Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elfie Deans

Erstes Kapitel.
Als Einleitung.

Romantisch Ashbourn, deinen Hügel gleitet
Hinab die Derby-Post mit sechs Personen.

Frere.

Die Zeiten haben sich in weiter nichts geändert, (wir folgen, wie wir zu thun gewohnt sind, dem Manuscript Peter Pattieson's,) als in der schnellern Mittheilung der Nachrichten zwischen den verschiedenen Theilen Schottlands. Nach der Aussage mancher noch lebenden glaubwürdigen Zeugen ist es noch nicht länger als zwanzig oder dreißig Jahr, wo ein elender kleiner Karren, der mit Schwierigkeit täglich eine Reise von dreißig Meilen zurücklegte, unsere Briefe von der Hauptstadt Schottlands bis an die Gränzen des Landes brachte. Auch war Schottland nicht mangelhafter in diesen Einrichtungen, als unsere reichere Schwester es achtzig Jahre früher gewesen war. Fielding in seinem Tom Jones und Farquhar in einer kleinen Posse, die Postkutsche genannt, haben die Langsamkeit dieser Fuhrwerke zur öffentlichen Benutzung lächerlich gemacht. Der letztern Autorität zu Folge konnte der Postillon nur durch das größte Trinkgeld zu dem Versprechen gebracht werden, eine halbe Stunde vor der gewöhnlichen Zeit im Ochsen ankommen zu wollen.

Doch in beiden Ländern ist diese alte, langsame und sichere Art zu reisen jetzt gleich unbekannt; eine Postkutsche stürmt an der andern vorbei, und ein Eilwagen an dem andern, bis zu den entferntesten Distrikten Britanniens hin. Und in unserm Dorfe allein donnern drei Postkutschen und vier Miethskutschen, mit bewaffneten Männern in scharlachrothen Mänteln angefüllt, jeden Tag durch die Straßen und rivalisiren an Glanz und Geräusch mit der Erfindung des berühmten Tyrannen:

Demens, qui nimbos et non imitabile fulmen,
Aere et cornipedum pulsu, simularat, equorum Unsinn war es, die Wolk' und den unvergleichlichen Blitzstrahl Nachzuahmen durch Erz und den Schlag hornhufiger Rosse..

Es war ein schöner Sommertag, und unsre Schuljugend hatte durch die Vermittelung eines gutherzigen Besuchers Des Herrn Gilbert Goslinn von Gandercleugh; denn ich liebe es in Sachen von Wichtigkeit genau zu sein. einen halben Feiertag erhalten. Ich erwartete mit der Post eine neue Nummer einer interessanten Zeitschrift und ging auf der Landstraße ihr entgegen, mit der Ungeduld, welche Cowper an einem Manne schildert, der zur Zeit auf dem Lande wohnt, und Nachrichten von dem Markte der Neuigkeiten wünscht:

den großen Streit,
Die populäre Red' – die scharfe Antwort –
Die Logik und die Weisheit und den Witz,
Das laute Lachen – Alles möcht' ich wissen –
Und brenne, die gefang'nen Zänker wieder frei
Und im Besitze ihrer Stimm' zu sehen.

Mit solchen Empfindungen sah ich der Ankunft der neuen Postkutsche entgegen, die erst jüngst auf dem Wege eingerichtet und unter dem Namen Somerset bekannt war, die, um die Wahrheit zu sagen, für mich von einigem Interesse ist, selbst wenn sie keine so wichtige Nachrichten mitbringt. Das ferne lärmende Geräusch ihrer Räder ließ sich gerade hören, als ich den Gipfel einer kleinen Anhöhe, Goslin-brae genannt, erreichte, von wo man eine weite Aussicht hat, in das Thal des Baches Gander hinunter. Die Landstraße, die sich der Seite desselben nähert und vermöge einer Brücke, die etwa eine Viertelmeile von der Stelle entfernt war, wo ich stand, über ihn hinwegführte, zog sich zum Theil durch Schonungen und Anpflanzungen, und zum Theil durch freies Weideland dahin. Vielleicht ist es eine kindische Unterhaltung – aber ich habe mein Leben mit Kindern zugebracht, und warum sollte mein Vergnügen nicht dem ihrigen gleich sein? – so kindisch sie nun auch ist, so muß ich doch gestehen, daß es mir großes Vergnügen gewährte, die Annäherung des Wagens zu beobachten, wo die Oeffnungen des Weges ihn sehen ließen. Der bunte Schimmer der Equipage, ihr verkleinertes und spielzeugähnliches Ansehen in der Ferne, im Gegensatz zu ihrer schnellen Bewegung, ihr abwechselndes Erscheinen und Verschwinden, und das nach und nach zunehmende Geräusch, welches ihre Annäherung verkündet, Alles dies hat etwas Interessantes für den müßigen sorglosen Zuschauer, der auf nichts Wichtigeres zu achten hat. Ich mag mich lächerlich machen, gleich manchem rechtlichen Bürger, der aus dem Fenster seines Landhauses das Vorüberfahren der Postkutsche beobachtet; aber dennoch ist es eine sehr natürliche Quelle des Vergnügens, und viele von denen, die in das Lachen einstimmen, genießen es insgeheim zuweilen selber.

