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Sechstes Kapitel.

Es war ein schmerzliches Gefühl, das Halberts Brust erfüllte, als er neben dem Greise einherschritt in dem Bewußtsein, daß dieser Weg ihn auf immer entfernte von seinem Heim und von Mary Avenel, weit schmerzlicher als es zu sein pflegt zu einer Zeit und in Ländern, wo ein Menschenleben wenig gilt, wie es in jenen Jahrhunderten vorwiegend der Fall war in Schottland; und lange Zeit ging der Greis neben dem Jüngling her, aber endlich brach er das Schweigen.

»Mein Sohn,« sprach er, »es heißt im Sprichwort, der Kummer, der sich keine Luft mache, sei tödlich. Sage mir, weshalb befällt Dich eine solche Niedergeschlagenheit? Erzähle mir das unglückliche Los, das Dich getroffen hat; es ist mir doch vielleicht möglich, Deinem jungen Leben Rat und Hilfe zu schaffen.«

»Ach,« klagte Halbert, »könnt Ihr Euch wohl wundern, daß Ihr mich bekümmert seht? Ich bin jetzt ein Flüchtling, der Mutter, Bruder und Freunde hinter sich läßt, auf dessen Seele das Blut eines Menschen lastet, der mich wohl beleidigte, aber doch nur mit eitlen Reden, die ich ihm aber blutig heimzahlte. Mein Herz sagt mir, daß ich Böses getan habe, und es müßte ja auch härter sein als diese Felsen, wenn es den Gedanken, daß ich diesen Menschen ohne Testament und Beichte zu schwerer Rechenschaft sandte vor den Herrn, seinen Gott, ertragen könnte, ohne herbe Reue darüber zu empfinden.«

»Fasse Dich, mein Sohn,« erwiderte der Wanderer, »freilich ist es eine Todsünde, Gottes Ebenbild in der Person Deines Nächsten zu vernichten, in eitlem Zorn und eitler Hoffart Staub zu Staube gesellend, einem Mitmenschen die Frist abzukürzen, die ihm der Himmel zur Reue vergönnt hat; und grade dies macht die Sünde freilich um so schlimmer. Indessen, mein Sohn, für dieses alles ist Balsam gewachsen in Gilead.«

»Ich verstehe Eure Worte nicht, frommer Vater,« sagte Halbert, ergriffen von dem feierlichen Tone, den der Greis angeschlagen hatte.

»Du hast Deinen Feind erschlagen, mein Sohn,« fuhr der Greis in seiner Rede fort, »das ist eine grausame, schlimme Tat. Du hast ihn vielleicht erschlagen in seiner Sünde, und das macht Deine Missetat noch schlimmer. Handle jetzt nach meinem Rate und befleißige Dich mit Eifer, statt der Seele, die Du vielleicht dem Reiche des Bösen zugeführt hast, eine andre Seele aus der Macht des Bösen zu erretten.«

»Jetzt verstehe ich den Sinn Eurer Rede, Vater,« erwiderte Halbert, »ich könnte, so meint Ihr, meine unbesonnene Handlung dadurch wieder gut machen, daß ich der Seele meines Widersachers einen Dienst erwiese? Aber wie soll das geschehen können? Um Messen lesen zu lassen, dazu habe ich kein Geld; gern aber wollte ich barfuß nach dem heiligen Lande pilgern, um seine Seele aus dem Fegfeuer zu erlösen, wenn nur ...«

»Mein Sohn,« fiel ihm der Greis ins Wort, »der Sünder, um dessen Errettung Du Dich bemühen sollst, befindet sich nicht unter den Toten, sondern wandelt unter den Lebenden. Nicht mahnen will ich Dich, für die Seele Deines Widersachers zu beten, denn ihm wurde von einem milden und gerechten Richter bereits sein letztes Urteil gesprochen, und könntest Du Gold prägen aus diesem Felsen, es möchte der abgeschiedenen Seele nichts frommen. Denn wohin der Baum fällt, dort bleibt er liegen. Doch die Gerte, in der noch Kraft und Saft ist, läßt sich biegen nach dem Punkte, wohin man sie wenden will.«

»Bist Du ein Priester, Vater?« fragte der Jüngling, »oder in wessen Auftrage redest Du von so hohen Dingen?«

»Im Auftrage meines Gottes und Herrn, des Allmächtigen über Himmel und Erde!« erwiderte der Wanderer, »unter dessen Banner ich kämpfe und streite.«

Halberts Wissen in religiösen Dingen gründete sich einzig und allein auf den Katechismus des Erzbischofs von Sankt Andreas und auf ein Büchelchen, das »Der Zehnpfennigsglaube« hieß und gleich dem andern durch die Klosterbrüder der Abtei zu Sankt Marien unter dem Volke verbreitet wurde. Aber so gering sein Wissen in dieser Hinsicht zufolgedessen war, so beschlich ihn jetzt der Argwohn, daß er sich in Gemeinschaft eines Evangelischen oder Ketzers befände, die damals in Schottland umherzogen und die alte Religion in ihren Grundfesten zu erschüttern suchten. Erzogen in frommem Abscheu vor diesen schrecklichen Sektierern, trug der Jüngling in seinem Herzen tief eingewurzelt die Ueberzeugung eines treuen und unterwürfigen Kirchenvasallen.

»Wärest Du fähig, alter Vater, die Worte mit Deiner Hand zu verfechten,« sprach Halbert, »die Deine Zunge gegen unsre heilige Mutterkirche ausgestoßen hat, so wollten wir hier auf diesem Moor erproben, welche von unsern Glaubenslehren den besten Kämpfer für sich habe.«

»Ei, bist Du ein rechter Söldner Roms,« erwiderte der Greis, »dann darfst Du Deinem Vorsatze nicht entsagen, denn Du hast den Vorteil der Jahre und Stärke auf Deiner Seite. Höre mich an, mein Sohn! Ich habe Dir gezeigt, wie Du Dich mit dem Himmel versöhnst, und Du hast meinen Vorschlag von Dir gewiesen. Nun will ich Dir weiter zeigen, wie Du Dich mit den Mächten dieser Welt aussöhnst. Trenne dieses hinfällige Haupt von dem hinfälligen Leibe, der es trägt, und bringe es dem hoffärtigen Abte Bonifacius, und sofern Du ihm beichtest, Du habest Sir Piercie Shafton erschlagen, dann lege ihm dieses Haupt vor die Füße und sage ihm, es sei Heinrich Wardens Haupt, dann wird er Dir nicht allein Absolution erteilen, sondern Dich unter die Kandidaten für den nächsten Heiligenspruch aufnehmen.«

Halbert Glendinning schreckte zurück.

