das ist zu leugnen! Die Urkirche ist von der römischen so grundverschieden, wie Licht von Finsternis. Aber schnöde denkst Du von mir, wenn Du mir unterschiebst, ich sei gekommen, Dich in der Stunde der Betrübnis zu kränken, während ich doch, das weiß Gott, zu Dir herkomme mit dem christlichen Wunsche, eine Schuld abzutragen, in der ich noch immer bei Dir stehe, dadurch abzutragen, daß ich den Grimm der Sieger mildre zu Deinem Besten, den Groll jener Sieger, die Gott als Geisel für Deine Hartnäckigkeit Dir sendet ...«

»Ich brauche Deine Güte nicht,« erwiderte der Abt mit Stolz, »die Würde, zu der die Kirche mich erhob, hätte zu keiner Zeit, sogar nicht denen des höchsten Glücks, meinen Busen mit größerm Stolze erfüllt, als es der Fall ist in diesen Stunden schweren Verhängnisses. Ich verlange nichts weiter von Dir, als die Versicherung, daß meine Milde gegen Dich nicht zum Mittel geworden ist, eine Seele dem Satan zuzuführen, die von dem großen Seelenhirten meiner Aufsicht anvertraut wurde ...«

»William Allan,« sagte Warden, »ich will aufrichtig sein gegen Dich. Was ich versprach, habe ich gehalten, ich habe meine Zunge gefesselt. Aber es hat dem Himmel gefallen, Fräulein Mary von Avenel zu einem bessern Glauben zu bekehren.«

»Elender!« rief der Abt, nicht mehr im stande, an sich zu halten, »Du rühmst Dich vor dem Abt des Liebfrauenklosters, die Seele eines Menschen aus dem Kirchsprengel auf die Pfade des Irrtums, in das Netz der Ketzerei gelockt zu haben? Wellwood, Du treibst mich zum Aeußersten, die letzten Augenblicke meiner Macht zur Vernichtung eines Menschen anzuwenden, der seine ihm von Gott verliehenen Anlagen in so schnöder Weise dem Dienste des Satans geweiht hat!«

»Tue, was Dir gefällt, William Allan,« erwiderte der Prediger, »aber Deine nichtige Wut soll mich nicht hindern, meine Pflicht zu Deinem Besten zu erfüllen, so weit ich es darf, ohne daß ich die andern Pflichten meines höhern Berufs dadurch verletze. Ich gehe zum Earl von Murray.«

In diesem Augenblick dröhnte die größte Kirchenglocke, und das war das Zeichen, daß der Feind im Anzuge sei. Der Abt wiederholte seinen Befehl, daß sich alle Brüder wie zu feierlicher Prozession kleiden und in dem Chor verharren sollten, dann stieg der Abt auf einer besondern Treppe zu den Zinnen des herrlichen Klosters hinauf, wo er den Sakristan antraf, der eben die gewaltige Glocke in Bewegung gesetzt hatte, gemäß dem ihm vom Abte gegebnen Befehle.

»Ich erfülle heute zum letzten Male, hochwürdiger Vater und Lord,« sprach er zu dem Abte, »meine Amtspflichten als Sakristan des Klosters, denn dort nahen die Philister, aber die Glocke sollte nicht anders, als in echten und vollen Klängen erschallen. Für einen Mann unsers Standes bin ich zwar Sündenknecht genug gewesen,« fügte er hinzu mit einem Blicke zum Himmel, »aber das eine glaube ich sagen zu dürfen, daß noch nie eine Glocke vom Turm unsrer heiligen Kirche die Harmonie nicht gewahrt habe, seit Vater Philipp als Glöckner im Amte gewesen ist.«

Ohne dem Bruder eine Antwort zu geben, richtete der Abt seine Blicke auf die Straße, die sich um den Berg herum von Süden her um Kennaqhueir zieht. Er sah in der Ferne eine Staubwolke und hörte das Stampfen von Rossen, dann sah er das Blitzen von Speeren, die sich in das Tal herunter bewegten.