Bei der gegenwärtigen Gelegenheit hatte das Schicksal aber nicht beschlossen, daß ich mich des Genusses erfreuen sollte, die Kutsche rasselnd an mir vorüberfahren zu sehen, während ich auf dem Rasen saß, und die rauhe schnarrende Stimme des Conducteurs zu hören, wie er das erwartete Paket für mich hervorlangte, ohne daß der Wagen einen Augenblick in seinem Laufe anhielt. Ich hatte den Wagen den Hügel, der zu der Brücke führt, mit ungewöhnlichem Ungestüm herunterdonnern hören, während Staubwolken sich erhoben und er auf dem Wege einen Schweif zurückließ, der dem Sommernebel glich. Doch der Wagen erschien nicht in dem gewöhnlichen Zeitraum von drei Minuten auf dem Gipfel der näheren Erhöhung, was, wie ich aus häufiger Beobachtung wußte, die mittlere Zeit war, die dazu gehörte, über die Brücke und auf die Höhe zu fahren. Als das Doppelte jener Zeit verstrichen war, wurde ich unruhig und ging hastig vorwärts. Als ich die Brücke sehen konnte, wurde mir die Ursache der Verzögerung nur zu deutlich, denn der Somerset Somerset heißt der Purzelbaum, welches Wort ich als Benennung dieses Fuhrwerks unübersetzt gelassen habe. Der Uebers. hatte im eigentlichen Sinne einen Purzelbaum gemacht, und war so vollkommen umgeschlagen, so daß die Decke unten war und die vier Räder in der Luft schwebten. Die Bemühungen des Conducteurs und des Postillons, welche später in den Zeitungen dankbar erwähnt wurden, da es ihnen gelungen war, durch Abschneiden der Stränge die Pferde vom Wagen los zu machen, waren jetzt bemüht, die im Innern der Kutsche befindlichen Personen auf die schnellste Weise zu befreien, indem sie die Hängen von einer der Thüren abbrachen, die sie auf andere Weise nicht öffnen konnten. So wurden zwei untröstliche Fräulein aus dem ledernen Schooße des Fuhrwerks durch eine Art von Kaiserschnitt ans Licht gebracht. Da sie sogleich ihre Kleider zu ordnen begannen, die, wie sich vermuthen läßt, ein wenig derangirt waren, so schloß ich daraus, daß sie keinen Schaden genommen, und wagte nicht, ihnen meine Dienste bei ihrer Toilette aufzudringen, wofür ich, wie ich höre, später von den schönen Leidenden bin bitter getadelt worden. Die äußern Passagiere, die durch den Stoß von ihrer Höhe, gleich dem Sprengen einer Mine mußten herunter geschleudert worden sein, kamen mit einigen Beulen und Quetschungen davon, außer Dreien, die in den Fluß Gander gefallen waren, und gleich den Ueberbleibseln vom Schiffbruch des Aeneas mit der Fluth kämpften:

Rari apparent nantes in gurgite vasto. Dort im unendlichen Schlund erscheinen der Schwimmenden wenig.

Ich wendete meine geringen Bemühungen an, wo sie am nöthigsten schienen, und mit Hilfe von Einigen der Gesellschaft, die unverletzt davon gekommen waren, gelang es mir, zwei von den unglücklichen Passagieren herauszufischen, welches rüstige und gewandte Kerle waren, die wenig Beistand würden bedurft haben, hätten sie nicht lange Mäntel und entsetzlich weite neumodische Wellington-Hosen angehabt. Der dritte war älter und kränklich, so daß er vielleicht ertrunken wäre, hätten wir ihn nicht ans Land gebracht.

Als die beiden Herren in den großen Mänteln sich aus dem Flusse frei gemacht und ihre Ohren gleich ungeheuren Wasserhunden geschüttelt hatten, entspann sich zwischen ihnen und dem Postillon und dem Conducteur ein heftiger Streit wegen der Veranlassung des Umwerfens. Im Verlauf des Zankes bemerkte ich, daß meine beiden neuen Bekannten der Rechtsgelahrtheit angehörten, und daß sie vermöge der ihrem Stande zukommenden Schärfe des Ausdrucks den Führern des Wagens, ungeachtet ihres mürrischen und amtseifrigen Tones, weit überlegen sein würden. Der Streit endete mit der Versicherung des Conducteurs, daß sie in einer schwerfälligen Kutsche, welche in weniger als einer halben Stunde an der Stelle vorbeikommen würde, Sitze haben sollten, vorausgesetzt, daß sie nicht voll wäre. Der Zufall schien diese Anordnung zu begünstigen, denn als das erwartete Fuhrwerk ankam, waren nur zwei Plätze besetzt, und der Wagen machte Anspruch, sechs Personen fassen zu können. Die beiden Damen, welche aus dem umgestürzten Wagen waren hervorgezogen worden, wurden bereitwillig aufgenommen, doch verweigerten die ersten Besitzer den beiden Advokaten bestimmt den Eintritt, deren Kleider zu sehr vollgesogenen Schwämmen glichen, als daß man nicht hätte glauben sollen, sie würden einen beträchtlichen Theil des angesammelten Wassers zur Unbequemlichkeit ihrer Reisegefährten ergießen. Andererseits weigerten sich die Advocaten, einen Sitz auf der Imperiale einzunehmen, da sie angaben, sich nur zum Vergnügen auf eine Station dorthin gesetzt zu haben, und in jeder Hinsicht zu freiem Ein- und Austritt aus dem Innern des Wagens berechtigt zu sein, worauf ihr Passagierschein lautete. Nach einigem Gezänke, wobei etwas von dem Edict in Betreff der nautae, caupones, stabularii gesagt wurde, fuhr die Kutsche weiter und überließ es den gelehrten Herren ihre Entschädigungsklage anzustellen.