»Was?« rief er, »Ihr wäret Heinrich Warden? der Ketzer, der so berühmt ist unter seinesgleichen, daß sogar oft der Name des großen Knox vor ihm verbleicht?« Und nach einer kurzen Pause setzte er hinzu: »Der wäret Ihr, und getrautet Euch, den Fuß zu setzen in das Gebiet des Sankt Marien-Klosters?«

»Jawohl, ich bin Heinrich Warden,« antwortete der Greis, »doch bin ich nicht würdig, neben Knox genannt zu werden, wenn ich mich auch freudig jeder Gefahr unterziehe, zu der mich der Dienst meines Herrn beruft.«

»Dann höre jetzt Du mich!« sagte Halbert; »Dich zu töten, gebricht es mir an Mut. Dich in Gefangenschaft zu führen, brächte gleichfalls Blut über mein Haupt. Dich in dieser Wildnis ohne Führer zu lassen, wäre nicht viel anders. Ich werde Dich also, wie ich es Dir versprach, nach dem Schlosse von Avenel begleiten. Aber nur unter der Bedingung, daß Du, so lange wir unterwegs sind, kein Wort über die heilige Kirche redest, als deren unwürdiges und unwissendes, aber eifriges Mitglied ich mich bekenne. Wenn Du im Schlosse bist, dann mußt Du Dir selbst helfen. Es steht ein hoher Preis auf Deinem Kopfe, und Julian Avenel, das laß nicht außer acht, ist ein großer Verehrer unsrer schottischen Goldstücke.«

»Willst Du damit sagen, er könnte um schnöden Goldes wegen das Blut seines Gastes vergießen?«

»Nein, sofern Du zu ihm kommst als Fremder, der von ihm geladen wurde und auf seine Treue baut, wird Julian, ein so schlimmer Herr er auch ist, es nicht wagen, die Gesetze der Gastfreundschaft zu brechen, die uns in Schottland, so schlaff auch alle andern Bande sein mögen, aneinander ketten, die für heilig im höchsten Sinne dieses Wortes gehalten werden. Seine eignen Verwandten würden es für ein unverbrüchliches Gesetz ansehen, sein Blut zu vergießen, um den Schandfleck zu tilgen, den der Bruch der Gastfreundschaft auf ihren Stamm und ihren Namen brächte. Kommst Du hingegen zu ihm, ohne daß Du Anspruch auf Gastrecht hast, dann sei versichert, daß Du bei einem Julian von Avenel alles riskieren wirst!«

»Ich stehe in der Hand meines Gottes,« erwiderte der Prediger, denn ein solcher war Heinrich Warden, »bloß auf sein Geheiß pilgre ich durch diese Wildnis und setze mich allen Gefahren solcher Pilgerschaft aus, und so lange ich im Dienste meines Herrn und Meisters noch wirken kann, so lange soll nichts mich schrecken. Kann ich aber, gleich dem verdorrten Feigenbaume, keine Frucht mehr tragen, was mag dann liegen daran, wann und von wem die Axt an die Wurzel gelegt wird?«

»Solcher Mut und solche Hingabe,« rief Halbert, »wären einer bessern Sache würdig.«

»Das ist nicht wohl möglich,« versetzte Warden, »denn eine bessere Sache denn meine gibt es hienieden nicht.«

Die beiden Wanderer setzten schweigend ihren Weg fort, und Halbert Glendinning suchte sich mit äußerster Behutsamkeit einen Weg durch die Wirrnis der gefährlichsten und unbegangensten Moräste zu bahnen, die den heiligen Klosterbann von dem Landbesitze des Schlosses Avenel trennten.

Hin und wieder mußte er inne halten und seinem Begleiter über den schwankenden Boden des Moors hinweghelfen.

»Mut, Alter!« sagte Halbert, als sein Gefährte allmählich ans Ende seiner Kraft gelangt war. »Bald stehen wir auf festem Grunde.«

Die Verheißung sollte sich auch schnell erfüllen, denn bald hatten sie nun das Ende des Sumpfes gewonnen und schlugen den Pfad längs dem Abhange ein, über frischen Rasen hinweg, der, von weitem gesehen, die braune Heide wie ein schmales grünes Band durchzog, während man in der Nähe diesen Unterschied der Färbung bei weitem nicht so deutlich bemerkte. Der Greis hatte einen verhältnismäßig leichten Gang und sprach, da er keine Neigung verspürte, von neuem den Eifer des mannhaften Jünglings für die katholische Religion zu wecken, über gleichgültige Dinge. Er war weitgereist und vertraut mit Sprache und Sitten andrer Völker, und so war es wohl begreiflich, daß Halbert Glendinning, der um seiner Tat willen damit rechnen mußte, das Ausland aufzusuchen, ihm mit gespannter Aufmerksamkeit lauschte, als er auf diese Dinge zu sprechen kam. Nach und nach wurde er von dem Greise durch die so anregende Unterhaltung gefesselt; die Furcht, die er vor ihm als einem Ketzer gehegt hatte, schwand, und mehr als einmal hatte er ihn wieder mit dem trauten Worte »Vater« angeredet, ehe ihnen die Türme der Burg von Avenel in Sicht kamen.

Die alte Feste lag auf einem kleinen Felseneiland mitten in einem Bergsee, die man in der dortigen Gegend mit dem Namen »Tarn« zu nennen liebt. Der See mochte etwa eine Meile im Umfange haben und war von ziemlich hohen Hügeln eingeschlossen, die bis auf die wenigen Stellen, wo alte Bäume und Buschholz die Schluchten, die sie von einander schieden, bedeckten, kahl und nackt waren und zufolge ihrer Granitfärbung eine fast täuschende Aehnlichkeit mit der braunen Heide aufwiesen. Die Umgebung war weniger romantisch und großartig als vielmehr wild und grausig, jedoch nicht ohne Reiz. Zur Sommerszeit, wenn die Sonne ihre glühenden Strahlen auf den See sandte, erschien sein Wasser tiefblau, und wenn zur Winterszeit auf den Hügeln um den See herum blendender Schnee lag, dann schimmerte die Wasserfläche wie ein trüber, zerbrochner Spiegel um die Mauern der grauen Burg auf dem schwarzen felsigen Eiland.

