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Neuntes Kapitel.

Gesetz, nimm hin dein Opfer! – Möge sie
Die Gnad' in jenem milden Himmel finden,
Die diese harte Welt ihr weigert.

Es währte eine Stunde, ehe die Geschwornen zurückkehrten, und ein tiefes banges Schweigen herrschte in der Versammlung, indem sie langsam und mit feierlichem Ernst durch die Menschenmenge dahinschritten. Sie traten vor den Oberrichter, und ihr Vorsitzender überreichte ihm ein versiegeltes Papier, das ihr Erkenntniß enthielt. Er nahm es, erbrach das Siegel, las es durch und übergab es dann mit trübem Ernst dem Schreiber des Gerichts, welcher die noch unbekannte, doch von Allen geahnte Entscheidung in das Protokoll eintrug. Eine Förmlichkeit blieb noch übrig, von keiner Bedeutung an und für sich, wenn nicht die Einbildungskraft etwas Schauerliches damit verbände. Ein brennendes Licht wurde auf den Gerichtstisch gestellt, das Schreiben mit dem Erkenntniß der Geschwornen in ein Papier eingeschlagen und vom Lord Oberrichter eigenhändig versiegelt, um unter andern Urkunden dieser Art aufbewahrt zu werden. Bei dieser Feierlichkeit herrscht gewöhnlich ein tiefes Schweigen. Es ist als sei das Erscheinen und Erlöschen des Lichts ein Bild des menschlichen Lebensfunkens, der nun bald zu ähnlichem Erlöschen soll verurtheilt werden. Als diese Formalitäten beendet waren, forderte der Oberrichter Euphemia Deans auf, das Verdict anzuhören.

Nach den gewöhnlichen einleitenden Worten hieß es darin, die Geschwornen hätten mit Stimmenmehrheit die besagte Euphemia Deans des angeklagten Verbrechens für schuldig erklärt. Doch in Rücksicht auf ihre Jugend und die mildernden Umstände des Falles, bäten sie das Gericht dringend, sie der Gnade des Königs zu empfehlen.

»Sie haben eine peinliche Pflicht erfüllt, meine Herren,« sagte der Oberrichter. »Ich werde Ihren Wunsch vor den Thron bringen, doch hoffe ich wenig auf Gnade. Das Verbrechen des Kindermordes ist häufig in unserm Lande vorgekommen, und man hat dies einer allzu großen Gelindigkeit in Ausübung der Gesetze zugeschrieben. Ich glaube dies Allen, und besonders jenem unglücklichen jungen Mädchen sagen zu müssen, damit sie sich auf das Unvermeidliche gefaßt halte.«

Er schwieg. Die Geschwornen verbeugten sich, und ihres schmerzlichen Amtes entlassen, zerstreuten sie sich unter die Zuschauer. Da keine Einwendungen von Seiten des Anwalts erfolgten, so schritt man zur Verkündigung des Urtheils.

»Euphemia Deans,« redete der Oberrichter die Gefangene an, »höre den Ausspruch des Gerichts.«

