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Sechzehntes Kapitel.

»Für morgen bin ich zu Hofe befohlen,« sagte Leicaster zu Varney, »ich soll dort vermutlich mit Mylord von Sussex zusammentreffen. Die Königin beabsichtigt, unsern Zwist beizulegen. Das kommt von ihrem Besuch zu Says-Hof, von dem Du noch dazu so obenhin sprichst.«

»Ich bleibe auch dabei, daß er nichts zu bedeuten hat,« sagte Varney. »Ich weiß von einem zuverlässigen Kundschafter, der vieles, was gesprochen worden ist, mit angehört hat, daß Sussex durch diesen Besuch eher verloren als gewonnen hat. Als die Königin in die Barke zurückkehrte, sagte sie, in Says-Hof sähe es aus, wie in einer Wachtstube, und es röche darin, wie in deinem Hospital.«

»Du hast vielerlei Nachrichten gesammelt,« sagte Leicester, »aber das Wichtigste hast Du vergessen oder ausgelassen. Sie hat zu den tändelnden Satelliten, die sie zu ihrem Gefallen die Kreise um ihre Sonne ziehen läßt, einen neuen hinzugefügt.«

»Euer Lordschaft meint jenen Raleigh, den Jüngling aus Devonshire,« sagte Varney, »den Ritter vom Mantel, wie sie ihn bei Hofe nennen.«

»Er wird vielleicht eines Tages noch Ritter vom Hosen-, bände,« sagte Leicester, »denn er macht schnell Fortschritte – sie hat Verse mit ihm gelesen und solche Torheiten. Ich möchte aus freiem Willen gern den Stein aufgeben, den ich im Brett ihrer wankelmütigen Gunst habe, aber ich möchte mich nicht so durch einen Rippenstoß hinausschieben lassen von diesem Hanswurst Sussex oder diesem neuen Emporkömmling. Ich höre, auch Tressilian ist bei Sussex und steht hoch in seiner Gunst. Ich würde ihn gern schonen – aus Rücksicht, aber er rennt allein in sein Schicksal – Sussex ist jetzt wieder so wohl auf wie nur je.«

»Mylord,« erwiderte Varney, »Unebenheiten gibt es auf dem glattesten Wege, zumal wenn er bergan führt. Sussex' Krankheit war für uns eine Sendung des Himmels, von der ich viel erhoffte, Er hat sich allerdings erholt, aber er ist jetzt nicht mehr zu fürchten, als vor seiner Erkrankung. Und damals schon ist er im Kampfe gegen Euer Lordschaft oft abgeführt worden. Nur den Mut darf Euer Lordschaft nicht sinken lassen, dann wird alles gut gehen.« »Mir ist der Mut noch nie gesunken. Mann,« sagte Leicester.

»Nein, Mylord,« sagte Varney, »doch hat Euer Herz Euch schon manchen Streich gespielt. Wer einen Baum erklimmen will, muß bei den Zweigen zupacken, nicht bei den Blüten.«

»Gut, gut, gut,« sagte Leicester ungeduldig, »ich verstehe, wie Du es meinst. – Sorge dafür, daß mein Gefolge in Ordnung ist – sieh zu, daß der Aufputz meiner Mannen prächtig genug ist, um nicht nur die vierschrötigen Gesellen von Ratcliffe auszustechen, sondern auch die Vasallen jedes andern Edelmanns und Höflings. Du selber bleib in meiner Nähe, es gibt vielleicht noch etwas für Dich zu tun.«

Sussex und seine Partei trafen nicht weniger emsige Vorbereitungen.

»Eure Bittschrift, die Varney der Verführung bezichtigt,« sagte der Earl zu Tressilian, »ist jetzt schon bei der Königin – ich habe sie durch sichre Vermittlung hingeschickt. Mich dünkt, Euer Gesuch müßte Erfolg haben, denn es fußt auf Gerechtigkeit und Ehre, und Elisabeth ist das wahre Muster von beiden. Aber ich weiß nicht, wie es kommt, der Zigeuner« – so nannte Sussex seinen Nebenbuhler wegen seiner dunkeln Hautfarbe – »hat jetzt viel bei ihr zu sagen in den faulen Friedenszeiten. Stünde der Krieg am Tore, dann wäre ich ihr Bester, aber in Friedenszeiten kommen Soldaten aus der Mode. Na, wir dürfens uns nicht verdrießen lassen – es ist nun einmal die Mode so. –Blount, hast Du dafür gesorgt, daß unser Gefolge die neuen Uniformen angelegt hat?«

»Es ist besorgt, und Eurer Lordschaft wackre Verwandten und Freunde kommen zu Dutzenden heran, um Euch zu Hofe zu begleiten, und wir werden in Reih und Glied ebenso stattlich erscheinen wie Leicesters Sippschaft, mag er sie noch so protzig herausstaffieren.«

Der Earl of Sussex gab seine Anweisungen in solcher Hast, daß Tressilian nur mit Mühe endlich Gelegenheit fand, sein Erstaunen auszusprechen, daß er in der Angelegenheit Sir Hugh Robsarts so weit gegangen sei, die Bittschrift gleich der Königin vorzulegen. Es sei die Meinung der Freunde der jungen Dame gewesen, sagte er, daß man sich zuerst an Leicesters Gerechtigkeitsgefühl wenden solle, da die Beleidigung durch einen seiner Offiziere begangen worden sei, und dies habe er ja auch Sussex ausdrücklich mitgeteilt.

