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Vierzehntes Kapitel.

Was das für ein vertrackter Handel ist!
Aus Circe's Becher habt Ihr all' getrunken.
Hätt' Ihr ihn hier gehaus't, so wär' er hier,
Wär' er verrückt, so würd' er so klar nicht reden.

Komödie der Irrungen.

Der Verlauf unserer Erzählung überläßt einstweilen den jungen Halbert Glendinning der Leitung seines Muthes und seines Glückes, und wendet sich nach dem Thurm von Glendearg zurück, wo mittlerweile Dinge vorfielen, mit welchen der Leser bekannt gemacht werden muß.

Um die Mittagszeit wurde das Mahl bereitet mit all der Sorgfalt, welche Elspeth und Tibb, unterstützt durch die Zufuhr aus der Abtei, darauf verwenden konnten. Ihre Unterhaltung hatte in den Pausen der Arbeit ihren gewöhnlichen Gang, und lautete bald wie das Gespräch zwischen Herrin und Dienerin, bald wie das zwischen Gevatterinnen von fast gleichem Schlage.

»Sieh' nach dem gehackten Fleisch, Tibb,« sprach Elspeth; »und du, drehe den Spieß ordentlich, du nichtsnutziger Simmie; du hast deine fünf Sinne beim Ausnehmen von Vogelnestern, statt hier. – Nicht wahr Tibb, das ist doch ein artiger Spaß, daß der Herr Piercie bei uns eingelagert ist, und wer weiß, auf wie lang?«

»Ja, ein artiger Spaß,« antwortete die treue Dienerin, »und wenig Gutes hat der Name von je über schön Schottland gebracht. Ihr könnt die Hände noch voller mit ihnen zu thun kriegen, als Ihr sie schon habt. Manch' schweres Herz haben die Piercie's bei schottischen Weibern und Kindern gemacht, mit ihrem Stochern an den Gränzen. Da war Heißspor und noch Manche sonst von der blutigen Art, die in unseren Marken gesessen haben seit Malcolm's Zeit, wie Martin sagt.«

»Martin soll die Zunge schaben,« versetzte Elspeth, »und nicht die Sippschaft von irgend Jemand schmähen, der zu Glendearg seinen Aufenthalt genommen hat. Nicht zu gedenken, daß Herr Piercie Shafton sehr wohl angesehen ist bei den heiligen Vätern des Stiftes, und daß sie uns jede Artigkeit, die wir ihm erweisen, durch Wort und That vergelten werden; denn dafür bin ich gut, der Gnädige Herr Abt ist ein Herr, der Einsicht hat.«

»Und er liebt einen weichen Sitz für sein Hinterende,« fuhr Tibb fort. »Ich habe einen Freiherrn mit dem Wehrgehänge auf einer bloßen Bank sitzen und sich nicht darüber beschweren sehen. Aber wenn es Euch recht ist, Dame, so ist's mir auch recht.«

»Nun Gottlob, da kommt Müllers Gretel. Ei Mädel, wo habt Ihr denn gesteckt? Alles ist verkehrt gegangen ohne Euch,« sprach Elspeth.

»Ich bin eben ein paar Schritte den Bach hinauf gegangen,« antwortete Gretel; »das Fräulein ist nicht wohl und hat sich gelegt, und da bin ich ein paar Schritte den Bach hinauf gegangen.«

»Um die jungen Bursche von der Kurzweil heimkommen zu sehen; nicht wahr,« sagte die Dame. »Ja, ja Tibb, so springt das junge Volk mit uns um; uns lassen sie die Arbeit und sie gehen dem Vergnügen nach.«

»Ei was, Frau Mutter!« sprach das Müllermädchen, schürzte ihre hübschen runden Arme auf und sah sich munter nach etwas zu thun um; – »ich dachte gerade, es dürfte Euch lieb sein, zu wissen, ob sie zurückkommen, damit Ihr Euch mit dem Essen darnach richtet.«

»Und habt Ihr Nichts von ihnen gesehen?« fragte Elspeth.

