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Zweites Kapitel.

Die Freunde, so an meinem Tische essen,
Soll'n mannigfaltig sein, gleichwie die Schüsseln.
Nichts taugt ein Schmaus, wo ein Gericht nur vorherrscht.
Hans Klartext stelle vor den Klumpen Rindfleisch,
Der würd'ge Rathsherr einen Klos in Butter,
Schnurbärt'ge Fähndriche die kleinen Fische,
Ihr Freund, der Stutzer, eine Gans in Schnitten.
So ist der Tisch besetzt, ringsum wie oben,
Nach gleichem Grundsatz Mannigfaltigkeit.

Neues Schauspiel.

»Und was ist das für ein hübsches Kind?« fragte Ruprecht Müller, als Maria von Avenel eintrat, um Dame Elspeth Glendinning zu ersetzen.

»Das Fräulein von Avenel, Vater,« antwortete die Jungfrau von der Mühle, und machte einen so tiefen Knix, als ihre bäurischen Manieren nur immer gestatten wollten. Der Müller zog die Mütze ab, und machte seine Verbeugung, wohl nicht ganz so tief, als wenn das Fräulein im Glanz von Rang und Reichthum erschienen wäre, doch immer so, daß er der hohen Geburt die gebührliche Huldigung erwies, wie es die Schotten lange Zeit gewissenhaft gethan haben.

Durch das Beispiel ihrer Mutter, welches sie so viele Jahre vor Augen gehabt hatte, und durch ihr natürliches Gefühl von Schicklichkeit und selbst von Würde, hatte Marie Avenel sich ein Benehmen angeeignet, welches ihren Anspruch auf Auszeichnung zu erkennen gab und von Vertraulichkeit diejenigen abhielt, welche in ihrer gegenwärtigen Lage ihre Gesellschafter sein, aber nicht wohl ihres Gleichen genannt werden konnten. Sie war sanft, zum Nachdenken und zu Betrachtungen aufgelegt, gutherzig und leicht zu besänftigen, wenn man sie zufällig beleidigt hatte. Dabei liebte sie die Eingezogenheit, war nicht gesprächig, und vermied es, an den gewöhnlichen Lustbarkeiten Theil zu nehmen, zum Beispiel auf Jahrmärkten oder Kirchweihen, wo sie mit Mädchen ihres Alters zusammentraf. Bei solchen Gelegenheiten gab sie eine gleichgültige Zuschauerin ab, und man merkte ihr an, daß sie gern sobald als möglich den Schauplatz verließ. Dieß, und daß man wußte sie war auf Allerheiligenabend geboren, was ihr der Volksmeinung nach Gewalt über die unsichtbare Welt gab, – alles dieß veranlaßte die jungen Leute im Stift, ihr den Namen das Gespenst von Avenel beizulegen, als ob ihre zarte Gestalt, ihre schönen aber etwas blassen Wangen, ihr tiefblaues Auge und ihr dunkeles Haar mehr der Geister- als der Körperwelt angehörten. Die Sage vom Weißen Fräulein gab diesem Bauerwitz eine gewisse Würze. Die beiden jungen Glendinnings nahmen den Spaß sehr übel, und wenn in ihrer Gegenwart der Ausdruck gebraucht ward, pflegte Edward dem Muthwillen Vorstellungen, Halbert aber die Faust entgegenzusetzen. Hierbei hatte Halbert den Vortheil, daß Edward, den er mit Worten nicht unterstützen konnte, ihm getreulich bei Balgereien half, so zwar daß derselbe nie dergleichen anfing, aber auch nicht müssig blieb, wenn es über seinen Bruder herging. Freilich bewirkten weder Edwards Gründe noch Halberts Schläge eine Aenderung in den Empfindungen, mit welchen die Leute Maria Avenel als ein fremdartiges Wesen betrachteten, zumal da beide Jünglinge selber in Folge der Einsamkeit ihrer Wohnung halb Fremdlinge im Stift waren. Wenn aber diese Empfindungen nicht in Zuneigung bestanden, so schlossen sie doch darum die Achtung nicht aus, und die Aufmerksamkeit des Subpriors für die Familie, geschweige denn der gefürchtete Name Julians von Avenel, welcher in diesen unruhigen Zeiten zu immer höherer Bedeutung emporstieg, gab der Tochter des Freiherrn eine gewisse Wichtigkeit. Einige suchten ihre Bekanntschaft aus Eitelkeit, furchtsamere Hintersassen prägten ihren Kindern den Gedanken ein, es sei nothwendig, dem Fräulein mit Ehrerbietung zu begegnen. So war Marie Avenel wenig geliebt, weil wenig bekannt, und wurde mit einer gewissen geheimnißvollen Scheu betrachtet, theils aus Rücksicht auf die Moosklepper ihres Oheims, theils in Folge ihrer Eingezogenheit und geringen Geselligkeit, an welche sich die abergläubischen Meinungen der Zeit und des Landes knüpften.