»Dies hätte geschehen können, ohne sich an mich zu wenden,« sagte Sussex, ein wenig hochmütig. »Ich wenigstens hätte nicht zum Ratgeber genommen werden dürfen, wenn es sich um ein erniedrigendes Ansuchen bei Leicester handelte, und ich bin erstaunt, daß Ihr, Tressilian, ein Mann von Ehre und mein Freund, einen solchen niedrigen Weg einschlagen wolltet. Wenn Ihr mir das gesagt habt, so habe ich es gewiß nicht in einem Euch so unähnlichen Sinne verstanden.«

»Mylord,« sagte Tressilian, »der Weg, den ich einschlagen wollte, wenn es nur nach mir gegangen wäre, ist der, den Ihr gewählt habt, aber die Freunde dieser unglücklichen Dame ...«

»O, die Freunde, die Freunde,« unterbrach ihn Sussex, »müssen uns in dieser Sache den Weg einschlagen lassen, den wir für den besten halten. Dies ist die Zeit und die Stunde, alles, was gegen Leicester und sein Gefolge aufgebracht werden kann, aufzuhäufen, und Eure Beschwerde wird die Königin für eine sehr schwerwiegende halten. Aber auf jeden Fall liegt ihr jetzt die Klage vor.«

Während die staatsmännischen Nebenbuhler sich so geschäftig auf ihr bevorstehendes Zusammentreffen vor der Königin vorbereiteten, war Elisabeth selber nicht ohne Befürchtungen, was wohl aus dem Zusammenstoß zweier so feuriger Geister sich ergeben könne, von denen jeder eine so starke und zahlreiche Gefolgschaft hinter sich hatte und unter die, insgeheim oder offenkundig, die Hoffnungen und Wünsche der meisten Edelmänner ihres Hofes geteilt waren. Die Ehrenwache war ganz ins Gewehr getreten, und eine Abteilung Yeomen war aus London auf der Themse hergebracht worden. Ein königlicher Erlaß wurde ausgegeben, der streng allen Edelmännern, welches Ranges sie auch seien, untersagte, sich dem Palast mit Lehnsmännern oder Gefolge in kurzen oder langen Waffen zu nahen.

Die kritische Stunde, die auf allen Seiten mit so großer Spannung erwartet wurde, kam endlich heran, und begleitet von ihren langen, prunkenden Zügen von Freunden und Lehnsmännern, betraten die beiden gräflichen Rivalen pünktlich zur Mittagsstunde den Schloßhof zu Greenwich.

Wie nach vorheriger Vereinbarung, oder vielleicht, weil die Grafen vermuteten, daß dies der Königin angenehm sei, kam Sussex und sein Gefolge von Deptford zu Wasser nach dem Palast, wahrend Leicester zu Lande kam. So betraten sie den Schloßhof von verschiedenen Seiten. Die beiden Grafen tauschten keinen Gruß miteinander aus, doch sahen sie sich fest und scharf ins Gesicht, und beide erwarteten vielleicht einen Austausch von Höflichkeiten, mit denen keiner den Anfang machen wollte. Fast zur selben Minute, als sie eintrafen, läutete die Schloßglocke, die Tore öffneten sich, und die Grafen traten herein – mit einem zahlreichen Gefolge solcher Edelherren aus ihrer Sippschaft, die ihrem Range nach hierzu befugt waren. Die Yeomen und geringeren unter der Gefolgschaft blieben im Hofe, wo die feindlichen Parteien einander mit Blicken des Hasses und der Verachtung maßen, als warteten sie voller Ungeduld auf eine Gelegenheit zu offnem Tumult. Aber sie wurden durch die strengen Befehle ihrer Führer in Zaum gehalten, auch flößte eine bewaffnete Wache ihnen Respekt ein.

Inzwischen folgten die hervorragenderen eines jeden Zuges ihren Lehnsherren in die hohen Hallen und Vorzimmer des königlichen Palastes – sie rannen im selben Bette wie zwei Ströme, die in einen Kurs gezwungen werden und doch ihre Wässer nicht vermischen wollen.

Die Flügeltüren am obern Ende wurden gleich darauf geöffnet, und flüsternd wurde verkündet, die Königin sei im Audienzzimmer, zu dem diese Räume führten. Beide Grafen gingen langsam und feierlich auf den Eingang zu, Sussex war von Tressilian, Blount und Raleigh begleitet, hinter Leicester ging nur Varney her. Der Stolz Leicesters mußte sich vor den Hofformalitäten beugen, und er blieb stehen, bis sein Nebenbuhler, ein Graf von höherm Alter als er, vor ihm hereingetreten war. Tressilian und Blount wollten dem Grafen von Sussex folgen, aber es wurde ihnen nicht gestattet, der Kammerherr mit dem schwarzen Stabe ersuchte um Entschuldigung, aber er habe strengen Befehl, heute bei den Vorlassungen scharf auf alle Formalitäten zu achten. Zu Raleigh, der zurücktrat, als seine Gefährten abgewiesen wurden, sagte er: »Ihr, Junker, dürft herein,« und Raleigh trat daher herein.

