Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel.

Nicht sonderlich; bewahr' – er treibt es nicht
Gleich einem Meister seiner Kunst; jedoch
Ein Bauer, weiß ich, hat einst einen blut'gen
Denkzettel einem Fechter abgegeben.

Altes Schauspiel.

Mit dem ersten Grauen das Tages stand Halbert auf, kleidete sich rasch an, gürtete sein Schwert um und nahm eine Armbrust in die Hand, als ob er lediglich seiner gewöhnlichen Belustigung nachgehen wollte. Er tappte die dunkle Wendeltreppe hinunter, öffnete so geräuschlos wie möglich Schloß und Riegel des inneren Thores und des äußeren Gatters und gelangte so in den Hof. Zufällig aufwärtsblickend, sah er, daß aus dem Fenster mit einem Schnupftuch ein Zeichen gemacht wurde. Er dachte, es müsse sein Gegner sein, und wartete auf denselben. Allein zu seiner Verwunderung kam Maria Avenel wie ein Geist aus dem niedrigen Thorweg herausgeschlüpft.

Halberten war es, ohne daß er wußte warum, wie Einem, der auf einem Vergehen ertappt wird. Bis zu dieser Stunde hatte die Gegenwart Mariens nie unangenehme Gefühle in ihm erweckt. Sie sprach in einem Tone, worin Schmerz und Vorwurf sich zu vereinigen schienen, als sie ihn mit Nachdruck fragte: »Was habt Ihr vor?«

Der Jüngling zeigte seine Armbrust und wollte eben den Vorwand angeben, als Maria ihn unterbrach: »Nicht doch, Halbert. Diese Ausflucht wäre unwürdig Desjenigen, dessen Wort bisher Wahrheit gewesen ist. Ihr denkt nicht an Erlegung des Hirsches, Euer Herz und Eure Hand sind gegen ein anderes Wild gerichtet, – Ihr geht darauf aus, Euch mit diesem Fremden zu schlagen.«

»Warum sollte ich mit unserem Gaste Streit haben?« fragte Halbert tief erröthend.

»Freilich solltet Ihr nicht, und zwar aus vielen Gründen,« versetzte das Mädchen; »kein einziger triftiger Grund spricht für den Streit, den Ihr jetzt sucht.«

»Wie kommt Ihr dazu, dieß zu glauben?« fragte der Jüngling, bemüht, sein Vorhaben zu verbergen. »Er ist meiner Mutter Gast, Schützling des Abtes und des Gotteshauses, welche unsere Oberen sind; – er ist von hohem Rang. Wie mögt Ihr denken, daß ich Haß tragen kann oder darf wegen eines übereilten Wortes, welches er vielleicht mehr im Muthwillen des Witzes, als mit der Absicht zu beleidigen, gegen mich ausgestoßen hat?«

»O!« versetzte Maria, »gerade diese Frage setzt Euren Entschluß außer Zweifel. Von Kindheit auf seid Ihr immer verwegen gewesen, habt lieber die Gefahr gesucht, als gemieden, habt Eure Lust gehabt an Allem, was nach Abenteuer und Herzhaftigkeit schmeckte. Furcht ist es gewiß nicht, die Euch von Eurem Vorhaben abbringen kann; – laßt es das Erbarmen thun! Erbarmen, Halbert, für Eure alte Mutter, welche durch Euren Tod sowohl, wie durch Euren Sieg, der Stütze und des Trostes ihres Alters beraubt werden würde.«

»Sie hat meinen Bruder Edward,« versetzte Halbert, sich plötzlich abwendend.

