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Zweites Kapitel.

Und einige pfiffen – und einige sangen,
Und einige sagten dort,
Als laut Lord Barnard's Horn ertönte:
»Fort, Musgrave, eile fort!«

Die Ballade vom kleinen Musgrave.

Als Scharfenklau in den Kerker von Edinburg zurückgekehrt war, erneuerte er sein Gespräch mit Ratcliffe, von dessen Beistand und Geschicklichkeit er sich nun versichert hielt. »Ihr müßt mit dieser Dirne reden, Rat – mit dieser Effie Deans – Ihr müßt ihr ein wenig auf den Zahn fühlen. Ganz gewiß kennt sie Robertson's Schlupfwinkel. Geht nur, geht nur geschwind.«

»Nicht für ungut, Herr,« sagte der angehende Schließer, »das kann ich nicht.«

»Das könnt Ihr nicht? Was zum Teufel fällt Euch denn ein? Ich dachte die Sache wäre abgemacht unter uns?«

»Herr, ich habe diese Effie in meinem Leben nicht gekannt; und dies Haus hier mit seiner Art und Weise, und unsre ganze Art und Weise ist ihr fremd. Und sie weint, das närrische Ding, und zergrämt sich um den wilden Buben; und wenn er durch sie ins Unglück käme, würde ihr gar das Herz brechen.«

»Dazu wird nicht viel Zeit bleiben,« entgegnete Scharfenklau, »dem wird wohl der Strick zuvorkommen. So geschwind bricht ein Weiberherz nicht.«

»Kommt drauf an von was für Stoff es ist, Herr. – Doch kurz von der Sache, ich kann es nicht thun. Es ist gegen mein Gewissen.«

»Euer Gewissen, Bursche?« sagte Scharfenklau mit Hohnlachen.

»Nun ja, Herr,« erwiederte Ratcliffe sehr ruhig, »mein Gewissen. Jedermann hat eins, wenn es auch schwer ist, ihm beizukommen. Meins ist so gut außerm Schuß als der meisten Leute ihrs; doch geht's damit wie mit der Ellbogenspitze, manchmal kriegt man einen Stoß weg, und da schmerzt es eine Weile.«

»Wohl, Rat, da Ihr so zartsinnig seid, will ich selbst mit ihr sprechen.«

Wirklich ließ Scharfenklau sich zu dem kleinen dunkeln Zimmer führen, das die unglückliche Effie jetzt bewohnte. Sie saß matt angelehnt auf ihrem Strohbettchen, in ein tiefes Träumen verloren. Einige Speise stand auf dem Tisch, von besserer Art, als Gefangene sie wohl sonst erhalten, allein sie war unberührt. Der Gefängnißwärter, unter dessen Aufsicht sie stand, sagte, daß sie oft in vier und zwanzig Stunden nichts als einen Trunk Wasser genösse.

Scharfenklau nahm einen Stuhl, gebot dem Schließer sich zu entfernen, und begann das Gespräch, indem er sich bemühte seinem Ton und seiner Miene so viel Mitleidiges zu geben, als sie füglich ausdrücken konnten; denn jener war hart und rauh, diese listig, streng und selbstsüchtig.

»Nun Effie, wie ist's? Wie geht's, Kind?« Ein tiefer Seufzer war die Antwort.

»Geht man hier höflich mit Euch um? Es ist meine Schuldigkeit darnach zu fragen.«

»Sehr höflich, Herr,« sagte Effie, sich zur Antwort zwingend, doch ohne recht zu wissen was sie sprach.

»Und die Speisen, – gibt man Euch was Ihr gern habt? Oder möchtet Ihr wohl etwas Anderes, denn Eure Gesundheit scheint nicht sonderlich?«

»Es ist Alles sehr gut, Herr, ich danke Ihnen,« sagte die arme Gefangene in einem Ton, nur allzu verschieden von jenem lebhaft muntern der Lilie von St. Leonards. »Es ist sehr gut, – zu gut für mich.«

»Das muß ein rechter Schurke sein, Effie, der Euch dazu gebracht hat,« sagte Scharfenklau.