Etwas von dieser Scheu empfand Gretel, als sie sich mit einem in Rang und Benehmen ihr so fern stehenden Mädchen allein gelassen sah. Ihr ehrsamer Vater nämlich hatte die Gelegenheit wahrgenommen, unbemerkt hinauszugehen und zu schauen, wie die Scheuer gefüllt, somit wie viel Korn für die Mühle zu erwarten war. Die Jugend hat indeß eine Art Freimaurerei, welche junge Leute sich wechselseitig abschätzen lehrt und sich nach kurzer Bekanntschaft in ungezwungenen Verkehr mit einander bringt. Erst wenn wir in der Welt die Kunst zu täuschen gelernt haben, suchen wir unsere Gesinnungen und Empfindungen zu verhehlen oder zu verkleiden. Und so blieben denn auch die beiden Mädchen sich nicht lange ferne. Sie besuchten Mariens Tauben, welche von dieser mit mütterlicher Zärtlichkeit gepflegt wurden, sie durchmusterten ihren geringen Reichthum an Putz, der freilich Manches enthielt, wozu das Müllermädchen große Augen machte, ohne jedoch neidisch zu werden. Ein goldner Rosenkranz und einige weibliche Schmucksachen, die einen höheren Rang bezeichneten, waren zur Zeit der größten Noth gerettet worden, mehr durch Tibbs Geistesgegenwart, als durch die Sorgfalt der Eigenthümerin, welche damals viel zu sehr in ihren Schmerz versunken war, um auf solche Dinge zu achten. Gretel fühlte sich beim Anblick derselben von gewaltiger Ehrfurcht durchdrungen, denn sie hatte nicht gedacht, daß außer dem, was der Abt und das Kloster besaß, so viel ächtes Gold in der Welt sei, wie diese wenigen Flitter enthielten, und Maria, obwohl verständig und ernsthaft, war nicht darüber erhaben, Wohlgefallen an der Bewunderung ihrer bäurischen Gesellschafterin zu finden.

Es ließ sich schwerlich ein größerer Gegensatz finden, als das Aeußere dieser beiden Mädchen. Hier das gutmüthige lachlustige Gesicht des Müllermädchens, welche mit unverhehltem Staunen Alles betrachtete, was in ihren Augen selten und kostbar war, und bescheiden, jedoch ohne Blödigkeit tausend Fragen über den Gebrauch und Werth dieser Zierrathen that – dort Maria Avenel, mit ihrer ruhigen Würde und ihrem sanften Wesen, einen nach dem andern zur Unterhaltung ihrer Gesellschafterin hervorholend.

Da sie nach und nach vertrauter geworden waren, fragte Gretel, warum Marie Avenel nie beim Maien erschien, und drückte großes Erstaunen aus, als das Fräulein erklärte, sie liebe den Tanz nicht. In diesem Augenblick ward ihr Gespräch durch Pferdegetrappel am Thor des Thurmes unterbrochen.

Gretel flog mit dem ganzen Eifer ungebändigter weiblicher Neugier an's Fenster, »heilige Maria! Fräulein! da kommen zwei prächtige Reiter. Wollt Ihr nicht herkommen und sie betrachten?«

»Nein,« antwortete Maria Avenel, »Ihr mögt mir sagen, wer sie sind.«

»Gut, wenn Ihr das wollt,« sprach Gretel; – »aber wie soll ich sie erkennen? – halt! Einen kenn' ich und Ihr ebenfalls, Fräulein; es ist ein lustiger Mann, ein Bischen leichthändig, allein die Reitersmänner nehmen das heutzutag nicht so genau. Es ist Eures Oheims Knecht Christie von Clinthill; er hat nicht seinen alten grünen Wams an und die rostige schwarze Jacke darüber, nein einen Scharlachmantel mit Silberborte drei Zoll breit besetzt und einen Brustharnisch, darin könntet Ihr Euch besehen, wenn Ihr Euer Haar macht, so gut wie in dem Spiegel mit dem elfenbeinernen Rahmen, den Ihr mir soeben gezeigt habt. Ach, liebes Fräulein, kommt doch her und betrachtet ihn.«

»Wenn es der Mann ist, den Ihr meint, Gretel,« antwortete die Waise von Avenel, »dann werd' ich ihn noch frühe genug zu Gesicht bekommen für das Vergnügen, welches sein Anblick mir verschaffen wird.«

»Nun, wenn Ihr den lustigen Christie nicht sehen wollt,« sprach Gretel mit dem Ausdruck lebhafter Neugier im Gesicht, »so kommt doch und sagt mir, wer der prächtige Reiter bei ihm ist, der schönste und liebenswürdigste junge Mann, den ich je mit meinen Augen gesehen habe.«

»Es ist mein Pflegbruder, Halbert Glendinning,« antwortete Maria mit anscheinender Gleichgültigkeit. Sie war nämlich gewöhnt, Elspeths Söhne ihre Pflegbrüder zu nennen und so mit ihnen zu leben, als ob dieselben ihre wirklichen Brüder wären.

»Nein bei Unserer Lieben Frauen, der ist's nicht,« sprach Gretel; »ich kenne die Gesichter der beiden Glendinnings recht gut, und ich denke, dieser Reiter ist nicht aus unserm Land. Er hat eine karmosinrothe Sammetmütze und langes braunes Haar darunter, und einen Schnurrbart und ein glattgeschornes Kinn bis auf ein kleines Fleckchen an der Spitze, und ein himmelblaues Wams, geschlitzt und mit weißem Atlas ausgepufft und dazu Pumphosen, und keine Waffen außer Rappier und Dolch. Ach, wär' ich ein Mann, ich würde keine andere Waffe tragen, als ein Rappier, es ist so schmal und steht so gut; ich würde mich hüten, mir eine Ladung Eisen auf den Buckel zu hängen, wie meines Vaters Schwert mit seinem großen rostigen Korb. Seht Ihr nicht gern Rappier und Dolch, Fräulein?«

»Das beste Schwert,« versetzte Marie, »ist, wenn ich auf eine solche Frage antworten soll, dasjenige, welches für die beste Sache gezogen und auf's beste gehandhabt wird, wenn es einmal aus der Scheide ist.«

»Aber wirklich,« fuhr Gretel fort, »könnt Ihr nicht vermuthen, wer dieser Fremde sein mag?«

