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Zweites Kapitel.

Bevor wir fortfahren, dieses Zusammentreffen des Abtes vom Sankt Marien-Kloster mit Halbert Glendinning in einer für den Lebenslauf des letztern so entscheidungsvollen Stunde zu schildern, müssen wir ein paar Worte über seine Gestalt und seine Aufführung einflechten.

Halbert stand nun in seinem neunzehnten Lebensjahre. Er war behend und schlank, nicht stark, aber von jenem muskulösen Gliederbau, der bei voller Ausgewachsenheit und richtiger körperlichen Ausbildung große Stärke erwarten läßt. Er war streng ebenmäßig gebaut und besaß gleich vielen Männern, die sich solchen Vorzugs erfreuen, eine angeborne Grazie und Gewandtheit im Auftreten, die nicht zuließ, daß man seine Körpergröße, die volle sechs Fuß betrug, als das hervorragendste Moment seiner Erscheinung ins Auge faßte. Diese außerordentliche Größe im Verein mit dem vollkommenen Ebenmaß seiner Gestalt und der edlen Grazie seiner Haltung gaben dem jungen Glendinning ganz unbedingte Vorteile selbst vor dem Ritter Piercie Shafton, der von Figur kleiner war und dessen Gliederbau, wenn auch im einzelnen tadellos, doch im ganzen nicht das gleiche schöne Verhältnis aufwies. Anderseits hatte der Ritter durch seine chevalereske Haltung einen nicht unbedeutenden Vorteil vor dem jungen Schotten voraus, den er auch an Regelmäßigkeit der Züge und an Glanz der Haut übertraf. Die Züge des jungen Schotten waren mehr kräftig als schön gezeichnet, und die rot und weiße Färbung seiner Haut war durch den Einfluß von Luft und Himmel in völliges Nußbraun gewandelt, das nun Wangen, Nacken und Stirn gleichmäßig färbte, nur vielleicht auf letzterer noch um einige Grade tiefer glühte. Für den wirkungsvollsten Teil seines Antlitzes mußte man seine Augen halten, die groß waren und tiefnußbraune Färbung aufwiesen, aber in Augenblicken seelischer Erregtheit in einem so ungewöhnlichen Glanze funkelten, daß man tatsächlich den Eindruck gewann, als ob sie Licht ausstrahlten. Auch sein Haar wies dunkelbraune Färbung auf und war von Natur zu dichten Locken gekräuselt, die seine Gesichtszüge noch lebensvoller erscheinen ließen und einen weit kühnern und regern Geist verrieten, als sein sonstiges Wesen, das einen Eindruck von Blödigkeit und Unbeholfenheit machte, auf den ersten Blick erwarten ließ.

Der Anzug, den der Jüngling trug, war auch nicht so beschaffen, daß er sein Wesen hätte anmutiger erscheinen lassen können. Die Jacke und Beinkleider, die er trug, waren von grobem Bauerntuch und ebenso auch seine Mütze. Um den Leib trug er einen Gurt, dessen Aufgabe war, das breite große Schlachtschwert zu tragen, von dem schon wiederholt die Rede gewesen ist, sowie etwa ein halbes Dutzend Pfeile und Bolzen und ein breites Messer mit Griff aus Hirschhorn, das für einen Dolch galt und an der rechten Seite steckte. Damit wir seinen Anzug vollständig schildern, sei noch der weiten Stiefel aus Hirschleder gedacht, die sich bis ans Knie heraufziehen oder bis auf die Waden niederfallen ließen, je nachdem es dem Träger paßte. Wer zu damaliger Zeit viel der Jagd oblag, dem waren solche Stiefel wegen der vielen Dickichte, durch die der Weg im Walde führte, unentbehrlich.