»Nicht das geringste Zeichen.« antwortete Gretel, »obwohl ich auf die Spitze des Hügels gestiegen bin, und obwohl die schöne weiße Feder des englischen Ritters über alle Gebüsche des Wäldchens hinweg hätte gesehen werden können.«

»Des Ritters weiße Feder!« sprach Dame Glendinning. »Ihr seid ein Gänschen. Meines Halberts hoher Kopf ist weiter zu sehen als seine Feder, mag sie so weiß sein, wie sie will.«

Gretel entgegnete Nichts, sondern begann emsig Teig zu kneten für einen Kuchen, bemerkend, daß Herr Piercie den gestrigen Kuchen versucht und gelobt habe. Und um der Eisenplatte, auf welcher der Kuchen gebacken werden sollte, Platz über dem Feuer zu verschaffen, rückte sie flugs eine Schmorpfanne bei Seite, in welcher einige Leckerbissen Tibbs kochten. Tibb murmelte zwischen den Zähnen: »Das Süppchen für mein krankes Hirn muß Platz machen für den Kuchen des leckeren Südländers. Ach es war eine lustige Zeit in den Tagen von Wight Wallace oder vom guten König Robert, wo die Puddingfresser hier Nichts kriegten als harte Streiche und blutige Platten. Aber wir wollen sehen, wie es endet.«

Elspeth hielt nicht für gut, kund zu geben, daß sie auf diese Ausdrücke der Unzufriedenheit geachtet habe. Aber diese Ausdrücke prägten sich ihr tief ein. Denn sie pflegte Tibb als eine Art Orakel zu betrachten, wo es sich von Krieg und Politik handelte, als womit sie in ihrer früheren Stellung, als Kammerfrau auf Schloß Avenel, besser bekannt geworden war, denn die friedlichen Stiftsunterthanen. Die Dame äußerte blos ihre Verwunderung, daß die Jäger nicht zurückkämen.

»Wenn sie nicht bald kommen,« sprach Tibb, »werden sie ein schlechtes Essen kriegen; das Fleisch wird zu Kohle verbrennen – und der arme Simmie da, der kann den Spieß nicht weiter drehen; das Kind zerschmilzt wie ein Eiszapfen in warmem Wasser. Geh' weg Kind und nimm ein Maul voll Luft, ich will derweilen den Spieß drehen, bis du zurückkommst.«

»Spring' hinauf, Kerlchen, auf die Warte des Thurmes,« sagte Dame Glendinning, »dort ist die Luft kühler, als sonst wo, und bring' uns Botschaft, ob unser Halbert und der Edelmann die Schlucht herunter kommen.«

Der Knabe ging fort und blieb lange genug aus, um Tibb Tacket ihrer Großmuth und ihres Sitzes auf dem Stühlchen neben dem gewaltigen Feuer herzlich müde werden zu lassen. Endlich kam er zurück mit der Nachricht, daß er Niemanden gesehen habe.

Es war hierin nichts Auffallendes, so weit es Halberten betraf, denn bei seiner Ausdauer in Hunger und Anstrengungen war es nichts Seltenes, daß er bis zum Nachtgeläute in der Wildniß blieb. Aber Niemand hätte Herrn Piercie Shafton zugetraut, daß er ein so hitziger Waidmann wäre. Der Gedanke, daß ein Engländer die Jagd seinem Mittagsmahl vorziehen sollte, reimte sich nicht mit den Begriffen der Bewohner des Thurmes von den Südländern. Unter Verwunderung und Vermuthungen verstrich die Zeit weit über Mittag hinaus. Die Hausgenossenschaft nahm einen kleinen Imbiß und verschob die Vorbereitungen für das großartige Mahl bis zur Rückkehr der Jäger am späten Abend. Denn jetzt schien es gewiß, daß ihr Geschäft sie entweder in weitere Entfernung geführt oder sie für längere Zeit in Anspruch genommen hatte, als erwartet war.

Etwa um vier Uhr Nachmittags erschien, nicht etwa die erwarteten Waidmänner, sondern ein unvorhergesehener Besuch, der Subprior des Klosters. Der Auftritt des vorigen Tages war dem Pater nicht aus dem Sinn gekommen. Seine geistige Regsamkeit vertrug sich nicht damit, eine räthselhafte Erscheinung unergründet zu lassen. Sein Wohlwollen für die Familie von Glendearg, mit welcher er nun schon so lange bekannt war, und der Gedanke, wie wichtig es für das Stift sei, Alles entfernt zu halten, was die Aufmerksamkeit auf Herrn Piercie Shafton ziehen könnte, um dessentwillen das Stift bereits bedroht war, – beides ließ ihn angelegentlich wünschen, daß zwischen dem Ritter und seinem jungen Wirth Friede bleibe. Er fand die ganze Familie, außer Maria Avenel, versammelt und erfuhr, daß Halbert mit dem Fremden auf die Jagd gegangen war. Hiergegen war Nichts zu sagen. Sie waren noch nicht zurückgekehrt; aber wann binden sich Jugend und Kurzweil an Zeit und Stunde? Auch dieser Umstand beunruhigte ihn nicht.

