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Siebzehntes Kapitel.

– In jenem Jahr regierte
Ein strenger mürr'scher Kerl – ein zorn'ger Büttel.

Crabbe.

Während Herr Staunton, dies war des Geistlichen Name, in der Sakristei sein priesterliches Gewand ablegte, war es zu einem offenen Bruch zwischen Magda und Jeanie gekommen.

»Wir müssen den Augenblick nach der Mummersscheune zurück,« sagte jene beim Hinausgehen aus der Kirche, »wir kommen so schon spät genug, und meine Mutter wird schön ärgerlich sein.«

»Ich gehe nicht wieder mit zurück, Magda,« sagte Jeanie, indem sie eine Guinee herausnahm, und sie ihr bot; »ich bin Dir vielen Dank schuldig, aber ich muß meinen eigenen Weg gehen.«

»Und ich habe so einen weiten Weg gemacht nur Dir zu Gefallen, Du undankbarer Balg? Und ich soll von meiner Mutter todtgeschlagen werden, wenn ich nach Hause komme, und das Alles Deinetwegen? Aber ich will Dich« –

»Um Gotteswillen!« rief Jeanie ängstlich einem Dabeistehenden zu: »Haltet sie zurück, sie ist toll.«

»Ja, ja,« versetzte der Bauer, »ich weiß schon ein Bischen davon, und Du wirst wohl eben solch Früchtchen sein wie sie. – Aber, Magda, ich rathe Dir, rühr' sie nicht an, sonst wasch' ich Dir den Rücken.«

Viele der Kirchgänger versammelten sich nun um die beiden Fremden, und die Buben schrieen, es würde gleich eine gewaltige Prügelei zwischen Magda Murdockson und einer andern Tollen losgehen.

Während jedoch die Menge zusammenlief, in der wohlwollenden Hoffnung, einen tüchtigen Spaß zu haben, ward der aufgestutzte Tressenhut des Büttels mitten im Gedränge wahrgenommen, und Alles machte Platz vor einem Mann von solchem Ansehen.

Er wandte sich zuerst an Magda: »Was hat Dich wieder zurückgebracht, Du verrückter Taugenichts, unser Kirchspiel in Aufruhr zu setzen? Hast Du noch mehr Bastarde vor ehrlicher Leute Thüren zu legen? Oder willst Du uns diese alberne Gans aufbürden, die so unklug ist wie Du selber? – Fort mit Dir zu Deiner Diebin von Mutter, die fest genug im Stockhause zu Barkston sitzt. – Fort mit Dir aus dem Kirchspiel, sonst peitsche ich Dich hinaus.«

Magda stand einige Augenblicke höchst mürrisch da; der Büttel hatte sie jedoch zu oft auf unsanfte Weise Gehorsam gelehrt, als daß sie jetzt den Muth fand, ihm zu widersprechen.

»Und meine Mutter, meine arme alte Mutter im Stockhause zu Barkston!« sagte sie, »das ist Alles Deine Schuld, Jeanie Deans. Aber warte nur, Du sollst schon Deinen Lohn dafür haben, so wahr mein Name Magda Wildfeuer, – ich meine Murdockson ist. – Gott sei mir gnädig, ich vergesse meinen eigenen Namen vor all dem Gewirre durch einander!«

Bei diesen Worten drehte sie sich um, und ging schnell davon. Und hinter ihr drein lief das ganze schadenfrohe Völkchen der Dorfkinder, von denen einige schrieen: »Magda, weißt Du Deinen Namen noch?« andre sie beim Rock zupften, und alle, nach ihrem besten Wissen und Vermögen, ihr diesen oder jenen Streich zu spielen suchten, um sie zur äußersten Wuth zu treiben.

Ihre Entfernung war höchst erfreulich für Jeanie, so sehr sie auch wünschte, den wichtigen Dienst vergelten zu können, den Magda ihr geleistet.

Als diese fort war, wandte sie sich an den Büttel, ihn zu fragen, ob ein Haus im Dorfe sei, wo sie für ihr Geld Aufnahme und Bewirthung finde, und ob es ihr wohl vergönnt sei, mit dem Geistlichen zu sprechen.

