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Sechstes Kapitel.

Doch dann stand auf ganz Edinburg,
Sie standen zu dreitausend auf.

Johannie Armstrang's » Gute Nacht

Als Butler den Laden zum goldenen Hengst verließ, ging er, einen mit gerichtlichen Angelegenheiten vertrauten Freund aufzusuchen. Von diesem hoffte er etwas über die Lage des oben genannten unglücklichen Mädchens zu erfahren, an deren Schicksal – wie der Leser bereits geahnt – tiefere Gründe, als die der bloßen Menschlichkeit ihn so innigen Antheil nehmen ließen. Er fand den Gesuchten nicht zu Hause; ebenso vergeblich waren verschiedene andere Anfragen bei Leuten, die er für sie zu gewinnen dachte; denn durch die Angelegenheit mit Porteous war alles Andere für den Augenblick vergessen, und Jedermann aufs Eifrigste beschäftigt, die begnadigende Maßregel der Regierung zu loben oder anzugreifen. Nun hatte die Hitze des Streits einen so allgemeinen Durst erregt, daß die meisten jungen Rechtsgelehrten nebst ihren Schreibern, (zu welchem letztern Stande die von Butler gesuchten Freunde gehörten,) sich nach irgend einer beliebten Schenke begeben hatten, um dort die Sache mit mehr Muße durchzusprechen. Und so viel Bier wurde bei diesen Verhandlungen ausgetrunken, daß nach mäßiger Berechnung man ein Kriegsschiff ersten Ranges damit hätte flott machen können.

Butler wanderte umher, bis der Tag sich zu neigen begann, entschlossen, die eintretende Dunkelheit zu benutzen, um unbeachtet zu der armen Gefangenen zu gelangen; denn er wünschte die Bemerkungen der Frau Sattelbaum zu vermeiden, deren Laden in nicht großer Entfernung von dem Stadtgefängniß, an der entgegengesetzten Seite derselben Straße, etwas höher hinauf lag. Er schlug auch deshalb einen Weg ein, der ihn von einer andern Richtung her zu dem Eingang des Gefängnisses führte.

Butler stand jetzt vor der gothischen Pforte des alterthümlichen Kerkers, der seine altergraue Stirn in der Mitte von High Street erhebt, und gewissermaßen der Vereinigungspunkt einer Masse angrenzender Gebäude, die Luckenbooths genannt, bildet. Aus einer jetzt unbegreiflichen Ursache hatten ihre früheren Erbauer diese mitten in die Hauptstraße der Stadt eingeklemmt, und gegen Norden nur eine schmale Gasse, gegen Süden einen engen, krummen Gang offen gelassen, der sich zwischen den hohen dunklen Mauern des Gefängnisses und den anstoßenden Häusern auf der einen Seite, und den vorspringenden Pfeilern der alten Kathedrale auf der andern durchwindet. Ein wenig Erheiterung gewähren diesem trübseligen Durchgange die vielen kleinen Buden zwischen den gothischen Pfeilern und Vorsprüngen; in solchem Verhältniß zum Gebäude, als ob die Krämer hier sich in jeden Winkel und jede Vertiefung eingenistet, wie die Mauerschwalbe in Macbeth's Schloß. Früherhin hatten Kleinhändler aller Art ihre mannichfachen Waaren in diesem beschränkten dunklen Raume feil. Jetzt findet man nur Spielwerk für Kinder in diesen Buden, von alten Mütterchen und betagten Männern ausgeboten.

Wir kehren zu unserer Erzählung zurück. Butler fand den Schließer, einen langen, hagern Greis mit heruntergekämmtem Silberhaar, im Begriff die äußere Thür des Gefängnisses zu verschließen. Er redete diesen Mann an, und sagte ihm, er wünsche die des Kindermordes angeklagte Effie Deans zu sprechen. Der Schließer sah in fest an, grüßte ihn höflich, indem er aus Respect vor Butlers schwarzem Kleide und geistlichem Ansehen an den Hut griff, und erwiederte: es sei unmöglich, jetzt noch Jemand einzulassen.

»Ihr schließt heute früher als gewöhnlich; vermuthlich wegen des Vorfalls mit Capitain Porteous?« sagte Butler.

