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Achtes Kapitel.

Ich hoff', Ihr sollt als Edelmann Euch zeigen
Und mit der Kling' Genugthuung mir geben,
Wie Ehrenmänner schuldig sind einander.
Dieß ist nicht mehr wie billig, Herr. – Wohlan
Ich geh' voraus.

Der Liebe Pilgerschaft.

Der warnende Blick und Wink des scheidenden Subpriors ging Halberten zu Herzen. Denn obwohl er bei weitem weniger bei ihm gelernt hatte, als Edward, so hegte er doch eine tiefe Ehrfurcht für den guten Mann. Die Kürze der Zeit, die ihm zum Ueberlegen blieb, bewies ihm, daß er sich in einen gefährlichen Handel eingelassen hatte. Was es mit der Beleidigung gegen Herrn Piercie auf sich habe, darüber hatte er auch nicht einmal eine Ahnung; nur so viel wußte er, daß dieselbe von der schwersten Art sei, und daß er nun die Folgen derselben tragen müsse.

Um diese Folgen nicht vor der Zeit eintreten zu lassen durch eine Erneuerung des alten Wortwechsels, beschloß er eine Stunde lang einsam herumzuwandeln und zu überlegen, wie er sich bei seinem nächsten Zusammentreffen mit dem hochmüthigen Fremden verhalten solle. Er konnte dieß thun, ohne den Anschein zu gewinnen, als gehe er dem Fremden aus dem Wege, denn alle Mitglieder des kleinen Haushaltes zerstreuten sich, entweder um die durch die Ankunft der Herrschaften unterbrochenen Geschäfte wieder aufzunehmen, oder um Dasjenige wieder in die Reihe zu bringen, was durch ihren Besuch in Unordnung gekommen war.

Er stieg sonach, unbemerkt wie er glaubte, den Hügel hinab, auf welchem der Thurm stand, und erreichte den kleinen ebenen Fleck zwischen dem Fuß des Hügels und zwischen der ersten Krümmung des Baches unterhalb des Thurmes, wo ein paar vereinzelte Birken und Eichen ihn der Beobachtung entzogen. Allein kaum hatte er diese Stelle erreicht, als er einen Schlag auf die Schulter empfand. Er drehte sich um und sah, daß Herr Piercie Shafton ihm auf dem Fuße gefolgt war.

Wenn, entweder in Folge einer Verstimmung oder eines Mangels an Vertrauen in die Gerechtigkeit unserer Sache oder aus irgend einem anderen Grund unser Muth schwankt, dann ist Nichts so sehr geeignet, uns außer Fassung zu bringen, als Ansehen von Entschiedenheit auf Seiten unseres Gegners. Halbert Glendinning, von Natur unerschrocken, war doch einigermaßen betreten beim plötzlichen Anblick des Fremden, dessen Zorn er gereizt hatte, und dessen Blick Feindseligkeit verrieth. Allein wenn auch sein Herz ein wenig rascher schlug, so besaß er doch zu viel Seelenstärke, als daß er seine Erregung hätte merken lassen sollen. – »Was steht zu Diensten, Herr Piercie?« fragte er den Ritter, indem er ruhig dem zornigen Blick seines Widersachers begegnete.

»Was steht zu Diensten?« wiederholte Herr Piercie; »eine artige Frage nach dem Stücklein, welches Ihr mir gespielt habt! Junger Mensch, ich weiß nicht, welche Bethörung dich verleitet hat, dich keck und entschieden als Gegner eines Mannes hinzustellen, welcher ein Gast deines Lehensherren, des Abtes ist, und welcher schon aus Rücksicht auf das Haus deiner Mutter ein Recht hätte, unbeleidigt darin zu weilen. Ich frage weder, noch kümmere ich mich darum, auf welche Weise du in Besitz des verhängnisvollen Geheimnisses gekommen bist, mittelst dessen du gewagt hast mir öffentlich Schmach anzuthun. Aber sagen muß ich dir, daß der Besitz desselben dir dein Leben kostet.«

»Hoffentlich nicht, wenn meine Hand und mein Schwert es vertheidigen können,« entgegnete Halbert unerschrocken.