»Nicht im Entferntesten,« antwortete Maria. »Nach seinem Begleiter zu urtheilen, kann nicht viel daran liegen, ihn kennen zu lernen.«

»Meinen Segen auf sein hübsches Gesicht,« sprach Gretel, »wenn er hier nicht absteigen sollte. Nein, das ist mir so lieb als wenn mir mein Vater die silbernen Ohrringe gegeben hätte, die er mir so lange versprochen hat: – aber Ihr könntet doch wohl an's Fenster kommen, denn sehen werdet Ihr ihn, Ihr mögt wollen oder nicht.«

Vermuthlich hätte Maria ihre Augen etwas früher dem Gegenstand der Betrachtung zugewandt, wenn sie nicht durch die ungezügelte Neugier ihrer munteren Freundin davon abgehalten worden wäre. Am Ende jedoch trug diese Empfindung den Sieg über ihr Gefühl von Würde davon, und zufrieden, so viel Gleichgültigkeit gezeigt zu haben, als die Schicklichkeit erheischte, hielt sie nicht länger für nöthig, ihre eigne Neugier zurückzuhalten.

Aus dem Erkerfenster konnte sie sehen, daß Christie von Clinthill von einem geputzten stattlichen Reiter begleitet war, der, nach der Würde seiner Miene und Haltung, nach seiner reichen und schönen Kleidung und nach der Stattlichkeit seines Rosses und Reitzeugs zu schließen, wirklich eine wichtige Person sein mußte. Auch Christie schien sich Etwas zu wissen. Denn er schrie mit noch größerer Barschheit als gewöhnlich! Heh da! he da drinnen! Bauernlümmel, will keins von Euch Antwort geben, wenn ich rufe? heh! Martin, – Tibb – Dame Glendinning! – Daß ihr verreckt! Müssen wir da stehen und mit unseren Pferden hier im Kalten halten, und sie dampfen vor Hitze nach dem scharfen Ritt!«

Endlich fand Christie Gehör, und Martin erschien. »Ah, bist du da, alte ehrliche Haut,« sprach der Reitersknecht. »Hier, schaff' mir die Rosse in den Stall und bette sie wohl, und recke deine alten Knochen aus, und reibe sie ab, und daß du mir nicht aus dem Stall gehst, bis kein verdrehtes Haar mehr an ihnen ist.«

Martin führte, wie befohlen, die Rosse in den Stall, aber einen Augenblick später machte er seinem verhaltenen Aerger Luft. »Sollte man nicht meinen,« sprach er zu Kaspar, einem alten Ackerknecht, der gekommen war, ihm an die Hand zu gehen und der Christies herrische Befehle gehört hatte; »sollte man nicht meinen, dieser Bengel da, dieser Christie von Clinthill wär' ein Graf oder Herr? Kein Gedanke. Ich weiß noch recht gut, wie er im Hause Avenel ein schmutziger Küchenjunge war, an dem sich an einem kühlen Morgen, wie der heutige, Jedermann die Finger wärmte, durch Püffe und Stöße, die man ihm gab. Und jetzt ist er ein Edelmann und flucht wie ein Heide, als ob die Edelleute ihre Gottlosigkeit nicht für sich behalten könnten, ohne daß Seinesgleichen in ihrer Gesellschaft und auf ihrem Weg zur Hölle gehen müßten. Ich habe große Lust, so große wie ich nur je zu meinem Mittagessen gehabt habe, hinzugehen, und ihm zu sagen, er soll seinen Gaul selber warten, sintemal er es so gut kann, wie ich.«

»Pst! Alter,« antwortete Kaspar, »nicht hitzig! Besser einen Narren rupfen, als sich mit ihm schlagen.«

Martin erkannte die Wahrheit des Sprichwortes an, und getröstet damit, machte er sich daran, des Fremden Roß emsig zu putzen, bemerkend, es sei ein Vergnügen, eine hübsche Mähre unter den Händen zu haben. Christies Pferd überließ er der Sorge Kaspers. Und nicht eher, als bis Christies Befehle buchstäblich ausgeführt waren, hielt er für rathsam, nach gebührenden Abwaschungen sich zu der Gesellschaft in der Speisekammer zu begeben, nicht um ihr aufzuwarten, wie ein nur mit der Gegenwart bekannter Leser vermuthen möchte, sondern um Theil am Mittagsmahl zu nehmen.

Mittlerweile hatte Christie seinen Begleiter bei Dame Glendinning vorgestellt als Herrn Piercie Shafton, einen Freund von ihm und von seinem Herrn, der gekommen wäre, um drei oder vier Tage ohne Geräusch in dem Thurm zuzubringen. Die gute Dame konnte nicht begreifen, wie sie zu einer solchen Ehre käme, und hätte gern ihren Mangel an jeglichem guten Gemach zur Beherbergung eines solchen Gastes vorgeschützt. Der Besucher seinerseits warf einen Blick auf die kahlen Wände, belugte das ungeheure Kamin, musterte den armseligen und zerbrochenen Hausrath und gab, als er noch dazu die Verlegenheit der Hauswirthin bemerkte, eine große Ungeneigtheit zu erkennen, der guten Frau einen Besuch aufzudringen, welcher allem Ansehen nach für sie nur höchst lästig und für ihn nur peinlich sein konnte.

