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Dreizehntes Kapitel.

Dem Kerl stehe ich für's Ertrinken, und wäre
das Schiff nicht stärker als eine Nußschale.

Der Sturm.

Butler fühlte nach der Art, wie er die Nacht zugebracht hatte, weder Müdigkeit noch Mangel an Erfrischung. Bei dem Eifer, womit er der Schwester Jeanie's zu Hülfe eilte, vergaß er Beides.

Er begann seinen Weg mit so raschen Schritten, als liefe er um die Wette. Da hörte er hinter sich mit engbrüstigem Aufhusten seinen Namen rufen, und zu gleicher Zeit den schweren Trott eines hochländischen Kleppers. Er sah sich um und erblickte den Lord Stummendeich, der mit aller ihm möglichen Eile hinter ihm drein kam; denn zum Glück für des Lords Absicht, mit Butler zu sprechen, trennte sein Heimweg sich etwa erst nach einer Viertelmeile von der nächsten Straße zur Stadt. Butler blieb bei diesem Zuruf stehen, mit innerm Aerger über den keuchenden Reiter, der ihn aufhielt.

»Ah, ah, ah!« stöhnte der Lord, als er den holprigen Schritt seines Gauls neben Butler anhielt. »Ah, ah, ah! Es ist ein scheues, hartmäuliges Thier das!«

Wirklich hatte er den Gegenstand, den er einzuholen wünschte, gerade an der Stelle erreicht, wo ein weiteres Verfolgen unmöglich gewesen wäre; denn hier trennte sich Butler's Weg von dem nach Stummendeich, und keine Bemühung des Reiters hätte vermocht, seinen Gaul auf eine andere als die gewohnte Straße zu bringen.

Stummendeich hatte sich bereits von der Engbrüstigkeit erholt, die der schnelle Ritt ihm verursacht, und doch schien sein großes Vorhaben ihm noch wie in der Kehle zu stecken, und ihn der Sprache zu berauben. Butler stand beinahe drei Minuten da, ehe jener eine Sylbe hervorbrachte; und als er endlich Worte fand, sagte er nach einem wiederholten Aechzen: »Es ist schön Wetter, Herr Butler, für einen Herbsttag.«

»Ja, sehr schön,« sagte Butler, »ich wünsche Ihnen einen guten Morgen, mein Herr.«

»Halt – halt ein wenig,« versetzte Stummendeich; »das war es nicht, was ich sagen wollte.«

»So sagen Sie mir schnell, was Sie befehlen,« erwiederte Butler; »verzeihen Sie mir, aber ich habe Eile.«

»Ich meine, Herr Butler,« entgegnete Stummendeich, indem er alle Fähigkeiten zu einer gewichtigen Bemerkung vereinte; »wissen Sie, ob Herr Sattelbaum ein großer Rechtsgelehrter ist?«

»Ich habe keine andere Bürgschaft dafür, als seine eigene,« antwortete Butler trocken; »doch wird er selber ohne Zweifel seine Gaben am besten kennen.«

»Hm!« versetzte der schweigsame Stummendeich in einem Tone, der zu sagen schien: »Ich verstehe, Herr Butler. – Dann,« setzte er hinzu, »will ich meinem eigenen Sachwalt, Nikolas Novit, (des alten Nikolas Sohn, und beinahe so pfiffig wie sein Vater,) Effie's Sache auftragen.«

Und nachdem er auf diese Weise mehr Einsicht an den Tag gelegt hatte, als Butler ihm zugetraut, griff er höflich an seinen aufgestutzten Tressenhut, und gab seinem Pferde durch einen Stoß in die Rippen die Weisung, seinen Heimweg fortzusetzen; ein Wink, dem dieses mit der Bereitwilligkeit folgte, die Thieren sowohl als Menschen eigen, wenn das, was man von ihnen verlangt, mit ihrer Neigung übereinstimmt.