»Gut,« sprach der Engländer; »ich gedenke nicht, dir eine ehrliche Gegenwehr unmöglich zu machen. Es ist mir nur leid, daß sie dir, einem jungen, auf dem Land erzogenen Menschen wenig helfen wird. Sei auf deiner Hut, denn von Quartiergeben wird bei mir keine Rede sein.«

»Verlaß dich darauf, stolzer Mann,« entgegnete Halbert, »daß ich keins verlangen werde. Du sprichst, als läge ich schon zu deinen Füßen, allein glaube mir, so wenig ich entschlossen bin, dich jemals um Gnade zu bitten, eben so wenig fürchte ich, in den Fall zu kommen, derselben zu bedürfen.«

»Du willst also,« sprach der Ritter, »Nichts thun, um das gewisse Schicksal abzuwenden, welches du mit so viel Uebermuth herausgefordert hast?«

»Und wie wäre das zu machen?« fragte Halbert, mehr aus Neugier und um zu erfahren, wie er mit seinem Widersacher stand, als mit dem Willen, sich der Demüthigung zu unterwerfen, welche der Fremde etwa verlangen könnte.

»Erkläre mir auf der Stelle,« antwortete der Ritter, »ohne Winkelzüge und Ausflüchte, wie du in den Stand gesetzt worden bist, meine Ehre so tief zu verletzen. Solltest du mir hierbei einen meiner Rache würdigeren Gegner bezeichnen, dann will ich gestatten, daß deine Unbedeutendheit einen Schleier über deine Frechheit werfe.«

»Deine Keckheit,« erwiederte Halbert grimmig, »geht zu weit, als daß man ihr nicht Zaum und Zügel anlegen müßte. Du bist, so viel ich sehe, als Flüchtling in meines Vaters Haus gekommen, und dein erster Gruß an seine Bewohner ist Hohn und Beleidigung gewesen. Auf welche Weise ich in Stand gesetzt worden bin, dir den Hohn zurückzugeben, das mag dir dein Gewissen sagen. Genug für mich, daß ich das Recht eines freien Schotten behaupte, keinen Hohn unerwidert, keine Beleidigung unvergolten zu lassen.«

»Wohlan denn,« sprach Herr Piercie Shafton, »wir wollen diese Sache morgen früh mit dem Schwert ausmachen. Die Zeit sei Tagesanbruch, den Platz bestimme du. – Wir wollen ausgehen, als um ein Stück Wildpret zu erlegen.«

»Zufrieden,« versetzte Halbert. »Ich will dich an einen Ort führen, wo hundert Mann fechten und fallen könnten, ohne gestört zu werden.«

»Gut,« sprach der Ritter. »Hiermit trennen wir uns. Mancher wird sagen, daß ich, indem ich das Recht eines Edelmannes dem Sohn eines schollenbrechenden Bauern zugestehe, meiner hohen Stelle Eintrag thue, gleichwie die liebe Sonne sich erniedrigen würde, wollte sie ihre Strahlen sich messen lassen mit dem Schimmer eines blassen, flackernden, erlöschenden Talglichtes. Aber keine Standesrücksicht soll mich abhalten, die Schmach zu rächen, so du mir angethan. Bemerke wohl, Herr Villagio, wir tragen ein freundliches Gesicht zur Schau vor den Bewohnern jenes Häuschens, und morgen bringen wir die Sache mit dem Schwert in's Reine.« So sprechend, wandte er sich um und ging nach dem Thurm zurück.

Man wird bemerkt haben, daß der Ritter nur in seiner Schlußrede einige der Blumen anbrachte, welche seiner gewöhnlichen Weise zu sprechen eigen waren. Offenbar hatte das verwundete Ehrgefühl und der lebhafte Wunsch nach Rache seine angenommene phantastische Ziererei in den Hintergrund gedrängt. Die Offenbarung von Seelenstärke ist stets achtunggebietend; darum war Herr Piercie seinem jugendlichen Gegner nie vorher nur halb so ehrenwerth und schätzbar erschienen, als in diesem kurzen Zwiegespräch, welches zu einer Herausforderung führte. Während er ihm nach dem Thurm folgte, konnte er sich nicht des Gedankens erwehren, daß er ihm sein Benehmen nicht so übel genommen haben würde, wenn es immer so gewesen wäre, wie bei dieser Gelegenheit. Allein es waren nun einmal von beiden Seiten Beleidigungen vorgefallen, welche keine Entschuldigung zuließen und nur mit Blut gesühnt werden konnten.