Sie wendeten sich sogleich mit der Bitte an mich, sie in das nächste Dorf und in das beste Wirthshaus zu führen; und nach dem Berichte, den ich ihnen von Wallace-Head gab, erklärten sie, es wäre ihnen viel lieber dort zu bleiben, als unter den Bedingungen weiter zu reisen, die ihnen der unverschämte Conducteur des Somerset angeboten habe. Alles, was ihnen jetzt fehlte, war ein Bursche, um ihnen ihr Gepäck zu tragen. Diesen verschafften sie sich bald aus einer benachbarten Hütte, und sie waren im Begriff fortzugehen, als sie fanden, daß noch ein Reisender in derselben verlassenen Lage sei, wie sie selber. Dies war der ältere und kränklich aussehende Mann, der mit den beiden Rechtsgelehrten zugleich in den Fluß gestürzt war. Wie es schien, war er zu bescheiden gewesen, um sein Recht gegen den Postillon geltend zu machen, da er gesehen, daß die Vornehmeren waren zurückgewiesen worden. Er war mit einem Ausdruck furchtsamer Besorgniß zurückgeblieben, welcher deutlich zu erkennen gab, daß es ihm an jenen Mitteln der Empfehlung mangele, die ein nothwendiger Paß zu der Gastfreundschaft eines Wirthshauses sind.

Ich versuchte die Aufmerksamkeit der beiden jungen Haudegen, denn solche schienen sie zu sein, auf die verlassene Lage ihres Reisegefährten zu richten. Sie nahmen den Wink mit gutem Herzen auf.

»Ei, das ist wahr, Herr Dunover,« sagte Einer von den jungen Leuten, »Sie dürfen nicht hier auf der Straße bleiben; Sie müssen mit uns gehen und mit uns zu Mittag speisen. – Halkit und ich müssen doch eine Postchaise nehmen, um weiter zu kommen, und wir wollen Sie absetzen, wo es Ihnen am besten dünkt.«

Der arme Mann, denn als solchen bezeichnete ihn seine Kleidung und seine Schüchternheit, machte eine Art von dankbarer Verbeugung, wobei ein Schotte sagt: »Es ist zu viel Ehre für Meinesgleichen,« und folgte demüthig seinen muntern Beschützern, während alle drei den staubigen Weg mit dem Naß ihrer vollgesogenen Kleider besprengten, und das seltsame, etwas lächerliche Ansehen von drei Personen darstellten, die von zu großer Nässe litten, während die Sommersonne in ihrem Höhenpunkte stand, und Alles umher den Ausdruck der Hitze und Dürre an sich trug. Den jungen Herren selber entging das Lächerliche nicht, und ehe sie noch weit auf ihrer Wanderschaft fortgeschritten waren, hatten sie bereits einige erträgliche Scherze über diesen Gegenstand vorgebracht.

»Wir können uns nicht gleich Cowley beklagen,« sagte der Eine von ihnen, »daß Gideon's Vließ trocken bleibt, während Alles umher naß ist; dieß ist das Gegentheil von dem Wunder.«

»Man sollte uns in dieser guten Stadt dankbar aufnehmen,« sagte Halkit, »denn wir bringen Zufuhr von dem, was sie am meisten zu bedürfen scheinen.«

»Und theilen es mit unvergleichlicher Großmuth aus,« versetzte sein Begleiter, »indem wir das Geschäft von drei Wasserkarren verrichten, zum Vortheil ihrer staubigen Straßen.«

»Wir treten auch vor sie,« sagte Halkit, »in voller amtlicher Kraft – Richter und Anwalt –«

»Und Client,« sagte der junge Advocat, indem er sich umsah und dann mit leiserer Stimme hinzusetzte; »es sieht auch aus, als wäre er zu lange in so gefährlicher Gesellschaft gewesen.«

Es war in der That auch wahr, daß der demüthige Begleiter der muntern jungen Männer das abgetragene Ansehn eines verarmten Processirenden hatte, und ich konnte nicht umhin, über die Bemerkung zu lächeln, obgleich ich bemüht war, meine heitere Stimmung vor dem Gegenstande des Scherzes zu verbergen.

Als wir im Wallace-Head ankamen, bestand der ältere von den edinburger Herren darauf, daß ich da bleiben und an ihrem Mittagessen Theil nehmen solle. Ihre Fragen und Bestellungen setzten bald den Wirth und seine ganze Familie in Bewegung, das Beste zum Vorschein zu bringen, was Speisekammer und Keller enthielten, und es auf's Schmackhafteste zuzubereiten, eine Kenntniß, worin unsere Wirthe wunderbar erfahren zu sein schienen. In anderer Hinsicht waren sie lebhafte junge Leute, in der Blüthe der Jugend und Heiterkeit, und sie spielten die Rolle, welche den Rechtsgelehrten der höhern Classen in Edinburg eigen ist, und die fast der Rolle der jungen Templer Mitglieder des Tempels in London, junge Rechtsgelehrte. Der Uebers. in den Tagen Steele's und Addison's gleicht. Eine ausgelassene Fröhlichkeit mischte sich mit dem Verstande, dem Geschmack und der Kenntniß, die sich in ihrer Unterhaltung kund gaben; und es schien ihre Absicht zu sein, den Charakter der Männer nach der Mode mit dem Liebhaber der schönen Künste zu vereinigen. Ein feiner Gentleman, erzogen in durchaus eitlem und leeren Treiben, welches meiner Ansicht nach zu der Vollkommenheit dieses Charakters durchaus nothwendig ist, hätte höchst wahrscheinlich einen Anflug von amtlicher Pedanterie auffinden können, die dem Advocaten ungeachtet seiner Bemühungen anklebte, und eine gewisse thätige Geschäftigkeit an seinem Gefährten; aber gewiß würde er eine mehr als modische Mischung von Kenntniß und Geist in der Sprache Beider entdeckt haben. Mir aber, der ich keinen Anspruch darauf machte, so kritisch zu sein, schienen meine Gefährten eine sehr glückliche Mischung von guter Erziehung und Kenntnissen zu bilden, mit einer Neigung zum Geplauder, Wortspiel und Scherz, woran sich ein ernster Mann ergötzt, weil ihm dieselben am wenigsten zu Gebote stehen.

