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Eilftes Kapitel.

Erst wenn erkältet seine Wunde spannt,
Fühlt Schmerz der Krieger. So erst wenn die Gluth
Des hitz'gen Fiebers seiner Seel' vorbei ist,
Empfindet Reu' der Sünder.

Altes Schauspiel.

Die Gefühle von Reue, welche auf Halbert Glendinning bei diesem traurigen Anlaß einstürmten, waren tiefer, als sie in einer Zeit und in einem Lande erwartet werden durften, wo ein Menschenleben so gering angeschlagen wurde. Allerdings waren sie nicht von der Art, wie sie eine durch bessere religiöse Unterweisungen gebildete und unter strengeren Gesetzen entwickelte Seele gequält haben würden, nichtsdestoweniger waren sie lebhaft und kaum minder stark, als der Schmerz, von Marien Avenel und von dem Thurm seiner Väter zu scheiden.

Der alte Wandersmann ging eine Zeitlang schweigend neben ihm her und redete ihn endlich folgendermaßen an: »Mein Sohn, es heißt, ein bekümmertes Herz muß entweder sprechen oder brechen. Warum bist du so niedergeschlagen? Erzähle mir deine unglückselige Geschichte; vielleicht kann mein grauer Kopf Rath und Hülfe finden für dein junges Leben.«

»Ach!« sprach Halbert, »wie mögt Ihr Euch über meine Niedergeschlagenheit wundern? Ich bin jetzt ein Flüchtling aus meines Vaters Haus, fern von meiner Mutter und von meinen Lieben, und auf meinem Haupte ist das Blut eines Mannes, welcher mich nur mit leeren Worten beleidigt hat, und dem ich so blutig vergolten habe. Mein Herz sagt mir jetzt, daß ich übel gethan habe; es müßte härter sein, als diese Felsen, könnte es ruhig den Gedanken ertragen, daß ich diesen Mann ohne Beichte und Abendmahl zur Ablegung seiner letzten Rechnung gesandt habe!«

»Halt inne, mein Sohn,« sprach der Wanderer. »Daß du Gottes Ebenbild in deinem Nächsten geschändet – daß du Staub zu Staub gesandt hast in eitlerem Stolz, das ist allerdings eine schwere Sünde; – daß du ihm die Frist geraubt hast, welche ihm der Himmel vielleicht zur Buße verstattet hätte, das macht sie noch tödtlicher. Doch für alles das ist Balsam in Gilead.«

»Ich versteh' Euch nicht, Vater,« versetzte Halbert, verwundert über den feierlichen Ton, welchen sein Gefährte annahm.

Der Greis fuhr fort: »Du hast deinen Feind erschlagen – das war eine grausame That; du hast ihn vielleicht in seinen Sünden sterben lassen – das erschwert deine Schuld erschrecklich. Folge nun meinem Rath, und laß dir angelegen sein, statt dessen, den du vielleicht dem Reiche Satans überliefert hast, einen Andern aus der Gewalt des Bösen zu reißen.«

»Ich verstehe Euch, Vater,« sprach Halbert; »Ihr wollt, ich soll meine Uebereilung gut machen dadurch, daß ich Etwas zur Seelenrettung meines Gegners thue. Aber wie ist das anzufangen? Ich habe kein Geld, Messen zu bezahlen. Gern wollte ich barfuß nach dem gelobten Land wallfahrten, um seine Seele aus dem Fegfeuer zu erlösen, wenn nur« – –

»Mein Sohn,« unterbrach ihn der Greis, »der Sünder, für dessen Erlösung zu arbeiten ich dich bitte, ist nicht der Todte, sondern der Lebendige. Nicht für die Seele deines Feindes wollte ich dich ermahnen zu beten – sie hat schon ihr Endurtheil von einem eben so barmherzigen als gerechten Richter; auch würde es dem abgeschiedenen Geiste nichts helfen, wenn du diesen Felsen in Ducaten ausmünzen und für jeden eine Messe kaufen könntest. Wohin der Baum gefallen ist, da bleibt er liegen. Aber das junge Stämmchen, welches noch Lebens-Kraft und Saft in sich hat, das kann dahin gebogen werden, wohin es sich neigen sollte.«

»Du bist ein Priester, Vater?« fragte der Jüngling; »oder in welchem Auftrag sprichst du von so hohen Dingen?«

»Im Auftrag meines allmächtigen Meisters,« antwortete der Wanderer, »unter dessen Banner ich als Kriegsknecht eingereiht bin.«

