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Drittes Kapitel.

Gold schlägt er nicht, er münzt nur neue Phrasen
Und gibt sie aus; wie Diebe gelbe Pfenn'ge,
Verschmäht von Weisen, Narr'n als Gold aufheften.

Altes Schauspiel.

Am Morgen war Christie nirgends zu sehen. Da dieser würdige Mann nirgends darauf hielt, seine Bewegungen vorher auszuposaunen, so war kein Mensch erstaunt über seinen Abzug bei Mondschein. Dagegen entstand eine Besorgniß, dieser Abzug möchte nicht mit leeren Händen vor sich gegangen sein, so daß, wie es im Volksliede heißt,

Sie liefen zur Anricht, sie liefen zur Kist',
Doch nirgends ward das Geringste vermißt.

Alles war in Ordnung: der Schlüssel zum Stall war über die Thür gehängt, und der zum eisernen Gatter war inwendig auf's Schloß gelegt. Kurz der Abzug war mit gewissenhafter Sorge für die Sicherheit der Besatzung bewerkstelligt, und insofern hinterließ ihnen Christie keinen Grund zu Beschwerden.

Halbert war es, der die Erkundigung einzog, ob Alles in Haus und Hof in Ordnung sei. Anstatt aber nun eine Büchse oder Armbrust zu nehmen, fortzugehen und den Tag über auszubleiben, wie bisher oft seine Gewohnheit gewesen, warf er mit einem Ernst, der weit über seine Jahre hinaus war, einen prüfenden Blick auf Alles, was um den Thurm herum war, und kehrte dann zur Speisekammer zurück, in welcher jetzt um sieben Uhr das Frühstück bereitet wurde.

Hier fand er den Euphuisten in derselben anmuthigen Stellung oder Lage, wie am vorhergehenden Abend, die Arme genau in demselben Winkel gebogen, die Augen zu denselben Spinnweben emporgerichtet und seine Fersen auf dem Boden ruhend. Gelangweilt durch diese Affectation nichtsthuender Wichtigkeit, und keineswegs geschmeichelt durch das fortwährende Beharren des Ritters in derselben, beschloß Halbert frischweg, ihn zum Reden zu bringen und von ihm zu erfahren, welche Umstände einen so hochmüthigen und dabei so stummen Gast in den Thurm von Glendearg geführt hatten.

»Herr Ritter,« sprach er mit einer gewissen Festigkeit, »ich habe Euch zwei Mal guten Morgen gewünscht, und Ihr habt, vermuthlich aus Zerstreuung nicht darauf geachtet, noch den Gruß erwiedert. Diese Höflichkeit zu üben oder zu unterlassen, steht in Eurem Belieben. Allein was ich weiter zu fragen habe, betrifft Euer Befinden und Euer Verhalten, und darum möchte ich Euch bitten, mir einige Aufmerksamkeit zu schenken, damit ich versichert sei, meine Worte nicht an eine Bildsäule zu verschwenden.«

Bei dieser unerwarteten Anrede öffnete Herr Piercie Shafton die Augen und warf auf den Sprecher einen langen Starrblick. Als Halbert aber denselben ohne Verlegenheit oder Bestürzung erwiederte, fand der Ritter für gut, seine Stellung zu ändern, zog seine Beine bei, hob seine Augen auf, heftete sie auf den jungen Glendinning und nahm die Miene eines Menschen an, der hört auf das, was man ihm sagt. Ja um seinen Willen noch deutlicher zu erkennen zu geben, kleidete er denselben in Worte ein und sagte: »Sprich! wir hören.«