Sie erhob sich von ihrem Sitz, ruhiger als man ihrem früheren Betragen nach erwarten konnte. Unser geistiges Gefühl gleicht hierin dem körperlichen; die ersten gewaltsamen Schläge bringen eine betäubende Gefühllosigkeit hervor, wodurch wir gleichgültig gegen die nachfolgenden werden. Still hörte sie die vorbereitenden und ermahnenden Worte des Richters an, nach welchen er den Urtheilsverkündiger berief, den Spruch über Leben und Tod abzulesen. Dieses schauerliche Geschäft fällt dort dem Inhaber eines noch grauseren Amtes, dem Nachrichter zu. Als dieser erschien, eine lange hagere Gestalt, in einer seltsamen Kleidung von schwarz und grau mit Silbertressen, schauderten alle unwillkürlich zurück und wichen vor ihm, wie er durch die Menge zu dem Sitzungstisch schritt. Auch die leiseste Berührung seines Kleides hielt man für eine Verunreinigung, und suchte sie sorgfältig zu vermeiden. Dumpf tönte es durch den weiten Saal von dem bangen, zurückgepreßten Aufathmen dieser großen Menschenmenge, die dem, was da kommen sollte, angstvoll entgegenharrte. Wie Vögel von böser Vorbedeutung das Tageslicht fliehen, so schien auch dieser Gegenstand des allgemeinen Abscheus, als sei er sich dessen bewußt, nur mit Widerwillen hier zu verweilen. Rauh und finster sprach er das Urtheil, Wort für Wort, wie der Schreiber des Gerichts es ihm leise vorsagte. Euphemia Deans, lautete es, sei verurtheilt ins Gefängniß zurückgebracht zu werden, und daselbst bis nächsten Mittwoch über sechs Wochen in Haft zu bleiben, an welchem Tage sie Nachmittags zwischen zwei und vier Uhr auf dem Richtplatz ihr Leben verlieren solle. »Und,« setzte er mit verstärktem Tone hinzu, »dies von Rechtswegen!«

Er verschwand nach diesem bedeutungsvollen Wort, wie ein böser Geist, wenn die Absicht seines Kommens erfüllt ist; doch sein Erscheinen und seine Botschaft hatten einen furchtbaren Eindruck zurückgelassen.

Die unglückliche Verurtheilte, obgleich leidenschaftlicher und reizbarer als ihr Vater und ihre Schwester, zeigte doch in diesem Augenblick keinen geringen Muth. Bewegungslos, mit geschlossenen Augen hatte sie vor den Schranken gestanden, so lange jener Furchtbare ihr gegenüber das Verdammungsurtheil aussprach. Allein sie war die erste, die das Schweigen brach, als die ängstigende Erscheinung sich zurückgezogen hatte.

»Gott vergebe Ihnen, meine Herren!« sagte sie. – »Nun, Sie handeln nach Ihrer Einsicht, und ich darf nicht murren; denn wenn ich auch mein armes Kind nicht getödtet habe, so bin ich doch Schuld an dem Tode meines alten Vaters. – Ich verdiene das Schlimmste von den Menschen, wie von Gott. – Aber Gott ist erbarmungsvoller gegen uns, als wir es gegen einander sind.«

Die Verhandlung war geschlossen; die Menge drängte sich hinaus, tumultuarisch wie sie hereingekommen, und hatte bei der neuen körperlichen Anregung den Eindruck gar bald vergessen, den jene erschütternde Vorgänge auf ihn gemacht. Durch Gewohnheit gleichgültiger gegen solche Scenen, gleich Aerzten bei dem Schnitt einer Wunde, gesellten die Rechtskundigen sich zu einander, zu zweien und dreien, und besprachen auf dem Heimwege das Gesetz und den Fall, auf welchen es angewendet worden; die Gründe und Beweise der Sachwalter, die Meinungen und Ansichten der Richter mußten sich gleichfalls ihrer Prüfung unterwerfen. Auch mehrere mitleidige Zuschauerinnen, unter denen wir einige alte Bekannte wieder erkennen, eiferten laut gegen den Lord Oberrichter, daß er der Verurtheilten alle Hoffnung auf Gnade benommen.

»Was braucht er sich da hinzustellen, und zu sagen, das arme Mädchen müsse sterben,« meinte Frau Heimlich, »wenn Herr Kirk, (der Vorsitzende der Geschwornen,) ein so angesehener Mann wie nur einer in der Stadt, selber für sie bittet.«

»Aber, Nachbarin,« erwiederte Jungfer Ziegenschrei, indem sie ihre dünne Gestalt zur vollen Höhe ihrer jungfräulichen Würde emporstreckte, »dem unnatürlichen Verbrechen des Bastardgebärens muß doch ein Ende gemacht werden. Man kann ja kein Mädchen unter dreißig ins Haus nehmen, wo nicht gleich Schreiber und Kaufdiener, und was nicht Alles zu ihrem Verderben hinter ihr her ist, und Einem noch obendrein das eigene ehrliche Haus in schlechten Ruf bringt. Nein, die Sache geht mir zu bunt.«