Er knüpfte mit Edward Glendinning ein Gespräch an über die Arbeit, welche er, als sein Lehrer, ihm aufgegeben. Plötzlich wurden sie aufgeschreckt durch einen Schrei aus Mariens Gemach. Die ganze Familie rannte Hals über Kopf dorthin. Sie fanden sie ohnmächtig in den Armen des alten Martin, welcher jammerte, er sei Schuld an ihrem Tode. Todt schien sie wirklich, ihrer Leichenblässe und ihren geschlossenen Augen nach zu urtheilen. Die ganze Familie lief durch einander. Edward nahm sie mit der Heftigkeit der theilnehmendsten Besorgniß aus den Armen Martins und trug sie an's Fenster, um die frische Luft auf sie wirken zu lassen. Der Subprior, welcher, wie Viele seines Standes, einige ärztliche Kenntnisse besaß, beeilte sich, die nächst liegenden Mittel vorzuschreiben, welche ihm einfielen, und die erschreckten Weiber wetteiferten und hinderten sich einander in ihren Bemühungen Hülfe zu leisten.

»Es ist eine Schwäche, wie sie dieselbe manchmal hat,« sagte Dame Glendinning.

»Es ist ein Zucken bei ihr, wie es ihre selige Mutter oft hatte,« sprach Tibb.

»Es muß ihr etwas Schlimmes zugestoßen sein,« bemerkte das Müllermädchen.

Verbrannte Federn, kaltes Wasser und alle andern Mittel, welche insgemein angewandt werden, um den schlummernden Lebensfunken wieder zu erwecken, blieben erfolglos. Da erschien ein neuer Beistand, welcher sich unbemerkt in das besorgte Häuflein gemischt hatte, und bot seine Hülfe mit folgenden Worten an: »Was ist das, meine holdeste Verständigkeit? Welche Ursache hat den rubinenen Strom des Lebens vermocht zurückzulaufen nach der Citadelle des Herzens, und blaß zu lassen diese Züge, unter welchen sich durchzuschlängeln, er stets seine Lust gefunden haben sollte? Laßt mich ihr nahe treten mit dieser höchst wirksamen Essenz, destillirt von der schönen Hand der göttlichen Urania, und wirksam, das fliehende Leben zurückzurufen, sollte es auch am Rand des Verscheidens taumeln.«

So sprechend, kniete Herr Piercie Shafton nieder und hielt gar anmuthig dem Fräulein ein silbernes, prächtig emaillirtes Büchschen unter die Nase, in welchem sich ein in die hochgepriesene Essenz getauchtes Schwämmchen befand. – Ja lieber Leser, es war Herr Piercie Shafton in eigner Person, welcher so unerwartet seine guten Dienste anbot! – zwar etwas blaß, und hin und wieder mit Blutflecken auf den Kleidern, übrigens aber ganz derselbe, wie man ihn den Abend zuvor gesehen hatte.

Maria schlug die Augen auf. Kaum aber war ihr Blick auf den dienstfertigen Hofmann gefallen, so stieß sie einen schwachen Schrei aus und rief: »Nehmt den Mörder fest!«

Die Anwesenden standen versteinert da, und Niemand mehr, als der Euphuist, welcher sich plötzlich und so sonderbar angeschuldigt fand durch die Leidende, welcher er zu Hülfe zu kommen sich bemühte, und welche alle diese Bemühungen mit dem entschiedensten Abscheu zurückstieß.

