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Zwölftes Kapitel.

Mary Avenel war in das Gemach gebracht worden, worin sonst die Brüder Glendinning gehaust hatten. Tibbie, die treue Magd, hatte sich nach Kräften bemüht, sie zu beruhigen, und auch Pater Eustachius suchte sie durch Trostsprüche zu erheitern. Schließlich mußte man sich darein finden, sie ihrem Gram zu überlassen, der sich übrigens nicht in Seufzern und Tränen erschöpfte, sondern seine Quelle fand in ernsten Erwägungen der Lage, in die sie durch den Tod Halberts versetzt worden war. Sie berechnete, gleich einem bankerotten Schuldner, die ganze Höhe des Verlustes, der sie betroffen hatte. Es schien ihr, als sei mit diesem Bande alles zerrissen, was sie an die Erde gefesselt hatte. Wenn sie auch nie an die Möglichkeit eines ehelichen Bundes mit Halbert Glendinning gedacht hatte, so schien ihr doch jetzt der einzige Baum gestürzt worden zu sein, der sie vor Stürmen hätte schützen können. Sie achtete wohl den sanftern Charakter Edwards, des jüngern Bruders, sie glaubte schließlich, sich nach wie vor mit der rauhen, wenn auch mütterlichen Güte der Mutter der beiden Knaben abfinden zu können, aber für die männlichen Eigenschaften Halberts, die ihr als der letzten Erbin der Anschauungen eines stolzen und kriegerischen Geschlechts, vor allem sympathisch sein mußten, meinte sie, nun und nimmer Ersatz finden zu können. Eine Gemütsleere, wie sie aus der Unwissenheit, in welcher damals Rom die Kinder seiner Kirche hielt, notwendig entstehen mußte, versagte ihr Trost, und auch im Gebete ihn zu finden, war ihr nicht vergönnt, denn ihr Gebet war weiter nichts als Herlallen unbekannter Worte, deren sie sich nur aus Gewohnheit bediente; und so gelangte sie, unbekannt mit wahrer geistiger Andacht und außer stande, die Gnade göttlichen Wesens zu fassen, in ihrem Elend zu der Ueberzeugung, daß es auf Erden für sie keine Hilfe mehr gebe.

Endlich befiel ein unruhiger Schlummer ihren erschöpften Geist und Leib, und sie schlief bis zum Tagesanbruch, um erst durch den Lärm geweckt zu werden, der im Turme sich über Sir Piercie Shaftons Flucht erhoben hatte. Rasch fuhr sie, in Furcht vor neuem Unheil, in die Kleider. Als sie aber zur Tür hinausstürzen wollte, vernahm sie von der Magd, die mit fliegenden Haaren, wild vor Aufregung, von einem Raum in den andern stürzte, daß der südländische Schuft entwichen sei, und daß Halbert Glendinning ungerochen in seinem blutigen Grase werde schlummern müssen. Gleich darauf aber war die Stimme des Unterpriors laut geworden, die Schweigen geboten hatte, und darauf hatte sich Mary Avenel, die sich nicht gestimmt fühlte, sich vor den Leuten zu zeigen oder gar an Erörterungen oder Beratungen teilzunehmen, wieder in ihrer Stube eingeschlossen.

Dadurch, daß Mysie die Tore von außen geschlossen hatte, saß die ganze Turmbewohnerschaft wie in einer Falle, und in Ermangelung von Werkzeug, die Eisenstäbe vor den Fenstern zu brechen, war ihnen auch dieser Ausweg ins Freie verschlossen. Wenn es ihnen auch gelang, die Bewohner der Hütten außerhalb der Hofmauer zu alarmieren, so waren dort doch nur Weiber und Kinder anwesend, da man die Männer zur Verstärkung der Wache für die Nacht in den Turm hinein befohlen hatte. In dieser allgemeinen Wirrnis kam die Mittagszeit heran, ohne daß man im stande gewesen wäre, das Geringste zur Verfolgung des flüchtigen Ritters zu unternehmen. Da nahte unvermutet Sukkurs von außen durch die Ankunft Christies von Clinthill, der an der Spitze eines kleinen Trupps Reisiger herangesprengt kam, die auf ihren Sturmhauben das Zeichen der Avenel, den Stechpalmzweig, trugen.