»Pfui über meine Schwäche,« sprach Pater Eustachius, indem er sich die Augen wischte, »mein Gesicht ist zu trüb geworden, um ihre Bewegungen zu verfolgen. Sieh Du hin, mein Sohn Edward,« ... sein Liebling, der Novize, war eben in seine Zelle getreten ... »und sage mir, was für Fahnen sie führen.«

»Schotten sinds, bloß Schotten,« rief Edward, »ich sehe die weißen Kreuze ... vielleicht sind es die westlichen Grenzleute ...«

»Sieh nach dem Banner,« sagte der Abt, »was für ein Wappen führt es?«

»Das Wappen von Schottland,« sagte Edward, »den Löwen mit dem Saum, durch drei Balken, wie mir deucht, geteilt. Sollte dies etwa die königliche Standarte sein?«

»Nein!« versetzte der Abt, »die des Earl von Murray! Er hat ja doch seit seinen letzten Siegen die Abzeichen des mutigen Randolph angenommen und auf seinem angeerbten Wappenschilde die Binde angefügt, die seine niedre Herkunft bekundete ... wollte Gott, daß er sie auch aus seinem Gedächtnisse verwischt hätte!«

»Zum wenigsten wird er uns vor den Südländern schützen,« meinte Edward.

»Ja, mein Sohn, wie der Schäfer ein schwaches Lamm vor dem Wolfe schützt, das er zu rechter Zeit sich für eine Mahlzeit aufbewahrt. Ach, mein Sohn, schwere Zeiten sind es, die unsrer warten; schon zeigen die Mauern unsers Heiligtums eine Bresche, denn Dein Bruder ist von seinem Glauben abgefallen. So lautet die letzte geheime Nachricht, die mir übermittelt worden ist. Murray hat bereits davon gesprochen, ihn mit der Hand Mary Avenels zu belohnen.«

»Mary Avenels!« sagte der Novize, indem er zu der Wand hinüber wankte, die den stolzen Bau stützte.

»Ja, Mary Avenels, mein Sohn, und sie ... sie hat gleichfalls den Glauben ihrer Väter abgeschworen. ... Weine nicht, mein Sohn, oder wenn Du weinen willst, dann weine über ihren Abfall, und preise den Herrn, daß er Dich aus dieser sündigen Welt zu sich einberufen hat, denn ohne die Gnade der heiligen Jungfrau wärest Du auch einer von diesen Abtrünnigen geworden.« Nach einer Weile fuhr er fort: »Auch ich weine nicht, mein Sohn, und welchen Verlust habe ich zu gewärtigen! Betrachte hier diese Türme, in denen Heilige wohnten und Helden bestattet wurden. Erwäge, daß ich doch kaum erst zur Leitung der frommen Herde berufen worden bin, die seit den ersten Zeiten des Christentums hier sich zusammengefunden hat. ... O, komm, komm, laß uns hinab steigen! laß uns unserm Schicksal entgegen gehen! Ich sehe, sie nähern sich bereits dem Dorfe.«

Kurz nachher tat sich das Hauptportal der Kirche auf, und eine feierliche Prozession bewegte sich langsam aus dem reichverzierten Torwege. Kreuze und Fahnen wurden getragen, Kelche und Monstranzen und Reliquienschreine, Weihrauchfässer wurden geschwenkt, und dem langen Zuge der Mönche in ihren schwarzen, bis zu den Füßen reichenden Talaren, darüber die weißen Skapuliere, schritten die Klosterbeamten voran mit den besonderen Abzeichen ihres Amtes. Und in der Mitte, umringt von seinen vornehmsten Amtsgehilfen, ging der Abt in seiner feierlichen Tracht, mit so ruhiger, ernster Miene, als hätte er nur Sinn für die feierliche Handlung, die sich eben vollzog. Hinter ihm her schritten die geringern Personen des Klosters, die Novizen in ihren weißen Chorhemden, dann die Laienbrüder, sich durch ihre Bärte auszeichnend, die von den Mönchen nur in besondern Fällen beibehalten wurden. Den Nachzug bildeten Weiber und Kinder mit mehreren Männern, die sämtlich über die bevorstehende Verwüstung ihres Klosters bittre Tränen weinten. In dieser Ordnung bewegte sich die Prozession einher, durch leise Klagetöne, die sich in den gemessnen Gesang der Mönche mischten, ihr Nahen kündend.