Halberts Bekanntschaft mit religiösen Gegenständen war nicht tiefer, als wie sie aus dem Katechismus des Erzbischofs von Sanct Andrew's geschöpft werden konnte, und aus einer Flugschrift, betitelt: der Zweipfennig Glaube, welche beide Werklein von den Mönchen zu S. Marien eifrig verbreitet und anempfohlen wurden. Indessen ein so gleichgültiger und oberflächlicher Theolog er auch war, fing er doch an zu argwohnen, daß er sich in der Gesellschaft eines der Evangelischen oder Ketzer befinde, welche damals das alte Glaubenssystem in seinen tiefsten Grundlagen erschütterten. Erzogen, wie man leicht denken kann, in einem heiligen Abscheu gegen diese furchtbaren Sectirer, empfand Halbert zuerst die Regungen eines gehorsamen und ergebenen Stiftsunterthanen. »Alter Mann,« sagte er, »wärest du im Stande, mit deiner Hand die Worte zu behaupten, die deine Zunge gegen unsere heilige Mutter Kirche gesprochen hat, dann würden wir auf diesem Moor erproben, welcher Glaube, der meine oder der deine, den besten Kämpen hat.«

»O,« versetzte der Unbekannte, »wenn du ein ächter Söldner Roms bist, so wirst du von deinem Vorhaben nicht darum abstehen, weil du den Vortheil der Jahre und der Kraft auf deiner Seite hast. Höre mich an, mein Sohn. Ich habe dir gezeigt, wie du deinen Frieden mit dem Himmel machen möchtest, und du hast meinen Vorschlag zurückgewiesen. Ich will dir nun zeigen, wie du dich mit den Mächten dieser Welt aussöhnen magst. Nimm dieß graue Haupt von dem schwachen Leib, der es trägt, und trage es hin zu dem Stuhl des stolzen Abtes Bonifacius, und wenn du ihm erzählst, daß du Piercie Shafton erschlagen, und sein Zorn entbrennt, dann lege das Haupt des Heinrich Warden zu seinen Füßen, und du wirst Lob ernten, statt Tadel.«

Halbert Glendinning trat betroffen zurück. »Was! Ihr seid jener unter den Ketzern so berühmte Heinrich Warden, daß selbst der Name von Knox kaum häufiger in ihrem Munde ist? Der seid Ihr, und wagt es, das Stift von Sanct Marien zu betreten?«

»Allerdings bin ich Heinrich Warden,« antwortete der Greis, »bei weitem nicht werth, mit Knox in einem Athem genannt zu werden, jedoch bereit, mich jeder Gefahr auszusetzen, zu welcher meines Meisters Dienst mich rufen mag.«

»Höre mich an,« sprach Halbert. »Dich zu erschlagen habe ich das Herz nicht; dich zum Gefangenen zu machen, hieße ebenfalls, dein Blut über mein Haupt bringen; dich in dieser Wildniß ohne Führer zu verlassen, wäre nicht viel besser. Ich will dich, wie ich versprochen habe, wohlbehalten auf's Schloß Avenel bringen. Aber so lange wir unterwegs sind, läßt du kein Wort aus deinem Munde gehen wider die Lehren der heiligen Kirche, von der ich ein unwürdiges – zwar unwissendes, aber eifriges Mitglied bin. Bist du dort angelangt, dann sieh dich vor. Ein hoher Preis ist auf deinen Kopf gesetzt, und Julian Avenel liebt den Glanz goldener Haubenstücke Eine Goldmünze von Jakob V., die schönste unter den schottischen, so genannt, weil der Kopf des Königs darauf mit einer Mütze dargestellt ist.

»Aber du sagst doch nicht,« fragte der protestantische Prediger, »daß er um Lohn das Blut seines Gastes kaufen würde?«

»Nein, dafern du als eingeladener Fremder, der auf sein Wort baut, zu ihm kommst,« antwortete der Jüngling. »So schlimm auch Julian sein mag, so wagt er doch nicht, das Gastrecht zu verletzen. Denn wenn wir auf diesen Marken auch mit allen anderen Pflichten es nicht genau nehmen, diese wird bei uns heilig gehalten. Seine nächsten Verwandten würden sich verbunden erachten, sein Blut zu vergießen, um die Schande zu tilgen, welche ein solcher Verrath über ihren Namen und ihre Sippschaft bringen würde. Ladest du dich aber selber bei ihm ein und ohne Zusicherung, daß dir kein Leid geschehen solle, dann, verlasse dich darauf, stehst du in großer Gefahr.«

»Ich stehe in Gottes Hand,« versetzte der Prediger. »In seinem Auftrag durchwandere ich diese Wüsteneien unter Fährlichkeiten jeglicher Art. So lange ich zu meines Meisters Dienst nütze bin, sollen sie Nichts wider mich vermögen; wenn ich aber gleich dem dürren Feigenbaum, nicht fürder Frucht bringen kann, was liegt dann daran, wann und von wem die Axt an die Wurzel gelegt wird?«

»Euer Muth und Eure Ergebenheit sind einer besseren Sache würdig,« sprach Halbert.

