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Erstes Kapitel.

– Sie redet zweifelhafte Worte,
Die halben Sinn nur haben – ihre Rede
Ist nichts, doch führt die ungestalte Weise
Die Hörenden auf Schlüsse; man erräth,
Und ordnet ihre Wort' nach eignem Sinn.

Hamlet.

Gleich dem abschweifenden Dichter Ariost sehe ich mich genöthigt, die Zweige meiner Geschichte zu verbinden, indem ich die Abenteuer eines andern Charakters wieder aufnehme und sie bis zu dem Punkte führe, wo ich die der Jeanie Deans unterbreche. Es ist vielleicht keine sehr künstlerische Weise eine Geschichte zu erzählen, doch hat sie den Vortheil, daß sie die Nothwendigkeit erspart, die abgefallenen Maschen wieder aufzunehmen – wie eine Strickerin sagen würde, wenn die Strumpfwirker noch eine solche Person im Lande übrig gelassen haben – eine Arbeit, womit der Verfasser gemeiniglich sehr beschäftigt ist, ohne jedoch viel Vortheil für seine Mühe zu ernten.

»Ich möchte eine kleine Wette wagen,« sagte der Gerichtsschreiber, »daß dieser Schurke Ratcliffe, wenn man ihm das Leben schenkte, mehr als zehn unserer Polizeisoldaten und Gerichtsdiener thun würde, um uns aus dieser Klemme wegen des Porteous zu bringen. Er ist wohlbekannt mit allen Schmugglern, Dieben und Banditen in und um Edinburg; und in der That könnte man ihn den Vater aller Uebelthäter in ganz Schottland nennen, denn er hat an zwanzig Jahr unter dem Namen Vater Rat mit ihnen zugebracht.«

»Ein feiner Schuft das,« versetzte der Richter, »um auf ein Stadtamt Anspruch zu machen!«

»Um Verzeihung,« sagte der Polizeiaufseher Scharfenklau, »ich glaube, Herr Schreibgut hat Recht. Gerade so einen wie Ratcliffe braucht die Stadt. Heilige geben sich nicht dazu her, und taugen nicht dazu, nach Dieben und verbotenen Waaren zu suchen; und jenes verarmte, heruntergekommene Völkchen, das noch von seinem bessern Stande her eine zarte Haut und ein zartes Gewissen hat, kann uns auch nicht viel dabei nützen. Der Hans Porteous wog ein Dutzend solcher auf; dem war weder vor Hölle noch Teufel bange, wenn es galt einen Auftrag seiner Obern auszuführen.«

»Er hat der Stadt Dienste geleistet,« sagte der Richter, »obgleich er selbst ein sittenloser Mensch war. Wenn Ratcliffe uns helfen könnte, seine Mörder zu entdecken, wollte ich ihm wohl für sein Leben stehen, und für eine Belohnung obendrein. Man wird uns diese Sache dort oben sehr übel nehmen. Die Königin Caroline ist ein Weib, und Weiber, – Sie, Herr Schreibgut, obgleich ein Junggesell, wissen es gewiß so gut wie wir, denn Sie haben eine Haushälterin – sind eigensinnig, und können es nicht ertragen, wenn man ihren Willen geringschätzt. Und wenn sie nun hört, daß nach einer so verzweifelten Geschichte noch kein Mensch deshalb eingezogen worden!«

»Wenn Sie meinen, Herr,« sagte Scharfenklau, »könnten wir leicht einiges Gesindel als verdächtig aufgreifen. Es wird uns ein Ansehen von Thätigkeit geben; und ich habe eine Anzahl Leutchen auf meiner Liste, denen ein paar Wochen Einkerkerung ganz und gar nicht schaden kann. Und geschieht ihnen auch diesmal Unrecht damit, so kann man es ihnen ja das nächste Mal zu gut rechnen, wo sie es wirklich verdienen.«

»Ich will mit dem Präsidenten sprechen wegen Ratcliffe,« sagte der Richter. »Kommen Sie mit, Herr Scharfenklau. – Vielleicht kann uns auch die Geschichte mit Butler und seinem wunderlichen Unbekannten zu einigem Licht verhelfen.«

Diesen Verhandlungen zufolge erhielt Scharfenklau, ein Mann, der großes Vertrauen besaß, noch an demselben Tage den Auftrag, zu thun, was der guten Stadt in gegenwärtiger Verlegenheit am ersprießlichsten sei; weshalb er sich nach dem Gefängniß begab, um vor allen Dingen mit Ratcliffe zu sprechen, und ihn, wie er hoffte, auszuforschen.

