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Drittes Kapitel.

Halbert Glendinning ging der warnende Blick des Unterpriors tief zu Herzen, denn wenn ihm auch aus dem Unterricht des wackern Klosterherrn geringerer Nutzen erwachsen war als seinem Bruder Edward, so war doch sein Gemüt von der lautersten Ehrfurcht vor ihm erfüllt, und wenn ihm auch nur wenig Zeit geblieben war, die Lage, in die er durch die gegen den Ritter ausgestoßene Beleidigung geraten war, zu überdenken, so war ihm doch wenigstens das eine klar geworden, daß er den Ritter tödlich beleidigt hatte, und daß er alle Folgen dieser Handlung über sich ergehen lassen müsse.

Um nun diese Folgen nicht durch unzeitige Erneuerung des Zwistes schneller über sich zu bringen, als es die Umstände notwendig machten, hielt er es für geraten, sich auf die Zeit von einer Stunde zu entfernen, und mit sich darüber zu Rate zu gehen, wie er sich diesem hochmütigen Gaste gegenüber hinfort am besten verhalte; und bei Ausführung dieser Absicht kam ihm der Umstand vorteilhaft zu statten, daß alle Glieder des kleinen Haushalts sich, sobald sich der Abt entfernt hatte, wieder an ihre Hausarbeit begaben, so daß es nicht den Anschein weckte, als ob er dem Fremden mit Vorsatz aus dem Wege ginge. Er machte sich also auf den Weg in die enge Ebene hinunter, die sich zwischen dem Hügel, auf dem der Turm stand, und der ersten Windung, die das Bett des Baches machte, hinzog. Hier meinte er, sich in einem kleinen Birken- und Eichendickicht vor beobachtenden Blicken eine Zeitlang schützen zu können. Aber er war kaum zu dieser Stelle gelangt, als er einen leichten Schlag fühlte, und, wie er sich umsah, den Ritter vor sich stehen sah.

Es kann uns, wenn es mit unserm Mute, gleichviel ob aus Mangel an Vertrauen in unsre Körperkraft oder in die Gerechtigkeit der Sache, die wir vertreten, nicht sonderlich beschaffen ist, nichts in stärkerm Grade aus der Fassung bringen, als wenn wir unsern Gegner mit recht vergnügter Miene auf uns zutreten sehen. Das war der Fall so mit dem jungen Glendinning, als er so unvermutet des fremden Gastes ansichtig wurde, dessen Zorn er wachgerufen hatte, und der eine so friedliche Miene zeigte, als wenn gar nichts auf der Welt zwischen ihm und Halbert vorgegangen war. Wenn es auch Halbert an Mut und Geistesgegenwart nicht gebrach, so fühlte er sich doch über diesen unerwarteten Anblick des Ritters, und über seine so völlig unbeirrte Miene nicht wenig beunruhigt. Immerhin gelang es ihm, sich so weit zu beherrschen, daß er sich seine Bewegung nicht merken ließ und den Blick des Gegners mit vollständiger Ruhe aushielt. Ja, er fand sogar so viel Fassung, daß er die Frage an denselben stellen konnte: »Womit kann ich Euch gefällig sein, Sir Piercie Shafton?«

»Gefällig? Du mir?« wiederholte Sir Piercie; »eine recht nette Frage nach der Rolle, die Du gegen mich gespielt hast! Ich bin wirklich im höchsten Maße verwundert über diesen Wahnwitz von Dir, Bursche, gegen einen Mann, der als Gast Deines Lehnsherrn in das Haus Deiner Mutter kommt und als solcher gerechten Anspruch auf alle gebührliche Höflichkeit hat, in solch unmanierlicher Weise aufzutreten. Ich will weder danach fragen, noch mich darum bekümmern, auf welche Weise Du Dich in Besitz des leidigen Geheimnisses zu setzen gewußt hast, was Dir den Mut gab, mir vor allen Leuten Hohn zu sprechen. Aber so viel darf ich Dir Wohl sagen, daß sein Besitz Dir Dein Leben gekostet hat.«

»So lange ich es noch mit Hand und Schwert verteidigen kann, doch wohl nicht,« erwiderte Halbert keck.

