Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.

Im Turme von Glendearg war es mittlerweile auch seltsamlich hergegangen. Das Mittagessen war mit aller Sorgfalt hergerichtet worden. Die Witwe war hierbei von Tibb und Mysie eifrig unterstützt worden.

»Ob sie wohl bald wieder da sein werden?« fragte Frau Elspath nach einer Weile. »Du warst doch vorhin draußen, Mysie?«

»Freilich, aber ich hab bloß nach der jungen Lady geguckt, die ist nicht recht wohl und hat sich hingelegt.«

»Aber Ihr wart doch auch am Brunnen,« sagte die Tibbie. »Habt Ihr auch dort nichts gesehen?«

»Nicht das geringste,« antwortete Mysie; »wären sie auf der Rückkehr, hätt man die weiße Feder des englischen Ritters doch über dem Buschwerk sehen müssen.«

»Dem Englischen seine weiße Feder?« fragte Frau Glendinning; »Du einfältiges Ding Du! da sieht man doch früher von meinem Halbert den Kopf, als von dem kleinen Gernegroß die Feder! und wenn sie auch noch so weiß ist!«

»Na, wenn sie nicht bald wieder da sind, dann müssen sie eben alles essen, wie es ist,« sagte die Tibbie; »der Küchenjunge kann ja kaum noch den Spieß drehen. Geh, Junge, schöpf ein bißchen Luft! ich will den Spieß so lange drehen, bis Du wieder da bist.«

»Lauf auf die Zinne hinauf, Bursche,« sagte Frau Glendinning, »dort ist die Luft frischer als drinnen vorm Tore. Halt Ausschau und sag uns, wenn mein Halbert mit dem Ritter ins Tal hinunter kommt.«

Der Knabe blieb so lange, daß die Tibbie es bitter bereute, ihn weggeschickt zu haben. Endlich kam er aber mit dem Bescheide wieder, daß nicht das geringste sichtbar sei, so weit man sehen könne.

So verging unter allerhand Mutmaßungen darüber, was die Jäger wohl aufhalten möge, die Zeit bis etwa zur vierten Stunde. Die Turmleute hatten hastig ein paar Bissen zu sich genommen, alles aber so weit zugerichtet, daß das Essen jederzeit aufgetragen werden konnte. Da kam statt der erwarteten Jäger ein andrer Besuch, und zwar einer, dessen man sich am allerwenigsten versehen hätte, der Unterprior Pater Eustachius. Der Auftritt vom vorigen Tage war ihm nicht aus dem Sinne gekommen, das Schicksal der Familie zu Glendearg ging ihm sehr zu Herzen, zudem mußte der Klosterbrüderschaft daran liegen, daß es zwischen Sir Piercie Shafton und dem jungen Glendinning nicht zu einem ernstlichen Konflikte käme, denn alles, was die Aufmerksamkeit der äußern Welt auf den Ritter lenken konnte, mußte dem Kloster unfehlbar zum Nachteil sein, das sich ohnehin von schwerer Gefahr bedroht sah.

Der Prior traf die Familie in der Halle beisammen, bloß Mary Avenel fehlte, und nun erst erfuhr er, daß Halbert Glendinning mit dem Ritter auf die Jagd gegangen sei, daß sie aber noch nicht zurückgekehrt seien. Zu Beunruhigung konnte dies aber kein sonderlicher Anlaß sein, denn wann pflegten Jugend und Weidwerk sich an Zeit und Stunde zu binden? ... Der Prior ließ sich mit Edward in ein Gespräch ein über die Fortschritte, die er letzterzeit in seinen Studien gemacht habe, und dieses Gespräch mochte wohl ein halbes Stündchen gedauert haben, als aus dem Zimmer, das von Mary Avenel bewohnt wurde ein lauter Schrei ertönte. Alles stürzte erschrocken dorthin. Mary lag ohnmächtig in den Händen des alten Martin, der sich in herbem Schmerz anklagte, Ursache zu ihrem Tode geworden zu sein. Und es sah auch wirklich ganz danach aus, als ob der Tod hier Einkehr gehalten habe, denn die junge Dame lag starr auf dem Boden, alle Farbe war aus ihrem Antlitz gewichen und ihre Augen waren geschlossen. Edward trug sie an das Fenster, um die frische Luft auf sie wirken zu lassen. Der Prior, der, wie viele seiner Amtsbrüder, einige Kenntnisse in der Heilkunde hatte, suchte soviel wie möglich zu helfen, und die erschrocknen Frauen suchten, während sie sich dabei oft hinderlich wurden, allerhand Weisen vor, die Dame wieder zu sich zu bringen.