Mit geheimnißvoller Wichtigkeit nickte der Schließer zweimal ernst mit dem Kopfe, und einen schweren, beinahe zwei Fuß langen Schlüssel hervorziehend, schob er damit eine starke Eisenplatte, mit Springschloß und Stahlfeder befestigt, vor die Pforte. Butler blieb instinctmäßig stehen, so lange er noch schließen und verriegeln hörte, dann sah er nach der Uhr und ging rasch die Straße hinauf, fast unwillkürlich die Worte vor sich hinsagend:

» Porta adversa ingens, solidoque adamante columnae;
Vis ut nulla virum, non ipsi exscindere bello
Caelicolae valeant – stat ferrea turris ad auras
« – Vorn das gewaltige Thor, aus festem Demant die Säulen,
Daß nicht Männergewalt, selbst nicht der Unsterblichen Angriff
Durchzubrechen vermag. Hoch strebt ein eiserner Thurm auf.

Nachdem noch ein zweiter Versuch, seinen oben erwähnten Freund und Rathgeber aufzufinden, ihm fehlgeschlagen war, hielt er es endlich für Zeit, die Stadt zu verlassen, und sich nach seinem Wohnort, einem kleinen Dorfe, eine kleine Stunde von Edinburg, zu begeben. Die Hauptstadt war damals von einer hohen Festungsmauer eingeschlossen, mit Zinnen und Vorsprüngen in gewissen Zwischenräumen, und man gelangte zu derselben durch Thore, die jeden Abend regelmäßig verschlossen wurden. Ein kleines Trinkgeld für die Wächter verschaffte zwar zu jeder Stunde den Aus- und Eingang durch ein Pförtchen, welches man zu diesem Zweck in dem größern Thor angebracht; allein dem ziemlich armen Butler schien diese geringe Ausgabe doch nicht ganz unbedeutend, und da die Zeit des Thorschlusses nahe war, eilte er, den nächsten Ausgang der Stadt zu erreichen, obgleich er dadurch seinen Heimweg um etwas verlängerte. Das Westthor, am Ende des Krautmarkts gelegen, war es, dem er sich zuwendete; und er kam noch früh genug dort an, um ohne Erlegung des Thorgeldes den Ausgang zu gewinnen, und zur Vorstadt Portsburgh zu gelangen, die meistens arme Handwerker und Leute aus den niedrigsten Volksclassen zu ihren Bewohnern zählt. Hier stieß er auf ein unerwartetes Hinderniß.

Er hatte das Thor noch nicht lange im Rücken, als er Trommelschlag vernahm, und zu seinem großen Erstaunen einen Haufen von Menschen erblickte, beträchtlich genug, um die ganze Breite der Straße einzunehmen, und auch im Hintergrunde eine beträchtliche Masse zu bilden. Sie bewegten sich mit großer Eile dem Thore zu, von welchem Butler herkam; die Trommel an ihrer Spitze ließ einen Kriegsmarsch erschallen. Während er darüber nachdachte, wie er einer Menge entgehen solle, die wahrscheinlich kein erlaubter Zweck zusammengeführt, hatten jene ihn schon erreicht und hielten ihn an.

»Sind Sie ein Geistlicher?« fragte ihn Einer. Butler erwiederte, er sei geistlichen Standes, doch kein ordinirter Prediger.

»Es ist Herr Butler aus Libberton,« rief eine Stimme aus dem Haufen; »er kann den Dienst so gut versehen, wie ein Anderer.«

»Sie müssen mit uns zurück, mein Herr,« sagte der erste Sprecher mit höflichem aber entschiedenen Tone.

»Und weßhalb, ihr Herren?« sagte Butler. »Ich wohne in einiger Entfernung von der Stadt – die Wege sind bei Nacht unsicher – ihr setzt mich in der That in große Verlegenheit, wenn ihr mich aufhaltet.«

»Man wird Sie sicher nach Hause geleiten – Niemand soll Ihnen nur ein Haar auf Ihrem Haupte krümmen – aber mit uns sollen und müssen Sie.«

»Aber zu welchem Zweck, ihr Herren?« sagte Butler. »Ich hoffe, ihr werdet so höflich sein, es mir zu erklären?«

»Sie werden es zur rechten Zeit erfahren. Kommen Sie mit – denn kommen müssen Sie, entweder mit Güte oder Gewalt; und ich warne Sie, nicht zur Rechten noch zur Linken zu sehen, und auf keines Menschen Gesicht zu achten, sondern Alles, was um Sie her vorgeht, als einen Traum anzusehen.«