»Allerdings Halbert,« fuhr das Mädchen fort, »hat sie den ruhigen, edelgesinnten, besonnenen Edward, welcher Euren Muth besitzt ohne Euer Ungestüm, Euren hochherzigen Sinn mit mehr Vernunft, denselben zu leiten. Er würde nicht seine Mutter, seine Pflegschwester vergebens bitten lassen, sich selber nicht unglücklich zu machen und die Hoffnungen von Glück und Schutz für sie nicht zu zerstören.«

Dem Jüngling wollte das Herz zerspringen, als er auf diesen Vorwurf antwortete: »Wozu weiter reden? Ihr habt ihn, der besser ist, als ich – verständiger, besonnener, meines Wissens, wackerer. Ihr habt einen Beschützer; an mir braucht Euch Nichts zu liegen.«

Abermals wandte er sich, um wegzugehen. Aber Maria Avenel legte ihre Hand auf seinen Arm so sanft, daß er kaum ihren Druck fühlte, und doch es unmöglich fand, sie abzuschütteln. Er stand da, den einen Fuß vorgesetzt, um fortzugehen, und doch so wenig dazu entschlossen, daß er einem durch Zauber gebannten Wanderer glich, gleich unfähig die Stellung der Bewegung aufzugeben wie zur Fortsetzung seines Weges.

Maria benutzte diesen Zustand der Unentschlossenheit. »Hört mich an,« sprach sie; »hört mich an, Halbert. Ich bin eine Waise – hört doch auch der Himmel die Waisen an. – Ich bin die Gefährtin Eurer Kindheit gewesen: wenn Ihr mich nicht einen Augenblick anhören wollt, von wem darf dann Maria Avenel eine so geringe Gefälligkeit in Anspruch nehmen?«

»Ich höre Euch an,« versetzte der Jüngling, »aber faßt Euch kurz, theure Maria. Ihr mißdeutet mein Vorhaben; unser Geschäft ist bloß eine Sommerbelustigung.«

»Sagt das nicht,« unterbrach ihn die Jungfrau; »sage mir das nicht. Andere mögt Ihr täuschen, bei mir vermögt Ihr es nicht. Von frühester Kindheit auf habe ich Etwas in mir, wovor Trug flieht und Täuschung nicht bestehen kann. Warum mir das Geschick die Kraft verliehen hat, weiß ich nicht. Aber fest steht: obwohl ich als ein unwissendes Mädchen in dieser Einsamkeit aufgewachsen bin, so können meine Augen doch nur zu oft sehen, was man gar zu gern vor mir verbergen möchte – ich erspähe den schwarzen Gedanken, der sich unter einer lächelnden Stirn verbirgt; ein Blick sagt mir mehr als Andern Eide und Betheuerungen.«

»Nun wohlan denn, theure Maria,« sprach Halbert, »wenn Ihr so in Menschenherzen lesen könnt, dann sagt mir, was Ihr in dem meinigen erblickt. Sagt mir, daß – sagt mir, daß dasjenige was Ihr seht, was Ihr leset in dieser Brust, Euch nicht verletzt – sagt nur das, und Ihr sollt der Leitstern meiner Handlungen sein, sollt mich für jetzt und für alle Zukunft ganz nach Eurem Willen lenken zu Ehre oder Schande!«

Maria Avenel ward erst roth, dann todtenblaß, als Halbert so redete. Als er bei seinen letzten Worten ihre Hand ergriff, zog sie dieselbe sanft zurück und sprach: »Ich kann nicht im Herzen lesen, und ich wünschte Nichts von dem Eurigen zu wissen, außer was uns Beiden geziemte. Ich kann nur aus Zeichen, Worten und unscheinbaren Handlungen richtigere Schlüsse ziehen, als meine Umgebungen, denn meine Augen haben, wie Ihr wißt, Dinge gesehen, welche den Blicken Anderer verborgen blieben.«

»So lasse sie denn auf Einem ruhen, den sie nie mehr sehen werden,« rief Halbert, wandte sich um und eilte zum Hof hinaus, ohne zurückzublicken.

Maria Avenel stieß einen schwachen Schrei aus und drückte ihre beiden Hände auf ihre Stirn und Augen. Eine Minute lang hatte sie so dagestanden, als eine Stimme von hinten sie begrüßte: »Sehr wohl gethan, meine allergnädigste Verständigkeit, also diese leuchtenden Augen vor den weitaus geringeren Strahlen der Sonne zu verbergen, welche eben jetzt beginnen, den Horizont im Osten zu vergolden. Sicherlich stünde zu besorgen, daß Phoebus, sich dermaßen überstrahlt sehend, verschämten Antlitzes seinen Wagen umwendete und lieber die Welt in Finsterniß ließe, als sich dem Schimpf einer solchen Begegnung hier auszusetzen. Glaubet mir, holde Verständigkeit« – – –

Mit diesen Worten wollte Herr Piercie Shafton (der Leser wird nicht ermangelt haben ihn als den Schöpfer dieser Redeblumen zu errathen) die Hand Mariens ergreifen. Sie aber schüttelte die seinige ab, betrachtete ihn mit einem Blick des Entsetzens und eilte an ihm vorbei in den Thurm.