Diese Bemerkung entsprang theils aus einem natürlichen Gefühl, von dem er sich trotz seiner gewohnten Härte nicht ganz losmachen konnte, theils aus der Absicht, das Gespräch auf diesen Gegenstand hinzuleiten. »Gewiß und wahrhaftig; das muß ein rechter Schurke sein,« wiederholte er; »ich wollte nur ich könnte ihn derb auspeitschen lassen.«

»Meine Schuld ist größer als die seinige,« sagte Effie; »ich habe es besser vor mir gesehen. Aber er, der Aermste,« – Sie hielt inne.

»War ein Taugenichts,« ergänzte Scharfenklau. »Ein Fremdling hier zu Lande, Effie, und ein Kumpan jenes nichtsnutzigen Kerls, des Wilson.«

»Es wäre ein Glück für ihn gewesen, wenn er Wilson niemals gesehn hätte.«

»Da habt Ihr Recht, Effie. – Wo kamt Ihr denn gewöhnlich mit Robertson zusammen, Kind? Beim Calton-Grunde, nicht wahr?«

Bis dahin war das arme niedergebeugte Mädchen dem Wege gefolgt, den Scharfenklau sie führte. Denn was er listig vorbrachte, war so auf ihren gegenwärtigen Seelenzustand berechnet, daß ihre Antworten nur eine Art lauten Denkens wurden, zu welchem Selbstvergessen die von Natur oder durch den Druck der Leiden zur Geistesabwesenheit Geneigten leicht zu führen sind. Allein die letzte forschende Frage weckte sie augenblicklich aus diesem Traum.

»Was war es, das ich sagte?« rief sie, indem sie plötzlich sich aufrecht setzte, und ihr aufgelöstes Haar von dem bleichen, doch immer noch schönen Antlitz zurückschlug. Sie heftete die Augen kühn und durchdringend auf Scharfenklau: »Sie sind zu edel, Herr, – zu sehr Biedermann, um darauf zu achten, was ein unglückliches Geschöpf hervorbringt, das kaum noch seine Sinne hat. – Helfe mir Gott!«

»Zu Eurem Besten, Effie,« sagte Scharfenklau zuredend; »ich möchte gern etwas zu Eurem Besten thun; und nichts könnte Euch so dienlich sein, Kind, als wenn wir den Schurken, den Robertson, fingen.«

»O geben Sie ihm keinen Schimpfnamen, Herr, der Sie niemals beschimpfte! – Robertson? – Ich habe gegen keinen dieses Namens etwas zu sagen, und werde nichts sagen.«

»Aber wenn Ihr nicht Euer eignes Unglück bedenkt, so solltet Ihr doch bedenken, welchen Jammer er über die Eurigen gebracht hat.«

»O stehe Gott mir bei!« rief die Unglückliche; »mein armer Vater, – meine liebe Jeanie! – dies ist das Bitterste! Ach, Herr, wenn Sie menschlich sind, wenn Sie nur einen Funken von Mitleid haben – denn die Leute hier sind hart wie Stein, – so befehlt ihnen, meine Schwester Jeanie hereinzulassen, wenn sie das nächste Mal kommt. Ach, wenn ich sie so an der Thür abweisen höre, und kann nicht zu dem hohen Fenster da oben hinaufklimmen, nur den Zipfel ihres Kleides zu sehn, so bringt es mich beinahe um meine Sinne.« Und dabei sah sie ihn so mit ernstlich bittender, und doch so demüthiger Miene an, daß sie den festen Vorsatz, mit dem er gekommen, ganz und gar wankend machte.

»Ihr sollt Eure Schwester sehen,« fing er an, »wenn Ihr mir sagt, – nein,« fügte er sich selbst unterbrechend schneller hinzu, »Ihr sollt sie sehen, Ihr mögt mir etwas sagen oder nicht.« Hiermit stand er auf und verließ das Zimmer.

