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Zwölftes Kapitel.

Dann streckt' sie aus die Lilienhand,
Zu thun, was recht ihr schien:
»Nimm Deine Treu zurück, Willie,
Und zieh in Frieden hin.«

Alte Ballade.

»Herein!« antwortete die sanfte, wohltönende Stimme, deren Ton Butler am liebsten hörte, als er jetzt an die Thür des Häuschens klopfte. Er öffnete sie und fand sich in der Wohnung der Trauer. Jeanie vermochte nur einen flüchtigen Blick auf ihren Geliebten zu werfen, da sie ihn unter Umständen wiedersah, so peinigend für ihr Gefühl, und zugleich so demüthigend für ihren edlen Stolz. Zu einer wackern untadelhaften Familie zu gehören, wird unter den Schotten als ein hoher Vorzug betrachtet. Der sittliche Werth einzelner Mitglieder derselben scheint ihnen gewissermaßen eine Bürgschaft für das Wohlverhalten der übrigen. Eine Schmach hingegen, wie sie jetzt eine der Töchter des alten Deans getroffen, erstreckte sich auf alle seine Angehörigen, und Jeanie, in ihren eigenen Augen erniedrigt, glaubte es auch in denen ihres Freundes zu sein. Vergebens suchte sie dieses Gefühl zu unterdrücken, als zu egoistisch und geringfügig gegen den Schmerz um ihrer Schwester Elend. Die Natur siegte; und während ihre Thränen dem Jammer und der Gefahr Effie's flossen, mischten sich herbe Tropfen darunter, ihrer eigenen Entwürdigung geweiht.

Als Butler eintrat, saß der alte Mann beim Feuer. Er hielt seine zerlesene Taschenbibel in der Hand, die treue Gefährtin der Wanderungen und Gefahren seiner Jugend. Die Morgensonne sandte einen hellen Lichtstreif durch ein kleines Fenster hinter des Greises Rücken, und beleuchtete seine grauen Locken und die heiligen Worte, die er las. Seine kräftigen Züge, denen ein steter Ernst und die Verachtung alles Irdischen etwas Strenges und Hartes gaben, hatten den Ausdruck würdevoller Fassung. Er rühmte sich in nicht geringem Grade der Eigenschaften, welche Southey den alten Scandinaviern zuschreibt, die er als »fest im Kampf und unerschütterlich im Erdulden« schildert. Das Ganze bildete ein Gemälde, dessen Beleuchtung die eines Rembrandt zu sein schien, dessen Umrisse aber die Kraft und Lebendigkeit eines Michel Angelo würden erfordert haben.

Deans erhob die Augen bei Butlers Eintritt; doch senkte er sie sogleich wieder, als sei sein Anblick ihm überraschend und schmerzlich. Er hatte über diesen mit weltlichem Wissen Ausgestatteten, wie er Butler nannte, ein so stolzes Ansehen behauptet, daß es die Bitterkeit seiner Gefühle erhöhte, von ihm in seiner gegenwärtigen Demüthigung gesehen zu werden. Die Bibel in der linken Hand erhebend, bedeckte er zum Theil sein Gesicht damit, die rechte streckte er weit hinaus gegen Butler, und wandte sich zugleich von ihm ab, als wolle er ihm den schmerzlichen Ausdruck seiner Züge verbergen. Butler ergriff die ausgestreckte Hand, die Stütze seiner verwaisten Kindheit, und sie mit seinen Thränen benetzend, vermochte er nur die Worte hervorzubringen: »Gott möge – Gott möge Sie trösten!«

»Das wird – das thut er, mein Freund,« sagte Deans sich ermannend, als er Butlers heftige Bewegung sah – »er thut es schon jetzt, und wird es zu seiner Zeit noch mehr thun. Ich bin zu stolz gewesen auf das, was ich um die gute Sache geduldet, und nun werde ich geprüft mit einer solchen, die meinen Ruhm in Schmach verwandelt.«

Hier ließ sich Deans nach seiner gewöhnlichen Weise in ein Aufzählen alles dessen ein, was er in heldenmüthiger Beharrlichkeit für seine Grundsätze gelitten, und Butler besaß zu viel Zartgefühl und Menschlichkeit, um ihn in diesem tröstlichen Rückwärtsschauen zu stören. Er suchte vielmehr, als die traurige Gegenwart sich dem alten Manne wieder aufdrängte, seine Gedanken aufs Neue zu jenen erhebenden Erinnerungen zu leiten.

