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Sechstes Kapitel.

Und schleppt man Dich auch mit Verachtung
Zu jenem Baum der Schande hin,
Soll doch ein treuer Freund nicht fehlen,
Der mit Dir theilt das schwere Loos.

Jemmy Dawson.

Nachdem David Deans den größten Theil des Morgens in Andacht und Gebet zugebracht hatte – denn seine wohlwollenden Nachbarn hatten es sich nicht nehmen lassen, heute an seiner Statt sein ländliches Tagewerk zu verrichten – trat er in das Zimmer, wo das Frühstück bereitet war. Er schlug unwillkürlich die Augen nieder, denn er wagte nicht seine Tochter anzublicken, ungewiß ob sie sich frei fühle, vor dem Tribunal zu erscheinen. Nach einigem Zögern sah er jedoch nach ihrer Kleidung, um an dieser zu erkennen, ob sie willens sei auszugehen. Ihr Anzug war zierlich und sauber, doch so einfach, daß man daraus nicht auf ihre Absicht schließen konnte. Ihr richtiger Sinn sagte ihr, es zieme sich, anständig bei einer solchen Gelegenheit zu erscheinen, allein ihr Zartgefühl ließ sie den Gebrauch des wenigen unbedeutenden Schmucks vermeiden, den sie sich sonst wohl zu erlauben pflegte.

Ihr kleines Mahl war diesmal vergeblich bereitet. Vater und Tochter nahmen den Schein an, als genössen sie davon, sobald ihre Blicke sich trafen, und gaben die Bemühung augenblicklich wieder auf, wenn sie des liebevollen Truges nicht mehr zu bedürfen glaubten.

Endlich waren die Augenblicke dieses Zwanges zu Ende. Die dumpfhallende Glocke des St. Gilesthurmes kündigte die letzte Stunde vor dem Beginn der Gerichtssitzung an. Jeanie stand auf, legte ihr Manteltuch an, und machte andere Vorbereitungen zu einem weiten Wege. Einen seltsamen Gegensatz bildete das Feste, Sichere ihres ganzen Benehmens mit der schwankenden Ungewißheit, die sich in jeder Bewegung des Vaters offenbarte. Jeanie wußte genau, was ihr zu thun oblag, und sie hatte alle nothwendigen Folgen dieses Thuns berechnet. Deans dagegen, mir so vielem unbekannt, wurde von Zweifeln gequält, was wohl die eine Schwester sagen oder schwören dürfte, oder was ihr Zeugniß zur Rettung der andern beitragen könnte.

Aengstlich beobachtete er jeden Schritt seiner Tochter, bis sie, in dem Augenblick, wo sie das Zimmer verlassen wollte, mit einem Blick des bittersten Schmerzes nach ihm zurücksah.

»Mein theures Kind,« sagte er, »ich will« – das hastige Suchen nach seinen wollenen Handschuhen und seinem Stock ergänzte, was seine Lippen unvollendet gelassen.

»Vater,« sagte Jeanie in Erwiederung auf das, was seine Handlung aussprach, »es wäre besser Du thätest es nicht.«

»Mit Gottes Hülfe,« sagte Deans fester, »will ich den Weg antreten.«

Und seiner Tochter Arm unter den seinigen nehmend, ging er mit ihr hinaus, und so rasch vorwärts, daß es ihr schwer ward, gleichen Schritt mit ihm zu halten. Ein kleiner Umstand, der jedoch von der Verwirrung seines Gemüths zeugte, hemmte seinen Lauf. »Deine Mütze, Vater?« sagte Jeanie, die sein graues Haar unbedeckt sah. Mit leichtem Erröthen, als schäme er sich dieses Vergessens, kehrte er um, nahm seine große blaue Mütze, und trat dann am Arme seiner Tochter ruhigern Schrittes als zuvor seinen Weg nach Edinburg an.