Auf dem Marktplatz des kleinen Dorfes Kennaqhueir, damals wie noch heutzutage sich durch ein uraltes Kreuz von prächtiger Schnitzerei auszeichnend, das neben einer vielleicht noch ältern, aber sicher ebenso hoch verehrten mächtigen Eiche stand, die wohl schon den Götzendienst der Druiden erlebt haben mochte, stellten die Mönche sich auf, das Te-Deum singend, und um sie her drängten sich alle diejenigen, die unter dem Banne des allgemeinen Schreckens standen. Dann trat eine feierliche Pause ein. Der Gesang der Mönche verstummte, die Wehklagen der Laien verstummten, und alles harrte in bangem Schweigen der Ankunft des ketzerischen Söldnertrupps. ... Endlich Stampfen und Wiehern von Rossen, dann blitzten hüben überm Dorfe Lanzen und Speere. Dann Waffengeklirr und laute Stimmen. Und nun zeigten sich am Hauptportal die ersten Reiter, die schnell zum Marktplätze hin sprengten. Paarweis, in geschlossener Ordnung, kamen sie, ritten um den Platz herum, bildeten Front nach der Straße zu, und so ging es fort in der gleichen Ordnung, bis sich der Marktplatz gefüllt hatte. Nun winkte der Abt leise, und gleich darauf stimmten die Mönche den feierlichen Gesang an: De Profundis clamari. ... Unterdes beobachtete der Abt die Reihen der Krieger, um zu erkennen, welchen Eindruck der Gesang auf sie mache. Alle wahrten Schweigen, aber auf manchem Gesicht malte sich deutlich die Verachtung, und fast alle andern zeigten Gleichgültigkeit, denn sie waren schon zu lange an ihr wildes Leben gewöhnt, daß durch Hymnen und Prozessionen noch ihre schlummernden bessern Gefühle hätten geweckt werden sollen. ...

Mittlerweile ritten langsam die Kommandanten heran, Earl Murray und Morton, beide in tiefem Gespräch begriffen, mit ihrem Gefolge, darunter auch Halbert Glendinning, bis in die Mitte des Platzes. Heinrich Warden, eben aus dem Kloster zurückgekehrt, gesellte sich sogleich zu ihnen. Er war übrigens der einzige, der bei der Unterredung der beiden Grafen zugegen sein durfte.

»Also seid Ihr wirklich entschlossen, Mylord,« sagte Morton, »die Erbin von Avenel mit all ihren Rechten und Ansprüchen diesem in Niedrigkeit gebornen jungen Menschen ohne Namen zu geben?«

»Hat Euch nicht Warden gesagt, daß sie zusammen aufgezogen worden sind?« fragte Murray, »und daß sie einander von Jugend auf in Liebe zugetan gewesen sind?«

»Nun, meiner Meinung nach recht romantische Gründe, Mylord von Murray, und kaum triftig genug, das junge Ding einem Bennygask zu weigern! Doch sagts nur unumwunden, Mylord! Ihr seht das feste Schloß lieber in den Händen eines Menschen, der, was er ist, Eurer Huld und Gnade verdankt, als in der Hand eines Douglas und meines engsten Verwandten!«

»Mylord von Morton,« sagte hierauf Graf Murray, »ich habe in der Sache nicht das geringste getan, was Euch kränken oder gar beleidigen könnte. Ich habe dem jungen Glendinning dieses Versprechen eigentlich schon gegeben zu Julians Lebzeiten, als er, außer der Lilienhand dieses Fräuleins, nichts zu erwarten hatte. Dahingegen habt Ihr für eine Heirat zwischen Mary Avenel und Eurem Verwandten ein Wort erst eingelegt, als Ihr Julian tot auf dem Schlachtfelde liegen sahet. Wahrlich, Mylord, Ihr erweist Eurem Vetter Bennygask nach meinem Dafürhalten keinen sonderlichen Gefallen, denn ihre Herkunft abgerechnet, ist sie doch nur eine Bauerndirne. Ich hätte gemeint, Ihr könntet für Eure Familie weit besser sorgen!«

Morton wollte eben hierauf erwidern, als sich Heinrich Warden, der protestantische Pfarrer, die Freiheit, die seinem Stande schon lange zustand, herausnahm zu einer Einmischung.

»Mylords,« sprach er, »ich muß der Pflicht gemäß, die mein Stand mir auferlegt, die beiden Edlen, die das Werk der Reformation so eifrig gefördert haben, ermahnen, sich nicht zu veruneinigen um eines alten Schlosses und einiger Sandhügel willen oder gar um einer alten Liebschaft willen, die zwischen einem geringen Lanzenreiter und einem in gleicher Niedrigkeit erzognen Mädchen sich gebildet hat ...«

»Edler Douglas,« sprach Murray, »ich glaube, unser frommer Warden hat im rechten Augenblicke das Wort genommen und hat mit dem wenigen, was er gesprochen, durchaus recht.« Hier reichte er Morton-Douglas die Hand. ... »Unsre Einigkeit ist für die gegenwärtige Lage unsers gemeinsamen Vaterlandes zu wichtig, als daß wir sie um geringfügiger Dinge wegen gefährden dürften. Dem Glendinning in diesem Falle den Willen zu tun, bin ich fest entschlossen. Ich kann nicht mehr anders, denn ich habe ihm mein Wort gegeben. Die Kriege, an denen ich beteiligt gewesen, haben manche Familie ins Elend gebracht. Laßt mir den Versuch, ob ich einmal eine Familie werde glücklich machen können! Es gibt Mädchen in Schottland genug, die sich besser schicken für Euern Vetter, und ich geb Euch das Versprechen, daß Bennygask eine treffliche Partie machen soll.«