Das Gespräch hatte eine Zeitlang gewährt, da öffnete sich die Thür nochmals, und Herr Bartel Sattelbaum trat ein. Er trug einen Stock mit goldenem Knopf in der Hand, einen dreieckigen Hut weit nach hinten auf dem Kopfe, und ein seidenes Taschentuch darunter, um ihn in seiner kühlen Lage zu erhalten. Seine ganze Manier war die eines wohlhabenden Bürgers, welcher hoffen kann noch eines Tages die Würde einer Magistratsperson zu bekleiden.

Rochefoucauld, der den Schleier von so manchen Krebsschäden des menschlichen Herzens gezogen hat, sagt, wir finden in den Unglücksfällen unserer besten Freunde etwas, was uns nicht ganz unangenehm ist. Herr Sattelbaum würde böse geworden sein, hätte ihm Jemand gesagt, daß die gegenwärtige Noth der Familie Deans ihn erfreue; und doch ist sehr die Frage, ob nicht die heimliche Befriedigung, den Wichtigen zu spielen, und eine Rechtssache untersuchen und erläutern zu können, mindestens seiner Theilnahme an dem Unglück der armen Effie vollkommen die Wage hielt. Er hatte jetzt einen wirklichen Gerichtshandel beim Schopf erfaßt, anstatt daß er sonst seinen Rath aufdringen mußte, wo man ihn nicht brauchte noch verlangte: und er fühlte sich so glücklich dabei, wie ein Knabe, der zuerst eine Uhr erhält, die wirklich geht, wenn sie aufgezogen ist, und wirkliche eigentliche Zeiger, und ein richtiges Zifferblatt hat. Ueberdies war sein Kopf noch voll von der Geschichte des Porteous, dem gewaltsamen Tode desselben, und all den möglichen Folgen dieser Begebenheit, so daß er vor Reichthum an Stoff sich gar nicht zu fassen wußte. Mit dem Bewußtsein doppelter Wichtigkeit, da er glaubte über bedeutende Dinge Auskunft geben zu können, und mit der Absicht, alle seine Gelehrsamkeit ohne Erbarmen gegen seine Zuhörer loszulassen, trat er ins Zimmer. – »Guten Morgen, Herr Deans, – ei, guten Morgen, Herr Butler, – ich wußte nicht, daß Sie hier im Hause bekannt sind.«

Butler antwortete wenig darauf. Seine Gründe sind leicht zu errathen, warum er seine Verbindung mit der Familie, die in seinen Augen etwas zart Geheimnißvolles hatte, nicht zum häufigen Gegenstande der Unterhaltung mit gleichgültigen Personen machte, wie Sattelbaum war.

Der ehrenfeste Bürger ließ sich sogleich im vollen Bewußtsein seiner Würde auf einen Stuhl nieder, wischte sich die Stirn, schöpfte Athem und begann mit einem tiefen Seufzer: »Schreckliche Zeiten dies, Nachbar Deans, schreckliche Zeiten!«

»Sündhafte, schmachvolle, gottlose Zeiten,« antwortete Deans in leiserem Tone.

»Ich meines Theils,« fuhr Sattelbaum fort, indem er wichtig die Backen aufblies, »weiß gewiß und wahrhaftig nicht, ob ich zuerst die Noth meiner Freunde, oder die meines Vaterlandes bedenken soll. Da stehe ich heute Morgen auf, und bin schon im Reinen damit, was zur Vertheidigung der armen Effie vorgebracht werden muß, auf einmal kommt mir die Geschichte mit dem Porteous wieder dazwischen, den der Pöbel an den Galgen gehängt hat.«

So sehr Deans auch mit seiner häuslichen Trübsal beschäftigt war, bezeigte er doch einige Theilnahme an dieser Neuigkeit. Sattelbaum ließ sich sogleich in eine weitläufige Erzählung derselben ein. Diesen günstigen Augenblick wünschte Butler zu einer geheimen Unterredung mit Jeanie zu benutzen. Sie gab ihm die Gelegenheit dazu, indem sie das Zimmer verließ, als werde sie durch ein Geschäft abgerufen. Butler folgte ihr bald, und er konnte hoffen, nicht vermißt zu werden, da die eifrige Erzählung des Gastes die Aufmerksamkeit des alten Deans vollkommen in Anspruch nahm.