»Des Vorteils der Verteidigung denke ich Dich ja nicht zu entkleiden,« erwiderte der Engländer, »nur fürchte ich, daß Du infolge Deiner Jugend und bäuerischen Erziehung nicht viel dadurch gebessert sein wirst. Aber damit hast Du zu rechnen, daß ich in diesem Zweikampf keinen Pardon gebe.«

»Und Dir, Du stolzer Mann, sei hierauf geantwortet, daß Du Dich eines Ersuchens um Pardon von meiner Seite nicht gewärtig zu halten hast, und daß ich auch nicht im geringsten befürchte, trotz Deiner Zuversicht, als läge ich bereits zu Deinen Füßen, solches Ersuchen von nöten zu haben.«

»So bist Du also nicht gewillt,« sagte der Ritter, »das Schicksal, das Dir winkt, und das Du mit solch ungemessener Verwegenheit heraufbeschworen hast, von Dir abzuwenden?«

»Wie sollte das möglich sein?« erwiderte Halbert Glendinning, mehr von dem Wunsche geleitet, sein Verhältnis zu dem Fremden besser zu erkennen als ihm irgend welche Nachgiebigkeit zu erzeigen.

»Du brauchst mir bloß zu sagen,« antwortete hierauf Sir Piercie, »aber ohne Säumen und ohne Arg, wie Du dazu gekommen bist, mich in meiner Ehre so tief zu verletzen, und kannst Du mir hierbei einen meiner Rache würdigeren Feind namhaft machen, dann will ich Dir um Deiner Geringfügigkeit willen gern erlauben, über Deine Keckheit und Deinen Mangel an Schicklichkeit einen Schleier zu decken.«

»Es wäre ein Unrecht, wollte man Deinem Uebermut solch hohen Flug gestatten ohne alles Hemmnis,« erwiderte Glendinning. »Du bist in meines Vaters Haus gekommen als Flüchtling und Verbannter, so weit ich vermuten kann, und der erste Gruß, den Du seinen Bewohnern sagtest, war Beleidigung und Verachtung. Wie ich nun dazu gekommen bin, Dir auf solches Verhalten zu antworten, wie ich es getan habe, das mach mit Deinem Gewissen ab. Für mich ist das Vorrecht jedes freien Schotten genügend, sich jeder Beleidigung zu wehren und kein ihm angetanes Unrecht auf sich sitzen zu lassen.«

»Gut also!« rief Sir Piercie Shafton; »morgen früh entscheiden wir unsern Zwist durch das Schwert. Als Zeit wollen wir den Tagesanbruch festsetzen, den Ort magst Du bestimmen. Wir begeben uns in den Wald, wie wenn wir vorhätten, auf die Jagd zu gehen.«

»Mir recht,« erwiderte Halbert Glendinning, »und ich will Dich an einen Ort führen, wo an die Hundert fechten und fallen können, ohne daß sie die geringste Störung oder Unterbrechung zu befürchten brauchen.«

»Einverstanden,« versetzte der Ritter, »und nun laß uns auseinander gehen. Es wird freilich wohl nicht ohne die Nachrede für mich abgehen, daß ich mich einem die Scholle brechenden Bauern gegenüber meines edelmännischen Rechts müßigerweise begeben hätte und zu einer tiefern Sphäre herniedergestiegen wäre, etwa der Sonne gleich, wenn sie sich dazu erniedrigen wollte, ihre goldnen Strahlen mit dem bleichen Schein eines flackernden Talglichts zu vergleichen. Indessen soll mich Rücksicht auf Rang nicht daran hindern, die mir von Dir erwiesene Kränkung zu ahnden. Und nun merke Dir, mein Sir Villaggio, daß, wir uns vor den Bewohnern jenes Turmhauses, das Du die Stätte Deiner Geburt nennst, nicht das geringste merken lassen, sondern so harmlos uns benehmen, als läge zwischen uns nicht das geringste mehr vor. Und das Weitere dann morgen bei Tagesanbruch!«

Mit diesen Worten schritt der Ritter dem Turme zu. Halbert folgte ihm langsam und konnte sich jetzt des Gedankens nicht erwehren, daß ihm sicherlich jede Neigung, ihm eine Kränkung anzutun, ferngelegen hätte, wenn sich der Ritter immer eines so edeln Betragens und ritterlichen Tons befleißigt hätte, wie bei dieser letzten Begegnung. Indes war die Sache nun nicht mehr zu ändern, die tödliche Beleidigung war auf beiden Seiten gefallen, und ihrem Ausgleich durch Entscheidung auf Tod und Leben ließ sich nun nicht mehr ausweichen.