Sie bedeckte mit ihren Baulichkeiten und mit den Außen- und Seitenmauern jede aufragende Felsspitze und jeden vorspringenden Felshang, so daß es den Eindruck erweckte, als sei sie gänzlich von Wasser umschlossen, gleich einem Wildschwanhorste, und bloß ein schmaler Damm, der das Eiland mit dem Uferlande des Sees in Verbindung setzte, störte diesen Eindruck. Die Insel nahm sich auch übrigens weit größer aus, als sie in Wirklichkeit war, und von den Gebäuden, die auf ihr standen, war manches bereits baufällig und unwohnlich geworden. Zu jener Zeit, als das Haus Avenel noch in seinem vollen Glanze dagestanden, hatte eine beträchtliche Anzahl von Dienstmannen darin gehaust; zurzeit standen sie aber öde und leer, und Julian dürfte wohl, wenn er nicht dem Felseneiland um seiner persönlichen Sicherheit willen den Vorzug gegeben hätte, sich in manch anderm Asyl lieber aufgehalten haben als in diesem einsamen, von allem Verkehr mit Menschen so streng abgeschlossenen Burgwesen. Aber die mancherlei Fehden, die Julian ausfocht, seine Verwicklung in fast alle dunklen Unternehmungen, die in solchem wilden Grenzgebiet an der Tagesordnung waren, auch allerhand persönliche Abenteuer andrer Art, die er liebte, machten es gewissermaßen zum Gesetz für ihn, daß er einem so sichern Aufenthalt, wie ihn die alte Burg bot, vor jedem andern Domizil den Vorzug gab, zumal seitdem er sich mit beiden am Ruder befindlichen Parteien eingelassen hatte, und bald mit der einen, bald mit der andern in engere Beziehungen trat, je nachdem es seinen Zwecken am besten diente.

Als sich jetzt die alte Burg den Blicken der beiden Wanderer zeigte, blieb der Greis, auf seinen Pilgerstab gestützt, stehen und ließ die Blicke über die Landschaft schweifen. Wie bereits gesagt, war die Burg stellenweis bereits verfallen, und sogar auf die Entfernung hin, in welcher sich die Wanderer noch befanden, fielen die schadhaften Stellen an den Außenflächen der Mauern ins Auge. Eine dunkle Rauchsäule stieg aus den Essen auf, die sich in langen Dunststreifen über den klaren Aether zog, zum Zeichen dafür, daß die alte Burg nicht unbewohnt war. Aber sie wies doch erhebliche Unterschiede gegen die andern herrschaftlichen Behausungen auf, selbst der geringern Barone im Lande. So zeigten weder die Getreidefelder noch die eingehegten Weideplätze von der Seeseite her jene sorgsame Bewirtschaftung, welche man in Schottland vorwiegend antrifft. Auch die kleinen mit Ahornpfählen eingezäunten Hütten suchte man hier vergebens, die den Hörigen zur Wohnung dienen; auch keine Kirche sah man im Tal, und auf den Hügeln weideten so wenig die sonst überall vorhandenen Schafherden, wie in den Gründen Hornvieh; kurz, nichts war vorhanden, was auf irgend welche Uebung friedlicher Gewerbe schließen ließ. Augenscheinlich galten die Bewohner, so weit welche vorhanden waren, lediglich als Besatzungsmannschaft für die Burg, die in dem Schutzbereich derselben hauste und ihre Nahrung sich in andern als friedlichen Erwerbszweigen suchen mußte.

»Man könnte sich zu der Meinung versucht fühlen,« meinte der Greis, als er sich dem Anschein nach an der alten Burg sattgesehen hatte, »die der König von einer andern Burg seines Landes gewann, als er ihr einen Besuch machte oder einen Feldzug gegen sie führte, daß ihr Erbauer ein Erzspitzbube gewesen sein müsse.«

»Was jedoch hier nicht zuträfe,« erwiderte Halbert, »denn die Burg ist von den ersten Lords von Avenel erbaut worden, die im ganzen Land zu Friedenszeiten ebenso beliebt wie in Kriegszeiten gefürchtet waren. Der Mann, der sich auf räuberische Weise jetzt in den Besitz ihres Erbteils gesetzt hat, hat keine größere Ähnlichkeit mit ihnen, als die räuberische Eule mit dem Falken hat, wenn sie auch auf den gleichen Felsen horsten.«

»Also ist Julian Avenel bei seinen Nachbarn nicht gut angeschrieben?« fragte der Greis.

»So schlecht angeschrieben ist er,« erwiderte Halbert, »daß ich mit Ausnahme der Wamsmänner und Reisigen, mit denen er gemeinsame Sache zu machen pflegt, kaum noch jemand kenne, der sich mit ihm abgeben möchte. Zu wiederholten Malen schon ist er in England wie in Schottland geächtet worden, seine Güter sind für verfallen erklärt und über ihn selbst die Acht verhängt, ja auf seinen Kopf sogar ein Preis gesetzt worden. Aber in Zeiten, wie den unsrigen, findet ein Mann von solcher Verwegenheit, wie Julian Avenel, immer ein paar gute Freunde, die ihn mit Freuden gegen die Strafe des Gesetzes in Schutz nehmen, vorausgesetzt daß er im stillen zu Gegenleistungen sich bereit finden läßt.«

»Du schilderst ihn mir als einen recht gefährlichen Menschen,« meinte Heinrich Warden.

»Das könnt Ihr leicht selbst erfahren,« antwortete der Jüngling, »sofern Ihr nicht ordentlich auf Eurer Hut seid. Indessen kann es ja doch auch sein, daß er sich unsrer Kirchengemeinschaft entfremdet hat und auf dem Pfade der Ketzerei wandelt.«

»Was Du in Deiner Verblendung so nennst,« belehrte ihn der Reformator, »ist einzig und allein der richtige Weg zum wahren Glauben. Gebe der Himmel, der Mann wäre von keinem andern schlechten Geiste beseelt als diesem! Mir persönlich ist der Baron von Avenel völlig unbekannt. Er gehört weder zu unsrer Vereinigung noch zu unserm Rat. Und doch habe ich Schreiben an ihn von Personen, die er, wenn nicht fürchten, so doch achten muß, und im Vertrauen darauf begebe ich mich zu ihm in seine Behausung ... Kommt, wir wollen weiter gehen. Die kurze Pause, die wir uns gegönnt haben, hat mich hinreichend gestärkt.«

»Laßt Euch wenigstens noch folgendes raten, frommer Vater,« sagte Halbert, »Ihr dürft wohl glauben, daß das, was ich Euch sage, sich auf den Brauch gründet, der in diesem Lande und bei seinen Bewohnern herrscht. Könnt Ihr es aber wagen, den Fuß in die Burg zu setzen, dann versucht wenigstens, sichres Geleit von ihm zu erreichen, und laßt nicht eher ab, als bis ers Euch zuschwört beim schwarzen Kreuze. Achtet auch darauf, ob er mit Euch zusammen an der gleichen Tafel ißt und ob er Euch zutrinkt. Unterläßt er es, Euch diese Zeichen des Willkomms zu bieten, dann will er Euch auch nicht wohl, und Ihr tut gut, auf Eurer Hut zu sein.«