»Nun, nun, wir wollen schon für Dich sorgen, wie sich's gebührt, Mädchen,« erwiederte er, »und wenn Du dem Herrn Pfarrer nicht gehörig Rede stehen kannst, wollen wir Dir Dein Geld ersparen, und Dich auf Kosten des Kirchspiels unter Dach und Fach bringen.«

»Wo soll ich denn hin?« fragte Jeanie ängstlich.

»Für's Erste zu Sr. Ehrwürden, ihm Rechenschaft von Dir zu geben, und zu hören, ob Du auch nicht dem Kirchspiel zur Last fallen wirst.«

»Ich mag keinem zur Last fallen,« sagte Jeanie, »ich habe genug für meine Bedürfnisse und wünsche nur meine Reise mit Sicherheit fortzusetzen.«

»Nun, dann ist's eine andere Sache; und wenn's wahr ist – freilich so verkehrt siehst Du nicht aus wie Deine Spießgesellin, man könnte Dich für ein ganz vernünftig Mädchen halten, wenn Dir die Haare nicht so um den Kopf flögen. Nun komm nur mit, der Pfarrer ist ein guter Mann.«

Der rohe Haufe, in seiner Hoffnung getäuscht, hier einen derben Spaß zu finden, hatte sich indessen zerstreut; und mit ihrer gewohnten Ruhe folgte Jeanie dem mürrischen, doch nicht bösartigen Führer zum Pfarrhause.

Der Wohnsitz des Pfarrers von Willingham war groß und bequem eingerichtet, denn die Pfründe konnte zu den besten gezählt werden, und das Recht sie zu vergeben, war einer begüterten Familie der Nachbarschaft eigen, in der man gewöhnlich einen Sohn oder Neffen dem geistlichen Stande widmete, um ihm bei Gelegenheit diese gute Versorgung zuzuwenden. Das Pfarrhaus war deshalb von den Besitzern von Willingham-Hall stets als Zubehör ihres Schlosses betrachtet worden, und man hatte Sorge getragen, es auf geziemende und seiner angesehenen Bewohner würdige Weise einzurichten.

Es lag in geringer Entfernung von dem Dorfe, auf einer sanft sich erhebenden Anhöhe, welche mit eingehegten Feldern bedeckt, zwischen denen Reihen alter Eichen und Ulmen hinliefen, dem Auge eine erfreuliche Mannigfaltigkeit bot.

Jeanie und ihr Begleiter näherten sich jetzt dem Hause. Ein Gitterthor gewährte ihnen den Einlaß zu einem grünen Vorplatz, von Buchen und Nußbäumen beschattet. Das Gebäude hatte etwas Unregelmäßiges. Ein Theil desselben verdankte seine Entstehung früheren Jahrhunderten. Spätere Besitzer hatten hinzugebaut, ein jeder nach dem Geschmack seiner Zeit, ohne sonderliche Rücksicht auf das Vorhandene. Doch beleidigte diese Verschiedenartigkeit das Auge nicht, sie trug vielmehr dazu bei, dem Ganzen einen höchst malerischen Anblick zu geben.

Jeanie's Begleiter ging an der Hauptpforte vorüber und klopfte an eine Nebenthür, die zur Gesindewohnung führte. Ein Bedienter in dunkel purpurfarbiger Livree öffnete.

»Wie geht's, Thomas?« redete der Büttel ihn an. »Wie ist's mit dem jungen Herrn Staunton?«

»Ei, schlecht genug, schlecht genug, Herr Stumps. – Wollt Ihr Seiner Ehrwürden sprechen?«

»Ja, ja, Thomas; sagt nur, ich hätte das Mädchen gebracht, die heute mit der tollen Magda Murdockson in der Kirche war.«