»Das ist nicht möglich,« versetzte Warden; »die meine ist die beste.«

Schweigend setzten sie ihren Weg fort. Halbert verfolgte mit der größten Genauigkeit die Schlangenwindungen des Pfades in den gefährlichsten Morästen und Bergen, welche das Stift von der Freiherrschaft Avenel trennten. Von Zeit zu Zeit mußte er Halt machen, um seinem Gefährten über die schwarzen Klüfte schlammigen Sumpfes zu helfen welche die festeren Stellen des Moores durchschnitten, und welche in Schottland hags (Gruben oder Löcher) genannt werden.

»Muth gefaßt, Alter!« sprach Halbert, als er seinen Gefährten vor Ermattung fast umsinken sah; »bald werden wir auf festem Grund stehen. So weich dieß Moos ist, habe ich doch die lustigen Falkner wie die Rehe darüber hin rennen sehen, wenn das Wildpret aufgeflogen war.«

»Ganz recht, mein Sohn,« entgegnete Warden – »denn so will ich Euch auch ferner nennen, obwohl Ihr mir nicht mehr den Namen Vater gebt. Gerade so verfolgt die tolle Jugend ihre Lüste ohne Rücksicht auf den Schlamm und auf die Gefährlichkeit der Pfade, auf welchen sie einherrennt.«

»Ich habe dir schon einmal gesagt,« fuhr Halbert ihn an, »daß ich Nichts von dir hören will, was nach Lehre schmeckt.«

»Aber mein Sohn,« erwiederte Warden, »dein Beichtvater selber würde gewiß nicht die Wahrheit dessen in Abrede stellen, was ich so eben zu deiner Erbauung gesprochen habe.«

Glendinning erwiederte mit Festigkeit: »Das weiß ich nicht. Wohl aber weiß ich, daß es die Art Eurer Brüderschaft ist, an Euren Hamen den Köder schöner Rede zu stecken, und Euch für Engel des Lichtes auszugeben, um desto besser das Reich der Finsterniß zu verbreiten.«

»Gott verzeihe denen, welche seine Diener in einen solchen Ruf bringen!« versetzte der Prediger. »Ich will dich nicht reizen, mein Sohn, dadurch daß ich zur Unzeit in dich dringe – du sprichst nur, wie man dir vorgesagt hat. Aber ich hoffe doch, daß ein so wackerer Jüngling noch gerettet werden soll, wie ein Brand aus dem Feuer.«

Während er so sprach, hatten sie den Rand des Moores erreicht, und der Weg ging jetzt abwärts. Dieser Weg war Rasen und zeichnete sich, aus der Ferne gesehn, als ein schmaler grüner Streif vor der braunen Haide aus, durch welche er hindurch lief, war aber in der Nähe nicht so leicht zu erkennen Diese Art Weg, welche man aus der Ferne sieht, nicht aber wenn man darauf ist, bezeichnen die Gränzbewohner mit dem passenden Namen Blinder Weg.. Dem Greise ward das Gehen jetzt leichter. Nicht geneigt, den Eifer seines jungen Gefährten für den römischen Glauben ferner zu erwecken, brachte er das Gespräch auf andere Gegenstände. Sein Ton war immer noch ernst, der Geist seiner Rede sittlich, der Inhalt belehrend. Er war viel gereiset und kannte Sprachen und Sitten anderer Länder. Halbert, welcher sich die Möglichkeit vorstellte, daß er in Folge seiner That vielleicht Schottland verlassen müßte, horchte ihm jetzt aufmerksam zu. Allmählig überwog das Anziehende seiner Unterhaltung das Abstoßende seiner Eigenschaft als Ketzer, und mehr als ein Mal hatte Halbert ihn wieder Vater genannt, bevor sie der Thürme von Schloß Avenel ansichtig wurden.