Nach den verschiedenen Umständen ist auch die Weise verschieden, wie die Diener der Gerechtigkeit sich den Dieben entgegenstellen. Das dem Anscheine nach sehr treffende Gleichniß vom Habicht, der auf seine Beute herabstößt, ist nicht immer anwendbar. Oft gleicht der Gerichtsbeamte einer Katze, welche zögert, auf die Maus loszuspringen, lauernd jedoch, daß die kleine Diebin ihr nicht entschlüpfe. Zuweilen wendet er auch die der Klapperschlange zugeschriebene List an, und begnügt sich damit, sein ängstlich flatterndes Opfer anzustarren, gewiß, daß Furcht und Verzweiflung es ihm endlich zuführen. Die Zusammenkunft Ratcliffe's mit Scharfenklau war noch anderer Art. Sie saßen fünf Minuten lang schweigend an einem kleinen Tisch einander gegenüber und sahen sich mit scharfen, listig spähenden Blicken an, worin eine Neigung zum Lachen bemerkbar, wie zwei Hunde, die mit einander spielen, eine Zeitlang hingestreckt sich angaffen, erwartend, welcher von beiden zuerst seine Sprünge beginnen wird.

»Ich höre Ihr wollt Euer Geschäft aufgeben, Herr Ratcliffe,« sagte der Polizeibeamte, der es seiner Würde gemäß hielt zuerst zu sprechen.

»Ja Herr,« erwiederte Ratcliffe, »auf den Markt will ich nicht mehr gehen. Und ich glaube, das wird Euren Leuten einige Arbeit ersparen, Herr Scharfenklau.«

»Welche ihnen Hans Dalgleish« – der damalige Vollstrecker der Todesurtheile in Edinburg – »eben so leicht ersparen könnte,« war die Antwort des Beamten.

»Ja, wenn ich es hier im Gefängniß abwarte, bis er mir die Halsbinde in Ordnung bringt – doch das sind unnütze Reden, Herr Scharfenklau.«

»Je nun, Ihr wißt es, denke ich, daß Euch der Tod bestimmt ist?«

»Uns allen, wie jener ehrwürdige Prediger in der Zollhauskirche sagte, den Tag, als Robertson davonlief – uns allen, es weiß nur keiner wann. Meiner Treu, er hatte bessern Grund zu seinen Worten, als ich dachte, wie sich's später in der Nachtgeschichte auswies!«

»Dieser Robertson,« sagte Scharfenklau in leiserem, etwas vertraulichern Tone, »wisset Ihr, Rat, – das heißt, könnt Ihr mir nicht einen Wink geben, wo von ihm zu hören ist?«

»Seht, Herr Scharfenklau, um aufrichtig mit Euch zu reden, dieser Robertson ist eigentlich von etwas vornehmerem Schlage als ich. Ein wilder Teufel war er, und manchen tollen Streich hat er gespielt; aber den Handel mit dem Zolleinnehmer, wozu Wilson ihn verleitete, und dies und jenes Scharmützel mit den Grenzwächtern ausgenommen, fiel er uns nie ins Handwerk.«

»Hm! das ist seltsam, wenn man die Gesellschaft bedenkt, mit der er umging.«

»In der That, auf Ehre und Glauben,« sagte Ratcliffe ernst. »Er hielt sich von unsern Angelegenheiten fern, was sich nicht von Wilson rühmen ließ; denn mit dem habe ich manches hübsche Stück Arbeit ausgeführt. Doch der Bursche wird zu seiner Zeit dahin kommen, daran ist nicht zu zweifeln; Niemand kann ein Leben führen wie er, ohne früher oder später dahin zu kommen.«

»Wer oder was ist er, Ratcliffe? Ihr wißt es vermuthlich!« sagte Scharfenklau.