Auch Butler schritt wieder hastig vorwärts, nicht ohne ein augenblickliches Erwachen jener Eifersucht, die des ehrlichen Lords Aufmerksamkeit für die Familie Deans von Zeit zu Zeit in ihm erregt hatte. Doch er war zu großmüthig, um lange ein Gefühl der Selbstsucht zu nähren. »Er ist reich an dem, was mir fehlt,« sagte Butler zu sich selbst; »warum sollte ich mich gekränkt fühlen, daß er ein Herz hat, etwas von seinem Ueberfluß ihrem Wohl zu widmen, da mir nur der leere Wunsch bleibt, ihnen zu nützen? So thue denn, in Gottes Namen, jeder von uns, was er vermag. Wenn sie nur glücklich ist! – Sie nur bewahrt vor dem Kummer und der Schmach, die sie bedrohen! Allein auf Mittel denken will ich, ihr heutiges furchtbares Wagniß zu verhüten, und allen andern Gedanken Lebewohl sagen, sollte auch mein Herz darüber brechen.«

Er verdoppelte seine Schritte und stand bald vor der Thür des Kerkers von Edinburg; oder vielmehr vor dem Eingang, wo früher die Thür gewesen war. Sein Zusammentreffen mit dem geheimnißvollen Unbekannten, die Botschaft an Jeanie, seine schmerzliche Unterredung mit dieser, und die darauf folgende mit dem alten Deans hatten seine Seele so ausschließlich beschäftigt, daß die nächtliche Schreckensbegebenheit, deren Augenzeuge er gewesen, wie aus seiner Erinnerung verwischt war. Selbst die zahlreichen Menschengruppen, die flüsternd hier und dort in den Straßen standen; das geräuschvolle Suchen der Polizeibeamten, die unter bewaffneter Begleitung umherzogen; die dreifache Besatzung vor dem Wachthause; oder die scheuen, ängstlichen Blicke vieler aus den niedern Ständen, die entweder schuldig waren, oder sich auch nur in Verdacht glaubten; selbst Alles dies hatte Butler's Gedanken nicht wieder zu jenem Ereigniß zurückführen können.

Keins von diesen Zeichen der Unruhe und Besorgniß wurde er gewahr, da er mit einem verschiedenen und für ihn interessantern Gegenstande beschäftigt war, bis er vor dem Eingange stand, der jetzt, anstatt der Schlösser und Riegel, von einer doppelten Reihe von Grenadieren besetzt war. Ihr »Halt, Halt!« das geschwärzte Ansehen des thürlosen Einganges, die Wendeltreppe und die Kerker dieses Gebäudes, die jetzt dem Publikum offen standen, erinnerten ihn erst wieder an die Vorgänge der verhängnißvollen Nacht. Als er den Wunsch aussprach, Effie Deans zu sehen, stellte sich ihm derselbe lange, hagere, silberhaarige Schließer dar, den er am vergangenen Abend gesehen.

»Mich dünkt,« versetzte er auf Butler's Bitte um Einlaß, »Sie scheinen derselbe zu sein, der gestern hier war, um sie zu sehen?«

Butler gestand zu, daß er dieselbe Person sei.

»Und mir ist,« fuhr jener fort, »als hätten Sie sich erkundigt, wann wir schlössen, und ob wir früher schlössen wegen des Porteous?«

»Sehr möglich, daß ich dergleichen sagte,« versetzte Butler; »doch jetzt ist die Frage, ob ich Effie Deans sehen kann?«

»Ich weiß nicht – gehen Sie nur erst hinein, die Treppe hinauf, und dann gleich in die Thür zur Linken.«