»Herr Ritter,« fuhr der Jüngling fort, »in unserm Stift zu S. Marien ist es nicht Gebrauch, Gäste, die bei uns aufgenommen sind, mit Fragen zu belästigen, vorausgesetzt, daß sie nicht länger, als einen Tag bei uns bleiben. Wir wissen, daß Verbrecher und Schuldner hieher kommen, eine Freistätte zu suchen, und wir verschmähen es, von dem Pilger, der zufällig unser Gast wird, ein Geständniß der Ursache seiner Pilgerschaft oder Buße zu erpressen. Allein wenn Jemand, der so hoch über uns steht, wie Ihr, Herr Ritter, und besonders Jemand, der so viel auf seinen Rang hält, seinen Entschluß zu erkennen gibt, längere Zeit unser Gast zu sein, dann pflegen wir ihn zu fragen, woher er kömmt, und was die Veranlassung seiner Reise ist.«

Der englische Ritter öffnete zwei oder drei Mal den Mund, bevor er antwortete, und versetzte dann in spöttischem Ton: »Wahrlich, guter Villaggio, deine Frage hat etwas an sich, das einen in Verlegenheit bringen kann, denn sie betrifft Dinge, in Ansehung deren ich noch keineswegs entschieden bin, welche Antwort zu geben ich für passend finden möchte. Laß dir genügen, lieber Jüngling, daß du des gnädigen Herrn Abtes Willen weißt, mich so gut zu bewirthen, als in deinen Kräften steht, welche freilich nicht immer so weit ausreichen mögen, als ich und du wünschen dürften.«

»Ich muß eine bestimmtere Antwort haben, Herr Ritter,« sprach der Jüngling.

»Freund,« versetzte der Ritter, »werde nicht beleidigend. Es mag sich mit Euren nordischen Manieren vertragen, dich so plump in die Geheimnisse von Leuten, die über dir stehen, einzudrängen; allein glaube mir, gleichwie die Laute, von ungeschickter Hand gerührt, Mißtöne hervorbringt,« – – In diesem Augenblick ging die Thüre auf, und Marie Avenel erschien. »Doch wer kann von Mißtönen reden,« fuhr der Ritter fort, »wenn die verkörperte Harmonie zu uns herniedersteigt, in der Gestalt überschwänglicher Schönheit. Denn gleichwie Füchse, Wölfe und andere verstand- und vernunftlose Thiere vor der Gegenwart der glänzenden Himmelssonne fliehen, wenn sie in ihrer Herrlichkeit aufgeht, also ziehen sich Streit, Zorn und alle grimmigen Leidenschaften zurück und sausen gleichsam weg vor dem Antlitz, welches uns jetzo bestrahlt, mit der Kraft, unsere tobenden Leidenschaften zu besänftigen, unsere Irrwege zu beleuchten, Balsam in unsere wunden Herzen zu gießen und unsere wirren Besorgnisse einzuschläfern. Denn was die Wärme und Hitze des Auges des Tages für die materielle und physische Welt ist, das ist das Auge, vor welchem ich mich jetzo verneige, für den intellectuellen Microcosmus.«

Er schloß mit einer tiefen Verbeugung. Maria Avenel sah den Einen und den Anderen an und erkannte, daß zwischen Beiden nicht Alles richtig war. »Um's Himmels willen,« sprach sie, »was bedeutet das?«

Der seit Kurzem gewonnene Takt und Verstand ihres Pflegbruders war unzureichend, ihn zu einer Antwort zu befähigen. Halbert war in völliger Ungewißheit, wie er sich gegen einen Gast verhalten sollte, der, fortdauernd einen hohen und wichtigen Ton annehmend, doch so trollig in allen seinen Aeußerungen war, daß man schlechterdings nicht wußte, ob sie Scherz oder Ernst sein sollten. Entschlossen jedoch, Herrn Piercie Shafton an einem passenderen Orte und zu gelegener Zeit zu nöthigen, Rede zu stehen, ließ er vorläufig die Sache ruhen. Ueberdem machte das Eintreten seiner Mutter mit der Jungfer von der Mühle, und die Zurückkunft des ehrsamen Müllers aus der Scheuer, wo er nochmals den vermuthlichen Mehlertrag dieses Jahres berechnet hatte, fernere Erörterung für den Augenblick unmöglich.