»Das ist wieder einer von den vielen Geistern gewesen, die in ihr das Wesen treiben,« meinte Frau Glendinning.

»Sie zittert genau so am Leibe, wie manchmal auch ihre selige Mutter,« bemerkte die Tibbie.

»Sie muß wohl eine schlimme Neuigkeit gehört haben,« meinte die Müllerstochter; indes die Weiber mit gebrannten Federn und kaltem Wasser versuchten, die stockenden Lebenskräfte wieder in Gang zu bringen, jedoch ohne sichtlichen Erfolg.

Da tauchte ein neuer Helfer auf der Bildfläche auf, und zwar kein andrer, als Sir Piercie Shafton, der unbemerkt an die Gruppe herangetreten war.

»Ei, ei,« hub er in seiner gewohnten Weise an, »was geht denn mit Euch vor, meine allerhuldvollste Protektion? Welche Ursache hat den roten Strom des Lebens zur Zitadelle des Herzens zurückgejagt, wo er doch hätte ewig weilen sollen? Tretet hinweg und laßt mich zu ihr!« sprach er. »Diese Krone aller Essenzen, destilliert von der göttlichen Urania, besitzt die Kraft, das entweichende Leben zu bannen, selbst wenn es schon im Scheiden begriffen ist.«

Mit diesen Worten kniete Sir Piercie Shafton neben der in Ohnmacht liegenden Dame nieder, um ihr ein zierliches Büchschen unter die Nase zu halten, das ein mit der so hochgepriesenen Essenz getränktes Schwämmchen enthielt. Jawohl, mein lieber Leser, es war Sir Piercie in Person, der so gänzlich unvermuteterweise hier seine Dienste anbot! Wohl waren seine Wangen bleich und seine Kleidung stellenweis von Blut befleckt, im übrigen zeigte sein Aussehen und seine Haltung jedoch keinen Unterschied gegen sonst.

Aber kaum hatte Mary Avenel die Augen aufgeschlagen, kaum einen Blick auf die Gestalt des dienstfertigen Höflings geheftet, als sie von einer neuerlichen Ohnmacht befallen wurde und jählings wieder zurück sank. Dann machte wieder ein heftiger Aufschrei ihrem beklommenen Busen Luft, dann richtete sie sich empor und schrie mit schrecklicher Stimme:

»Haltet ihn fest, den Mörder! den Mörder Halbert Glendinnings!«

Wie versteinert stand die ganze Gruppe da, keiner aber war mehr von Entsetzen geschlagen als der Schönredner selbst, der sich so jäh und so seltsamerweise von der ohnmächtigen Dame unter so schwere Anklage gestellt sah, während er sich doch so eifrig bemüht hatte, ihr Hilfe zu bringen.

»Hinweg mit ihm!« schrie sie wieder, »hinweg mit dem Mörder!«

»Nun, bei meiner Ritterschaft,« nahm Sir Piercie wieder das Wort, »die herrlichen Gaben Eures Geistes wie auch die köstlichen Vorzüge Eures Leibes, o, meine schönste Protektion, sind von wunderlicher Verblendung umnebelt, denn entweder erkennen Eure Augen nicht, daß Sir Piercie Shafton, Eure alleruntertänigste Affabilität, hier vor Euch steht, oder Euer Geist zieht, falls Eure Augen mich erkennen, ganz irrige Folgerungen und beschuldigt jemand, dessen Hände rein sind, eines grausen Frevels. Nein, meine so maßlos erzürnte Protektion, es ist kein Mord heute verübt worden, als höchstens der, den eben Eure bösen Blicke an Eurem untertänigsten Gefangnen begehen.«

In seinem Redefluß wurde er aber jetzt von dem Pater Eustachius unterbrochen, der inzwischen sich mit dem alten Diener Martin unterhalten und von demselben Kunde bekommen hatte, durch welche unvermutete Mitteilung Mary von Avenel in diesen erregten Zustand versetzt worden war. In feierlichem Tone und mit auffälliger Langsamkeit sprach derselbe:

»Herr Ritter, es sind so ungewöhnliche Dinge mir zu Ohren gebracht worden, daß ich mich, ohne Rücksicht darauf, daß Ihr der Gast unsrer ehrwürdigen Gemeinschaft seid, gezwungen sehe, darüber eine Erklärung von Euch zu verlangen. Ihr habt heut morgen diesen Turm verlassen in Gesellschaft eines Jünglings, des ältern Sohnes dieser wackern Frau, und kehrt nun ohne ihn zurück. Wo habt Ihr Halbert Glendinning gelassen, und wann habt Ihr ihn verlassen?«

Der englische Ritter schwieg einen Augenblick. Dann antwortete er:

»Es muß mich Wunder nehmen, daß Euer Ehrwürden solch ernsten Ton anschlagen, um solch belanglose Frage zu stellen. Ich habe mich ein paar Stunden nach Sonnenaufgang von Halbert Glendinning getrennt.«

»Und wo, wenns beliebt?« fragte der Pater weiter.

»In einer tiefen Schlucht, in der am Fuß eines mächtigen Felsens eine Quelle entspringt,« hub der Ritter an, »ein erdgeborner Titan, der sein graues Haupt erhebt ...«

»Erspart uns die weitre Schilderung,« versetzte der Pater,«denn wir kennen die Oertlichkeit. Von dem Jüngling ist seitdem aber nichts mehr vernommen worden, und an Euch ist es nun, Rechenschaft über ihn zu geben.«

»Mein Sohn, mein Sohn!« schrie jetzt Frau Glendinning auf, »jawohl, heiliger Vater, fordert Rechenschaft von dem Schelm über mein Kind!«

»Ich schwöre bei Brot und Wasser, den Stützen unsers Lebens, gute Frau ...« hub der Ritter wieder an.

»Schwöre bei Wein und Semmel,« rief Frau Glendinning, »denn das sind Deines Lebens Stützen, Du verhungerter Mann aus dem Süden! So ein Hundsfott von Fresser kommt zu uns ins Haus, verlangt die besten Bissen, räsonniert noch, daß ihm nichts fein genug sei, und während wir das unsrige tun, ihm sein Leben zu erhalten, tut er das Seinige, uns nach dem Leben zu trachten!«

»Ich sage Euch doch, Frau,« erwiderte Sir Piercie, »ich bin mit Eurem Sohne einfach auf die Jagd gegangen.«

»Für unsern armen Jungen ist es eine traurige Jagd geworden,« bemerkte Frau Tibbie; »ich habe doch gleich gesagt, als ich den falschen Mann aus dem Süden gesehen habe, daß von dem nichts Gutes zu erwarten stehe. Wann hats wohl eine gute Jagd gegeben, sobald ein Piercie mit hinauszog?«

»Still, Frau,« verwies ihr der Unterprior das Wort, »noch haben wir keine Gewißheit, sondern nur Verdacht ...«

»Sein Herzblut gehört uns!« schrie Frau Glendinning, und stürmte so wild auf den Schönredner ein, daß es wohl ein schlimmeres Ende mit ihm genommen hätte, wäre nicht der Pater ihr zusammen mit Müllers Mysie in den Arm gefallen. Edward, der gleich nach der Frage des Paters aus dem Gemache geschritten war, trat jetzt wieder herein, mit dem Schwert in der Faust und gefolgt von Martin und Kaspar, die mit Jagdspeer und Armbrust bewaffnet waren.

»Besetzt die Tür!« befahl er seinen beiden Begleitern, »und versucht er durchzubrechen, dann stoßt oder schlagt ihn nieder ohne Gnade! denn beim Himmel, sobald er zu entwischen sucht, so muß er sterben!«

»Was hast Du im Sinne?« fragte der Prior; »wie kannst Du Dich so vergessen, gegen einen Gast Gewalt zu brauchen, in Gegenwart von mir, dem Stellvertreter Deines Lehnsherrn?«

Mit dem bloßen Schwert in der Faust trat Edward einen Schritt vor und rief:

»Verzeiht, ehrwürdiger Vater, hier spricht die Stimme der Natur lauter und gebieterischer als die Eurige. Ich kehre meines Schwertes Spitze gegen diesen Mann und fordre von ihm das Blut meines Bruders, das Blut von meines Vaters Sohne, der unsers Namens Erbe und Träger ist. Weigert er mir Rechenschaft über meines Bruders Verbleib, so soll er meiner Rache nicht entrinnen!«

Aber Sir Piercie Shafton, so groß auch seine Verlegenheit war, äußerte doch keine Furcht für sein Leben.