Der Schauplatz der folgenden Unterredung war die Milchkammer, worin Jeanie sich täglich längere Zeit beschäftigte. Butler fand sie still, niedergeschlagen und bereit in Thränen auszubrechen. Anstatt der regen Thätigkeit, womit sie sich sonst sogar beim Sprechen beschäftigte, saß sie jetzt erschlafft in einem Winkel, wie niedergedrückt von der Schwere ihrer eigenen Gedanken. Doch trocknete sie sogleich ihre Augen, als Butler eintrat, und begann das Gespräch mit der ihr eigenen Unbefangenheit.

»Es ist mir lieb, daß Sie hereingekommen sind, Herr Butler,« sagte sie, »denn – denn ich wünschte Ihnen zu sagen, daß es mit allem zwischen uns jetzt zu Ende sein muß – es ist so am besten für uns beide.«

»Zu Ende!« sagte Butler voll Erstaunen; »und warum sollte es zu Ende sein? Dies ist freilich eine schwere Schickung; doch nicht Sie, Jeanie, haben sie verschuldet. Es ist ein von Gott gesandtes Leiden, und muß getragen werden; aber die Zusage der Treue kann dadurch nicht gebrochen werden, wenn Sie, die Ihr Wort gegeben, es zu halten wünschen.«

»Ach, Ruben,« sagte das junge Frauenzimmer, ihn liebevoll ansehend, »ich weiß wohl, daß Sie mehr auf mich, als auf sich selber Rücksicht nehmen; und so kann ich zur Vergeltung auch nur Ihr Glück als mein eigenes bedenken. Sie sind ein Mann von fleckenlosem Namen, dem geistlichen Stande gewidmet, und werden gewiß einst zu Ansehen in der Kirche gelangen, obgleich die Armuth noch darniederdrückt. Armuth ist ein schlimmer Freund, Sie wissen es nur allzu gut, Ruben; doch ein böser Ruf ist noch viel schlimmer, und diese Wahrheit sollen Sie nie durch mich erfahren.«

»Was meinen Sie damit?« fragte Butler lebhaft und ungeduldig. »In welcher Verbindung steht Ihrer Schwester Schuld, wenn sie schuldig ist, mit dem, was wir einander zugesagt?«

»Wie können Sie noch fragen, Butler? Wird diese Schmach je vergessen werden, so lange wir diesseits des Grabes sind? Wird sie nicht uns und unsern Kindeskindern anhängen? Die Tochter eines redlichen Mannes zu heißen, hätte mir und den Meinen von Nutzen sein können; allein die Schwester einer – o mein Gott!« – Mit diesem Ausruf verließ sie ihre Festigkeit, und sie brach in einen heftigen Thränenstrom aus.

Der Liebende that Alles, was er konnte, sie zu beruhigen, und es gelang ihm endlich. Doch sie erlangte nur ihre Fassung wieder, um sich mit derselben Bestimmtheit als zuvor zu erklären. »Nein, Ruben, ich will keinem Manne Schande ins Haus bringen. Mein eigenes Elend kann und muß ich tragen, warum aber sollte ich es einem Andern aufbürden? Ich will die Last allein auf mich nehmen, ich fühle mich stark genug dazu.«

Ein Liebender ist zum Verdacht geneigt. Jeanie's Bereitwilligkeit ihm zu entsagen, schien dem armen Butler in furchtbarer Verbindung mit dem Auftrag jenes Unbekannten zu stehen. Seine Stimme zitterte bei der Frage, ob nichts als ihrer Schwester gegenwärtiges Unglück sie zu solchen Aeußerungen bestimme?