Dem Manne von Mehl und Mühlsteinen hatte sich im Verlauf seiner Berechnung die Ueberzeugung aufgedrungen, daß nach Entrichtung der Kirchengebühren und nach Abzug alles dessen, was er selber auf verschiedenen Wegen sich aneignen konnte, dasjenige, was der Dame Glendinning von ihrer Ernte blieb, immer noch bedeutend sein mußte. Ich weiß nicht, ob dieß den ehrsamen Müller veranlaßt hat, ähnliche Plane zu hegen, wie Dame Glendinning; aber gewiß ist, daß er mit freudigem Dank eine Einladung Elspeth's an seine Tochter, eine Woche ihr Gast zu sein, annahm.

Da sonach die Hauptpersonen in sehr guter Stimmung gegen einander waren, so trat jedes Geschäft vor der Heiterkeit des Frühstücks zurück. Herr Piercie schien so viel Wohlgefallen an der Aufmerksamkeit zu finden, welche die nußbraune Gretel jedem seiner Worte schenkte, daß er, ungeachtet seiner hohen Geburt und Stellung, ihr einige der gewöhnlicheren und minder köstlichen Blumen seiner Beredsamkeit zuwandte. Maria Avenel, von dem widrigen Gefühl befreit, das ganze Gewicht seiner Unterhaltung lediglich auf sich gerichtet zu sehen, hatte jetzt mehr Genuß daran, und der gute Ritter, angeregt durch diese gewinnenden Beifallszeichen abseiten des Geschlechtes, um dessenwillen er sein Rednertalent pflegte, gab bald seine Geneigtheit zu erkennen, mittheilender zu sein, als er sich in der Unterredung mit Halbert gezeigt hatte, und ließ sie wissen, daß er in Folge einer dringenden Gefahr gegenwärtig ihr unfreiwilliger Gast sei.

Der Schluß des Frühstücks war das Zeichen zur Trennung der Gesellschaft. Der Müller ging, sich zur Abreise zu rüsten, seine Tochter, Anordnungen in Betreff ihres unerwarteten Bleibens zu machen; Edward wurde vom alten Martin wegen einiger Ackergeschäfte zu Rath gezogen, um welche Halbert sich nicht bekümmern mochte, und die Dame verließ das Gemach, um ihre Haushaltung zu besorgen; Maria wollte ihr folgen, als ihr einfiel, daß sie hiermit den fremden Ritter und Halbert allein lassen würde, auf die Gefahr hin, daß sie abermals an einander geriethen. Augenblicklich kehrte sie an der Thür um, und nahm Platz auf einem steinernen Sitz am Fenster, entschlossen, durch ihre Anwesenheit die gefürchtete Lebhaftigkeit Halberts im Zaum zu halten.

Der Fremde hatte ihre Bewegungen beobachtet. Sei es, daß er sie als eine Einladung deutete, ihr Gesellschaft zu leisten, oder sei es in Befolgung der Gesetze der Galanterie, welche ihm nicht erlaubten, eine Dame still und allein dasitzen zu lassen, – genug, er setzte sich augenblicklich in ihre Nähe und begann folgendermaßen die Unterhaltung.

»Glaubet mir, schönes Fräulein, ich bin entzückt, hier in der Entfernung von den Annehmlichkeiten meiner Heimath, in dieser unscheinbaren Waldhütte des Nordens eine anmuthige Gestalt und eine schöne Seele zu finden, mit welcher ich meine Gefühle austauschen kann. Laßt mich insbesondere bitten, holdes Fräulein, nach dem gegenwärtig an unserem Hof, dem Lustgarten des feinsten Witzes, herrschenden Gebrauch mit mir gewisse Benennungen auszutauschen zur Bezeichnung meiner Ergebenheit zu Eurem Dienste. Erlaubt zum Beispiel, daß ich Euch hinfüro meine Beschirmung nenne, und laßt mich Eure Freundlichkeit sein.«