Thomas beehrte Jeanie Deans mit einem neugierigen Anstarren, nach der unverschämten Weise wohlgenährter Diener der Reichen gegen Arme und Geringe. Dann wieß er den Büttel und seine Gefangene in ein Bedientenzimmer, wo sie warten sollten, bis er dem Herrn ihre Ankunft gemeldet. Er bewirthete hier den Büttel mit dem ansehnlichen Ueberbleibsel eines Schinkens und einer Kanne Ale. Und er nahm freundschaftlich Theil an diesem Frühstück, in Rücksicht darauf, daß die Mahlzeit bis zur Beendigung des Nachmittagsgottesdienstes hinausgeschoben war. Jeanie wurde ebenfalls zu dem Mahle eingeladen. Wie sehr sie aber auch der Erquickung bedurfte, denn sie hatte an dem Tage noch keine Speise zu sich genommen, so ließ doch weder die Unruhe ihres Herzens, noch ihr Zartgefühl es zu, jetzt und unter diesen Umständen zu essen. Sie setzte sich still in eine Ecke, während jene beiden es sich wohl schmecken ließen. Eine halbe Stunde verging, und sie hatten noch nicht geendet, als Sr. Ehrwürden klingelte, und Thomas sich genöthigt sah, nach den Befehlen seines Herrn zu fragen. Zugleich meldete er ihm die Ankunft des Büttels mit der andern Tollen, wie er Jeanie nannte, als etwas eben Geschehenes. Er kehrte bald mit der Weisung zurück, Herrn Stumps und das Mädchen sogleich in des Pfarrers Bibliothekzimmer zu bringen.

Der Büttel verschluckte eiligst das Stück fetten Schinken, an dem er käute, und spülte den Bissen mit dem Letzten, was der Bierkrug enthielt, hinunter. Dann geleitete er Jeanie durch einige lange Gänge von dem ältern Theil des Gebäudes zum neuen, bis in ein hübsches kleines Vorgemach, welches an das Zimmer des Pfarrers grenzte.

»Warte hier,« sagte er, »bis ich Seiner Ehrwürden gemeldet, daß Du da bist.«

Mit diesen Worten ging er hinein. Jeanie konnte nicht umhin zu hören, was gesprochen wurde, so wenig dies auch in ihrer Absicht lag; denn Stumps blieb an der Thür stehen, und Sr. Ehrwürden befanden sich am äußersten Ende eines großen Zimmers, so daß die Unterredung ziemlich laut geführt wurde.

»Seid Ihr endlich mit dem Mädchen gekommen, Stumps? Ich habe Euch schon lange erwartet. Ihr wißt, ich kann es nicht leiden, daß man dergleichen Leute in Gewahrsam behält, ohne sofort nähere Erkundigung über sie einzuziehen.«

»Ja wohl, Ew. Ehrwürden. Aber das Mädchen hatte heut noch nichts gegessen, und da setzte Thomas ihr einen Bissen vor.«

»Da hat Thomas Recht gethan. Und was ist aus dem andern unglücklichen Wesen geworden?«

»Nun, ich dachte es würde Ew. Ehrwürden zum Aergerniß dienen, sie zu sehen, und da ließ ich sie laufen zu ihrer Mutter hin, die im benachbarten Kirchspiel gefangen sitzt.«

»Unglückliches, nie zu besserndes Weib!« rief hier der Geistliche. – »Und das andere Mädchen?«

Der Büttel stattete einen ziemlich günstigen Bericht über Jeanie ab, worauf er die Weisung erhielt, sie hereinzusenden, und unten des Pfarrers weitere Befehle zu erwarten.

Dies Gespräch hatte Jeanie's Aufmerksamkeit völlig gefesselt. Erst jetzt, da es zu Ende war, bemerkte sie, daß eine Glasthür, die aus dem Vorzimmer zum Garten führte, indessen geöffnet worden war, und daß ein junger Mann von bleichem kranken Ansehen, auf zwei Andere gestützt, hereinwankte, den seine Begleiter sogleich auf ein nahes Ruhebett hoben, als solle er von einer ungewöhnlichen Anstrengung ausruhen. In demselben Augenblick wurde Jeanie zu dem Geistlichen gerufen. Und nicht ohne Zittern gehorchte sie dem Befehl, denn sie fühlte, die glückliche Fortsetzung ihrer Reise hänge davon ab, daß sie die günstige Meinung dieses Mannes für sich gewönne. Das Vorgefallene hatte sie nur zu deutlich überzeugt, es gäbe Menschen in der Nähe, mit dem Willen und der Verwegenheit ausgerüstet, sie gewaltsam zurückzuhalten, und ohne Schutz und Unterstützung werde sie neuen Versuchen der Art nicht entgehen können.