»Ihr habt Recht, Ratcliffe,« sagte er, als er wieder zu diesem kam; »mit dem Mädchen ist nichts anzufangen. Einer Sache jedoch bin ich nun gewiß, daß nämlich Robertson der Vater des Kindes ist, und so wird er es auch wohl sein, der heute Nacht mit Jeanie Deans bei den Muschat-Steinen zusammenkommt; und da wollen wir ihn packen, Rat, oder mein Name ist nicht Gideon Scharfenklau.«

Es schien Ratcliffe eben nicht sehr darum zu thun, Robertson verhaftet zu wissen, und er machte allerlei Einwendungen und Querzüge, die Sache zu hintertreiben; am wenigsten hatte er Lust selbst mit auf den Fang zu gehen. Allein Scharfenklau, der ihn als Spürhund gebrauchen wollte, ließ ihn nicht durch: »Ihr müßt mit, guter Freund,« sagte er; »Ihr kennt die Schliche.«

»Nun wenn's nicht anders sein soll, Herr. – Aber bedenkt, er ist ein verzweifelter Kerl.«

»Thut nichts, dafür wollen wir schon sorgen.«

»Und wie ich Euch in der Nacht zu den Muschat-Steinen bringen soll, weiß ich ganz und gar nicht. Am Tage kenne ich den Ort gut genug, aber bei Mondschein unter den vielen Steinen und Felsen, wo einer aussieht wie der andere, kann ich mich nicht zurechtfinden.«

»Was soll das heißen, Ratcliffe?« sagte Scharfenklau, ihn finster ansehend; »habt Ihr vergessen, daß Euer Todesurtheil noch nicht widerrufen ist?«

»Nein, Herr, so was vergißt sich nicht so leicht; und wenn meine Gegenwart nöthig ist, so gehe ich mit. Aber ich wollte nur sagen, daß die Magda Wildfeuer eigentlich Weg und Steg besser kennt als ich.«

»Wirklich? Und glaubt Ihr, man könne, toll wie sie ist, sich ihrer Führung anvertrauen?«

»Wie Ihr meint, Herr. – Aber ich würde schon sehen, daß sie bei Laune bliebe, und nicht vom geraden Wege abginge. Das unsinnige Ding treibt sich oft ganze Sommernächte in den Bergen dort herum, und schläft auch da.«

»Nun, Ratcliffe, wenn Ihr denkt, sie werde uns den rechten Weg führen. – Aber seht Euch wohl vor, – Euer Leben hängt von Eurem jetzigen Benehmen ab.«

»Schlimm fürwahr,« dachte Ratcliffe bei sich selbst, »ist Einer erst so tief hinein in die Sünde als ich, so kann er gar nicht mehr ehrlich sein, er mag's anfangen wie er will.«

Diesen Betrachtungen überließ ihn Scharfenklau auf einige Minuten, um die nöthigen Vorbereitungen zu ihrem nächtlichen Gang zu treffen.

Der aufgehende Mond sah die Wandernden bereits außerhalb der Stadtmauern. Die Salisbury-Felsen, gleich einem gewaltigen Gürtel von Granit, Arthurs Sitz, wie ein ruhender Löwe von furchtbarer Größe, lagen im Nebellicht vor ihnen. Sie waren im Anfang vier an der Zahl: Scharfenklau und ein Häscher, beide wohl bewaffnet mit Pistolen und Hirschfängern, Ratcliffe, dem man keine Waffen anvertraut hatte, und das Mädchen. Am Eingang der Berge stießen noch zwei andere Häscher zu ihnen, von Scharfenklau vorausgesandt, um Aufsehen zu vermeiden. Ratcliffe sah diese Verstärkung ungern. Er hatte bis jetzt geglaubt, Robertson, ein junger kühner Mann, würde dem Polizeiaufseher und seinem Gehülfen durch Kraft oder Gewandtheit leicht zu entgehen wissen, ohne daß er selbst dadurch in Verdacht käme. Allein jetzt war die Gegenzahl zu stark, und Robertson's Rettung (wozu der alte Sünder gern beitrug, in so weit er es ohne eigene Gefahr konnte), nur durch ein fernes Warnungszeichen zu bewirken. In solcher Absicht mochte Ratcliffe wohl Magda's Gegenwart verlangt haben, denn er setzte großes Zutrauen in die Fähigkeit ihrer Lunge und in ihre Neigung sie zu gebrauchen. Wirklich gab sie bald so viele Beweise ihrer lärmenden Geschwätzigkeit, daß Scharfenklau halb entschlossen war, sie mit einem Häscher zurückzusenden. Die freie Luft, die Nähe der Berge, der emporsteigende Mond (von so großem Einfluß auf Geisteskranke, wie man sagt), schienen ihre unruhige geräuschvolle Lebhaftigkeit um Vieles zu erhöhen. Bitten so wenig als Befehle vermochten sie zum Schweigen zu bringen; Drohungen machten sie vollends ärgerlich und unlenksam.