»Unsere nordischen und ländlichen Sitten,« versetzte Maria, »erlauben uns nicht den Austausch von Beinamen mit Solchen, denen wir fremd sind.«

»Ei, seht doch,« sprach der Ritter, »wie Ihr stutzig seid! gerade wie das ungebändigte Roß scheut vor der Bewegung eines Taschentuchs, obwohl es seiner Zeit dem Flattern einer Fahne begegnen muß. Dieser höfliche Austausch von Beinamen ist nichts Anderes als die Komplimente, welche zwischen Mannhaftigkeit und Schönheit gewechselt werden, wo und unter welchen Umständen immer sie sich begegnen mögen. Elisabeth von England selber nennt Philipp Sydney ihre Herzhaftigkeit, und er nennt dagegen die Fürstin seine Begeisterung. Darum, meine holde Beschirmung, denn mit diesem Beinamen möchte ich Euch bezeichnen« – –

»Nicht ohne die Erlaubniß des Fräuleins,« unterbrach Halbert. »Ich lebe der Zuversicht, Herr Ritter, daß Eure hofmäßige Feinheit sich nicht so weit über die gewöhnlichen Regeln der Artigkeit hinwegsetzt.«

»Artiger Inhaber einer unbedeutenden Hufe,« versetzte der Ritter in derselben ruhigen und höflichen Miene, aber in etwas höherem Tone, als in welchem er zu dem Fräulein sprach, »wir im Süden pflegen uns nicht viel in Gespräch einzulassen, außer mit denjenigen, welche auf einem gewissen Fuße der Gleichheit mit uns stehen, und ich muß Euch in aller Ruhe darauf aufmerksam machen, daß die Nothwendigkeit, welche uns zu Bewohnern derselben Hütte macht, uns übrigens nicht auf gleiche Linie stellt.«

»Bei S. Marien,« entgegnete der junge Glendinning, »ich meine doch. Denn schlichte Leute denken, daß wer Schutz sucht, dem, welcher ihn gibt, verbunden ist, und insofern ist also unser Rang gleich, so lange dies Dach uns Beide schirmt.«

»Du bist ganz und gar im Irrthum,« versetzte Herr Piercie Shafton, »und damit du dich ganz in unsere gegenseitige Stellung findest, so wisse, daß ich mich nicht als deinen Gast betrachte, sondern als den deines Gebieters, des gnädigen Herrn Abts von S. Marien, welcher aus Gründen, die ihm und mir am besten bekannt sind, geruht, mir seine Gastfreundschaft durch dich, seinen Unterthan und Diener angedeihen zu lassen, so daß du sonach in Wahrheit ein eben so passives Werkzeug meiner Bequemlichkeit bist, wie dieser schlechtgearbeitete, rauhe Klappstuhl, auf welchem ich sitze, oder wie der hölzerne Teller, von welchem ich meine groben Speisen esse. – Darum,« fuhr er fort zu Marien sich wendend, »schönstes Fräulein, oder vielmehr, wie ich vorher sagte, holdeste Beschirmung« In den alten Schauspielen finden sich viele Spuren dieser abgeschmackten Gewohnheit von Leuten, die in näheren Verhältnissen zu einander standen, sich mit abstrakten Namen zu bezeichnen. In »Jedermann aus seiner Laune,« findet sich eine wunderliche Erörterung über die Namen, welche am passendsten sein möchten, das Band zwischen Sogliardo und Cavaliero Shift zu befestigen, wo am Ende die Namen Besonnenheit und Entschlossenheit angenommen werden. Besonders gehört hieher die Rede des lüderlichen Hofmanns Hedon in »Cynthia's Belustigungen.« – »Ihr wißt, ich nenne die Frau Philantia meine Ehre, und sie nennt mich ihren Ehrgeiz. Nun, wenn ich mit ihr zusammentreffe, will ich sagen: ›Süße Ehre, bisher hab' ich mich mit den Lilien Eurer Hand begnügt, nun aber will ich die Rosen Eurer Lippen kosten.‹ Dann kann sie nicht anders, als erröthend sprechen: ›O Ihr seid zu begehrlich!‹ Darauf sage ich: ›Ich kann nicht zu begehrlich nach Ehre sein, holdes Fräulein.‹ Ist das nicht gut?« – Ein Rest dieser Abgeschmacktheit scheint in den Maurerlogen beibehalten zu sein, wo jeder Bruder einen abstrakten Namen führt, z. B. Discretion u. s. w. Siehe die Gedichte von Gavin Wilson. – –

