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Fünfzehntes Kapitel.

Der Geist, den ich gesehen, war vielleicht
Der Teufel; und der Teufel hat die Macht,
Sich in gefällige Gestalt zu kleiden.

Hamlet.

Endlich näherte sich Jeanie dem Schauplatz der geheimnißvollen Zusammenkunft. Es war ein tiefes Thal im Rücken der Salisburyfelsen, auf der andern Seite von dem Berge Arthur's Sitz begrenzt. An dem steilen Abhang dieses Berges befand sich eine alte Einsiedelei, von welcher noch jetzt die Ueberbleibsel zu sehen sind, die St. Antonskapelle genannt. Tiefer hinunter, am Fuß der Höhe, lag ein zusammengetragener Steinhaufen, zum Gedächtniß einer furchtbaren Mordthat, die hier ein Ehemann an seinem Weibe verübt, und nach dem Namen des Mörders benannt. Die Steine waren von den Vorübergehenden nach und nach dahin geworfen worden, als Zeichen ihres Abscheues; vielleicht in Beziehung auf den alt-britischen Fluch: »Möge ein Steinhaufen dein Begräbnißplatz sein!«

Als unsere Heldin sich diesem unheiligen Ort nahte, hielt sie an, und sah hinauf in die helle Mondscheibe, die jetzt höher am Himmel stand und ein deutlicheres Licht verbreitete. Dann wandte sie den Kopf langsam und zagend dem Steinhaufen zu, von dem sie bis dahin die Blicke abgewendet hatte. Niemand war zu sehen hinter den aufgethürmten Steinen, die grauweiß im Mondlicht dalagen. Verworrene Zweifel aller Art drängten sich in demselben Augenblick dem einsam wandernden Mädchen auf. Hatte der Briefsteller sie getäuscht und sein Wort gebrochen? Hielt ein unerwarteter Zufall ihn zurück? Oder war sie von einem bösen Geist hieher gelockt worden? Und sollte ihr dieser vielleicht plötzlich erscheinen, von allen seinen Schrecken umringt?

Dennoch näherte sie sich dem Steinhaufen. Nur wenige Schritte war sie noch davon entfernt, als sich plötzlich hinter demselben eine Gestalt erhob. Jeanie konnte sich kaum eines lauten Schreies erwehren, da die schreckenvollste ihrer Muthmaßungen in Erfüllung zu gehen schien. Sie unterdrückte ihn jedoch und erwartete mit zurückgehaltenem Athem, daß jener sie anreden solle. Er that es nach kurzem Schweigen, indem er sie mit tiefer, bebender Stimme fragte: »Sind Sie die Schwester jener Unglücklichen?«

»Ich bin – ich bin Effie Deans' Schwester!« rief Jeanie. »O, wenn Sie jemals hoffen, Gott solle Sie hören in Ihrer Noth, so sagen Sie, was geschehen kann, sie zu retten!«

»Nein, ich hoffe nicht, daß Gott mich hören wird in meiner Noth,« war seine seltsame Antwort. »Ich verdiene – ich erwarte es nicht.« Sein Ton bei diesen Worten der Verzweiflung war ruhiger als zuvor, vielleicht weil der Augenblick der ersten Anrede ihm am peinlichsten gewesen. Jeanie blieb starr vor Schrecken, eine Sprache zu hören, so gänzlich verschieden von allem, was sie bis jetzt gekannt, daß sie ihr einem Höllengeist eher als einem menschlichen Wesen anzugehören schien. Ohne auf ihr Erstaunen zu achten, fuhr jener fort: »Sie sehen einen Elenden vor sich, der zu zeitlicher und ewiger Qual bestimmt ist.«

»Um Gotteswillen, reden Sie nicht so verzweifelt! Die Wohlthat des Evangeliums ist auch dem Sündhaftesten, dem Elendesten unter den Elenden verliehen.«

»Dann muß ich freilich auch meinen Antheil daran haben,« sagte der Unbekannte, »wenn Sie es sündhaft nennen, die Mutter, die mich geboren, den Freund, der mich liebte, das Weib, welches mir vertraute, das unschuldige Kind, das mir geboren ward, in's Verderben gerissen zu haben. Ist, wer dies gethan, ein Sünder, und wer es überlebt, elend, dann bin ich wahrlich höchst sündhaft und höchst elend.«

»So sind sie also die böse Ursache des Unglücks meiner Schwester?« sagte Jeanie, und ein Gefühl des Unwillens theilte sich dem Ton ihrer Stimme mit.