»Ich wollte, es wäre ein Traum, aus dem ich erwachen könnte,« sagte Butler zu sich selber; doch da er keine Mittel hatte, sich der Gewalt zu widersetzen, womit er bedroht wurde, so sah er sich genöthigt, sich umzuwenden und den Unruhestiftern vorauszugehen, während er von zwei Männern unterstützt und festgehalten wurde. Die Aufrührer drangen nun in's Westthor ein, entrissen den bestürzten Wächtern die Schlüssel und verwahrten das große Thor von innen durch Schloß und Riegel. Dem Wächter des kleinen Pförtchens geboten sie, dies gleichfalls zu verschließen, und da der Mann in der Angst nicht damit fertig werden, oder den Schlüssel nicht finden konnte, so ließen die Aufrührer, auf Alles vorbereitet, wie es schien, Fackeln bringen, bei deren Licht sie die Pforte mit großen Nägeln vernagelten, die sie wahrscheinlich zu dem Zwecke mitgebracht hatten.

Während dies vorging, konnte Butler nicht umhin, einige von den Personen zu beobachten, welche die Anführer dieses wunderlichen Haufens zu sein schienen. Das Fackellicht, welches ihre Gestalten beleuchtete, während er selber im Schatten blieb, gab ihm die Gelegenheit, es unbemerkt zu thun. Einige von denen, die sich am geschäftigsten zeigten, und die Rädelsführer zu sein schienen, trugen Matrosenjacken, weite Beinkleider und Schiffermützen; Andere hatten große schlotternde Ueberröcke und heruntergeschlagene Hüte; und verschiedene, die man ihrer Kleidung nach für Weiber hätte halten sollen, verriethen doch durch ihre rauhen tiefen Stimmen, ihre ungewöhnliche Größe, ihr Wesen und ihren Gang, daß sie jenem Geschlechte nicht angehörten. Sie handelten wie nach einem wohlgeordneten, übereinstimmenden Plan. Sie hatten Zeichen, woran sie sich erkannten, und Beinamen, um einander zurufen zu können. Butler hörte oft den Namen Wildfeuer, womit eine rüstige Amazone gemeint war.

Die Aufrührer ließen eine kleine Abtheilung zur Bewachung des Westthores zurück und befahlen den Wächtern bei Gefahr ihres Lebens, sich ruhig in ihrem Häuschen zu halten und für diese Nacht keinen Versuch zur Wiedergewinnung des Thores zu machen. Sie bewegten sich dann mit großer Schnelligkeit vorwärts, und vom Wirbel ihrer Trommel herbeigelockt, gesellte sich der Pöbel der Stadt von allen Seiten zu ihnen. Eines andern Thores, bei dem sie vorbei kamen, bemächtigten sie sich ebenso leicht wie des vorigen, verrammelten es ebenfalls und ließen eine kleine Besatzung dort zurück. Es war ein auffallender Beweis der klugen Vorsicht, womit ihre unerhörte Verwegenheit verbunden war, daß diese Thorwachen nicht beständig auf ihren Posten blieben, sondern hin und her streiften, den Eingängen stets nahe genug, sich ihrer versichert zu halten, doch nie so lange an einem Orte verweilend, daß man ihre Gestalten genau beobachten konnte.

Die Menge, im Anfang nicht viel über hundert stark, war nun zu Tausenden angeschwollen und wuchs jeden Augenblick. Sie theilte sich, um schneller mehrere zu High Street führende enge Gäßchen hinansteigen zu können, und unter beständigem Trommelwirbel und dem Zuruf, alle braven Schotten sollten sich ihnen anschließen, gelangten die Ruhestörer zur Hauptstraße der Stadt und erfüllten sie fast ganz.