»Heda,« rief Cristie hinauf, »ich bring Euch einen Gefangenen!« »Besser wärs schon,« antwortete ihm Dan von Howlet-Hirst, »Ihr brächtet uns Freiheit.«

Verwundert über die Lage, in der er die Turmbewohner fand, rief Christie: »Und wenn mir der Galgen drohte, ich könnt mir das Lachen nicht verbeißen, Leute wie die Ratten durchs eigne Gitterloch gucken zu sehen! Der mit dem Barte dort sieht aus wie der echte Rattenkönig!«

»Schweig, Du Schelm! hier ist jetzt keine Zeit zu rohen Späßen!« rief Edward hinunter.

»Ei, ei, mein Jüngling,« rief Christie zurück, »auch obendrein noch naseweis? Immerhin, ich will die Worte heute nicht auf die Goldwage legen. Reicht mir einen Haken herunter! Damit werd ich Euch wohl Luft machen können. Bin doch schon in manch liebes Gitter eingebrochen!«

Christie hatte nicht zu viel versprochen, denn noch ehe eine halbe Stunde verstrichen war, stand das Gitter, das allen Anstrengungen von innen so lange getrotzt hatte, offen.

»Und nun zu Pferde, Kameraden! und hinter dem elenden Shafton her!« rief Edward, dem Stalle zurennend.

»Sachte, sachte,« erwiderte Christie, »Ihr werdet doch nicht Eurem Gaste, einem Freunde meines Herrn, nachsetzen? Mit so was ist ja nicht zu spaßen. Weshalb wollt Ihr ihm hinterher?«

»Der Schurke hat meinen Bruder ermordet! Also Platz da!« rief Edward.

»Was faselt der Mensch? Wer ermordet? und von wem ermordet?«

»Shafton hat heut morgen Halbert im Walde erschlagen,« sagte Dan.

»Ihr seid Wohl alle miteinander toll geworden?« rief Christie von Clinthill, »Ihr sitzt hier alle m Eurem Turm eingesperrt, ohne Euch rühren zu können, damit Ihr nicht Rache nehmt für einen Mord, der gar nicht verübt worden ist.«

»Ihr hört doch aber, daß dieser Hund von Shafton gestern früh meinen Bruder erschlagen hat,« rief Edward,

»Und ich sag Euch,« versetzte Christie, »daß ich gestern abend Euer« Bruder heil und gesund gesehen habe.«

Darauf schwiegen alle und gafften verwundert den Reisigen an, bis der Unterprior, der sich bisher von dem Manne ferngehalten hatte, auf ihn zutrat und ihn auf sein Gewissen fragte, ob er als wahr behaupten wolle und könne, daß Halbert Glendinning noch am Leben sei. »Ehrwürdiger Vater,« antwortete Christie mit einer Ehrerbietung, wie er sie außer seinem Herrn sonst niemand zu erweisen pflegte, »ich treibe manchmal meinen Spaß mit Leuten, die Kutten tragen, mit Euch aber nie! denn Euch hab ich, wie Ihr wohl noch wißt, mein Leben zu verdanken! Und Euch sag ich, Pater Prior, so wahr wie gestern abend die Sonne am Himmel untergegangen ist, so wahr ists, daß gestern abend Halbert Glendinning im Schlosse meines Herrn sein Abendbrot gegessen hat, und daß er dorthin gekommen ist in Gesellschaft eines Greises, den ich Euch hierher bringe, als Euren Gefangenen.«

Die letzten Worte überhörend oder auf sie kein Gewicht legend, fragte Pater Eustachius: »Und wo befindet sich Halbert jetzt?«

»Das kann Euch bloß der Teufel sagen,« versetzte Christie, »denn meiner Meinung nach muß die ganze Sippe seines Namens vom Teufel besessen sein. Der Junge ist über dies und das, was mein Herr gesagt hat, aus Rand und Band geraten, ist aus dem Schloß ausgebrochen, ist über den See geschwommen wie eine wilde Ente und ist nicht wieder aufgebracht worden, trotzdem ihm mehrere unsrer Reisigen auf Tod und Leben nachgesetzt sind.«

»Und warum hat ihm Euer Herr nachsetzen lassen? hat er was verbrochen?«

»Meines Wissens nicht. Aber der Ritter von Avenel ist seit einigen Tagen schier wie von der Tarantel gestochen,« sagte Christie, »und möchte jeden fressen, der ihm in den Weg tritt.«

