Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

So gut er sonst sich auf's Gesetz verstand,
War er doch fromm zu Hause wie ein Lamm.

Davie Lindsay.

»Hans Treiber, der Kärner, ist da gewesen, um nach seinem neuen Zaume zu fragen,« sagte Frau Sattelbaum zu ihrem Manne, als er die Schwelle überschritt, keineswegs in der Absicht, ihn in seinen eigenen Angelegenheiten zu Rathe zu ziehen, sondern nur, um durch diesen Bericht anzudeuten, was sie Alles in seiner Abwesenheit gethan.

»Gut,« erwiederte Bartel, ohne ein Wort weiter hinzuzusetzen.

»Und da hat der Laird von Gürtelsprung seinen Läufer geschickt, und er selber ist auch da gewesen – ein angenehmer, höflicher junger Herr – sich zu erkundigen, wann die gestickte Satteldecke für seinen Rothfuchs fertig wird; er braucht sie zum nächsten Wettrennen in Kelso.«

»Gut, gut« antwortete Bartel ebenso lakonisch wie vorher.

»Und Seine Herrlichkeit, der Graf von Wappenschild, Lord Donner und Blitz, ist rasend vor Zorn, daß die Geschirre für seine sechs flandrischen Stuten ihm noch nicht sind abgeliefert worden.«

»Gut, gut, gut, Frau,« sagte Sattelbaum, »wenn er rasend wird, lassen wir ihn unter Vormundschaft setzen – es ist Alles gut.«

»Es ist gut, daß Du so denkst, Sattelbaum,« antwortete seine Ehehälfte, etwas erzürnt über die Gleichgültigkeit, womit er ihren Bericht aufnahm, »mancher würde es für einen Schimpf ansehen, wenn so viele Kunden nachfragten, und kein Mensch da wäre, um ihnen Auskunft zu geben, als Frauenzimmer, denn sobald Du den Rücken gewendet hattest, waren auch alle Burschen fort, um den Porteous hängen zu sehen; und da Du nicht zu Hause warest« –

»Zum Henker, Frau,« sagte Bartel mit gebieterischer Miene, »schwatze mir nicht immer den Unsinn vor; ich hatte unterdeß anderswo wichtige Geschäfte. Non omnia – wie der Criminalrichter Blaurücken sagte, als ihn zwei Gerichtsdiener zugleich hierhin und dorthin riefen – non omnia possumus – pessimus – possimis. – Ich weiß, unser Rechtslatein beleidigt Herrn Butlers Ohren, es will aber so viel bedeuten, daß keiner, und wäre es der Lord Oberrichter selber, zwei Dinge auf einmal thun kann.«

Herr Sattelbaum fuhr noch eine Zeitlang in diesem Style fort, von Zeit zu Zeit durch die bezweifelnden Gegenreden seiner Frau und durch die gelehrte, oft spöttelnde Widerlegung Butlers unterbrochen, der auch ein wenig pedantisch in seinem Wesen war, obgleich mit mehr Kenntnissen und Urtheilskraft ausgestattet, als Bartel bei all seiner angemaßten Rechtsgelahrtheit.

»Es würde Dir viel besser anstehen, Sattelbaum,« sagte endlich seine Ehehälfte, nachdem das Gespräch einige Zeit gewährt hatte, »da Du doch behauptest so viel von Rechtssachen zu verstehen, wenn Du versuchtest, ob Du nicht etwas für die arme Effie Deans thun könntest, die da im Stadtgefängniß kalt und hungrig und ohne Trost liegt. Sie war Dienstmädchen in unserm Hause, Herr Butler, und ein unschuldig Ding, wie ich nicht anders glaube, und so brauchbar im Laden! Wenn Sattelbaum nicht da war – und Sie wissen, er ist selten zu Hause, wenn Gerichtsverhandlungen vorgehen, da half mir die arme Effie die Ballen gegerbten Leders hin und her wälzen, und die Waaren in Ordnung bringen, und jedem nach seiner Art und Weise Bescheid geben. – Und wahrhaftig, sie wußte sich bei allen Kunden beliebt zu machen, denn sie war immer höflich in ihren Antworten, und ein hübscher Mädchen gab es in ganz Schottland nicht. Und wenn sich manche heftig und unbillig zeigten, konnte sie besser mit ihnen fertig werden als ich, denn ich bin nicht mehr so jung wie ich gewesen bin, Herr Butler, und ein wenig kurz angebunden obendrein. Denn wenn immer mehrere Leute zugleich nach mir rufen, und nur eine Zunge da ist, um ihnen zu antworten, da muß man hastig reden, oder man kommt nie mit seinem Geschäfte zu Ende – so vermisse ich Effie täglich.«

» De die in diem,« setzte Sattelbaum hinzu.