»Er ist von höherer Geburt, glaube ich, als er zugeben will. Er war Soldat und Schauspieler, und ich weiß nicht, was er alles war, oder nicht war, denn tolles Zeug hat er genug gemacht, so jung er auch ist.«

»Hübsche Streiche muß er gespielt haben, nicht wahr?«

»Das läßt sich denken,« sagte Ratcliffe mit listigem Lächeln, indem er den Finger an die Nase legte, »und ein Teufel war er unter den Mädchen.«

»Wahrscheinlich genug,« sagte Scharfenklau. »Nun, Ratcliffe, wir wollen nicht viel Umstände machen. Ihr wißt, was Ihr zu thun habt, um Euch in Gunst zu setzen; Ihr müßt Euch nützlich machen.«

»Freilich, Herr, so viel ich kann. Um nichts geschieht nichts, das weiß ich recht gut.«

»Nun ist gegenwärtig dieser Tumult wegen des Porteous das Wichtigste für uns; und wenn Ihr uns da ein wenig Aufschluß geben könnt, so ist das Amt eines innern Schließers ein hübscher Anfang, und das eines Oberaufsehers späterhin – Ihr versteht mich?«

»Was wollt' ich nicht, Herr; ein Wink ist so gut wie ein Rippenstoß für ein blindes Pferd. Aber was den Porteous-Tumult betrifft, da mag Euch der Himmel helfen; ich war ja die ganze Zeit über im Gefängniß. – Lachen mußt' ich freilich, das ist wahr, den Kerl, den Hans Porteous so um Gnade wimmern zu hören, als ihn die Burschen packten! Ihr habt mir manchmal heiß gemacht, Freund, dacht' ich, nun könnt Ihr schmecken wie's Hängen thut.«

»Damit kommt Ihr nicht durch, Rat, damit kommt Ihr nicht durch. Ihr müßt rund heraus sprechen, Bursche, wenn Ihr Euch beliebt machen wollt. Eine Hand wäscht die andere, wißt Ihr wohl.«

»Ich weiß nicht, was Ihr rund heraus sprechen nennt, Herr,« sagte Ratcliffe sehr ehrbar und mit anscheinender Unbefangenheit, »wenn ich doch während des ganzen Vorganges im Gefängniß saß?«

»Und wie können wir Euch loslassen, Rat, wenn Ihr nicht etwas thut oder sagt, um es zu verdienen?«

»Nun meinetwegen, wenn's sein muß, will ich's sagen, daß Georg Robertson unter den Burschen war, die in das Gefängniß hereinstürmten. Es wird mir von Nutzen sein, meint Ihr, nicht wahr?«

»Seht, das ist, was ich rund heraus sprechen nenne. Und nun, Rat, wo meint Ihr wohl, daß wir ihn finden?«

»Das mag der Teufel wissen!« sagte Ratcliffe; »zu einem seiner vorigen Eulennester wird er nicht wieder zurückgehen. Vermuthlich ist er jetzt schon über alle Berge; denn er hat irgendwo vornehme Freunde, so ein Taugenichts er auch ist. Er hat eine gute Erziehung gehabt.«

»Um so besser wird er den Galgen zieren,« sagte Scharfenklau; »so ein verzweifelter Schurke, einen Diener der Obrigkeit zu morden, weil er seine Schuldigkeit gethan! Wer kann sich denn sicher glauben, wenn so etwas ungestraft bleibt. – Aber sahet Ihr ihn gewiß?«

»So gewiß ich Euch sehe.«

»Wie war er gekleidet?«

»Genau weiß ich's nicht. So eine Art von Weiberkappe trug er über den Kopf. Ihr habt in Eurem Leben kein so tolles Gedränge gesehen. Man hatte nicht Augen genug für Alles.«

»Und sprach er mit keinem?«

»Sie schrien und schwatzten alle durcheinander,« erwiederte Ratcliffe, der nicht gerne mehr sagen wollte, als er gerade wußte.

»Damit kommt Ihr nicht weg, Ratcliffe, Ihr müßt Alles sagen – Alles – Alles,« rief Scharfenklau, indem er bei jeder Wiederholung des Worts mit Nachdruck auf den Tisch schlug.