Butler ging und der Alte folgte dicht hinter ihm, mit all seinen Schlüsseln belastet, jenen gewaltigen nicht ausgenommen, der einst die nun zerstörte Außenpforte seines Gebiets schloß. Kaum war Butler in das bezeichnete Zimmer getreten, als jener, mit geübter Hand sogleich den rechten Schlüssel fassend, es von außen verschloß. Zuerst glaubte Butler, diese Maßregel sei nichts als eine Folge der gewohnten ängstlichen Behutsamkeit des Mannes. Als er aber den rauhen Befehl hörte: »Wache heraus!« und augenblicklich die Waffen einer Schildwache vor der Thür klirrten, rief er dem Schließer von innen zu: »Mein Freund, ich habe über Dinge von Wichtigkeit mit Effie Deans zu reden, und bitte, mich so bald als möglich zu ihr zu lassen.« – Er erhielt keine Antwort. – »Wenn es Eurem Gesetz zuwider ist, daß ich die Gefangene spreche,« fuhr er noch lauter fort, »so bitte ich, es mir zu sagen, und mich meinen Geschäften nachgehen zu lassen. – Fugit irreparabile tempus!« murmelte er in sich hinein.

»Wenn Sie Geschäfte haben, hätten Sie dieselben abmachen sollen, ehe Sie hieher kamen,« erwiederte der Schließer von außen. »Sie werden finden, daß es leichter ist, hier herein als wieder hinaus zu kommen. Es ist wenig Anschein da, daß noch einmal eine solche Porteous-Rotte uns zu bestürmen kommt. Das Gesetz wird nun sein Recht behaupten, Freund; und das werden Sie auf Ihre Kosten erfahren.«

»Was meinen Sie damit, Herr?« entgegnete Butler. »Sie müssen mich für einen Andern halten. Mein Name ist Ruben Butler, ich bin ein Geistlicher.«

»Ich weiß es sehr wohl,« war die Antwort des Schließers.

»Nun, wenn Sie mich kennen, so begehre ich auch von Ihnen zu wissen, welche Vollmacht Sie haben, mich zurückzuhalten. Ich fordere es als ein Recht, welches jedem britischen Unterthan zusteht.«

»Welche Vollmacht?« sagte der Alte. »Zwei Gerichtsdiener sind mit dem Verhaftsbefehl nach Libberton geschickt, um Sie zu suchen. Wären Sie zu Hause geblieben, wie ehrliche Leute thun, so hätten Sie ihn gesehen; doch wenn Sie von selbst kommen, um sich einsperren zu lassen, wer kann Ihnen helfen, guter Freund?«

»So kann ich Effie Deans also nicht sprechen? Und Sie sind entschlossen, mich nicht wieder fortzulassen?«

»Ganz gewiß nicht,« versetzte der mürrische Alte. »Um Effie Deans' Angelegenheiten haben Sie sich eben nicht zu bekümmern, Sie werden genug mit Ihren eigenen zu thun haben; und was das Hinauslassen betrifft, so muß es damit gehen, wie das Gericht es für gut hält. Und nun gehaben Sie sich wohl für's Erste. Ich muß hinunter, und Meister Säger ein paar Thüren einsetzen sehen, von denen, die Ihre friedfertigen Kameraden gestern Nacht eingeschlagen, Herr Butler.«