Maria wollte ihn unterbrechen, als der grimmige Ton und Blick, mit welchem Halbert ausrief: »nicht von dem König von Schottland, wenn einer da wäre, würde ich mir solche Ausdrücke gefallen lassen!« – sie bewog sich zwischen ihn und den Fremden zu werfen mit den Worten: »um Gotteswillen, Halbert, bedenkt, was Ihr thut!«

»Fürchte nicht, holdeste Beschirmung,« sprach Herr Piercie mit der größten Ruhe, »daß ich durch diesen bäurischen und ungezogenen Jüngling mich reizen lasse, irgend Etwas zu thun, was zu Eurer Gegenwart und zu meiner Würde nicht paßt. Eher soll die Lunte des Schützen den Eiszapfen entzünden, als der Funke der Leidenschaft mein Blut entflammen, wenn es zu ruhigem Fluß gekühlt ist durch die Achtung vor der Gegenwart meiner gnädigen Beschirmung.«

»Wohl mögt Ihr sie Eure Beschirmung nennen, Herr Ritter,« rief Halbert dazwischen. »Beim heiligen Andreas, das ist das einzige vernünftige Wort, welches ich Euch habe sprechen hören! Aber wir treffen uns vielleicht an einem Ort, wo ihre Gegenwart Euch nicht beschützt.«

»Holdeste Beschirmung,« fuhr der Hofmann fort, ohne die Drohung des erzürnten Halbert eines Blickes, geschweige denn einer Antwort zu würdigen; »zweifelt nicht, daß Eure treue Freundlichkeit sich eben so wenig durch die Rede dieses ungeschliffenen Gesellen wird rühren lassen, als der klare, stille Mond durch das Bellen eines Bauernhundes gestört wird, der stolz auf die Höhe seines Misthaufens ist, als ob dieser ihn dem majestätischen Himmelslichte näher brächte.«

Es bleibt ungewiß, wie weit diese abgeschmackte Vergleichung den Unwillen Halberts hätte treiben können, denn in demselben Augenblick stürzte Edward in's Zimmer mit der Nachricht, daß die beiden wichtigsten Beamten des Klosters, der Küchenmeister und der Tafeldecker so eben mit einem mit Mundvorräthen beladenen Maulthier angekommen seien und gemeldet hätten, der Abt, der Subprior und der Küster seien auf dem Weg nach dem Thurm. Ein so außerordentlicher Vorfall war unerhört in den Jahrbüchern von S. Marien und in den Ueberlieferungen von Glendearg, obwohl eine dunkle Sage ging, daß in alten Zeiten einmal ein Abt dort zu Mittag gespeiset habe, nachdem er sich auf der Jagd in den Wildnissen gegen Norden verirrt gehabt. Aber daß der gegenwärtige gnädige Herr Abt freiwillig eine Reise nach einem so wilden und unfreundlichen Ort, dem Kamtschatka des Stiftes, unternehmen sollte, das war eine Sache, die man sich nie hatte träumen lassen. Die Kunde davon erregte das größte Erstaunen bei allen Mitgliedern der Familie, ausgenommen bei Halbert. Dieser hatte die Seele zu voll von der erlittenen Beleidigung, um an Etwas denken zu können, was in keiner Beziehung zu derselben stand. »Es ist mir lieb,« sprach er, »daß der Abt hieher kommt. Ich will von ihm erfahren, mit welchem Recht dieser Fremde hieher geschickt ist, den Herrn über uns zu spielen unter unseres Vaters Dach, als ob wir Leibeigne und nicht freie Leute wären. Ich will's dem stolzen Pfaffen in den Bart sagen« – –