Die Hausgenossenschaft versammelte sich zur Abendmahlzeit, und Herr Piercie erstreckte die Aeußerungen seiner Freundlichkeit und die Anmuth seiner Unterhaltung auf einen größeren Kreis, als er früher sich herabgelassen hatte. Der größere Theil seiner Aufmerksamkeit blieb noch immer seiner göttlichen und unnachahmlichen Verständigkeit gewidmet, wie er Marien von Avenel zu nennen beliebte, indessen ließ er doch auch dann und wann dem Müllermädchen und der Dame einige Artigkeiten zukommen, indem er erstere hübsche Jungfer, letztere würdige Matrone betitelte. Ja er ging noch weiter. Bedenkend, daß es dem Zauber seiner Redekunst vielleicht nicht gelingen dürfte, Bewunderungen zu erwecken, fügte er edelmüthig und unaufgefordert den seiner Stimme hinzu, und bewirthete, nachdem er bitterlich die Abwesenheit seiner Gambe beklagt, die Gesellschaft mit einem Gesang, »welchen,« sagte er, »der unnachahmliche Astrophel, den die Sterblichen Philipp Sidney nennen, zur Zeit der Unmündigkeit seiner Muse gedichtet hat, um zu zeigen, was die Welt von seinen reiferen Jahren erwarten dürfe, und welcher eines Tages an's Licht treten wird in der unvergleichlichen Vollendung menschlichen Witzes, gewidmet seiner Schwester Parthenope, welche die Menschen Gräfin von Pembroke nennen – ein Werk, dessen Mittheilung seine Freundschaft mir gelegentlich, obwohl unverdienter Weise, gewährt hat, und von welchem ich wohl sagen darf, daß die schmerzerregende Erzählung dermaßen durch glänzende Vergleichungen, entzückende Beschreibungen, liebliche Gedichte und anziehende Zwischenspiele gemildert ist, daß dieselben den Sternen des Firmamentes gleichen, welche das düstere Gewand der Nacht verherrlichen. Und obschon ich gar wohl weiß, wie sehr die liebliche und zierliche Sprache durch meine verwittwete Stimme leiden wird – verwittwet weil sie nicht mehr meine liebe Gambe zur Gefährtin hat, so will ich doch versuchen, Euch die bezaubernde Süßigkeit der Poesie des unnachzuahmenden Astrophel kosten zu lassen.«

Somit sang er ohne Gnade und Barmherzigkeit beiläufig fünfhundert Verse, von denen die zwei ersten und die vier letzten als Probe gelten mögen:

Wo ist die Zung', ihr Lob zu künden,
Wozu alle Federn sich verbünden.


Es ist zum Preis und Ruhm von ihr
Die Feder Güt', der Himmel Papier.
Die Tinte ew'gen Ruhm thut senden –
Wie ich begonnen, muß ich enden.

Da Herr Piercie stets mit halbzugedrückten Augen sang, so bemerkte er nicht eher, als bis er den Worten seiner Dichtung gemäß geendet hatte und nun umherblickte, daß der größte Theil seines Auditoriums mittlerweile sich der Süßigkeit des Schlummers überlassen hatte. Maria Avenel hatte sich aus Höflichkeit bei allen Längen des Gedichtes wach gehalten, allein Gretel war in Träumen zurückversetzt in die staubige Atmosphäre der väterlichen Mühle. Selbst Edward, welcher eine Zeitlang aufmerksam zugehört, war fest eingeschlafen, und die Nase der guten Dame hätte, dafern ihre Töne einer Regelung fähig gewesen wären, recht wohl den Baß der so sehr beklagten Gambe ersetzen können. Halbert hingegen fühlte sich nicht versucht, den Lockungen des Schlummers nachzugeben, und hatte seine Augen fortwährend auf den Sänger geheftet, nicht als ob er mehr, denn die Uebrigen, durch den Vortrag entzückt worden wäre, sondern vielmehr, weil er die Ruhe bewunderte und vielleicht beneidete, welche den Abend mit endlosen Madrigalen hinbringen konnte, während der nächste Morgen zum tödtlichen Kampf bestimmt war. Es entging dabei seiner scharfen Beobachtung nicht, daß das Auge des Ritters zuweilen einen verstohlenen Blick auf ihn warf, als wollte er sehen, welchen Eindruck seine Seelenruhe auf seinen Gegner machte.