»Folgt mir auf dem Fuße, Varney,« sagte der Earl of Leicester, der auf einen Augenblick vorsichtig zurückgetreten war, um zu sehen, wie Sussex empfangen würde; und eben wollte er hereintreten, als Varney, der in prunkvollste Galauniform gekleidet war, von dem Kammerherrn angehalten wurde, wie vor ihm Tressilian und Blount.

»Was bedeutet das, Herr Bowyer?« fragte Graf Leicester. »Wißt Ihr, wer ich bin, und daß dieser hier mein Freund und Vasall ist?«

»Euer Lordschaft wird mir verzeihen,« versetzte Bowyer mit Entschiedenheit, »ich habe strengen Befehl und halte mich nur an die gewissenhafte Erfüllung meiner Pflicht.«

»Schurke! Es ist ungerecht von Euch,« sagte Leicester, indem ihm das Blut ins Gesicht stieg, »mir diese Schmach anzutun, da Ihr soeben einen vom Gefolge des Grafen von Sussex hereingelassen habt.«

»Mylord,« sagte Bowyer, »Junker Raleigh ist seit kurzem als ergebner Diener Ihrer Majestät zugelassen worden, und auf ihn bezieht sich meine besondre Weisung nicht.«

»Du bist ein Schuft – ein undankbarer Schuft,« sagte Leicester, »aber der, der Dich in die Höhe gebracht hat, kann Dich auch wieder stürzen – Du sollst Dich nicht länger mit Deiner Würde brüsten.«

Diese Drohung sprach er laut aus, seine gewöhnliche Klugheit und Vorsicht außer acht lassend, und trat dann in das Audienzzimmer, sich vor der Königin verneigend. Die Majestät war sogar noch prächtiger gekleidet als sonst und war umgeben von jenen Edlen und Staatsmännern, deren Mut und Weisheit ihre Regierung unsterblich gemacht haben. Sie erwartete stehend die Huldigung ihrer Untertanen, erwiderte anmutig die Begrüßung des beliebten Grafen und blickte bald nach dem einen, bald nach dem andern. Eben schien sie ihre Rede beginnen zu wollen, da trat Bowyer – ein Mann von Mut, der die in Erfüllung seines Amtes ihm von Leicester offen angetane Schmach nicht auf sich sitzen lassen wollte, mit seinem schwarzen Stabe herein und kniete vor ihr nieder.

»Was gibt es, Bowyer?« fragte Elisabeth. »Ihr kommt ungelegen.«

»Meine allergnädigste Königin,« sagte er, während alle Höflinge um ihn her über seine Kühnheit zitterten, »ich komme nur zu fragen, ob in der Ausübung meines Amtes ich den Befehlen Eurer Hoheit oder denen des Grafen von Leicester zu gehorchen habe, der mir öffentlich mit seiner Ungnade gedroht und ehrenrührige Ausdrücke gegen mich gebraucht hat, weil ich einem aus seinem Gefolge den Zutritt verwehrt habe, gemäß den strengen Befehlen Eurer Majestät?«

Der Geist Heinrichs VIII. erwachte sofort im Busen seiner Tochter, und sie wandte sich an Leicester mit einer Strenge, die ihn und all sein Gefolge in Angst versetzte.

»Gottes Tod, Mylord!« das war immer ihr Ausruf, wenn sie erregt war, »was soll das heißen? Wir haben eine gute Meinung von Euch gehabt und Euch in die Nähe unsrer Person genommen, doch nicht zu dem Zweck, daß Ihr die Sonne unsern getreuen Untertanen verdunkeln solltet. Wer gab Euch Befugnis, unsern Befehlen zu widersprechen oder unsre Beamten zu kontrollieren? Ich will an diesem Hofe, ja in diesem Reiche, nur eine Herrin haben und keinen Herrn. Seht ja zu, daß Bowyer keinen Schaden erleidet, weil er seine Pflicht gegen uns getreu erfüllt hat. Denn so wahr ich ein christliches Weib und eine gekrönte Königin bin, Ihr sollt mir teuer dafür einstehen. – Geht, Bowyer, Ihr habt gehandelt wie ein ehrlicher Mann und ein treuer Untertan. Wir wollen hier nicht dulden, daß irgendwer sich zum Herrn des Palastes aufwirft.«

Bowyer küßte die Hand, die sie ihm reichte und kehrte zu seinem Posten zurück, erstaunt über den Erfolg seiner Kühnheit. Ein Lächeln des Triumphes ging durch die Partei des Grafen von Sussex, die Leicester-Partei schien in demselben Maße bestürzt, und der Günstling selber nahm eine Miene der tiefsten Demut an und hütete sich, ein Wort zu seiner Verteidigung vorzubringen.

Daran tat er weise, denn Elisabeth war es nur darum zu tun, ihn zu demütigen, nicht ihn in Ungnade fallen zu lassen. Die Würde der Königin war befriedigt, und das Weib in ihr begann bald selber den Verdruß zu bedauern, den sie ihrem Liebling bereitet hatte. Ihr scharfes Auge bemerkte auch, daß die Partei des Sussex heimlich Blicke der Beglückwünschung austauschte, und es entsprach durchaus ihrer Politik, keiner der beiden Parteien einen entscheidenden Triumph zu gewähren.