»Mylord,« nahm Heinrich Warden wieder das Wort, »Ihr redet edel und wie ein echter Christ. O, laßt uns in diesem Lande des Blutvergießens die wenigen Spuren der Liebe nicht vertilgen, die sich noch darin vorfinden! Noch nun zu ...«

»Ich weiß, Warden, ich weiß! Dort steht der stolze Abt, von dem Ihr nun reden wollt. ... Aber Ihr habt nun schon so viel für ihn gesprochen, daß ich fast hätte sagen mögen: weniger wäre mehr gewesen! Sonst aber, Warden, hätt ich das Nest heut einmal richtig ausgehoben und all dies schwarze Gesindel hinausgeworfen.«

»Und ich meine,« sagte Morton, »das solltet Ihr jetzt auch noch tun! den Mönchen die Einkünfte nehmen, heißt ihnen die Fangzähne ausbrechen!«

»Nun, etwas rupfen wollen wir ihn doch, trotz aller schönen Worte unsers frommen Warden ... und wenn er in der Abtei verbleiben will, dann wird ihm nichts andres übrig bleiben, als uns den Piercie Shafton herauszurücken!«

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so waren sie auf den Marktplatz gelangt, und im selben Augenblick sprengte ein Herold aus dem Zuge, der die beiden mächtigsten Edelleute des Reiches begleitete, und ritt zu den Mönchen hinüber.

»Dem Abte des Liebfrauenklosters wird hiermit befohlen, vor dem Earl von Murray, dem Landesverweser, zu erscheinen!«

»Der Abt des Liebfrauenklosters,« lautete dessen Antwort, »behauptet in seinem Stiftsgebiete den Rang vor jedem weltlichen Lord. Er läßt demzufolge dem Earl von Murray sagen, derselbe möge sich zu ihm verfügen!«

Murray vernahm diese Antwort mit Hohnlächeln. Dann schwang er sich aus dem Sattel und näherte sich in Begleitung von Morton-Douglas und mehreren andern den um das Kreuz versammelten Mönchen, die von Schrecken vor dem mächtigen Manne befallen zu werden schienen. Aber der streitbare Abt strafte sie mit einem tadelnden Blicke. Dann trat er aus ihren Reihen heraus und direkt vor die Edelleute.

»Lord James Stuart, oder Earl von Murray, sofern dies Euer Titel ist, mit welchem Rechte, frage ich, Eustachius, Lord-Abt des Liebfrauenklosters, Euch hiermit, überfallt Ihr mit streitbaren Haufen unser friedliches Kirchdorf? Weshalb umzingelt Ihr meine Brüder? Nie weigerten wir Euch, wenn Ihr darum ersuchtet, die Gastfreundschaft! Denkt Ihr aber Gewalt gegen friedfertige Geistliche zu gebrauchen, so saget uns zuvor den Grund hierfür und laßt uns auch Zweck und Ziel solches Tuns wissen!«

»Herr Abt,« erwiderte Murray, »Eure Redeweise hätte sich für ein früheres Jahrhundert besser geeignet und für geringere Personen, als Ihr in uns vor Euch seht. Wir stehen nicht hier, um Fragen von Euch zu beantworten, sondern um an Euch Fragen zu stellen. – Warum habt Ihr den Frieden gebrochen dadurch, daß Ihr Eure Vasallen unter die Waffen riefet und die Lehnsleute der Königin aufbotet?«

» Lupus in fabula!« erwiderte voll Verachtung der Abt, »auch der Wolf warf ja dem Lamme vor, es habe das Bächlein getrübt, dieweil er doch oben am Laufe stand ... aber das gab ihm den Vorwand, das Lamm zu verschlingen. Ich hätte die Lehnsleute der Königin aufgeboten? Ich tat es, um das Land der Königin gegen Fremdlinge zu verteidigen! Ich tat also nichts, als meine Pflicht, und bedaure nur eins, daß ich zu schwach an Mitteln war, meine Pflicht mit stärkerm Nachdruck zu erfüllen.«

»Und Eure Pflicht war es auch, Verrätern und Empörern wider die Königin von England in Euern Klostermauern Unterstand zu geben?«

