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Siebentes Kapitel.

Strenge Statuten haben wir, und harte
Gesetze – Zügel für unbänd'ge Rosse –
Die vierzehn Jahr wir haben schlafen lassen,
Wie einen übergroßen wilden Löwen
In seiner Höhle, der auf Raub nicht ausgeht.

Maß für Maß.

»Euphemia Deans,« begann der Oberrichter, und Würde und Milde vereinigten sich in seinem Ton – »steh auf und höre, wessen Du angeklagt bist.«

Die Unglückliche, noch betäubt von dem tobenden Gewirr beim Eingang, warf einen wild erschrockenen Blick auf die zahllosen Gesichter, die von der obersten Gallerie bis zum Boden des Saales herab seine Mauern wie mit einem großen zusammenhängenden Teppich bekleideten. Halb bewußtlos gehorchte sie einem Befehl, der ihr wie die Posaune des jüngsten Gerichts in die Ohren klang.

»Schlagt Euer Haar zurück, Effie,« sagte einer von den Gerichtsdienern; denn ihre schönen reichen Locken hingen gelöst um ihr Antlitz und verbargen es fast ganz. Unter das jungfräuliche Band, den Haarschmuck der Mädchen, durfte sie das ihrige nicht mehr schlingen, und eine andere Kopfbedeckung erlaubte die Landessitte den Unverheiratheten nicht. Auf diese Andeutung warf die Bejammernswerthe hastig und zitternd das wogende Haar zurück, und zeigte den Versammelten ein Antlitz, so lieblich in seiner bleichen Schmerzensmiene, daß ein gemeinsamer Laut der Theilnahme und des Bedauerns erscholl. Dieser Ausdruck menschlichen Mitgefühls schien die Arme aus der ersten starren Betäubung der Furcht zu reißen, und sie zu dem nicht minder peinlichen Bewußtsein ihrer Schmach zu wecken. Ihr Auge, eben noch wild umher rollend, senkte sich zu Boden. Ueber ihre todtenbleiche Wange zog sich ein Erröthen, anfangs nur leicht, dann dunkler und dunkler werdend, und Stirn, Schläfe und Hals mit dem tiefsten Purpur bedeckend; auch dann noch sichtbar, als sie in banger Scham das Gesicht mit den kleinen Händen bedeckte.

Alle bemerkten diesen Empfindungswechsel und wurden davon ergriffen, nur Einer nicht. Es war der alte Deans. Bewegungslos saß er da, von dem Pfeiler verborgen, Keinen sehend und Keinem sichtbar, und dennoch die Augen fest auf den Boden geheftet, als wolle er jeder Möglichkeit ausweichen, den demüthigenden Vorgang, seines Hauses Schmach, zu erblicken. »Icabod!« sprach er bei sich selbst, »Icabod! meine Herrlichkeit ist dahin!«

Während diese Gedanken in ihm vorgingen, wurde der Gefangenen die Anklage vorgelesen, und man fragte sie, ob sie schuldig oder nichtschuldig sei.

»Nicht schuldig am Tode meines armen Kindes,« erwiederte sie in einem Klageton, dessen Anmuth der Lieblichkeit ihrer Züge entsprach, und gleich diesen ihr die Herzen gewann.

Das Gericht forderte jetzt die Sachwalter auf, ihre Gründe und Gegengründe vorzulegen. Der Anwalt der Krone erläuterte zuerst das Gesetz, und weshalb es gegeben worden. Die Angeklagte, sagte er, befinde sich, nach der Aussage mehrerer Zeugen und ihrem eigenen Geständniß, in dem darin vorgeschriebenen Falle. Sie habe ihren Zustand verheimlicht, welches, dem Sinn des strengen aber nothwendigen Gesetzes zufolge, die Absicht voraussetzen ließe, das Neugeborne zu tödten. Wenn sie demnach nicht beweisen könne, ihr Kind lebe, oder sei eines natürlichen Todes gestorben, müsse sie als dessen Mörderin angesehen werden, und die Todesstrafe erleiden.