Der Ritter sah ihr nach mit einem Blick, in welchem sich Verachtung und Aerger aussprachen. »Bei meiner Ritterschaft!« rief er aus, »ich habe an diese rohe bäurische Phidelee eine Rede verschwendet, welche die stolzeste Schönheit des Hofes von Felicia (laßt mich so das Elysium nennen, aus welchem ich verbannt bin!) die wahre Mette Cupido's genannt haben würde. Hart und unerbittlich war das Geschick, welches dich, Piercie Shafton, hieher verschlagen hat, deinen Witz an Landdirnen und deinen Muth an klotzköpfigen Lümmeln zu verschwenden! Aber dieser Hohn! – dieser Schimpf! – Wäre er mir auch von dem geringsten Plebejer angethan, sterben müßte er von meiner Hand, denn vor der Größe des Seewels kann die Unbürtigkeit des Beleidigers nicht in Betracht kommen. Ich hoffe diesen tölpelhaften Polterer nicht weniger bereit zu finden, Schläge zu wechseln als Schimpfreden.«

Unter diesem Selbstgespräch eilte Herr Piercie Shafton nach der kleinen Gruppe von Birken, welche zum Ort des Zusammentreffens bestimmt war. Dort angelangt, grüßte er seinen Gegner sehr höflich und gab zu seinem Gruß folgende Erläuterung. »Ich bitte Euch zu bemerken, daß ich vor Euch, obwohl Ihr so tief unter mir steht, den Hut abziehe, ohne meinem Rang Etwas zu vergeben, angesehen der Umstand, daß ich Euch die Ehre erwiesen habe, Eure Herausforderung anzunehmen, die Euch, nach dem Urtheil der besten Martialisten, gewissermaßen und für den Augenblick, auf gleichen Fuß mit mir stellt – eine Ehre, welche Ihr als wohlfeil erkauft erachten dürft und müßt, selbst mit dem Verlust Eures Lebens, dafern dieß der Ausgang des vorhabenden Duelles sein sollte.«

»Für diese Herablassung,« versetzte Halbert, »habe ich dem Zeichen zu danken, welches ich Euch vorgehalten habe.«

Der Ritter wechselte die Farbe, knirschte vor Wuth mit den Zähnen und schrie: »Zieht vom Leder!«

»Nicht hier,« entgegnete Glendinning. »Hier wären wir der Störung ausgesetzt. Folgt mir, und ich will Euch an einen Ort bringen, wo wir dieser Gefahr enthoben sind.« Und somit schritt er die Schlucht hinauf, entschlossen, den Eingang der Corrie-nan-schian als Kampfplatz zu bestimmen, theils weil dieser Ort als übel berufen, nur wenig besucht war, theils weil er denselben gewissermaßen als vom Schicksal ihm angewiesen betrachtete, so daß derselbe am geeignetsten wäre, Zeuge seines Todes oder Sieges zu sein.

Beide wanderten eine Zeitlang schweigend neben einander hin, wie ehrenhafte Gegner, welche nicht mit Worten kämpfen wollen und welche keine freundliche Reden mit einander zu wechseln haben. Indessen Stillschweigen war stets für Herrn Piercie ein lästiger Zustand, und auf der andern Seite war sein Zorn in der Regel eine schnell verfliegende Leidenschaft. Und da er, seiner Meinung nach, in aller Liebe und in allen Ehren mit seinem Widersacher zu Werke ging, so sah er keinen Grund ab, warum er sich länger der Pein des Stillschweigens unterziehen sollte. Er begann also Halberten einige Artigkeiten zu sagen über die Behendigkeit, mit welcher er die Beschwerden und Hindernisse des Weges überwand.