»Edward,« fragte der Mönch jetzt den jüngern Glendinning, »wohin so eilig?«

»Nach Corinnan-Shian, Vater!« versetzte der Jüngling. »Martin, Dan, wenn Ihr Männer seid, so nehmt Hacke und Spaten und folgt mir!«

»Recht so,« sagte der Mönch, »und findet Ihr was, setzt uns sofort in Kenntnis.«

»Ungesalzen will ich fressen, was Ihr findet,« rief Christie, »wenn Ihr was findet, das mit Halbert Aehnlichkeit hat! ... Aber da bringen meine Reisigen Euren Gefangnen. Von ihm hätt ich schon lange reden sollen, aber Euer Krakehl hat mich noch nicht zu Worte kommen lassen.«

Zwei Avenel'sche Reisige ritten in den Hof, in der Mitte ein Klepper, auf dem der reformierte Prediger Heinrich Warden saß. »Mein Herr schickt Euch und Eurem Abt, um sich von böser Verleumdung zu reinigen, die ihn als Ketzer brandmarken möchte, den Mann, der mit seinen Predigten die Welt von oben zu unterst gekehrt hat. Ihr sollt mit ihm verfahren, wie es die heilige Kirche gebeut, und wie es Eure Ehrwürden und Seine Ehrwürden der Abt für recht und billig befinden werden.«

Die Augen des Unterpriors leuchteten bei dieser Kunde, denn für das Kloster war es eine Sache von hoher Wichtigkeit, einen Mann in Haft zu nehmen, der von so hohem Eifer für den neuen Glauben beseelt war, daß er die römische Kirche nicht allein aufs tiefste geschädigt hatte, sondern seit langem und noch immer in Schrecken hielt.

Für das Verständnis der in diese Erzählung verwobenen Charaktere ist es hier notwendig, zu erwähnen, daß die römische Kirche in dem Königreiche Schottland in ihren letzten Zügen lag, daß in vielen Städten die Klöster schon durch den Pöbel niedergerissen worden waren und die reformierten Barone sich allerorten im Lande an klösterlichem Gut zu bereichern liebten. Das Kloster Kennaqhueir erfreute sich nun aber des besonderen Schutzes der mächtigen Grafen von Northumberland und Westmoreland, und war zufolgedessen noch immer im stande gewesen, all seine Gerechtsame aufrecht zu erhalten und für das Ansehen seiner Kirche als streitende Macht aufzutreten.

Zu den eifrigsten Predigern der Gegenkirche hatte nun Heinrich Warden, seitdem er aus dem Kloster geflohen war, in das er seinerzeit zusammen mit dem Prior Eustachius als Novize eingetreten war, gegolten, und nun lieferte der Zufall ihn als Gefangenen in dasselbe Kloster, zu einer Zeit, da sein einstiger Schulkamerad dort die Stelle eines Unterpriors bekleidete und in allem als die rechte Hand, in nicht wenigem als die eigentliche Seele seines Abtes galt. Heinrich Warden hatte in dem Feuereifer, der ihn beseelte, die Grenzen seiner Glaubenspartei eingeräumten Rechte überschritten und sich mit dem Staate und dem Gerichte in Konflikt gesetzt. Zufolgedessen war er aus Edinburg geflohen, hatte aber von Lord James Stuart, nachmals als Graf von Murray berühmt, Empfehlungen an verschiedne Grenzhäuptlinge, darunter an Julian von Avenel, mit auf den Weg bekommen, und diese hatten sich heimlich verschworen, ihn sicher nach England hinüber zu schaffen. Julian von Avenel hatte sich ohne Bedenken mit beiden Parteien eingelassen, würde sich aber, so schlimmen Sinnes er sonst war, nichts gegen einen ihm von so hoher Seite empfohlenen Gast herausgenommen haben, hätte derselbe sich nicht in solcher, wie ihm es schien, maßlos zudringlichen Weise in seine häuslichen Verhältnisse gemischt. Anstatt nun aber gegen Warden in seinem eignen Schlosse Gewalt zu üben, hatte er, mit der ihm eigenen Arglist, den Plan geschmiedet, ihn an das Liebfrauenkloster auszuliefern, um nicht allein ihm die Befriedigung seiner Rachsucht zu überlassen, sondern sich dort auch einen Anspruch auf Belohnung zu sichern, sei es in Geld, sei es in Abtretung von Klosterland gegen geringen Erbzins, der damals üblichen Weise, die Klöster ihres weltlichen Besitzes zu entkleiden.