»Was ich zu Mylord von Leicester sagte,« sprach sie nach kurzer Pause, »das sage ich ebenso zu Euch, Mylord von Sussex. Auch Ihr dürft nicht am Hofe von England an der Spitze einer eignen, kampflustigen Partei erscheinen.«

»Meine Vasallen, gnädige Fürstin,« sagte Sussex, »sind in der Tat in Eurer Sache kampflustig gewesen in Irland, in Schottland und gegen jene rebellischen Grafen im Norden. Ich wüßte nicht, daß –«

»Wollt Ihr mit Blicken und Worten mit mir streiten, Mylord?« unterbrach ihn die Königin. »Ich dächte, Ihr hättet von Mylord von Leicester zum mindesten die Bescheidenheit lernen können, zu schweigen, wenn ich Euch einen Verweis erteile. Ich sage Euch, Mylord, mein Vater und schon mein Großvater sind so klug gewesen, den Edlen dieses zivilisierten Landes zu verbieten, daß sie mit solchen wüsten Gefolgen herumzögen; und meint Ihr wohl, weil ich eine Haube trage, würde ihr Szepter in eine Kunkel verwandelt werden? Ich sage Euch, kein König der Christenheit wird so streng darauf halten, daß an seinem Hofe und in seinem Reiche keine Streitigkeiten geschehen und daß der Friede seines Königtums nicht durch die Arroganz zu hoch aufgeschossener Macht zerstört werde – kein König strenger als die Frau, die jetzt mit Euch spricht. – Mylord von Leicester, und Ihr, Mylord von Sussex, ich befehle Euch beiden, Freundschaft unter einander zu halten, oder bei der Krone, die ich trage, Ihr sollt eine Feindin finden, die zu stark für Euch beide sein wird.«

»Gnädigste Frau,« sagte der Earl of Leicester, »Ihr, die selber der Urquell der Ehre seid, wißt am besten, was der meinen geziemt. Ich stelle sie Euch anheim und sage nur, daß die Spannung zwischen mir und Lord von Sussex nicht durch mich hervorgerufen worden ist, auch hatte er keine Veranlassung, mich für seinen Feind zu halten, als bis er mir schweres Unrecht angetan hatte.«

»Ich meinesteils,« sagte Graf von Sussex, »muß mich dem Belieben Eurer Majestät fügen, aber ich würde sehr zufrieden sein, wenn Mylord von Leicester sagen würde, worin ich – wie er es nennt – ihm unrecht getan habe, denn meine Zunge hat nie ein Wort gesprochen, für das ich nicht jederzeit eingetreten wäre, ob nun zu Pferde oder zu Fuß.«

, »Und was mich anbetrifft,« sagte Leicester, »immer mit Verlaub meiner allergnädigsten Königin, – meine Hand wird ebenso bereit sein, meine Worte zu verfechten, wie die irgend eines Mannes, der sich Ratcliffe geschrieben hat.«

»Mylords,« sagte die Königin, »in diesem Tone, können wir hier nicht verhandeln; und wenn Ihr Euer Ungestüm nicht zügeln könnt, so werden wir Mittel finden, Euch Brauseköpfe ein wenig abzukühlen. Ich will sehen, Mylords, daß Ihr Euch die Hände schüttelt und Eure eitle Feindseligkeit vergeßt.«

Die beiden Nebenbuhler sahen einander mißmutig an und keiner wollte den ersten Schritt tun, dem Befehl der Königin nachzukommen.

»Sussex, ich bitte – Leicester, ich befehle Euch ...«

Doch waren die Worte so betont, daß die Bitte wie Befehl und dar Befehl wie eine Bitte klang. Sie standen still und steif, bis sie ihre Stimme zu einer Höhe erhob, die zugleich Ungeduld und unbedingtes Gebot aussprach.

»Sir Henry Lee,« sagte sie zu einem Offizier in der Nähe, »haltet eine Wache sofort in Bereitschaft und bemannt auf der Stelle eine Barke. Mylords von Sussex und Leicester, ich gebiete Euch noch einmal, Euch die Hände zu reichen, – und, Gottes Tod! Wer sich weigert, soll die Luft in unserm Tower atmen und vorderhand unser Angesicht nicht wieder schauen. Ich will Eure stolzen Herzen gebeugt haben, ehe wir auseinander gehen, und das verspreche ich Euch, so wahr ich eine Königin bin.«

»Das Gefängnis,« sagte Leicester, »wäre zu ertragen, aber Euer Majestät nicht mehr zu schauen, das hieße Licht und Leben mit eins zu verlieren. Hier, Sussex, ist meine Hand.«

»Und, hier,« sagte Sussex, »ist meine in Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit.«

»So soll es sein,« sagte die Königin und sah sie huldvoller an. »Wenn die Hirten sich vereinigen zum Schütze der Herden, dann ist es um die Herden, die wir zu hüten haben, gut bestellt. Denn, Mylords, ich sage Euch rund heraus, Eure Torheiten und Streitereien führen zu arger Verwirrung unter Euern Dienern. Mylord von Leicester, Ihr habt einen Herrn in Euerm Gefolge namens Varney?«

»Ja, allergnädigste Fürstin,« erwiderte Leicester, »ich habe ihn vorgestellt, Eurer Majestät die Hand zu küssen, wie Ihr das letzte Mal in Nonsuch wart.«