»Mich dünkt,« sagte Butler nach einigem Zögern, »ich habe das Mädchen im Laden gesehen – ein bescheiden aussehendes Mädchen mit blondem Haar.«

»Ja, ja, das war die arme Effie,« sagte die Frau. »Ob sie von ihrem guten Geist verlassen, oder ob sie sich der sündlichen That nicht bewußt war, mag Gott im Himmel wissen; doch wenn sie schuldig ist, so wurde sie sehr dazu versucht, und ich möchte einen Eid auf die heilige Schrift leisten, daß sie zu der Zeit nicht bei sich selber gewesen.«

Butler war jetzt sehr aufgeregt worden, er ging heftig im Laden auf und ab, und zeigte eine so heftige Bewegung, wie eine so gemessene Person nur an den Tag legen konnte. »War dieses Mädchen nicht die Tochter des David Deans?« sagte er, »und hatte sie nicht eine Schwester?«

»Gewiß – die arme Johanna Deans, zehn Jahr älter als sie. Noch vor Kurzem war sie hier, um mit mir wegen ihrer Schwester zu reden. Und was konnte ich sagen, als daß sie wieder kommen solle, um mit Herrn Sattelbaum zu reden, wenn er zu Hause sei? Nicht daß ich glaubte, Sattelbaum habe ihr oder irgend sonst Jemand Gutes oder Böses thun können, sondern ich wollte das arme Ding nur noch eine Zeitlang hinhalten, denn der Kummer kommt immer früh genug.«

»Da irrst Du, Frau,« sagte Sattelbaum verächtlich, »denn ich hätte ihr genügende Auskunft geben können; ich hätte ihr beweisen können, daß ihre Schwester dem sechzehnhundert und neunzigsten Statut – »Verhinderung des Kindermordes« – verfallen sei, weil sie ihre Schwangerschaft verheimlicht und keine Anzeige von dem Kinde gemacht, welches sie geboren.«

»Ich hoffe,« sagte Butler – »ich vertraue auf den gnädigen Gott, daß sie sich von der Schuld wird reinigen können.«

»Auch ich, Herr Butler, auch ich,« versetzte Frau Sattelbaum. »Wie für meine eigene Tochter hätte ich für sie eingestanden; aber du lieber Gott, ich bin den ganzen Sommer krank gewesen und in zwölf langen Wochen kaum aus meiner Stube gekommen. Und was Sattelbaum betrifft, der kann in einer Entbindungsanstalt sein, und weiß nicht, wozu alle die Weiber dorthin kommen. Auf diese Weise sah ich Effie wenig oder gar nicht, sonst würde ich schon die Wahrheit von ihr herausgebracht haben. Aber wir denken alle, ihre Schwester wird etwas zu ihrer Rechtfertigung aussagen können.«

»Im ganzen Parlamentshause ist von weiter nichts gesprochen worden,« sagte Sattelbaum, »bis die Sache mit Porteous es ihnen aus dem Kopf brachte. – Es ist ein herrlicher Fall muthmaßlichen Mordes, wie er nicht leicht wieder im Gerichtshofe vorkommt, seitdem die Hebamme Luckie Smith gerichtet wurde, welches im Jahr sechzehnhundert sieben und neunzig geschah.«

»Aber was fehlt Ihnen denn, Herr Butler?« fragte die gute Frau; »Sie sehen ja so blaß aus wie ein Betttuch; wollen Sie nicht ein Gläschen zur Stärkung nehmen?«

»Ich danke sehr,« sagte Butler, sich zum Reden zwingend. »Ich machte gestern den Weg von Dumfries zu Fuß, und heute haben wir einen sehr warmen Tag.«

»Setzen Sie sich nieder,« sagte Frau Sattelbaum, indem sie ihn freundlich mit der Hand berührte, »und ruhen Sie sich aus – Sie werden sich tödten, auf diese Weise. – Und können wir Ihnen denn Glück wünschen, Herr Butler, bekommen Sie die Schule?«

»Ja – nein – ich weiß nicht,« antwortete der junge Mann verwirrt. Doch Frau Sattelbaum drang weiter in ihn, theils aus wirklicher Theilnahme, theils aus Neugierde.