»O lieber Bruder,« unterbrach ihn Edward, »bedenke, daß diese Worte dir theuer zu steh'n kommen können.«

»Wie theuer können sie mir zu steh'n kommen,« entgegnete Halbert, »daß ich meine menschlichen Gefühle und meinen gerechten Zorn unterdrücken sollte, aus Furcht vor dem, was der Abt thun kann?«

»Unsere Mutter! unsere Mutter!« rief Edward; »bedenke, wenn sie von Haus und Hof vertrieben wird, ob du im Stande bist, das Unheil gut zu machen, welches deine Unbesonnenheit angestiftet.«

»Es ist nur zu wahr, bei Gott!« sprach Halbert, sich vor die Stirn schlagend und dann auf den Boden stampfend vor Wuth. Er wandte sich um und verließ das Zimmer.

Maria Avenel blickte den fremden Ritter an und besann sich auf eine Anrede, welche die Bitte enthielte, er möge Nichts von der ungezügelten Heftigkeit ihres Pflegbruders gegen den Abt verlauten lassen, da dieß der Familie zum größten Nachtheil gereichen könnte. Herr Piercie, ein Muster von Höflichkeit, errieth ihre Absicht aus ihrer Verlegenheit und wartete die Bitte nicht ab.

»Glaubet mir, holde Beschirmung,« sprach er, »Eure Freundlichkeit ist nichts weniger, als fähig, zu sehen oder zu hören, geschweige gar wiederzuerzählen irgend etwas Unziemliches, welches vorgefallen sein möchte, während ich das Elysium Eurer Gegenwart genoß. Die Stürme nichtiger Leidenschaft mögen wild den Busen des Wilden bewegen, aber das Herz des Hofmannes ist geglättet, ihnen zu widerstehen. Gleichwie der gefrorne See den Einfluß des Windes nicht spüret, so« – –

In diesem Augenblick entbot die grelle Stimme von Dame Glendinning Marien, zu ihr zu kommen. Maria gehorchte augenblicklich, nicht wenig froh, auf diese Weise von den Komplimenten und Vergleichungen des galanten Hofmannes loszukommen. Und ohne Zweifel war auch ihm mit ihrer Entfernung gedient. Denn kaum hatte sie die Schwelle überschritten, als er die Miene studirter Höflichkeit, welche bisher jedes seiner Worte begleitet hatte, mit dem Ausdruck der schrecklichsten Langeweile vertauschte, und nach zweimaligem gewaltigen Gähnen folgendes Selbstgespräch anfing:

»Daß der Teufel diese Dirne hieher führen muß! Als ob es nicht Plage genug sei, hier in einem Loch beherbergt zu sein, welches in England kaum zum Hundestall dienen könnte, von einem rohen Bauernjungen gefetzt zu werden und mich einem gedungenen Schurken anvertrauen zu müssen, kann ich hier nicht einmal ruhig über mein Mißgeschick nachdenken, sondern muß den Geistreichen spielen, um diesem bleichen Gespenst den Hof zu machen, weil sie edles Blut in ihren Adern hat. Bei meiner Ehre, Vorurtheil bei Seite gesetzt, ist die Mühldirne die bei weitem anziehendere. Aber patienza Piercie Shafton; du darfst nicht deinen wohlverdienten Ruf verlieren, ein ergebener Diener des schönen Geschlechts, ein witziger, redefertiger, überhaupt ein vollendeter Hofmann zu sein. Danke vielmehr dem Himmel, Piercie Shafton, daß er dir ein Subjekt gesandt hat, an welchem du, ohne deinem Rang Etwas zu vergeben (denn der Adel derer von Avenel ist unbestreitbar) einen Wetzstein finden magst für deine witzigen Komplimente, einen Streichriemen, deinen Scharfsinn darauf abzuziehen, ein Ziel, wornach du die Pfeile deiner Galanterie abzuschießen vermagst. Denn gleich wie die Klinge von Bilbao nur um so blanker und schärfer wird, je mehr man sie reibt, eben so – – doch wozu verschwende ich den Vorrath meiner Vergleichungen in einem Selbstgespräch? Dort kommt der Mönchstroß, gleich einem Dutzend Krähen, langsam die Schlucht heraufgeschwebt, – ich hoffe zu Gott, sie haben meinen Koffer nicht vergessen unter den großen Vorräthen, welche sie zur Ausfüllung ihrer Bäuche mitgebracht haben. Bei Gott! ich wäre schön daran, wenn die Kleider bei den diebischen Gränzern verunglückt wären.«

