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Vierzehntes Kapitel.

Und Noth und Elend, Laster und Gefahr,
Vereint bestürmen sie die Tiefgesunk'nen.

Als unsere rüstige Reisende am dritten Tage nach ihrer Abreise von York in einem Wirthshause an der Straße einige Erfrischungen zu sich nahm, bemerkte sie, daß die aufwartende Magd sie mehrmals sehr aufmerksam ansah, und zu ihrer Verwunderung richtete sie endlich die Frage an sie, ob sie nicht eine Schottin sei, Deans heiße, und wegen einer gerichtlichen Angelegenheit nach London gehe?

Jeanie besaß bei all ihrer Unbefangenheit die den Schotten eigenthümliche Vorsicht, und anstatt der Antwort verlangte sie von dem Mädchen zu wissen, wie sie zu allen diesen Fragen komme? Jene erwiederte, es wären am Morgen zwei Frauenzimmer hier durchgekommen, die sich nach einer gewissen Jeanie Deans erkundigt und sie genau bezeichnet hätten.

Erstaunt und erschreckt hierüber – denn das Unerklärliche hat gewöhnlich etwas Aengstigendes – befragte Jeanie das Mädchen umständlich über die beiden Frauenzimmer. Sie konnte aber weiter nichts erfahren, als daß die eine sehr alt, die andere jung und schlank und sehr redselig gewesen, und daß beide die schottische Aussprache gehabt hätten.

Dies gab ihr keinen Aufschluß, und mit einem unbeschreiblichen Vorgefühl, als bedrohe sie Böses, faßte Jeanie den Entschluß, von hier aus bis zum nächsten Nachtlager Postpferde zu nehmen. Es waren jedoch in diesem Augenblick keine vorräthig; und nachdem sie eine Zeitlang vergebens auf einen Knecht gewartet, der mit Pferden zurückkehren sollte, beschloß sie, sich ihrer Furchtsamkeit schämend, den Weg auf die gewohnte Weise fortzusetzen.

Es sei alles gerader Weg, versicherte man ihr, bis auf einen hohen Berg, Gunnerly Hill, eine halbe Meile von Grantham, wo sie die Nacht bleiben wollte.

»Es freut mich, daß einmal ein Berg kommt,« sagte Jeanie, »denn meine Augen und meine Füße sind schon dieser gewaltigen Strecken flachen Grundes müde. Als ich den letzten blauen Berg aus dem Gesicht verlor, war mir's, als hätte ich nun gar keinen Freund mehr in diesem fremden Lande.«

Die Dämmerungsstunde überraschte unsere einsame Pilgerin auf einer öden Landstrecke voll Morast und Buschwerk, die sich weit hin bis an den Fuß des erwähnten Berges dehnt. Sie beschleunigte ihren Schritt, um bald aus dieser unheimlichen Gegend zu kommen, als sie den Trab eines Pferdes hinter sich hörte. Unwillkürlich ging sie etwas mehr seitwärts, als wolle sie dem Vorüberreitenden so viel Raum als möglich lassen. Als das Thier nahe gekommen war, sah sie, daß es zwei Weiber trug, von denen die eine auf einem Quersattel, die andere auf einem Reitkissen saß.

»Schönen guten Abend, Jeanie Deans,« redete die Vorderste sie an, als sie an ihr vorüberkamen. »Wie gefällt Euch der hübsche Berg dort, der seine Spitze zum Mond erhebt? Denkt Ihr, da oben sei das Himmelsthor, wo Ihr so gern hineinwollt? – Vielleicht kommen wir noch heute Nacht dort an; meine Mutter ist nur etwas träg beim Hinaufsteigen.«

Die Sprechende drehte sich mit halbem Leibe zu Jeanie herum und hielt das Pferd ein wenig an, während die Alte hinter ihr sie zum Weiterreiten antrieb, in Worten, wovon Jeanie nur Einzelnes verstand.

»Halt's Maul, Du mondsüchtige Dirne! Was hast Du mit Himmel oder Hölle zu schaffen?«

»Freilich, Mutter, mit dem Himmel nicht viel, glaub' ich, wenn ich bedenke, wer hinter mir sitzt – und mit der Hölle, das wird sich zu seiner Zeit schon von selbst finden. – Nun fort, Hans, hop, hop, hop, als wenn Du ein Besenstiel wärest; denn eine Hexe reitet auf Dir.