Als nun der Unterprior so unerwartet den unbeugsamen Feind der Kirche seinen Händen überantwortet sah, war seine erste Regung, die Erwartung aller Freunde der Kirche, die sich mit solchem Vorgange verknüpften, dadurch zu erfüllen, daß er die Ketzerei in dem Blute eines ihrer tätigsten Bekenner erstickte.

»Räumt das Gemach,« befahl er den Anwesenden,»bloß die zur Bewachung des Gefangenen notwendigen Leute sollen hier bleiben – und dann bringt mir den Mann Herein!«

Außer Christie von Clinthill, der selbst die Wache zu übernehmen erklärte, verließen alle den Raum. Antlitz in Antlitz standen sich nun die beiden Nebenbuhler gegenüber: der Mönch im Begriff, mit äußerster Gefahr für sich und seine Brüderschaft ein Werk zu tun, das er in seiner Unwissenheit für seine Pflicht erachtete; der Prediger, von besserer Einsicht erfüllt, sich für die Sache des Herrn jeglicher Strafe zu unterziehen, nötigenfalls seine Sendung mit seinem Blute zu besiegeln. Also gerüstet zu dem geistigen Kampfe, einer den andern mit den Blicken durchdringend, in der Hoffnung, einen Riß oder Mangel in der Rüstung des Gegners zu entdecken, näherten sie sich einander. Aber während sie sich mit den Blicken maßen, fingen doch langsam alte Erinnerungen an, sich in ihren Herzen zu regen. Von der Stirn, des Mönches wich langsam die Strenge und Unversöhnlichkeit, und von Wardens Antlitz der verhaltene Trotz, und auf einen Moment streiften sie die düstre Feierlichkeit des Wesens von sich. Sie hatten zusammen eine Universität im Auslande besucht, waren dort treue Freunde gewesen, hatten sich geholfen in mancher Zeit der Bedrängnis. Dann hatten sie sich auf lange Zeit trennen müssen. Warden hatte um seiner Sicherheit willen, der Mönch der gemeinen Klostersitte gemäß, den bürgerlichen Namen abgelegt, und so war es gekommen, daß sie sich in den feindlichen Rollen in dem großen politischen Drama, das sich zu ihrer Lebenszeit in Schottland abspielte nicht wiedererkannt hatten. Allein jetzt rief der Mönch: »Henry Wellwood!« und der Prediger: »William Allan!« und ergriffen von den alten vertrauten Klängen, ergriffen von den unvergeßlichen Erinnerungen gemeinsamer Jugenderlebnisse, gemeinsamer Studien, reichten sie sich auf einen Augenblick die Hände und blickten einander ins Herz.

»Nehmt ihm die Fesseln ab!« sprach der Mönch und half dem Reisigen eigenhändig bei dieser Arbeit.

Aber als sie im andern Augenblick zum Bewußtsein der Rollen, die ihnen vom Schicksal zuerteilt worden waren, kamen, da ließ jeder die Hand des andern los und trat von dem andern hinweg. Und jeder maß wieder den andern mit den kalten Blicken des Widersachers.

»Ist dies die Grenze von Wellwoods Laufbahn?« hub der Unterprior an, »ist dies das Ende der rastlosen Tätigkeit, der unerschrocknen Wahrheitsliebe, die die Forschung bis auf die Spitze trieb? die den Himmel stürmen zu wollen schien? Mußten wir uns darum in den besten Jahren der Jugend kennen und lieben, um uns im Alter als Richter und Beklagter gegenüberzustehen?«

»Nicht so, William Allan, begegnen wir uns wieder,« versetzte Warden, »sondern als irregeführter Tyrann und als demütiges Schlachtopfer. Auch ich frage nun: sind dies die Früchte jener herrlichen Hoffnungen auf William Allans klassische Bildung, scharfe Verstandeskräfte und unschätzbare Kenntnisse, daß er sich erniedrigen mußte zum nutzlosen Einsiedler, vor dem Pöbel beehrt mit dem hohen Auftrage, Roms Bosheit an Roms Widersachern zu üben?«

»Nicht Dir,« wiederholte der Mönch, »noch sonst einem Sterblichen, des sei versichert, will ich Rechenschaft geben von der Gewalt, mit der die heilige Kirche mich bekleidet hat, die mir verliehen von ihr wurde als ein Pfand zu ihrem Heile. Und zu ihrem Heile soll diese Gewalt jeder Gefahr zum Trotz angewendet werden, ohne Furcht und ohne Nachsicht!«