Getrieben von diesem Gedanken rannte er hastig die Treppe hinab, ließ sein Pferd satteln und saß auf, um so bald als möglich über diesen wichtigen Punkt Gewißheit zu erlangen. Er war noch keine halbe Stunde weit geritten, so begegnete er dem Abt und seinen Begleitern, welche mit der ihrem Stande gebührenden Langsamkeit und Bedächtigkeit die Schlucht heraufzogen. – Herr Piercie ermangelte nicht, den gnädigen Herrn Abt mit all den förmlichen Komplimenten zu begrüßen, welche damals zwischen Leuten von Rang üblich waren. Er war so glücklich, zu finden, daß sein Koffer sich unter dem Gepäck befand, welches der Gesellschaft folgte. Befriedigt in diesem Punkt wandte er sein Pferd und begleitete den Abt zum Thurm von Glendearg.

Groß war indessen die Arbeit der guten Dame Elspeth und ihrer Gehülfen gewesen, Vorbereitungen zum würdigen Empfang des gnädigen Herrn und Vater Abtes und seines Gefolges zu treffen. Freilich waren die Mönche bedacht gewesen, sich nicht zu viel auf den Stand ihres Speiseschrankes zu verlassen, nichtsdestoweniger ließ sie sich eifrig angelegen sein, solche Zusätze zu machen, welche ihr Anspruch auf den Dank ihres Lehensherrn und geistlichen Vaters geben könnten. Sie begegnete Halberten, als dieser mit kochendem Blut von seinem Wortwechsel mit dem Gaste kam, und gebot ihm, augenblicklich hinaus auf den Berg zu gehen und nicht ohne Wildpret zurückzukommen, denn was er sonst zu seinem Vergnügen thun könne, das müsse er jetzt für die Ehre des Hauses thun. Der Müller, welcher eben im Begriff war, wegzureiten, versprach, durch seinen Diener Lachs heraufzusenden. Elspeth hatte in dem Gedanken, daß sie jetzt Gäste genug habe, schon angefangen, ihre Einladung an Gretel zu bereuen, und auf Mittel gedacht, wie sie dieselbe, ohne zu beleidigen, fortschaffen könnte, – womit natürlich ihre Luftschlösser in etwas weitere Ferne gerückt worden wären. Allein die unerwartete Großmuth des Vaters machte jeden solchen Gedanken unausführbar, und der Müller trabte allein nach Hause.

Elspeths Gastfreundlichkeit belohnte sich dießmal selber. Gretel hatte zu nahe bei dem Kloster gewohnt, um in der edlen Kochkunst ganz unbewandert zu sein, welche ihr Vater in so weit beförderte, daß er an Festtagen die von ihr bereiteten Leckerbissen verschmaußete. Sie legte ihren Sonntagsrock ab, zog ein Hauskleid an, entblößte ihre schneeweißen Arme bis über die Ellenbogen und nahm eifrig Antheil an den Arbeiten des Tages. Ihr unvergleichliches Talent und ihre unermüdliche Thätigkeit schuf köstliche Gerichte, welche Dame Glendinning ohne ihre Hülfe sich nicht hätte im Traum einfallen lassen können, ihren Gästen anzubieten.