Schwieriger fällt es, zu schildern, wie sich die Seele des jungen Glendinning Ausdruck durch die Augen schuf, als er sich so unvermuteterweise Personen gegenüber sah, die er von frühester Jugend mit Ehrfurcht zu behandeln gelehrt worden war. Aus seiner Haltung sprach ein gewisser Grad von Verlegenheit, doch lag in derselben weder ein knechtischer Sinn, noch eine auffällige Verwirrtheit. Sie war vielmehr nicht größer, als sie sich für einen Jüngling schickt, der mit Hochherzigkeit und Freimut einen kühnen Geist verbindet, aber nicht über das geringste Maß von Lebenserfahrung gebietet, und zum ersten Male sich in einer solchen Gesellschaft befindet und unter solchen für ihn doch recht ungünstigen Verhältnissen zum ersten Male selbständig denken und handeln soll. In seinem ganzen Benehmen kam nicht der geringste Grad von Voreiligkeit oder Schüchternheit zum Ausdruck.

Er kniete nieder und küßte dem Abte die Hand, dann richtete er sich auf, trat ein paar Schritte zurück und verneigte sich respektvoll vor der versammelten Gesellschaft, ließ ein weiches Lächeln auf seine Lippen treten, als ihn ein ermutigender Blick aus den Augen des Unterpriors traf, und errötete, als er Mary Avenels besorgten Blicken begegnete, die der Prüfung, die ihr Pflegebruder bestehen sollte, mit einem gewissen Grade von Bangigkeit entgegensah. Er faßte sich aber bald, die Ergriffenheit infolge des Blickes aus diesem Mädchenauge schwand, und nun stand er gelassen und ruhig da und harrte der Anrede des Lord-Abts.

Sichtlich machte er auf die geistlichen Herren einen günstigen Eindruck. Der Abt blickte um sich und tauschte mit seinem Berater, dem Pater Eustachius, einen befriedigenden Blick des Einverständnisses, wenngleich die Anstellung eines Forstadjunkten oder Bogenführers schwerlich zu jenen Dingen gehörte, bei denen er auf den Rat seines Unterpriors zurückgreifen mußte. Allein der günstige Eindruck, den die äußere Erscheinung des Jünglings machte, legte es ihm näher, sich zu dem Funde einer für solchen Posten so trefflich geeigneten Persönlichkeit zu gratulieren, als daß er sich zu andern Regungen hätte bestimmt fühlen sollen. Pater Eustachius empfand jene Freude, die in ein freundlich besaitetes Gemüt einzieht, wenn es sich dem Glück eines jungen Menschen gegenüber fühlt, denn da er dem Jüngling seit jenem Wechsel der Umstände, die in seine Anschauungen und sein Wesen solche Wandlung gebracht hatten, nicht mehr begegnet war, hegte er nicht den mindesten Zweifel, daß ihm das Amt eines Forstadjunkten im Dienste des Klosters als ein Glück erscheinen werde. Dem Küchenmeister sowohl als dem Tafeldecker gefiel der Jüngling dermaßen, daß sie zu meinen schienen, Sold und Einkünfte, Portionen, Weide, Rock und Hosen hätten keinem Bessern angeboten werden können, als dem Jüngling mit der muntern, lebensvollen Gestalt, die jetzt vor ihnen stand.

Im Gegensatze zu ihm schien Sir Piercie das Interesse an dem Jüngling, vielleicht weil er zu tief in seine persönlichen Betrachtungen versenkt war oder auch, weil er den Gegenstand nicht für bedeutend genug hielt, sich mit ihm zu befassen, nicht zu teilen. Die Augen halb geschlossen, die Hände verschränkt über der Brust haltend, saß er da, wie in weit tiefere Betrachtungen versunken, als sich aus der gegenwärtigen Szene schöpfen zu lassen schienen. Indessen war, trotz der scheinbaren Versunkenheit und Zerstreutheit, ein Zug von Eitelkeit aus der Haltung des Ritters nicht verschwunden, wenigstens nahm er eine galante Stellung nach der andern an, wenn er sie auch vielleicht nur allein in diesem Sinne auffaßte, und heftete pausenweis verstohlene Blicke auf die Damen der Gesellschaft, in der Absicht, sich Gewißheit darüber zu verschaffen, inwieweit es ihm glückte, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, die von diesem Teile in weit höherm Maße den wenn auch nicht so regelmäßigen, aber um so energischeren und männlicheren Zügen Halberts geschenkt wurde.