Alles dies war sehr kränkend und beunruhigend. Verhaftet zu sein, wenn auch auf eine falsche Anklage, hat auch für den Kräftigsten etwas Furchtbares. Butler besaß zwar den Muth des Pflichtgefühls und eines edlen Willens, doch bei seinem schwachen Körperbau und seiner lebhaften Einbildungskraft war er fern von jener kalten Gleichgültigkeit gegen die Gefahr, deren Menschen von stärkerer Gesundheit und minderem Gefühl sich rühmen können. Eine unbestimmte Vorstellung von dem, was er zu befürchten hatte, schwamm wie ein Nebel vor ihm. Er überdachte die Ereignisse der vergangenen Nacht, in der Hoffnung, ein Mittel zu entdecken, sein Erscheinen unter dem Haufen zu erklären oder zu rechtfertigen, da es ihm sogleich einfiel, daß man ihn dieses Umstandes wegen zurückhalte. Und mit ängstlicher Besorgniß erinnerte er sich, daß bei all seinen Versuchen, den unbeugsamen Sinn der Aufrührer zu wenden, oder sich von ihnen frei zu machen, kein uneigennütziger Zeuge gegenwärtig gewesen. Der Gedanke an die Noth der Familie Deans, an jene gefährliche Zusammenkunft Jeanie's, die er nun nicht verhüten konnte, erhöhte das Peinliche seines Zustandes. Eine Stunde mochte er auf diese Weise zugebracht haben, als er aufgefordert wurde, vor der Gerichtssitzung zu erscheinen. Und nicht ohne Schrecken erhielt er diesen Ruf, so ungeduldig er auch war, sich befreit zu sehen. Unter starker Bedeckung führte man ihn aus dem Gefängniß dorthin, wo die Sitzungen gehalten wurden. Mehrere Senatoren der Stadt waren hier gegenwärtig. Vor ihnen, am untern Ende eines langen grünbeschlagenen Tisches, um den sie saßen, stand ein Mann, mit dessen Verhör sie beschäftigt waren. »Ist dies der Geistliche?« fragte einer von den Räthen, als Butler von der Wache hereingeführt wurde. Man bejahte es. »So laßt ihn nur einen Augenblick niedersitzen; wir werden sehr bald mit der Sache dieses Mannes fertig sein.«

»Soll Herr Butler nicht indeß entfernt werden?« fragte der Beisitzer.

»Es ist nicht nöthig – er kann bleiben.«

Butler setzte sich demnach auf eine Bank am andern Ende des Zimmers, während einer von der Wache neben ihm stand.

Es war ein großes Zimmer, welches nur wenig Licht hatte. Doch zufällig oder absichtlich war ein Fenster so angebracht, daß es eine starke Beleuchtung auf die Stelle am untern Ende des Tisches warf, wo die zur Untersuchung gezogenen standen, während das obere Ende, wo die Richter saßen, ganz im Schatten lag. Butler's Blicke richteten sich sogleich auf den Gefangenen, der jetzt verhört wurde, in der Meinung, er werde vielleicht einen der gestrigen Verschworenen in ihm erkennen. Doch so ausdrucksvoll seine Züge waren, so erinnerte sich Butler doch nicht, ihn je gesehen zu haben.

Die Gesichtsfarbe dieses Mannes war dunkel und sein Alter bereits etwas vorgerückt. Das pechschwarze Haar, schon ein wenig mit Grau durchschossen, trug er kurz abgeschnitten und glatt über die Stirn gekämmt. Sein Gesicht hatte eher den Ausdruck der Büberei als des Lasters, er verrieth eher die Neigung zu Betrug und Hinterlist, als daß es die Spuren wilder, fesselnloser Leidenschaften zeigte. Die scharfen, lebhaft schwarzen Augen, die kühnen Züge, das stets bereite sardonische Lächeln, seine Gewandtheit und Dreistigkeit gaben ihm ganz und gar das Ansehen eines verschlagenen Schurken. Auf einem Jahrmarkt würde man ihn sicher für einen betrügerischen Pferdehändler gehalten haben, wohl bekannt mit allen Kunststücken seines Gewerbes; doch in einer Einöde hätte man schwerlich eine Gewaltthat von ihm befürchtet. Auch seine Kleidung war die eines Pferdehändlers: ein langer Reitrock mit großen Metallknöpfen, grobe blaue Beinkleider, woran zugleich die Strümpfe befestigt waren, und ein heruntergeschlagener Hut. Ihm fehlte nichts, als die Peitsche unter dem Arm und der Sporn an einem Fuß, um den Anzug vollständig zu machen.

»Euer Name ist Jakob Ratcliffe?« fragte der Richter.