Der hagere Mann mit dem blassen Gesichte, den ihre Gutmüthigkeit in ihre Gesellschaft gebracht hatte, sah verwirrt und muthlos drein, saß auf der Kante seines Stuhls und hielt denselben zwei Fuß vom Tische entfernt. Auf diese Weise machte er es sich sehr unbequem, die Speisen in den Mund zu bringen, als habe er sich dies als Buße auferlegt, weil er dieselben in Gesellschaft vornehmerer Leute einnahm. Kurze Zeit nach dem Essen, als er sich durch keine Bitte hatte bewegen lassen von dem Wein zu sich zu nehmen, welcher nicht gespart wurde, erkundigte er sich nach der Stunde, zu welcher die Kutsche bestellt sei, sagte, er wolle bereit sein, und entfernte sich bescheiden aus dem Zimmer.

»Jack,« sagte der Advocat zu seinem Gefährten, »ich erinnere mich des Gesichts jenes armen Kerls; Sie haben wahrer geredet, als Sie sich selber bewußt waren; er ist wirklich einer von meinen Clienten, der arme Mann.«

»Der arme Mann!« wiederholte Halkit – »ich vermuthe Sie wollen sagen, er ist Ihr einziger und alleiniger Client?«

»Das ist nicht meine Schuld, Jack,« versetzte der Andere, dessen Name, wie ich im Laufe der Unterredung erfuhr, Hardie war. »Sie wollten mir alle Ihre Praxis überlassen, wie Sie wissen; und wenn Sie keine haben, so weiß dieser gelehrte Herr, daß aus Nichts Nichts kommen kann.«

»Sie scheinen doch Etwas zu Nichts hinzugebracht zu haben, in der Sache jenes ehrlichen Mannes. Er sieht aus, als wollte er eben das Herz von Mid-Lothian mit seinem Aufenthalt beehren.«

»Sie irren – er ist eben daraus befreit worden. – Unser Freund hier wünscht eine Erklärung zu haben. Sagen Sie mir gefälligst, Herr Pattieson, waren Sie einmal in Edinburg?«

Ich antwortete bejahend.

»Dann müssen Sie gelegentlich, wenn auch wahrscheinlich nicht so beständig, wie ich zu thun verdammt bin, durch einen engen, verwickelten Gang gekommen sein, der von dem nordwestlichen Winkel des Parlamentsplatzes ab an einem hohen und alterthümlichen Gebäude mit Thürmchen und eisernen Gittern vorbeiführt, welches das alte Sprichwort bestätigt:

Je näher der Kirch', desto weiter von Gott« –

Herr Halkit fiel seinem gelehrten Freunde in's Wort, um auch sein Scherflein zu dem Räthsel beizutragen – »Es hat an der Thür das Zeichen des rothen Mannes« –

»Und ist seiner Bestimmung nach,« begann der Rechtsconsulent, jetzt seinerseits den Freund unterbrechend, »ein Ort, wo das Unglück fast immer mit der Schuld gemischt ist, wo alle, welche hinauszukommen wünschen« –

»Und wo keiner, der das Glück hat draußen zu sein, sich hinein wünscht,« setzte sein College hinzu.

»Ich verstehe Sie, meine Herren,« erwiederte ich; »Sie meinen das Gefängniß.«

»Das Gefängniß,« setzte der jüngere Advocat hinzu, – »Sie haben es getroffen – es ist das verehrungswürdige Zollhaus selber; und erlauben Sie mir zu sagen, daß Sie uns verbunden sein müssen, daß wir es Ihnen mit so viel Bescheidenheit und Kürze beschreiben; denn mit was für Erweiterungen wir auch den Gegenstand hätten ausschmücken wollen, mußten Sie ganz unserer Willkür überlassen, da die Patres Conscripti unserer Stadt beschlossen haben, daß das ehrwürdige Gebäude selber nicht mehr vorhanden sein soll, um unsere Beschreibung zu bestätigen, oder zu widerlegen.«

»Das Zollhaus zu Edinburg wird also das Herz von Mid-Lothian genannt?« sagte ich.

»So wird es genannt, und unter dieser Benennung ist es berühmt, das kann ich Ihnen versichern.«

»Da dünkt mich,« sagte ich mit der schüchternen Unsicherheit eines Mannes, der sich in Gegenwart vornehmerer Leute ein Wortspiel erlaubt, »daß die Grafschaft, worin unsere Hauptstadt liegt, ein trauriges Herz hat.«

»Der Vergleich paßt wie mein Handschuh, Herr Pattieson,« sagte Hardie; »und ein festes und ein hartes Herz ist es noch dazu – merken Sie sich's, Jack.«

»Und ein böses Herz – und ein armes Herz,« antwortete Halkit, indem er sein Möglichstes that.

»Und doch könnte man es in gewisser Hinsicht ein starkes Herz und ein großes Herz nennen,« versetzte der Advokat. »Sie sehen, ich habe das Spiel mit den Herzen gewonnen.«

»Ich habe alle meine Herzen verspielt,« sagte der jüngere Herr.

»Dann müssen wir einen andern Einsatz haben,« antwortete sein Gefährte. – »Was nun das alte und verurtheilte Zollhaus betrifft, wie Schade, daß ihm nicht dieselbe Ehre kann angethan werden, wie manchem seiner Bewohner. Warum sollte nicht das Zollhaus seine letzte Rede, sein Bekenntniß und seine Worte beim Sterben haben? Die alten Steine würden sich der Ehre ebenso sehr bewußt sein, wie mancher armer Teufel, der gleich einer Troddel am westlichen Ende desselben gebaumelt hat, während die Ausrufer ihm ein Bekenntniß zuriefen, wovon der Delinquent nie gehört hatte.«

»Wenn ich so frei sein darf meine Meinung abzugeben,« sagte ich, »möchte ich sagen, daß es eine Erzählung von nichts als Schuld und Kummer sein wurde.«