»Sie wissen nicht, ob Sie die Freischule von Dumfries bekommen oder nicht? Und Sie haben sich doch darum den ganzen Sommer bücken müssen und Lehrstunden dort geben?«

»Nein, Frau Sattelbaum – ich bekomme sie nicht,« erwiederte Butler mit mehr Fassung. »Der Laird von Schwarzenbein hat einen natürlichen Sohn, den er zum geistlichen Stande hat erziehen lassen; da nun die Kirchenvorsteher nicht konnten bewogen werden, ihn anzunehmen, so –«

»Schon genug gesagt; wenn ein Laird einen armen Vetter oder Bastard hat, dem die Stelle genehm sein würde, so weiß man schon. – Und nun sind Sie also nach Libberton zurückgekommen, um auf todter Leute abgelegte Schuhe zu warten? – Ach du lieber Gott, so schwächlich auch Herr Kinderschlag ist, kann er doch ebenso lange leben wie Sie, sein Gehülfe und Nachfolger.«

»Sehr wahrscheinlich,« antwortete Butler mit einem Seufzer, »und warum sollte ich auch anders wünschen!«

»Gewiß, es ist eine verdrießliche Sache,« fuhr die gute Dame fort, »in dieser abhängigen Lage zu leben; und Sie mit so gerechtem Anspruch auf etwas Besseres, ich weiß nicht, wie Sie Alles dies ertragen können.«

» Quos diligit castigat,« antwortete Butler; »selbst der Heide Seneca sah ein Heil in der Widerwärtigkeit. Die Heiden hatten ihre Philosophie und die Juden ihre Offenbarung, Frau Sattelbaum, und ertrugen zu ihrer Zeit ihr Mißgeschick. Den Christen ward ein besserer Trost zu Theil, als Beiden – und dennoch« –

Er schwieg und seufzte.

»Ich weiß, was Sie meinen,« sagte Fran Sattelbaum, indem sie ihren Mann ansah; »und doch verlieren wir zuweilen die Geduld trotz Bibel und Gebetbuch. – Aber Sie müssen jetzt nicht fortgehen, Sie sehen gar elend aus – Sie müssen bleiben und eine Suppe mit uns essen.«

Herr Sattelbaum legte Balfour »Ueber Rechtssachen,« – sein Lieblingsbuch – aus der Hand, um die gastliche Einladung seiner Frau zu unterstützen. Doch der Lehrer lehnte alle Bitten ab und entfernte sich auf der Stelle.

»Das muß eine ganz eigene Bewandniß haben,« sagte Frau Sattelbaum, ihm nachsehend, als er die Straße hinaufging; »ich wundere mich, daß Herr Butler so betrübt über Effie's Unglück ist – meines Wissens hatten sie gar keine Bekanntschaft mit einander; doch waren sie Nachbarn, als David Deans noch auf des Laird von Dumbiedikes' Ländereien saß. Herr Butler hat vielleicht den Vater, oder sonst Jemand von ihrer Verwandtschaft gekannt. – Aber steh doch auf, Sattelbaum, Du sitzest ja auf der Halfter, die ausgebessert werden soll. – Und da kommt endlich unser Lehrbürschchen, der kleine Willie nach Hause. – Du kleiner Gassenbube, was brauchst Du den ganzen Tag herumzulaufen, um Leute hängen zu sehen? – Wie würde es Dir gefallen, wenn die Reihe an Dich käme? Und ich will just nicht dafür stehen, wenn Du Dich nicht besserst. – Und was stehst Du da und greinst, als ob ein Wort Dir gleich ans Leben ginge? – Geh hinein und führe Dich ein andermal besser auf, und laß Dir von Peggy einen Teller Suppe geben, denn Du wirst hungrig sein wie ein Wolf, das weiß ich schon. – Ein vaterloser Bube, Sattelbaum, und was oft noch trauriger ist, ein mutterloser, und man muß schon für ihn sorgen – das ist Christenpflicht.«