»Und was könnte es sonst sein?« erwiederte sie unbefangen. »Besteht nicht unser Verhältnis seit zehn langen Jahren?«

»Zehn Jahre?« sagte Butler. »Es ist eine lange Zeit – vielleicht lang genug, um ein Weib zu ermüden.«

»Wohl, um eines Kleides müde zu werden, und nach einem neuen zu verlangen, wenn sie brav sein will; aber nicht lang genug, um eines Freundes überdrüssig zu werden,« sagte Jeanie. »Das Auge kann sich nach Wechsel sehnen, doch nie das Herz.«

»Nie?« sagte Butler, – »das ist ein kühnes Versprechen.«

»Nicht so kühn als wahr,« sagte Jeanie mit derselben ruhigen Unbefangenheit, die im Schmerz und in der Freude, bei dem, was ihr Gefühl am tiefsten traf, wie bei dem Gleichgültigsten, ihre stete Begleiterin blieb.

Butler schwieg und sah sie fest an. »Ich bin mit einer Botschaft an Sie beauftragt, Jeanie,« sagte er.

»So? Von wem? Was kann man mir zu sagen haben?«

»Der Auftrag kommt von einem Unbekannten,« erwiederte Butler, indem er sich bemühte, mit einer Gleichgültigkeit zu sprechen, die der Ton seiner Stimme Lügen strafte, »von einem jungen Manne, den ich diesen Morgen auf den Hügeln traf.«

»Mein Gott!« rief Jeanie lebhaft, »und was sagte er?«

»Daß er Sie nicht erwarten könne, wo er gedacht, aber von Ihnen begehre, ihn heute beim Aufgang des Mondes allein bei den Muschat's Steinen zu treffen.«

»Sagen Sie ihm wieder,« entgegnete Jeanie hastig, »daß ich gewiß kommen werde.«

»Darf ich fragen,« sagte Butler, dessen Verdacht bei der Lebhaftigkeit der Antwort zunahm, »wer dieser Mann ist, dem Sie diese Zusammenkunft an einem solchen Orte und zu einer solchen Stunde so bereitwillig zugestehen?«

»Man muß in dieser Welt oft etwas thun, was man wider Willen thut,« versetzte Jeanie.

»Das gebe ich zu,« sagte ihr Geliebter; »doch was zwingt Sie jetzt? – Wer ist dieser Mann? Was ich von ihm sah, sprach nicht sehr zu seinem Vortheil – wer, was ist er?«

»Ich weiß es nicht,« versetzte Jeanie ruhig.

»Sie wissen es nicht?« sagte Butler, ungeduldig in dem Gemach auf- und abgehend. »Sie wollen einem jungen Manne auf sein Geheiß zur Nachtzeit an einen so einsamen Ort folgen, und kennen ihn nicht, der eine solche Gewalt über Sie ausübt? Jeanie, was soll ich davon denken?«

»Nur, daß ich die Wahrheit rede, Ruben, als wenn ich vor dem jüngsten Gericht stände. – Ich kenne diesen Mann nicht – ich weiß nicht, daß ich ihn je gesehen habe – und doch muß ich ihm die verlangte Zusammenkunft zugestehen. Es hängt Leben und Tod davon ab.«

»Wollen Sie es nicht Ihrem Vater sagen, oder ihn mitnehmen?«

»Ich kann nicht,« sagte Jeanie, »ich habe keine Erlaubniß dazu.«

»Wollen Sie mir denn erlauben, Sie zu begleiten? Ich will bis Anbruch der Nacht im Park verweilen und zu Ihnen kommen, wenn Sie gehen.«

»Es ist unmöglich,« sagte Jeanie, »Niemand darf unsere Unterredung hören.«

»Haben Sie wohl bedacht, was Sie thun wollen? – Den Ort – die Zeit – das Verdächtige des Mannes? Selbst wenn er in diesem Hause zu einer solchen Stunde eine Zusammenkunft mit Ihnen verlangt, wo Ihr Vater im nächsten Zimmer gewesen wäre, hätten Sie ihm dieselbe verweigern sollen.«

»Ich muß mein Wort halten, Herr Butler. Mein Leben und meine Sicherheit stehen in Gottes Hand; ich darf aber keinen Anstand nehmen, bei meinem gegenwärtigen Vorhaben Beides zu wagen.«