»Ja, mit Ew. Gnaden Erlaubniß.«

»Das heißt, Ihr würdet einen andern nennen, wenn mir der nicht gefiele?«

»Zwanzig für einen, mit Ew. Gnaden Erlaubniß.«

»Doch Jakob Ratcliffe ist Euer gegenwärtiger Name? – Und welches ist Euer Gewerbe?«

»Ich kann just nicht sagen, daß ich eigentlich ein sogenanntes Gewerbe habe.«

»Doch welches ist Euer Nahrungszweig – Eure Beschäftigung?«

»Je nun – Ew. Gnaden, mit Ew. Gnaden Erlaubniß, wissen das so gut wie ich.«

»Thut nichts, Ihr müßt Euch ausführlich darüber erklären.«

»Ich? Hier vor Ew. Gnaden? Ferne sei das von Jakob Ratcliffe.«

»Hier gilt kein Scherz. Ich verlange eine Antwort.«

»Wohl, Herr,« versetzte der Befragte, »ich muß nur frei von der Leber weg reden, da mir's um Verzeihung zu thun ist. – Ich sollte mich über meine Beschäftigung erklären, sagten Sie? – Dies ist freilich ein schlimmer Ort, um es auf gehörige Weise zu thun. – Doch, wie heißt das siebente Gebot, Herr?«

»Du sollst nicht stehlen,« erwiederte der Richter.

»Ist das gewiß?« versetzte der Angeklagte; »dann stehen meine Beschäftigung und das Gebot sehr im Widerspruch mit einander; denn ich las: Du sollst stehlen, – und das macht einen gewaltigen Unterschied, obgleich nur ein einziges Wörtchen ausgelassen ist.«

»Kurz von der Sache zu reden, Ratcliffe, Ihr seid ein berüchtigter Dieb.«

»Ich glaube, die Hochlande und die Niederlande wissen es, und England und Holland noch dazu,« versetzte Ratcliffe mit der größten Unverschämtheit.

»Und was glaubt Ihr, wird das Ende davon sein?«

»Gestern hätte ich's auf's Haar vorausgesagt, aber heute weiß ich's nicht so genau.«

»Und was würdet Ihr gestern als Euer Ende angegeben haben, wenn man Euch gefragt hätte?«

»Den Galgen,« erwiederte Ratcliffe mit vollkommenster Ruhe.

»Ihr seid ein dreister Schurke, Freund. Und wie dürft Ihr hoffen, die Sache stehe heute besser mit Euch?«

»Ei, es ist ja ein himmelweiter Unterschied, ob einer im Gefängniß ist, weil er muß, oder ob er aus eigenem guten Willen darin bleibt. Was hätte mich denn gehindert, ganz gemächlich meiner Wege zu gehen, während sie gestern mit dem Hans Porteous abzogen? Und glauben Ew. Gnaden wirklich, daß ich in der Absicht dageblieben bin, um aufgeknüpft zu werden?«

»Was Eure Absicht gewesen ist, weiß ich nicht; des Gerichts Absicht aber ist, Euch nächsten Mittwoch über acht Tage hängen zu lassen.«

»Nein, nein, Ew. Gnaden,« sagte Ratcliffe zuversichtlich, »das glaube ich nicht, bis ich es sehe. Ich kenne die Gerichte seit manchem lieben Jahr, und habe manches Tänzchen mit ihnen gehabt; aber es ist nicht so schlimm damit, wie es aussieht, sie bellen mehr als sie beißen.«

»Und wenn Ihr nicht den Galgen erwartet, wozu Ihr, so viel ich weiß, jetzt schon zum viertenmal verurtheilt seid,« sagte der Richter, »so sagt mir doch gefälligst, was Ihr denn erwartetet, als Ihr nicht die Flucht nahmt, gleich den andern Gefangenen, und einen Weg einschlugt, der nicht von Euch zu erwarten war?«

»Ich würde keinen Augenblick daran gedacht haben, in dem alten leeren Gebäude zu bleiben, wenn ich nicht durch Gewohnheit eine Art von Geschmack daran gewonnen hätte, und einen kleinen Posten dort zu bekommen dächte.«