»Ei, Nachbarin, leben und leben lassen,« sagte Frau Heimlich. »Wir sind auch einmal jung gewesen, und müssen nicht gleich Arges denken, wenn Buben und Mädchen zusammen kommen.«

»Jung gewesen? Arges denken?« wiederholte Jungfer Grete beleidigt. »So alt bin ich eben noch nicht, Frau Heimlich; und was Ihr Arges denken nennt, so habe ich dem Himmel sei Dank, niemals etwas von dergleichen gewußt, weder im Guten noch im Bösen.«

»Ihr könntet ihm auch für was Besseres danken,« versetzte Frau Heimlich, den Kopf werfend, »und solch ein Küchlein könnt Ihr auch nicht mehr sein, denn bei der letzten schottischen Parlamentssitzung hattet Ihr schon Euer eigenes Gewerbe, und das war Anno sieben.«

Herr Peter Süßpflaum, der begleitende Ritter der beiden streitenden Damen, sah die obwaltende Gefahr, und suchte als Freund der Ruhe und friedlicher Nachbarschaft die Unterhaltung alsbald zu ihrem Ursprung zurückzuführen.

»Der Oberrichter,« begann er, »sagte nicht Alles, was er uns sagen konnte, Nachbarinnen, wegen der Begnadigung. Bei einem Rechtsgelehrten gibt's immer einen Hinterhalt. Aber die Sache ist so etwas von einem Geheimniß.«

»Was ist es? Was ist es?« riefen Beide zugleich, indem das Wort Geheimniß als ein mächtiges Bindungsmittel auf die gährenden Stoffe ihres Streits wirkte.

»Herr Sattelbaum hier kann besser Auskunft darüber geben als ich, denn von ihm hab' ich es,« sagte Süßpflaum, indem Sattelbaum mit seiner Frau am Arm hinter ihnen herkam.

Er sah sehr verdrießlich aus, und antwortete auch so, als jene ihm die Frage vorlegten. »Von häufigem Kindermord reden sie freilich,« sagte er verächtlich, »aber meint Ihr, unsere alten Feinde, die Engländer, fragen etwas darnach, ob wir einander umbringen, Mann und Weib und Kind, alle mit einander, omnes et singulos, wie Herr Querfeldein sagt? Ei behüte, das ist es nicht, was sie abhält, das arme Ding zu begnadigen. Ich will es Euch wohl besser sagen. Der König und die Königin sind so aufgebracht über die Porteousgeschichte, daß sie keinem ehrlichen Schotten wieder Gnade angedeihen lassen, und wenn auch ganz Edinburg an einem Strick sollte aufgeknüpft werden.«

»Man will für gewiß sagen,« bemerkte Jungfer Ziegenschrei, »daß König Georg seine Perücke ins Feuer geworfen, als er von dem Porteouslärm erfuhr.«

»Und daß die Königin in großer Wuth ihren Kopfputz zerriß, das habt Ihr doch auch gehört?« setzte Süßpflaum hinzu. »Und der König, sagen sie, haben Herrn Robert Walpole mit Füßen gestoßen, weil er den Pöbel von Edinburg nicht besser im Zaum halte; ich kann mir aber nicht denken, daß der König sich so unmanierlich betragen sollte.«

»Und doch ist die Sache gewiß,« sagte Sattelbaum; »und er war nahe daran, den Herzog von Argyle gleichfalls mit Füßen zu stoßen.«

»Den Herzog von Argyle mit Füßen stoßen!« riefen alle Zuhörer zugleich in all den verschiedenen Tönen des höchsten Erstaunens.

»Aber Mac Callummore's Blut konnte so etwas nicht ertragen,« sagte Sattelbaum weiter.