»Ist denn keiner von Euch,« sagte Scharfenklau ungeduldig, »der den Weg nach dem vermaledeiten Ort, den Muschat-Steinen, zu finden weiß, als diese tolle plappernde Närrin?«

»Die ihn wissen?« rief Magda; »wie sollten sie, die feigen erbärmlichen Wichte? Ich aber habe auf dem Grab gesessen von der Zeit an, wo die Fledermäuse ausfliegen bis zum Hahnenschrei, und mancherlei Redens hatt' ich oft mit Nikol Muschat und Else Muschat, die da unten liegen und schlafen.«

»Zum Teufel mit Deinem verbrannten Gehirn!« sagte Scharfenklau, »wirst Du denn keinen Menschen zu Worte kommen lassen?«

Niemand wollte jedoch es auf sich nehmen, das spähende Häufchen, beim ungewissen Licht des Mondes, mit Sicherheit zu führen.

»Wie fangen wir es an, Ratcliffe?« sagte Scharfenklau; »wenn er uns früher sieht als wir ihn, – und das wird er, wenn wir nicht den rechten Weg treffen, und hin und her suchen müssen, – ist's um den Fang geschehn. Und lieber würd' ich hundert Pfund verlieren. Sowohl wegen des Ansehens der Polizei, als auch weil der Präsident meint, irgend einer müsse gehangen werden um Porteous, es gehe wie es wolle.«

»Wir müssen's schon mit Magda versuchen,« erwiederte Ratcliffe, »ich will sehen, daß ich sie besser in Zucht halte. Und am Ende, wenn er sie auch ihre Stückchen von alten Liedern trällern hört, weiß er ja nicht, daß Jemand mit ihr ist.«

»Es ist wahr,« sagte Scharfenklau, »und wenn er sie allein glaubt, kommt er vielleicht eher zu ihr, als daß er von ihr läuft. Weiter denn, wir haben schon zu viel Zeit verloren. Und seht, daß Ihr sie beim rechten Wege erhaltet.«

»Und wie vertragen sich denn Nikol Muschat und seine Frau jetzt?« fragte Ratcliffe das arme schwachsinnige Mädchen; »es war zänkisches Volk sonst, wenn's wahr ist, was die Leute sagen.«

»Freilich, freilich; aber das ist nun Alles vergessen,« erwiederte Magda, im vertraulichen Ton einer klatschenden Gevatterin, die ihrer Nachbarn Heimlichkeiten ausplaudert; »ich habe sie ja selbst gesprochen, wißt Ihr; vorbei ist vorbei, sagt' ich zu ihnen. – Aber ihr Hals sieht noch recht zerfetzt aus; sie trägt das Leichentuch drüber, um es zu verstecken, aber das Blut dringt doch durch. Ich sagte ihr, sie sollte es im St. Anton's Brunnen waschen, da wird es rein, wenn's irgend wo rein wird. – Aber man sagt, Blut ginge nie aus dem Leinenzeuge. – Meister Sanders' neues Bleichwasser hilft auch nicht. Ich habe es selbst versucht zu Hause mit einem alten Lumpen, es sind Blutflecke darin von einem kleinen Schreibalge, der irgend wie zu Schaden gekommen, sie wollen aber nicht heraus. – Es ist wunderlich, nicht wahr? Nun will ich einmal in einer hübschen Nacht wie heut nach St. Anton's Segenbrunnen damit gehen, und ich will Else Muschat aufwecken, und dann wollen wir eine große Beuchwäsche mit einander machen, und unser Leinen in den Strahlen des lieben Mondes bleichen, den ich viel besser leiden mag, als die Sonne. – Die Sonne ist so schrecklich heiß, und Ihr wißt, mein Kopf ist mir ohnedies heiß genug. Aber der Mond, und der Thau, und der Nachtwind, sie thun mir wohl, als ob kühlende Kohlblätter mir auf die Stirn gelegt würden. Und zuweilen denk' ich, der Mond scheint nur mir zu Gefallen, wenn Niemand anders da ist, ihn zu sehen, als ich.«

Mit bewundernswürdiger Schnelligkeit sprach sie alles dies und mehr dergleichen, indem sie hastig vorwärts schritt und Ratcliffe mit sich fort zog, der sich scheinbar bemühte, sie zur Mäßigung ihrer Stimme zu bewegen.

