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Elftes Kapitel.

Sind all' die Heimlichkeiten, die wir theilten,
All' die Gelübde inn'ger Schwesterliebe,
Die Stunden, die zusammen wir verlebt,
Wo wir die leichtbeschwingte Zeit gescholten,
Daß sie uns trennt' – ist Alles denn vergessen?

Sommernachtstraum.

Wir haben lange Zeit damit zugebracht, Butler zu der Thür zu St. Leonard's zu führen; doch die Zeit, die uns die vorhergehende Erzählung gekostet, übertrifft die noch lange nicht an Dauer, welche er wirklich auf den Salisbury-Felsen an dem Morgen zubrachte, der auf die an Porteous von den Aufrührern ausgeführte Hinrichtung folgte. Zu dieser Zögerung hatte er seine eigenen Beweggründe. So seltsam aufgeregt wie er erstens durch die traurige Nachricht von der Lage der Effie Deans war, und dann durch die schreckliche Scene, der er beigewohnt hatte, wünschte er vorher seine Gedanken zu sammeln. Bei dem Verhältniß, worin er zu Jeanie und ihrem Vater stand, waren einige Vorbereitungen, oder wenigstens eine Wahl der gelegenen Zeit nöthig, um sie zu besuchen. Acht Uhr Morgens war damals die gewöhnliche Stunde zum Frühstück, und er beschloß dieselbe abzuwarten, ehe er in die Hütte ginge.

Niemals vergingen Stunden so langsam. Butler veränderte seinen Platz und erweiterte seinen Gesichtskreis, um sich die Zeit zu vertreiben, und hörte wie die große Glocke von St. Giles jede Stunde nach der andern in schwellenden Tönen verkündete, welches nach der Reihe von denen der andern Kirchthürme bestätigt wurde. Auf diese Weise hatte er sieben schlagen hören, als er zu denken begann, er könne sich jetzt St. Leonard's wohl näher wagen, wovon er noch beinahe eine Meile entfernt war. Demnach stieg er von seinem hohen Standpunkt bis in den Grund des Thales hinab, welches die Salisbury-Felsen von denen trennt, die den Namen St. Leonard führen.

Dieser abgeschiedene Ort war damals oft die Zuflucht derer, die Ehrensachen mit dem Schwert auszumachen hatten. In jener Zeit, wo der schottische Adel rauh, stolz und üppig war, fiel dergleichen sehr häufig vor. Da nun Butler einen jungen Mann zwischen den zerstreuten Felsstücken, fern vom Fußpfad, umherschleichen sah, als wolle er der Beobachtung entgehen, glaubte er, eine solche tadelnswerthe Absicht habe diesen hiehergeführt. Seines eigenen trüben Gemüthszustandes ungeachtet, hielt er es als Geistlicher für seine Pflicht, den Unbekannten anzureden. »Ein zu rechter Zeit gesprochenes Wort,« dachte er, »kann vielleicht ein großes Uebel abwenden. Sei mein eigener Kummer, welcher er wolle, er wird mir minder schwer sein, wenn er mich nicht an der Erfüllung meiner Pflicht hindert.«

Mit solchen Gedanken, mit solchen Gefühlen verließ Butler den Fußpfad, und näherte sich jenem. Ihm auszuweichen, schlug der Fremde den zu den Bergen führenden Weg ein; als er aber sah, daß Butler entschlossen sei, ihm zu folgen, rückte er wild den Hut zurecht, wandte um und kam ihm entgegen, als wolle er jeder Nachforschung Trotz bieten.