»In meinen jüngern Jahren,« erwiderte der Abt mit der gleichen Unerschrockenheit, »war es kein so schlimmes Ding, ein Krieg mit England, daß deshalb ein infulierter Abt einem Fremdling, der Gastfreundschaft bei ihm suchte, sie hätte weigern sollen. In meinen jüngern Jahren,« setzte der Abt hinzu, »hätte sich jeder Bauer geschämt, aus Furcht vor einem Zwiste mit England einem Fremden die Tür zu weisen. Allein in jenen Zeiten sahen Engländer selten das Gesicht eines schottischen Ritters anders als durch sein Visier.«

»Mönch!« sprach mit Nachdruck der Graf von Murray, »es soll Dir wenig frommen, daß Du versuchst, Dich in Ungezogenheiten zu überbieten! Wir leben nicht mehr in jenen Zeiten, da sich ein römischer Priester herausnehmen durfte, einem Edelmanne ungestraft Hohn zu sprechen! Den Piercie Shafton gib uns heraus, oder, bei meines Vaters Helmbusch! Deiner Abtei wird der rote Hahn aufs Dach gesetzt!«

»Sofern dieser Fall eintreten sollte, so werden die Trümmer meiner Abtei auf die Gräber Deiner Ahnen stürzen. Möge der Ausgang werden, wie er wolle, der Abt des Liebfrauenklosters liefert keinen Menschen aus, der Schutz in den Mauern des heiligen Zufluchtsortes gesucht hat!«

»Abt, bedenke Dich,« erwiderte Graf Murray, »und nötige uns nicht zu harten Maßregeln! Die Hände von Kriegern wie diesen,« setzte er hinzu, auf seine Mannen, zeigend, »werden in Zellen und zwischen Heiligtümern keine Euch genehme Arbeit verrichten. Also zwingt uns nicht zu einer Haussuchung, denn wir müssen den englischen Hund haben.«

»Das sollt Ihr nicht notwendig haben,« rief eine Stimme aus der Menge, und der Schönschwätzer, den Mantel von sich werfend, in den er sich gehüllt hatte, trat mit allem Anstand eines Edelmannes vor die Grafen und Edelleute, »hinweg mit der Wolke, die Piercie Shafton verdunkelte! hier, Mylords, erblickt den Ritter von Wilverton, der Euch die Schuld erspart, Gewalttat und Kirchenraub zu begehen.«

»Vor Gott und der Menschheit protestiere ich wider jeden Eingriff in die Rechte meines heiligen Klosters und seiner Schirmherrschaft,« rief der Abt mit lauter Stimme, die weithin über den Platz erschallte, »und mithin gegen die Festnahme dieses edlen Ritters. Sofern das Parlament Schottlands noch über ein Atom von Macht und Ansehen verfügt, werden wir diesen Fall anderswo zur Sprache bringen.«

»Erspart Euch Eure Drohungen,« erwiderte der Graf. »Möglich, daß mein Plan mit Sir Piercie Shafton anders ist, als Ihr vermutet, aber das beschäftigt uns hier jetzt nicht. Nehmt ihn in Haft, Herold, als unsern Gefangnen! Die Folgen treffen uns.«

»Ich gebe mich selbst in Gefangenschaft,« erklärte der Schönschwätzer, »behalte mir aber mein Recht vor, die beiden Mylords von Murray und von Morton zum Zweikampfe zu fordern für die mir als Edelmann angetane Schmach!«

»Still, Freundchen, still!« rief da eine Stimme aus der Schar der Hauptleute, und Stalwarth Bolton trat vor. »Nur ruhig, ganz ruhig, Kerlchen! Deiner Mutter Vater war nichts weiter als ein Schneiderlein, ich hab ihn gar gut gekannt, den alten Fadenspuler von Holderneß! Meinst, wir solltens vergessen, weil Du Dich erfrechst, Deine Herkunft zu verleugnen, und Dich wie ein aufgeblasner Vogel in unbezahlten Samt und Seide zu stecken und mit Kavalieren und Kammerherren Umgang zu halten? Molly Kreuzstich, Deine Frau Mama, war das niedlichste Marjellchen im ganzen Lande. Die ging mit dem wilden Shafton von Wilverton auf und davon, und der war, wie man sagt, mit den Piercies linker Hand verwandt. Ob sich die beiden hinterher noch geheiratet haben, kann sein. Bestreiten will ich es nicht, aber gehört davon hab ich nichts.«

»Holt doch dem edlen Ritter ein bißchen geweihtes Wasser!« rief höhnend Morton, »er ist so hoch herabgepurzelt, daß ihn schwindelt, infolge all des vielen Schwindels, den er uns aufgetischt hat!«