Das Netherbow-Thor könnte man das Temple-bar von Edinburg nennen, da es, am Ende der High Street befindlich, das eigentliche Edinburg von der Vorstadt Canongate trennt, wie Temple-bar London von Westminster scheidet. Es war für die Ruhestörer von der größten Wichtigkeit, sich dieses Einganges zu versichern, weil damals in Canongate ein Infanterieregiment unter dem Commando des Oberst Moyle in Quartier lag, welches, wenn es durch dieses Thor hereingekommen wäre, die Stadt hätte einnehmen und ihr Vorhaben gänzlich vereiteln können. Die Anführer eilten daher zu dem Netherbow-Thor, dessen sie sich auf dieselbe Weise und mit eben so geringer Mühe versicherten, wie der andern Thore. Hier ließen sie eine Abtheilung zurück, um dasselbe zu bewachen, welche wegen der Wichtigkeit des Postens stärker war, als die andern.

Der nächste Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit war das Wachthaus der Stadtsoldaten. Dies war nur sehr schwach besetzt, da man diesen furchtbaren Aufstand durchaus nicht erwartet hatte. Eine Schildwache vor demselben legte drohend das Gewehr an, als jene heranstürmten; doch die rüstige junge Amazone, die, wie Butler bemerkte, vor allen andern thätig war, sprang auf den Soldaten los, rang ihm das Gewehr aus der Hand und warf ihn gewaltsam zu Boden. Einige seiner Gefährten, die ihm zu Hülfe eilten, erlitten ein gleiches Schicksal. Ohne Mühe bemächtigten sich die Aufrührer des Wachthauses, entwaffneten die Soldaten und jagten sie hinaus. Denn obgleich diese Stadtsoldaten die Werkzeuge jenes Blutvergießens waren, welches man rächen wollte, so geschah ihnen doch nichts zu Leide, noch ward einem von ihnen ein Schimpf angethan. Es schien, als wollte die Sache des Volks sich zu keinem, als dem schuldigen Haupte herablassen, das sie als Grund und Quelle ihrer Beleidigung ansahen.

Im Wachthause zerstörten sie alle Trommeln, damit nicht durch diese ein Aufruf an die Besatzung des Castells ergehen könne; ihre eigene ließen sie jetzt gleichfalls schweigen. Die dort vorgefundenen Waffen verschiedener Art, Gewehre, Hellebarden, Streitäxte, wurden unter die Ersten und Kühnsten vertheilt, denn bis dahin hatten die meisten keine andern Waffen, als Knittel gehabt. Bis dahin hatten die Aufrührer ein völliges Schweigen über die Absicht dieses nächtlichen Aufstandes beobachtet, eine Absicht, die Alle kannten, die aber Niemand aussprach. Jetzt aber, da sie die Vorbereitungen dazu vollendet hatten, brachen sie plötzlich in ein donnerndes Geschrei aus: »Porteous! Porteous! Nach dem Zollhause! Nach dem Zollhause!«

Dennoch beobachteten sie dieselbe Vorsicht, als die Erreichung ihres Zweckes ihnen ganz nahe schien. Eine starke Abtheilung wurde den Luckenbooths gegenüber, zu beiden Seiten der Straße aufgestellt, um den beschriebenen engen Durchgang zu sperren, und jedes Eindringen abzuhalten, so daß das Gefängniß gänzlich umringt war, und das Unternehmen, es zu erstürmen, vor jeder Störung gesichert.

Indessen war die Nachricht von dem Vorgange zu den Mitgliedern des Magistrats gedrungen, und sie hatten sich in einem Gasthof versammelt, um auf Mittel zu denken, wie der Tumult zu dämpfen sei. Sie wandten sich an die Aeltesten der Zünfte, doch diese erklärten, sie könnten wenig thun, wo es gälte, einen so verhaßten Menschen wie Porteous zu retten. Ein Bote wurde auf einem Umwege an den Befehlshaber der Truppen der Vorstadt geschickt, mit der mündlichen Aufforderung – eine schriftliche wagte dieser nicht mit sich zu führen, aus Furcht vor der entrüsteten Menge – das Netherbowthor zu erstürmen, und schleunigst zu Hülfe zu kommen. Allein der Oberst Moyle weigerte sich, Folge zu leisten; durch Porteous' Beispiel geschreckt, über dessen eigenmächtiges Verfahren das Geschwornengericht so streng entschieden hatte, wollte er sich einer solchen Verantwortlichkeit nicht aussetzen, da es an einer schriftlichen Vollmacht fehlte, die ihm hätte zur Rechtfertigung dienen können. Auch nach dem Castell schickte man mehrere ab, den diensthabenden Officier aufzufordern, mit seinen Leuten herabzukommen und einige Kugeln, oder nöthigenfalls eine Kanone oder Bombe unter die Menge zu feuern, um die Straßen von ihr zu säubern. Doch die Runden der Aufrührer waren so wachsam, daß kein einziger dieser Boten bis zum Eingang des Castells gelangte. Sie wurden jedoch unverletzt und unbeleidigt zurückgewiesen, nur mit den Drohungen, welche nöthig waren, um sie von der Erneuerung ihres Versuchs abzuschrecken.

