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Vierzehntes Kapitel.

Gar trüb' und finster war die Nacht,
Und einsam war der Weg,
Als Janet in dem Mantel grün
Zum fernen Kreuze schritt.

Alte Ballade.

Indem wir Butler all den trostlosen Gedanken überlassen, die mit seiner neuen Lage verbunden waren, unter welchen der vorherrschende in dem Gefühl bestand, daß ihm durch seine Gefangenschaft alle Möglichkeit genommen sei, der Familie zu St. Leonard's in ihrer größten Noth beizustehen, kehren wir zu Jeanie Deans zurück, die ihn hatte fortgehen sehen, ohne die Gelegenheit zu weiterer Erklärung zu haben. Sie sollte nun allen jenen theuren Wünschen und Hoffnungen Lebewohl sagen, die sie so lange in ihrem Busen gehegt. Den stärksten Herzen (und Jeanie trug das einer Heldin unter ihrem ländlichen Mieder) wird es vielleicht am schwersten, sich von diesen sanften, zwischen Lust und Schmerz getheilten Empfindungen zu trennen. Einige Minuten lang weinte sie heftig, ohne einen Versuch, dieser leidenschaftlichen Ergießung Einhalt zu thun. Aber bald machte sie sich Vorwürfe, daß sie sich einem Schmerze hingab, der nur der ihrige war. Sie zog den Brief hervor, den man ihr diesen Morgen in's Fenster geworfen. Er war seltsamen Inhalts. »Wenn sie einen Menschen von der furchtbarsten Schuld und ihren verzweifelten Folgen retten wollte – wenn sie ihrer Schwester Leben und Ehre den blutigen Klauen eines ungerechten Gesetzes zu entreißen wünschte – wenn sie ihren Seelenfrieden auf Erden und ihr ewiges Heil jenseits nicht verscherzen wolle« – so lautete die wilde Beschwörung – »würde sie gebeten, dem Briefsteller eine sichere, geheime und einsame Zusammenkunft zu gewähren. Sie allein könnte ihn retten, er allein ihre Schwester.« – Der Brief sagte ferner, sie dürfe dieser Zusammenkunft gegen Niemand erwähnen, ohne dieselbe durchaus unmöglich zu machen. Er schloß mit den lebhaftesten Betheuerungen, daß für ihre eigene Sicherheit nichts dabei zu fürchten sei.

Die Botschaft des Unbekannten, welche Butler ihr überbrachte, stimmte mit dem Inhalt dieses Schreibens überein, nur daß ein anderer Ort und eine andere Stunde bestimmt war. Jeanie war mehr als einmal im Begriff gewesen, ihrem Freunde den Brief zu zeigen, um seinen halb angedeuteten Verdacht zu widerlegen. Allein dem Stolz der Unschuld wird es oft schwer, sich zur Rechtfertigung herabzulassen; auch schreckte sie das drohende Verbot des Briefes von dieser Mittheilung zurück. Dennoch würde sie ihm bei längerem Zusammensein ohne Zweifel Alles entdeckt haben, und als die Gelegenheit dazu verschwunden war, that es ihr wehe. Sie fühlte, daß sie ungerecht gegen den Freund gewesen, dessen treue Ergebenheit ein vollkommenes Vertrauen verdiente, und dessen verständiger Rath ihr nützlich gewesen wäre.

Ihrem Vater wagte sie jene seltsame Aufforderung nicht mitzutheilen. Man konnte nie voraussehen, wie David Deans eine Sache aufnehmen werde. Die Begleitung einer Freundin wäre freilich wünschenswert gewesen; doch wußte sie keine, die eines solchen Vertrauens würdig war, hätte sie auch das Verbot des Briefes überschreiten wollen. Sie kannte die Leute in der Gegend wenig. Der Umgang mit den redseligen Gevatterinnen der Nachbarschaft hatte für ein Mädchen von so starker Seele und so ernstem Sinn, wie Jeanie, durchaus nichts Anziehendes gehabt.

Allein, und aller irdischen Hülfe beraubt, nahm sie ihre Zuflucht zu einem Freunde und Rathgeber, dessen Ohr dem Ruf der ärmsten und gebeugtesten der Seinen stets offen ist. In andächtigem Gebet warf sie sich vor Gott nieder, und bat ihn, sie zu leiten in dieser Bedrängniß. Jeanie fand, was sie gesucht hatte. Mit einem Herzen, gerüstet gegen jede Prüfung, ermuthigt jeder Gefahr zu begegnen, erhob sie sich von ihrer Andacht. »Ich will diesen Unglücklichen sprechen,« sagte sie zu sich selbst, – »unglücklich muß er wohl sein, wenn er, wie ich nicht zweifle, die Ursache des Unglücks der armen Effie ist. Sprechen muß ich ihn, es werde daraus, was will. Ich darf mir nie den Vorwurf zu machen haben, daß ich meiner eigenen Sicherheit wegen ein Mittel zur Rettung unversucht gelassen habe.«

Nach diesem Entschluß, der ihr große Beruhigung gewährte, ging sie wieder zu ihrem Vater und dann an die Geschäfte des Haushalts. In banger Erwartung verging ihr der Tag. Auch Vater Deans war durch die Vorgänge des Morgens mehr als je aufgeregt. Doch wich er ebenso wenig als seine Tochter von der gewohnten Bahn der häuslichen Ordnung ab. Nur eine Unruhe, die ihn unablässig von einem Orte zum andern trieb, ein häufiges krampfhaftes Zucken seiner Augenlider und unwillkürlich ausgestoßene Seufzer zeugten von der Angst seiner Seele. In solcher Stimmung setzten sich Vater und Tochter zu ihrem einfachen Mahl. Deans fügte dem Tischgebet einige Worte von der Ergebung in den Willen Gottes hinzu. Seiner Lehre Kraft zu geben durch sein Beispiel, wollte er selbst etwas Speise nehmen, allein die Natur war zu mächtig, er war nicht dazu im Stande. Beschämt über seine eigene Schwäche, sprang er auf und eilte hastig hinaus; doch kehrte er in weniger als fünf Minuten scheinbar ruhig zurück, seinem eiligen Rückzug den Vorwand gebend: es wäre ihm gewesen, als hätte er das Füllen frei im Stalle herumspringen hören.