Beim Abendtisch entfaltete Sir Piercie Shafton gegen sämtliche Mitglieder der Familie eine solche Liebenswürdigkeit und beteiligte alle so gleichmäßig an der Unterhaltung, wie noch nie bisher. Die meiste Aufmerksamkeit erwies er freilich seiner göttlichen und unvergleichlichen, »Protektion«, wie er Mary von Avenel noch immer zu nennen liebte; er unterließ aber auch nicht, Müllers Mysie, die er gern als »anmutige Demoiselle«, und der Hausfrau, die er als »Matrone« zu titulieren liebte, manche Blume seiner Rhetorik zu spenden. Ja, um sich ihrer Bewunderung noch mehr zu versichern, stimmte er sogar einen Gesang an, wobei er dem lebhaften Bedauern darüber Ausdruck gab, daß ihm seine Viola di gamba fehle; trotzdem brachte er es auf fünfhundert Verse eines »unsterblichen Liedes«, wie er sagte, »aus dem Munde des unsterblichen Sängers Asphodel, unter welchem Namen wir Sterbliche den göttlichen Sir Philipp Sidney zu nennen liebten, der diesen Gesang an seine holde Schwester, die einzige Parthenope, bei Hofe und in der Welt als »Gräfin von Pembroke« bekannt, gerichtet habe; und da Sir Piercie immer mit halb geschlossenen Augen zu singen pflegte, entdeckte er nicht eher, als bis er zum Schlusse gelangt war und die Augen aufschlug, daß seine Zuhörer zum weitaus größten Teile eingeschlummert waren. Mary von Avenel hatte wohl Takt genug besessen, sich die süßen Fadaisen des göttlichen Asphodel bis zum Schlusse anzuhören; Mysie dagegen kam sich vor, als sei sie wieder in Vaters Mühle und schlummerte schon beim Anbruch des zweiten Versdutzends, während Edward es wohl eine kleine Weile länger aushielt, die Nase der braven Hausfrau hingegen alles Zeug dazu verriet, zu der ersehnten Viola einen tiefen Baß als Begleitung zu schnarchen. Halbert war der einzige, der keine Neigung zum Schlummer verriet, sondern, den Blick auf den Sänger geheftet, wach blieb, freilich wohl nicht, weil ihn der Inhalt der Verse sonderlich unterhalten oder die Vortragsweise sonderlich entzückt hätte, sondern nur, weil ihm die Fassung Bewunderung, vielleicht auch Neid, abgewann, mit der der Ritter am Abend vor einem Zweikampf endlose Lieder zu singen im stande war. Indessen entging es seinem Scharfblick auch nicht, daß hin und wieder der Ritter auch auf ihn einen heimlichen Blick warf, wie wenn er hätte erspähen wollen, wie Halbert seine Kaltblütigkeit aufzunehmen scheine.

»In meiner Haltung,« dachte Halbert stolz, »soll er nicht das geringste lesen, was ihm die Meinung wecken könnte, als sei ich auch nur ein Körnchen weniger gleichgültig als er.«

Und dann trat er an einen Wandsims und nahm einen Beutel herunter, der mit allerhand Gerätezeug angefüllt war, und machte sich eifrig an die Herrichtung von einigen Angeln. Als er etwa ein halbes Dutzend fertig haben mochte, sang Sir Piercie die letzten Strophen seines Gesanges von Asphodel. Auf diese Art bekundete er seine Kaltblütigkeit gegenüber dem am nächsten Tage zu erwartenden Ereignisse.

Inzwischen war es spät geworden, und die Hausgenossenschaft ging auseinander. Sir Piercie wandte sich zu der Frau vom Hause mit dem Anfang einer Unterhaltung: »Ihr Sohn Albert –»meinte er.

»Halbert,« verbesserte ihn mit Nachdruck die Witwe, »nach seinem Großvater Halbert Brydone ...« »Na, auch gut,« antwortete Sir Piercie, »ich habe Euren Sohn Halbert gebeten, morgen bei Sonnenaufgang mit mir auf die Jagd zu gehen. Wir wollen einen Hirsch vom Lager scheuchen, und Euer Sohn will mir den Beweis erbringen, daß er wirklich ein so tüchtiger Weidmann ist, wie die Leute sagen.«

»O, Herr Ritter, das ist er freilich,« erwiderte die Frau, »und Ihr sagt ihm doch bei dieser Gelegenheit, daß er dem Herrn Abt, unserm gnädigen Herrn, Gehorsam schuldig ist, und redet ihm zu, die Stellung eines Bogenschützen im Dienste der Abtei anzunehmen. Nicht wahr?«

»Verlaßt Euch nur auf mich, liebe Frau,« versetzte Sir Piercie, »ich werde ihm schon beibringen, wie er sich gegen feine Leute und Vorgesetzten zu benehmen hat.«

Dann wandte er sich zu Halbert.