Dieselbe Sorgfalt wurde angewendet, um zu verhindern, daß Leute von den höhern Ständen, und ihnen deßhalb verdächtig, auf den Straßen blieben, und so die Gelegenheit fänden, die Handlungen der Aufrührer zu beobachten, oder Einzelne von ihnen zu erkennen. Jeder wohlgekleidete Mensch wurde angehalten, und theils gewarnt, theils gezwungen zurückzukehren, woher er gekommen. Manche Spielpartie blieb an jenem denkwürdigen Abend unvollständig; denn auch die Sänften vornehmer Frauen fanden keine Gnade, trotz den schimmernden Lakeien und flammenden Fackeln, die sie begleiteten. Doch geschah diese Zurückweisung mit einer Höflichkeit und Achtung gegen das weibliche Geschlecht, wie man sie den Vorposten eines racheschnaubenden Pöbels wohl schwerlich zugetraut. Sie bedienten sich gewöhnlich der Entschuldigung, es sei zu viel Unruhe auf den Straßen, und Mylady's Sicherheit erfordere es umzukehren. Ja, sie erboten sich sogar, die Sänften zu geleiten, vielleicht aus Furcht, einige von denen, die sich dem Haufen zufällig angeschlossen, könnten durch ein zügelloses Betragen ihren entschiedenen, wohlgeleiteten Plan zur Rache entweihen.

Es leben noch Personen, die aus dem Munde der so zurückgewiesenen Damen gehört haben, daß sie von den jungen Leuten, die ihre Reise unterbrochen, in ihre Wohnungen geleitet und selbst mit höflicher Aufmerksamkeit aus der Sänfte geführt worden, obgleich dieselben dem Anscheine nach nur armen Handwerkern glichen. Es schien, als glaubten die Verschwornen, die von ihnen beabsichtigte That sei ein Gericht des Himmels, welches mit Ordnung und feierlichem Ernst vollzogen werden müsse, wenn gleich die gesetzliche Macht es nicht anerkannt.

Während die Vorposten auf solche Weise ihren Dienst thaten, und starke Wachen, zur Rechten und Linken aufgepflanzt, die Zugänge zum Schauplatz der Hauptbegebenheit deckten, donnerte ein auserlesener Haufe der Aufrührer gegen die Gefängnißthür, und begehrte augenblicklichen Einlaß. Es erfolgte keine Antwort, denn der Schließer der äußern Pforte hatte beim Anfang des Lärmens sich klüglich davon gemacht, und die Schlüssel mitgenommen. Die Thüren wurden unverzüglich angegriffen, mit Schmiedehämmern, Brechstangen und Pflugeisen stießen, schlugen und hieben sie gewaltsam dagegen, allein vergeblich; das wohlbefestigte Doppelthor von Eichenholz mit starken eisernen Beschlägen leistete hartnäckigen Widerstand. Die Leute lösten sich in diesen Bemühungen ab, und obgleich sie angestrengt arbeiteten, so gewannen sie doch nicht viel dabei.

Butler war bis zu dem Schauplatz dieses Vorgangs mitgeführt worden, und demselben so nahe, daß das unaufhörliche Schmettern der schweren Hämmer gegen die Eisenbänder des Kerkerthors ihn fast taub machte. Es erwachte jetzt einige Hoffnung in ihm, das Volk werde, durch dieses Hinderniß abgeschreckt, an seinem Unternehmen verzweifeln und es aufgeben, oder es könne während der Verzögerung die nöthige Hülfe erscheinen. Dies Letztere gewann sogar auf einige Augenblicke Wahrscheinlichkeit.