»Nicht so ganz, mein Freund,« sagte Hardie; »ein Gefängniß ist an sich eine Welt, und hat seine Geschäfte, seine Schmerzen und Freuden, die seinem Kreise eigenthümlich sind. Seine Bewohner haben zuweilen ein kurzes Leben, doch dasselbe ist mit Soldaten im Felde der Fall; sie sind arm im Vergleich der äußern Welt, doch gibt es unter ihnen Grade des Reichthums und der Armuth, und einige sind auch verhältnißmäßig reich. Sie können nicht draußen umhergehen, doch das kann auch die Garnison einer belagerten Festung nicht, oder die Schiffsmannschaft auf der See; und sie befinden sich in keiner so verzweifelten Lage wie diese, denn sie können Lebensmittel genug haben, wenn sie nur Geld besitzen, um sie zu kaufen, und sind nicht gezwungen zu arbeiten, sie mögen zu essen haben oder nicht.«

»Doch welche Mannigfaltigkeit der Zufälle,« sagte ich (nicht ohne geheime Rücksicht auf meine gegenwärtige Aufgabe,) »könnte nicht von einem solchen Werke abgeleitet werden, wovon Sie zu reden belieben?«

»Sie ist unendlich,« versetzte der junge Advokat. »Alles was von Schuld, Verbrechen, Betrug, Thorheit, unerhörtem Mißgeschick, unerwartetem Glückswechsel sich im Menschenleben nur auffinden läßt, sollte meine letzte Rede über das Zollhaus durch Beispiele erläutern, hinreichend, selbst den Alles verschlingenden Appetit des Publicums nach dem Wunderbaren und Schauderhaften zu sättigen. Der Erfinder erdichteter Erzählungen muß sein Gehirn anstrengen, um Mittel zu finden, dieselben unterhaltend zu machen, und bei alledem kommt er doch auf Charaktere und Begebenheiten, die schon so oft sind angewendet worden, bis sie dem Auge des Lesers vertraut sind, so daß die Entwickelung, die verzweifelte Wunde, woran der Held doch nie stirbt, das hitzige Fieber, wovon die Heldin gewiß genesen wird, ganz gewöhnliche Dinge sind. Ich stimme mit meinem Freunde Crabbe überein, und habe eine unglückliche Neigung zu hoffen, wenn die Hoffnung verloren ist, und mich auf die Korkjacke zu verlassen, welche die Helden der Romane sicher durch die Wogen des Mißgeschicks hindurchführt.« Dann declamirte er die folgende Stelle, eher mit zu viel als zu wenig Pathos:

»Viel fürchtet' ich, doch fürcht' ich jetzt nichts mehr,
Wenn zum Verräther wird an einer Schönen
Ein Bösewicht, und sie mit solcher Eile
Hinwegschleppt, daß sie ein Verbrechen fürchtet.
Nicht also ich – mag die gefang'ne Schöne
Von Mau'r und Graben fest umschlossen sein,
Von eh'rnen Schlössern, Riegeln harten Stahles,
Bewacht von Hütern, grausam und gefühllos,
Ohn' einen Pfennig in der leeren Börse;
Und mögen Männer sich und Mädchen weigern,
Zu thun, was sie erfleht; sind auch die Fenster
So hoch, daß sie nicht wagt hinabzuspringen,
Und Hülfe fern, so daß der Ruf vergebens,
So wird doch eine Macht ihr Freiheit schaffen,
Den Preis entreißen dem getäuschten Wicht.«

»Der ungewisse Schluß ist der Tod des Interesses,« setzte er hinzu; »und daher kommt es, daß jetzt Niemand mehr Romane liest.«

»Hört ihn, Ihr Götter!« entgegnete sein Gefährte. »Ich versichere Ihnen, Herr Pattieson, wenn Sie diesen gelehrten Herrn besuchen, werden Sie höchst wahrscheinlich den berühmtesten neuen Roman auf seinem Tische finden – freilich ganz hübsch versteckt unter Stair's Institutionen oder einem offenen Bande von Morrison's Urtheilen

»Leugne ich es denn?« sagte der hoffnungsvolle Rechtsconsulent, »oder warum sollte ich es, da es wohl bekannt ist, daß weisere und bessere Leute, als ich, durch Delilas verführt werden? Findet man sie nicht unter den vielfachen Acten unseres ausgezeichnetsten Rechtsanwalts und selbst unter den Kissen eines richterlichen Armstuhls? Aeltere Leute als wir, vor den Schranken, innerhalb der Schranken und selbst auf der Richterbank, lesen Romane, und wenn man sich nicht belügt, so haben obendrein einige von ihnen selber Romane geschrieben. Ich sage nur, daß ich aus Gewohnheit und zum Zeitvertreib, und nicht aus wahrhaftem Interesse lese; daß ich, gleich dem alten Pistol, während er seinen Lauch verschlang, lese und fluche, bis ich ans Ende der Erzählung komme. Aber so ist es nicht mit den wahren Berichten von den menschlichen Verirrungen – nicht so mit den Criminalprocessen, oder den Gerichtsprotocollen, wo man hin und wieder noch neue Seiten des menschlichen Herzens liest, und Glückswechsel, die weit auffallender sind, als was der kühnste Romanschreiber je aus der Münze seines Gehirns hervorzubringen versucht hat.«

»Und zu solchen Erzählungen,« fragte ich, »meinen Sie, daß die Geschichte des Kerkers von Edinburg angemessenen Stoff liefern könne?«