Der gerichtliche Anwalt der Beklagten nahm darauf das Wort. Er begann mit ihren früheren Lebensumständen. Sie sei in den Grundsätzen der strengen Tugend erzogen, sagte er, die Tochter eines frommen Biedermannes, der zu seiner Zeit den Muth und die Kraft gehabt, für das, was ihm als wahr und recht erschien, standhaft zu leiden.

David Deans fuhr hier krampfhaft auf, dann setzte er sich wieder, die Arme gegen den Pfeiler gestützt, und das Gesicht auf beide Hände herabgebeugt, so wie er bis jetzt den Verhandlungen zugehört.

Was man auch von den Meinungen der Puritaner halte, sagte der Sachwalter weiter, einen reinen frommen Lebenswandel und eine streng sittliche Erziehung ihrer Kinder könne ihnen Niemand abstreiten. Und nun wolle man dies junge Mädchen, in Frömmigkeit und Gottesfurcht aufgewachsen, ohne Beweise, auf bloße Muthmaßungen hin, des abscheulichsten Verbrechens zeihen. Gefehlt habe sie freilich. Allein sie sei von ihrem Verführer, eben jenem berüchtigten Georg Robertson, durch ein Eheversprechen getäuscht worden. Und in der Hoffnung, ihre Ehre durch Erfüllung dieser Zusage gerettet zu sehen, habe sie ihren Zustand verheimlicht. Doch werde sich hoffentlich darthun lassen, daß sie sich ihrer ältern Schwester entdeckt, als durch Robertson's nachherige Verhaftung und sein darauf erfolgtes Todesurtheil jene Aussicht entschwunden war. Robertson's Gewalt über ihr Herz habe sie aber auch dann noch vermocht, sich auf sein schriftliches Geheiß, ohne Wissen ihrer Schwester, zu einem jener verworfenen Schlupfwinkel der Vorstädte zu begeben, in denen Niedrigkeit und Verbrechen hausen.

Hier habe sie mit Hülfe eines alten Weibes einen Knaben geboren, der, während eines heftigen Fieberanfalles der Mutter, ihr von der Alten geraubt und vermuthlich gemordet worden.

Ein durchdringender Schrei der unglücklichen Effie unterbrach hier den Redner. Mit Mühe nur konnte man sie beruhigen. Ihr Anwalt benutzte diesen Ausbruch eines natürlichen Gefühls, seine Vertheidigung mit Nachdruck zu schließen. »Hören Sie, meine Herren,« sagte er, »in diesem Jammergeschrei die Beredtsamkeit der Mutterliebe, überzeugender bei weitem, als meine schwachen Worte es sein können. Rahel weint um ihre Kinder! – Die Natur spricht hier selbst, ich mag nichts weiter hinzufügen.«

»Hörten Sie je dergleichen, Mylord?« sagte Sattelbaum zu Stummendeich, als der Anwalt seine Rede geendet hatte. »Ein Kind kann einen langen Faden aus wenig Flachs spinnen! Zum Teufel, er weiß ja nicht mehr, als was in der Aussage steht, und die Vermuthung, daß Jeanie Deans im Stande sein sollte, etwas über die Umstände ihrer Schwester zu sagen, steht auch nur auf schwachen Füßen. Und er brütet da einen großen Vogel aus dem kleinen Ei. – Wie großes Unrecht that mein Vater, mich nicht nach Utrecht zu schicken! – Aber still! das Gericht ist im Begriff, sich über die Zulänglichkeit der Vertheidigung auszusprechen.«

Hierauf sprachen sich die Richter nach kurzer Berathung dahin aus, daß auf die Klage, wenn sie bewiesen wäre, die Strafe des Gesetzes folgen werde, und daß die Vertheidigung, wenn die Beklagte wirklich ihre Lage ihrer Schwester mitgetheilt habe, als zulänglich solle angesehen werden; und endlich, daß die Klage und die Vertheidigung den Geschwornen solle vorgelegt werden.


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