»Es ist ein harter Punkt, Herr; und wäre es nicht um das Schließeramt« –

»Und um das Versprechen des Oberaufseherspostens, Mann; im Fall guten Betragens nämlich.«

»Ja, ja, gutes Betragen!« versetzte Ratcliffe; »da steckt eben der Knoten. Und dann heißt's, auf todter Leute abgelegte Schuh warten.«

»Aber Robertson's Kopf wird etwas wiegen, Rat. Die Stadt muß sich erkenntlich zeigen, das ist nicht mehr als recht und billig.«

»Es ist eine wunderliche Art, das Handwerk der Ehrlichkeit anzufangen,« sagte Ratcliffe. »Aber – hol's der Teufel! – Wißt denn, ich hörte und sah ihn mit dem Mädchen, der Effie Deans, sprechen, die wegen Kindermords hier ist.«

»Gewiß und wahrhaftig, Rat? – Ei, das bringt uns auf einmal auf die Spur. – Jener der dort mit Butler sprach, und Jeanie Deans bei den Muschat-Steinen treffen wollte, so wahr ich lebe, er ist es, er ist der Vater des Kindes.«

»Kein unebener Schluß,« bemerkte Ratcliffe, indem er den Tabak, den er kaute, im Munde herumwälzte und ausspie. »Es verlautete einmal, daß er sich mit einer hübschen Dirne herumtrieb, und daß Wilson alle Noth hatte, ihn nur vom Heirathen abzuhalten.«

Einer von Scharfenklau's Unterbedienten trat jetzt ein, ihm zu melden, sie hätten nun das Mädchen im Verwahrsam, welches er herzubringen befohlen.

»Es ist eigentlich nicht mehr nöthig,« sagte Scharfenklau; »die Sache nimmt eine andere Wendung. Doch könnt Ihr sie hereinbringen.«

Jener ging, und mit ihm erschien bald darauf ein hoch aufgeschossenes Mädchen von achtzehn bis zwanzig Jahren, in höchst seltsamer Kleidung. Sie trug eine blaue Reitjacke mit fahl gewordenen Tressen besetzt, und einen Rock von scharlachrothem Camelot mit verblichener Stickerei. Ihr Haar war hoch aufgeschlagen, von ihrer schottischen Mütze hing ein großer Busch geknickter Federn herab. Ihre Züge waren stark und männlich; doch ließen feurige, wild blickende Augen von glänzendem Schwarz, eine Adlernase und das scharfbezeichnete ihrer Gesichtsbildung sie in einiger Entfernung hübsch erscheinen. Sie schwang die Reitgerte, die sie in der Hand hielt, machte eine tiefe Verbeugung, und begann das Gespräch, ohne abzuwarten, bis man sie fragte.

»Schönen guten Abend, Ew. Gnaden – guten Abend, Vater Rat. Sie sagten, man hätte Euch schon aufgehängt; oder seid Ihr halb gehängt davon gelaufen, wie Dickson?«

»Halt's Maul, Du tolle Dirne,« sagte Ratcliffe, »bis Du gefragt wirst.«

»Von Herzen gern, Ratchen. – Was doch der armen Magda heute für eine Ehre widerfährt, daß sie in einem gestickten Kleide von so vornehmen Leuten durch die Straßen geführt wird, und die ganze Stadt sie angafft, und sie mit Gerichtsdienern und Schreibern und all dergleichen sprechen kann.«

»Ei, Magda,« sagte Scharfenklau in schmeichelndem Tone, »Du bist ja heute so geputzt? Das sind doch nicht Deine Alltagskleider?«

»Den Teufel mögen sie!« sagte Magda. »Ei, sieh doch!« (eben trat Butler herein) »ein Gottesmann hier? Wer wird nun sagen, es sei ein gottloser Ort? – Gewiß haben sie ihn um den guten alten Glauben festgesetzt. – Mich geht's aber nichts an.« – Und damit tanzte sie trillernd umher:

»Heisa, Ihr jungen Cavaliere,
Tralalala, tralalala,
Beelzebub der alte ist da –
Und Oliver bebet vor Furcht.«

»Sahen Sie dies tolle Frauenzimmer je zuvor?« fragte Scharfenklau Butler.

»Meines Wissens nicht, Herr,« erwiederte Butler.

»Ich glaube selbst,« sagte der Polizeibeamte, indem er Ratcliffe ansah, der seinen Blick mit einem vertraulich bejahenden Wink erwiederte.