Wirklich sah Sir Piercie Shafton aus, als wenn ihn der Donner gerührt hätte, während sich niemand, selbst der heilige Abt nicht, eines Lachens enthalten konnte. »Lacht nur, Ihr ärgert mich damit doch nicht,« sagte Sir Piercie endlich, »aber erlaubt mir, an diesen Squire hier die Frage zu richten, zu welchem Zweck er diesen unseligen Flecken in einer sonst makellosen Abkunft an die große Glocke gehängt hat?«

»Ich?« fragte tief verwundert Glendinning, der mit am lautesten gelacht hatte, denn ihm galt die pathetische Frage des Gefoppten; »ich habe bis zur Stunde ja selbst keine Ahnung von diesem Zusammentreffen der Dinge gehabt.«

»Wie? nicht von Euch hätte dieser alte Krieger diese Kunde bekommen?« fragte mit steigender Verwunderung der Ritter.

»Nein! beim Himmel! von ihm nicht!« beteuerte Stalwarth Bolton, »denn ich hab den Jüngling ja mein Lebtag noch nie gesehen als hier und als heute!«

»O, würdiger Herr,« sagte da Frau Glendinning, die jetzt aus der Menge heraustrat. »Ihr habt ihn doch schon früher einmal gesehen ... Halbert, mein Sohn, das ist ja Stalwarth Bolton, dem wir unser Leben und die Mittel zu seiner Erhaltung verdanken. Und wenn er, wie es den Anschein hat, Gefangner im Heere der Schotten ist, so tue, was in Deinem Vermögen steht, ihm seine Lage zu erleichtern. Er hats um uns verdient! ...«

»Ach ja, gute Frau,« sagte Bolton, »in meine Stirn haben sich Furchen gegraben, seit wir uns nicht mehr gesehen haben, aber Deine Zunge hält die Probe besser als mein Arm. Dein Junge hat mir heut morgen weidlich zugesetzt! Er ist ein tüchtiger Kriegsmann geworden, der braune Wicht. Aber was ist denn aus Deinem andern, aus dem Weißkopfe, geworden?«

»Ach, mein Edward ist Mönch hier in der Abtei geworden,« erwiderte die Witwe.

»Ein Mönch und ein Landsknecht. Schlimm ausgesucht von allen beiden! besser hätten sie getan, wenn der eine ein Schneider geworden wäre wie der alte Fadenspuler von Holderneß. ... Damals hab ich sie Euch geneidet, die beiden schmucken Jungen, aber heut beklag ich Euch drum. ... Der Landsknecht stirbt auf offnem Felde, und der Mönch lebt knapp im Kloster.«

»Mutter, Mutter!« rief Halbert, »wo ist Edward? Kann ich nicht ein paar Worte mit ihm reden?«

»Er ist jetzt unterwegs mit einer Botschaft für den Lord-Abt,« beschied ihn Pater Philipp.

»Und Mary, Mutter?« fragte Halbert. Mary war in der Nähe, und bald waren die drei Menschen abseits von den andern, um sich zu erzählen, wie es ihnen in der Zeit, da sie sich nicht gesehen hatten, ergangen war.

Inzwischen hatte sich der Abt mit den beiden Grafen über die zukünftige Lage seines Klosters unterhalten und war durch kluge Nachgiebigkeit einer-, durch unbedingte Zähigkeit anderseits zu Abmachungen gelangt, die den bisherigen Fortbestand der uralten Gottesstätte einigermaßen sicherten. Dann legte der Abt ein gutes Wort für Piercie Shafton ein.

»Freilich, wohl ist er ein Geck, Mylords,« sprach er »aber er ist doch ein edelsinniger Geck, und Ihr mögt ihm heute wohl weher getan haben, als wenn ein Dolchstoß sein Herz getroffen hätte.«

»Oder eine Nadel,« erwiderte lachend Morton, »ich habe wahrhaftig immer selbst gemeint, dieser Schneidersenkel sei zum wenigsten einem fürstlichen Schoße entsprungen.«

»Indes muß ich dem Abte beistimmen,« bemerkte Murray, »es möcht uns kaum zur Ehre sein, wollten wir ihn an Elisabeth ausliefern. Aber an einen Ort müssen wir ihn schaffen, wo er weder ihr noch uns ferner zum Nachteil sein kann. Unser Herold mag ihn mit Stalwarth Bolton nach Dunbar bringen. Von dort soll er hinüber nach Flandern. Doch still! da kommt er ja eben mit seiner Donna am Arm.«

»Lords und andre,« sprach der Schönschwätzer mit unsagbarer Feierlichkeit. »Bitte, Platz für die Gemahlin Piercie Shaftons! dies Geheimnis, daß mir die Dame hier angetraut worden, sollte nicht eher über meine Lippen kommen, als bis mir das Schicksal die Umstände, es zu offenbaren, günstiger in meinem Leben geordnet hatte. Aber nun muß ich es schon heute ...«