Mit der Haub' überm Fuß und dem Schuh auf der Hand
Durcheil' ich wie Feuer die Stadt und das Land.«

Der Trab des Pferdes und die wachsende Entfernung machten den übrigen Theil des Gesanges unvernehmlich; doch hörte Jeanie noch einige Zeit die wilden abgebrochenen Töne durch die Einöde schallen. Geängstigt von unbestimmten Besorgnissen blieb sie wie betäubt zurück. Sich im fremden Lande auf so seltsame Weise, von einem so seltsamen Wesen ohne weitere Erklärung beim Namen nennen zu hören, erschien ihr als etwas Uebernatürliches. Sie setzte jedoch ihren Weg fort und hatte sich bald durch das Vertrauen auf ihr gutes Gewissen und ihre gute Sache wieder beruhigt, als sie in einen neuen und bei weitem heftigern Schrecken versetzt wurde. Zwei Männer, welche im Gebüsch gelauert, sprangen plötzlich auf, indem sie vorbeikam und traten ihr drohend in den Weg. Der Eine, ein kurzer starker Kerl, forderte ihr ungestüm ihre Baarschaft ab.

Jeanie suchte sich zu fassen. »Ich habe nur sehr wenig,« sagte sie, und zog das Silbergeld hervor, welches sie von ihrem größern Vorrath gesondert hielt; »wenn Ihr es aber haben wollt, muß ich es freilich geben.«

»Das reicht nicht hin, Mädchen,« sagte jener wieder, »glaubst Du, zum Teufel, ein ordentlicher Kerl wagt sein Leben um nichts und wieder nichts? Wir müssen jeden Heller haben, sonst ziehen wir dich bis auf's Hemd aus.«

Sein Gefährte, ein langer dünner Kerl, schien Mitleid mit der Todesangst zu haben, die man in diesem Augenblick in Jeanie's Zügen las. »Nein, nein Thoms,« sagte er, »das ist eine von den frommen Schwestern, und wir wollen ihr auf's Wort glauben. – Höre, Mädchen, wenn Du zum Himmel aufsiehst und sagst, das sei der letzte Heller, den Du bei Dir hast, so wollen wir Dich frei ausgehen lassen.«

»Ich kann nicht Alles geben, was ich bei mir habe,« erwiederte Jeanie; »denn Leben und Tod hängt von meiner Reise ab. Wenn Ihr mir aber nur so viel übrig lassen wollt, um bei Wasser und Brod weiter zu kommen, bin ich zufrieden, und danke Euch, und will für Euch beten.«

»Zum Teufel mit Deinem Gebet,« sagte der Erste wieder; »die Münze gilt bei uns nicht.« – Er machte eine Bewegung Jeanie zu ergreifen.

In dieser Noth fiel ihr Ratcliffe's Papier ein. »Haltet ein,« rief sie, »vielleicht kennt Ihr dies?«

»Es ist von Ratcliffe,« sagte der Große, nachdem er es angesehen, »wir müssen sie frei passiren lassen.«

»Warum nicht gar,« versetzte sein Gefährte, »Ratcliffe ist ein Abtrünniger und ein Bluthund geworden, heißt es.«

»Er kann uns um so mehr einmal nützlich sein,« meinte der Andere.

»Aber was sollen wir denn thun? Wir haben ja versprochen, das Mädchen rein auszuplündern und sie in ihr Bettelland zurückzuschicken; und nun willst Du, daß wir sie ziehen lassen?«

»Nein, das nicht,« versetzte der Andere und flüsterte seinem Gefährten etwas zu, worauf dieser erwiederte: »Nun, so mach' fort und halte Dich nicht mit dem Geschwätz auf, bis man uns am Ende hier ertappt.«

»Du mußt mit uns kommen,« sagte der Große zu Jeanie.

»Um Gottes willen!« rief sie, »wenn Ihr vom Weibe geboren seid, unterbrecht meine Reise nicht; nehmt lieber Alles, was ich habe.«

»Was zum Teufel fürchtet das Weibsbild?« sagte der andere Kerl. »Ich sage Dir, es soll Dir nichts zu Leide geschehen; doch wenn Du nicht mitkommst, schlage ich Dir den Hirnschädel ein, wo Du stehst.«

»Du bist ein rauher Bär, Thoms. Wenn Du sie anrührst, rüttle ich Dich zusammen, daß Dir die Rippen knacken. – Kümmere Dich nicht um ihn, Mädchen, ich werde nicht zugeben, daß er Dich mit einem Finger berührt, wenn Du ruhig mitgehst; willst Du uns aber hier noch lange aufhalten, so mag er die Sache mit Dir ausmachen.«