Von den zur Glendearger Familie gehörigen Frauen war allein die Müllerstochter in der angenehmen Stimmung, die Posituren, in die der Ritter sich setzte, mit Muße zu betrachten, beziehungsweise zu bewundern; denn Mary von Avenel und Frau Glendinning sahen mit ängstlicher Besorgnis der Antwort entgegen, die von Halbert auf das Erbieten des Abtes erteilt werden würde, und erwogen voller Furcht die Folgen, die sich aus seiner etwaigen Weigerung, darauf einzugehen, für ihn und sie alle ergeben möchten. Ganz anders als Halbert benahm sich der jüngere Bruder Edward. Von Natur schüchtern, um nicht zu sagen blöde und scheu, hatte er bislang so gut wie unbeachtet in einer Ecke des Raumes gestanden, und der Abt, übrigens erst infolge einer unmittelbaren Anregung seines Unterpriors, hatte sich nur flüchtig bei ihm erkundigt, wie weit er im »Donat« und im » Promptuarium Parvulorum « vorgedrungen sei, ohne die Antwort des jungen Burschen übrigens abzuwarten. Aus diesem Winkel hatte sich nun Edward an die Seite des Bruders geschlichen und sich hinter ihn postiert, dann verstohlen mit der linken Hand nach seiner rechten gegriffen und ihm durch einen sanften Druck, den der andre gleich kräftig und frisch erwiderte, zu verstehen gegeben, daß er Anteil an der Lage nehme, in die er durch den Zufall geraten sei, und daß er willens sei, das Los, das ihn treffen werde, mit ihm zu teilen.

In dieser Weise hatte die Gesellschaft sich gruppiert, als der Abt nach einer Pause von ein paar Minuten, die er brauchte, um behaglich seinen Becher auszuschlürfen, sich mit geziemender Würde anschickte, seinen Antrag zu stellen.

»Mein Sohn,« hub er an, »wir, Euer rechtmäßiger Oberherr, und nach Gottes Willen und Beschluß Abt der Brüderschaft zur heiligen Jungfrau, haben von Euren mancherlei ... hm, hm ... geschickten Fähigkeiten, vornehmlich das Weidwerk anbelangend, Kunde erhalten, insonderheit von der echt jagdgerechten Weise, wie Ihr das Wild zu schießen versteht, ehrlich und recht, wie es sich für einen redlichen Freisassen schickt, ohne des Himmels Gaben und Geschenke zu mißbrauchen durch Schädigung des Fleisches, wie dies von seiten nachlässiger Jäger so häufig geschieht, ... hm, hm!«

Der Abt machte eine Pause, fuhr aber, als er wahrnahm, daß sich Halbert Glendinning, statt zu antworten, mit einer Verbeugung begnügte, in seiner Ansprache fort wie folgt:

»Mein Sohn, Eure Bescheidenheit finden wir löblich, nichtsdestoweniger ist es unser ausdrücklicher Wunsch, daß Ihr Euch frei und unbehindert äußert zu der Beförderung, die wir Euch zugedacht haben, zu dem Amt eines Bogenführers und Forstadjunkten über sämtliche Jagden im Forste, mit denen unser Kloster ausgestattet worden ist durch Schenkungen frommer Könige und Adeliger, deren Seelen jetzund die Früchte ihres Edelmuts gegen die Kirche in wahrer Himmelsfreude genießen, wie auch über all jene andern Jagden und Forste, die uns nach dem ausschließlichen Eigentumsrecht auf alle Zeiten gehören. So kniee denn nieder, mein Sohn, auf daß wir Dich eigenhändig und ohne Zeitverlust in Dein Amt einweihen können.«

»Kniee nieder!« sagte der Küchenmeister auf der einen und sagte zugleich der Tafeldecker auf der andern Seite des Abtes.

Halbert Glendinning jedoch blieb stehen.