»Einen Posten?« rief der Richter; »am Pranger, meint Ihr?«

»Nein, nein, Herr, ich dachte nicht an den Pranger; nachdem ich viermal zum Galgen verurtheilt worden bin, bin ich längst über den Pranger hinaus.«

»Was, im Namen des Himmels, erwartetet Ihr denn?«

»Nun, den Posten eines Unterschließers; denn ich höre, daß der vacant ist,« sagte der Gefangene. »Ich will nicht um den Posten des Scharfrichters anhalten; der würde nicht so gut für mich, wie für andere Leute passen; denn ich konnte nie ein Thier tödten, viel weniger noch einen Menschen.«

»Das spricht für Euch,« sagte der Richter, der zu demselben Schluß kam, wohin Ratcliffe ihn führen wollte, obgleich er seine List in Umschweife einkleidete. »Aber,« fuhr der Richter fort, »wie glaubt Ihr denn, daß man Euch eine Stelle im Gefängniß anvertrauen könnte, da Ihr fast aus allen Gefängnissen in Schottland ausgebrochen seid?«

»Mit Ew. Gnaden Erlaubniß,« sagte Ratcliffe, »wenn ich es so gut verstand hinauszukommen, werde ich auch besser verstehen als ein Anderer, wie man die Leute darin behält. Die müßten pfiffig sein, die mich halten wollten, wenn ich fort will, oder die fort könnten, wenn ich mir vorgenommen, sie zu halten.«

Es schien, als sei dies dem Richter einleuchtend; er sagte aber nichts darüber, sondern befahl Ratcliffe wegzuführen. Als aber der verschmitzte Freibeuter fern genug war, fragte er den Stadtschreiber, was er zu der Vermessenheit des Kerls sage.

»Es ist nicht an mir, ein Urtheil abzugeben,« entgegnete der Gefragte; »doch wenn Jakob Ratcliffe wirklich gut thun will, so ist kein Mensch, welcher der Stadt im Fach der Diebssachen mehr Nutzen gewähren kann, als er. Ich will mit Herrn Scharfenklau über ihn reden.«

Jetzt wurde Butler vorgeführt. Der Richter führte die Untersuchung höflich, aber doch auf eine Weise, die von starkem Verdacht zeugte. Mit einer seinem Berufe und Charakter angemessenen Freimüthigkeit, gestand Butler seine unfreiwillige Gegenwart bei dem Morde des Porteous, und gab auf Verlangen einen umständlichen Bericht über dieses unglückliche Ereigniß. Seine Aussage wurde von dem Schreiber wörtlich zu Papier gebracht. Als er damit zu Ende war, begann der Richter das Kreuzverhör, welches auch für den Schuldlosesten etwas Aengstigendes hat.

Der Richter begann mit der Bemerkung, daß Butler ausgesagt habe, es sei seine Absicht gewesen in das Dorf Libberton zurückzukehren, wo ihn der Pöbel am Westthor aufgehalten. »Ist das Westthor Ihr gewöhnlicher Weg nach Libberton?« fragte der Richter etwas spöttisch.

»O nein,« erwiederte Butler mit ängstlicher Hast, »ich befand mich aber in der Gegend desselben, und der Thorschluß war nahe.«

»Das war ein unglücklicher Zufall,« sagte der Richter trocken.

Nach einer Reihe verfänglicher Fragen, die Butler bestimmt und ohne Verwirrung beantwortete, kam man zuletzt auf den Namen Magda Wildfeuer, bei welchem der Richter und der Schreiber bedeutende Blicke wechselten. Man forschte so genau nach diesem vermeintlichen Weibe, nach ihrer Kleidung, ihren Zügen, als ob das Heil der ganzen Stadt davon abhinge, sie zu kennen. Ueber ihre Gesichtsbildung konnte Butler wenig Auskunft geben. Schminke und Ruß hatten ihr Gesicht völlig entstellt; überdies war es von einer tiefen Weiberkappe beschattet gewesen. Er erklärte, in einer andern Tracht würde er diese Magda Wildfeuer nicht wieder kennen, es müßte denn an dem Ton ihrer Stimme sein.