Die Hauswirthin überließ einstweilen ihrer geschickten Stellvertreterin das Küchenregiment, bedauerte, daß Marie Avenel so erzogen war, daß sie ihr kein anderes Geschäft übertragen konnte, als das große Zimmer mit Binsen bestreuen und mit Blumen und Zweigen schmücken zu lassen, zog ihre besten Kleider an und erschien mit klopfendem Herzen am Thor ihres kleinen Thurmes, ihren Knix vor dem gnädigen Herrn Abt zu machen, wenn dieser die Schwelle überschritte. Edward stand neben seiner Mutter und empfand dasselbe Beben, Etwas, worüber ihm seine Philosophie keine Rechenschaft geben konnte. Er sollte erst noch erfahren, wie lange es dauert, bis unsere Vernunft im Stande ist, über der Gewalt äußerer Umstände erhaben zu sein, und wie sehr unsere Gefühle durch Neuheit erregt und durch Gewohnheit abgestumpft werden. Er betrachtete mit Verwunderung und ehrfurchtsvoller Scheu die Annährung von etwa zehn Reitern, bedächtigen Männern auf bedächtigen Thieren eingemummt in lange schwarze Gewänder, auf denen sich nur die weißen Scapuliere abhoben, mehr einem Leichenzug als sonst etwas gleichsehend und nicht schneller reitend, als bequeme Unterhaltung und leichte Verdauung erlauben mochten. In die Einförmigkeit dieser Scene wurde einiges Leben gebracht durch Herrn Piercie Shafton, der, um zu weisen, daß seine Reitkunst nicht geringer sei, als seine anderen Gaben, seinen munteren Renner bald antrieb, bald zurückhielt, ihn nöthigte zu piaffiren, zu caracoliren, Passagen zu machen und alle sonstigen Schulbewegungen – zum großen Verdruß des Herrn Abtes, dessen bedächtiger Zelter am Ende durch die Lebhaftigkeit seines Begleiters aus seiner Ruhe herausgebracht wurde. »O ich bitte Euch, Herr Ritter,« – rief der Hochwürdige voll Angst – »Ei, ei, Herr Piercie! – Ruhig Benedict! – Gutes Thier – Por! armer Kerl!« und wie die anderen Ausdrücke heißen, mit denen ein ängstlicher Reiter einen muthwilligen Gefährten oder sein eignes unbändiges Thier zur Ruhe zu bringen sucht, – und mit einem herzlichen Deo gratias endigte er seinen Rosenkranz, als er im Hof des Thurmes von Glendearg abstieg.

Die Bewohner knieeten insgesammt nieder und küßten dem gnädigen Herrn Abt die Hand – eine Förmlichkeit, welcher sich oft selbst die Mönche unterziehen mußten. Der gute Abt Bonifacius war zu sehr erschüttert durch den letzten Theil seines Rittes, als daß er diese Huldigung mit der gehörigen feierlichen Haltung, oder auch nur mit gehöriger Geduld hätte entgegennehmen können. Mit einem Schnupftuch in der einen Hand wischte er fortwährend seine Stirn ab, während die andere seinen huldigenden Unterthanen überlassen war. Bald aber machte er mit dem ausgestreckten Arm das Zeichen des Kreuzes, sprach: »Gott segne euch, Gott segne euch, meine Kinder!« eilte in das Haus, wo er nicht wenig über die Dunkelheit und Steilheit der Wendeltreppe murrte, erreichte endlich die zu seinem Empfang hergerichtete Speisekammer und warf sich erschöpft, ich will nicht sagen in einen bequemen Lehnstuhl, aber in den bequemsten, den das Gemach darbot.



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