Diese Drohung erschien der armen Jeanie als eine höchst furchtbare, denn in seiner etwas minder rauhen Sinnesart sah sie jetzt ihren einzigen Schutz gegen die niedrigste Mißhandlung. Sie folgte ihm nicht nur augenblicklich, sondern hielt ihn auch fest am Arm, damit er ihr nicht entlaufe. Und jener, verhärtet wie er war, schien durch einen solchen Beweis von Zutrauen gerührt, und versicherte ihr wiederholt, er werde nicht zugeben, daß ihr etwas zu Leide geschehe.

Sie führten ihre Gefangene von der Landstraße ab, hielten sich aber doch, zu einiger Beruhigung für Jeanie, auf einem gebahnten Seitenwege, anstatt sich in's Gebüsch zu vertiefen, wie sie fürchtete. Nachdem sie eine halbe Stunde lang alle drei in tiefem Schweigen fortgegangen waren, kamen sie zu einer alten, einsam gelegenen Scheune. Sie war jedoch bewohnt, denn man bemerkte Licht darin.

Einer von Jeanie's Begleitern schlug an die Thür. Sie wurde geöffnet, und die Räuber traten mit ihrer unglücklichen Gefangenen ein. Bei einem bis zum Ersticken dampfenden Kohlenfeuer stand ein altes Weib und kochte. Sie fragte, wozu in des Teufels Namen sie die Dirne hieherbrächten, anstatt sie auszuplündern und laufen zu lassen.

»Ei, alter Blutegel,« sagte Jeanie's Beschützer, »wir sind schlecht genug, aber nicht die eingefleischten Teufel, zu denen Du uns machen willst.«

»Sie hat einen Freipaß von Ratcliffe,« sagte der Andere, »und Franz will nicht, daß ihr etwas zu Leide geschehe.«

»Nein, bei Gott, ich gebe es nicht zu,« versetzte Franz, »aber will unser alter Blutegel sie eine Weile dabehalten, oder sie ungekränkt nach Schottland zurückschicken, so mag sie es meinetwegen thun.«

»Ich will Dir etwas sagen, Franz, wenn Du mich noch einmal alter Blutegel nennst, färbe ich dies in Deinem besten Blut, mein Junge.« Und bei diesen Worten erhob sie ein Messer gegen ihn.

»Unser alter Blutegel ist gar böser Laune heut,« sagte Franz lachend.

Mit rachsüchtiger Gewandtheit schleuderte die Alte augenblicklich ihr Messer nach ihm. Durch eine schnelle Bewegung des Kopfs vermied er jedoch den tödtlichen Wurf; das Eisen pfiff an seinem Ohr vorbei und blieb hinter ihm in der Lehmwand stecken.

»Komm, komm, Mutter,« sagte der Räuber, indem er sie bei den beiden Fäusten packte, »ich will Dir zeigen, wer Herr ist.« – Damit zog er die Alte gewaltsam rückwärts, bis sie bei dem heftigen Sträuben auf ein Bund Stroh niedersank. Dann ließ er ihre Hände los und stellte sich ihr mit drohend aufgehobenem Finger gegenüber. Die Maßregel war von Erfolg. Sie machte keinen Versuch zu neuen gewaltthätigen Aeußerungen, sie blieb sitzen, heulte und brüllte wie eine Tolle und rang ihre dürren Hände in ohnmächtiger Wuth.

»Ich will Dir mein Wort halten, Du alter Teufel,« sagte Franz, »das Mädchen soll nicht nach London, aber Du darfst ihr kein Haar krümmen, wäre es auch nur, weil Du Dich so toll anstellst.«

Dieses Versprechen schien die Alte in etwas zu besänftigen. Während ihr Geheul in ein leiseres Brummen überging, wurde die saubere Gesellschaft durch einen neuen weiblichen Ankömmling vermehrt. Ein einziger Sprung versetzte die Kommende von der Thür sogleich bis in die Mitte der Scheune. »Hoho, Franz,« rief sie, »bringst Du unsere Mutter um? Oder schneidest Du der Sau, die Thoms heute Morgen gebracht, die Gurgel ab?«

Der Ton ihrer Stimme hatte etwas so eigenthümliches, daß Jeanie sogleich die Reiterin erkannte, die diesen Abend an ihr vorüber gekommen war.