»Er soll Nichts in meinem Gesicht lesen,« sagte Halbert stolz zu sich selber, »was ihn auf den Glauben bringen könnte, daß meine Gleichgültigkeit geringer sei, als die seinige.« Und damit nahm er von einem Brett an der Wand einen Sack mit allerlei Geräthschaften, und begann emsig Fischangeln zurecht zu machen. Er hatte ein halbes Dutzend künstliche Fliegen fertig gebracht, als Herr Piercie mit den langathmigen Strophen des göttlichen Astrophel zu Ende kam.

Da es mittlerweile spät geworden war, trennte sich die Familie von Glendearg für diesen Abend. Herr Piercie wandte sich an die Dame und begann: »Euer Sohn Albert« – –

»Halbert,« fiel Elspeth mit Nachdruck ein, »Halbert; nach seinem Großvater: Halbert Brydone.«

»Gut denn,« fuhr der Ritter fort, »ich habe Euren Sohn Halbert gebeten, morgen mit den ersten Strahlen der Sonne auf zu sein, damit wir gemeinschaftlich einen Hirsch aufjagen, und auf daß ich sehe, ob er so fertig in diesem Geschäft ist, wie der Ruf von ihm sagt.«

»Ach, lieber Herr,« versetzte Dame Elspeth, »wenn Ihr von Fertigkeit sprecht, – er ist nur zu fertig zu Allem, was Stahl an dem einen Ende hat und Unheil am anderen. Aber er steht zu Ew. Gestrengen Befehl, und ich hoffe, Ihr werdet ihn belehren, daß er unserem Hochwürdigen Vater und Gnädigen Herrn Abt Gehorsam schuldig ist, und werdet ihn überreden, die Bogenträger-Stelle zu Lehen zu nehmen; denn das wäre, wie die beiden Herren Paters sagten, eine große Hülfe für eine Wittfrau.«

»Verlaßt Euch darauf, gute Dame,« erwiederte Herr Piercie, »es ist mein Vorsatz ihn zu belehren, wie er sich gegen Leute, so über ihm stehen, zu benehmen hat, so daß er nicht so leichthin sich von der, denselben schuldigen, Ehrerbietung entfernt. – Wir treffen uns also,« sprach er, zu Halbert sich wendend, »unter den Birken in der Fläche, sobald das Auge des Tages seine Lider öffnet.« – Halbert nickte bejahend, und der Ritter fuhr fort: »Und nun wünsche ich meiner holdesten Verständigkeit die lieblichen Träume, welche um das Lager der schlafenden Schönheit ihre Schwingen regen, und dieser artigen Jungfer die Wohlthaten Morphei, allen Uebrigen die gewöhnliche gute Nacht, und bitte um Erlaubniß, mich nach meinem Ruheplatz zu verfügen, obwohl ich mit dem Dichter sagen darf:

Ach Ruh'! – Nicht Ruh', nur Wechsel seiner Stellung;
Ach Schlaf! – Nicht Schlaf, nur Ohnmacht matter Kräfte;
Ach Bett! – Nicht Bett, nur Pfühl gefüllt mit Steinen;
Ruh', Schlaf und Bett nicht warten der Verbannten.«

Mit einer zarten Verneigung verließ er das Zimmer, der guten Dame ausweichend, welche sich beeilte, ihm die Versicherung zu geben, daß er seine Schlafanstalt viel behaglicher finden werde, als die Nacht zuvor, sintemal warme Decken und ein weiches Federbett aus der Abtei heraufgeschickt worden seien. Der gute Ritter dachte wahrscheinlich, sein Abgang würde an Würde und Anmuth verlieren, wenn er von seiner heroischen Erhabenheit herabstiege, um solche irdische und Haushaltungsgegenstände zu besprechen, und eilte darum weg, ohne sie ausreden zu lassen.

»Ein lustiger Herr,« sprach Dame Glendinning, »aber gewiß auch etwas närrisch. Und er singt recht lieblich, aber ein Bischen wohl lang. Nun – ich gestehe, er ist ein guter Gesellschafter. Ich möchte wohl wissen, wann er weggeht.«

Nachdem sie so ihre Achtung vor ihrem Gast ausgesprochen hatte, jedoch nicht ohne zugleich zu verstehen zu geben, daß sie seiner Gesellschaft herzlich müde war, gab sie das Zeichen zum Auseinandergehen und befahl Halberten Herrn Piercie seinem Verlangen gemäß mit Tagesanbruch zu begleiten.