»Steck Dein Schwert ein, Jüngling,« sagte er, »an einem Tage schlägt Piercie Shafton sich nicht mit zwei Bauern!«

»Höret Ihr es, heiliger Vater?« rief Edward; »er bekennt die Tat.«

»Geduld, mein Sohn, Geduld!« sagte der Pater, »besser wirst Du Dir durch meine Vermittelung als durch Deine Gewalttätigkeit Recht verschaffen. Ihr Frauen aber, verhaltet Euch ruhig! Tibbie, führt Eure Herrin und Mary Avenel beiseite!«

Als die Frauen aus dem Raume verschwunden waren, forderte der Unterprior den Ritter von neuem auf, alles mitzuteilen, was er über Halbert Glendinnings Verbleib wisse. Edward Glendinning schritt, mit dem Schwert in der Hand, vor der Tür auf und nieder, um jede Flucht unmöglich zu machen. Der Ritter befand sich in einer höchst bedrängten Situation, denn was er vom Ausgange des Zweikampfes mit Bestimmtheit zu erzählen wußte, war für seinen Stolz so empörend, daß er sich zu einem ausführlichen Bericht unmöglich entschließen konnte, zumal er obendrein annehmen mußte, daß man ihm schwerlich Glauben schenken, sondern alles für eine absonderliche Mär, die bloß erzählt werde, um Ausflüchte zu machen, halten werde. Das stand doch um so eher zu erwarten, als er, wie dem Leser ja bekannt ist, von Halberts weiterm Verbleib nicht das geringste wußte.

»Ihr könnt doch nicht in Abrede stellen,« nahm der Pater wieder das Wort, weiter in den Ritter dringend, »daß Ihr gestern, wie es den Anschein hatte, von dem Jüngling beleidigt wurdet, aber zu unser aller Verwunderung so tatet, als ginge Euch die Beleidigung nicht nahe. Nun habt Ihr gestern dem Jüngling plötzlich eine Jagdpartie in Vorschlag gebracht und seid mit ihm bei Tagesanbruch in den Wald gegangen. Nun sagt Ihr, Ihr hättet Euch an der Quelle von ihm getrennt, unweit von dem Felsen, und ein paar Stunden nach Sonnenaufgang. Das läßt doch alles Ernstes vermuten, daß Ihr Euch, ehe Ihr auseinander ginget, zusammen geschlagen habt.«

»Das ist doch von mir gar nicht gesagt worden,« erwiderte der Ritter. »Wie kann denn bloß solcher Lärm erhoben werden darüber, daß ein Bauer und Leibeigner auf und davon gelaufen ist ... jawohl, das behaupte ich ... um sich der ersten besten Freibeuterschar anzuschließen? Ich, ein Ritter vom Geschlecht der Piercie, soll Euch Rede und Antwort stehen um eines so unbedeutenden Flüchtlings willen? Sagt mir, welchen Preis Ihr fordert für seinen Kopf, und ich will ihn an Euern Bruder Schatzmeister bezahlen, Herr Pater.«

»Also räumt Ihr ein, meinen Bruder erschlagen zu haben?« fragte Edward mit drohender Gebärde. »Gut, dann sollt Ihr aus meinem Munde die Antwort vernehmen, wie hoch wir Schotten das Leben eines Blutsverwandten anschlagen.«

»Still, Edward, ich bitte Dich darum, und ich befehle es Dir,« nahm der Unterprior wieder das Wort, »Ihr aber, Herr Ritter, denkt besser von uns, als daß Ihr meint, schottisches Blut lasse sich vergießen und dann bezahlen, wie eine Rechnung vom Weinküfer für das, was man bei einem Gelage verschüttet oder getrunken hat. Halbert Glendinning war kein Leibeigner, wie Ihr wohl gewußt habt, und daß Ihr im eignen Vaterlande auch gegen den geringsten Untertan das Schwert nicht zücken dürftet, ohne Euch den Gesetzen verantwortlich gemacht zu haben, das wißt Ihr ebenso gut. Wenn Ihr Euch einbilden wolltet, daß es hierzulande anders sei, würdet Ihr Euch in einem schweren Irrtume befinden.«

»Ihr stellt meine Geduld auf eine schwere Probe,« erwiderte der Schönredner, »aber was soll ich Euch sagen können über den Verbleib eines jungen Menschen, den ich seit zwei vollen Stunden nach Sonnenaufgang nicht mehr gesehen habe?«

»Aber unter welchen Umständen Ihr ihn verließet, darüber könnt Ihr doch Auskunft geben?« fragte der Pater.