»Dann, Jeanie,« sagte Butler mit tief verletztem Gefühl, »müssen wir freilich kurz abbrechen und einander Lebewohl sagen. Wenn zwischen einem Manne und seiner Verlobten in einem so wichtigen Punkt kein Vertrauen sein kann, so ist dies ein Beweis, daß sie nicht mehr die liebevolle Achtung zu ihm hegt, die ihre Verbindung zu einer sichern und geziemenden macht.«

Jeanie blickte ihn an und seufzte. »Ich glaubte,« sagte sie, »ich hätte es über mich gewonnen, diese Trennung zu ertragen – doch – doch ich dachte nicht, daß wir uns in Unfrieden trennen würden. Aber ich bin ein Weib und Sie sind ein Mann – es mag anders mit Ihnen sein. Wenn es Ihr Gemüth erleichtert, so schlimm von mir zu denken, so will ich Sie auch nicht bitten, Ihre Meinung zu ändern.«

»Sie sind, was Sie immer gewesen, Jeanie,« sagte Butler, »aus angebornem Gefühl besser, verständiger, weniger selbstsüchtig als ich mit aller Hülfe, welche die Philosophie einem Christen gewähren kann. – Aber warum – warum wollen Sie bei einem so verzweifelten Unternehmen beharren? Warum wollen Sie mich nicht zu Ihrem Begleiter, Ihrem Beschützer, oder wenigstens zu ihrem Rathgeber annehmen?«

»Weil ich es nicht kann und darf,« versetzte Jeanie. – »Aber still, was war das? Mein Vater wird doch nicht krank geworden sein?«

In der That wurden die Stimmen im Wohnzimmer auf einmal übermäßig laut. Die Ursache war folgende.

Als Jeanie und Butler sich entfernten, ging Sattelbaum auf die Angelegenheit ein, welche die Familie besonders interessirte. Im tiefen Gefühl der Schmach und Gefahr seiner Tochter, hatte Deans seine gelehrten Erläuterungen still mit angehört, und nur, als er ihm eine Abschrift der Anklage gegen die unglückliche Effie vorlas, ihn gebeten, inne zu halten, da ihm jedes Wort ein Dolchstich sei. Als aber Sattelbaum im Fortgang seiner Rede ihm den Rath ertheilte, einen Sachwalt für seine Tochter zu wählen, und dazu diesen und jenen vorschlug, ereiferte sich Deans, und weigerte sich, mit Einem der Erwähnten zu thun zu haben, weil ihre Denkungsweise, gänzlich verschieden von der seinigen, ihm als eine ruchlose erschien. Dieser Gegenstand wurde eine Zeitlang ernstlich bestritten, und da Sattelbaum nicht nachließ mit seinen Vorstellungen, wurde der alte Deans so heftig, daß er nach einigen bittern Ausfällen gegen die genannten Rechtsgelehrten in großer Wuth betheuerte: wenn seiner armen Effie Leben und Jeanie's und sein eigenes und aller Menschen Leben davon abhinge, es könnten alle mit einander untergehen, ehe er sich mit solchen Satanskindern einließe.

Die gewaltsame Erhebung seiner Stimme bei diesen leidenschaftlichen Aeußerungen war es, welches die Unterredung Butler's und Jeanie's abbrach, und sie zum Wohnzimmer zurückführte. Hier fanden sie den armen alten Mann wie im halben Wahnsinn – so heftig kämpften tiefer Schmerz und zorniger Eifer über Sattelbaum's Vorschläge in seinem Gemüth. Seine Wangen glühten, seine Hände waren zusammengeballt, seine Stimme erhoben, während die Thräne in seinem Auge, und seine bebenden Laute nur allzu gut zeigten, daß sein Elend trotz all seiner Kraftanstrengungen den Sieg über ihn behaupte.

Butler fürchtete die Folgen einer solchen Erschütterung für einen hochbejahrten Mann, und wagte es, ihm Ruhe und Geduld zu empfehlen.

