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Sechzehntes Kapitel.

Wir hatten Halbert Glendinning auf der Hochstraße nach Edinburg verlassen. Sein Zusammentreffen mit Heinrich Warden war so flüchtig gewesen, daß er nicht einmal von ihm hatte hören können, wie der Edelmann hieß, an den er empfohlen worden war. Er hatte nur so viel verstanden, daß er einem Ritter begegnen werde, der mit einem Trupp nach Süden zu unterwegs sei. Bei Tagesgrauen befand sich Halbert noch immer in dieser Ungewißheit. Hätte er eine bessre Schulkenntnis besessen, so hätte er sich durch die Aufschrift, die der Brief trug, belehren können, aber er hatte in dem Unterricht beim Pater Eustachius nicht so viel profitiert, daß er die Buchstaben hätte entziffern können. Indessen sagte ihm die angeborne Klugheit, daß es nicht gut sei, bei der Unsicherheit, die zurzeit überall im Lande herrsche, sich bei Leuten, die ihm unterwegs begegneten, zu erkundigen; als ihn aber nach langem Marsche unfern von einem Dorfe die Nacht überfiel, wurde er doch allgemach unsicher und ängstlich über den Ausgang seines Vorhabens. In einem armen Lande, wo Gastfreundschaft willig gewährt wird, fällt es nicht eben auf und erniedrigt auch nicht, wenn jemand um ein Nachtquartier bittet. Bei einer greisen Bäuerin fand er ein solches und brach am andern Morgen beizeiten auf. Sein Pfad führte durch Sumpf und Moor, bergauf, bergab, und endlich kam er an eine Höhe, die eine weite Aussicht über einen Strich wilden, wüsten Landes bot, das mit Schieferhügeln und seichten Lachen bedeckt war. Durch diese Oedenei zog sich schlangenartig ein kaum sichtbarer Weg. Unschlüssig, ob er gradeaus oder seitab gehen solle, machte Halbert hier Halt; aber er hatte noch nicht lange auf einem Baumstumpf gesessen, als er in nicht zu großer Ferne eine Staubwolke sah, die sich auf ihn zu bewegte, und bald erkannte er, daß sie aus etwa einem Dutzend Reiter sich zusammensetzte. Sie ritten in sehr schnellem Tempo, und ihre Helme und Lanzenspitzen blitzten im Sonnenschein.

Der vorderste des Zuges ritt auf der Stelle auf Halbert zu und stellte ihm die Frage, wer er sei? Halbert übergab dem Reiter seinen Brief, und alsbald erscholl von dem hinter dem Vortrab einhersprengenden Haupttrupp der Ruf: Halt! Dann kam der Befehl, daß hier eine Stunde gerastet werden solle. Gleich darauf wurde der junge Erbe von Glendearg auf eine Stelle geführt, die höher lag als der eigentliche Moorgrund. Hier war ein Teppich auf den Boden gebreitet worden. Die Führer der Reiterschar ließen sich rings um den Teppich nieder, um ihr Frühmahl zu halten, das aber kaum viel anders und besser sein mochte, als das, welches Halbert noch eben bei der greisen Bäuerin bekommen hatte.

Als Halbert herbeigeführt wurde, erhob sich ein Mann von schöner Gestalt, mit gebietender Haltung, aus dessen ganzem Wesen selbst Halbert trotz seiner Jugend auf der Stelle inne wurde, daß er dem eigentlichen Befehlshaber der Schar sich gegenüber befand. Er trug ein Büffelwams, das mit seidnen Schnüren besetzt war, an Stelle einer Rüstung, und um den Hals eine Kette von gediegnem Golde und ein Medaillon. Das schwarze Samtbarett, das auf seinem Haupte saß, war mit einer Schnur großer, schöner Perlen und mit einem Federstutz verziert, und um die Hüften gegürtet hing ihm ein Schwert an der Seite, das eine auffallende Länge zeigte und wuchtig niederhing. Goldne Sporen an den hohen Reiterstiefeln vervollständigten seine Rüstung.

Er winkte Halbert Glendinning, näher zu treten.

»Dieses Schreiben,« hub er an, »ist von dem wackern Gottesstreiter Heinrich Warden, junger Mann? nicht wahr?«

Halbert antwortete mit einem bestimmten Ja auf die Frage.

»Dem Anschein nach schrieb er an Uns im Zustande von Sorge und Bedrängnis und weist Uns betreffs näherer Auskunft an Euch. Laßt Uns also wissen, Jüngling, wie es mit ihm steht.«

Halbert erzählte nun nicht ohne Verwirrung, wie es sich gefügt hatte, daß Warden in Haft von dem Baron Avenel genommen worden war. Als er auf den Streit zwischen den beiden Männern über das Leben des Barons in wilder Ehe zu sprechen kam, machte ihn die ernste Miene des Grafen Murray so bestürzt, daß er in der Meinung, doch vielleicht etwas Unschickliches gesagt zu haben, fast gestockt hätte.