»Schafft ihn weg!« rief sie! »schafft den Mörder weg!«

»Nun, bei meiner Ritterschaft!« entgegnete Herr Piercie, »Eure holden Leibes- oder Seelenkräfte, o allerschönste Verständigkeit, sind umwölkt durch eine sonderbare Bedrückung! Denn entweder erkennen Eure Augen nicht, daß Herr Piercie Shafton es ist, Eure ergebenste Freundlichkeit, welche hier vor Euch steht; oder aber Eure Augen sehen recht, und Eure Seele hat höchst irrthümlich geschlossen, daß er eines Vergehens oder einer Gewaltthat sich schuldig gemacht hat, der seine Hand fremd geblieben ist. Kein Mord, o stolze Verständigkeit, ist an diesem Tage begangen worden, diejenigen ausgenommen, welchen Eure Zornesblicke jetzo verüben an Eurem ergebensten Gefangenen.«

Er ward unterbrochen durch den Subprior, welcher mittlerweile beiseite mit Martin gesprochen und von diesem erfahren, welche plötzliche Mittheilung Marien Avenel in diesen Zustand versetzt hatte. »Herr Ritter,« sprach er in feierlichem Ton, jedoch etwas zögernd, »es sind uns Umstände von so außerordentlicher Art mitgetheilt worden, daß ich, so ungern ich mir auch eine Machtübung über den Gast unserer ehrwürdigen Brüderschaft erlaube, mich doch genöthigt sehe, von Euch eine Erklärung über dieselben zu verlangen. Ihr habt diesen Morgen in der Frühe den Thurm verlassen in Begleitung eines jungen Mannes, Halbert Glendinning, des ältesten Sohnes dieser guten Dame, und Ihr seid ohne ihn zurückgekommen. Wo und zu welcher Stunde habt Ihr Euch von ihm getrennt?«

Der englische Ritter besann sich einen Augenblick und erwiederte dann: »Ich wundere mich, daß Ew. Ehrwürden einen so ernsten Ton annimmt, um eine so unwichtige Frage zu stellen; ich bin von dem villagio, welchen Ihr Halbert Glendinning nennt, eine oder zwo Stunden nach Sonnenaufgang geschieden.«

»Und an welchem Ort, wenn ich bitten darf?« fragte der Mönch.

»In einer tiefen Höhle, wo ein Quell entspringt am Fuß eines mächtigen Felsen, eines erdgebornen Titanen, welcher sein graues Haupt emporhebt, gleichwie« – –

»Erspart uns die weitere Beschreibung,« unterbrach ihn Eustachius, »wir kennen den Ort. Allein seitdem hat man von dem Jüngling Nichts gehört, und man wird Euch verantwortlich für ihn machen müssen.«

»Mein Kind! mein Kind!« rief Dame Glendinning. »Ja, heiliger Vater, macht den Buben verantwortlich für mein Kind!«

»Ich schwöre, gutes Weib, bei Brod und bei Wasser, welche die Stützen unseres Lebens sind,« – –

»Schwör' bei Wein und Semmelbrod, denn das sind die Stützen deines Lebens, du fräßiger Südländer!« schrie Elspeth. »Ein niederträchtiger Bauchdiener, der hieherkommt, das Beste zu fressen und Anschläge auf das Leben von uns zu machen, die wir es ihm geben!«

»Ich sage dir Weib,« versetzte der Ritter, »daß ich bloß mit deinem Sohn jagen gegangen bin.«

»Eine schwarze Jagd ist es für ihn gewesen, das arme Kind!« fiel Tibb ein. »Ich hab's vorausgesagt den Augenblick, wie ich zuerst deine falsche Südländerschnauze gesehen habe. Wenig Gutes kommt von Piercie's Jagd, seit der Chevy-Hatz Bezeichnung für die Schlacht bei Otterburne, 1388, wo die Engländer unter Percy die Schotten auf's Haupt schlugen. bis jetzt.«

»Ruhig Weib,« sprach der Subprior, »und schimpfe nicht den englischen Ritter; wir haben bis jetzt noch weiter Nichts, als Verdacht.«

»Wir wollen sein Herzblut haben!« schrie Dame Glendinning und machte, unterstützt von Tibb, auf den unglücklichen Euphuisten einen plötzlichen Angriff, welcher ernste Folgen hätte haben können, wenn nicht der Mönch, unterstützt von Gretel Happer, sich in's Mittel geschlagen hätte, um ihn vor ihrer Wuth zu schützen. Edward hatte das Gemach in demselben Augenblick verlassen, wo der Lärm ausgebrochen war, und kehrte jetzt zurück mit dem Schwert in der Hand und mit Martin und Kaspar hinter sich, von denen der Eine einen Jagdspieß, der Andere eine Armbrust trug.