»Von Deinem mißleiteten Eifer habe ich Geringeres nicht erwartet,« antwortete der Prediger, »und in mir habt Ihr jemand gefunden, gegen den Ihr Euer Ansehen furchtlos geltend machen könnt, mit der Sicherheit, daß wenigstens sein Geist Eurem Einfluß Trotz bieten wird, gleich dem Schnee auf dem Mont-Blanc, der auch nicht schmilzt in der Hitze des Sommers, und den wir einst zusammen sahen.«

»Daran zweifle ich nicht,« erwiderte der Mönch. »Du warst von je ein Löwe, der sich gegen den Speer des Jägers wandte, und nicht wie ein Hirsch beim Klange des Hifthorns erbebte.« Schweigend schritt er durch den Raum. Dann sprach er wieder: »Wellwood! wir können nicht länger Freunde sein. Unser Glaube, unser Anker in der Zukunft ist nicht mehr der gleiche.«

»Es betrübt mich tief,« erwiderte der andre, »daß Du die Wahrheit redest, Allan! Möge denn Gott mich richten, wenn ich die Belehrung einer Seele, wie der Deinen, nicht mit meinem Herzblut erkaufte.«

»Mit besserm Grunde muß ich Dir Deinen Wunsch zurückgeben,« sagte der Mönch. »Ein Arm, wie der Deine, sollte die Bollwerke der Kirche verteidigen! Doch da es der Wille des Schicksals ist, daß wir nicht länger als Freund Seite an Seite fechten, so laß uns wenigstens als edle Feinde handeln. Willst Du ehrlicher Gefangner bleiben auf Dein Wort, wie es die Krieger dieses Landes zur Bedingung setzen? Willst Du feierlich geloben, Dich auf meine Ladung vor dem Abt und Kapitel des Liebfrauenklosters zu stellen, und Dich nicht über eine Viertelmeile in der Runde von diesem Hause zu entfernen? Ich meine, willst Du Dein Wort dafür setzen zum Pfande, so sollst Du, also baue ich auf Deine Ehrlichkeit, unbewacht und ungefesselt Dich hier bewegen können.«

»Insofern, als Dein Vorschlag mit solcher Ruhe und Höflichkeit gemacht wird,« sagte der Prediger, »und von meiner Seite mit Ehren angenommen werden kann, will ich darauf eingehen.«

»Halt!« rief der Mönch, »einen Punkt noch, den ich fast vergessen hatte! Du mußt geloben, während Deines Aufenthalts hier weder mittel- noch unmittelbar Deine pestartige Ketzerei zu verbreiten.«

»Hier müssen wir unsre Unterhandlung abbrechen,« versetzte fest und entschieden der Prediger. »Wehe mir, wenn ich das Evangelium zu predigen unterließe!«

Diese Worte brachten den Mönch außer sich. ... »Bereite Dich, zu tragen, was Du um solcher Gesinnung, um solches Trotzes willen verdienst. Kriegsmann, bindet ihn!«

Heinrich Warden, mit stolzer Ergebenheit in sein Schicksal, reichte die Arme den Fesseln, ... »Schont meiner nicht!« sprach er zu Christie, der, so rohen Sinnes er war, doch Anstand nahm, die Bande fest zu ziehen.

Und während der Mönch aus seiner Kutte hervorsah, wie der Reisige dem Befehle genügte, wahrend er den Blick zu Boden senkte und die Hand an die halb von der Kutte verhüllte Wange legte, als wenn er die Bewegungen seines Gemüts ersticken wolle, erhob sich am Eingänge des Turmes ein wilder Lärm, und gleich darauf stürzte Edward Glendinning mit erhitzten Wangen in das Gemach hinein.