Als Halbert auf seinem Strohsack neben Edward lag, hatte er große Ursache, diesen um den gesunden Schlaf zu beneiden, in welchen er augenblicklich verfallen war. Er erkannte jetzt nur zu deutlich, was die Erscheinung ihm dunkel angedeutet hatte, daß sie durch Bewilligung der, von ihm unbesonnener Weise erbetenen, Gabe mehr zu seinem Wehe als zu seinem Wohl beigetragen hatte. Jetzt, zu spät, ward er die mancherlei Gefahren und Unannehmlichkeiten gewahr, mit welchen seine theuersten Freunde bedroht waren, sowohl durch seine Niederlage, wie durch seinen Sieg in dem bevorstehenden Zweikampf. Fiel er, dann konnte er für sich ruhig sagen: Gute Nacht Welt. Aber welch ein schreckliches Vermächtniß hinterließ er seiner Mutter? Dieser Gedanke war nicht geeignet, ihn mit dem, an sich schauerlichen, Bilde des Todes zu befreunden. Sein Verstand sagte ihm, daß sicher die Rache des Abtes auf seine Mutter und auf seine Brüder fallen würde, falls der Sieger nicht edelmüthig genug wäre, alle Schuld an dem Zweikampf auf sich zu nehmen. – Und Maria Avenel? – Sein Unterliegen in diesem Kampf würde beweisen, daß er eben so unfähig gewesen, sie wirksam zu beschützen, wie unnöthigerweise geschäftig, Unheil über sie und über das Haus zu bringen, in welchem sie von Kindheit auf Schutz gefunden hatte. Und zu diesen Betrachtungen kamen noch alle die unangenehmen Gefühle, mit welchen der muthigste Mann, selbst bei einer besseren oder weniger zweideutigen Sache, dem ungewissen Ausgang seines ersten Zweikampfes entgegensieht.

War die Aussicht für den Fall seiner Niederlage ganz und gar trostlos, so konnte er durch einen Sieg wenig mehr gewinnen, als die Rettung seines Lebens und die Befriedigung seines verletzten Stolzes. Seiner Freundin – seiner Mutter, seinem Bruder, besonders aber Marien mußte sein Sieg ein gewisseres Verderben bringen als seine Niederlage. Wenn der englische Ritter davon kam, konnte er sie großmüthig beschirmen; fiel er hingegen, so ließ sich nicht absehen, was sie zu beschützen vermochte vor der Rache des Abtes und der Klosterbrüderschaft für den Friedensbruch im Stiftsgebiete und für die Tödtung ihres Schützlings durch einen ihrer Unterthanen, in dessen Hause sie ihm eine Zuflucht angewiesen hatten. Diese Gedanken, welche klar machten, daß in beiden Fällen kaum etwas Anderes, als Verderben seiner Familie bevorstehe – Verderben, lediglich durch seine Uebereilung über sie gebracht, diese Gedanken waren wie Dornen in seinem Pfühl, beraubten seine Seele der Ruhe, seine Augen des Schlummers.

Einen Mittelweg gab es nicht, ausgenommen einen entehrenden, und der, wenn er sich dazu bequemte, ihn noch keineswegs von Gefahr befreite. Er konnte dem Ritter die sonderbaren Umstände erzählen, welche ihn dazu geführt hatten, jenem das Wahrzeichen vorzuhalten, – die Nadel, welche (wie es jetzt das Ansehn hatte) das weiße Fräulein ihm im Unwillen gegeben. Aber zu diesem Geständniß konnte sein Stolz sich nicht verstehen, und der Verstand, welcher bei solchen Gelegenheiten sehr bereit ist, mit dem Stolz übereinzustimmen, – sein Verstand gab ihm Gründe an die Hand, welche bewiesen, daß es eben so nutzlos wie unwürdig wäre, sich so zu erniedrigen. »Wenn ich,« sprach er, »eine solche Wundergeschichte erzähle, werde ich dann nicht entweder als ein Lügner oder als ein Zauberer angesehen? – Wäre Herr Piercie Shafton großmüthig, edel und gütig, wie die Kämpen, von denen wir in den Mährchen hören, dann könnte ich etwa Gehör bei ihm gewinnen und ohne Erniedrigung aus meiner Verlegenheit heraus kommen. Allein er ist, oder scheint wenigstens, eingebildet, anmaßend, eitel und hochfahrend. – Ich darf mich nicht zwecklos erniedrigen – und ich will es nicht!« rief er, aufspringend, sein Schwert ergreifend und es in dem Mondlicht schwingend, welches durch die lange Fenstervertiefung einströmte. Da sah er zu seinem Staunen und Schrecken im Mondschein eine luftige Gestalt stehen, ohne einen Schatten auf den Boden zu werfen. Die Züge waren kaum kenntlich, aber die Stimme überzeugte ihn bald, daß das weiße Fräulein vor ihm stand.