»Und wen haben wir hier?« fuhr Magda Wildfeuer fort; denn wir wissen bereits, daß sie es war – »wen haben wir hier? Des alten närrischen Frömmlers David Deans Tochter bei später Nacht in einer Zigeunerscheune! Es ist zum Todtlachen. – Und die andere Schwester im Gefängniß! Ich muß sagen, es thut mir Leid um sie; meine Mutter ist's, die ihr übel will, obgleich ich wohl noch mehr Ursache dazu habe.«

»Höre, Magda,« sagte Franz, »Du hast nicht so viel von des Teufels Blut in Dir als die alte Hexe, Deine Mutter, die vielleicht gar seine Großmutter ist. Nimm das Mädchen mit in Deine Kammer da, und laß den Satan selbst nicht hinein, und sollte er es im Namen Gottes fordern.«

»Ja, ja, Franz, das will ich thun,« sagte Magda, Jeanie beim Arm nehmend und mit sich fortziehend; »es schickt sich auch nicht für anständige junge Mädchen, wie wir beide, in der Nacht mit solchen Galgenschwengeln zusammen zu sein. Gute Nacht! Gute Nacht! Und mögt Ihr alle schlafen, bis der Henker Euch weckt; das wäre ein rechtes Glück für das Land.«

Den plötzlichen Eingebungen ihres wilden Wahns folgend, ging sie dann plötzlich ganz ehrbar zu ihrer Mutter hin, warf sich vor ihr auf die Kniee nieder und sagte mit der kindischen Weise eines sechsjährigen Mädchens: »Mama, laß mich meinen Abendsegen beten, ehe ich zu Bett gehe; und sage: Gott behüte Dich, mein liebes Kind! wie Du sonst thatest.«

Die Alte saß bei dem Kohlenfeuer, und der Widerschein der dunkelrothen Glut auf dem runzligen, von teuflischen Leidenschaften widerlich verzerrten Gesichte, gab ihr das leibhafte Ansehen einer Hexe, die ihren Höllenbrei bereitet. Sie beantwortete die gehorsame Bitte der Tochter mit einem Fluch und einem Faustschlag, dem jedoch Magda, aus Erfahrung mit dergleichen mütterlichen Segnungen bekannt, sehr behend zu entschlüpfen wußte. Wüthend sprang jetzt die Alte auf und ergriff eine Feuerzange, um ihrer Tochter oder Jeanie – es schien ihr in diesem Augenblick ziemlich einerlei – das Gehirn damit einzuschlagen. Jener Mann aber, den sie Franz nannten, packte sie bei der Schulter und schleuderte ihr mit großer Heftigkeit die Zange aus der Hand: »Was, alte Mutter Unglück!« rief er, »schon wieder – und in meiner allerhöchsten Gegenwart! – Du Tollhäuslerin dort, mach, daß Du in Dein Nest kommst mit Deiner Schlafgenossin, sonst ist hier noch der Teufel los.«

Magda benutzte diesen Rath, zog sich so schnell sie konnte zurück, und riß Jeanie mit sich fort in eine Art Kämmerchen, von dem übrigen Theil der Scheune durch eine morsche Lehmwand geschieden. Einige am Boden liegende Strohbündel zeigten, daß es zum Schlafgemach bestimmt war. Der Mond schien durch eine Oeffnung auf ein Reitkissen, einen Packsattel und einige Felleisen – das Reisegeräth Magda's und ihrer liebreichen Mutter.

»Hast Du wohl in Deinem Leben so eine hübsche Schlafstube gesehen?« sagte Magda. »Sieh nur, wie der Mond so kühl auf das frische Stroh scheint! Im ganzen Tollhause haben sie kein so angenehmes Kämmerchen, so schön der Ort auch von außen anzusehen ist. – Bist Du schon im Tollhause gewesen?«

Jeanie schauderte zurück bei dieser Frage. Mit Mühe brachte sie ein leises Nein hervor, um ihre wahnsinnige Gefährtin nicht zu erzürnen, da sie in ihrer qualvollen Lage sogar die Gesellschaft dieser Tollen als einen gewissen Schutz betrachten mußte.