Als sie sich langsamen Schrittes einander näherten, hatte Butler Gelegenheit, den Fremden genau zu betrachten. Er schien etwa fünf und zwanzig Jahr alt. Aus seiner Kleidung, die weder gut noch schlecht war, konnte man nicht auf seinen Stand schließen; doch nach seiner Miene und seinem Wesen, mußte man ihn für minder gut gekleidet halten, als es seinem Range zukam. Sein Benehmen war keck, und sogar etwas gebieterisch; er schritt frei und leicht einher, bewegte sich kühn und ungezwungen. Er war wohl gebaut, und von etwas mehr als mittlerer Größe. Seine ungemein schönen Züge, so wie sein ganzes Wesen, hatten etwas sehr Anziehendes. Allein jener unbeschreibliche Ausdruck des Gesichts, der Wüstlingen eigen ist, und eine gewisse Frechheit im Ton und Betragen, die oft zum Deckmantel der Furcht und Verlegenheit dient, stellten sich der Wirkung jenes angenehmen Eindrucks entgegen.

Butler und der Unbekannte trafen jetzt zusammen, sahen einander an, und dieser wollte, leicht an seinen Hut fassend, vorübergehen. Butler redete ihn an, indem er seinen Gruß erwiederte: »Ein schöner Morgen, mein Herr – Sie sind früh auf den Bergen.«

»Ich habe ein Geschäft hier,« sagte der junge Mann in einem Tone, der jede fernere Frage unterdrücken sollte.

»Ich bezweifle es nicht, mein Herr,« sagte Butler, »und hoffe, verzeiht, daß Ihr Geschäft ein erlaubtes sein mag.«

»Herr,« sagte der Andere sehr befremdet, »Unverschämtheit verzeihe ich nie; auch begreife ich nicht, welches Recht Sie haben, sich um etwas zu bekümmern, was Sie nichts angeht.«

»Ich bin ein Soldat,« sagte Butler, »und muß die, welche nicht auf rechtem Wege sind, im Namen meines Herrn anhalten.«

»Ein Soldat?« sagte der Fremde, indem er einen Schritt zurücktrat und die Hand heftig an das Schwert legte – »ein Soldat, und mich anhalten? Haben Sie berechnet, was Ihr Leben werth sei, ehe Sie den Auftrag übernahmen?«

»Sie irren sich in mir,« sagte Butler ernst, »mein Kriegsdienst und meine Vollmacht sind nicht von dieser Welt. Ich bin ein Verkündiger des Evangeliums, und muß im Namen meines Herrn auf Erden Frieden gebieten, und Wohlwollen gegen die Menschen, wie das heilige Wort uns lehrt.«

»Ein Prediger!« sagte der Fremde ein wenig verächtlich. »Hier zu Lande maßen sich die Herren Ihres Standes ein wunderliches Recht an, in anderer Leute Angelegenheiten mitzusprechen; allein ich bin auswärts gewesen, und weiß das Ding besser.«

»Wenn diese Einmischung in einer tadelnswerthen Absicht geschieht, so haben Sie ein Recht, sie zu verachten. Ich aber bin mir einer reinen bewußt, und will lieber Ihren Hohn ertragen, weil ich spreche, als den Vorwurf meines Gewissens, wenn ich schwiege.«

»In des Teufels Namen denn!« rief der junge Mann ungeduldig. »Sagen Sie, was Sie zu sagen haben!«

»Sie sind im Begriff,« sagte Butler, »eins der weisesten Gesetze Ihres Vaterlandes zu übertreten; ja, was noch weit furchtbarer ist, ein Gesetz, welches der Schöpfer selbst in unsere Herzen geschrieben.«

»Und welches ist dies Gesetz?« fragte der Fremde in dumpfem und unsicherm Tone.

» Du sollst nicht tödten!« sagte Butler mit tiefer, feierlicher Stimme.

Der junge Mann erschrack sichtbar und wurde blaß. Butler sah, daß seine Worte Eindruck bei ihm gemacht; er wollte diese günstige Stimmung benutzen. Wohlwollend legte er seine Hand auf die Schulter des jungen Mannes und sprach mit Wärme gegen den Zweikampf.