Allein die widerstrebende Wirthin und der Gast hatten es mit einem unerbittlichen Mann zu thun, der alle Vorstellungen zum Schweigen brachte mit dem Wort: »Es ist meines Herrn Wille. – Noch mehr,« fügte er hinzu; »nicht allein, daß meines Herrn Gebot für Alle im Umkreis von drei Meilen um ihn Gesetz sein muß, hier, Dame, ist auch ein Brief von Eurem Landherrn im Weiberrock, dem Gnädigen Herrn Pfaffen da unten, der Euch befiehlt, so lieb Euch seine Gnade ist, diesem guten Ritter alles gute Gemach zu verschaffen, was in Euren Kräften steht, und ihn so zurückgezogen leben zu lassen, als er wünschen mag. – Und Ihr, Herr Piercie Shafton, Ihr mögt selber erwägen ob an Verborgenheit und Sicherheit Euch nicht mehr gelegen sein muß, als an weichen Betten und leckeren Speisen. Beurtheilt nicht das Vermögen der Dame nach dem Aussehen ihrer Hütte; bei dem Mittagsmahl, welches sie uns aufzutragen im Begriff steht, werdet Ihr finden, daß der Unterthan der Kirche selten einen leeren Korb hat.« Marien von Avenel stellte Christie den Fremden so höflich, als er konnte, vor, als der Nichte seines Herrn.

Während Christie beschäftigt war, Herrn Piercie Shafton mit seinem Schicksal auszusöhnen, zog die Wittwe ihren Sohn Edward über den wahren Inhalt des Befehls Sr. Hochwürden zu Rathe, und als sich befand, daß Christie denselben richtig angegeben hatte, blieb ihr weiter Nichts übrig, als, dem Fremden sein Loos so erträglich wie möglich zu machen. Er selber schien sich mit seinem Schicksal ausgesöhnt zu haben, vermuthlich in Betracht der dringenden Noth, und nahm mit guter Miene die Gastfreiheit an, welche die Dame nicht mit der besten Miene anbot.

Das Mittagsmahl, welches bald vor den versammelten Gästen dampfte, war von der derben Beschaffenheit, welche den Wohlstand des Wirthes verräth. Dame Glendinning hatte es in ihrer besten Weise zugerichtet und empfand eine wahre Freude, als es so hübsch auf dem Tisch stand. In diesem Gefühl vergaß sie ihre Entwürfe sowohl, wie die Unannehmlichkeiten, welche dieselben gestört hatten, über die Erfüllung ihrer Wirthspflicht, die Gäste zum Essen und Trinken zu nöthigen, um auf jeden Teller ein Auge zu haben und denselben, so wie er leer ward, frisch zu füllen, bevor der Gast es ausschlagen konnte.

Die Glieder der Tischgesellschaft betrachteten sich unterdeß einander und suchten ein Jedes sich ein Urtheil über das Andere zu bilden. Herr Piercie Shafton ließ sich nicht herab mit irgend Jemanden außer mit Marien Avenel zu sprechen. Ihr erwies er dieselbe vertrauliche, mitleidige und etwas höhnische Aufmerksamkeit, die ein Herrchen unserer Tage zuweilen wohl geruht, einem Fräulein vom Lande zu schenken, wenn kein hübscheres oder vornehmeres Frauenzimmer da ist. Die Weise freilich war verschieden, denn die Etikette dieser Zeit erlaubte Herrn Piercie Shafton nicht, seine Zähne zu stochern oder zu gähnen oder unverständlich zu murmeln, wie der Bettler, dem, seiner Angabe nach, von den Türken die Zunge ausgeschnitten worden ist, oder Taubheit zu affectiren, oder Blindheit oder sonstige Sinnenschwäche. Allein obwohl die Schnörkel seiner Unterhaltung verschieden waren – das Hauptgewebe war noch dasselbe, und die hochtrabenden, gezierten Complimente, mit denen der wackere Ritter des sechzehnten Jahrhunderts sein Gespräch durchspickte, hatten eben sowohl ihren Ursprung in Selbstsucht und Selbstgefälligkeit, wie der Schnack eines Zierlings unserer Tage.

Der englische Ritter war etwas betreten, als er fand, daß Marie von Avenel gleichgültig hörte und wundersam kurz antwortete auf all' die schönen Redensarten, welche sie nach seiner Meinung durch ihren Glanz hätten blenden oder durch ihre Dunkelheit hätten in Verlegenheit bringen sollen. Wenn aber bei ihr Herrn Piercies Erwartung getäuscht wurde, so klangen dafür seine Reden wunderherrlich in den Ohren Gretels, absonderlich darum, weil sie kein Wort davon verstand. Und in der That war des Ritters Sprache viel zu hofmäßig, als daß selbst Leute von größerem Scharfsinn, als Gretel, sie hätten verstehen können.

Um diese Zeit war es, daß der alleinige fürtreffliche Dichter seiner Zeit, der hochverständige, komische, lebhaft-witzige und witzig-lebhafte Hans Lylly – er der an Appollinis Tafel säße und dem Phoebus selber einen Kranz von seinen eignen Lorbeeren gegeben, ohne daß er hastig darnach gegriffen So und noch toller lauten die Schmeicheleien, mit welchen dieser Schriftsteller von seinem Herausgeber Blount überschüttet wird. Nichtsdestoweniger war Lylly wirklich ein Mann von Geist und Phantasie, deren Erzeugnisse aber leider durch die unnatürlichste Ziererei entstellt wurden. – kurz Derjenige, welcher das überaus närrische Werk »Euphues und sein England« geschrieben hat, im Hochpunkt seiner Verrücktheit und seines Ansehens stand. Der gesuchte, gezwungene, unnatürliche Styl, den er durch seine »Anatomie des Geistes« in Gang brachte, ward reißend schnell, glücklicher Weise aber nur auf kurze Zeit, herrschend. Alle Hofdamen wurden seine Schülerinnen, und Euphuismus zu parliren war ein eben so nöthiges Stück zu einem Hofmann, als die Kunst mit dem Rappier umzugehen oder eine Menuet zu tanzen.