»Besetzt die Thür!« rief er seinen beiden Begleitern zu; »schießt oder stecht ihn ohne Gnade über den Haufen, wenn er versucht durchzubrechen. Wenn er an's Entlaufen denkt, bei Gott, dann soll er sterben!«

»Oho, Edward,« sprach der Subprior! »was ist das? Wie könnt Ihr Euch so weit vergessen, auf Gewaltthätigkeit zu sinnen gegen einen Gast, in meiner Gegenwart, der ich Euern Oberherrn vorstelle?«

Edward trat mit dem gezogenen Schwert vor und sprach: »Verzeiht mir, ehrwürdiger Vater; aber in dieser Sache spricht die Stimme der Natur lauter, als die Eurige. Ich kehre die Schärfe meines Schwertes wider diesen stolzen Mann und verlange von ihm das Blut meines Bruders, – das Blut von meines Vaters Sohn – das Blut des Erben unseres Namens! Wenn er sich der Rechenschaft über ihn entzieht, dann soll er sich der Rache nicht entziehen.«

Herr Piercie befand sich in einer mißlichen Lage, allein er zeigte keine Furcht: »Steck' ein dein Schwert, du junger Mensch; nicht ficht am selben Tage Herr Piercie Shafton mit zween Bauern.«

»Da hört, heiliger Vater, er gesteht die That!« rief Edward.

»Sei ruhig mein Sohn,« versetzte der Subprior, bemüht, die Gefühle zu besänftigen, die er auf andere Weise nicht bändigen konnte; »sei ruhig, du wirst Gerechtigkeit sicherer erlangen durch mich, als durch deine eigne Gewaltthätigkeit. Und Ihr, Weiber, schweigt still. Tibb, bringt Eure Frau und Marien Avenel weg.«

Während Tibb mit Hülfe der anderen weiblichen Mitglieder des Haushaltes die arme Mutter und das Mädchen in andere Zimmer brachten, und während Edward noch immer mit dem Schwert in der Hand hastig in dem Gemach auf und ab ging, bedacht, des Ritters Entkommen zu verhindern, drang der Subprior in den verlegenen Herrn Piercie, ihm mitzutheilen, was er in Betreff Halberts wisse. Shaftons Lage ward höchst peinlich. Denn das, was er getrost von dem Ausgang des Kampfes hätte erzählen können, empörte dermaßen seinen Stolz, daß er es nicht über sich gewinnen konnte, den Bericht abzustatten. Von Halberts gegenwärtiger Lage wußte er natürlich gar Nichts.

Der Pater setzte ihm indeß mit Vorstellungen zu und bat ihn, zu bedenken, daß er ein sehr übles Vorurtheil gegen sich erwecke, wenn er sich weigere, eine genaue Mittheilung zu machen über Alles, was an diesem Tage vorgegangen war. »Ihr könnt nicht läugnen,« sprach er, »daß Ihr Euch gestern schwer beleidigt gefunden habt durch diesen unglücklichen Jüngling, und daß Ihr Euren Zorn so plötzlich unterdrückt habt, daß wir Alle uns dessen höchlich wunderten. Gestern Abend habt Ihr ihm eine Jagd auf heute vorgeschlagen, und Ihr beide seid heute mit Tagesanbruch ausgegangen. Ihr seid von ihm geschieden, sagt Ihr, bei der Quelle, in der Nähe des Felsen, etwa eine Stunde oder zween nach Sonnenaufgang, und es scheint, daß, ehe Ihr von einander schiedet, Ihr im Streit mit einander gewesen seid.«

»Das hab' ich nicht gesagt,« versetzte der Ritter. »Das ist denn doch ein gar zu arges Wesen um einen leibeignen Bauer, der ohne Zweifel der nächsten Freibeuterbande zugelaufen ist, wenn er überhaupt weg ist! Ihr fordert mich, einen Ritter aus dem Hause der Piercie, zur Rechenschaft für einen so unbedeutenden Flüchtling, und ich antworte: sagt mir den Preis seines Kopfes und ich zahle ihn an Euren Stiftsschatzmeister.«

»Ihr gebt also zu, daß Ihr meinen Bruder erschlagen habt?« sprach Edward; »ich will Euch zeigen, welchen Preis bei uns Schotten das Leben unserer Freunde hat!«