»Wollte ich Euer Hochwürden und Herrlichkeit meine Dankbarkeit und Erkenntlichkeit bezeugen,« nahm nun er das Wort, »so läge der Boden nicht tief genug für mich zu knieen, und die Zeit wäre nicht lang genug, Euch meine Demut zu bezeugen. Allein ich kann weder das eine noch das andre tun, denn ich darf die Belehnung mit Eurer edlen Gabe nicht entgegennehmen, Mylord und Abt, weil ich bereits andre Entschlüsse, mein Glück in der Welt zu suchen, gefaßt habe.«

»Was sind das für Reden, Freund?« versetzte, die Stirn runzelnd, der Abt: »habe ich richtig verstanden, was Ihr sagtet? Ihr, als Vasall unsers Klosters geboren, könntet in dem Augenblick, da ich Euch solch großmütiges Zeichen meines Wohlwollens gebe, statt in meine Dienste in fremde treten wollen?«

»Mylord und Abt,« nahm Halbert Glendinning wieder das Wort, »es schmerzt mich, denken zu müssen, daß Ihr mich für fähig halten werdet, Euren liebreichen Antrag für gering zu achten oder fremden Dienst dem Eurigen vorzuziehen. Nein, Mylord und Abt, Euer edler und großmütiger Antrag beschleunigt nur die Ausführung eines Entschlusses, den ich schon seit langer Zeit in meinem Herzen gefaßt habe.«

»Wirklich, mein Sohn?« erwiderte der Abt; »ei, Du hast ja beizeiten gelernt, Dich über den Rat derjenigen Personen hinwegzusetzen, von denen Du von Rechts wegen abhängig bist. Aber wie steht es denn im Grunde um den Entschluß, den Du in Deiner eignen Weisheit gefaßt hast?«

»Mein Entschluß, heiliger Vater, geht dahin, allen Anteil, der von dem durch meinen Vater Simon Glendinning hinterlassenen Lehen mir gehört, an meine Mutter und meinen Bruder abzutreten, an Eure Herrlichkeit die demütige Bitte zu richten, Ihr möget beiden ein so gütiger und edelmütiger Oberherr bleiben, wie bisher und wie es Eure Vorgänger, die würdigen Aebte des Liebfrauenklosters, meinem im Kampfe für klösterliche Interessen auf dem Blachfeld gebliebenen Vater immer gewesen sind, und was dann mich Persönlich angeht, mein Glück auf dem besten Wege, der sich mir öffnet, zu versuchen.«

Von mütterlicher Besorgnis gequält und angefeuert, wagte hier die Witwe das Schweigen, das sie bisher gewahrt hatte, zu brechen durch den Ausruf: »O, mein Sohn! mein Sohn!« und Edward, der sich an den Bruder klammerte, flüsterte ihm ängstlich zu: »Aber, Bruder! Bruder!«

Der Unterprior meinte auf grund der Teilnahme, die er der Glendearger Familie allezeit bewiesen hatte, zu Worten herben Tadels berechtigt zu sein und sprach in strengem Tone:

»Eigenwilliger Jüngling! welcher törichte Sinn kann Dich bestimmen, die Hand von Dir zu stoßen, die sich Dir zur Hilfe entgegenstreckt? Welches Ziel schwebt Dir vor, daß Du ein Anerbieten verächtlich von der Hand weist, das Dir eine anständige Stellung und unabhängige Zukunft sichert?«

»Vier Mark jährlich auf den Tag!« bemerkte, zu seiner Litanei wieder ansetzend, der Küchenmeister.

»Viehweide, Rock und Beinkleid!« setzte der Tafeldecker hinzu.