Plötzlich stand sie auf der Spitze eines kleinen Hügels still, blickte empor, und sprach einige Minuten lang keine Sylbe.

»Was zum Teufel sieht sie an?« sagte Scharfenklau zu Ratcliffe; »könnt Ihr sie nicht zum Weitergehen bringen?«

»Ihr müßt ein bischen Geduld mit ihr haben,« erwiederte Ratcliffe; »sie geht auch keinen Schritt, wenn sie nicht Lust hat.«

Magda hatte zuerst wie in tiefen Gedanken gestanden, plötzlich brach sie in ein lautes Lachen aus, dann schwieg sie und seufzte schwer; – bald erfolgte ein neuer Ausbruch jener anscheinenden Lustigkeit, – dann heftete sie die Augen auf den Mond, und sang mit gewaltiger Stimme:

»O schöner Mond, ich grüße dich;
Doch sei mir hold, und zeige mir fein
Die Züge, das Wesen, die Red' und den Stand
Des Mannes, der mein Treuliebster soll sein.«

»Aber darum brauch' ich nicht erst den Mond zu bitten, – ich weiß es gut genug ohnedies. – Ein Treuliebster freilich war er nicht, – doch kein Mensch soll sagen, daß ich jemals ein Wort davon ausgeplaudert. – Aber das Kind, wollt' ich, lebte noch. – Nun, du lieber Gott, es ist ein Himmel über uns allen,« – sie seufzte tief, – »und ein freundlicher Mond und Sterne daneben,« – hier lachte sie wieder laut auf.

»Sollen wir die ganze Nacht hier stehen,« rief Scharfenklau ungeduldig. »Zieht sie mit Euch fort.«

»Ja, Herr,« erwiederte Ratcliffe, »wenn wir nur wüßten, welchen Weg wir ziehen sollten. – Komm, Magda, komm, Kind, wir sind sonst nicht zeitig genug dort, Nikol Muschat und seine Frau zu sprechen, führe uns weiter.«

»Das will ich, Ratchen,« sagte sie, ihn beim Arm ergreifend, und ihren Weg mit gewaltigen Schritten fortsetzend. »Und ich muß dir sagen, Rat, Nikol Muschat wird sich recht freuen, Dich zu sehen. Denn er sagt, solch' einen argen Höllenhund, wie Du, gibt es in der Welt nicht mehr, und er möchte gar zu gern ein Bischen mit Dir reden. Gleich und gleich, wie du weißt, – das Sprichwort trifft immer zu, und Ihr seid beide ein Paar von des Teufels Rangen, es ist schwer zu sagen, wer von Euch den wärmsten Platz an seinem Glutherde verdient.«

Ratcliffe fühlte sich gedrungen, dieser Zusammenstellung zu widersprechen. »Ich vergoß nie Blut,« entgegnete er.

»Aber Du hast es verkauft, Rat, oft genug hast Du Blut verkauft. Man kann mit der Zunge so gut tödten, wie mit der Hand, mit Worten so gut wie mit dem Messer.«

»Es ist der hübsche Metzgerbub,
Der blaue Aermel trägt;
Das Fleisch hat er am Samstag feil,
Was Freitags er erschlägt.«

»Und was thu' ich jetzt?« dachte Ratcliffe bei sich. – »Aber ich will nicht Schuld sein an Robertson's jungem Blut, wenn ich's irgend ändern kann.« – Und leise fragte er Magda: ob sie keins von ihren alten hübschen Liedern mehr wüßte.

»O sehr viele, und gar herrlich und lustig weiß ich sie zu singen, denn ein fröhlich Lied macht ein heiter Gemüth.« Und damit sang sie:

»Schwebt der Falke durch die Luft,
Liegt die Lerche still;
Schweift der Jagdhund durch den Wald,
Birgt sich scheu das Reh.