»Leider habe ich zurzeit keine bessre irdische Zukunft als diese drohenden Türme, aber im Vertrauen auf jenen andern Beistand, der nicht von dieser Erde ist, setze ich den Fuß hinein. Du aber, mein wackrer Jüngling, mußt denn auch Du Dich den Gefahren dieser Höhle aussetzen?«

»Ich bin nicht in Gefahr,« erwiderte Halbert Glendinning, »denn ich bin gut bekannt mit einem Reisigen Julians, mit Christie von Clinthill. Und was mich persönlich am besten schützt, ist der Umstand, daß ich nichts an mir habe, was Bosheit wecken und Raubgier locken könnte.«

Vom See her wurden in diesem Augenblick Hufschläge laut, und als sie sich umdrehten, erblickten sie einen Reiter, dessen Stahlhelm und Lanzenspitze im Schein der untergehenden Sonne glitzerten. Er kam rasch auf sie zugeritten, und Halbert erkannte auf der Stelle Christie von Clinthill in ihm. Er unterrichtete geschwind seinen Kameraden, daß es Julians Reisiger sei, der auf sie zukäme.

»Ei, ei, mein Bürschchen,« rief Christie dem jungen Glendinning zu, »hast Du Dich nun doch noch besonnen und kommst, Dienst bei meinem edlen Herrn zu nehmen? Als wir letzt zusammen sprachen, warst Du ja noch recht widerhaarig! Aber sollst an mir einen treuen Kameraden finden, und noch vorm Sankt Barnabas-Tage alle Schleichwege zwischen Millburn Plain und Netherby so genau kennen, als wärst Du mit dem Wams auf dem Leibe und mit der Lanze in der Faust auf die Welt gekommen. ... Was bringst Du uns denn aber für einen alten schwarzen Knaben mit ins Haus? Zu der Brüderschaft vom Liebfrauenkloster gehört er doch nicht, denn ich sehe ja das Brandmal dieser schwarzen Biester nicht an ihm.«

»Es ist ein Pilger, der mit dem Ritter von Avenel etwas zu erledigen hat, geschäftlicher Natur, also brauchst Du Dich nicht so zu haben! Und was mich selbst angeht, so will ich nach Edinburg hinunter, um mich mal bei Hofe umzusehen. Wenn ich wieder heimkomme, will ich zusehen, was sich zu Deinem Vorschlag sagen läßt. Für heute nacht jedoch will ich von Deiner häufigen Einladung, Dich mal auf der Burg zu besuchen, Gebrauch machen und um Unterkunft für den Greis und mich bitten.«

»Du bist willkommen, junger Kamerad,« sagte hierauf Christie, »aber für Pilger oder Leute, die wie Pilger aussehen, haben wir auf der Burg kein Gelaß.«

»Mit Verlaub, mein Lieber,« nahm Heinrich Warden das Wort, »ich habe von einem vertrauten Freunde Empfehlungsschreiben an Euren Herrn, und darf wohl annehmen, daß er sich demselben durch ernstere Dinge gefällig erweisen möchte, als daß er mir auf kurze Zeit Schutz und Unterstand gewährt. Ich bin kein Pilger, im Gegenteil den Wallfahrten mit ihren abergläubischen Bräuchen streng abhold.«

Mit diesen Worten reichte er dem Reisigen die Papiere, der sie wohl nahm, aber den Kopf schüttelte und sagte:

»Damit muß sich mein Herr selbst befassen. Er wird sie wohl lesen können. Für mich sind Schwert und Lanze Buch und Psalter und sind es schon seit meinem zwölften Jahre. Aber in die Burg hinauf führen will ich Euch, der Baron von Avenel mag Euch selbst bescheiden, ob er Euch aufnehmen will oder Euch lieber den Laufpaß gibt.«

Inzwischen hatte der kleine Trupp den Damm erreicht, der die Verbindung zwischen dem Felseneiland und dem Ufer des festen Landes herstellte. Er trabte Christie voraus und meldete den Burgwächtern seine Ankunft durch einen schrillen Pfiff. Die vordere Zugbrücke wurde niedergelassen, der Reiter trabte hinüber und verschwand auf der andern Seite unter der finstern Pforte. Glendinning und sein Kamerad folgten ihm langsam zu Fuße, denn der Weg über den holprigen Damm war beschwerlich, aber auch sie kamen bald unter den düstern Torweg, über welchem sich, in tiefrote Quadern gehauen, das alte Wappen des Geschlechtes der Avenel zeigte. Dasselbe stellte eine weibliche Gestalt vor in dichter Vermummung durch eine Art Schleier oder Umhang oder beides, die das Wappenfeld vollständig einnahm. Warum das Geschlecht derer von Avenel zu solch seltsamem Wappenbilde gekommen war, entzog sich der Betrachtung ebenso, wie was dasselbe bedeuten sollte; aber die Rede ging allgemein, daß die Wappenfigur die weiße Frau darstellte, jenes geheimnisvolle Wesen, dem in allen Wandlungen, die das alte Geschlecht betroffen hatte, eine weissagende, zum Teil sogar tätige Rolle beigemessen wurde. Halbert dachte beim Anblick dieser wunderlichen Wappenfigur an die mancherlei Umstände, die sein Schicksal und das der Mary von Avenel mit dieser Erscheinung in Beziehung gesetzt hatten, und es fiel ihm ein, daß er diese Figur schon auf dem bei der Plünderung des Schlosses nach Walter von Avenels Tode geretteten und von seiner Witwe mit nach Glendearg gebrachten Siegelringe dieses letzten direkten Sprossen des berühmten schottischen Geschlechts gesehen hatte.