Der Unbekannte entzog sich nach und nach der sanften Berührung seines Ermahners, und den Hut tiefer ins Gesicht drückend, unterbrach er den Strom seiner Rede: »Ihre Meinung ist gewiß vortrefflich, mein Herr, doch Ihr Rath gehört durchaus nicht hieher. Ich bin nicht in feindlicher Absicht gegen irgend Jemand hier. Schlecht genug mag ich sein – Ihr Priester sagt, daß alle Menschen es sind – allein, hiehergekommen bin ich, ein Leben zu retten, nicht eins zu zerstören. Mögen Sie Ihre Zeit lieber anwenden, etwas Gutes zu thun, als über etwas zu sprechen, was Sie selber nicht wissen, so will ich Ihnen Gelegenheit dazu geben. Sehen Sie jene Höhe zur Rechten, hinter welcher das Dach eines einsamen Hauses hervorragt? Gehen Sie dorthin, und fragen nach einer gewissen Jeanie Deans, der Tochter des dortigen Pachters. Sagen Sie ihr, daß der Bewußte seit dem ersten Schein der Dämmerung hier auf sie gewartet, und nun nicht länger bleiben kann. Sagen Sie ihr, sie müsse heute Nacht, wenn der Mond aufgeht, mich auf dem Jägermoor hinter dem St. Antonshügel treffen, wenn sie mich nicht rasend machen will.«

»Wer sind Sie,« fragte Butler, auf unangenehme Weise überrascht, »der Sie mir eine solche Botschaft auftragen?«

»Ich bin der Teufel!« antwortete der junge Mann hastig.

Butler trat unwillkürlich zurück, sich innerlich dem Schutze Gottes empfehlend.

»Ja,« fuhr jener fort, ohne auf Butler's Bewegungen zu achten, »nennen Sie mich Apollyon, Abaddon, oder welchen Namen böser Geister Sie mir sonst geben wollen, Sie finden keinen, seinem Besitzer so verhaßt, als der meinige es mir selbst ist.«

Er sagte dies mit der Bitterkeit der Selbstverachtung und einem wahrhaft teuflischen Verziehen des Gesichts. Butler erschrak, wenn auch seinen Grundsätzen nach entschlossen, war er es doch nicht seiner Gewöhnung nach; denn das höchste Seelenleiden hat eine Art von Erhabenheit an sich, welche alle Menschen zurückstößt und erschreckt, aber besonders die von sanftem und theilnehmenden Gemüthe. Der Fremde wendete sich plötzlich von Butler ab, während er sprach, kehrte aber sogleich zurück, näherte sich ihm kühn und sagte in heftigem und entschlossenen Tone: »Ich habe Ihnen gesagt, wer und was ich bin – wer und was sind Sie? Wie ist Ihr Name?«

»Butler,« versetzte die Person, an welche diese kurze Frage gerichtet war, zur Beantwortung derselben durch das heftige Benehmen des Fragenden genöthigt – »Ruben Butler, ein Verkünder des Evangeliums.«

Bei dieser Antwort zog der Fremde den Hut wieder tiefer über seine Augenbraunen, den er bei der früheren Aufregung zurückgeworfen hatte. »Butler!« wiederholte er – »der Gehülfe des Schulmeisters zu Libberton?«

»Derselbe,« antwortete Butler gefaßt.

Der Fremde bedeckte sein Gesicht mit der Hand, wie bei einem plötzlichen Nachdenken und wendete sich ab; als er aber einige Schritte weit gegangen war, und bemerkte, daß Butler ihm mit den Augen folge, stand er still und rief ihm in strengem, aber so leisen Tone zu, als sollten die Laute keinen Schritt weiter dringen, als bis zu der Stelle, wo Butler stand: »Gehen Sie und richten Sie meine Botschaft aus. Sehen Sie mir nicht nach. Nicht in die Tiefe dieser Felsen werde ich hinuntersinken, noch in einem Flammenstrahl verschwinden; und dennoch, wehe dem Auge, welches meine Schritte zu erspähen sucht. Gehen Sie und sehen Sie sich nicht um. Sagen Sie Jeanie Deans, ich erwarte sie, sobald der Mond aufgeht, bei Nicol Muschat's Steinen, hinter der St. Antonskapelle.«

Hierauf wandte er um, und nahm seinen Weg nach den Bergen, mit einem hastigen Schritt, der eben so gebieterisch schien, wie seine Worte.