»Verlaßt Euch darauf, ehrsamer Landmann, daß auf unsern Hofbällen kein leichterer und festerer Tritt vorkommt. Wenn Euer Bein in einem seidenen Strumpf seine Form zeigen könnte und in der edelen Kunst geübt wäre, würde es sich gar nicht übel ausnehmen in einer Pavane oder in einem Hopser. Auch zweifle ich nicht, Ihr habt seiner Zeit die Gelegenheit wahrgenommen, Euch in der Fechtkunst zu vervollkommnen, welche zu unserem gegenwärtigen Vorhaben in näherer Beziehung steht, als die Tanzkunst!«

»Ich verstehe weiter Nichts vom Fechten,« sprach Halbert, »als was ich von unserem alten Schäfer Martin und gelegentlich auch wohl von Christie Clinthill gelernt habe. Im Uebrigen muß ich mich auf mein gutes Schwert, meinen starken Arm und mein frisches Herz verlassen.«

»Nun das ist mir lieb, junge Verwegenheit (ich will Euch meine Verwegenheit nennen und Ihr könnt mich Eure Herablassung heißen, so lange wir auf diesem Fuße unnatürlicher Gleichheit stehen): von Herzen lieb ist mir Eure Unerfahrenheit, denn wir Martialisten bemessen die Strafen, welche wir über unsere Gegner verhängen, nach der Dauer und Gefährlichkeit der Anstrengungen, welche sie uns entgegensetzen. Ich sehe nicht ab, warum Ihr, der Ihr nur ein Anfänger seid, nicht hinlänglich gezüchtigt scheinen solltet für Eure Vermessenheit und Euren Dünkel durch den Verlust Eures Ohres, eines Auges oder etwa eines Fingers nebst einer tiefen und schweren Fleischwunde, wie sie Eurem Fehltritt angemessen ist – wogegen, wenn Ihr fähiger gewesen wäret, Euch zu wehren, ich nicht absehe, wie Ihr mit weniger als mit Eurem Leben hättet büßen können für Eure Vermessenheit.«

»Nun bei Gott und Unserer Lieben Frauen,« rief Halbert, unfähig sich länger zurückzuhalten, »du bist selber über Gebühr vermessen, daß du so keck von dem Ausgang eines Kampfes sprichst, welcher noch nicht einmal begonnen hat. Bist du ein Gott, daß du schon über meinen Leib und mein Leben verfügst? oder bist du hier Blutrichter, der gemächlich und ohne etwas zu wagen, angibt, wie mit dem Kopf und den Viertheilen eines Verbrechers verfahren werden soll?«

»Das nicht, o du, dem ich mit Recht verstattet habe, sich meine Verwegenheit zu nennen! Ich, deine Herablassung, bin weder ein Gott, welcher den Ausgang eines Gefechtes bestimmte, bevor es geliefert ist, noch ein Richter, welcher gemächlich und ohne Gefahr über Haupt und Glieder eines Verbrechers verfügt. Aber ich bin ein erträglicher Fechtmeister, der erste Schüler des ersten Meisters der ersten Fechtschule, welche unser königliches England aufzuweisen hat; denn besagter Meister ist kein Anderer, als der wohledle und allunaussprechlich geschickte Vincentio Saviola, von welchem ich den festen Ausfall, den schnellen Blick und die gewandte Hand gelernt habe – von welchen Eigenschaften du, o meine höchst ländliche Verwegenheit, höchst wahrscheinlich die Früchte ernten wirst, sobald wir ein zu solchen Experimenten passendes Plätzchen gefunden haben werden.«

Sie waren jetzt am Eingang der Höhle angekommen. Hier an diesem Eingang hatte er beschlossen Halt zu machen. Als er aber die Enge des Platzes sah, erwog er, daß er nur durch größere Beweglichkeit seine Mangelhaftigkeit in der Fechtwissenschaft (wie man es damals nannte) ausgleichen konnte. Er fand nicht eher eine Stelle, die genügenden Raum zum Traversiren bot, als bis er an die wohlbekannte Quelle kam, an deren Rand, dem Felsen, aus welchem sie entsprang, gegenüber, sich eine Rundung von ebenem Rasen befand, klein zwar im Vergleich mit der Höhe der sie umgebenden Abhänge, jedoch groß genug für ihr gegenwärtiges Vorhaben.