»Was fehlt denn dem Esel?« rief ein andrer Ritter, der neben dem stand, der mit Halbert sprach, und zog die dunkelroten Brauen finster zusammen, während sich auf der Stirn tiefe Falten zu graben anfingen. »Hast Du nicht gelernt, die Wahrheit zu sagen, ohne zu stocken?«

»Mit Verlaub,« erwiderte hierauf mit fester Stimme der Jüngling, »ich habe noch nie mit solchem Herrn gesprochen.«

»Wie mir scheint,« nahm hierauf der erste der Herren das Wort, – der kein andrer war als Lord Murray – indem er sich zu dem neben ihm stehenden Ritter wendete, »ist der Jüngling bescheidnen Sinnes, aber doch ein Mensch, der sich in einer guten Sache weder vor Freund noch Feind fürchtet. Sprich weiter, mein Sohn, freimütig und ehrlich.«

Nun berichtete Halbert weiter von dem Streit zwischen dem Baron Avenel und dem Prediger. Der Ritter hörte ihm zu, indem er sich auf die Lippen biß, und sich anscheinend zur Gleichgültigkeit zwang.

»Warden,« sagte er dann, nicht abgeneigt, sich auf die Seite des Barons Avenel zu schlagen, »ist zu eifrig in seinem Eifer, denn gewisse eheliche Beziehungen sind sowohl nach göttlichem als menschlichem Recht statthaft, auch wenn sie nicht der strengen bürgerlichen Form angemessen geschlossen worden sind, und die Nachkommenschaft, die solchen Verhältnissen entspringt, gilt nicht minder für erbfähig, als die aus den streng bürgerlich geschlossenen Ehen.«

Die allgemein gehaltne Meinung, die er mit einem Blick auf die bei dem Gespräch anwesenden Kriegsgefährten begleitete, fand die allgemeine Billigung, und alle, bis auf einen, der den Blick zu Boden schlug und schwieg, riefen: »Dawider läßt sich nichts vorbringen!«

Graf Murray wandte sich wieder an Halbert mit der Aufforderung, weiter zu erzählen, aber sich der größten Genauigkeit dabei zu befleißigen. Als nun Halbert schilderte, wie der Baron Avenel seine Konkubine wild von sich schleuderte, knirschte der Graf mit den Zähnen und fuhr mit der Hand an den Griff seines Dolches. Dann aber winkte er, daß Halbert fortfahren solle. Inzwischen hatten sich zu den Zuhörern noch ein paar reformierte Geistliche gefunden, die mit gesteigertem Interesse an den Worten des Jünglings hingen. Als derselbe nun von der schmählichen Weise erzählte, wie Baron Julian den Prediger ins Verließ habe werfen lassen, da schien Graf Murray den richtigen Anlaß gefunden zu haben, seinem Grolle Lust zu machen, denn augenscheinlich war er sich der Zustimmung aller Anwesenden sicher.

»Anwesende Pairs und Edlen von Schottland,« hub er an, indem er einen Blick in der Runde schweifen ließ, »richtet Ihr zwischen mir und diesem Julian Avenel! Er hat sein Wort gebrochen und ein sicheres Geleit verletzt. Auch darüber richtet Ihr, daß er sich vergriffen hat an einem Prediger der heiligen Lehre, auch darüber, daß er mit dem Gedanken umzugehen scheint, den Anhängern des Antichrists sein Blut zu verdingen.«

»Den Tod eines Verräters soll er sterben,« riefen die weltlichen Hauptleute, »der Henker soll ihm zur Strafe seines Meineids die Zunge mit glühendem Eisen ausreißen.«

»Zu den Baalspfaffen soll er hinunter fahren!« zeterten die geistlichen Herren, »und seine Asche sollt Ihr streuen in den tiefsten Abgrund!«

Murray hörte ihre Worte mit verhaltnem Lächeln. Er hatte den Ausbruch solcher Rache wohl erwartet, aber er mochte denken, daß die Roheit, mit der der Baron Avenel seine Konkubine behandelt hatte, ein gewisses Seitenstück fand in der Art und Weise, wie auch die Mutter des Ritters behandelt worden war, der vorhin den Blick zu Boden geschlagen und geschwiegen hatte, als er dem in Schottland üblichen »Eheverspruch« das Wort geredet hatte, und der kein andrer war als Graf Morton, der unehelich geborne Halbbruder des Lords; er mochte weiterhin denken, daß man die Ursache zu dem grimmigen Ausdruck, den das Gesicht des Grafen jetzt zeigte, in der Erinnerung hieran zu suchen haben mochte. Dagegen sprach Lord Murray sehr freundlich mit Halbert, als dessen Bericht zu Ende geführt war. Dann wandte er sich zu den Begleitern.