Er wagte sich nicht wieder an den Gegenstand seiner früheren Unterhaltung, und seine Tochter war froh, daß er dieses aufregende Thema nicht wieder berührte. Die Stunden gingen vorüber, wie sie vorübergehen müssen, sie mögen nun von Freude beflügelt, oder von Trübsal belastet sein. Die Sonne ging hinter der duftigen Höhe des Schlosses und dem Schirm der westlichen Hügel unter, und der Abend rief Deans und seine Tochter zu ihrer gewohnten Andacht. Jeanie erinnerte sich schmerzlich, wie sie um diese Zeit oft die länger werdenden Schatten beobachtet, und ängstlich nach Effie ausgesehen, wenn diese zu lange verweilte. Sie tadelte sich selbst, daß sie nicht damals ihres Vaters Gewalt gegen den Leichtsinn ihrer Schwester zu Hülfe gerufen, und sie so vielleicht vom Verderben gerettet. »Doch ich handelte nach bestem Wissen und Willen,« dachte sie dann wieder, »und wer hätte so großes Uebel von einem Gran irdischer Hefe bei einem so gütigen, reinen und edlen Gemüthe erwarten können?«

Bei der Abendandacht stand zufällig ein Stuhl da, wo Effie zu sitzen pflegte. David Deans sah die Augen seiner Tochter in Thränen schwimmen, als sie sich auf diesen Gegenstand richteten. Er stieß ihn mit einer ungeduldigen Bewegung weg, als sollte nichts die Gedanken zum Irdischen zurückrufen in dem Augenblick der Erhebung zu Gott. Der Abschnitt aus der Bibel war gelesen, der Psalm gesungen, das Gebet verrichtet. Absichtlich hatte Deans jede Stelle vermieden, die auf sein häusliches Unglück zu beziehen war. Er stand jetzt auf, und indem er seiner Tochter eine gute Nacht wünschte, faßte er ihre Hände und hielt sie eine Zeitlang in den seinigen; dann zog er sie an sich, küßte sie auf die Stirn und rief: »Der Herr segne Dich mit dem Segen der Verheißung, mein theures Kind!«

Solche Aeußerungen der Zärtlichkeit pflegte sich Deans nicht zu gestatten. Er betrachtete sie als eine Schwäche. Um so tiefern Eindruck machten sie jetzt auf Jeanie. »Und auf Dir, mein theurer Vater,« rief sie, nachdem sich die Thür hinter dem ehrwürdigen Greis geschlossen, »möge hundertfacher Segen der Verheißung ruhen, der Du auf dieser Welt wandelst, als wärest Du nicht von dieser Welt, und Alles, was sie geben und nehmen kann, nur den Mücken gleich achtest, die der Morgenstrahl hervorbringt, und der Abendhauch verweht!«

Nun bereitete sie sich auf ihren nächtlichen Gang vor. Von ihrem Vater vermißt zu werden, durfte sie nicht fürchten. Regelmäßig in allem, verließ er nie sein Schlafgemach, wenn er sich Abends dorthin begeben hatte. Doch vermochte sie kaum ihrem Entschluß treu zu bleiben, als der Augenblick der Ausführung gekommen war. Ihre Hände zitterten, indem sie ihre schönen Haare unter das Band, den einzigen Kopfschmuck der Mädchen des Hochlandes, schlang, und indem sie das rothcarrirte schottische wollene Tuch befestigte, welches von allen Frauen jener Gegenden als eine Art Mantel oder Schleier getragen wird. Ein Gefühl der Unziemlichkeit sowohl, als der Gefahr ihres Vorhabens erfaßte sie gewaltsam, als sie die Thür des väterlichen Hauses öffnete, um es zur Nachtzeit, allein und ohne Wissen ihres natürlichen Beschützers zu verlassen.

Als sie sich auf freiem Felde sah, drängten sich ihr neue Gegenstände der Besorgniß auf. Diese nackten Felsenmassen, mit schwärzlich grünen Hügeln untermischt, zwischen denen sich ihr Weg hindurchschlang, riefen ihr manche Gewaltthat in's Gedächtniß, die dort geschehen sein sollte. Sie waren oft die Zuflucht von Räubern gewesen; Hexen und böse Geister hatten der Sage nach daselbst gehaust. Und mit jedem Schritt auf dem öden, wild bewachsenen Pfad vertiefte sie sich mehr in diesem Gebiet des Schreckens und entfernte sich weiter von jeder Möglichkeit menschlicher Hülfe. Zitternde Mondblicke beleuchteten jetzt die Gegend mit bleichem, ungewissen Schein. Schwankende Bilder aller Gräuelgeschichten, die Jeanie je von dieser Einöde hatte erzählen hören, bewegten sich vor ihrer Einbildungskraft. Eine unbeschreibliche Angst ergriff sie. Allein sie wich nicht von ihrem Vorsatz. Der Gedanke, ihre Schwester retten zu können, siegte über ihre Furcht. Mit bebendem Fuß, aber entschlossen, schritt sie vorwärts über Stein und Dorn, bald im Dunkel und bald im Mondlicht, wie ihr Pfad beleuchtet oder im Schatten lag, indem sie sich dem Schutze dessen empfahl, vor dem die Nacht dem hellen Mittag gleich ist.


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