»Ich bin geduldig,« erwiederte der alte Mann bitter, »geduldiger als irgend einer, der diese ruchlosen Zeiten erlebt; und brauche weder Sectirer, noch Söhne oder Enkel von Sectirern, mein graues Haar zu lehren, wie ich mein Kreuz tragen soll.«

Das Beleidigende dieser Worte ruhig hinnehmend, suchte Butler durch ruhige Vernunftgründe Sattelbaum's Rath zu unterstützen. Es war Alles vergeblich. Deans betheuerte nochmals, nie einen Sachwalt für sich und die Seinigen annehmen zu wollen, der nicht zu den Frommen nach seiner Weise gehörte. Hiemit stand er auf, als sei er der Vorstellungen und der Gegenwart seiner Gäste gleich überdrüssig, sagte ihnen mit einer Bewegung der Hand und des Kopfes Lebewohl, und zog sich in sein Schlafzimmer zurück.

»Er wirft geradezu das Leben seiner Tochter weg,« sagte Sattelbaum zu Butler, als der alte Mann sich entfernt hatte. »Wo wird er je einen Advocaten finden, wie er ihn sucht? Oder wer hat je von einem Advocaten gehört, der für diesen oder jenen Glauben gelitten? Des Mädchens Leben ist rein weggeworfen.«

Gegen Ende des vorigen Gesprächs war Stummendeich vor der Thür angekommen. Er war abgestiegen, hatte seines Kleppers Zaum an den Haken gehängt, wo er ihn immer anhängte, und war auf den Sitz niedergesunken, auf dem er immer saß. Seine Augen wanderten mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit von Einem zum Andern, bis Sattelbaum's letzte Worte ihm auf einmal den traurigen Sinn des bis jetzt Gehörten erklärten. Er erhob sich von seinem Sitz, schritt langsam durch das Zimmer auf Sattelbaum zu, näherte sich seinem Ohr und sagte mit unsicherer, ängstlicher Stimme: »Kann – kann denn Geld nichts für die Leute thun, Herr Sattelbaum?«

»Hm!« sagte Sattelbaum mit ernstem Gesicht – »freilich kann Geld etwas thun beim Gericht, wenn irgend ein Ding es kann; aber wo soll das Geld herkommen? Herr Deans will ja von nichts hören; und obgleich Frau Sattelbaum ihre entfernte Verwandte ist, und es sehr gut mit ihnen meint, wird sie doch nicht so große Kosten allein tragen wollen. Wenn jeder Freund sich zu etwas verstände, ginge es vielleicht. Ich möchte nicht gern die Sache zu einem schlimmen Ausgang kommen sehen, ohne daß sie verfochten wird. Es schickt sich gar nicht, was auch der eigensinnige Alte dagegen spricht.«

»Ich – ich will – ja,« sagte Stummendeich, sich Muth erzwingend, »ich will ja für zwanzig Pfund Sterling gut sagen.« – Hier schwieg er in starrem Erstaunen über seine ungemeine Großmuth und Entschlossenheit.

»Gott der Allmächtige segne Sie, Lord!« rief Jeanie im lebhaftesten Gefühl der Dankbarkeit.

»Sie können auf dreißig Pfund rechnen, anstatt auf zwanzig,« sagte Stummendeich, indem er schüchtern von ihr weg auf Sattelbaum hinblickte.

»Damit wird es schon gehen,« erwiederte Sattelbaum, sich die Hände reibend; »und meine ganze Geschicklichkeit und alle meine Kenntnisse will ich anwenden, um dem Gelde erst rechtes Gewicht zu geben. – Ich will die Sache schon einleiten, ich weiß, wie man die Herrchen mit geringer Besoldung zufrieden stellt. Man darf ihnen nur Hoffnung auf ein paar wichtige Rechtshändel machen, so arbeiten sie wohlfeil der guten Kundschaft wegen.«

»Und kann ich etwas für die Sache thun?« fragte Butler. »Leider besteht meine ganze Habe nur in dem schwarzen Rock, den ich trage, allein ich bin noch jung und rüstig, und ich habe der Familie viel zu danken. Kann ich gar nichts thun?«