»Der Jüngling ist augenscheinlich kühn und tapfer und aus dem Stoffe gebildet, den diese unruhigen Zeitläufte erheischen. Es gibt Vorgänge, die einem Manne Gelegenheit geben, sich als Mann zu zeigen, und einen solchen Vorgang haben wir mit diesem Jüngling eben erlebt. Ich muß ihn näher kennen lernen, den Jüngling.«

Umständlich fragte er nun Halbert aus nach den Streitkräften, die dem Baron von Avenel zur Verfügung seien, nach der Stärke seines Schlusses, wie nach dem Schicksal seines nächsten Erben. Dabei mußte natürlich die Rede kommen auf die traurige Lage, in welcher sich die einzige Tochter seines verstorbnen Bruders, Mary von Avenel, befand, und die Halbert mit einer Befangenheit erzählte, die dem Lord Murray nicht entging.

»Ha, Baron Julian!« rief er, »Du reizest mich zum Zorn zu einer Zeit, die Dir doch alle Ursache gäbe, meine Gnade zu erflehen? O, ich habe Walter Avenel gut gekannt, er war ein wackrer Schotte und ein tapfrer Kriegsmann. Unsre Schwester, die Königin, muß, seiner Tochter zu ihrem Recht verhelfen, die gewiß eine schickliche Braut abgäbe für einen tapfern Kriegsmann, der Unsrer Gunst würdiger sein dürfte, als dieser Verräter von einem Julian!« Hierauf heftete er einen forschenden Blick auf Halbert und fragte: »Jüngling, bist Du von edlem Geblüt?«

Auf diese Frage erwiderte Halbert mit einer längern Darlegung seiner Ansprüche auf die Abstammung von den alten Glendowynes von Galloway, aber Graf Murray unterbrach ihn nach einer Weile mit den Worten:

»Ei, Jüngling! laß die Stammbäume von Barden und Wappengelehrten beiseite! Heute ist jeder der Mann seiner Taten. Das erhabne Licht der Reformation erleuchtet den Fürsten wie den Bauern, und Bauer und Fürst einen sich zum Kampfe für die Verbreitung der Glaubensneuerung. Alles in der Welt rührt sich zum Kampfe für den Bezwinger des Antichrists, was über ein tapfres Herz und einen starken Arm gebietet. Jüngling, sage mir freimütig, warum Du Deines Vaters Haus verließest?«

Ohne Zaudern bekannte Halbert seinen Zweikampf mit dem Ritter Piercie Shafton und verschwieg auch nicht den vermeintlichen Tod desselben.

»Bei meiner Faust!« rief Murray, »Du bist ein kühner Sperber, der einem Falken wie Piercie Shafton gar früh das Gefieder zerzaust! Die Königin Elisabeth hätte ihren Handschuh, mit Goldkronen bis zum Rande gefüllt, dafür gegeben, war ihr bekannt geworden, daß dieser vorlaute Geck unterm Rasen läge. Nicht wahr, Morton?«

»Allerdings,« erwiderte dieser, »ihren Handschuh jedoch für ein bessres Geschenk gehalten als die güldnen Kronen!«

»Was sollen nun aber wir anfangen mit seinem jugendlichen Mörder?« fragte Murray, »und was werden unsre geistlichen Herren sagen zu diesem Fall?«

»Denen erzählt bloß was von Moses und Benajah,« antwortete Morton, »denn es ist schließlich doch nichts weiter als der Tod eines Aegypters.«

»Recht so,« erwiderte Murray mit Lachen, »begraben wir also die Geschichte, wie der Prophet den Leichnam im Sande begrub. Hinfort will ich sorgen für unsern Jüngling. Glendinning, denn dies ist hinfort hier Dein Name, bleib bei uns! Du trittst als Squire in unsre Dienste. Unser Stallmeister wird für Deine Ausrüstung sorgen.«

Graf Murray bekam während des Kriegszugs, auf dem er sich befand, wiederholt Veranlassung, den Mut und die Geistesgegenwart des jungen Glendinning zu prüfen, und Glendinning stieg bald so schnell in seinem Ansehen, daß alle, die den Grafen kannten, die Meinung gewannen, das Glück des jungen Menschen sei gemacht. Und was ihn noch mehr in dieser Gunst befestigen sollte, das war seine Bereitwilligkeit, die katholische Religion abzuschwören, zu der er sich nie sonderlich hingezogen gefühlt hatte, und sich zu dem neuen Glauben zu bekennen, der jetzt die Gemüter Schottlands erfüllte. Hierdurch trat er seinem Herrn um vieles noch näher, und bald durfte er ihm nicht mehr von der Seite weichen während der ganzen Zeit, die er im westlichen Schottland zubrachte, und das erstreckte sich auf Wochen und Monate, denn der unbeugsame Sinn seiner Widersacher machte ihm das Leben außerordentlich schwer.


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