»Ja, fluchen Sie mir nur deshalb, wenn Sie wollen,« sagte der Fremde; »ich habe es sehr wohl von Ihnen verdient.«

»Es ziemt mir besser,« sagte Jeanie, »Gott zu bitten, daß er Ihnen vergebe.«

»Thun Sie wie Sie wollen, und was Sie wollen,« versetzte er mit Heftigkeit; »geloben Sie nur, sich nach meiner Vorschrift zu richten, und Ihrer Schwester Leben zu retten.«

»Erst muß ich wissen,« sagte Jeanie, »welches Mittel Sie mir dazu angeben.«

»Nein! erst müssen Sie schwören, feierlichst schwören, sich desselben zu bedienen, wenn ich es Ihnen genannt.«

»Es ist unnöthig zu schwören, daß ich Alles thun werde, was einer Christin erlaubt ist, um meiner Schwester Leben zu retten.«

»Keinen Vorbehalt!« rief der Unbekannte mit Donnerstimme; »erlaubt oder nicht erlaubt, Christin oder Heidin, Sie müssen schwören zu thun, was ich verlange, oder – Sie wissen nicht, wessen Zorn sie reizen!«

»Ich will es überlegen,« sagte Jeanie, erschreckt durch die furchtbare Heftigkeit seines Wesens, und zweifelhaft, ob sie einen Rasenden, oder einen Geist der Hölle vor sich habe; »ich will es überlegen, und es Ihnen morgen zu wissen thun.«

»Morgen?« rief er mit Hohngelächter; »und wo werde ich morgen sein? – Oder, wo werden Sie noch diese Nacht sein, wenn Sie nicht schwören, mir zu gehorchen? Schon eine Frevelthat wurde hier verübt; und eine zweite soll sich ihr zur Seite stellen, wenn Sie nicht Leib und Seele meiner Führung übergeben!«

Bei diesen Worten erhob er eine Pistole gegen sie. Jeanie floh nicht und sank nicht in Ohnmacht, sie fiel auf die Knie und bat um ihr Leben.

»Ist das Alles, was Sie mir zu sagen haben?« fragte der ungerührte Bösewicht.

»Tauchen Sie ihre Hände nicht in das Blut einer Schutzlosen, die Ihnen vertraute!« rief Jeanie, noch immer knieend.

»Und ist das Alles? Haben Sie mir kein Versprechen zu geben? Wollen Sie Ihre Schwester verderben, und mich zwingen, noch mehr Blut zu vergießen?«

»Ich kann nichts versprechen, was einer Christin nicht erlaubt ist.«

Er spannte den Hahn des Mordgewehrs und richtete es auf die Geängstigte.

»Möge Gott Ihnen vergeben!« sprach sie, indem sie ihre Augen heftig mit beiden Händen bedeckte.

»Verdammt!« murmelte er in sich hinein; dann wendete er sich um, spannte die Pistole wieder ab und steckte sie ein. – »Ich bin ein Ruchloser,« sagte er, »mit Schuld und Schmach belastet, doch nicht schlecht genug, Dir Böses zuzufügen! Nur schrecken wollte ich Dich. – Sie hört mich nicht – ihr Athem ist entflohen! – Großer Gott, welch ein Schurke bin ich geworden!«

Während er sprach, erholte sie sich aus einem halb bewußtlosen Zustande, an Bitterkeit dem Todeskampfe zu vergleichen; und vermöge einer Anstrengung der ihr eigenen Kraft, hatte sie sich bald so weit gesammelt, um zu begreifen, daß er nicht an ihr Leben wolle.

»Nein,« fuhr er fort, »ich will nicht dem Morde jener Unglücklichen und dem ihres Kindes noch den Mord ihrer Schwester hinzufügen! – Rasend, wutherfüllt, wie ich bin, der Furcht wie dem Mitleid verschlossen, der Gewalt eines bösen Geistes dahingeben, und verlassen von allem Guten, würde ich Ihnen doch kein Leid zufügen, und böte man mir die Welt zum Lohn dafür! – Aber bei allem, was Ihnen werth und theuer ist, schwören Sie meinen Rath zu befolgen. Nehmen Sie diese Mordwaffe, erschießen Sie mich, und rächen Sie mit eigener Hand, was ich an Ihrer Schwester verschuldet, nur bedienen Sie sich des Mittels, des einzigen Mittels, wodurch ihr Leben zu retten ist.«

»O Gott! – Ist sie unschuldig, oder nicht?«

»Sie trägt keine Schuld – keine als die, einem Bösewicht vertraut zu haben! – Und dennoch, gäbe es nicht noch schlechtere Menschen als ich – ja, schlechter, obgleich ich schlecht genug bin – so würde es dahin nicht gekommen sein.«

»Und meiner Schwester Kind? – Lebt es?« fragte Jeanie.