Kein Wunder, daß das Müllermädchen durch die geschraubten Redensarten der Hofsprache so sehr geblendet wurde, wie nur je durch den Staub der Mehlsäcke ihres Vaters. Da saß sie, Mund und Augen sperrweit offen wie das Mühlthor und die Mühlfenster, Zähne zeigend, so weiß wie ihres Vaters Schwingmehl, und bemüht ein oder das andere Wort zu eignem künftigen Gebrauch zu erhaschen aus den Perlen der Rhetorik, mit welchen Herr Piercie Shafton so verschwenderisch um sich warf.

Unter den männlichen Mitgliedern der Tischgesellschaft fühlte Edward sich beschämt über seine eigne Ausdrucksweise und über die Langsamkeit, mit welcher er selber sprach, während der hübsche junge Hofmann mit einer ihm unbegreiflichen Leichtigkeit und Geläufigkeit die Gemeinplätze der vornehmen Sprache über seine Zunge gleiten ließ. Freilich sagte ihm sein gesunder Verstand und sein natürlicher Geschmack, daß der werthe Herr Unsinn redete. Aber wo ist der bescheidene Mann von wahrem Talent, dem es nicht wehe gethan hat, im Gespräch überstrahlt und in seiner Laufbahn überholt worden zu sein durch Leute von geringerer Zurückhaltung und von glänzenderen, obwohl weniger gehaltvollen Eigenschaften? Es gehört Charakter dazu, ohne Neid einem Würdigeren den Preis zu überlassen. Edward verachtete das sinnlose Geschwätz des zierlichen Herrn, und doch beneidete er ihn um die Leichtigkeit, mit welcher es ihm vom Munde ging, nicht minder um die hofmäßige Anmuth in Ton und Ausdruck und um die ungezwungene Feinheit mit welcher er die kleinen Höflichkeiten übte, zu welchen das kleine Gastmahl Anlaß gab. Die Wahrheit zu sagen beneidete er diese Eigenschaften um so mehr, weil sie sich in Aufmerksamkeiten für Maria Avenel offenbarten, – Aufmerksamkeiten, welche zwar nur insoweit angenommen wurden, als sie sich nicht wohl zurückweisen ließen, welche aber von Seiten des Fremden, den Wunsch offenbarten, ihr zu gefallen, als der einzigen Person, bei welcher sich zu empfehlen er der Mühe werth hielt. Sein Titel, sein Rang, seine sehr hübsche Gestalt, nebst einigen Witzfunken, welche durch die Wolken des von ihm gesprochenen Unsinns zuckten, machten ihn nach dem Ausdruck des alten Liedes zu einem »Junker wohl anzuschauen für eine schöne Frauen,« so daß der arme Edward mit all seinem wahren Gehalt und seinen erworbenen Kenntnissen, in seinem hausmachenen Wams, seiner blauen Mütze und seinen hirschledernen Hosen dasaß, wie ein Bauerntölpel neben einem Hofmann, und im Gefühl der vollen Ueberlegenheit des Gastes eine nichts weniger als freundliche Gesinnung gegen diesen faßte, der ihn so sehr in Schatten stellte.

Auch Christie, sobald er einen artigen Appetit befriedigt hatte, der Leute von seinem Geschäft in den Stand setzte, gleich dem Wolf oder Adler sich mit einer Mahlzeit auf mehrere Tage zu sättigen, auch Christie begann sich mehr in den Hintergrund geschoben zu finden, als ihm gefiel. Dieser Ehrenmann besaß unter anderen guten Eigenschaften auch eine sehr gute Meinung von sich selber und hatte keck und naseweis wie er war, gar keine Lust, sich von irgend Jemanden in Schatten stellen zu lassen. Mit der unverschämten Vertraulichkeit, welche solche Leute für Lebensart halten, fuhr er dem Ritter in seine schönsten Reden eben so gewissen- und erbarmungslos, wie er seinen Spieß durch ein mit Gold verziertes Wams gestoßen haben würde.

Herr Piercie Shafton, ein Mann von Stand und hoher Geburt, ließ sich keineswegs diese Vertraulichkeit gefallen und gab entweder dem Naseweis zu erkennen, daß er ihn nicht beachte, oder er fertigte ihn in einer Weise ab, daß man seine Geringschätzung gegen den rohen Spießgesellen sah, welcher sich herausnahm, mit ihm auf dem Fuß der Gleichheit zu verkehren.

Der Müller schwieg. Seine Unterhaltung pflegte sich hauptsächlich um seine Klapper und um sein Gebührenmaß zu drehen, und er hatte nicht Lust, in Gegenwart von Christie mit seinem Reichthum zu prahlen, eben so wenig wie sich in das Gespräch eines englischen Ritters zu mischen.

Ein kleines Beispiel von der Unterhaltung möchte hier nicht am unrechten Orte sein, wäre es auch nur, um jungen Damen zu zeigen, welche schöne Sachen ihnen dadurch entgehen, daß sie in einer Zeit leben, wo der Euphuismus aus der Mode ist.