»Was für Umstände, zum Henker, sollen denn das sein, die Ihr erklärt haben wollt?« rief der Schönredner heftig; »denn so lebhaften Widerspruch ich auch erheben muß gegen diese ungeziemende Behandlung eines Gastes, so möchte ich doch alles versuchen, diesen Zwist friedlich zu beendigen, sofern er sich durch Worte irgend beendigen läßt.«

»So, erkläret mir, Sir Piercie,« drang der Unterprior weiter in ihn, »warum der Boden am Rande der Quelle von Corrinan-Shilan mit Blut getränkt gewesen ist, da Ihr selbst einräumt, Euch dort von Halbert Glendinning getrennt zu haben?«

Darauf der Ritter trotzig: »Es sei doch nichts Ungewöhnliches, den Rasen dort blutig zu finden, wo Jäger ein Stück Wild zur Strecke gebracht hätten!«

»Und habt Ihr Euer Wild ebenso gut verscharrt, wie Ihr es geschossen habt?« fragte der Mönch. »Wir verlangen Auskunft von Euch, wer in dem Grabe liegt, das neben der Quelle ausgeschachtet worden ist! ... Ihr entrinnt mir nicht, Sir Piercie, wie Ihr wohl seht. Drum rate ich Euch, seid aufrichtig und erzählt uns, was dem unglücklichen Jüngling geschehen ist, dessen Leiche doch sicher unter dem blutgetränkten Rasen ruht.«

»Dann müßte ihn grade jemand lebendig begraben haben,« erwiderte Sir Piercie, »denn ich schwöre Euch, heiliger Vater, daß der Bauernbub ganz fidel und munter war, als er sich von mir trennte. Laßt doch das Grab öffnen und durchsuchen, und falls Ihr die Leiche, die Ihr vermutet, darin finden solltet, dann mögt Ihr mit mir schalten nach Belieben.«

»Ueber Dein Schicksal zu bestimmen, Herr Ritter, ist nicht meines Amtes, das wird dem hochwürdigen Abt und dem hohen Kapitelstuhle anheimfallen. Mir liegt lediglich die Pflicht ob, die Voruntersuchung des Falles zu führen.«

»So möchte ich noch zuvörderst Angeber und Zeugen wissen, die solchen unsinnigen Verdacht gegen mich wachgerufen haben,« sagte Sir Piercie Shafton.

»Das wird gleich geschehen,« antwortete der Unterprior, »es soll ja auch nichts Euch vorenthalten bleiben, was Ihr zu Eurer Verteidigung wahrnehmen könnt. Das hier im Turme aufhältliche Fräulein Mary von Avenel hat Euch, weil sie Schlimmes argwöhnte, den alten Martin Tacket nachgeschickt mit dem Auftrage, Unglück, das vielleicht im Werke sei, zu hindern. Indessen scheint Ihr Eurer Leidenschaft sehr schnell die Zügel freigegeben zu haben, denn als der Mann den Platz erreichte, wohin ihn Eure Fußspuren führten, da hat er weiter nichts mehr gefunden als blutigen Rasen und ein zugeworfnes Grab. Er hat noch geraume Zeit nach Euch und dem jungen Glendinning gesucht, aber weder von ihm noch von Euch etwas entdecken können und ist dann, die Erfolglosigkeit weiterer Mühe einsehend, hierher zurückgeeilt, um der Jungfrau, die ihn ausgeschickt hatte, die schmerzliche Kunde zu bringen.«

»Hat er denn mein Wams nicht gesehen?« versetzte Sir Piercie Shafton; »denn als ich meine Besinnung wiederfand, da sah ich, daß ich in einen Mantel gewickelt war, aber mein Unterkleid nicht mehr anhatte, wie Euer Ehrwürden sich ja überzeugen können.«

Mit diesen Worten riß er seinen Mantel auf, ohne bei der ihm eignen Unvorsichtigkeit daran zu denken, daß er auf diese Weise sein blutiges Hemd zeigte.