»Nein, es wurde gemordet – das neugeborne Kind wurde grausam gemordet,« sagte er mit dumpfer Stimme – »doch ohne ihr Wissen und ohne ihre Einwilligung,« fügte er hastig hinzu.

»Und warum kann nicht der Schuldige zur Strafe gezogen, und die Unschuldige gerechtfertigt werden?«

»Martern Sie mich nicht mit vergeblichen Fragen!« erwiederte er finster. »Die That wurde von Menschen verübt, die sicher genug vor der Entdeckung sind. – Niemand als Sie können Effie retten!«

»Weh mir! wie vermag ich es?« rief Jeanie in Verzweiflung.

»Hören Sie mich! – Sie haben Verstand – Sie können den Sinn meiner Worte verstehen. – Ihre Schwester ist unschuldig an dem Verbrechen, dessen sie angeklagt ist« –

»Gott sei gepriesen dafür!« rief Jeanie.

»Hören Sie und schweigen! – Das Weib, welches ihr beistand, mordete das Kind, doch ohne der Mutter Wissen. Sie ist deshalb unschuldig, so unschuldig wie das arme Geschöpf, welches nur wenige Augenblicke in dieser unglücklichen Welt athmete – wohl ihm, daß es so bald zur Ruhe kam! – Sie ist unschuldig, und doch muß sie sterben – es ist unmöglich, sie von der Anklage zu reinigen.«

»Aber Sie sagten, es sei ein Mittel vorhanden?« rief Jeanie in bitterer Herzensangst.

»Ja, und es liegt in Ihren Händen. Der Kraft des Gesetzes ist nicht zu widerstehen, aber man kann ihr ausweichen. Sie sahen Ihre Schwester in der Zeit, die der Geburt ihres Kindes voranging – ist nicht leicht vorauszusetzen, sie habe ihres Zustandes gegen Sie erwähnt? Dies würde sie retten, dies würde die Hauptanklage gegen sie aufheben. – Sie that es gewiß – denken Sie nur nach – erinnern Sie sich nur – ich bin überzeugt, daß sie es that.«

»Weh mir!« rief Jeanie; »sie sprach niemals eine Sylbe darüber, sondern weinte nur heftig, als ich sie wegen ihres bleichen Aussehens und ihrer Traurigkeit befragte.«

»Sie haben sie deshalb befragt?« sagte er dringend. »Sie müssen sich erinnern, daß ihre Antwort ein Geständniß war, ein Bösewicht habe sie in's Verderben gestürzt – ja, sagen Sie nur so – ein verworfener Bösewicht, – es bedarf keines andern Namens – und sie trage die Folgen seines Verbrechens und ihrer Schwäche unter ihrem Herzen, und er habe versprochen für sie zu sorgen, während des bevorstehenden Ungemachs. – O, er hat trefflich Wort gehalten!« – Wild, mit bitterer Selbstanklage in Miene und Ton sprach er die letzten Worte, und setzte dann ruhiger hinzu: »Sie erinnern sich Alles dessen? – Dies zu sagen genügt.«

»Ich kann mich aber dessen nicht erinnern, was Effie niemals sagte,« entgegnete Jeanie unbefangen.

»Begreifen Sie denn so schwer, so äußerst schwer?« rief er, indem er plötzlich ihren Arm ergriff und festhielt. »Ich sage Ihnen,« fuhr er mit großem Nachdruck fort, obgleich mit zusammengebissenen Zähnen und zurückgehaltenem Athem – »Sie müssen sich erinnern, daß sie Ihnen Alles dies gestanden, und wenn sie auch nie eine Sylbe davon erwähnte. Sie müssen Alles dies – worin keine Unwahrheit ist, als die allein, daß sie es Ihnen mittheilte – vor diesen blutgierigen Richtern aussagen, und ihnen einen ungerechten Mord, und Ihrer Schwester den Tod durch Henkers Hand ersparen. – Nehmen Sie keinen Anstand, ich verpfände Leben und Seligkeit, daß Sie nichts als die reine Wahrheit reden, wenn Sie aussagen, was ich wünsche.«

Jeanie hatte einen zu richtigen Verstand, sich von diesen Scheingründen blenden zu lassen. »Und legte ich nicht eben dadurch ein falsches Zeugniß ab in dem, was man von mir zu wissen verlangt?« sagte sie. »Wegen ihres Verschweigens ist ja die arme Effie angeklagt, wie können Sie mich denn zu einer solchen Unwahrheit auffordern?«

»Ich sehe, mein erstes Mißtrauen gegen Sie war gegründet, und Sie wollen Ihre Schwester, jung, schön, schuldlos, wie sie ist, den Tod einer Mörderin sterben lassen, ehe Sie die Lippen öffnen, um sie zu retten.«