»Still, meine Brüder!« sagte der Unterprior. »Eure Herrlichkeit möchte ich aber bitten, dem eigenwilligen Jüngling einen Tag zur Ueberlegung zu vergönnen. Ich will dann versuchen, ihn eines Bessern darüber zu belehren, was er auf solches Anerbieten seines Lehnsherrn seiner Familie und sich selbst schuldig ist.«

»Eure große Güte, ehrwürdiger Vater, verpflichtet mich zu außerordentlichem Dank, ist sie doch die Fortsetzung einer ganzen Reihe von Wohltaten, deren sich unsre Familie von Eurer Seite zu erfreuen gehabt hat, Wohltaten, denen ich nicht das geringste als Gegenleistung zu bieten habe. Es ist das Mißgeschick, das sich an meine Fersen heftet, und nicht Eure Schuld, hochwürdiger Herr, wenn Eure Absicht vereitelt wird. Aber mein gegenwärtiger Beschluß steht fest und ist unwandelbar. Ich kann also den gütigen Antrag des Lord-Abtes nicht annehmen, denn mein Los ruft mich auf eine andre Stätte, wo ich entweder mein Leben anders gestalten oder beschließen werde.«

»Bei der heiligen Jungfrau,« rief der Abt, »ich glaube, diesen jungen Menschen hat die Tarantel gestochen? oder er ist wirklich, wie Ihr vorhin sagtet, Herr Ritter Piercie, für solche Auszeichnung untauglich. Sagt mir doch, habt Ihr etwa seine verkehrte Art schon früher gekannt, als es uns beschieden ist, sie kennen zu lernen?«

»Nein, nein, Mylord-Abt,« versetzte der Ritter mit der von ihm bei solchem Anlaß immer sehr geschickt gespielten Gleichgültigkeit, »ich taxiere ihn einzig und allein nach seiner Herkunft und Erziehung, denn aus einem gemeinen Habichtsei wird wohl nie ein Edelfalke herauskommen.«

»Du bist selbst ein gemeiner Habicht!« rief dem Ritter der Jüngling zu, ohne sich einen Augenblick zu besinnen.

»Solche Rede in unsrer Gegenwart solchem vornehmen Herrn?« sprach der Abt, indem ihm das Blut die Wangen purpurn färbte.

»Jawohl, hochwürdigster Herr,« erwiderte Halbert, »gerade in Eurer Gegenwart will ich diesem stattlich herausstaffierten Musje den Schimpf heimzahlen, den er in so grundloser Weise auf meinen Namen gehäuft hat. Ich bin solche Abfindung schon allein meinem braven Vater schuldig, der es durch seinen Tod in der Schlacht wahrlich nicht verdient, von solchem Hansdampf in seiner Ehre gekränkt zu werden.«

»Unerzogener Knabe!« rief der Abt.

»Hochwürdigster und gnädigster Herr Abt,« wandte sich der Ritter an den geistlichen Würdenträger, »werdet, bitte, diesem Bauernbub nicht böse! Und was meine Person in diesem Falle anbetrifft, so darf ich Euch versichern, daß eher der Nordwind einen Felsen aus seinen Grundfesten heben wird, als daß den Ritter Piercie Shafton irgend welches Wort aus solches Bauernflegels Munde, und sei es noch so flegelhaft, in seiner Ruhe zu stören vermöchte.«

»So stolz Ihr auch tut, Herr Ritter,« erwiderte Halbert, »so solltet Ihr in Eurer eingebildeten Ueberlegenheit doch nicht allzu fest darauf bauen, daß Ihr absolut nicht verwundbar seiet.«

»Von Deiner Seite,« entgegnete der Ritter, »kann mich nichts verwunden!«

»Nun, kennst Du dieses Zeichen?« rief der junge Glendinning, indem er dem Ritter die silberne Nadel vor Augen hielt, die ihm die weiße Frau gegeben hatte.