»In ungewöhnlich reichem Maße, mein lieber Herr,« sagte Hardie. – »Füllen Sie indeß mittlerweile Ihr Glas. War er nicht viele Jahre lang der Ort, wo das schottische Parlament zusammenkam? War er nicht Jakob's Zufluchtsort, als der Pöbel, von einem aufrührischen Prediger entflammt, mit dem Geschrei auf ihn losstürzte: ›Das Schwert des Herrn und Gideons – führt den gottlosen Haman vor!?‹ Wie viele Herzen haben seitdem innerhalb dieser Mauern gebebt, wenn das Geläut der benachbarten Glocke ihnen verkündete, wie bald der Sand ihres Lebens verronnen sei; wie viele müssen bei dem Tone niedergesunken sein – wie viele wurden durch halsstarrigen Stolz und trotzige Entschlossenheit aufrecht gehalten – wie viele durch die Tröstungen der Religion? Gab es nicht Leute darunter, die auf die Beweggründe ihrer Verbrechen zurückblickend, kaum fähig waren zu begreifen, wie sie solche Versuchungen hätten haben können, um sie zu verlocken, von dem Wege der Tugend abzuweichen? Und hat es vielleicht nicht auch Andre gegeben, die sich ihrer Unschuld bewußt, zwischen dem Unwillen über ihre unverdiente Verurtheilung, dem Bewußtsein, daß sie dieselbe nicht verdient und dem qualvollen Nachdenken getheilt waren, eine Art und Weise zu entdecken, sich noch zu rechtfertigen? Glauben Sie, daß irgend ein tiefes, mächtiges und aufregendes Gefühl der Art erwähnt und geschildert werden kann, ohne ein entsprechendes mächtiges und lebhaftes Interesse zu erregen? – O, warten Sie nur, bis ich die berühmten Rechtsfälle Caledoniens herausgebe, und Sie sollen in langer Zeit keines Romans und keiner Tragödie bedürfen. Die Wirklichkeit wird über die glänzendsten Erfindungen der glühendsten Phantasie triumphiren. Magna est veritas, et praevalebit.«

»Ich habe mir sagen lassen,« erwiederte ich, ermuthigt durch die Leutseligkeit meines gesprächigen Wirthes, »daß die schottischen Criminalprocesse weniger interessant sein sollen, als die in andern Ländern. Die allgemeine Moralität unseres Volkes, ihre nüchternen und verständigen Gewohnheiten« –

»Die sichern sie gegen großen Zuwachs der Diebe und Räuber von Profession,« sagte der Advocat, »aber nicht gegen wilde und ungestüme Ausbrüche der Leidenschaft, welche Verbrechen ungewöhnlicher Art hervorbringen, und dies sind gerade die, deren genauer Erzählung wir mit lebhaftem Interesse zuhören. England ist viel länger ein civilisirtes Land gewesen; die Unterthanen desselben sind strengen Gesetzen unterworfen, die ohne Furcht oder Gunst ausgeübt werden, eine vollständige Vertheilung der Arbeit hat unter den Bewohnern stattgefunden, und die Diebe und Räuber selbst bilden eine bestimmte Classe in der Gesellschaft, unter sich eingetheilt nach dem Gegenstande ihrer Räubereien, und nach der Art und Weise, wie sie dieselben ausführen. Sie handeln nach regelmäßigen Gewohnheiten und Grundsätzen, die man in Bow Street, Hatton Garden oder Old Bailey berechnen und vorher bestimmen kann. Dieses mit uns verbundene Königreich ist gleich einem cultivirten Felde – der Landmann erwartet, daß ungeachtet all seiner Sorgfalt eine gewisse Menge von Unkraut mit dem Getraide aufschießen wird, und kann die Namen und die Beschaffenheit desselben vorhersagen. Aber Schottland gleicht einem Thal in unsern eigenen Hochlanden, und der Moralist, der die Acten unserer Criminalgerichte liest, wird ebenso viele seltsame abweichende Thatsachen in der Geschichte des Geistes finden, als der Botaniker seltene Species in den Schluchten und auf den Felsen dieses Landes entdecken wird.«

»Und das ist alles Gute, was Sie bei dreimaligem Durchlesen aus den Commentaren über den schottischen Criminalproceß geschöpft haben?« sagte sein Gefährte. »Ich vermuthe, der gelehrte Verfasser denkt nicht im Geringsten daran, daß die Thatsachen, welche seine Gelehrsamkeit und sein Scharfsinn zur Erläuterung juristischer Lehrsätze aufgehäuft hat, so könnten geordnet werden, daß sie eine Art von Anhang zu den halb gebundenen, halb zerlesenen Bänden der Leihbibliotheken bilden können.«

»Ich wette eine Maas Rothwein, daß er den Vergleich nicht übel nehmen wird,« sagte der ältere Rechtsgelehrte. »Doch wie wir vor der Schranke sagen: – ›Ich bitte mich nicht zu unterbrechen!‹ – Ich habe noch viel mehr über meine Sammlung schottischer berühmter Rechtsfälle zu sagen. Sie werden sich gefälligst erinnern, welche Veranlassung und Beweggründe zum Aussinnen und zur Ausführung mancher außerordentlichen und kühnen Verbrechen die langen bürgerlichen Uneinigkeiten in Schottland – die Erblichkeit der Richterstellen gab, welche bis 1748 unwissenden, parteiischen oder eigennützigen Männern anvertraut waren – die Gewohnheit des niedern Adels, sich auf ihren entfernten und einsamen Landsitzen zu verschließen, wo sie ihre rachedürstenden Leidenschaften nährten, um ihr Blut am Stillstehen zu verhindern – jener liebenswürdigen Nationaleigenschaft nicht zu erwähnen, perfervidum ingenium Scotorum genannt, welches unsere Rechtsgelehrten als Grund für einige unserer strengen Verordnungen angeben. Wenn ich zu so mysteriösen, tiefen und gefährlichen Gegenständen komme, so soll das Blut jedes Lesers gerinnen, und seinen ganzen Leib eine Gänsehaut überziehen. – Aber still! – hier kommt der Wirth, vermuthlich mit der Nachricht, daß die Kutsche bereit ist.«