Ein großes alterthümliches Gebäude, von dem Gefängniß durch einen viereckigen Platz getrennt, war der Schauplatz gerichtlicher Vorgänge. Schon waren die Stadtsoldaten auf ihren Posten, und wehrten der bunten Menge, die sich drängte und stieß, begierig die Unglückliche zu sehen, wenn man sie vom Gefängniß aus über den Platz führen würde. Gewöhnlich zeigt der Pöbel eine kalte Gleichgültigkeit bei Scenen dieser Art. Wenn nicht ein besonderer Umstand die Theilnahme einzelner oder aller in Anspruch nimmt, wird kein tieferes Gefühl als das der Neugier an ihnen wahrgenommen. Sie lachen, scherzen, streiten, stoßen sich hin und her, so lustig und unbekümmert, als ob sie zu Feiertagspielen, oder zum Begaffen eines Festaufzugs zusammengekommen wären. Zuweilen weckt sie jedoch ein plötzlicher Antrieb aus dieser Stumpfheit.

Als Deans und seine Tochter ihren Weg über diesen Platz nehmen wollten, um zur Thür des Gerichtshauses zu gelangen, geriethen sie unter den drängenden Haufen und sahen sich folglich dem frechen Uebermuth desselben ausgesetzt. Da der Greis den rohen Stößen, die er von allen Seiten empfing, mit einiger Kraft Widerstand leistete, zog sein Wesen und seine veraltete Kleidung die Blicke der müßigen Gaffer auf sich. Mit bewundernswürdiger Unterscheidungskraft erkennt oft der gemeine Haufen die Eigenthümlichkeit eines Mannes aus seiner äußern Erscheinung. Ein Kerl sang ein Spottlied auf die Religionspartei, welcher Deans angehörte. Ein ähnliches erscholl von einer andern Seite her aus einer nicht zarten weiblichen Kehle. Ein zerlumpter Lastträger, von David Deans bei seinem Versuch rasch hindurch zu kommen ein wenig gedrängt, fragte ihn mit einem derben bezugvollen Fluch, was ihn berechtige, anständige Leute zu stoßen. »Platz gemacht für den Alten,« sagte ein Anderer; »er kommt um auf dem Krautmarkt eine fromme Schwester Gott preisen zu sehen.«

»Still, schämt Euch!« rief hier Jemand sehr laut, und fügte mit leisem aber deutlichen Tone hinzu: »Es ist ihr Vater und ihre Schwester.«

Plötzlich wichen alle zurück, um die Dulder durchzulassen. Selbst die Rohesten und Sittenlosesten waren still und beschämt. In dem freigewordenen Raum stand Deans, die Tochter an der Hand. Seine Züge verriethen die heftige Bewegung seines Gemüths. »Du hörst und siehst nun,« sagte er zu Jeanie, »wem die Fehler und Gebrechen der Bekenner zugeschrieben werden. Nicht ihnen allein, sondern der Kirche, deren Mitglieder sie sind. So laß uns denn unsern Antheil an diesem Hohn der Schmäher mit Geduld und Ergebung tragen.«

Der Mann, welcher das Volk zur Ruhe ermahnt hatte, war kein Anderer, als unser alter Freund Stummendeich, dem das Dringende des Falles, wie einst dem Esel des Propheten, die Lippen geöffnet. Er näherte sich jetzt dem Vater und der Tochter, und begleitete sie mit seiner gewohnten Schweigsamkeit in den Gerichtssaal.

Hier fanden sie die gewöhnliche Anzahl geschäftiger Beamten und unthätiger Müßiggänger, die Pflicht oder Langeweile bei solchen Gelegenheiten herbeiführt. Ehrenfeste Bürger gähnten und gafften; junge Rechtsgelehrte schlenderten umher und kicherten wie im Schauspiel, während andere in einer entfernten Ecke den vorliegenden Fall und das darüber vorgeschriebene Gesetz mit Wichtigkeit durchsprachen. Die Bank für die Richter wurde in Bereitschaft gesetzt. Die Geschwornen waren schon gegenwärtig. Die Sachwalter der Krone sahen Papiere durch und flüsterten mit einander. Sie nahmen die eine Seite eines langen Tisches unter der etwas erhöhten Richterbank ein. Auf der andern saßen die Vertheidiger, welche das Gericht den Angeklagten nicht nur erlaubt, sondern auch selbst zuordnet. Novit, Stummendeich's Anwalt, zeigte sich hier außerordentlich geschäftig.