»Also bei Tagesgrauen treffen wir uns?« sagte er wieder.

Halbert nickte zustimmend, und der Ritter fuhr fort:

»Indem ich noch meiner allerschönsten Protektion all jene fröhlichen Träume wünsche, die das Lager schöner Huldinnen umgaukeln, dieser anmutigen Demoiselle Mysie hingegen süße Ruhe in Morpheus' Armen und allen übrigen Herrschaften die im allgemeinen übliche gute Nacht, suche ich für mich selbst um die gütige Erlaubnis nach, mich nach meiner Ruhestatt verfügen zu dürfen, wenngleich ich mit dem Dichter sagen darf:

Ach Ruh! nur Lag' und Ort getauscht, doch Ruh' nicht –
Ach Schlaf! nur Ohnmacht der Natur, doch Schlaf nicht –
Ach Bett! nur Pfühl von Steinen, doch nicht Bett –
Bett, Schlaf und Ruhe kennt nicht der Verbannte!

Darauf ein anmutiges Kompliment, und der Ritter war aus dem Gemache verschwunden. Frau Glendinning gab nun das Zeichen zum Auseinandergehen, befahl noch Halbert, den Ritter ja pünktlich bei Tagesgrauen zu erwarten und begab sich dann zur Ruhe.

Halbert, der neben seinem Bruder auf dem Strohlager ruhte, konnte keine Ruhe finden. Der Zwist mit dem Ritter nahm seinen Geist noch immer rege in Anspruch, und je mehr er sann, desto deutlicher wurde ihm, was der Geist dunkel angedeutet hatte, daß er, wenn er ihm die Gabe bewillige, die von ihm ebenso unvorsichtig und ungestüm begehrt werde, mehr zu seinem Schaden handle als zu seinem Nutzen, und er erkannte nun zu spät, welche Gefahren und Schwierigkeiten seinen liebsten Freunden durch diesen Zweikampf drohten, gleichviel, ob er als Sieger aus demselben hervorginge oder den Tod dabei fände. Welches traurige Vermächtnis von Kummer und Wirren mußte sein Tod für seine Mutter werden! Und Mary von Avenel? So gewiß er über das Haus, in welchem sie seit ihrer Kindheit Schutz und Zuflucht gefunden hatte, und über sie selbst unnötigerweise Unheil und Unfrieden brachte, ebenso gewiß konnte er ihr, wenn er in dem gegenwärtigen Kampfe unterlag, weder Hilfe noch Beistand noch Schutz mehr gewähren!

So verzweifelt aber seine Aussichten waren, im Fall er den kürzeren zog, so winkte ihm anderseits, wenn er als Sieger aus dem Zweikampfe hervorging, auch keine andre Aussicht, als daß er das Leben rettete und seinem Stolze Befriedigung schuf. Seiner Mutter und seinem Bruder hingegen, desgleichen auch Mary von Avenel, mußten, wenn er siegte, weit schwierigere Verhältnisse erwachsen, als wenn er in dem Zweikampfe den Untergang fand, denn der englische Ritter konnte im letztern Falle recht wohl sich für verpflichtet erachten, ihnen seinen Schutz fernerhin angedeihen zu lassen. Fiel hingegen der Ritter, so konnte wahrscheinlich nichts die Rache hintanhalten, die der Abt und das Kloster an den Vasallen nehmen würden, in deren Haus ihr Gast statt Beschützer Mörder gefunden hatte! Dieser Gedanke, daß den Seinigen auf jeden Fall, gleichviel, welchen Ausgang der Zweikampf für ihn nähme, Not und Verderben erwachsen müßten, wandelte jeden Strohhalm seines Lagers zu einem scharfen Dorn und jagte allen Frieden aus seinem Gemüt und allen Schlaf aus seinen Augen.