»Aber das ist ja die Mysie Happer, die Tochter vom Klostermüller,« rief die Tibb Tacket, die sich ebenfalls mit unter der Menge befand, die sich der Prozession angeschlossen hatte, »so wahr ich lebe! Also so tief ist der Stolz Piercie Shaftons gesunken?«

»Ganz recht, es ist die liebenswerte Mysinda,« bestätigte der Ritter, »deren Verdiensten um ihren Herrn und Gemahl ein weit höherer Rang noch zukäme, als ich ihn ihr zu bieten im stande bin.«

»Und doch hätten wir,« meinte Graf Murray, »wohl nie in unserm Leben etwas davon vernommen, daß aus der Müllerstochter eine Lady geworden sei, hätte Stalwarth Bolton nicht die Schneidersherkunft bewiesen.«

»Mylord,« nahm hierauf der Gekränkte wieder das Wort, »sich an einem Manne zu reiben, der nichts zu erwidern vermag, sich in solch spöttischer Weise zu reiben, ist kein sonderliches Zeichen von Mut, und Ihr werdet, wie ich hoffe, wohl nicht außer Betracht lassen, was Ihr nach dem Kriegsgesetz einem Gefangenen schuldig seid, demgemäß also des häßlichen Gegenstands nicht weiter erwähnen. Sobald ich erst wieder Herr meiner selbst bin, werde ich um Mittel und Wege, mich davor zu bewahren, nicht eben verlegen sein.«

»Wenigstens doch in der Phantasie,« bemerkte Morton.

»Doch nun gut, Douglas,« sagte Murray, »sonst steht zu fürchten, daß Ihr ihn noch toll macht! Zudem haben wir Wichtigeres zu erledigen. Glendinning soll mit Mary Avenel durch Warden getraut werden. Dann soll er ungesäumt den Besitz der Herrschaft Avenel antreten. Ich bringe dies am besten ins reine, bevor wir aus der Gegend rücken.«

»Und ich meinerseits,« nahm hier der Klostermüller das Wort, »habe auch noch solche Metze Korn zu vermahlen, denn ich hoffe, es wird sich wohl von unsern frommen Vätern einer der Mühe unterziehen, eine Mutter mit ihrem zugestutzten Herrn Bräutigam zu kopulieren.«

»Das ist nicht mehr von nöten,« erwiderte Sir Piercie Shafton, »denn diese Zeremonie ist bereits in aller Form vollzogen worden.«

»Aber es wär doch ganz gut, die Sache geschähe noch einmal,« erwiderte der Müller, »denn es ist immer besser, man sieht alles mit eignen Augen. Das ist meine Rede auch immer, wenn ich den Mahlgroschen zweimal vom gleichen Sacke nehme. Und dann bleiben wir ja doch beim eignen Gewerbe, denn Euer Großvater hat doch gewiß immer gesagt: Doppelt genäht hält!«

»Schafft ihm den Mann vom Halse, der mechanisch das Korn verarbeitet, daß es Brot werden kann,« sagte der Graf unter Lachen, »sonst quält er ihn noch zu Tode! Mylord, der Lord-Abt lädt uns ins Kloster ein. Ich denke, wir leisten seiner Freundlichkeit Folge, und Sir Piercie wird sich, denke ich, hiervon nicht ausschließen. Ich muß das Fräulein von Avenel kennen lernen, denn morgen habe ich Vaterstelle bei ihr zu vertreten. Ganz Schottland soll sehen, wie Graf Murray einen getreuen Diener belohnt.«

Mary Avenel und Glendinning begaben sich, statt in das Kloster, einstweilen in ein Haus des Dorfes, aus Rücksicht auf den Abt, den sie durch ihre Anwesenheit, als von der alten Kirche abtrünnig, nicht kränken durften. Am andern Tage aber wurden sie in Anwesenheit der beiden Earls von Schottland durch Heinrich Warden nach protestantischem Ritus getraut, und am selben Tage begaben sich, nachdem der Müller seinen Willen durchgesetzt hatte und das Paar im Kloster in seiner Anwesenheit noch einmal getraut worden war, Sir Piercie Shafton mit seiner Gemahlin und mit Stalwarth Bolton an die Seeküste, wo sie sich nach Flandern einschifften. Am übernächsten Tage setzten die beiden Earls mit ihren Truppen ihren Ritt nach dem Schlosse Avenel fort, wo der junge Ehegemahl mit dem weltlichen Besitztume seiner jungen Ehegattin belohnt werden sollte.