Der Richter fragte, zu welchem Thor Butler am Morgen nach der Begebenheit hinausgegangen. Butler nannte es. »War das der nächste Weg nach Libberton?«

»Nein,« antwortete Butler mit Verlegenheit; »aber es war der nächste, mich dem Haufen zu entziehen.«

Der Richter und der Schreiber sahen wieder einander an. »Ist denn dies das nächste Thor vom Krautmarkt aus?«

»Nein,« antwortete Butler; »aber ich wollte einen Freund besuchen.«

»So?« sagte der Richter; »Sie hatten wohl große Eile, den Vorfall mitzutheilen?«

»Nein, wahrlich nicht; mit keiner Sylbe habe ich desselben erwähnt, so lange ich auf St. Leonard's war.«

»Welchen Weg nahmen Sie nach St. Leonard's?«

»An den Salisburyfelsen vorbei.«

»So? – Sie scheinen ein großer Freund von Umwegen zu sein. – Wen haben Sie gesehen, seitdem Sie die Stadt verließen?«

Butler mußte nach und nach einen Bericht über Alle geben, die ihm am Morgen begegnet waren – über ihre Anzahl, ihr Aeußeres, ihr Benehmen. Unwillkürlich wurde er zuletzt auf sein Zusammentreffen mit dem geheimnißvollen Unbekannten geführt, welchen Gegenstand er gerne verschwiegen hätte. Allein der Richter hatte kaum einen Wink davon bekommen, als er entschlossen schien, sich auch nicht den geringsten Umstand vorenthalten zu lassen. Er ermahnte Butler zur Aufrichtigkeit. Sein früherer Ruf sei zwar günstig, sagte er, doch sei jetzt starker Verdacht gegen ihn vorhanden, bekräftigt durch die Aussage der Thorwächter, daß er die ängstliche Hast der Schuld in seinem Benehmen gezeigt, und der Erste gewesen, der ihnen befohlen, das Thor zu öffnen, so gebieterisch, als stände er noch an der Spitze der Aufrührer.

»Gott vergebe ihnen!« sagte Butler, »ich begehrte nur freien Ausgang für mich allein. Sie haben mich sehr mißverstanden, oder stellen die Sache absichtlich falsch dar.«

»Wohl, Herr Butler, ich will das Beste glauben,« sagte der Richter, »aber offen müssen Sie gegen mich sein. Sie bekennen, einen Unbekannten auf den Bergen angetroffen zu haben; ich muß jedes Wort wissen, welches zwischen Ihnen gewechselt wurde.«

Nur weil Jeanie Deans dabei betheiligt war, hatte Butler das Gespräch verhehlen wollen; doch da er so gedrängt wurde, erzählte er es von Anfang bis zu Ende.

»Glauben Sie, das junge Mädchen werde eine so geheimnißvolle Einladung annehmen?« fragte der Richter nach einem kurzen Schweigen.

»Ich fürchte, sie wird es.«

»Warum sagen Sie fürchten?«

»Weil ich bei einer Zusammenkunft zu solcher Zeit und an solchem Orte, mit einem so verzweifelten Menschen, für ihre Sicherheit besorgt sein muß.«

»Für ihre Sicherheit soll gesorgt werden,« entgegnete der Richter. – »Es thut mir leid, Herr Butler, Sie nicht sogleich der Haft entlassen zu können; doch werden Sie hoffentlich nicht lange der Freiheit beraubt sein. – Man führe Herrn Butler zurück, und versehe ihn mit Allem, was zu seiner Bequemlichkeit und seinem Unterhalt dient.«

Er wurde darauf in's Gefängniß zurückgeführt; doch hinsichtlich der Speisen, die ihm angeboten wurden, als auch des Zimmers, wo man ihn unterbrachte, wurde der Befehl des Richters genau befolgt.


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