Die Lage dieser Burg war eigentümlich. Sie stand auf einer kleinen Felseninsel in einem Bergsee oder Tarn, wie ein solches Gewässer in Westmoorland heißt. Der See mochte etwa eine kleine halbe Stunde im Umkreis haben und war von hohen, meist mit Haidekraut bewachsenen, Bergen umgeben, zwischen welchen sich Schluchten mit Bäumen und Buschwerk hinzogen. Ein Gewässer in einer so hochliegenden Gegend zu finden, mußte für den Betrachter das Auffallendste in der Landschaft sein, deren Anblick mehr wild als lieblich und erhaben genannt werden konnte, die jedoch nicht aller Reize entbehrte. Unter der brennenden Sommersonne erquickte das reine Blau des tiefen stillen See's das Auge, und erweckte ein angenehmes Gefühl tiefer Einsamkeit. Im Winter, wenn der Schnee ringsum auf den Bergen lag, schienen diese blendenden Massen weit höher in die Luft hinauszuragen, als wirklich der Fall war, während unten der See mit seinen gefrornen Gewässern, wie ein trüber zerbrochener Spiegel um das schwarze Felseneiland mit seinen grauen Burgmauern herumlag.

Das Schloß, mit seinen Hauptgebäuden und mit seinen Außenwerken alle vorspringenden Punkte des Felsens einnehmend, schien eben so dicht vom Wasser umgeben wie das Nest eines wilden Schwanes, ausgenommen an der Stelle, wo ein schmaler Dammweg die Insel mit dem Ufer verband. Die Burg sah sich größer an, als sie wirklich war; ein Theil ihrer Gebäude war verfallen und unbewohnbar. In den Zeiten der Größe des Hauses Avenel hatte in diesen Gebäuden eine starke Besatzung von Dienstmannen und Knechten gelegen; jetzt standen sie leer da. Julian Avenel würde wahrscheinlich seinen Wohnsitz an einem, seinen schwachen Vermögensverhältnissen angemesseneren, Orte aufgeschlagen haben, wenn nicht die große Sicherheit, welche die Lage der Burg einem Mann von seiner mißlichen und gefahrvollen Lebensweise darbot, ihn an dieselbe gefesselt hätte. In dieser Beziehung konnte der Ort kaum besser gewählt werden, denn die Feste konnte, wenn es dem Besitzer gefiel, fast völlig unzugänglich gemacht werden. Der Raum zwischen dem Eiland und dem nächsten Ufer betrug zwar höchstens nur hundert und fünfzig Schritt; dafür war aber der Damm, welcher hinüberführte, äußerst schmal und hatte zwei Einschnitte, einen in der Mitte zwischen der Insel und dem Seeufer, den anderen dicht unter dem äußeren Burgthor. Diese Einschnitte bildeten für einen herannahenden Feind ein fast unübersteigliches Hinderniß. Ueber beide führte eine Zugbrücke. Die am Burgthor war in der Regel zu allen Zeiten des Tages aufgezogen, und bei Nacht waren es beide Man würde jetzt vergebens in der Nähe von Melrose nach einer Burg, wie die hier beschriebene, suchen, sei es in den See'n am Ursprung des Yarrow, sei es an den Quellen des Wassers von Ale. Dagegen findet man im Yetholm Loch (einem romantischen See auf der sogenannten trockenen Mark) die Reste einer Burg, welche den Namen Thurm von Lochside führt, und auf einer Insel erbaut, mit dem Lande durch einen Damm verbunden ist. Sie besteht übrigens blos aus einem einzigen verfallenen Thurm..

Alle diese Vorkehrungen waren nothwendig in der Lage Julians von Avenel, welcher in eine Menge von Fehden verwickelt und fast bei allen finsteren und geheimen Anschlägen auf dieser wilden und kriegerischen Gränze betheiligt war. Sein zweideutiges Benehmen hatte die Gefährlichkeit seiner Lage vermehrt. Er hatte beiden Parteien im Reiche Versprechungen gemacht, und sich, je nachdem er seinen unmittelbaren Vortheil dabei ersah, bald an die eine, bald an die andere enger angeschlossen, so daß er weder feste Bundesgenossen und Beschützer, noch entschiedene Feinde hatte. Sein Leben war ein Leben von Nothbehelfen und Gefahren, und da er beim Verfolgen seines unmittelbaren Vortheils alle möglichen krummen Wege ging, so überschoß er oft sein Ziel und verfehlte das, was er auf geraderem Weg erlangt haben würde.



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