Noch nie war ihre Erscheinung ihm so schrecklich gewesen. Damals, wo er sie hervorgerufen hatte, war er vorbereitet sie zu sehen und entschlossen, den Ausgang abzuwarten. Hier aber war sie ungerufen gekommen und ihre Gegenwart erfüllte ihn mit bösen Ahnungen und mit der gräßlichen Besorgniß, daß er sich mit einem bösen Geist eingelassen haben möchte, dessen Bewegungen er nicht meistern konnte und von dessen Gewalt und Eigenschaften er keine Kenntniß besaß. So war denn Schrecken die einzige Empfindung, mit welcher er die Erscheinung betrachtete, während sie folgende Worte sang:

»Wer nach Rache wagt zu streben,
Darf vor blut'ger That nicht beben.
Den Knoten, so geschürzt dein Wort,
Kann lösen nur das Schwert hinfort.«

»Fort, falscher Geist!« rief Halbert; »ich habe deinen Rath bereits nur zu theuer erkauft. Hebe dich weg, im Namen Gottes!«

Das Gespenst lachte, und der kalte unnatürliche Klang seines Lachens hatte etwas Schauderhafteres, als die gewöhnlichen melancholischen Laute seiner Stimme. Und dann sang es:

»Du hast erst mich gerufen, schon ein Mal und zwei Mal,
Und jetzt komm' von selbst ich zu dir, das ist drei Mal.
Ungeheischt, ungebeten erschienst du bei mir:
Ungeheischt, ungebeten komm' ich jetzt zu dir.«

Halbert unterlag einen Augenblick seinem Schrecken und rief seinem Bruder zu: »Edward! wach' auf, wach' auf, um Unserer Lieben Frauen willen!«

Edward erwachte und fragte ihn, was er wolle.

»Sieh hin, sieh in die Höhe! siehst du Niemanden in der Kammer?«

Edward sah hin und erwiederte: »Auf mein Wort, nein.«

»Was? Siehst du Nichts im Mondschein dort auf dem Fußboden?«

»Durchaus Nichts,« antwortete Edward, »ausgenommen dich auf dein blankes Schwert gestützt. Ich sage dir, Halbert, du solltest mehr auf deine geistlichen Waffen vertrauen, als auf die von Stahl und Eisen. In mehr als einer Nacht bist du aufgefahren und hast gestöhnt und laut von Fechten und von Gespenstern und von Geistern geredet. Dein Schlaf hat dich nicht erquickt, dein Wachen ist ein Traum gewesen. – Folge mir, lieber Bruder, sage dein Paternoster und Credo her, empfiehl dich dem Schutze Gottes, und du wirst gesund schlafen und gestärkt aufwachen.«

»Es mag sein,« sprach Halbert langsam, die Augen fortwährend auf die weibliche Gestalt geheftet, welche ihm deutlich vor Augen stand; »es mag sein. – Aber sag' mir doch, lieber Edward, siehst du wirklich Niemanden außer mir in der Kammer stehen?«

»Durchaus Niemanden,« versetzte Edward, sich auf den Ellenbogen stützend. »Lieber Bruder, lege dein Gewehr bei Seite, sage dein Gebet und lege dich zur Ruhe.«

Während Edward so sprach, lächelte das Gespenst gleichsam höhnisch gegen Halberten; ihre bleiche Wange verschwand in dem bleichen Mondlicht, noch ehe das Lächeln vorüber war, und Halbert sah nun auch Nichts mehr von der Erscheinung, auf welche er so angelegentlich seines Bruders Aufmerksamkeit gelenkt hatte. »Mein Gott, bewahre mir meinen Verstand,« sprach er, indem er das Schwert bei Seite legte, und warf sich wieder auf sein Bett.