»Wie? Du grausamer Mensch!« rief lebhaft erzürnt der Mönch, als er diese Bestätigung seines Argwohns wahrnahm, »Du willst Deine Schuld in Abrede stellen und trägst das vergossne Blut an Deinem Leibe? ... Du willst noch leugnen, daß Deine überschnelle Hand eine Mutter ihres Sohnes, unsre Gemeinde eines Vasallen und die Königin von Schottland eines Untertanen beraubt hat? Wessen kannst Du Dich sonst gewärtig halten, als daß wir Dich zum wenigsten, als unsers weitern Schutzes unwert, an England ausliefern werden?«

»Bei allen Heiligen!« rief da der Ritter, aufs äußerste drangsaliert, »sofern dieses Blut Zeugnis wider mich ablegt, so ist es rebellisches Blut, denn es ist diesen Morgen noch, so wahr mir Gott helfe, in meinen Adern geronnen.«

»Wie sollte dies der Fall sein können, Sir Piercie Shafton?« entgegnete der Mönch; »sehe ich doch keine Wunde an Deinem Leibe, aus der es geflossen sein könnte!«

»Das ist die geheimnisvolle Seite dieses Ereignisses,« versetzte Sir Piercie. »Seht hierher!«

Sein Hemd aufreißend, wies er die Stelle, die Halberts Schwert getroffen hatte, die jedoch schon vernarbt war und wie eine längst geheilte Wunde aussah.

»Das, Herr Ritter, muß meine Geduld erschöpfen,« rief der Unterprior, »denn Ihr fügt zu Gewalttat noch Kränkung durch Spott! Haltet Ihr mich für ein Kind oder für einen Tropf, daß Ihr mir zumutet, ich solle glauben, das frische Blut, das Euer Hemd befleckt, rühre von einer Wunde her, die seit Wochen und Monaten schon vernarbt ist? ... Unseliger Spötter, meinst Du uns dergestalt zu blenden? Laß ab von diesem Lug, denn wir wissen nur allzu gut, daß dieses Blut herrührt von Deinem Schlachtopfer, das in verzweifeltem Kampfe mit Dir rang, und das Du erschlagen hast in unehrlichem Zweikampf.«

Der Ritter nahm jetzt einen andern Ton an und wandte sich in ruhigerer Stimmung zu dem Prior: »Ich will offen sein, Pater. Laßt diese Leute so weit zurücktreten, daß sie uns nicht hören, und ich will Euch alles mitteilen, was mir von diesem geheimnisvollen Vorgange bekannt ist. Aber zürnet mir nicht, guter Vater, wenn Euer Beistand es nicht zu deuten vermag, denn ich muß bekennen, daß es für den meinigen zu dunkel ist.«

Der Mönch winkte hierauf Edward und den beiden Hörigen, aus dem Gemache zu treten, aber er mußte Edward die Erlaubnis geben, vor der Tür stehen zu bleiben, weil sich derselbe nur unter der Bedingung dazu verstehen wollte, daß er sicher sein könne vor jedem Fluchtversuch des Ritters. Der Mönch versicherte ihm, daß seine Unterhaltung mit dem Gefangnen nur kurz sein werde, und gab ihm die verlangte Erlaubnis. Draußen aber besann sich Edward eines andern und schickte an ein paar Familien des Klosterbannes, deren Söhne mit seinem Bruder und ihm öfter verkehrt hatten, Boten ab mit der Nachricht, daß Halbert Glendinning von einem Engländer erschlagen worden sei, und daß er sie auffordern lasse, sich ohne Aufschub im Turme von Glendearg einzufinden. In solchen Fällen galt die Pflicht der Rache für so heilig, daß Edward keine Sekunde im Zweifel war, sich dieses weitern Beistandes versichert halten zu dürfen. Darauf untersuchte er die Türen des Turms nebst dem Hoftor, und begab sich dann zu den Frauen des Hauses, um sie zu trösten wie auch zu versichern, daß er für den gemordeten Bruder heilige Rache nehmen werde.


 << zurück weiter >>