»Wo wird sie sitzen?« fragte Deans leise und zitternd den Lord, als sie in den Saal traten.

Stummendeich flüsterte mit Novit; dieser deutete auf eine leere Bank vor den Schranken, den Richtern gegenüber, und war im Begriff Deans dorthin zu führen.

»Nein,« sagte der Greis, »ich kann nicht bei ihr sitzen, ich kann sie nicht als mein erkennen – wenigstens noch jetzt nicht. Sie soll mich nicht sehen, und ich will meine Augen von ihr abwenden – es ist besser für beide.«

Sattelbaum, wegen seines wiederholten Einmischens von den Sachwaltern einige Mal derb abgewiesen, sah hier mit Vergnügen eine Gelegenheit, den Wichtigen zu spielen. Geräuschvoll schritt er auf den armen alten Mann zu, und durch seinen Einfluß bei irgend einem Thürsteher oder Gerichtsfrohn verschaffte er ihm einen Sitz, wo ein hervorspringender Pfeiler ihn den Augen der Versammlung entzog.

»Es ist gut, Freunde hier zu haben,« sagte er, »wenig Andere hätten Ihnen zu einem solchen Platz verholfen. – Die Lords werden gleich kommen, und die Verhandlung instanter beginnen. – Aber, um des Himmels Willen, was soll das heißen? Jeanie ist ja als Zeugin vorgeladen. – Frohn, das Mädchen ist eine Zeugin, sie muß entfernt werden. – Herr Novit, muß Jeanie Deans nicht unterdeß abgesondert bleiben?«

Novit bejahte es.

»Ist dies nothwendig?« fragte Jeanie den Sachwalt, indem sie ihres Vaters Hand fest in der ihrigen hielt.

»Freilich,« antwortete Sattelbaum, »es ist von der unumgänglichsten Nothwendigkeit.«

»Es ist in der That erforderlich,« sagte Novit. Und Jeanie ließ sich, obwohl ungern, in das zur Absonderung der Zeugen bestimmte Zimmer führen.

Sattelbaum war noch in einer weitläuftigen Rede über den Zweck und die Wichtigkeit dieser Maßregel begriffen, als ein Geräusch an der Thür die Ankunft des Lord Oberrichters und seiner vier Beisitzer verkündete. In ihren langen weißverbrämten Scharlachmänteln erschienen sie mit den üblichen Feierlichkeiten. Ihnen voran ging ein Gerichtsfrohn mit dem Stabe. Mit gemessenen Schritten gingen sie zu ihren Sitzen auf der Richterbank.

Alles war ehrerbietig aufgestanden, sie zu begrüßen. Kaum war die durch ihren Eintritt entstandene Bewegung vorüber, als ein gewaltiger Tumult und ein Hereindrängen zu den Thüren des Saales und der Gallerien auf die Erscheinung der Gefangenen schließen ließ. Mit entflammten Gesichtern und heruntergerissenen Kleidern stürzte der rohe Haufe wogend herein, und die angestrengten Bemühungen der Wachen, die den Mittelpunkt dieser Menschenfluth bildeten, vermochten kaum der Gefangenen einen Weg hindurch zu bahnen. Dem Ansehen einiger Oberbeamten gelang es endlich, die Ordnung wieder herzustellen. Und zwischen zwei Wachen mit gezogenen Säbeln nahm die Angeklagte ihren Platz vor den Schranken ein, wo sie das Urtheil über Leben oder Tod empfangen sollte.


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