»Gott sei Dank, ehrwürdiger Vater,« rief er, »mein Bruder lebt! In Corinnan-Shian findet sich kein Grab, keine Spur von einem solchen. Der Rasen um die Quelle ist weder durch Spaten noch durch Schaufel weggeräumt worden. Mein Bruder lebt, so gewiß ich noch lebe!«

Der Ernst des Jünglings, die Lebhaftigkeit seines Wesens, sein blitzendes Auge erinnerten den Prediger, als er ihn sah, lebhaft an Halbert, und er fragte, ohne sich Zeit zu gönnen: »Von wem sprichst Du, mein Sohn, etwa von einem Jünglinge, der etwas älter zu sein scheint, wie Du, schlanker und kräftiger ist als Du, braunes Haar hat und ein offnes Gesicht? der aber beinahe die gleiche Stimme hat wie Du und fast die gleiche Haltung hat wie Du?«

»Sprecht, ums Himmels willen, sprecht!« rief Edward, »Tod und Leben liegen auf Eurer Zunge.«

Und mit einer Stimme, so ruhig, als stände er nicht hier unter der schwersten Bedrohung von Freiheit und Leben, gab der Prediger einen haarkleinen Bericht, wie er Halbert getroffen, wie ihn Halbert in die Schlucht geführt hatte, worin sie Gras mit Blut bedeckt und ein zugeschüttetes Grab gefunden hätten, wie der Jüngling sich selbst des Mordes an Sir Piercie Shafton bezichtigt habe.

»Und sagtest Du nicht eben,« wandte der Mönch sich an Edward, »daß dort keine Spur von einem Grabe zu sehen, zu finden sei?«

»Keine Spur!»wiederholte Edward, »indessen muß auch ich sagen, daß der Rasen ringsum niedergetreten und mit Blut bespritzt war.«

»Das sind Blendwerke des Bösen,« rief der Mönch, indem er sich bekreuzte, »kein Christ kann länger daran zweifeln!

»Wäre dies der Fall,« sagte Würden, »so möchten wohl Christen sich besser davor bewahren mit dem Schwert des Gebets als durch solch kabbalistisches Zeichen!«

»Das Zeichen des Kreuzes, das Zeichen der Erlösung,« sagte der Mönch, »entwaffnet alle bösen Geister.«

»Das bloße Wort,« erwiderte der immer kampfbereite Warden, »ist kein Beweis! Wo steht geschrieben, daß dergleichen leeren Zeichen und Gebärden solche Kräfte, wie Du behauptest, innewohnen?«

»Ich wollte vordem mit Dir disputieren,« antwortete der Mönch, »aber Dein Trotz lehnte es ab. Jetzt bin ich nicht mehr dazu willens.«

»Und sollten es die letzten Worte sein, die über meine Lippen dringen,« versetzte der Reformator, »und würden sie gesprochen auf dem Scheiterhaufen, halb erstickt vom Rauche der Flammen, so würde ich doch mit meinem letzten Hauche zeugen gegen Roms abergläubische Erfindungen!«

Nur mit Mühe unterdrückte der Unterprior die Antwort, die ihm auf den Lippen schwebte, und sagte zu Edward, er solle seine Mutter auf der Stelle in Kenntnis setzen, daß sein Bruder noch lebe.

»Ich habs Euch doch schon vor zwei Stunden gesagt,« bemerkte Christie von Clinthill, »aber mir wolltet Ihr nicht glauben. Wie es scheint, verdients die Aussage solch alten Graukopfs besser? und dabei reite ich doch niemals aus, ohne mein Paternoster herzusagen.«

»Führt den Gefangenen ab,« antwortete der Mönch, »und achtet darauf, daß er nicht entweiche. Allein füget ihm kein Leid zu! Bei Eurem Leben!«

Kaum sah sich der Unterprior mit Edward, der das Gemach noch immer nicht verlassen hatte, allein, so fragte er: »Was ist Dir widerfahren, Edward, daß Deine Augen funkeln, Deine Wangen bald rot, bald blaß sich färben? daß Du Dich weigerst, Deiner Mutter die frohe Kunde zu bringen? So geh doch und sage es ihr!«

»Ich muß ihr, wenn ich das eine melden, jetzt auch das andre melden, daß, wenn sie einen Sohn wiedergewonnen, den andern dafür verliert!«

»Was sollen solche Reden bedeuten, Edward?« fragte der Prior streng.