»Aber dies ist Magda Wildfeuer, wie sie sich nennt,« fuhr Scharfenklau zu Butler gewendet fort.

»Freilich bin ich's,« sagte Magda, »und ich bin es gewesen seit der Zeit, wo ich etwas Besseres war. – Ach!« – Ein Ausdruck der Schwermuth weilte einige Augenblicke auf ihren Zügen. – »Ich kann mich nicht erinnern wann das war; doch es ist lange her, und ich will mir keine unnütze Sorge darum machen.

Wie Feuer durcheil' ich Stadt und Land:
Man sieht mich am Kreuzweg, man sieht mich im Thal,
Der Blitzstrahl flammt so hell und frei,
Doch ist er kaum flinker und munt'rer als ich.«

»Still, Du Schreiteufel!« rief ihr der Gerichtsdiener zu, der sie hergebracht; »still, sonst werde ich Dir Ursach zum Schreien geben.«

»Laß sie,« sagte Scharfenklau, »mach sie nicht verdrießlich; ich habe sie noch allerlei zu fragen. – Doch erst, Herr Butler, betrachten Sie sie noch einmal.«

»Thut das, Prediger, thut das!« rief Magda; »ich bin so gut werth, daß Ihr mich anseht, als irgend eins von Euren Büchern. – Und ich kann die zehn Gebote hersagen und das Vaterunser, und – das heißt,« fügte sie leiser hinzu, »ich konnte es einst, – aber es ist lange her, – und man vergißt es wohl« – und sie seufzte tief bei diesen Worten.

»Nun, Herr,« sagte Scharfenklau zu Butler, »was sagen Sie nun?«

»Was ich zuvor sagte,« erwiederte Butler, »daß ich das arme Geschöpf jetzt zum erstenmal in meinem Leben sehe.«

»So ist es nicht dieselbe, welche die Aufrührer nach Ihrer Aussage Magda Wildfeuer nannten?«

»Gewiß nicht,« sagte Butler. »Diese kann ungefähr dieselbe Größe haben, sonst ist keine Aehnlichkeit da.«

»So ist die Kleidung nicht dieselbe?«

»Ganz und gar nicht.«

»Magda, mein Kind,« sagte Scharfenklau, »was thatest Du denn gestern mit Deinen Alltagskleidern?«

»Ich weiß es nicht mehr.«

»Wo bist Du denn gestern Abend gewesen?«

»Von gestern weiß ich nichts mehr. Ein Tag macht Einem schon genug zu schaffen, und oft mehr als genug.«

»Aber Du würdest Dich vielleicht erinnern, wenn ich Dir diese halbe Krone gäbe?« Dabei zeigte er ihr das Geld.

»Lachen würde ich, aber mich erinnern ganz und gar nicht.«

»Doch wie, wenn ich Dich nun in's Arbeitshaus schicke, und Dich mit der Zuchtruthe begrüßen lasse?«

»Da würde ich weinen, aber mich erinnern gewiß nicht.«

»Herr,« sagte Ratcliffe, »über vernünftiger Leute Gründe ist die viel zu weit hinaus, als daß sie sich um Geld oder um die Zuchtruthe kümmern sollte; aber ich könnte wohl etwas von ihr herausbringen, mein' ich.«

»So versucht es,« sagte Scharfenklau, »ich bin dieses tollen Geschwätzes so schon überdrüssig.«

»Magda,« sagte Ratcliffe, »was für Schätzchen hast Du denn jetzt?«

»Wenn Dich Jemand fragt, sag' Du weißt's nicht. – Seht doch den alten Rat, von meinen Schätzchen zu sprechen!«

»Ich sollte doch meinen, Du müßtest welche haben?«

»Freilich hab' ich,« sagte Magda, mit dem stolzen Kopfwerfen beleidigter Schönheit, »da ist Robin der Wilde, und der flandrische Wilhelm, und da ist Georg Robertson, – ja, ja Mann, der feine Georg, – was sagt Ihr zu dem?«

Ratcliffe lachte, und dem Polizeibeamten zuwinkend, setzte er die Untersuchung auf seine Weise fort. »Aber Magda, die Burschen machen sich nur etwas aus Dir, wenn Du Deine schönen Kleider angezogen hast; in Deinen Alltagslumpen würden sie Dich nicht mit der Feuerzange berühren.«