Solch jähen Uebergang aus einer Stimmung in die andre, wie sie sich jetzt bei dem Ritter vollzog, der aus dem Stadium hochmütigsten Frohsinns in das der unsinnigsten Leidenschaftlichkeit verfiel, dürfte noch kaum erlebt worden sein. Er erinnerte in diesem Augenblick an zwei Kanonen, von denen eine geladen in der Schießscharte steht, die andre von der Lunte unter Feuer gesetzt wird. Bebend vor Wut an allen Gliedern, stand er da wie außer sich, während in seinem vom Grimm verzerrten Gesicht ein Grad von Wildheit zum Ausdruck gelangte, der ihm mehr mit einem Besessenen als einem mit seinen fünf gesunden Sinnen ausgestatteten Menschen Ähnlichkeit gab. Er ballte die Fäuste, streckte sie weit vor sich und hielt sie dem jungen Glendinning vor die Augen, der über solchen Ausbruch von Wahnwitz und Raserei selbst ganz außer sich geriet. Auf einmal aber zog Sir Piercie die geballten Fäuste wieder an sich, gab sich mit der offnen Hand einen Schlag vor die Stirn und rannte im Zustande maßlosester Erschütterung aus dem Gemache. Dies alles geschah so plötzlich, daß sich kein Mensch hineinzumischen vermochte.

Nach dem Verschwinden des Ritters trat auf einen Moment vollständige Stille ein. Dann wurde allseitig die Forderung laut, daß Halbert Glendinning ohne Säumen erklären solle, wie er imstande gewesen sei, eine so unbedingte Wandlung in dem Betragen des Ritters mit solcher Plötzlichkeit zu bewirken.

»Ich habe nichts weiter mit dem Ritter gemacht,« antwortete er, »als was Ihr gesehen habt. Soll ich Rede und Antwort stehen für seine wunderlichen Grillen?«

»Knabe,« entgegnete der Abt in dem strengsten Tone, den seine Würde ihm lieh, »mit dergleichen Ausflüchten wirst Du bei mir keinen Erfolg haben. Sir Piercie ist kein Mann, der sich durch eine augenblickliche Laune dermaßen aus der Fassung bringen ließe. Du allein bist die Veranlassung dazu gewesen, Du mußt also Aufklärung geben können über den Fall. Ich befehle Dir, mir auf der Stelle zu sagen, wie Du unsern Freund in solcher Weise aufzuregen vermochtest. Wir dulden nicht, daß unsre Gäste in unsrer Gegenwart durch unsre Vasallen in solche an Wahnsinn streifende Aufregung versetzt werden, während wir selbst nicht einmal die Mittel kennen, wodurch solches bewerkstelligt wurde.«

»Bei meinem Leben, heiliger Vater,« rief Halbert Glendinning, »ich habe dem Ritter weiter nichts gezeigt, als dieses Ding hier,« erwiderte Halbert, indem er die Nadel dem Abte übergab, der sie mit aufmerksamen Blicken betrachtete und dann mit Kopfschütteln, ohne jedoch ein Wort hinzuzusetzen, dem Unterprior einhändigte.

Pater Eustachius betrachtete das geheimnisvolle Ding ebenfalls auf das aufmerksamste, dann sprach er ernst und gemessen zu Halbert:

»Junger Mann, sofern Du in dieser Sache nicht eines merkwürdigen Betruges verdächtig bleiben willst, so laß uns unverzüglich wissen, auf welche Weise Du in den Besitz dieses Gegenstandes gelangt bist, und wie es kommt, daß es auf den Ritter von solch merkwürdigem Einfluß ist?«

Es wäre bei dem zur damaligen Zeit herrschenden Aberglauben eine sehr schlimme Sache für Halbert gewesen, wenn er auf solche verfängliche Frage die Antwort hätte verweigern, noch schlimmer aber, wenn er die Wahrheit hätte sagen wollen. Wäre er zu unsrer Zeit mit dem schlimmen Rufe eines gemeingefährlichen Lügners weggekommen, so wäre ihm damals der Brandpfahl im Falle, daß er die Wahrheit gesagt hätte, unbedingt sicher gewesen, während er sich, wollte er die Auskunft weigern, der peinlichen Befragung hätte versehen können. Zum Glück erlöste ihn die Rückkehr des Ritters aus dieser höchst gefahrvollen Lage. Derselbe hatte die Worte des Priors bei seinem Eintritt noch vernommen, und ohne abzuwarten, ob und was Halbert noch etwa antworten werde, flüsterte er diesem im Vorbeigehen zu: »Schweig! Die gewünschte Genugtuung soll Dir nicht vorenthalten bleiben.«