»Ruhig Edward, ruhig, ich bitte dich darum, ich befehl' es dir,« sprach der Subprior. »Und Ihr, Herr Ritter, denkt nicht so gering von uns, daß Ihr glaubt, Ihr könntet schottisches Blut vergießen und es achten wie Wein, den Ihr bei einem Saufgelage verschüttet. Dieser Jüngling war kein Leibeigner. Ihr wißt wohl, daß Ihr in Eurem eignen Land nicht hättet wagen dürfen, Euer Schwert gegen den geringsten englischen Unterthan zu erheben, ohne daß Euch die Gesetze dafür zur Rechenschaft gezogen hätten. Hoffet nicht, daß es hier anders ist, sonst täuscht Ihr Euch.«

»Ihr treibt mich über die Gränzen meiner Geduld,« sprach der Euphuist, »gleichwie der überjagte Ochs zur Wuth getrieben wird! Was kann ich Euch von dem Burschen sagen, da ich ihn seit der zweiten Stunde nach Sonnenaufgang nicht gesehen habe?«

»Aber Ihr könnt doch wohl angeben, unter welchen Umständen Ihr Euch von ihm getrennt habt?« fragte der Mönch.

»Was für Umstände, in's Teufels Namen, wollt Ihr denn von mir angegeben haben? Denn obwohl ich protestire gegen diesen Zwang als unwürdig und ungastlich, so will ich doch gern diesem Streit ein Ende machen, vorausgesetzt, daß es durch Worte geschehen kann.«

»Wenn Worte ihm kein Ende machen,« fiel Edward ein, »dann sollen es Hiebe thun, und das recht bald.«

»Ruhig, ungeduldiger Junge!« sprach der Subprior. »Laßt mich wissen, Herr Piercie Shafton, warum der Boden blutig ist am Rand der Quelle in der Corrie-nan-shian, wo Ihr, wie Ihr selber sagt, von Halbert weggegangen seid.«

Entschlossen, seine Niederlage nicht zu gestehen, wenn er es umgehen könnte, antwortete der Ritter in hochfahrendem Ton, »es sei, seines Wissens, nicht ungewöhnlich, den Rasen blutig zu finden, wo Jäger ein Wild erlegt hätten.«

»Habt Ihr Euer Wild nicht auch begraben, nachdem Ihr es erlegt?« fragte der Mönch. »Wir müssen von Euch erfahren, wer in jenem Grabe liegt neben derselben Quelle, deren Rand so stark von Blut geröthet ist. Ihr seht, Ausflüchte helfen Euch Nichts, darum seid offen gegen mich, und berichtet mir das Schicksal des unglücklichen Jünglings, dessen Leichnam ohne Zweifel unter jenem blutigen Rasen liegt.«

»Wenn das der Fall ist, so müssen sie ihn lebendig begraben haben,« versetzte Herr Piercie. »Ich schwöre Euch, Ehrwürdiger Vater, daß dieser junge Bauerngesell gesund und wohlbehalten von mir weggegangen ist. Laßt das Grab untersuchen, und wenn sein Leichnam sich vorfindet, dann verfahrt mit mir, wie Ihr wollt.«

»Es ist nicht meines Amtes, Herr Ritter,« entgegnete Eustach, »über Euer Schicksal zu entscheiden. Das steht dem Herrn Abt und dem Hochwürdigen Kapitel zu. Meine Sache ist nur, solche Kunde einzuziehen, welche denselben eine richtige Einsicht in das Vorgefallene verschaffen kann.«

»Dürfte ich wohl, Ehrwürdiger Vater, mir erlauben, nach dem Urheber und Zeugen dieses so grundloser Weise gegen mich erhobenen Verdachtes zu fragen?«

»Das ist bald gesagt,« antwortete der Subprior, »und ich bin weit entfernt, es Euch zu verheimlichen, wenn es Euch bei Eurer Vertheidigung dienlich sein kann. Dies Mädchen, Maria Avenel, hatte befürchtet, Ihr möchtet unter einer freundlichen Miene Haß gegen ihren Pflegbruder bergen, und sandte deshalb den alten Martin Tacket euch nach, um Unheil zu verhüten. Allein es scheint, eure bösen Leidenschaften waren schneller als die Vorsorge, denn als der alte Mann, geleitet durch eure Fußstapfen auf dem Thau, zur Stelle kam, fand er Nichts, als den blutigen Rasen und das frisch zugedeckte Grab, und nach langem vergeblichen Suchen in der Wildniß nach Euch und nach Halbert, kam er zurück und brachte ihr, die ihn gesandt, die Trauerbotschaft.«

»Hat er mein Wams nicht gesehen?« fragte Herr Piercie. »Als ich wieder zu mir kam, fand ich mich in meinen Mantel gehüllt, aber ohne mein Unterkleid, wie Ew. Ehrwürden hier sehen können.«

So sprechend, schlug er seinen Mantel auseinander, indem er mit der ihm eignen Unbedachtsamkeit vergaß, daß er hier sein blutbeflecktes Hemd zeigte.