»Warum seufzest Du so schwer, mein Sohn?« fragte der Greis, der den Eindruck, den die Figur auf das Gemüt des Jünglings gemacht hatte, wohl bemerkte, aber den Grund dazu mißverstand; »wenn Du Dich fürchtest, den Fuß hinein zu setzen, so können wir ja noch immer umdrehen.«

»Das müßt Ihr nun schon bleiben lassen,« meinte Christie von Clinthill, der eben aus einer Seitentür unterhalb des Gewölbes wieder zum Vorschein kam, »denn guckt Euch doch um! entweder müßt Ihr wie ein paar Wildenten durch das Wasser paddeln oder wie ein paar Regenvögel durch die Luft streichen, denn was andres bleibt Euch, wenn Ihr zurück wolltet, wohl nicht übrig.«

Als sie sich umdrehten, sahen sie, daß die Zugbrücke schon wieder aufgezogen war und mit ihren Planken die im Untergang begriffne Sonne halb verdeckte, wodurch natürlich die Finsternis, die in dem Gewölbe herrschte, noch erheblich vermehrt wurde. Christie lachte höhnisch, dann forderte er sie auf, ihm zu folgen, und als Halbert ihm in die Nähe kam, flüsterte er ihm zu:

»Antworte nur dreist und flink auf jede Frage des Barons, ohne zu stocken und ohne nach schönen Worten zu suchen. Vor allen Dingen zeige keine Bange, denn kein Teufel ist so schwarz, wie ihn die Leute malen.«

Mit dieser Mahnung geleitete er sie in die große steinerne Halle, an deren einem Ende ein mächtiges Holzfeuer brannte. Der Sitte gemäß wurde die Mitte des Raumes von einem großen eichnen Tische eingenommen, auf welchem das Abendbrot für den Baron und seine vornehme Hausdienerschaft gedeckt war. Etwa ein halbes Dutzend Mannen, große, herkulisch gebaute Figuren mit wild blitzenden Augen, schritten im hintern Teil der Halle auf und ab, mit so schweren Tritten, daß die ganze Halle dröhnte. Stahlwämser oder Koller von Büffelhaut machten den vornehmsten Teil ihrer Kleidung aus, während ihre Kopfbedeckung aus Stahlhauben oder breitkrempigen Hüten mit wallenden spanischen Federn bestand.

Der Baron von Avenel war selbst eine jener schlanken, muskulös gebauten, an den alten Kriegsgott Mars erinnernden Figuren, wie sie Salvator Rosa mit Vorliebe gemalt hat. Er trug einen Mantel, der einmal mit äußerst feiner Stickerei besetzt gewesen sein mochte, aber derb strapaziert worden und durch den Einfluß von Wind und Wetter stark verschossen war. Unter einem Koller von Büffelhaut blitzte stellenweis das helle Panzerhemd vor, das er statt der schärfer in die Augen fallenden Rüstung zum Schutz gegen hinterlistige Anfälle auf dem Leibe trug. In einem ledernen Gurt steckte an der Seite ein breites schweres Schwert, an der andern jener kostbare Dolch, der einst dem Ritter Piercie Shafton gehört hatte, dessen Zierat jedoch stark ruiniert war, entweder weil unvorsichtige damit umgegangen worden war oder weil man nie daran gedacht hatte, ihn zu putzen oder zu erneuern.

Trotz der groben Tracht, die er trug, verriet das Benehmen und die Haltung des Ritters doch weit mehr Noblesse als Benehmen und Haltung der Mannen, die seine Umgebung bildeten. Er mochte etwas über fünfzig Jahre alt sein, denn sein ehedem schwarzes Haar war stark mit Grau vermischt, aber das Feuer seiner Augen war durch das Alter noch nicht getrübt, sein reger Geist noch nicht geschwächt worden. Er war ehedem ein schöner Mann gewesen, denn Schönheit war dem Hause Avenel eigentümlich, aber Wind und Wetter hatten seinen Zügen einen Ausdruck von Rauheit und Derbheit gegeben.

Er ging in einigem Abstande von seinen Untergebenen im Hintergrunde der Halle auf und ab, dem Anschein nach in tiefes Sinnen versunken, blieb von Zeit zu Zeit stehen, um einen auf seiner Hand sitzenden Falken zu streicheln oder zu füttern, und der Vogel, für diese Liebkosungen seines Herrn offenbar nicht unempfindlich, schlug hin und wieder mit dem Schnabel nach der Hand seines Herrn oder plusterte sich auf. Dann spielte um die Lippen des Barons ein Lächeln, gleich darauf aber versank er wieder in dasselbe mürrische Nachdenken wie zuvor, und schien ein auffälliges Etwas, an dem wenige so oft wie er vorbei gegangen wären, ohne den Blick darauf zu werfen, gar nicht zu sehen.

Dieses Etwas war eine Frau von wunderbarer Schönheit in einer weniger reichen als geschmackvollen Kleidung, die auf einem niedrigen Schemel dicht neben dem mächtigen Kamine saß. Nach dem güldnen Geschmeide zu schließen, das ihren Hals und ihre Arme zierte, sowie weiter nach dem schmucken grünen Gewand, das bis auf den Boden hinunter fiel, und dem mit Silberfiligran gestickten Gürtel, an dem als Zierat ein Schlüsselbund an silberner Kette hing, endlich dem seidnen »Couvreche«, der um ihren Kopf geschlungen war, die Fülle ihres dunklen Haares nur zum Teil bedeckend, hätte man meinen müssen, die Hausfrau des Barons zu erblicken. Vor allem aber hätte darauf ein andrer Umstand deuten müssen, der in irgend einer alten Ballade höchst sinnig angedeutet wird durch die Worte, daß für die jetzige Figur der Frau, beziehungsweise den damaligen Zustand derselben, der Gürtel zu prall, das Kleid zu kurz geworden sei. Aber der niedrige Sitz, der ihr zugewiesen war, sowie der Ausdruck einer tiefen Schwermut, der sich nur dann zu einem schmerzlichen Lächeln wandelte, wenn sie gewahr wurde, daß Julian von Avenel einen flüchtigen Blick auf sie warf, nicht minder der Blick des sinnigen Auges, das ihren Gram zu verhüllen suchte, und die hervorquillende Träne, sobald sie sich unbemerkt meinte, dies alles wiederum schien bei der Frau nicht auf die Eigenschaft einer Gattin zu deuten, sie hätte denn gerade zu denen gehören müssen, die der Mann verschmäht, und die betrübten Herzens es lieben, sich auf sich selbst zu beschränken.