»Sehr wahr, gute Frau,« erwiederte Sattelbaum, »wir sind ihm in loco parentis während seiner Minderjährigkeit. Ich hatte schon den Gedanken, mich durch eine obrigkeitliche Vollmacht zu seinem Vertreter loco tutoris erklären zu lassen, da kein Vormund ernannt ist und der gerichtliche Vormund sich nicht um ihn bekümmert; ich fürchte nur, die Kosten des Verfahrens würden nicht in rem versam sein, da mir nicht bewußt, daß Willie Habseligkeiten besitze, deren Verwaltung zu übernehmen sei.«

Er schloß diesen Satz, indem er mit selbstbewußter Wichtigkeit hustete, wie Einer, der das Gesetz auf unwiderlegbare Weise erklärt zu haben glaubt.

»Habseligkeiten,« entgegnete Frau Sattelbaum, »was für Habseligkeiten hat denn das arme Kind? – Er war in Lumpen, als seine Mutter starb; und das blaue Röckchen, welches Effie ihm aus einem alten Mantel von mir machte, war das erste ordentliche Stück Zeug, das er je auf seinem Leibe trug. Die arme Effie! Und kannst Du mit all Deinen Gerichtsgeschichten, Sattelbaum, mir nicht sicher und gewiß sagen, ob ihr Leben in Gefahr ist, wenn sie nicht im Stande sind ihr zu beweisen, daß jemals ein Kind vorhanden gewesen?«

»Pah!« sagte Herr Sattelbaum, höchlich erfreut, daß die Aufmerksamkeit seiner Frau sich doch endlich einmal auf die Verhandlung einer Rechtssache wandte – »Pah! es gibt zwei Arten von murdrum oder murdragium, oder wie Ihr es populariter und vulgariter Mord nennt. Ich meine nämlich, es gibt viele Arten, denn da haben wir einen murthrum per vigilias et insidias und einen murthrum, wo das Vertrauen gemißbraucht wird.«

»Das ist gewiß so eine Art von Mord,« versetzte seine Ehehälfte, »wie die Edelleute uns Kaufleute morden, und uns dahin bringen, unsere Läden zu schließen – doch das hat nichts mit Effie's Unglück zu thun.«

»Der Fall der Effie oder Euphemia Deans,« nahm Sattelbaum wieder das Wort, »ist einer von den Fällen des muthmaßlichen Mordes, das heißt ein Mord, den die Gerichte folgern, weil gewisse indicia oder Verdachtsgründe vorhanden sind.«

»So daß, wenn Effie nicht irgend Jemand ihren Zustand entdeckt hat, sie aufgeknüpft werden muß, wäre auch das Kind todt zur Welt gekommen, oder noch bis zu diesem Augenblick am Leben?« fragte die Frau mit ängstlicher Theilnahme.

»Ohne Zweifel,« entgegnete Sattelbaum, »da das Gesetz von Ihren Majestäten, unserm königlichen Herrn und seiner Gemahlin gegeben worden, um das abscheuliche Verbrechen des geheimen Kindergebärens zu verhüten. – Diese Art des Mordes ist gleichsam ein Liebling der Gerichte, weil sie dieselbe gewissermaßen als ihr eigenes Werk betrachten.«

»Wenn der Mord das Werk der Gerichte ist,« meinte Frau Sattelbaum, »so müßten auch die Gerichte dafür gehängt werden, oder wenn sie an ihrer Stelle einen Advocaten aufhängen ließen, würde auch Niemand böse darüber sein.«

Der Ruf zu ihrem frugalen Mittagsmahl unterbrach den Fortgang der Unterredung. Vielleicht hätte dieselbe sonst eine Wendung genommen, die der Rechtswissenschaft und den Rechtsgelehrten minder günstig gewesen, als Herr Bartel Sattelbaum, der erklärte Bewunderer beider, es anfangs in seinem frohen Stolze geahnt.


 << zurück weiter >>