Und nur ein einziger Weg zeigte sich ihm aus diesem Wirrsal, aber es war ein Weg herber Erniedrigung, und ein Weg, nicht frei von Gefahr, selbst wenn er ihn wandelte. Er mußte dann dem englischen Ritter bekennen, durch welche seltsamen Umstände er bestimmt worden war, ihm die silberne Nadel zu zeigen, und von wem er sie bekommen hatte. Aber zu solchem Bekenntnis konnte sich sein Stolz nicht herablassen, und dann mußte er sich auch sagen, wenn er seinen Verstand dabei zu Rate zog, – und Verstand ist in solchen Fällen doch immer gar zu sehr geneigt, Stolz zu beraten – daß solche Erniedrigung ebenso unnütz wie überflüssig sein würde; »denn erzähle ich,« dachte er bei sich, »solch seltsame Geschichte, so werde ich doch unfehlbar entweder als Lügner gebrandmarkt oder als Zauberer bestraft, und wenn Sir Piercie Shafton so großmütig und edel wäre wie die Kämpen in Romanen, dann ließe sich vielleicht sein Ohr gewinnen und aus der Lage gelangen, in der ich stecke, ohne daß ich mich erniedrigen müßte, aber er ist doch so eingenommen von sich, so eitel und anmaßend und hochmütig, daß ich mich ganz ohne Frage vergeblich vor ihm beugen würde ... nein,« rief er plötzlich energisch und war mit einem Satze aus dem Bett, »ich beuge mich nicht!« und er packte sein großes Schlachtschwert und schwang es in dem Mondschein, der sich durch die offne Nische ergoß, die als Fenster diente ... als er zu seinem namenlosen Entsetzen dicht vor sich ein luftiges Gebilde erblickte, dessen flüchtig und leise wie ein Hauch zu ihm herüber dringende Stimme ihn im Nu dahin aufklärte, daß er die weiße Frau wieder vor sich hatte. Um so grausiger war ihm ihr Anblick, als sie diesmal ihm ungerufen erschien; es war ihm, als wecke sie Ahnungen in ihm von einem unmittelbar bevorstehenden Unglück, und der Gedanke, daß er sich mit einem Dämon verbrüdert habe, über dessen Macht und Eigenschaften er sich vollständig im unklaren befand, war von so furchtbarer Wirkung auf ihn, daß er vom Schreck wie gefesselt war und wie entgeistert die Gestalt anstarrte, die den Vers hersang oder im rhythmischen Maße hersprach:

Nicht vor Blutvergießen beben
Darf, wer Rache sinnt, denn eben
Knoten, die die Zunge fitzte,
Löst man nur mit Schwertes Spitze.

»Hebe Dich weg von mir, Du falscher Geist!« rief Halbert, »hab ich Deinen Rat doch schon so teuer erkauft! ... Fort, fort von mir, Du trügerisches Gebilde! fort, fort im Namen Gottes!«

Das Gespenst schlug eine gräßliche Lache auf, und ihr schriller Klang hörte sich weit grausiger an, als der sonstige so melancholische Laut seiner Stimme:

Du riefst mich einmal, riefst mich zweimal zu Dir,
Und ungerufen steh ich jetzund hier.
Du kamest ungebeten, unbegehrt ins Tal,
Und ungebeten, unbegehrt komm ich nun mal.

Vor Schreck schier außer sich, rief Halbert seinem Bruder zu:

»Edward, Edward! wache auf, wache auf! Siehst Du denn niemand in der Stube?«

Edward richtete sich auf und sah sich um.

»Nein,« sagte er, »ich sehe nichts.«

»Was? nichts auf dem Boden vor Dir im Mondschein?« fragte Halbert.

»Nein, ich sehe nichts, nichts als Dich, gestützt auf Dein bloßes Schwert. Glaub mir, Halbert, Du solltest mehr Deinen geistigen Waffen vertrauen als den Waffen von Stahl und Eisen, die Du so liebst. In so mancher Nacht schon bist Du aus Deinem Schlafe aufgefahren und hast laut gesprochen von Schlachten und Gespenstern und Kobolden, hast keine Erquickung im Schlafe gefunden, hast Dich gewälzt von einer auf die andre Seite. Glaub mir, Halbert, bete Dein Vaterunser und Dein Credo, gib Dich in Gottes Obhut, und Du wirst gesund schlafen und gestärkt erwachen.«

»Das kann schon sein,« antwortete Halbert langsam, aber sein Blick wich nicht von der weißen Gestalt, die in voller Sichtbarkeit vor ihm stand, »das kann schon sein. Aber, Edward, sag mir bloß eins: siehst Du wirklich nichts auf dem Boden als mich?«

»Nichts als Dich,« wiederholte Edward, indem er sich auf die Ellbogen stützte, »Bruder, leg Deine Waffe beiseite, sprich Dein Gebet und leg Dich zur Ruhe.«

Während dieser Worte Edwards stand auf dem Gesichte des Geistes dasselbe verächtliche Lächeln wie vordem, und bevor dieses Lächeln schwand, war zuvor die bleiche Wange in dem Mondlicht geschwunden, und Halbert erblickte die Erscheinung jetzt selbst nicht mehr, um derentwillen er sich so ängstlich an die Aufmerksamkeit seines Bruders gewandt hatte.