Hierauf setzte er sich wieder auf seinen Platz, und wenngleich die Spuren seiner Verwirrung noch immer auf seiner Stirn zu lesen standen, so hatte er sich allem Anschein nach wieder gefaßt und beruhigt und entschuldigte sich, nachdem er sich umgesehen hatte, wegen des unmanierlichen Verhaltens, dessen er sich schuldig gemacht hatte, das er aber einem plötzlichen Unwohlsein heftiger Art, von dem er öfter einmal befallen werde, zuschrieb. Alle schwiegen und sahen einander voll Verwunderung an. Der Abt hieß nun alle bis auf den Ritter und den Unterprior das Gemach verlassen.

»Habt acht auf den eigenwilligen Jüngling,« schärfte er den Klosterbrüdern ein, »daß er uns nicht entrinne, denn sofern er durch Zauberwerk oder auf irgend welche andre, wider kirchliches Recht verstoßende Weise der Gesundheit unseres vornehmen Gastes zu nahe getreten sein sollte, so schwöre ich bei dem Chorhemd und der Inful, die ich trage, daß er maßlose Strafe erleiden soll.«

»Gnädiger Herr und hochwürdiger Vater,« sagte Halbert, indem er sich tief verneigte, »fürchtet nicht, daß ich gesonnen sei, mich dem Gericht zu entziehen, wenn es sein Urteil sprechen sollte über mein Tun und Lassen, hoffentlich wird Euer Gast selbst angeben können, was ihn in solche Unruhe versetzt hat, wie auch mir Zeugnis ausstellen darüber, wie gering meine Schuld bei dem ganzen Vorfall ist.«

»Sei ohne Sorge,« erwiderte, ohne jedoch aufzublicken, der Ritter. »Ich werde dem Lord-Abt Erklärungen zufriedenstellender Art geben.«

Nach diesen Worten zog sich die Familie Glendearg mit Halbert und den Klosterbrüdern zurück. Der erste, welcher das Wort ergriff, als der Abt allein war mit dem Ritter und dem Unterprior, war der letztere.

»Klärt uns darüber auf, edler Herr,« begann er, »auf welche Weise dieses gebrechliche Ding im stande hat sein können, Euer Gemüt so aufzuregen und Eure Geduld so zu erschöpfen, was uns um so mehr befremden muß, als Ihr Euch doch gegen jede Herausforderung des eigentümlichen Jünglings so gänzlich unnahbar erwieset?«

Der Ritter nahm die silberne Nadel aus der Hand des frommen Paters, beaugenscheinigte sie mit großer Ruhe und gab sie hierauf dem Prior mit den Worten wieder:

»Ich muß mich wirklich wundern, ehrwürdiger Vater, daß die mit Eurem Silberhaar verbundne Weisheit auf falscher Fährte, entschuldiget bitte diesen Vergleich, anschlagen kann wie ein kläffender Hund. Ich müßte ja leichter in Bewegung zu versetzen sein wie Espenlaub im Windeshauch, wenn solche Lappalie mich aus der Fassung bringen sollte. Ich schere mich, das dürft Ihr mir glauben, hochwürdige Herren, nicht mehr darum, als wenn dieselbe Menge Silber zu Groschen geschlagen würde. Die ganze Sache liegt bloß an einer schweren Krankheit, der ich von Kindheit an unterworfen bin und die mich eben wieder vor Euren Augen befallen hat. Aber so qualvoll das Leiden auch ist, es geht glücklicherweise, wie Ihr ja selbst seht, schnell vorüber.«

»Alles, was Ihr uns da sagt, Herr Ritter, kann den Jüngling nicht entschuldigen, der Euch dieses silberne Spielzeug in der Absicht, Euch an etwas, und wie wir annehmen müssen, etwas recht Unangenehmes, zu erinnern, vor Augen hielt,« bemerkte der Unterprior, sich niedersetzend.