»Bring' sie zum Schweigen, und wenn Du sie erdrosseln solltest,« rief Scharfenklau; »dort sehe ich Jemand. – Nun drauf los, Ihr Bursche, aber vorsichtig. Du, Georg Haltfest, bleibst mit Ratcliffe und der tollen Hexe da zurück; Ihr beiden Andern schleicht ganz leise mit mir um den Berg herum.«

Und im Schatten der Anhöhe wand er sich dahin mit dem Diebesschritt eines indianischen Wilden, der sein Häuflein führt, eine verdachtlose Schaar feindlichen Stammes zu überfallen.

»Mit Robertson ist's aus,« dachte Ratcliffe, ihnen nachsehend; »das junge Volk ist so unbesonnen. Was zum Teufel hatte er mit Jeanie Deans oder sonst einem Weibe zu schaffen, daß er den Hals dran zu setzen brauchte? – Und die da hat die ganze Nacht wie ein Hahn gekräht, und nun ihr Gelärme zu etwas helfen könnte, ist sie mausestill. Das ist aber die Art der Weiber; wenn sie jemals das Maul halten, so kann man drauf schwören, es ist zum Bösen. Wenn ich sie nur wieder einhetzen könnte, ohne daß der Bluthund da es merkt.«

Er fing an leise den ersten Vers eines der Lieblingslieder Magda's zu summen, dessen Inhalt eine entfernte Aehnlichkeit mit Robertson's gegenwärtiger Lage hatte; hoffend das Uebrige werde sich dann sogleich ihrem Gedächtniß darbieten:

»Ein Spürhund schleicht durch Tinwalds Grün,
Bei blanker Waffen Schein;
Ein Mädchen sitzt auf Tinwalds Berg
Und singet laut darein.«

Magda hatte kaum dies Stichwort gehört, als sie Ratcliffe's Vermuthung rechtfertigend mit gewaltiger Stimme fortfuhr:

»Herr Ritter, sprach sie, Ihr schlaft sanft,
Da Ihr entfliehen solltet?
Wohl zwanzig Mann mit Lanz' und Schwert
Sind da, Euch aufzusuchen.«

Obgleich Ratcliffe in einer beträchtlichen Entfernung von den Muschat-Steinen war, so sah er doch mit seinen scharfen Augen, gleich denen einer Katze gewohnt die Finsterniß zu durchdringen, daß die Warnung gefruchtet. Georg Haltfest, minder scharfsichtig oder minder aufmerksam, ward Robertson's Flucht nicht gewahr. Scharfenklau und seine Gefährten, obgleich um Vieles näher, bemerkten sie eben so wenig, da die Ungleichheit des Bodens ihnen jetzt die Aussicht auf den Steinhaufen entzog. Nach dem Zwischenraum einiger Minuten aber sahen sie ebenfalls, daß ihre Beute ihnen entgangen war. Hastig stürzten sie dorthin, während Scharfenklau mit den rauhesten Tönen seiner kreischenden Stimme rief: »Jagt nach, Bursche, jagt nach! – Den Berg hinauf! – Dort oben seh' ich ihn.« Dann schrie er den Zurückgebliebenen seine weitern Befehle zu: »Hierher, Ratcliffe, und haltet das Mädchen fest. – Lauf, Georg, und schließ das Gatter am Herzogssteig. – Ratcliffe, kommt sogleich, – doch erst schlagt der tollen Hexe dort das Gehirn ein.«

»Du thätest besser davonzulaufen, Magda,« sagte Ratcliffe, »mit einem Zornigen ist nicht viel anzufangen.«

Magda Wildfeuer hatte noch Urtheilskraft genug, das Wahre dieser Bemerkung einzusehen; und während Ratcliffe im anscheinenden Diensteifer dem Fleck zueilte, wo Scharfenklau ihn erwartete, floh sie mit der größten Schnelligkeit nach einer entgegengesetzten Richtung. So war das ganze Häufchen getrennt, und in eiligem Fliehen oder Verfolgen begriffen. Nur Ratcliffe und Jeanie, die jener fest beim Mantel hielt, obgleich sie keinen Versuch machte, ihm zu entgehen, blieben bei dem Steinhaufen zurück.


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