»Nun, sein Aeußeres war nicht uneben,« sagte die Königin, »aber doch nicht so schön, sollte ich meinen, daß ein Mädchen von ehrbarer Geburt und guten Aussichten um seiner schönen Augen willen ihren guten Namen hingeben und seine Maitresse hätte werden können. Und doch ist es so. Dieser Bursche von Euch hat die Tochter eines guten, alten Ritters aus Devonshire, des Sir Hugh Robsart von Lidcote-Hall verführt, und sie ist mit ihm aus ihres Vaters Hause geflüchtet. – Mylord von Leicester, seid Ihr krank, daß Ihr so totenblaß ausseht?«

»Nein, gnädigste Frau,« sagte Leicester, und es erforderte alle Anstrengung, diese paar Worte vorzubringen.

»Ihr seid sicherlich krank, Mylord!« sagte Elisabeth hastig und ging fast bestürzt auf ihn zu, und Sprache und Gang bekundeten die tiefste Sorge um ihn. »Ruft Masters – ruft unsern Leibarzt – wo sind diese saumseligen Narren – wir werden den Stolz unsers Hofes verlieren durch ihre Nachlässigkeit. Oder ist es möglich, Leicester,« fuhr sie fort, und sah ihn mit sehr sanftem Blick an, »kann Furcht vor unsrer Ungnade Dir so nahe gegangen sein? Glaub nicht, edler Dudley, daß wir Dich wegen der Torheit, Deines Lehnsmanns tadeln könnten – Dich, dessen Gedanken, wie Wir wissen, ganz wo anders weilen!«

»Merkt Ihr das?« sagte Sussex zu Raleigh. »Der Teufel steht ihm bei, das steht fest, denn was andre zehn Klafter tief stürzen würde, scheint ihm nur die Fahrt noch zu erleichtern. Hätte einer von meinem Anhang so gehandelt –«

»Gemach, Mylord,« sagte Raleigh, »gemach in Gottes Namen. Wartet ab, bis das Wetter anders wird, es scheint schon jetzt umschlagen zu wollen.«

Der Scharfblick Raleighs hatte recht gesehen, denn Leicesters Verwirrung war so groß, und in der Tat schien er für den Augenblick so völlig überwältigt, daß Elisabeth ihn verwundert ansah und, als sie auf die ungewöhnlichen Ausdrücke der Huld und Zuneigung keine verständliche Antwort erhalten hatte, ihren raschen Blick über den Kreis der Höflinge hinfliegen ließ. In den Gesichtern las sie vielleicht etwas, was mit ihrem erwachten Verdacht übereinstimmte, und sie fragte plötzlich:

»Oder steckt dahinter mehr, als wir jetzt sehen – vielleicht mehr, als Ihr, Mylord, wünscht, daß wir sehen sollen? Ruft mir sofort diesen Varney her und auch den in der Bittschrift genannten Tressilian – führt beide vor uns.«

Der Befehl wurde ausgeführt, und Tressilian und Varney kamen herein. Varneys erster Blick fiel auf Leicester, sein zweiter auf die Königin. In den Blicken der letztern las er bevorstehenden Sturm, und in der niedergeschlagnen Miene seines Gönners konnte er keine Weisungen entdecken, auf welche Weise er sein Schiff für dieses Zusammentreffen seefähig zu machen hätte – dann sah er Tressilian, und sofort erkannte er die Gefahr der Lage, in der er sich befand. Aber Varney hatte eine freche Stirn und einen schlagfertigen Witz und war, verschlagen und kannte keine Bedenken – ein gewandter Lotse in großer Gefahr, der sich voll bewußt war, wie große Vorteile er erringen konnte, wenn es ihm gelang, Leicester aus dieser Klemme herauszubringen, und wie unrettbar ihm selber das Verderben drohte, wenn es ihm nicht glückte.

»Ist es wahr, Herr,« sagte die Königin mit einem jener forschenden Blicke, denen stand zu halten nur wenige die Kühnheit hatten, »daß Ihr eine junge Dame von edler Herkunft und Erziehung, die Tochter des Sir Hugh Robsart von Lidcote-Hall, zur Schande verführt habt?«

Varney kniete nieder und erwiderte mit einer Miene tiefster Zerknirschung, es habe zwischen ihm und Amy Robsart ein Liebesverhältnis bestanden.

Leicesters Fleisch erzitterte vor Empörung, als er seinen Vasallen dieses Geständnis ablegen hörte, und für den Augenblick war es ihm, als sollte er sich ein Herz fassen und hervortreten, dem Hofe und der Hofgunst Lebewohl sagen und das ganze Geheimnis von der heimlichen Heirat preisgeben. Aber er sah auf Sussex, und der Gedanke an das triumphierende Lächeln, das bei diesem Bekenntnis auf dem Antlitz seines Nebenbuhlers liegen würde, versiegelte ihm die Lippen. Fest und gefaßt reckte er sich wieder empor und hörte aufmerksam auf jedes Wort, das Varney sprach, und war wieder entschlossen, bis zum letzten Augenblick das Geheimnis zu wahren, von dem sein Glück als Höfling abhing. Inzwischen fuhr die Königin in ihrem Verhör fort:

»Ein Liebesverhältnis!« sagte sie, die letzten Worte wiederholend. »Warum, Du Schuft, hast Du nicht bei dem Vater um die Hand der Dirne angehalten, wenn Du es mit Deiner Liebe ehrlich meintest?«

»Mit Verlaub, Eurer Majestät,« sagte Varney, noch immer knieend, »das wagte ich nicht, denn ihr Vater hatte ihre Hand einem Herrn von Geburt und Ehre versprochen – ich will ihm Gerechtigkeit erweisen, obgleich ich weiß, daß er mir feindlich gesinnt ist – einem gewissen Junker Edmund Tressilian, den ich jetzt unter den Anwesenden erblicke.«

»So!« erwiderte die Königin, »und inwiefern hattest Du ein Recht, die dumme Närrin durch Deine Liebelei, wie Du es heuchlerisch und dreist nennst, dahin zu bringen, daß sie ihres Vaters Absicht vereitelt hat?«

»Allergnädigste Frau« versetzte Varney, »es ist vergebens, der menschlichen Schwäche das Wort zu reden vor einer Richterin, die selber keine Schwäche kennt, oder die Sache der Liebe zu verfechten vor einer Frau, die gegen die Leidenschaft gefeit ist –« er hielt einen Augenblick inne und setzte dann ganz leise und schüchtern hinzu, »mit der sie andre entflammt.«

Elisabeth versuchte die Stirn zu runzeln, aber sie lächelte unwillkürlich und antwortete:

»Du bist ein wunderbar unverschämter Bube. Bist Du mit dem Mädchen verheiratet?«

Leicester hatte jetzt das Gefühl, als ob sein ganzes Innere fest in sich verkrampft wäre und als ob sein Leben abhinge von der Antwort, die Varney geben würde. Dieser erwiderte nach kurzem Zögern: »Ja.«

»Du falscher Schurke!« rief Leicester in einem Wutausbruch, aber er vermochte weiter kein Wort hinzuzufügen.

»Nein, Mylord,« sagte die Königin, »wir wollen, wenns erlaubt ist, zwischen diesen Burschen und Euern Zorn treten. Wir sind noch nicht fertig mit ihm. – Wußte Euer Herr, Mylord von Leicester, von dieser saubern Geschichte? Sprich, die Wahrheit, ich befehle es Dir.«

»Allergnädigste Frau,« sagte Varney, »die Wahrheit des Himmels zu gestehen, Mylord war selber schuld an der ganzen Sache.«

»Du Schurke, willst Du mich etwa verraten?« knirschte Leicester.

»Sprich weiter,« sagte die Königin, ihre Wange rötete sich und ihre Augen funkelten – »sprich weiter – höre jetzt auf keinen Befehl, als auf den unsern.«

»Euer Befehl ist allgewaltig, allergnädigste Herrin,« erwiderte Varney, »und vor Euch kann es kein Geheimnis geben. – Doch möchte ich nicht gern,« setzte er hinzu, »vor andrer Ohren von den Angelegenheiten meines Herrn sprechen.«

»Tretet zurück, Mylord,« sagte die Königin zu denen, die um sie herumstanden, »und Ihr sprecht weiter. – Was hat der Earl mit dieser strafbaren Intrigue von Dir zu tun? Sieh zu, Schurke, daß Du ihn mir nicht verleumdest.«

»Fern sei es von mir, meinen edeln Gönner in falschen Leumund zu bringen,« erwiderte Varney, »doch ich bin gezwungen, zu gestehen, daß seit einiger Zeit eine tiefe, überwältigende, doch geheime Leidenschaft im Herzen meines Herrn sitzt – sein Sinn ist nicht wie sonst bei den Angelegenheiten seines Haushalts, die er doch sonst mit religiöser Strenge zu regeln pflegte – und er hat uns Gelegenheiten finden lassen, Torheiten zu begehen, deren Schmach zum Teil, wie in diesem Falle, auf unsern Gebieter fällt. Ohnedem hätte ich weder die Gelegenheit noch die Muße gefunden, die Dummheit zu begehen, die mir seine Ungnade eingebracht hat – das schwerste Unglück für mich, immer abgesehen von dem noch mehr gefürchteten Zorn Eurer Majestät.«

»Und nur in diesem Sinne und keinem andern trägt er Mitschuld an Deinem Vergehen?« fragte Elisabeth.

»Gewiß, allergnädigste Frau, in keinem andern,« antwortete Varney, »aber da ihm etwas zugestoßen sein muß, so kann man ihn kaum zur Rechenschaft ziehen, denn er ist nicht mehr sein eigner Herr. Seht ihn an, Gnädigste, wie bleich und zitternd er dasteht – wie ganz unähnlich seiner sonstigen majestätischen Erscheinung – und doch was hat er zu fürchten von den Eröffnungen, die ich Eurer Hoheit machen könnte? Ach, allergnädigste Herrin, seit er jenes Päckchen erhalten hat ...!«

»Was für ein Päckchen und von wem?« rief die Königin begierig.