»Du bist ein häßlicher alter Lügner; denn noch gestern zog der vornehme Georg Robertson meine Alltagskleider auf seinen eignen hübschen Leib, und ging damit durch die ganze Stadt. Und schön und prächtig sah er darin aus, wie eine Königin.«

»Kein Wort glaub' ich davon,« sagte Ratcliffe, dem Polizeibeamten zuwinkend. »Die Lumpen waren wohl von Mondscheinfarbe, Magda? Der Rock von scharlachrothem Himmelblau? Nicht wahr?«

»Warum nicht gar!« erwiederte Mazda, die im Eifer des Widerspruchs Alles verrieth, was sie bei größerer Besonnenheit gern verborgen hätte. »Weder scharlachroth noch himmelblau; meinen alten braunen Rock hatte er an, und meiner Mutter alte Kappe, und meinen dunkelrothen Ueberrock. – Und er gab mir eine Krone und einen Kuß für das Leihen. – Das liebe Gesicht, Gott behüt' es! kommt es mir gleich theuer zu stehen.«

»Und wo wechselte er seine Kleider wieder, Kind?« fragte Scharfenklau so freundlich er nur konnte.

»Herr Scharfenklau hat Alles verdorben,« sagte Ratcliffe trocken.

Und er hatte Recht; das Bestimmte dieser Frage erinnerte Magda augenblicklich, sie müsse das verschweigen, zu dessen Mittheilung Ratcliffe's List sie so gut zu führen gewußt.

»Was wolltet Ihr wissen, Herr?« sagte sie, und verschmitzt bei all ihrer Tollheit, wußte sie schnell den Schein der Dummheit anzunehmen.

»Ich fragte, zu welcher Stunde und an welchen Ort Robertson die Kleider zurückgebracht habe?«

»Robertson? – Gott behüte uns! Welcher Robertson?«

»Nun der, von dem Du gesprochen – der feine Georg, wie Du ihn nennst.«

»Der feine Georg?« rief sie mit verstellter Verwunderung. »Ich kenne keinen, der so heißt.«

»Komm Liebchen,« sagte Scharfenklau, »das hilft Alles nicht; Du mußt sagen, was Du mit Deinen Kleidern gemacht hast.«

Magda antwortete nur mit einer Stelle aus einem alten Liede.

Der Polizeibeamte war in Verzweiflung. »Ich muß Mittel anwenden,« sagte er, »um dieses tolle Weibsbild zum Sprechen zu bringen.«

»Mit Eurer Erlaubniß, Herr,« sagte Ratcliffe, »es wäre besser, Ihr ließet sie erst wieder etwas ruhig werden. Ihr habt ja schon Manches von ihr herausbekommen.«

»Es ist wahr,« versetzte Scharfenklau, »ein brauner Rock, eine Kappe, ein rother Ueberrock – war Ihre Magda Wildfeuer so gekleidet, Herr Butler?«

Butler bejahte es.

»Bei solchen Streichen hatte er freilich hinreichenden Grund, dieses tollen Geschöpfs Namen und Kleidung zu borgen.«

»Und ich erkläre nun ebenfalls« – sagte Ratcliffe.

»Da Ihr seht, daß es ohne Euch herausgekommen,« fiel Scharfenklau ein.

»Ja wohl, Herr,« erwiederte Ratcliffe, »ich erkläre, da es nun doch herausgekommen, daß ich Robertson gestern Nachts, als er an der Spitze der Aufrührer ins Gefängniß stürmte, in diesen Kleidern gesehen habe.«

»Das ist ein bestimmtes Zeugniß,« sagte Scharfenklau, »merkt's Euch, Rat. – Ich werde dem Herrn Präsidenten einen günstigen Bericht von Euch machen, denn ich habe heute noch für Euch zu thun. Es ist spät, ich muß nach Hause und ein paar Bissen nehmen – ich werde bald hier zurück sein. Behaltet Magda bei Euch, Ratcliffe, und bemüht Euch, sie wieder in gute Laune zu bringen.« Mit diesen Worten verließ er das Gefängniß.


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