»Schenket mir Glauben, schönstes Fräulein,« sprach der Ritter, »daß die Bildung unserer englischen Hofleute der Art ist, daß, sintemal dieselben über die Maßen die platte und bäurische Redeweise unserer Vorfahren verfeinert haben, welche, ich kann wohl sagen, mehr in den Mund bäurischer Schreier bei einem Maispiel, als in den Mund eines feinen Hofmannes auf einem Ball paßte, daß, sage ich, ich es für unaussprechlich und unsäglich unmöglich halte, daß die, so uns in diesem Lustgarten von Witz und Höflichkeit kommen mögen, dieselbe ändern werden. Venus hat nur an Mercurii Rede Wohlgefallen, Bucephalus beugt sich vor Niemanden als vor Alexander, Niemand kann Apollinis Pfeife blasen, als Orpheus.«

»Wackerer Herr,« sprach Maria, welche sich kaum des Lachens enthalten konnte, »wir können uns nur freuen über den glücklichen Zufall, der diese Einsamkeit mit einem Schimmer der Sonne der Höflichkeit beglückt hat, wiewohl derselbe uns mehr blendet als uns Licht gibt.«

»Artig und fein gesprochen, schönstes Fräulein,« entgegnete der Euphuist. »O hätt' ich doch meine Anatomie des Geistes bei mir, dieß allunvergleichliche Buch, diese Quintessenz des menschlichen Geistes, diesen Schatz zierlicher Erfindung, dieß außerordentlich angenehm zu lesende und unumgänglich nothwendig im Sinn zu behaltende Handbuch alles Wissenswürdigen, welches den Rohen in guter Sitte, den Dummen in Verständigkeit, den Unbeholfenen in Scherzhaftigkeit, den Plumpen in Artigkeit, den Gemeinen in Adeligkeit, Alle aber in der unaussprechlichen Vollkommenheit menschlicher Aussprache unterweist, in dieser Beredsamkeit, welche keine andere Beredsamkeit zu preisen ausreicht, in dieser Kunst, welcher wir, wenn wir sie mit ihrem wahren Namen Euphuismus nennen, ihr reichstes Lob ertheilen.«

»Bei Unserer Lieben Frauen,« rief Christie, »hätten Ew. Gestrengen ausgesagt, daß Ihr solche Schätze, von denen Ihr hier erzählt, zu Schloß Prudhoe gelassen habt, wahrlich dann würden der lange Dietrich und ich sie mitgenommen haben, dafern Roß und Mann sie hätten wegbringen können. Allein uns habt Ihr meines Wissens von weiter keinem Schatz erzählt, als von der silbernen Zange zum Drehen Eures Schnurrbartes.«

Der Ritter warf einen Blick der Verachtung auf den Naseweis, der ihn so arg mißverstanden hatte. Christie ließ sich nämlich nicht träumen, daß all diese Beiwörter von Glanz und Reichthum an einen kleinen Quartanten verschwendet wurden. – Wieder zu Marien sich wendend, der einzigen Person, welche er seiner Anrede würdigte, fuhr der Ritter im Strom seiner hochtrabenden Beredsamkeit fort: »Gerade so verachten Schweine den Glanz orientalischer Perlen, gerade so bietet man vergebens die Leckerbissen eines köstlichen Mahles dem langohrigen Graser auf der Gemeinweide, welcher sich von denselben abwendet, um eine Distel zu fressen. Sicherlich eben so unnütz ist es, die Schätze der Beredsamkeit vor den Augen des Unwissenden auszuschütten und die Herrlichkeiten des geistigen Schmauses vor denen auszubreiten, welche moralisch und metaphysisch gesprochen, nicht besser sind, als Esel.«

»Herr Ritter, wenn das Euer Titel ist,« sprach Edward, »wir können mit Euch nicht in hochtrabender Rede wetteifern; allein ich bitte Euch höflichst, uns mit solchen niedrigen Vergleichungen zu verschonen, während Ihr meines Vaters Haus mit Eurer Gegenwart beehrt.«

»Ruhig, guter villagio,« versetzte der Ritter mit einer anmuthigen Bewegung der Hand, »ruhig liebes Bäuerlein, und Ihr, mein Führer, den ich kaum ehrsam nennen mag, laßt Euch von mir bewegen, die lobenswerthe Schweigsamkeit dieses ehrsamen Landmannes nachzuahmen, welcher so stumm dasitzt, wie ein Mühlpfosten, und dieser artigen Jungfer, welche mit ihren Ohren das einzusaugen scheint, was sie nicht ganz begreift, gleichwie ein Zelter auf eine Laute horcht, deren Scale er doch nicht versteht.«

»Wundersam schöne Worte,« sprach endlich Dame Glendinning, müde, so lange stumm dazusitzen; »wundersam schöne Worte; meint Ihr nicht, Nachbar Happer?«

»Herrliche Worte, herrliche Worte,« – versetzte der Müller, »dennoch wenn ich nach meinem Sinn reden soll, wär' ein Gescheid Kleie eben so viel werth als ein Scheffel von ihnen.«

»So denk' ich auch, mit Verlaub Sr. Gestrengen,« bemerkte Christie. »Ich weiß, bei dem Rennen von Morham, wie wir's nannten, nicht weit von Berwick, hob ich einen jungen südländischen Fant mit meiner Lanze aus dem Sattel und warf ihn anderthalb Klafter weit von seiner Mähre, und weil er einiges Gold an seinem Schnürwams hatte, dacht' ich, er möchte auch etwelches in der Tasche haben, wiewohl das eine Regel ist, die sich nicht immer bewährt. Also sprach ich ihm vom Lösegeld, und da kam er mir mit einem Sack voll solcher Redensarten, wie Se. Gestrengen da aufgelesen hat, und bat mich um Gnade, so wahr ich ein ächter Sohn Martis sei und dergleichen.«

»Und erhielt keine Gnade von dir, darauf möchte ich schwören,« fiel der Ritter ein, der sich nicht herabließ, Euphuismus zu sprechen, außer zum schönen Geschlecht.