»Amen, theurer Bruder,« fiel Edward ein, »aber wir müssen auch nicht im Augenblick des Uebermuthes den Himmel reizen, welchen wir am Tag der Noth anrufen. Werde nicht böse auf mich, theurer Bruder – ich weiß nicht, warum du dich seit Kurzem ganz von mir zurückgezogen hast. Es ist wahr, ich bin weder so stark noch so unerschrocken, wie du von Kindheit auf gewesen bist; dennoch hast du meine Gesellschaft nicht gemieden bis in der letzten Zeit. Glaube mir, ich habe im Stillen geweint, obwohl ich mich in dein Vertrauen nicht eindrängen wollte. Es ist eine Zeit gewesen, wo du mich nicht so gering geachtet hast. Konnte ich auch dem Wilde nicht so dicht auf dem Fuße folgen und es nicht so richtig treffen, so konnte ich dafür unsere Mußestunden mit schönen Erzählungen aus der alten Zeit ausfüllen, die ich gehört und gelesen hatte, und auch du horchtest dann gerne zu, wenn wir an einer schönen Quelle saßen und aßen. – O wirf doch deine Arme nicht so wild herum; deine sonderbaren Träume lassen mich glauben, daß ein Fieberanfall dein Blut erregt hat; laß mich deinen Mantel fester um dich wickeln.«

»Laß es sein,« sprach Halbert – »deine Sorgfalt ist unnöthig, deine Beschwerden sind grundlos, deine Besorgnisse meinethalben sind vergeblich.«

»Höre mich an,« sprach Edward. »Was du im Schlafe sprichst und dein waches Träumen vorhin dreht sich alles um Wesen, welche nicht dieser Welt oder unserem Geschlechte angehören. Unser guter Pater Eustachius sagt, wenn es auch nicht wohl gethan sei, alle grundlosen Erzählungen von Geistern und Gespenstern anzunehmen, so seien wir doch durch die heilige Schrift berechtigt, zu glauben, daß die Teufel in Wüsteneien und einsamen Orten spuken, und daß Diejenigen, welche solche Wildnisse allein besuchen, die Beute oder das Spiel dieser wandernden Dämonen werden. Darum bitt' ich dich, Bruder, lasse mich dich begleiten, wenn du das nächste Mal wieder die Schlucht hinaufgehst, wo, wie du wohl weißt, übel berufene Orte sind. Du legst keinen Werth auf meine Begleitung; allein solchen Gefahren begegnet besser der Verständige als der Kühne, und wenn ich auch geringe Ursache habe, mich meiner eignen Weisheit zu rühmen, so besitze ich doch diejenige, welche aus drei schriftlichen Ueberlieferungen des Alterthums geschöpft wird.«

Einen Augenblick während dieser Rede stand Halbert auf dem Punkt, sein Herz auszuschütten und seinem Bruder Alles anzuvertrauen, was auf demselben lastete. Als aber Edward erwähnte, daß der nächste Morgen, der eines hohen Feiertags sei, und daß er, jedes andere Geschäft oder Vergnügen bei Seite setzend, nach dem Kloster gehen und dem Pater Eustachius beichten müsse, da regte sich der Stolz und befestigte seine schwankende Entschlossenheit wieder. »Ich will nicht,« dachte er, »eine Geschichte erzählen, in Folge deren ich als ein Betrüger oder als etwas Schlimmeres betrachtet werden könnte; ich will nicht vor diesem Engländer fliehen, dessen Arm und Schwert vielleicht nicht besser ist, als das meinige. Meine Väter haben Leuten die Spitze geboten, die mehr waren, als er, angenommen auch er wäre im Kampfe so meisterhaft wie in gezierten Reden.«

Der Stolz, von dem man sagt, er bewahre Männer und Weiber vor dem Fall, hat einen noch stärkeren Einfluß auf ein Gemüth, welches sich der Leidenschaft hingibt, und verfehlt selten, dieser den Sieg über Vernunft und Gewissen zu verschaffen. So wie Halbert einmal entschieden war, (wenn auch nicht gerade für das Bessere,) schlief er fest ein und erwachte erst mit der Morgendämmerung.



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