»Vater,« sprach der Jüngling, indem er vor dem Prior niederkniete, »ich will Dir meine Sünde bekennen und Du sollst Zeuge sein von meiner Reue.«

»Was ist es, mein Sohn, das Dein Gewissen so peinigt?« fragte der Prior gütig. »Laß es mich wissen. Die Gnade der Kirche ist groß gegen ihre folgsamen Kinder, die ihre Gewalt nicht bezweifeln.«

»Mein Bekenntnis wird ihrer Gnade gar sehr bedürfen,« erklärte Edward, »ich hörte von dem plötzlichen Tode des Bruders mit Freude und freute mich seiner – ich hörte von seiner Wiedergeburt und betrübte mich dessen.«

»Edward!« rief der Mönch, »Du bist von Sinnen! In der Erschütterung Deines Herzens hast Du die Stimme desselben falsch gedeutet! Geh hin, mein Sohn, und sammle Deine Sinne im Gebet!«

»O, Vater, was mein Herz erfüllte, was mein Herz trieb zu solch sündiger Freude, es war die Liebe zu Mary von Avenel! durch sie bin ich zu dem schrecklichen Sünder geworden, als welchen ich mich vor Dir und unsrer Kirche bekenne!«

»Liebe zu einem Mädchen, das Eurem Stande so weit überlegen ist? Wie durfte Halbert, wie durftest Du es wagen, die Augen zu ihr zu erheben, anders, als mit dem Bewußtsein, daß sie für Euch unerreichbar sei? daß sie an Rang so unendlich über Euch stände, daß jeder solche Gedanke an Wahnsinn streife?«

»Wann hat Liebe gewartet auf Ahnen?« erwiderte Edward; »war Mary nicht unsrer Mutter Pflegekind? und in nichts unterschieden von uns, mit denen sie gemeinsam erzogen wurde? Genug, wir liebten sie, liebten sie beide! und ich sah, wenn, wir beisammen saßen, recht gut, daß Halbert ihr der Liebere sei, an tausenderlei Zeichen. Aber ich trug es, Vater, ohne ihn zu hassen ...«

»Und wohl Dir,« fiel der Mönch ihm in die Rede, »daß Du es trugst, und daß Du ihn nicht haßtest! wie hattest Du auch so verstockt sein können, ihn zu hassen, weil er töricht war wie Du?«

»Vater,« fügte Edward, »die Welt hält Dich für weise und schätzt Deine Kenntnis des menschlichen Herzens. Aber hier gehst Du irre! Es geschah nicht ohne schweren innern Kampf, daß ich mich vor Haß bewahrte, und nie habe ich schwerer gekämpft als in jener Nacht, die uns trennte. Und es war mir kaum möglich, der Freude zu widerstehen, als er von meinem Pfade gerissen wurde – es war mir nicht möglich, mich der Betrübnis zu wehren, als er wieder in meinen Pfad geschleudert wurde.«

»Gott sei Dir gnädig, mein Sohn!« sprach der Mönch und legte die Hand auf sein hämmerndes Haupt, »das ist ein gräßlicher Gemütszustand! In eben solch böser Stimmung erwürgte der erste Mörder seinen Bruder, weil Abels Opfer dem Herrn genehmer war.«

»Ich will ringen mit dem Dämon, der sich meiner bemächtigt hat,« sprach der Jüngling mit Festigkeit. »Aber ich muß zuerst vor den Auftritten fliehen, die hier stattfinden werden. Ich kann den Anblick nicht ertragen, wenn Marys Augen vor Freude leuchten werden über die Nachricht von dem Wiederfund ihres Geliebten, denn das könnte mich zu einem andern Kain machen!«

»Rasender!« rief der Mönch. »Zu welchem Verbrechen droht Deine Wut Dich zu treiben?«

»Mein Los ist entschieden,« sprach Edward. »Ich werde in den geistlichen Stand treten, den Ihr mir einst so dringend empfahlet. Es ist mein Vorsatz, mich mit Euch ins Kloster zu begeben, Vater.«

»Nicht in diesem Zustande von Zerrüttung, mein Sohn,« antwortete der Mönch. »Ich sage es nicht, um Dich von Deinem Pfade abzubringen, und Du sollst ja mit mir gehen. Aber als Novize mußt Du eine Prüfungszeit bestehen, und für diese ist es Vorschrift des Ordens, daß Du sie antrittst mit kaltem Blute und nach reiflichem Bedacht.«

»Es gibt Handlungen, Vater,« erwiderte Edward, »die keinen Verzug gestatten. ... Wann werden wir uns in das Kloster begeben?«

»Wenn Du willst, auf der Stelle,« erklärte der Prior, seinem Ungestüm nachgebend. »So gehe und triff die hierzu nötigen Anstalten! Doch warte! Du mußt mir zuvor volle Beichte ablegen, mein Sohn; ich frage Dich drum, hast Du auch nichts mir verschwiegen, was Dich so plötzlich bestimmt hat zu solchem Entschlusse?«

»Meine Sünde habe ich vollständig gebeichtet,« sprach Edward, indem er sich wieder auf die Kniee fallen ließ, »aber einer seltsamen Erscheinung habe ich nicht erwähnt, die durch ihre Wirkung auf mein Gemüt wohl dazu beigetragen haben mag, daß ich diesen Entschluß so schnell faßte!«

»Laß mich denn alles wissen, mein Sohn!«

»Ich erzähle es nicht gern,« sagte Edward.