Als sie diesen, durch seine Düsterheit und Einsamkeit zum Schauplatze eines tödtlichen Kampfes wohl geeigneten Fleck erreicht hatten, bemerkten Beide zu ihrem Erstaunen am Fuß des Felsens ein mit großer Zierlichkeit und Regelmäßigkeit gemachtes frisches Grab, auf dessen einer Seite der ausgestochene Rasen aufgesetzt war, während auf der anderen der Erdhaufen lag. Eine Hacke und ein Grabscheit lagen am Rand des Grabes.

Herr Piercie Shafton heftete sein Auge mit ungewöhnlicher Ernsthaftigkeit auf Halbert Glendinning, und fragte ihn im scharfen Ton: »Bedeutet das Verrath, junger Mensch? Habt Ihr vor, mich hier, als in einem Hinterhalt, zu überfallen?«

»Bei Gott, nein!« antwortete Halbert. »Ich habe keinem Menschen Etwas von unserem Vorhaben gesagt, und nicht für den Thron von Schottland möchte ich mich in unehrlichen Vortheil setzen gegen einen einzelnen Arm.«

»Ich will es glauben, meine Verwegenheit,« sprach der Ritter, sein gezwungenes Wesen wieder annehmend, welches ihm zur andern Natur geworden war. »Indessen diese Grube ist gar wohl gemacht und könnte wohl für das Meisterstück des letzten Bettmachers der Natur – ich meine, des Todtengräbers gelten. Derohalben laßt uns dem Zufall oder einem unbekannten Freunde danken, welcher solcher Gestalt für Einen von uns ein anständiges Begräbniß bereitet hat, und laßt uns nun an's Werk gehen, zu entscheiden, welcher von uns den Vortheil haben soll, auf diesem Plätzchen ungestörten Schlummers zu genießen.«

So sprechend legte er Mantel und Wams ab, faltete dieselben sorgfältig zusammen und legte sie auf einen großen Stein. Halbert folgte seinem Beispiel, nicht ohne einige Beklemmung. Die Nähe des Lieblingsplatzes des weißen Fräuleins brachte ihn auf Vermuthungen in Betreff des Grabes.

»Es muß ihr Werk sein,« dachte er. »Der Geist hat den tödtlichen Ausgang des Kampfes vorhergesehen und Vorsorge dafür getroffen. Entweder kehre ich von diesem Platze als Todschläger zurück, oder ich bleibe für immer hier.«

Die Brücke schien nun hinter ihm abgebrochen zu sein. Die Hoffnung, sich mit Ehren aus der Sache zu ziehen, ohne zu tödten oder getödtet zu werden – eine Hoffnung, welche den sinkenden Muth manchen Kämpfers aufrecht gehalten hat – war jetzt völlig verschwunden. Aber gerade die Verzweiflung seiner Lage gab ihm nach kurzer Ueberlegung seine Festigkeit und Herzhaftigkeit wieder, und ließ ihn keinen anderen Ausweg suchen, als Sieg oder Tod.

»Da wir,« sprach Herr Piercie, »hier keine Zeugen oder Secundanten bei uns haben, so wäre es wohl gethan, Ihr führet mit Euren Händen über meine Seiten, so wie ich über die Eurigen, nicht daß ich Euch wegen einer geschwinden Praktik mit verborgener Rüstung im Verdacht hätte, sondern um einem alten löblichen Gebrauch nachzuleben, welcher bei solchen Gelegenheiten beobachtet wird.«