»Mein bestes Herzblut würde ich für sie hingeben,« rief Jeanie mit Thränen der bittersten Angst, »aber ich kann nicht Recht zu Unrecht machen, oder wahr, was falsch ist.«

»Thörichtes, hartherziges Mädchen,« sagte der Fremde, »fürchten Sie sich etwa vor ihnen? Ich sage Ihnen, dieses Gerichtsvolk sogar, das dem Leben der Menschen nachjagt, wie der Windhund dem Hasen, wird sich über die Rettung eines so jungen, herrlichen Geschöpfes freuen. Sie werden Ihnen glauben, und wenn sie Ihnen auch nicht glauben, Sie nicht allein der Verzeihung, sondern auch des höchsten Lobes für Ihre Schwesterliebe werth achten.«

»Nicht die Menschen fürchte ich,« sagte Jeanie, indem sie zum Himmel aufblickte; »Gott, dessen Namen ich anrufen muß, zur Bekräftigung meiner Worte, ihm wird die Unwahrheit derselben offenbar sein.«

»Und auch der Beweggrund,« sagte er hastig; »und auch, daß nicht Eigennutz Sie treibt, sondern der Eifer, eine Unschuldige zu retten, und ein Verbrechen zu verhindern, ärger als jenes, welches die Gerichte strafen wollen.«

»Er hat uns sein Gesetz gegeben, als eine Leuchte auf unserm Wege,« sagte Jeanie; »wenn wir von dem abweichen, irren wir wissentlich. Ich mag nicht Böses thun, und sollte auch Gutes daraus hervorgehen. Aber Sie, der Sie ihrer Unschuld gewiß sind, wie ich nach Ihren Worten glauben muß, warum treten Sie nicht auf, ein wahrhaftes Zeugniß für sie abzulegen, wie Sie es mit reinem Gewissen können?«

»Zu wem redest Du von einem reinen Gewissen, Weib?« rief er mit plötzlicher Wildheit, die ihr Schrecken erneute; »zu mir? Ich habe seit Jahren keins gekannt. Ich für sie Zeugniß ablegen? Ein trefflicher Zeuge, der diesen Ort und diese Stunde wählen muß, mit einem unbedeutenden Mädchen, wie Du, zu reden! Wenn Du Eulen und Fledermäuse gleich den Lerchen beim Sonnenschein ausfliegen siehst, magst Du erwarten, daß Einer wie ich in den Versammlungen der Menschen erscheine. – Horch, was war das?«

Man hörte aus der Ferne eine jener wilden, eintönigen Melodieen, nach denen die Schotten ihre alten Volkslieder singen. – Die Töne verstummten, und erklangen dann wieder näher. Der Unbekannte horchte mit gespannter Aufmerksamkeit. Er hielt Jeanie, wie sie bewegungslos vor Schreck neben ihm stand, noch immer am Arme fest, als wollte er einer Störung von ihrer Seite vorbeugen. Jetzt hörte man deutlicher die Worte des Liedes:

»Schwebt der Falke durch die Luft,
Liegt die Lerche still;
Schweift der Jagdhund durch den Wald,
Birgt sich scheu das Reh.«

Die Stimme war laut, durchdringend und gewaltsam angestrengt, so daß sie weit in die Ferne scholl. Als der Gesang schwieg, hörte man ein dumpfes Geräusch, wie von Fußtritten und leisem Flüstern. Dann begann der Gesang wieder, doch war die Melodie verändert:

»Herr Ritter, sprach sie, Ihr schlaft sanft,
Da Ihr entfliehen solltet?
Wohl zwanzig Mann mit Lanz' und Schwert
Sind da, Euch aufzusuchen.«

»Ich darf nicht länger verweilen,« rief der Unbekannte; »kehren Sie nach Hause zurück, oder warten Sie, bis jene näher kommen – Sie haben nichts zu fürchten – aber sagen Sie nicht, daß Sie mich gesehen haben – Ihrer Schwester Schicksal ist in Ihren Händen.« – Mit diesen Worten wandte er sich von ihr weg, eilte mit schnellen, aber geräuschlosen Schritten nach der Seite hin, die den Tönen am entferntesten lag, und war augenblicklich im nächtlichen Dunkel verschwunden. Jeanie blieb mit unbeschreiblichem Schrecken bei dem Steinhaufen zurück, ungewiß, ob sie so schnell als möglich zurückeilen, oder die Ankunft der Kommenden abwarten solle. Dieser Zweifel währte nicht lange, denn schon sah sie zwei oder drei Menschen, so nahe, daß eine hastige Flucht ebenso vergeblich als unbesonnen gewesen wäre.

 

Ende des ersten Theils.

 



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