Julians Verhalten hätte zu solchem Vermuten berechtigen können, denn er erwies ihr, während er in der Halle auf und nieder schritt, nicht die geringste jener Aufmerksamkeiten, die ein Mann, sei es aus Zuneigung oder Galanterie, fast jeder Frau erweist. Er schien weder von ihrer noch von der Anwesenheit der andern Personen etwas zu wissen, sondern bloß der Falke auf seiner Faust schien für ihn Bedeutung und Interesse zu haben. Auf den Falken schien auch die schöne Frau ihr Augenmerk zu lenken, vielleicht weil sie dachte, auf diese Weise am ehesten einen Anlaß zu einem Gespräch mit dem Baron zu gewinnen, oder weil sie meinte, in den Worten, die er zu dem Vogel sprach, etwas herauszuhören, was ihr für dies oder jenes ein gewisses Verständnis eröffnen könne. Die beiden fremden Männer hatten Zeit genug, dies alles wahrzunehmen, denn kaum waren sie mit dem Reiter, der sie führte, in die Halle eingetreten, als dieser sie bedeutete, an der Tür stehen zu bleiben, während er selbst sich in der Mitte der Halle aufstellte, beflissen, eine Haltung einzunehmen, die dem Baron, sobald es ihm einfiele, sich einmal umzudrehen, sofort ins Auge fallen müsse. Die Aufmerksamkeit seines Herrn und Gebieters auf andre Weise zu wecken, schien er nicht für geraten zu erachten; überhaupt fiel es sofort auf, in welcher sonderbaren Weise sich das Benehmen dieses dreisten und groben Menschen in Gegenwart des Ritters änderte; er war der unterwürfigste, kriechendste Wicht geworden, den man sich denken konnte, und erinnerte stark an einen rebellischen Köter, der den Schwanz einzieht und sich ängstlich in einen Winkel verkriecht, wenn er die Peitsche seines strengen Herrn wittert, oder wenn er vor einem stärkern Kameraden retirieren muß.

So neu für Halbert Glendinning die ganze Situation und Szenerie auch war, so fühlte er sich doch mit allen Fasern seines empfindsamen Gemüts von dem schönen Frauenbild angezogen, das sich seinen Augen hier bot. Er sah recht gut, wie ängstlich sie acht gab auf die Worte, die der Ritter an seinen Falken richtete, und wie sich ihr Blick zu ihm stahl, um bei dem leisesten Anzeichen, daß er es gewahre, sich wieder von ihm abzuwenden. Der Ritter plauderte und scherzte noch eine ganze Zeitlang mit seinem Falken, bis schließlich die wilde Natur desselben sich geltend machte und er, als ihn der Ritter mit einem Stück Fleisch neckte, auf denselben einzustürmen versuchte.

»Narr du!« lachte der Ritter, »vergißt wohl, daß du die Riemen an den Klauen hast? ... nimm dich in acht, du Biest, und bessre dich, sonst dreh ich dir mal nächster Tage den Hals um! Da, nimm den Happen und friß! das ist bei euch Kanaillen doch die Hauptsache. Damit kann man eure ganze Sippe kirre kriegen. ... Holla, Jenkin! schaff das Luder in seinen Käfig, ich habs satt mit ihm. Er soll sich baden, und morgen soll er steigen. Verstehst Du? ... Oho, Christie! so geschwind zurück?«

Christie erstattete Bericht von seiner Mission, wie ein Polizeibeamter einem Vorgesetzten gegenüber, nämlich durch Zeichen und Gebärden sowohl als durch Worte.

»Edelster Gebieter,« hub der würdige Trabant an, »der Laird von ...« er nannte den Ort nicht, sondern wies mit der Hand gen West ... »kann auf den festgesetzten Tag Euch sich nicht entschließen, weil der Lord-Landrichter gedroht hat, ihn ...« Er sprach nicht weiter, machte aber mit der Hand ein deutliches Zeichen nach seinem Halse, das seinen Zweifel über die Drohung des Landrichters bestehen ließ.

»Der gemeine Feigling!« zischte Julian zwischen den Zähnen, »beim Himmel! die ganze Welt hat sich gedreht. Sie verdients nicht mehr, daß ein braver Mann darauf lebt. Tag und Nacht kann man reiten, ohne daß man einen Federbusch wallen sieht oder ein Roß schnauben hört. ... Der Geist unsrer Väter ist von uns gewichen, die wilden Tiere sogar entarten, unsre Falken sind Sperlinge, unsre Hunde Schwänzler, unsre Männer sind Weiber, und unsre Weiber sind ...«

Da sah er zum ersten Male die schöne Frau an, und da hielt er mitten in seiner Rede inne, wiewohl in seinen Blicken eine solche Geringschätzung zum Ausdruck kam, daß sich das, was er verschluckte, ohne Mühe dahin ergänzen ließ: »Unsre Weiber sind so, wie die da.«

Und doch verschwieg er das Wort, und die schöne Frau, von dem Wunsche erfüllt, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, möge auch vorgehen, was wolle, erhob sich und trat mit einer Miene erheuchelter Lustigkeit, hinter der sich aber ihre Schüchternheit recht unvorteilhaft versteckte, auf ihn zu und stellte ihm die Frage:

»Unsre Weiber, Julian? Nun, was lag Dir denn auf der Zunge, Julian, von den Weibern?«

»Was denn sonst, als daß sie gutmütige Dinger und barmherzige Schwestern sind wie Du, Käthe?«

Tief errötend kehrte sie auf ihren Sitz zurück.

Darauf wandte der Baron sich mit der Frage an Christie:

»Na, und was bringst Du denn für ein Paar fremde Kerle mit?«

»Der lange ist einer mit Namen Halbert Glendinning, und ist der ältere von den beiden Söhnen der Witwe von Glendearg.«

»So? was führt ihn zu uns?« fragte der Baron, »etwa eine Botschaft von Mary Avenel?«

»Soviel ich weiß, nicht,« erwiderte der Gefragte, »der junge Kerl schweift herum im Lande und war wohl immer ein wilder Sprößling, denn ich hab ihn ja schon gekannt, wie er erst kaum bis an sein Schwert heraufreichte.«

»Was kann er leisten?« fragte der Baron.

»Wohl alles, was man ihm auferlegt,« erwiderte der getreue Knappe, »er schießt einen Rehbock aufs Blatt, spürt das Wild auf, läßt den Falken steigen, hetzt den Hund, schießt mit Bogen und Armbrust wie ein Freischütz, schwingt Lanze und Schwert kaum schlechter als ich und tummelt den wildesten Gaul ... kurz, ich wüßte nicht, was er nicht verstünde, um ein wackrer Gesell zu werden.«

»Und der alte Bärbeiß neben ihm? wer ist das?«

»So etwas, wie ein Priesterknecht wohl, der Empfehlungsschreiben an Euch zu besitzen angibt,« antwortete Christie.