»Der Herzog ist ein wahrer Schotte, er meint es aufrichtig mit seinem Lande,« riefen jene wieder.

»Freilich, mit König und Land, wie Ihr gleich hören sollt,« fuhr der Redner fort, »wenn Ihr ein wenig zu mir hereinkommt; denn von solchen Dingen ist's am sichersten inter parietes zu sprechen.«

Als sie in den Laden traten, schickte er sogleich seinen Lehrburschen fort, schloß sein Schreibpult auf und nahm mit wichtiger, selbstgefälliger Miene ein zerknittertes, schmutziges Papier heraus. »Etwas ganz Nagelneues,« bemerkte er dabei, »kein Mensch als ich könnte Euch dergleichen zeigen. Es ist des Herzogs Rede über die Porteousangelegenheit, welche die Ausrufer in London erst seit ganz kurzer Zeit verkaufen. Ein Bekannter, den ich dort habe, kaufte sie im Schloßhof, und das ist dicht vor des Königs Nase. Sie kam mit in einem Brief wegen eines einfältigen Wechsels, den der Mann erneuern will. – Du solltest doch einmal nachsehen wegen der Sache, Frau.«

Die gute Frau Sattelbaum war so ernstlich bekümmert um die unglückliche Effie, daß sie ihren Mann hatte gewähren lassen, ohne auf das was er sagte zu achten. Die Worte Wechsel und erneuern machten sie jedoch aufmerksam. Sie ergriff den Brief, den Sattelbaum ihr hinhielt, wischte sich die Augen, setzte die Brille auf und suchte, so gut es das noch hervorquellende Naß erlaubte, sich von dem wesentlichen Theil der Zuschrift zu unterrichten, während ihr Ehegenoß mit pomphafter Erhebung der Stimme die herzogliche Rede vorzutragen begann.

Nach einer Weile unterbrach sie ihn jedoch mitten in ihrer Herrlichkeit. »Was soll das heißen, Sattelbaum? Hier stehst Du und schwatzest vom Herzog von Argyle, und der Hasenfuß in London will uns um baare sechzig Pfund bringen! – Welcher Herzog wird uns denn die ersetzen? – Ich wünschte nur, der Herzog von Argyle bezahlte seine eigenen Rechnungen. Er steht auch noch mit tausend Pfund schottisch bei uns angeschrieben. – Ich will damit nichts Böses gegen ihn gesagt haben, er ist ein gerechter, wackerer Herr, und das ist so gut wie baares Geld. – Aber man muß ja wahrhaftig ganz toll und ärgerlich werden, von Herzogen und wer weiß was salbadern zu hören, und da oben sitzen die Aermsten, die Jeanie Deans und ihr Vater in ihrer Betrübniß. Und noch obendrein den Burschen, der Lederriemen näht, aus dem Laden zu schicken, damit er sich draußen mit den Straßenbuben herumtummele. – Sitzt nur still, Nachbarin, es ist nicht meine Absicht Euch zu stören; aber dem guten Mann machen die Gerichtsgeschichten und Ober- und Unterparlamentssachen hier und in London den Kopf ein wenig warm.«

Die Gevatterinnen verstanden ein Wort zu seiner Zeit und nahmen so schnell als möglich Abschied, ohne sich von der schwachen Einladung am Schluß dieser Rede zurückhalten zu lassen. Sattelbaum flüsterte jedoch Süßpflaum zu, er würde ihn gegen Abend in der schon früher erwähnten Branntweinbude am Linnenmarkt aufsuchen, und Mac Callumore's Rede mitbringen, trotz alles Weibergezänks.

Als Frau Sattelbaum den Laden frei von lästigen Besuchen und das Lehrbürschchen wieder mit dem Pfriemen in der Hand sah, ging sie den unglücklichen Deans und Jeanie zu besuchen, die in ihrem Hause den nächsten gastfreundlichen Zufluchtsort gefunden hatten.


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