»Von wem, Gnädigste, das kann ich nicht erraten, aber ich stehe seiner Person so nahe, daß ich weiß, er hat seitdem stets am Halse und zunächst seinem Herzen jene Haarlocke getragen, die in einem kleinen, herzförmigen Goldschmuck ruht – er spricht zu ihm, wenn er allein ist – er trennt sich von ihm nicht im Schlafe – kein Heide hat je einen Fetisch mit solcher Hingebung angebetet.«

»Du bist ein fürwitziger Gesell, Deinem Herrn so scharf aufzupassen,« sagte Elisabeth und errötete, doch nicht vor Zorn, »und eine Plaudertasche obendrein, daß Du seine Torheiten ausschwätzest. Von welcher Farbe mag die Locke gewesen sein, von der Du da redest?«

Varney antwortete: »Ein Dichter könnte sie einen Faden von dem goldnen Gewebe, das Minerva gesponnen hat, nennen. Meines Dünkens aber war sie noch blasser als selbst das reinste Gold – mehr wie der letzte scheidende Sonnenstrahl des sanftesten Tages im Lenze.«

»Ei, Ihr seid selber ein Dichter, Junker Varney,« sagte die Königin lächelnd, »aber ich habe nicht Genie genug, Euern köstlichen Metaphern zu folgen. Seht Euch unter diesen Damen, um. Ist hier (sie stockte und zwang sich, eine Miene der größten Gleichgültigkeit anzunehmen), ist unter dieser Gesellschaft eine Dame, deren Haar die Farbe jener Locke hat? Ich möchte zwar nicht in die Liebesgeheimnisse des Lords von Leicester dringen, doch dünkt mich; ich erführe ganz gern, welche Art von Locken wie der Faden von Minervas Gewebe sind oder wie der – wie, war es doch? – wie der letzte Strahl der Sonne an einem Tage im Maien.«

Varney sah sich in dem Audienzsaale um, sein Auge wanderte von einer Dame zur andern, bis es mit einem Blicke tiefster Verehrung auf der Königin selber ruhte,

»Ich sehe keine Flechten, die solcher Gleichnisse würdig wären, in dieser Gesellschaft,« fügte er, »außer an einem Haupte, wo ich sie nicht anzuschauen wage.«

»Wie, Bursche,« sagte die Königin, »erdreistest Du Dich, anzudeuten ...«

»Nein, gnädigste Fürstin,« erwiderte Varney, die Augen mit der Hand beschattend, »die Strahlen der Maiensonne haben meine schwachen Augen geblendet.«

»Geh, geh, Du bist ein närrischer Bursch,« sagte die Königin, und sie wandte sich rasch von ihm ab und ging zu Leicester.

Gespannte Neugierde mit all den geteilten Hoffnungen, Befürchtungen und Leidenschaften, unter deren Einfluß alle Hofintriguen stehen, hatte das Audienzgemach beherrscht und im Banne gehalten, wie mit der Kraft eines morgenländischen Talismans, so lange dieses Zwiegespräch der Königin mit Varney währte. Die Männer unterließen jede, selbst die leiseste äußere Bewegung und hätten sogar das Atmen aufgeschoben, wenn die Natur eine solche Unterbrechung der Funktionen zuließe. Die Atmosphäre war ansteckend, und als Leicester alle um sich her von dem Wunsche, daß das Glück ihm lächeln möchte, oder von dem Wunsche, daß er stürzen möchte, beseelt sah, vergaß er alles, was ihm eben noch die Liebe eingegeben hatte, und sah nichts als Gnade oder Ungnade, die von dem Kopfnicken der Elisabeth und von Varneys Treue abhingen. Elisabeth ließ ihn nicht lange im Zweifel, denn die Herzlichkeit, die mehr war als bloße Gunst, mit der sie ihn jetzt anredete, entschied seinen Triumph in den Augen seines Nebenbuhlers und des versammelten Hofes von England.

»Ihr habt einen schwatzhaften Diener an diesem Varney, Mylord,« sagte sie; »es ist nur ein Glück, daß Ihr ihm nichts anvertraut, was Euch in unsrer Meinung herabsetzen könnte, denn, glaubt mir nur, er würde nicht reinen Mund halten.«

»Wenn er vor Eurer Hoheit etwas geheim halten wollte,« sagte Leicester und ließ sich anmutig auf ein Knie nieder, »das hieße Verrat begehen. Ich wollte, mein Herz selber läge offen vor Euch.«

»Wie, Mylord,« sagte Elisabeth und sah freundlich auf ihn nieder, »ist nicht ein einziger kleiner Winkel da, über den Ihr gern einen Schleier breiten möchtet? Ich sehe, die Frage verwirrt Euch, Und Eure Königin weiß, daß sie nicht zu tief auf den Grund der Treue ihrer Untertanen schauen sollte, damit sie nicht etwas erblicke, was ihr mißfallen könnte oder wenigstens sollte.«

Durch diese Worte von seiner Beklemmung befreit, brach Leicester in einen Strom von Beteuerungen tiefer und leidenschaftlicher Ergebenheit aus, die in diesem Augenblick vielleicht nicht ganz erheuchelt waren. Nie war er Elisabeth beredsamer, hübscher, interessanter erschienen, als jetzt, da er vor ihr kniete und sie beschwor, ihn all seiner Macht zu berauben und ihm nur den Namen ihres Dieners zu lassen.