»Meiner Treu,« versetzte Christie, »ich würde ihm meine Lanze die Kehle hinunter gejagt haben, aber da rissen sie gerade die verdammte Schlupfpforte auf und heraus kamen sporenstreichs der alte Hunsdon und Heinrich Carey mit so vielen Gesellen auf der Ferse, daß die Jagd wieder nordwärts ging. Da gab ich halt auch dem Braunen die Sporen und machte mich fort mit den Uebrigen, denn ein Mann soll reiten, wenn er nicht ringen kann, sagen sie in Tynedale.«

»Glaubt mir,« sprach der Ritter, wieder zu Marien Avenel sich wendend, »ich bedaure Euch Fräulein, daß Ihr, von edlem Blut, so gewissermaßen genöthigt seid, in der Hütte der Unwissenden zu wohnen, gleich einem kostbaren Stein im Kopf einer Kröte oder gleich einem kostbaren Kranz auf der Stirn eines Esels. – Aber halt, was ist das für ein stattlicher Junge hier, dessen Kleidung mehr nach dem Bauer schmeckt, als sein Benehmen, und dessen Blicke stolzer scheinen, denn sein Gewand? gleich als ob« – – –

»Ich bitte, Herr Ritter,« sagte Maria, »Eure hofmäßigen Vergleichungen für feinere Ohren zu sparen und mir zu erlauben, Euch meinen Pflegbruder vorzustellen, Halbert Glendinning.«

»Der Sohn der guten Dame in der Hütte hier, wie ich vermuthe,« sprach der englische Ritter; »denn so etwa hat mein Führer die Besitzerin dieser Wohnstatt benamset, welche Ihr, Fräulein, durch Eure Gegenwart bereichert. Und diesen Jüngling anlangend, so hat er Etwas an sich, was höherer Geburt eigen ist, denn nicht alle Kohlengräber sind schwarz« –

»Und nicht alle Müller sind weiß,« fügte der ehrsame Happer hinzu, begierig, auch einmal beiläufig ein Wort zu sprechen.

Halbert, welcher den Blick des englischen Ritters mit Ungeduld ertrug und nicht wußte, was er aus seinen Manieren und seiner Sprache machen sollte, erwiederte etwas rauh: »Herr Ritter, wir haben hier in Schottland ein altes Sprichwort: ›Veracht' den Busch nicht, der dich schirmt.‹ Ihr seid Gast in meines Vaters Hause, um Euch vor Gefahr zu bergen, wenn ich recht berichtet bin von den Dienern. Spottet nicht seiner oder seiner Bewohner Schmucklosigkeit. Lang hättet Ihr am Hof von England leben können, ehe wir Eure Gunst gesucht oder Euch mit unserer Gesellschaft belästigt hätten. Da Euer Schicksal Euch hieher zu uns gesandt hat, so begnügt Euch mit dem Unterhalt und mit der Unterhaltung, die wir Euch bieten können, und höhnt uns nicht für unser Wohlwollen, denn die Schotten haben kurze Geduld und lange Dolche.«

Aller Augen waren auf Halbert gerichtet, als er so sprach, und Alle bemerkten, daß sein Gesicht einen Ausdruck von Verständigkeit und seine Haltung eine Würde hatte, die man nie zuvor an ihm gesehen. Ob das wundervolle Wesen, mit welchem er an diesem Tage verkehrt, ihm eine Anmuth und Würde des Blicks und der Geberden verliehen hatte, die er vorher nicht besessen, oder ob die Beschäftigung seines Geistes mit erhabenen Gegenständen und das Bewußtsein, zu größeren Dingen berufen zu sein, als andere Menschen, die natürliche Folge hatten, ihm Zuversicht im Thun und Reden zu geben, – das lassen wir dahin gestellt sein. Aber klar war es Allen, daß seit diesem Tage Halbert ein anderer Mensch war, daß er mit einer Besonnenheit, Raschheit und Entschiedenheit handelte, wie sie sonst nur reiferen Jahren eigen sind, und in seinem ganzen Benehmen sich wie ein Mann von höherem Stande zeigte.

Der Ritter nahm die Zurechtweisung nicht übel. »Bei meiner Ehre,« sprach er, »du hast das Recht auf deiner Seite, Jüngling. Allein ich habe nicht spottender Weise von dem Dache gesprochen, unter welchem ich weile, sondern vielmehr zu Eurem Ruhme, zu welchem, wenn dieß Dach deine Geburt beschirmt hat, du dich erheben magst aus seiner Niedrigkeit, gleichwie die Lerche, die in der niederen Furche nistet, zur Sonn aufsteigt, so gut wie der Aar, der auf dem Felsen horstet.«

Diese hochtrabende Rede ward durch Dame Glendinning unterbrochen, welche mit der ganzen emsigen Sorgsamkeit einer Mutter ihres Sohnes Teller mit Speise füllte und sein Trommelfell mit Vorwürfen über sein langes Ausbleiben erschütterte. »Sieh' dich vor,« sprach sie, »daß dir nicht einmal beim Herumstreifen an den Wohnplätzen derer, die nicht von Fleisch und Bein sind, eine Erscheinung wird, wie sie Mungo Murray hatte, als er bei Sonnenuntergang einschlief auf dem Rasenring des alten Kirchbergs, und bei Tagesanbruch in den wilden Bergen von Breadalbane erwachte. Sieh dich vor, daß während du nach Rehen spürest, der rothe Hirsch dich nicht stößt, wie den Thorburn, welcher nie die Wunde verschmerzt hat. Siehe dich vor, während du dich mit dem langen Schwert schleppst, was einem friedlichen Menschen nicht ansteht, daß nicht Leute über dich kommen mit Schwert und mit Speer, denn es gibt genug kecke Reiter im Land, die weder Gott noch Menschen fürchten.«