Während Halbert, der Wunderlichkeit seines Gegners sich fügend, sich dieser Förmlichkeit unterzog, verfehlte Herr Piercie Shafton nicht, ihn auf die Beschaffenheit und Feinheit seines gewirkten und gestickten Hemdes aufmerksam zu machen. »In diesem Hemd,« sprach er, »o meine Verwegenheit, ich sage, in diesem Gewand, in welchem ich nun einen schottischen Landmann, wie dich bekämpfen soll, war es mein beneidetes Loos, die gewinnende Partie in dem bewunderungswürdigen Ballonspiel anzuführen, welches zwischen dem göttlichen Astrophel (unserem unvergleichlichen Sidney) und zwischen meinem gnädigen Herrn von Oxford stattfand. Alle Schönheiten von Felicia (mit diesem Namen will ich unser geliebtes England bezeichnen) standen auf dem Söller, ihre Tücher schwingend bei jeglicher Wendung unseres Spieles und die Gewinner mit ihrem Beifall erfreuend. Nach sothaner edlen Kurzweil wurden wir durch ein angemessenes Gastmahl erfrischet, wobei es der edlen Urania (das ist die unvergleichliche Gräfin von Pembroke) gefiel, mir ihren eignen Fächer zu leihen zur Kühlung meines etwas gar zu sehr erhitzten Antlitzes. Zum Dank für solche Höflichkeit sprach ich mit lächelnder jedoch melancholischer Miene: »O göttlichste Urania! nimm wieder dein allzu verhängnißvolles Geschenk, welches nicht, gleich dem Zephyr, kühlet, sondern gleich dem heißen Hauch des Sirocco noch mehr erhitzet, was bereits entflammt ist.« Worauf sie mich etwas höhnisch anblickte, jedoch nicht so, daß nicht der geübte Hofmann einen Schatten gutheißenden Wohlwollens hätte bemerken können« – – –

Hier ward der Ritter durch seinen Gegner unterbrochen, welcher mit höflicher Geduld eine kleine Weile gewartet hatte, bis er fand, daß Herr Piercie, weit entfernt, seine Rede zu schließen, geneigt schien sich noch weitläufig über seine Erlebnisse auszulassen. »Herr Ritter,« sprach Halbert, »wenn dieser Gegenstand nicht durchaus hierher gehört, so wollen wir, falls Ihr Nichts dagegen habt, zu demjenigen übergehen, welcher uns vorliegt. Wenn Ihr die Zeit gern mit Worten verliert, hättet Ihr in England bleiben sollen; hier wenden wir sie dazu an, Schläge auszutheilen.«

»Ich bitte um Verzeihung, höchst bäuerliche Verwegenheit,« versetzte Herr Piercie; »wahrlich ich vergesse Alles Andere, wenn die Erinnerungen an den göttlichen Hof von Felicia auf mein geschwächtes Gedächtniß einstürmen, gleichwie ein Heiliger geblendet ist, wenn er des beseligenden Gesichtes gedenkt. O glückselige Feliciana! zarte Nährerin der Schönen, auserwählte Wohnstätte der Weisen, Geburtsstätte und Wiege des Adels, Tempel der Höflichkeit, Heiligthum fröhlicher Ritterschaft! O himmlischer Hof, oder vielmehr höflicher Himmel! erheitert durch Tänze, eingeschläfert durch Harmonien, aufgeweckt durch fröhliche Kurzweil und Turniere, gezieret mit Seide und köstlichen Geweben, funkelnd von Demanten und Juwelen, starrend von schwerem Sammet, von Atlas und von Damast!«

»Das Zeichen, Herr Ritter, das Zeichen!« rief Halbert, dem Herrn Piercie's endlose Rednerei unerträglich ward. Die Erinnerung an den Anlaß ihres Streites schien ihm der beste Weg, den Ritter zu nöthigen, zur Sache zu kommen. Und er hatte richtig geurtheilt. Denn kaum hatte Herr Piercie Shafton diese Worte vernommen, als er ausrief: »Deine Todesstunde hat geschlagen, zeuch aus dein Schwert – Via!« Vorwärts!