Das vollzog sich ohne alle Störung. Aber Mary Avenel nahm von dem Erbe ihrer Väter nicht Besitz, ohne daß sich jene Vorbedeutung gezeigt hätte, die sich immer zeigte, wenn sich irgend ein wichtiger Vorgang in ihrem Hause oder ihrer Familie vollzog. Frau Tibb Ticket und Martin Tibbet erblickten nämlich an diesem Tage die gleiche kriegerische Gestalt, die sie damals gesehen hatten, als sie an den veränderten Glücksumständen ihrer jugendlichen Herrin Anteil bekommen hatten und mit ihr in Glendearg eingezogen waren. Sie schwebte nämlich vor den Reitern hin, als sie über den langen Dammweg zogen, blieb bei allen Zugbrücken stehen und winkte wie im Triumphe mit der Hand, als sie unter dem düstern Torwege verschwand, über welchem man die Wahrzeichen der Avenels eingegraben sieht.

Frau Glendinning aber begleitete stolzen Herzens den Sohn, um es mit anzusehen, wie er Aufnahme fand unter den Baronen des Landes.

»O, mein geliebter Sohn,« sprach sie, »das Schloß Avenel ist fest und stark, und doch wünsche ich Dir und Deiner Ehefrau, Ihr möchtet Euch niemals zurücksehnen nach den unruhigen Bergen von Glendearg, denn noch immer ist das schwere Spiel nicht zu Ende, noch immer sind die letzten Trümpfe nicht gezogen!«

Edward hielt sich während dieser ganzen Zeit im väterlichen Turme verborgen. Wohl hieß es, der Abt habe ihm wichtige Arbeit zugewiesen, in der Hauptsache trug dieser aber den Wunsch im Herzen, ihn nicht zum Zeugen der weltlichen Triumphe seines Bruders zu machen. Endlich war aber auch er nicht mehr im stande, in den öden Gemächern zu verweilen, wo ihn alles erinnerte an die mühseligen Jahre der Jugend, die ihm wie unzufriedne Geister vor den Augen hinzogen und bei jedem Schritte, den er machte, neue Gegenstände heraufbeschwörten, die ihm Ursache gaben zu Gram und Herzeleid. Und da stürmte er hinaus und hinunter in das Tal, wie wenn er dort die Bürde abschütteln wolle, die auf seinem Herzen lastete. Eben ging die Sonne zur Rüste, als er den Eingang von Corrinan-Shian erreichte, und was er bei seinem letzten Besuche der verrufenen Schlucht erblickte, dessen erinnerte er sich nun wieder lebhaft. Aber diesmal war es ihm mehr zu Mute, Gefahren aufzusuchen, als ihnen aus dem Wege zu gehen, wie damals.

»Ich will den geheimnisvollen Worten ins Auge sehen,« sprach er, »denn das Schicksal hat mir gekündet, daß es mich in dies finstre Gewand hüllen werde. Nun will ich wissen, ob es mir sonst nichts zu sagen hat über mein Leben, das doch nicht anders werden kann als kläglich und erbärmlich.«

Und wirklich sah er den weißen Geist wieder an derselben Stelle sitzen, wie damals, und wieder hörte er ihn singen mit der bekannten leisen, halb verschwommenen Stimme, und während er sang, da war es, als schaue er mit Blicken der Kümmernis nieder auf seinen goldnen Gürtel, der sich nun zu feinen seidnen Fäden verdünnt hatte ...

»Lebe wohl nun, Ginster grün,
Nimmer seh ich Dich forthin
Glänzend hell mit allen Zweigen
Meiner schwachen Kunst sich neigen,
Daß die Hindin scheu entflieht,
Die dich hauchlos flattern sieht.

Quell, ade! denn nicht mehr lang
Murmelst du zu meinem Sang,
Wenn Deine Blasen trüben Tanz
Bilden in kristallnem Glanz,
Steigen, schwellen, platzen, springen,
Plänen gleich, die nicht gelingen.

O, des Schicksals Knoten schau!
Bau'r ist Lord, und Maid ist Frau!
Umsonst hatt ich durch Zaubers Macht
Den Liebsten von ihr weggebracht.
Welke, Strauch! versiege, Quell!
Tief herab sank Avenel!«

Und während dieses leisen, verschwommenen Gesanges war es, wie wenn die Gestalt Tränen vergösse ... und ihr Singsang führte herbes Weh in Edwards Herz, denn ihm war, als senke sich über Marys Ehe mit seinem Bruder eine finstre Wolkenlast, die ihnen Schlimmes zuführte. ...

Schluß.

 << zurück