»Euer Ehrwürden mögen meinen, was Euch beliebt,« versetzte der Ritter. »Ich kann doch deshalb nicht Euch zu Liebe sagen, daß Ihr mit Eurem Urteil Euch auf der richtigen Fährte befändet, wenn es doch die falsche ist. Es liegt mir doch wohl nicht die Verpflichtung ob, Rechenschaft über das Beginnen eines naseweisen jungen Menschen zu geben?«

»Keinesfalls wollen wir eine Untersuchung weiter ausdehnen,« erwiderte der Unterprior, »die unserm Gaste mißfällt. Immerhin kann aus diesem Vorfall,« fuhr er fort, sich an den Abt wendend, »für Eure Herrlichkeit sich die Notwendigkeit ergeben, für unsern ehrenwerten Gast einen andern interimistischen Aufenthalt ins Auge zu fassen, als diesen Turm, wenn es vielleicht auch seine Schwierigkeit haben wird, die beiden Bedingungen Verborgenheit und Sicherheit, die bei den zurzeit in England herrschenden Verhältnissen als Hauptsachen in Betracht kommen, ebenso gut zu erfüllen wie hier.«

»Der Zweifel, den Ihr da aussprecht, lieber Amtsbruder,« erwiderte der Abt, »ist freilich am Platze; ich wünschte nur, er wäre ebenso rasch beseitigt wie aufgeworfen. Ich meinesteils kenne im ganzen Klostersprengel keinen Zufluchtsort, der so günstig gelegen wäre wie Glendearg, und doch möchte ich ihn unserm werten Gaste nicht weiter empfehlen, eben um des Betragens willen, das dieser eigenwillige Bursche an den Tag legt.«

»Genug dieser Worte, Ihr hochwürdigen Herren,« nahm jetzt der Ritter das Wort; »wenn mir die Wahl freisteht, so bleibe ich hier in diesem Turme, das erkläre ich bei meiner Ehre. Mir ist der junge Mensch wirklich nicht deshalb zu wider, weil er einige Funken von Geist gezeigt hat, und weil sich diese Funken auf meinem Haupt entzündet haben. Im Gegenteil zolle ich dem Burschen deshalb einen gewissen Grad von Achtung. Deshalb spreche ich den Wunsch aus, hier zu bleiben und den jungen Menschen bei mir zu behalten. Er mag mir auf der Jagd behilflich sein. Da er solch guter Schütze ist, meine ich, werden wir uns bald zusammen befreunden. Mir wird es dann bald möglich sein, dem gnädigen Herrn Abt einen recht feisten Hirsch für seine Küche zu schicken, so kunstgerecht geschossen, daß selbst Euer Pater Küchenmeister kein Untätchen daran findet.«

Dies alles wurde von dem Ritter mit solchem Anschein von Ruhe und guter Laune gesprochen, daß der Abt über den Vorfall nichts weiter mehr äußerte, sondern seinen Gast von all den Dingen, wie Teppichen, Decken, Gerätschaften ec., die er ihm zur Erhöhung seiner Bequemlichkeit nach dem Turme schicken wolle, vorplauderte, und zwar so lange, bis er geruhte, Befehl zum Satteln der Pferde für die Heimkehr zu erteilen. Dann befahl er dem Ritter noch alle Vorsicht, da ja die englischen Grenzreiter leicht bei der Hand sein könnten, Jagd auf ihn zu machen. Dann erfüllte er noch all die Pflichten der Höflichkeit, die ihm oblagen, dann setzte er sich mühsam, unter mancherlei Seufzern, die stark an Stöhnen erinnerten, auf seinen Zelter, dessen purpurne Decke bis auf den Erdboden reichte, und begann in mäßigem Trabe den Heimritt. Der Unterprior warf noch, ehe er dem Abte folgte, auf Halbert, der halb versteckt hinter der äußern Hofwand lehnte, ein paar strenge, warnende Blicke, dann hob er, ihm Lebewohl bedeutend, den Finger gegen ihn auf und ritt mit den andern Klosterbrüdern hinter seinem Obern her in das Tal hinunter.


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