Die Waffen wurden gezogen, und das Gefecht begann. Halbert wurde alsbald gewahr, daß sein Gegner ihm im Gebrauch seiner Waffe weit überlegen war. Herr Piercie hatte sich nicht mehr als sein gebührendes Lob zugesprochen, als er sich einen ausgemacht guten Fechter nannte, und Glendinning fand bald, daß es ihm schwer werden würde einem solchen Schläger gegenüber mit dem Leben und mit der Ehre davon zu kommen. Der englische Ritter war eingeweiht in alle Geheimnisse der stoccata, imbrocata, incartata, des punto reverso und so weiter, welche die italienischen Fechtmeister seit Kurzem in Gang gebracht hatten. Indeß war auch Glendinning nicht ganz Neuling in der Kunst, nämlich nach der alten schottischen Weise, und er besaß die erste aller Eigenschaften: Kaltblütigkeit. Um seinen Gegner kennen zu lernen, beschränkte er sich zuerst auf die Vertheidigung, bemaß alle Bewegungen von Fuß, Hand, Auge und Leib so, daß sie vollkommen zusammenstimmten, und richtete die Spitze seines Schwertes stets auf seines Gegners Gesicht, Herr Piercie konnte hier seine Geschicklichkeit in Finten nicht anwenden und mußte wirkliche Stöße thun, welche aber Halbert entweder mit seinem Schwert ablenkte oder in die Luft gehen ließ, indem er seinen Stand wechselte. Nach zwei oder drei heftigen Angriffen, welche Halbert vereitelte, begann der Ritter seinerseits sich auf die Vertheidigung zu beschränken, um nicht bei stäten Angriffen einmal eine Blöße zu geben. Allein Halbert ließ sich dadurch nicht verleiten, scharf auf einen Fechter einzugehen, dessen Geschicklichkeit ihn schon mehrmals um ein Haar dem Tode nahe gebracht hatte.

Nach einigen Finten von beiden Seiten senkten Beide, als hätten sie es verabredet, ihre Waffen und blickten sich einander an, ohne zu sprechen. Halbert, der jetzt vielleicht unruhiger wegen seiner Familie war, als zuvor, ehe er den Beweis seiner Herzhaftigkeit geliefert und die Stärke seines Gegners erprobt hatte – Halbert brach das Stillschweigen und sagte: »Herr Ritter, ist denn der Gegenstand unseres Streites von der Art, daß nothwendig Einer von uns jenes Grab füllen muß? – oder können wir, nachdem wir uns mit einander gemessen haben, unsere Schwerter mit Ehren einstecken, und als Freunde scheiden?«

»Wackere und höchst ländliche Verwegenheit,« versetzte der Ritter, »keinem Menschen auf Erden könnt Ihr eine Frage, betreffend die Gesetze der Ehre, stellen, welcher besser im Stande wäre, Euch Auskunft zu geben. Laßt uns für die Zeit eines Ganges inne halten, bis ich meine Meinung über diesen Scandal Ehrensache. gesagt habe. Denn gewiß ist, wackere Männer sollten nicht ihrem Schicksal entgegenrennen wie wilde und wüthende Thiere, sondern sie sollten sich einander mit Ueberlegung, mit Anstand und mit Vernunft todt schlagen. Wenn wir also kaltblütig betrachten, wie unsere Sache hängt, dann können wir um so besser ermessen, ob die drei Schwestern Einen von uns verdammt haben, selbigen Scandal mit seinem Blute zu büßen. Verstehst du mich?«

Halbert besann sich einen Augenblick und antwortete: »Ich habe den Pater Eustachius von den drei Furien reden hören mit ihrem Faden und ihrer Scheere.«

»Genug – genug!« unterbrach ihn Herr Piercie, abermals vor Wuth roth werdend, »der Faden deines Lebens ist abgesponnen!«

Mit diesen Worten machte er einen wüthenden Ausfall auf den jungen Schotten, der kaum Zeit hatte, sich auszulegen. Allein der unbesonnene Grimm des Angreifers machte, wie dieß oft geschieht, sein Vorhaben zu Schanden. Halbert wich seinem verzweifelten Stoße aus, und ehe der Ritter seiner Waffe wieder Herr werden konnte, erwiederte er ihm (in seiner Sprache zu reden) mit einer entschlossenen Stoccata, welche ihn durchbohrte. Herr Piercie Shafton stürzte zu Boden.



 << zurück weiter >>