»Niemals im Tollhause!« rief Magda, als erstaune sie darüber – »nun, ich glaube, die dummen Kerle, die Rathsherren schicken keinen hin als mich. Ich muß in besonderer Gunst bei ihnen stehen. – Aber, Jeanie,« sagte sie vertraulich, »Du verlierst eigentlich nicht viel dabei. Der Wärter ist ein bissiger Hund, und wenn man nicht nach seinem Willen thut, macht er Einem den Ort noch ärger als die Hölle. Ich habe ihm oft gesagt, er ist der Tollste im ganzen Hause. – Aber was machen die da drinnen für einen Lärm? Unterstehe sich Einer von ihnen hier herein zu wollen – das würde sich hübsch schicken! Ich will mich mit dem Rücken gegen die Thür setzen, und es soll ihnen nicht so leicht werden, mich fortzubringen.«

»Magda! – Magda! – Magda Wildfeuer! – Magda Teufel! wo hast Du das Pferd gelassen?« wurde wiederholt von den Männern draußen gefragt.

»Es ist bei seinem Abendbrod, das arme Ding,« antwortete Magda.

»Bei seinem Abendbrod?« fragte der wildere von den beiden Räubern, »was meinst Du damit? Sage wo es ist, oder ich schlage Dir Dein tolles Gehirn ein!«

»Es ist in Gevatter Plauderers Weizenfeld, Ihr kennt ihn ja.«

»Im Weizenfeld, Du verrücktes Mensch!« rief Thoms in der höchsten Erbitterung.

»Nun ja, Du allerliebster Galgenstrick, was werden denn die jungen Weizensprossen der armen Mähre schaden?«

»Davon ist nicht die Rede,« sagte Franz; »davon aber, was es uns schadet, wenn die Leute morgen früh das Thier auf ihrem Grund und Boden finden. – Geh nur, Thoms, und hol' es herein, und nimm Dich in Acht, keine Fußtritte hinter Dir zurückzulassen.«

Der Kerl brummte ein wenig, daß er sich immer mit Allem placken müsse, ging aber dennoch. Unterdessen hatte Magda sich auf das Stroh hingelagert, in einer halb sitzenden Stellung den Rücken gegen die Thür gelehnt, die sich nach innen öffnete, und die sie auf solche Weise durch die Schwere ihres Körpers geschlossen hielt. Sie plauderte noch allerlei verworrenes Zeug durcheinander, sang dann mit lauter Stimme, und sagte endlich: »Ich bin heut Nacht etwas heiser, Jeanie, und kann nicht mehr singen. Ich glaube gar, ich werde einschlafen.« Sie ließ den Kopf auf die Brust sinken, und Jeanie hütete sich sorgfältig, sie zu stören. Einzig mit dem Gedanken der Flucht beschäftigt, sehnte sie sich nach einem ruhigen Augenblick, die Mittel und die Möglichkeit der Ausführung zu überdenken.

Der rastlose Geist ihrer Krankheit ergriff jedoch Magda bald wieder. Nachdem sie einige Minuten lang, mit halb geschlossenen Augen genickt hatte, erhob sie den Kopf, und sagte matt und gähnend, denn das angestrengte Reiten des heutigen Tages hatte ihr eine ungewohnte Schläfrigkeit gegeben: »Ich weiß nicht warum ich heut so müde bin, ich schlafe sonst niemals eher, bis der liebe Mond zu Bett geht. – Und nun gar wenn er voll ist, und hoch über uns in seinem großen silbernen Wagen rollt. Da hab' ich schon oft vor Freuden ganz allein mit mir getanzt, – oder es kamen Todte und tanzten mit, Hans Porteous oder sonst Einer, den ich bei Lebzeiten gekannt. – Denn Du mußt wissen, ich bin auch schon einmal todt gewesen.« Sie sang mit wildem aber leisen Ton:

»Begraben auf dem Kirchhof liegt
Mein Leib gar weit von hier;
Und es ist nur mein muntrer Geist,
Der jetzo spricht zu Dir.

Aber Jeanie, es weiß eigentlich Niemand recht, wer lebt oder wer todt ist. – Zuweilen denke ich, mein armes Kind ist todt, Du weißt ja, daß es begraben ist. Aber das thut nichts, ich habe es doch hundert und hundertmal auf dem Schooß gehabt seitdem, – und das ginge doch nicht, wenn es todt wäre.«

Das Bewußtsein der Wahrheit schien hier über ihre Wahngebilde zu siegen, sie brach in ein heftiges Weinen und Weherufen aus, bis sie zuletzt vom Jammern und Schluchzen ermüdet in einen festen Schlaf fiel, wie ihr tiefes Athemholen es bezeugte, und Jeanie ihren eigenen traurigen Betrachtungen überließ.


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