Fürchtend, ein neues unbekanntes Unglück werde das Maß seiner Leiden füllen, in Verzweiflung bei dem Gedanken, daß irgend ein Mann auf Erden dem Gegenstande seiner frühen und einzigen Neigung, ihr, die er als seine Verlobte betrachtete, eine solche Botschaft senden dürfe, ging Butler schnellen Schrittes dem Häuschen zu. Erfahren wollte er, in wiefern jener kecke Mann ein Recht habe, von Jeanie Deans zu fordern, was wohl kein sittsames Mädchen gewähren würde.

Butler war von Natur weder eifersüchtig noch abergläubisch; doch in seinem Herzen trug er die Gefühle, welche zu diesen Regungen führen, als seinen Antheil an der allgemeinen Mitgift der Menschen. Der Gedanke konnte zum Wahnsinn führen, daß ein Wüstling, wie jener seinem ganzen Wesen nach es sein mußte, Butler's Treugeliebte, seine Braut, zu einer unziemlichen Stunde, an einen so unpassenden Ort berufen durfte. Doch hatte der Fremde nicht in jenem süßen Flüstern gesprochen, mit dem ein Verführer eine Zusammenkunft erbitten läßt; sein Ton, ungestümm und gebieterisch, war nicht der Ton der Liebe, sondern des gewaltsamen Drohens.

Auch Regungen anderer Art stiegen in Butler's tiefbewegtem Gemüth auf. Er empfand eine dunkle, unwillkürliche Scheu bei der Erinnerung an diese seltsame Begegnung. War er es, von dem geschrieben steht: Er gehet umher wie ein brüllender Löwe und suchet, wen er verschlinge? – Der glühende Blick, das wilde Betragen, der oft rauhe, doch absichtlich gemäßigte Ton – die Züge, deren vollkommene Schönheit bald Stolz verfinsterte, bald Argwohn verzog, bald Zorn entflammte – die dunklen rollenden Augen, die er zuweilen mit seinem Hut überschattete, als wolle er sie der Beobachtung entziehen, während er selbst die Bewegungen Anderer erspähte, diese Augen, bald trüb von Schwermuth, bald Hohn und Verachtung blitzend, und bald funkelnd von Wuth – waren es die Leidenschaften eines Sterblichen, die sie verriethen, oder die Regungen des bösen Geistes, der sich vergeblich bemüht, seine feindlichen Absichten unter der erborgten Maske männlicher Schönheit zu verbergen? Sogar der Ort, wo Butler diesen sonderbaren Unbekannten getroffen, war verrufen und gewissermaßen entweiht, weil hier so viele schon, sowohl im Zweikampf, als durch Selbstmord, eines gewaltsamen Todes gestorben. Und auch jener einsame Fleck, den er zur nächtlichen Zusammenkunft bestimmt, ward als unheilig angesehen, wegen eines grausamen dort verübten Mordes, und man hatte ihm sogar den Namen des Mörders beigelegt. Alle diese Umstände vereinten sich, unserm einsamen Wanderer, aufgeregt wie er jetzt war, ein heimliches Grauen mitzutheilen. Doch hatte er einen so richtigen Verstand, um dem, was dem natürlichen Lauf der Dinge zuwider schien, allzu leicht Glauben beizumessen. Und so behauptete denn der Verdacht der Eifersucht, ihm entsetzlicher als jeder andere, den Vorrang in seinem Gemüth.

Mit gänzlich erschöpften Gliedern, mit geängstigter Seele, voll schmerzlicher Zweifel und qualvoller Erinnerungen, stieg Butler vom Thal zu dem St. Leonard'sfelsen hinauf, und stand vor der Thür von Deans' Häuschen, mit Gefühlen, an Bitterkeit denen seiner unglücklichen Bewohner gleich.


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