»Laß die beiden Kerle herantreten,« befahl der Baron; aber kaum waren sie der Aufforderung gefolgt, als er, verwundert über die stattliche Gestalt des jungen Glendinning, denselben also anredete: »Ich höre, mein Junge, daß Du Dich in der Welt herumtreibst, ohne festes Ziel, auf der Suche nach dem Glück? Nun, wenn Du bei Julian Avenel in Dienst treten willst, dann brauchst Du weder nach Ziel noch nach Glück länger zu suchen.«

»Mit Verlaub,« erwiderte Halbert, »es ist mir etwas passiert, das es mir geratner erscheinen läßt, das Land überhaupt zu meiden und mich nach Edinburg zu begeben.«

»Was Du sagst!« rief lachend der Baron, »hast wohl königliches Wild weggeknallt? oder Dir von den Klosterwiesen ein paar Rinder gefangen? ... oder etwa gar eine Streife über die Grenze unternommen?«

»Keineswegs, Baron. Mein Fall liegt durchaus anders,« erwiderte der junge Glendinning.

»Dann möcht ich wetten, daß Du einen Bauernjungen um einer Dirne willen um die Ecke gebracht hast,« rief der Baron weiter; »Du siehst mir ganz aus nach so etwas, Junge!«

Verdrießlich über die Art und Weise, wie der Baron ihn behandelte, schwieg Halbert, dachte jedoch bei sich, was wohl der Ritter sagen möchte, wenn er erführe, daß der Zwist, den er mit solch leichtfertiger Rede abzutun suchte, um seine eigne Bruderstochter entstanden war!

»Gleichviel, was Dich zur Flucht getrieben hat,« sagte Julian Avenel wieder, »bis auf dies Eiland her verfolgt Dich kein Gesetz und kein Vollstrecker eines solchen! Dazu ist der See zu tief und das Gebäude zu stark und der Damm zu lang, der Land und Eiland verbindet! Da, sieh meine Mannen an, als ob sie aussehen, als litten sie, daß einem Kameraden ein Leid geschehe! sieh mich an und sage mir, ob ich der Mann sein könne, der einen Knappen im Stich ließe, im Guten wie im Bösen! Ich sage Dir, Jüngling, ewiger Friede wird zwischen Dir und dem Gesetz bestehen, vom selben Augenblicke an, da Du Dich entschließest, meine Farben an Deinen Hut zu stecken. Dem Lord-Landrichter kannst Du an der Nase vorbeireiten, und kein Hund von seiner Meute wird Dich anzubellen wagen.«

»Für Euer Anerbieten, edler Herr, danke ich Euch,« antwortete Halbert, »ich muß Euch jedoch kurz darauf erwidern, daß es sich nicht für mich schickt, denn mein Schicksal ruft mich anders wohin.«

»Du bist ein eigensinniger Narr, der seinen Vorteil nicht kennt,« erwiderte Julian, indem er ihm den Rücken wandte und Christie zu sich heranwinkte.

»Der Bursche hat in seinem Blicke etwas, das außerordentlich anspricht. Wir brauchen Leute von kräftigen Gliedern und zähen Sehnen. Was Du mir letztmals gebracht hast, gehört zum Abschaum der Menschheit, es sind durchweg Schufte, die keinen Pfeilschuß wert sind. Der Jüngling ist ja gebaut, wie ein Sankt Georg! Setz ihm recht zu mit Wein, verstehst Du? und laß auch ein paar Dirnen auf ihn los, daß sie ihn fangen! wie Spinnen die Fliege im Netz ... verstehst Du?«

Christie nickte verständnisvoll und zog sich hierauf in ehrerbietige Ferne zurück.

Der Baron wandte sich jetzt an den Greis.

»Na, und Du, Alter,« fragte er, »treibst Du Dich auch in der Welt herum? Bist Du auch auf der Suche nach dem Glück? Siehst aber nicht so aus, als ob das Glück Dich suchte!«

»Mit Verlaub,« versetzte Heinrich Warden; »wer weiß, ob ich nicht tiefer zu beklagen wäre, wenn mir das Glück zu teil geworden wäre, das ich, wie so viele Altersgenossen von mir, in der Jugend eifrig gesucht habe!«

»Versteh mich recht, Mann!« sagte der Baron, »läßt Du Dir genügen an Deinem steifleinenen Kittel und Deinem langen Stabe, solls mir auch recht sein, daß Du so arm und verächtlich bleibst, wie es sich für Dein leibliches und seelisches Heil schicken mag. Jetzt aber will ich nichts weiter von Dir wissen, als was Dich auf meine Burg führt, denn für Krähen von Deinem Kaliber soll es sich hier nicht gerade gut horsten. Bist wohl ein verjagter Mönch aus einem aufgehobnen Kloster, der nun im Alter den üppigen Müßiggang seiner jungen Jahre büßen muß? oder ein Pilger mit einer Tasche voller Lügen? oder ein Ablaßkrämer mit Reliquiensack aus Rom, der alle Sünden vergibt, das Dutzend für einen Pfennig und darüber? Aha, was der Junge in Deiner Gesellschaft macht, darüber geht mir jetzt ein Licht auf: er soll Dir Deinen Quersack tragen, daß Du Deine faulen Schultern schonst? aber, das merk Dir! aus diesem Plane von Dir wird nichts! Bei Mond und Sonne schwöre ich Dir, daß ich nicht dulde, daß solch schmucker Junge mit solchem alten Gauner im Lande herumstrolcht. Hinweg mit Dir!« schrie er, vor Wut auffahrend und so schnell sprechend, daß man die Absicht merkte, den ältern Gast an jeder Antwort zu verhindern und statt dessen zu schleuniger Flucht zu bestimmen, »fort mit Dir und mit Deinem Kittel, Deiner Tasche und Muschel ... oder so wahr ich ein Avenel bin, ich laß meine Hunde auf Dich hetzen!«

Warden wartete mit größter Geduld, bis Julian, verwundert darüber, daß seine heftigen Worte und Drohungen gar keinen Eindruck auf seinen Gegner machten, verstummte.

»Was soll das heißen, zum Teufel, daß Ihr keine Antwort gebt?« fragte Avenel in einem weniger herrischen Tone nach einer Weile.