»Gott bewahre mir meinen Verstand!« sagte er, indem er sein Schwert abgürtete und sich wieder auf das Lager warf.

»Amen, mein Bruder, Amen!« erwiderte Edward; »wir dürfen jedoch den Himmel nicht herausfordern in unsrer Anmaßung, wenn wir auch zu ihm flehen in unsrer Not. ... Zürne mir nicht, lieber Bruder! ... Aus welchem Grunde hältst Du Dich seit einiger Zeit so fern von mir? Freilich, Du bist von Kind auf stark und beherzt gewesen, ich aber nicht, doch hattest Du bis vor kurzem noch immer ein paar Augenblicke tagsüber für mich. Warum ist das mit einem Male so ganz anders geworden, Bruder? Glaub mir, Halbert, ich habe manche Träne deshalb geweint, wenn ich es auch immer vermied, mich in Deine Geheimnisse zu drängen. ... Wirf doch die Arme nicht so wild um Dich, Bruder!« fuhr Edward fort, »Du hast, scheint es, seltsame Träume! Ich fürchte, Deine Nerven sind erschüttert. Rück näher an mich heran! Ich will Dich mit meinem Mantel zudecken.«

»Laß mich in Ruhe, Edward,« versetzte Halbert, »Deine Sorge ist unnütz. Deine Klagen sind grundlos, Du brauchst Dich wahrlich nicht solchen Befürchtungen hinzugeben um meinetwillen.«

»Bruder Halbert,« nahm da Edward das Wort, »gib mir ein paar Augenblicke Gehör! Wenn Du im Schlafe sprichst oder in wachen Träumen liegst, dann weilst Du bei Wesen, die nicht von dieser Welt sind und nicht zum Menschengeschlechte gehören. Unser frommer Pater Eustachius sagt, wir sollten freilich nicht uns mit Sagen von Kobolden und Gespenstern abgeben, denn es sei eitler Kram, aber wir müßten anderseits der heiligen Schrift gemäß für wahr halten, daß der böse Feind in Wüsten und an einsamen Stätten sich gern einnistet, und daß, wer sich allein dorthin wagt, auch leicht solchem schweifenden Satan in die Hände gerät. Darum, Bruder, bitte ich Dich, geh nicht wieder allein in das einsame Tal hinunter, sondern nimm mich mit. Wenn Du auch meinen Schutz nicht brauchst, so weißt Du doch, wie übel berüchtigt viele Stellen dort unten sind, und daß solchen Gefahren der besonnene Mensch besser gewachsen ist als der verwegene. Ich habe gewiß noch keinerlei Recht, mir auf meine Weisheit etwas einzubilden, aber was uns aus gelehrten Büchern der verwichnen Zeiten darüber zu Gebote steht, das ist mir doch bekannt geworden.«

Fast hätte Halbert sich versucht gefühlt, seinem Bruder, als er diese freundlichen Worte aus seinem Munde vernahm, alles zu vertrauen, was sein Herz so seltsam schwer bedrückte. Aber im nächsten Augenblick erinnerte Edward daran, daß doch eben ein hoher Festtag angebrochen sei, daß er alles andre beiseite lassen und eilen müsse, nach dem Kloster zu gelangen, da er beim Pater Eustachius für die Beichte vorgemerkt sei. Da regte sich Halberts Stolz wieder, und er nahm sich vor, seinen Entschluß nicht mehr zu ändern.

»Nein,« sprach er bei sich, »ich mag nicht fliehen vor diesem Engländer, denn sein Arm und sein Schwert können nicht besser sein als mein Arm und mein Schwert. Meine Väter haben schwereren Kampf bestanden, und daß er wirklich ein so guter Fechtmeister ist, als wie er von sich sagt, das mag er nur erst mal beweisen.«

Stolz, sagt man, behütet Mann und Weib vorm Falle, Stolz erweist sich aber noch von stärkerm Einfluß auf die Seele, wenn er sich auf die Seite der Leidenschaft schlägt, denn dann siegt er über Vernunft und ertötet das Gewissen. So auch bei Halbert, der nun, wenn auch zum Schlimmern, entschlossen war. Zuletzt aber überkam auch ihn der Schlaf, und er wurde erst mit Tagesanbruch wieder munter.


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