»Erzähle es mir immerhin!« sagte der Mönch, »und fürchte keinen Tadel von mir! denn ich kann Gründe haben, als wahr anzunehmen, was Dir anders bedünken mag.«

»So wisset denn, Vater, daß ich, zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwebend, den verstümmelten, eilig verscharrten Leichnam zu finden, nach dem Tale eilte. Ihr wißt, in welchem Rufe der Platz in der ganzen Gegend steht. Meine Begleiter gerieten in Angst, und eilten, wie auf einem Verbrechen ertappt, das Tal hinunter. Meine Seele war zu erregt, um Lebendige oder Tote zu fürchten. Ich ging langsamer als meine Begleiter. Schon waren sie mir aus dem Gesicht geschwunden, als ich, mich umschauend, an der Quelle eine weibliche Gestalt erblickte ...«

»Hüte Dich, mein Sohn,« fiel ihm der Mönch streng in die Rede, »in einer Stimmung, wie Deiner jetzigen, zu scherzen!«

»Ich scherze nicht, Vater,« antwortete der Jüngling, »wer weiß, ob ich je wieder scherze! Ich sage Euch, ehrwürdiger Vater, ich sah eine weibliche Gestalt, in weitem Gewande, schneeweiß, ganz so, wie man den Geist schildert, der um das Haus Avenel wandert. Glaubt mir, Vater, bei Himmel und Erde! ich spreche kein Wort, als was ich mit diesen Augen gesehen habe!«

»Ich glaube Dir, mein Sohn,« sagte der Mönch. »Erzähle weiter!«

»Die Erscheinung,« sagte Edward Glendinning, »begann zu singen, und zwar wie folgt: – und so seltsam es Euch erscheinen mag, daß ich die Worte noch jetzt so genau weiß, so vermag ich doch keine Erklärung dafür zu geben, außer daß sie mir so unvergeßlich in die Seele geprägt sind, wie wenn sie mir seit meiner Kindheit bekannt wären: –

Der Du zu meinem Quell gekommen,
Von argen Hoffnungen entglommen,
Des Herz von sünd'ger Freude glüht,
Wenn scheinbar Gram Dein Aug umzieht,
Zurück! hier findest Du fürwahr
Nicht Leiche, Sarg, nicht Grab noch Bahr,
Der Tot-Lebendige ist nicht hie.
Zu den Lebendig-Toten flieh!
Zu ihnen, deren Ernst verhehlt
Oft jenen Wunsch, der Dich beseelt;
Die oftmals, Leidenschaft zernagt,
Der sie mit einem Schwur entsagt;
Die ernsten Blicke oft wild Verlangen
Und eitle Hoffnung hält befangen;
Du eile in des Klosters Schoß,
Gebet und Wachen sei Dein Los!
Weg mit dem Grün, nimm graues Kleid,
Hinweg! dem Kloster Du geweiht!

»Das ist ja ein seltsamer Singsang,« sagte der Mönch, »und wie mir scheinen will, nicht eben zu Deinem Besten gesungen. Aber wir haben die Gewalt, des Satans Blendwerk zu schanden zu machen. Du sollst mit mir gehen, mein Sohn! Aber willst Du nicht Deine Mutter noch einmal sehen?«

»Keinen Menschen mag ich mehr sehen,« rief Edward. »Ich will nicht Gefahr laufen, daß mein Entschluß wankend gemacht werde. ... Aus dem Kloster sollen sie erfahren, was ich will. Sie alle mögen wissen, daß Edward nicht länger mehr der Welt angehört, ihrem Glücke im Wege zu stehen!«

»So komm, mein Sohn! und wenn wir durch das Tal hinunter reiten, will ich Dir die Wahrheiten künden, wodurch die Väter und Weisen der Vorzeit zu jener köstlichen Alchimie den Weg fanden, welcher die Kraft innewohnt, unsre Leiden in Glückseligkeit zu wandeln!«


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