»Wenn Ihr fertig seid mit Eurer Rede,« erwiderte Warden, in dem ruhigen Tone, der bisher seine Worte ausgezeichnet hatte, »dann ist es ja Zeit genug für mich, Euch zu antworten.«

»Dann rede, Mönch, ins Teufels Namen! aber nimm Dich in acht, daß Du nicht bettelst, sei es auch bloß um einen Bissen, den kein Hund von mir möchte!« »Ich bin kein Bettler und auch kein Mönch,« erwiderte Warden, »und wär Euch um keines Wortes willen wider Mönche gram, wenn Ihr reden möchtet um christlicher Liebe willen.«

»Nun, was bist Du anders?« rief Avenel, »und was hast Du hier in unserm Grenzlande zu suchen, wenn Du es weder als Mönch noch als Soldat und Bettler betrittst?«

»Ich bin ein Prediger des heiligen Wortes, und dieses Schreiben hier von einem sehr vornehmen Herrn wird Euch über den Grund meiner Anwesenheit unterrichten.«

Mit diesen Worten übergab er dem Baron einen Brief, und dieser betrachtete nicht ohne Ueberraschung das Siegel und las mit immer wachsenderer Verwunderung den Inhalt. Dann heftete er einen grimmigen Blick auf den Greis und rief in warnendem Tone:

»Du nimmst Dir hoffentlich nicht heraus, mich zu täuschen oder gar zu hintergehen?«

»Ich bin der Mensch nicht, der solches im stande wäre,« versetzte kurz der Prediger.

Julian trat ans Fenster und las den Brief noch einmal oder stellte sich wenigstens so, denn sein Blick schweifte verstohlen von dem Brief auf den Fremden, wie wenn er den Inhalt mit dem Gesicht desselben vergleichen wolle. Endlich rief er der schönen Frau zu:

»Käthe, hol mir doch einmal geschwind den Brief, den Du in dem Kästchen aufheben solltest, weil es mir an einem geeigneten Orte, ihn aufzuheben, fehlte.«

Katharina stand schnell auf, und nun wurde jener veränderte Zustand, der einen weiteren Rock und Gürtel forderte, in welchem die Frau eine erhöhte Sorgfalt und Liebe vom Manne zu erwarten hat, noch sichtbarer als bisher. Sie war zwar schnell mit dem geforderten Papiere wieder zur Stelle, aber der ganze Dank, den sie dafür erhielt, bestand in den Worten:

»Ich danke Dir, Weib; Du bist ein gewissenhafter Sekretär.«

Auch dieses zweite Papier las er mehr denn einmal durch und warf auch während dieser Lektüre von Zeit zu Zeit einen vergleichenden Blick auf den Prediger, der aber trotz aller Gefahr seiner Lage die Ruhe wahrte, wie bisher, und vor dem Geierblick des Barons unentwegt standhielt. Zuletzt faltete der Baron die Papiere zusammen und schob sie in die Rocktasche. Dann sagte er mit einem fröhlichen Anstrich zu seiner Gefährtin:

»Käthe! ich habe den guten Mann verkannt; ich habe ihn für einen von den römischen Faulpelzen gehalten, aber er ist ein Prediger von ... von der neuen Lehre der Kongregation.«

»Von der Lehre der heiligen Schrift,« erwiderte der Prediger, »die geläutert worden ist durch menschliche Erfindungen.«

»Ja, so ist wohl die Bezeichnung,« antwortete Julian von Avenel, »meinetwegen nenne es, wie es Dir beliebt! mir ists recht, weil wir dadurch die albernen Träumereien von Heiligen, Engeln oder Teufeln los kriegen, und die mönchischen Tagediebe überflüssig werden, die uns mit ihren Leichenmessen und Opfern und Zehnten das Geld aus der Tasche und mit ihren zehn Geboten und Psalmen den Mut aus dem Herzen holen! Die neue Lehre räumt ja auf mit all dem Kram von Taufen und Bußen und Beichten und Ehen, und was es an sogenannten Sakramenten sonst noch gibt!«

»Mit Verlaub,« sagte Warden, »nicht gegen die Grundlehren der Kirche kämpfen wir, sondern gegen die Verderbnis der Kirche; nicht abschaffen wollen wir die Grundlehren, sondern vielmehr festigen.«

»Ruhig, Pfaffe!« rief der Baron, »uns Laien ists ganz gleichgültig, was Ihr macht und wie Ihrs macht. Unser Beruf ists, die Welt von oben nach unten zu kehren, denn wenn alles drunter und drüber geht, dann leben wir am lustigsten.«

Warden wäre ihm die Antwort hierauf wohl kaum schuldig geblieben, aber der Baron ließ ihm keine Zeit dazu, sondern schlug mit dem Dolch auf den Tisch und rief:

»Heda, ihr langsamen Schufte! tragt das Essen auf! Seht Ihr denn nicht, daß der fromme Mann ganz ausgehungert ist? Habt Ihr je von einem Pfaffen gehört, der nicht fünfmal am Tage gefuttert hätte?«

Die Diener brachten mehrere dampfende Schüsseln herein, in denen große Stücke Rindfleisch, teils gebraten, teils gekocht, lagen, aber ohne alle Zutat, ohne Gemüse sowohl als Brot, bloß ein paar Haferkuchen wurden in einem Korbe auf die Tafel gesetzt. Der Ritter hielt es für angemessen, sich bei Heinrich Warden deshalb zu entschuldigen.

»Ihr seid von jemand, den wir außerordentlich achten und schätzen, unsrer Fürsorge empfohlen, Herr Prediger, da dies nun doch einmal Euer Titel ist,« sagte Julian von Avenel.

»Ich bin der Zuversicht, daß der edle Lord ...« sagte Warden.

»Pst, pst!« fiel ihm der Ritter in die Rede, »was brauchen Namen genannt zu werden? Wir verstehen einander ja doch! Ich wollte bloß erwähnen, daß er Euch unsrer Hut empfiehlt. Nun, was diesen Punkt anbetrifft, so braucht Ihr ja bloß auf unsre Mauern und auf den See um unsre Burg herum zu blicken; aber der Lord legt uns auch ans Herz, für Eure Bequemlichkeit zu sorgen. Und da muß ich Euch denn sagen, daß wir selbst kein Korn bauen, und daß sich Mehlsäcke aus dem Süden nicht so leicht wegschaffen lassen wie Rindvieh, denn Rindvieh hat Beine und läßt sich treiben, und Mehlsäcke wollen geschleppt sein. Aber einen Becher Wein sollst Du haben, Pfaffe, und sollst auch zwischen mir und meiner Käte obenan am Tische sitzen. Du aber, Christie, nimmst den jungen wilden Schößling in die Schere, verstehst Du? Es soll ihm an nichts fehlen; laß Dir vom Kellermeister auch eine Flasche vom besten für ihn geben.«

Der Baron nahm seinen gewohnten Platz zu oberst der Tafel ein, Frau Käthe saß weiter unten, zeigte aber dem Gaste höflich einen Platz zwischen ihnen. Warden jedoch weigerte sich, trotz Durst und Hunger, der Aufforderung Folge zu leisten.


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