»Sie müssen Zeugen zu verschaffen suchen, mein Herr,« sagte Sattelbaum. »Wenn wir nur einen einzigen fänden, der aussagte, daß sie ihm einen Wink von ihrem Zustand gegeben, so ist ihr durchgeholfen. Herr Querfeldein hat mir die Sache auseinandergesetzt. Aber auf andere Art geht's nicht.«

»Aber die Thatsache, mein Herr,« wandte Butler ein, »die Thatsache, daß dies arme Mädchen wirklich ein Kind geboren hat, müssen ihre Gegner die nicht erst beweisen?«

Sattelbaum schwieg eine Weile, und Stummendeich's Gesicht, das wie auf einer Angel sich unaufhörlich von einem Sprechenden zum andern drehte, klärte sich auf.

»Frei – frei – frei – freilich,« sagte Sattelbaum nach einiger Ueberlegung, »freilich müßten sie die erst beweisen. Ich glaube aber, das ist nun nicht mehr nöthig, denn sie hat die Schuld eingestanden.«

»Den Mord eingestanden?« rief Jeanie mit erschütterndem Angstgeschrei.

»Nein, das nicht,« erwiederte Bartel. »Aber sie hat eingestanden, daß sie ein Kind geboren.«

»Und was ist aus dem Kinde geworden?« fragte Jeanie; »ich konnte kein Wort aus ihr herauslocken, nur mit tiefen Seufzern antwortete sie mir.«

»Sie sagt, die Frau, in deren Hause sie gebar, und die ihr in der Zeit beistand, habe es ihr genommen.«

»Und wer war jene Frau?« fragte Butler. »Durch die könnte man ja die Wahrheit ans Licht bringen. – Wer war sie? Ich will sogleich zu ihr eilen.«

»Ich wollte,« sagte Stummendeich, »ich wäre so jung und rasch wie Sie, und hätte so die Gabe Worte zu machen.«

»Wer ist sie?« wiederholte Butler mit Ungeduld. »Wer konnte jene Frau sein?«

»Ja, wer weiß das, als das Mädchen selbst,« erwiederte Sattelbaum; »und sie weigerte sich beim Verhör diese Frage zu beantworten.«

»So will ich augenblicklich selber zu ihr gehen,« sagte Butler. »Leben Sie wohl, Jeanie;« und dann setzte er hinzu, indem er sich ihr näherte, – »thun Sie keinen übereilten Schritt, bis Sie von mir hören. Leben Sie wohl.« Hierauf eilte er hinaus.

»Ich möchte auch gern gehen,« sagte der Gutsbesitzer in ängstlich bedauerndem, eifersüchtigen Tone; »aber mein Gaul ginge um Alles in der Welt keinen andern Weg, als von Stummendeich hieher, und ebenso wieder zurück.«

»Sie können mehr für die Leute thun,« sagte Sattelbaum, als sie mit einander das Haus verließen, »wenn Sie mir die dreißig Pfund schicken.«

»Dreißig Pfund?« stotterte der Lord, da er jetzt außer dem Bereich jener Augen war, die ihn zu solcher Großmuth entflammt hatten; »ich sprach nur von zwanzig.«

»Ja, aber nachher sagten Sie dreißig.«

»That ich das? Ich erinnere mich nicht, daß ich es that. Doch wenn ich es gesagt habe, so will ich es auch halten.« – Dann setzte er hinzu, als er mit Mühe seinen Gaul bestieg: »Glänzten nicht die Augen der armen Jeanie, mit den hellen Thränen darin, wie Bernsteinkorallen, Herr Sattelbaum?«

»Ich verstehe mich nicht besonders auf Weiberaugen, Lord,« versetzte der unempfindliche Bartel, »und mache mir auch nicht sonderlich viel daraus. Ich wollte, ich hätte eben so wenig mit ihren Zungen zu schaffen. – Obgleich nicht leicht ein Weib besser in Zucht gehalten wird, als meins,« setzte er schnell hinzu, um keinem Verdacht gegen sein hausherrliches Ansehen Raum zu geben; »ich gestatte kein Auflehnen gegen meine allerhöchste Gewalt.«

Der Lord sah in dieser Bemerkung nichts so Wichtiges, was eine Antwort erforderte; und so trennten sie sich nach einer stummen Begrüßung in Frieden.


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