Ihr Auge, in schönem Wahnsinn rollend, begegnete dabei dem Blick Christie's, und ihre Besorgniß, eine Beleidigung gesagt zu haben, unterbrach den Strom ihrer mütterlichen Vorwürfe, welche, gleich Gardinenpredigten, oft besser gemeint, als angebracht sind. Christie's Auge hatte einen pfiffigen und lauernden Ausdruck – ein graues durchdringendes grimmiges und doch listiges Auge – so daß die Dame sogleich vermuthete, sie habe zuviel gesagt, und schon im Geiste ihre zwölf schönen Kühe in einer mondhellen Nacht brüllend die Schlucht hinabgehen sah mit einem Dutzend Speerreiter von der Gränze hinter ihnen her. Ihre Stimme sank darum aus dem hohen Ton mütterlichen Ansehens herab und nahm einen weinerlichen Klang an, als sie entschuldigend hinzufügte: »Nicht als ob ich im Geringsten übel von den Gränzreitern dächte; Tibb hier hat mich oft sagen hören, daß ich Speer und Zaum so natürlich an einem Gränzer finde, wie die Feder an einem Priester oder den Pfauenwedel an einer vornehmen Frau. Habt Ihr es nicht gehört Tibb?«

Tibb zeigte eine weniger als gewöhnliche Rührigkeit, die tiefe Achtung ihrer Herrschaft vor den Freibeutern zu bezeugen. Indessen konnte sie doch der dringenden Aufforderung nicht wiederstehen und antwortete endlich: »Ja, ja, ich kann versichern, daß ich Euch Etwas der Art habe sagen hören.«

»Mutter!« sprach Halbert in festem und gebieterischem Ton, »wen fürchtet Ihr unter meines Vaters Dach? Ich hoffe es beherbergt keinen Gast, vor welchem Ihr Euch scheut, mir oder meinem Bruder zu sagen, was Euch beliebt. Es ist mir leid, daß ich mich so lange aufgehalten habe; ich wußte nicht, daß ich eine so angenehme Gesellschaft zu Hause antreffen würde. Laßt Euch an dieser Entschuldigung genügen; und was Euch genügt, damit werden hoffentlich auch Eure Gäste zufrieden sein.«

Diese Antwort, so richtig die Mitte haltend zwischen gebührender Unterwürfigkeit unter seine Mutter und zwischen dem Selbstgefühl des gebornen Hausherrn, ward allerseits beifällig aufgenommen. Elspeth selber gestand diesen Abend gegen Tibb: das hätte sie nicht hinter dem Jungen gesucht. »Bis dahin,« sprach sie, »ward er stets verdrossen und böse, wenn man ihm Etwas sagte, und ließ das Maul hängen, wie ein vierjähriges Kind, über die geringste Zurechtweisung; aber jetzt spricht er so ernst und gemessen wie der Herr Abt. Ich weiß nicht, woher es kommt; aber er ist jetzt ein wundervoller Junge.«

Die Gesellschaft trennte sich. Die jungen Leute zogen sich in ihre Kammern zurück, die älteren hatten noch in der Haushaltung zu thun. Christie sah nach, ob sein Pferd gehörig gepflegt war; Edward nahm sein Buch zur Hand, und Halbert, der eben so große Handfertigkeit besaß, als er bisher geringe geistige Befähigung gezeigt hatte, unternahm es, in dem Boden seiner Kammer ein Versteck für seinen Schatz herzurichten. Er hob einen Diel auf, und verbarg darunter die Bibel, welche auf so wunderbare Weise aus den Händen von Menschen und Geistern wiedergewonnen worden war.

Mittlerweile saß Herr Piercie Shafton stumm wie ein Fisch auf dem Lehnstuhl, den er eingenommen hatte, die Hände auf der Brust zusammengelegt, die Beine ausgestreckt und auf den Fersen ruhend, die Augen nach der Decke gewandt, als wollte er jede Masche der Spinnweben zählen, mit welchen das Gewölb austapeziert war, und dabei eine Miene so feierlich und ernst, als ob sein Dasein von der Richtigkeit dieser Zählung abgehangen hätte.

Nur mit Mähe konnte er aus seinen Träumereien aufgeweckt werden, um ein kleines Nachtmahl einzunehmen, bei welchem die jüngeren Frauenzimmer nicht erschienen. Sir Piercie starrte etliche Mal ringsumher, als ob er Etwas vermisse, fragte aber nicht nach ihnen und bewies, daß ihm die rechten Zuhörer fehlten, lediglich durch seine Zerstreutheit. Er sprach selten anders, als nachdem man ihn zwei Mal angeredet hatte, und antwortete dann ohne bildliche und figürliche Redensarten in dem einfachen Englisch, welches Niemand besser sprechen konnte, als er, wenn er wollte.

Christie konnte jetzt das große Wort führen und gab Allen, die ihm zuhören wollten, Mittheilungen von seinen wilden und unrühmlichen Kriegsfahrten zum Besten. Der guten Hauswirthin stiegen bei diesen Erzählungen die Haare zu Berge vor Entsetzen, während Tibb Tacket, ganz glücklich, sich wieder einmal in der Gesellschaft eines Jackmannes zu befinden, dem Gesellen, wie Desdemona dem Othello, mit unverhehltem Vergnügen zuhorchte. Die beiden jungen Glendinnings waren Jeder in seine eignen Betrachtungen versunken und ließen sich in denselben durch Nichts unterbrechen, als durch den Ruf zu Bette.



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