»Wie, Grausamer,« rief der Mönch, als er die Bestätigung seines Argwohnes sah, »du willst deine Schuld läugnen, während du an deinem Leibe das Blut trägst, so du vergossen hast? – Willst du ferner noch in Abrede stellen, daß deine verwegene Hand eine Mutter ihres Sohnes, unser Stift eines Lehenmannes, die Königin von Schottland eines Unterthanen beraubt hat? Und was kannst du Besseres erwarten, als daß wir dich England ausliefern, als unwürdig unseres ferneren Schutzes?«

»Bei allen Heiligen!« sprach der Ritter jetzt auf's Aeußerste getrieben, »wenn dieß Blut wider mich zeugt, so ist es bloß rebellisches Blut, denn diesen Morgen bei Sonnenaufgang floß es noch in meinen Adern.«

»Wie ist das möglich, Herr Piercie Shafton?« sprach der Mönch. »Ich sehe doch keine Wunde, aus der es geflossen sein könnte.«

»Das,« versetzte der Ritter, »ist eben das Räthselhafte an der Geschichte. – Seht her!«

Damit knöpfte er seinen Hemdkragen auf und zeigte auf seiner Brust die Stelle, wo Halberts Schwert eingedrungen war. Die Wunde war bereits vernarbt.

»Das erschöpft meine Geduld, Herr Ritter,« sprach der Subprior; »das heißt Hohn zur Gewaltthat hinzufügen. Haltet Ihr mich für ein Kind oder für einen Schwachkopf, daß Ihr mich glauben machen wollt, das frische Blut, mit welchem Euer Hemd befleckt ist, sei aus einer Wunde geflossen, die seit Wochen oder Monaten geheilt ist? Unglückseliger Spötter, glaubst du uns so zu blenden? Nur zu gut wissen wir, daß es das Blut deines, im Todeskampf der Verzweiflung mit dir ringenden, Opfers ist, welches deine Kleidung befleckt hat.«

Der Ritter besann sich einen Augenblick und entgegnete dann: »Pater, ich will offen gegen Euch sein. Laßt diese Leute so weit zurücktreten, daß sie uns nicht hören können, und ich will Euch Alles erzählen, was ich von dieser geheimnißvollen Geschichte weiß. Zerbrecht Euch nicht den Kopf, wenn die Erklärung derselben Eurem Verstande zu schwer wird, denn ich gestehe, für den meinigen ist sie zu dunkel.«

Eustach gebot Edwarden und den zwei Männern, sich zu entfernen, nachdem er den Ersteren versichert, daß sein Gespräch mit dem Gefangenen kurz sein solle, und ihm verstattet hatte, außen an der Thüre Wache zu halten. Ohne diese Erlaubniß würde Edward vielleicht Schwierigkeiten gemacht haben, dem Befehl Folge zu leisten. Kaum hatte er das Zimmer verlassen, so sandte er Boten an einige Familien im Stiftsgebiete, mit welchen er und sein Bruder zuweilen zusammenkamen, ließ ihnen sagen, daß Halbert von einem Engländer ermordet worden sei, und ließ sie bitten, ungesäumt nach dem Thurm von Glendearg zu kommen. Die Pflicht der Rache ward in solchen Fällen so heilig gehalten, daß er nicht zweifeln durfte, bald hinreichende Mannschaft zur Bewachung des Gefangenen eintreffen zu sehen. Sodann verschloß er das Hofthor und das innere und das äußere Thurmthor, und beeilte sich, dem weiblichen Theil der Familie einen kurzen Besuch abzustatten. Er that sein Möglichstes, um sie zu trösten, und betheuerte, daß er Rache haben wolle für seinen ermordeten Bruder.

 

Ende des zweiten Theiles.

 



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