Es war nichts dergleichen – es wurde im Gegentheil die Nachricht gebracht, daß an dem Abend keine Kutsche zu haben sei, denn Sir Peter Plyem habe am Morgen die beiden Paar Pferde des Wirths in Beschlag genommen, um nach dem alten königlichen Burgflecken Bubbleburgh zu fahren und dort sein Interesse wahrzunehmen. Doch da Bubbleburgh nur einer von fünf Burgflecken ist, welche zusammen ein Parlamentsmitglied stellen, so hatte Sir Peter's Gegner klüglich seine Abreise abgewartet, um in dem ebenfalls königlichen Burgflecken Bitem Stimmen zu werben, welcher, wie alle Welt weiß, am Ende von Sir Peter's Baumgange liegt und von ihm und seinen Vorfahren seit undenklichen Zeiten am Gängelbande war geführt worden. Sir Peter war jetzt in der Lage eines ehrgeizigen Monarchen, der einen kühnen Einfall in das Gebiet seines Feindes begonnen hat, und plötzlich durch einen Angriff seiner erblichen Besitzungen zurückgerufen wird. Er war demnach genöthigt, aus dem halb gewonnenen Burgflecken Bubbleburgh zurückzukehren, um nach dem halb verlornen Burgflecken Bitem zu sehen, und die beiden Paar Pferde, die ihn am Morgen nach Bubbleburgh geführt hatten, wurden jetzt mit Gewalt zurückbehalten, um ihn, seinen Anwalt, seinen Bedienten, seinen Spaßmacher und seinen Säufer über das Land nach Bitem zu fahren. Die Veranlassung dieses Aufenthalts, die für mich von ebenso geringer Wichtigkeit war, wie für den Leser, war für meine beiden Gesellschafter wichtig genug, um sie mit dem Aufenthalt auszusöhnen. Gleich Adlern witterten sie den Kampf von Weitem, ließen eine mächtig große Flasche Rothwein kommen, bestellten sich Betten im Wallace, und gingen in vollem Laufe auf die Bubbleburgh- und Bitem-Angelegenheiten ein, nebst allen wahrscheinlichen Petitionen und Klagen, die daraus entstehen würden.

In der Mitte einer lebhaften und für mich sehr unverständlichen Verhandlung über Schloßvögte, Schöppen, Aelteste, Vereinigungen von Burgflecken, Lehngerichte, Stadtschreiber, residirende und nicht residirende Stadtdeputirte, besann sich der Advocat plötzlich und sagte: »Der arme Dunover, wir dürfen ihn nicht vergessen!« Darauf wurde der Wirth abgeschickt, den armen schüchternen Mann aufzusuchen, und ihn höflichst auf den übrigen Theil des Abends einzuladen. Ich konnte nicht umhin, die jungen Herren zu fragen, ob sie die Geschichte des armen Mannes wüßten, und der Rechtsconsulent suchte eifrig nach einem Blatt Papier, wo er die Sache aufgezeichnet hatte.

»Er ist ein Candidat unseres remedium miserabile gewesen,« sagte Hardie, »gewöhnlich cessio bonorum genannt. So wie es Theologen gegeben hat, welche die Ewigkeit der Höllenstrafen bezweifelt haben, so scheinen die schottischen Rechtsgelehrten geglaubt zu haben, daß das Verbrechen der Armuth nicht mit lebenslänglicher Gefangenschaft dürfe bestraft werden. Sie müssen daher wissen, daß ein Gefangener wegen Schulden nach einer Gefangenschaft von einem Monat berechtigt ist, nach genügender Auseinandersetzung vor dem obersten Gerichtshofe, nach Angabe seines sämmtlichen Vermögens und der Art seiner Unglücksfälle, und indem er alle seine Effekten seinen Gläubigern überläßt, darauf anzutragen, aus dem Gefängniß entlassen zu werden.«

»Ich habe von dieser menschlichen Anordnung gehört,« erwiederte ich.

»Ja,« sagte Halkit, »und das Schöne dabei ist, wie der fremde Kerl sagte, daß man die cessio erlangen kann, wenn die bonorums alle verthan sind. – Aber was wühlen Sie denn in Ihren Taschen, um Ihr einziges Memorandum unter alten Komödienzetteln, Aufforderungen zur Versammlung der Facultät, Statuten der speculativen Gesellschaft aufzusuchen, worin der vermischte Inhalt der Tasche eines Advocaten besteht, die Alles enthält, nur keine Aktenstücke und Banknoten? Können Sie nicht einmal eine Cessionssache ohne Ihr Memorandum angeben? Es geschieht ja jeden Samstag. Die Ereignisse folgen einander so regelmäßig wie ein Uhrwerk, und eine Formel der Willfahrung paßt für alle.«

»Dies stimmt nicht mit dem überein, was dieser Herr von der Verschiedenheit der Unglücksfälle sagte, die der Beurtheilung Ihrer Richter vorliegen,« sagte ich.