Jeanie befand sich jetzt in dem großen, schön eingerichteten Arbeitszimmer des Pfarrers. Die wohlgefüllten Fächer an den Wänden umher enthielten mehr Bücher, als Jeanie deren in der Welt vorhanden geglaubt. Erd- und Himmelskugeln, eine Sternenuhr, einige ausgestopfte Thiere, ein Fernrohr und andere wissenschaftliche Geräthe erhöhten ihre Bewunderung, der sich eine Art von Grauen beimischte, da ihr Alles dies eher als das Werkzeug eines Zauberers erschien.

Herr Staunton redete sie mit Milde an. Obgleich sie auf eine ungeziemende und störende Weise und in schlechter Gesellschaft im Gotteshause erschienen sei, wolle er doch erst ihren eigenen Bericht hören, bevor er verfüge, was seine Pflicht von ihm fordere; denn er sei Friedensrichter sowohl

als Geistlicher.

»Euer Gnaden« – Euer Ehrwürden mochte sie nicht sagen – »sind sehr gütig,« war Alles, was die arme Jeanie zuerst hervorbringen konnte.

»Wer bist Du?« fuhr der Geistliche mit entschiedenerem Tone fort; »und was hast Du in dieser Gegend zu schaffen? – Wir dulden keine Landstreicher.«

»Ich bin keine Landstreicherin, Herr,« sagte Jeanie, ein wenig aufgeregt durch diese Beschuldigung. »Ich bin ein schottisches Mädchen von ordentlichem Herkommen und reise durch das Land in meinen eigenen Angelegenheiten und auf eigene Kosten. Ich war so unglücklich, auf schlechtes Gesindel zu stoßen, und eine Nacht von ihnen zurückgehalten zu werden. Dies arme Geschöpf, welches nicht recht bei Verstande ist, brachte mich am Morgen fort.«

Herr Staunton fragte genauer nach, und sie erzählte ihm den Vorfall mit allen Einzelheiten.

»Dies ist eine seltsame und nicht sehr wahrscheinliche Geschichte,« sagte er. »Hier ist nach Deiner Aussage eine Gewaltthat verübt worden, ohne daß sich irgend ein Grund für dieselbe angeben läßt. – Kennst Du auch das Gesetz des Landes, daß Du die Klage durchführen mußt, wenn Du mit einer solchen Beschuldigung auftrittst?«

Jeanie verstand dies nicht recht. Auf seine Erklärung erwiederte sie ihm aber, ihr Geschäft in London erfordere die höchste Eile, sie verlange nichts als sicheres Geleit bis zu einer Stadt, wo sie Pferde und einen Führer miethen könne. Auch glaube sie, ihr Vater würde es seiner Ueberzeugung nach nicht gern sehen, wenn sie in diesem Lande gerichtliches Zeugniß ablege.

Der Geistliche stutzte und fragte, ob ihr Vater ein Quäker sei.

»Ei, Gott behüte, Herr. Von dergleichen ist er sehr weit entfernt, wie alle, die ihn kennen, gar wohl wissen.«

»Und wer ist Dein Vater?«

»David Deans, Herr, Pächter zu St. Leonard's bei Edinburg.«

Ein banger Seufzer im Vorzimmer verhinderte den Geistlichen zu antworten. Mit dem Ausruf: »Guter Gott! Der unglückliche junge Mensch!« verließ er Jeanie und eilte hinaus.

Einiges Geräusch wurde vernommen, doch währte es beinahe eine Stunde, ehe sich wieder Jemand in dem Bibliothekzimmer sehen ließ.


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