Die Rathsherren hatten alle ihre Unterbediente und eine Anzahl Bürger, die etwas für die öffentliche Ruhe wagen mochten, um sich vereinigt; sie verließen ihren Berathungsort und näherten sich dem Schauplatz der Gefahr. Ihnen voraus gingen ihre Diener mit Fackeln und Kerzen, und ein Herold, um nöthigenfalls das Aufruhrgesetz abzulesen. Es ward ihnen leicht, die Außenwachen und Runden der Empörer vor sich herzutreiben; da sie aber der großen Linie nahten, die jene als Hauptschutzwehr ihres Unternehmens bei den Luckenbooths gezogen, wurden sie mit einem ununterbrochenen Hagel von Steinen empfangen, und als sie weiter dringen wollten, streckten Picken, Flinten und Aexte sich ihnen entgegen. Einer der Rathsdiener, ein starker entschlossener Mensch, wagte es dennoch, vorwärts zu gehen, Einen aus dem Haufen zu packen und ihm die Flinte zu entreißen. Allein des Beistands ermangelnd, ward er augenblicklich niedergeworfen und entwaffnet; glücklich genug, daß man ihm vergönnte, sich ohne weiteren Unglimpf aufzuraffen und davon zu laufen. Ein neuer Beweis der bewundernswürdigen Mäßigung dieser Menschen gegen alle übrigen, bei dem unbeugsamen Haß gegen das ihrer Rache geweihte Opfer. Nach mehreren fruchtlosen Versuchen, sich Gehör und Gehorsam zu verschaffen, und ohne die Mittel, ihren Befehlen Nachdruck zu geben, sahen die Rathsherren sich endlich genöthigt, das Feld zu räumen, und sich vor dem Wurfgeschütz, das ihnen um die Ohren sauste, eiligst zurückzuziehen.

Was die thätige Dazwischenkunft des Raths nicht vermocht, schien der ruhige Widerstand des Gefängnisses leisten zu können. Die gewaltigen Eisenhämmer schmetterten noch ununterbrochen dagegen, und das Getöse, von den hohen Gebäuden umher wiederhallend, konnte leicht bis hinauf zum Castell dringen, und die Besatzung zu den Waffen rufen. Es ging die Rede unter den Verschwornen, die Truppen würden herabkommen, und sie auseinander treiben, oder auch von oben herab sie durch Bomben verjagen, wenn sie nicht ihr Vorhaben schleunigst ausführten.

Durch solche Besorgniß angespornt, lösten sie sich mit verdoppeltem Eifer in ihren Angriffen gegen die Kerkerthür ab, deren Festigkeit dessen ungeachtet diesen vereinten Bemühungen widerstand. Plötzlich rief eine Stimme aus dem Haufen: »Versucht's mit Feuer!« Wie aus einem Munde schrieen nun die Aufrührer mit lautem Hallo nach Feuerstoffen, und da Alles was sie verlangten auf's Schnellste in Bereitschaft war, so sahen sie sich auch sehr bald im Besitz einiger leeren Theertonnen. Ein großes, dunkelrothes Lustfeuer schlug jetzt leuchtend an der Kerkerthür empor, eine hohe Säule von Flammen und Rauch zu den grauen Thürmen und vergitterten Fenstern des alten Gebäudes hinansendend. Auf wunderliche Weise bestrahlte es die zornblickenden Gesichter und wilden Geberden der Aufrührer, sowie die von Furcht und Entsetzen bleichen Mienen derer, die an nah gelegenen Fenstern den Erfolg dieses ängstigenden Vorgangs abwarteten.

Man nährte das Feuer mit Allem, was man zu diesem Zweck finden konnte. Die Flammen knisterten und krachten von all den verschiedenen ihnen preisgegebenen Stoffen, und bald verkündete ein furchtbares Geschrei, die Thür habe Feuer gefangen und werde bald zerstört sein. Man ließ jetzt die Glut eingehen, doch lange zuvor, ehe sie ganz gelöscht war, stürzten die Vordersten ungeduldig durch die noch dampfenden Ueberbleibsel hinein. Dichter Funkenregen sprühte hoch in die Luft, wie Einer nach dem Andern über die glühende Asche sprang, ihr Eindringen störend, aber nicht verhindernd. Butler und alle Andern, die gegenwärtig, sahen es nun keinem Zweifel mehr unterworfen, daß diese Wüthenden augenblicklich im Besitz ihres Opfers sein, und es in ihrer Macht haben würden, nach Gefallen mit ihm zu verfahren.


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