»Es ist wahr,« versetzte Halkit; »doch Hardie sprach von Criminalsachen, und dieser Fall gehört nur dem Civilrecht an. Ich könnte auf Cession antragen, selbst ohne die inspirirende Amtskleidung und eine dreizöpfige Perücke. Hören Sie: Mein Client hatte die Weberprofession erlernt, – erwarb sich etwas Geld – trat eine Pachtung an – (denn ein Landgut zu bewirthschaften, wie einen Gig zu fahren, versteht man von Natur) – es kommen schlimme Zeiten – er läßt sich von einem Freunde bewegen, Rechnungen zu quittiren, wofür er keine Zahlung erhält – der Gutsherr nimmt die Pachtung zurück – die Gläubiger nehmen eine Compensation an – der Bittsteller legt ein Wirthshaus an – fallirt zum zweitenmal – wird gefangen gesetzt wegen einer Schuld von 10 Pfund 7 Schilling und 6 Pence – seine Schulden zusammen gerechnet – seine Verluste zusammen gerechnet – sein Vermögen zusammen gerechnet – bleibt ihm noch ein Ueberschuß. Dagegen ist nichts einzuwenden, und Eure Herrlichkeiten wollen geneigen, den Auftrag zu ertheilen, ihm den Eid abzunehmen.«

Hardie stellte jetzt sein erfolgloses Suchen ein, worin vielleicht etwas Affectation lag, und erzählte uns die Geschichte von den Unglücksfällen des armen Dunover mit einem Tone, worin ein Grad von Gefühl, dessen er sich schämte, als nicht seinem Amte angemessen, sich mit seinen Versuchen witzig zu sein, mischte, und ihm mehr Ehre machte. Es war eine von den Erzählungen, welche zu beweisen scheinen, daß den Helden ein gewisses Mißgeschick verfolgt. Ein wohlunterrichteter, fleißiger und tadelloser, aber armer und schüchterner Mann hatte vergebens alle gewöhnlichen Mittel angewendet, wodurch Andere Unabhängigkeit erlangen, doch war es ihm nicht gelungen, mehr zu erwerben, als zu seinem bloßen Unterhalte nöthig war. Während einer kurzen Zwischenzeit der Hoffnung hatte er zu seinen Sorgen noch eine Frau und Familie hinzugefügt, doch sein Himmel wurde bald verfinstert. Alles neigte sich mit ihm zum Abgrunde des Verderbens, der sich insolventen Schuldnern öffnet; und nachdem er nach jedem Zweige gegriffen, und die verlängerte Todesqual empfunden hatte, zu sehen, wie jeder Anhaltspunkt seiner Hand auswich, versank er wirklich in die schlammige Lache, woraus er durch die amtlichen Bemühungen Hardie's war hervorgezogen worden.

»Und jetzt, da Sie diesen armen Teufel ans Land geschleppt haben, werden Sie ihn vermuthlich halb nackt am Ufer liegen lassen wollen, um für sich selber zu sorgen?« sagte Halkit. »Hören Sie,« – und er flüsterte ihm etwas zu, wovon allein die durchdringenden und einschmeichelnden Worte: »Ihr Einfluß bei Mylord,« mein Ohr erreichten.

»Man gibt ein schlimmes Beispiel,« sagte Hardie lachend, »wenn man für einen ruinirten Clienten sorgt; doch ich dachte schon an das, was Sie sagen, vorausgesetzt, daß es sich machen läßt. – Aber still! hier kommt er.«

Die Erzählung von dem Mißgeschick des armen Mannes hatte ihm, wie ich mit Vergnügen bemerkte, Anspruch auf die Achtung und Aufmerksamkeit der jungen Männer verschafft, die ihn mit großer Höflichkeit behandelten und ihn nach und nach in die Unterhaltung zogen, die sich zu meiner Zufriedenheit wieder zu den berühmten Rechtsfällen in Schottland wendete. Ermuthigt durch die Freundlichkeit, womit er behandelt wurde, begann Herr Dunover auch seinen Theil zu der Ergötzlichkeit des Abends beizutragen. Gefängnisse haben wie andere Orte ihre alten Traditionen, die nur den Bewohnern derselben bekannt sind, und von einer Generation der traurigen Inhaber dieser Zellen der nächsten überliefert werden. Einige von denen, die Dunover erzählte, waren interessant und dienten dazu, die Berichte von merkwürdigen Processen zu erläutern, welche Hardie an den Fingern herzählen konnte, und worin sein Gefährte ebenfalls bewandert war. Bei dieser Unterhaltung verging der Abend bis zu der frühen Stunde, wo Herr Dunover sich zur Ruhe zu begeben beschloß, und ich entfernte mich auch, um mir aufzuzeichnen, was ich gelernt hatte, noch eine Erzählung zu denen hinzuzufügen, die ich bereits zu meinem besondern Vergnügen gesammelt hatte, und sie ins Einzelne auszuführen. Die beiden jungen Männer bestellten sich Beefsteaks und Madeiranegus, ließen sich ein Spiel Karten geben und fingen an Piquet zu spielen.

Am nächsten Morgen verließen die Reisenden Gandercleugh. Später erfuhr ich aus den öffentlichen Blättern, daß beide in der großen politischen Sache von Bubbleburgh und Bitem beschäftigt werden, ein summarischer Proceß, welcher mit besonderer Eile sollte entschieden werden, der aber dennoch, wie man glaubt, das Parlament überdauern wird, auf das er sich bezieht. Herr Halkit, wie ich aus den Zeitungen erfuhr, handelt als Agent oder Anwalt; und Herr Hardie führte die Klage für Sir Peter Plyem mit ausgezeichneter Geschicklichkeit und solchem Eifer, daß er, wie ich höre, seitdem weniger Komödienzettel und mehr Actenauszüge in seiner Tasche hat. Und die beiden jungen Herren verdienen ihr Glück; denn ich hörte von Dunover, der mich einige Wochen später besuchte und mir die Nachricht mit Thränen in den Augen mittheilte, daß er durch ihre Vermittelung eine kleine Stelle erhalten habe, die zum anständigen Unterhalt seiner Familie ausreiche; und daß er es, nach einer Reihe beständiger und ununterbrochener Unglücksfälle, für ein großes Glück halten könne, in Gesellschaft eines Advocaten und eines Kanzellisten von der Imperiale einer Postkutsche in den Fluß Gander geschleudert worden zu sein. Der Leser wird sich für diesen Unfall nicht so zum Dank verpflichtet fühlen, da ihm derselbe die folgende Erzählung über den Hals bringt, die auf die Unterhaltung jenes Abends gegründet ist.


 << zurück weiter >>