»Nehmt dem armen Dudley,« rief er aus, »alles, wozu ihn Eure Güte gemacht hat, und heißt ihn wieder der arme Edelmann sein, der er war, als das Licht Eurer Gnade zum ersten Mal auf ihn fiel, laßt ihm nichts als diesen Mantel und sein Schwert, doch laßt ihn noch immer sich rühmen dürfen, daß er – was er in Wort und Tat noch nie verscherzt hat – die Wohlgeneigtheit seiner angebeteten Königin und Herrin besitzt!«

»Nein, Dudley,« sagte Elisabeth und richtete ihn mit der einen Hand auf, während sie die andre ihm zum Kusse hinreichte, »Elisabeth hat nicht vergessen, daß zur Zeit, da Ihr noch ein armer Edelmann und Eures erblichen Ranges beraubt waret, sie selber eine ebenso arme Prinzessin gewesen ist und daß Ihr in ihrer Sache alles gewagt habt, was die Unterdrückung Euch gelassen hatte – Leben und Ehre. – Steht auf, Mylord, und laßt meine Hand los! – Steht auf und seid, was Ihr stets gewesen seid, die Zierde unsers Hofes und die Stütze unsers Thrones. – Und so wahr mir Gott helfe,« setzte sie hinzu, sich an die Zuhörerschaft wendend, die mit verschiednen Gefühlen diese interessante Szene ansah, »so wahr mir Gott helfe, meine Herren, so denke ich, nie hat ein Landesfürst einen treuern Diener gehabt, als ich in diesem edeln Carl besitze.«

Ein Murmeln der Zustimmung ging durch die Leicester-Partei, dem die Anhänger des Grafen von Sussex nicht zu widersprechen wagten. Sie standen mit zu Boden gesenkten Blicken, bestürzt und erbittert zugleich über den öffentlichen und völligen Triumph ihrer Widersacher. Leicester benutzte die Vertraulichkeit, zu der die Königin ihn so offenkundig wieder erhoben hatte, um sich nach ihren Befehlen in der Angelegenheit seines Dieners Varney zu erkundigen.

»Dieser Bursche,« sagte er, »verdient freilich nur, Ungnade, aber wenn ich mirs anmaßen dürfte, ein Wort einzulegen ...«

»Wahrhaftig, wir hatten seine Sache ganz vergessen,« sagte die Königin. »Und das war nicht recht von uns, die wir unsern niedrigsten wie höchsten Untertanen Gerechtigkeit schuldig sind. Es gefällt uns sehr, Mylord, daß Ihr selber der erste seid, der uns an diesen Fall erinnert. – Wo ist Tressilian, der Ankläger? – Laßt ihn vor uns kommen.«

Tressilian erschien und machte eine tiefe Verbeugung. Sein Aeußeres hatte, wie schon früher bemerkt, einen Zug der Grazie und des Adels, der dem kritischen Blick der Königin Elisabeth nicht entging. Sie sah ihn aufmerksam an, als er unerschrocken und doch mit einer Miene tiefster Traurigkeit vor ihr stand.

»Dieser Herr tut mir wirklich leid,« sagte sie zu Leicester. »Ich habe Erkundigungen über ihn eingezogen, und sein Aeußeres bestätigt, was ich gehört habe, daß er nämlich ein Gelehrter und ein Soldat zugleich sei, in Künsten und in Waffen wohl bewandert. Wir Frauen, Mylord, sind launisch in unsrer Wahl – und ich hätte, wenn ich mein Auge urteilen ließe, jetzt gesagt, es könne eigentlich gar kein Vergleich zwischen Eurem Vasallen und diesem Herrn gezogen werden. Aber Varney versteht gut zu sprechen und die Wahrheit zu sagen, damit erreicht man viel bei uns vom schwächern Geschlecht. – Seht, Junker Tressilian, hat man einen Pfeil verschossen, so braucht noch nicht gleich der Bogen gebrochen zu sein. Eure treue Liebe – ich will Euer Gefühl gern dafür gelten lassen – scheint nur schlecht erwidert worden zu sein, aber Ihr habt Gelehrsamkeit und wißt, falsche Cressidas hat es schon gegeben von der Zeit der Trojaner an. Vergeßt, guter Herr, dieses Dämchen der leichten Liebe und lehrt Eure Neigung mit bessern Augen sehen. Dies sagen wir zu Euch und sprechen dabei mehr aus den Schriften gelehrter Männer, als aus eigner Erfahrung in solchem eiteln Spiel launischer Leidenschaft. Was den Vater dieser Dame anbetrifft, so können wir seinen Schmerz lindern, indem wir seinen Schwiegersohn zu einer solchen Stellung befördern, daß seine Gattin standesgemäß leben kann. Ihr selber sollt nicht vergessen werden, Tressilian – bleibt bei uns am Hofe, und Ihr sollt sehen, daß ein echter Troilus einigen Anspruch auf unsre Gnade hat. Denkt nur, daß dieser Schlaukopf, der Shakespeare sagt – doch potzblitz! Seine Scherze gehören jetzt nicht hierher, wir haben an andres zu denken.«

Und als Tressilian trotzdem stehen blieb in der Haltung eines Mannes, der gern sprechen würde, nur daß die tiefste Ehrfurcht ihm Schweigen gebiete, setzte die Königin ein wenig ungeduldig hinzu:

»Was will denn der Mann? Die Dirne kann doch nicht Euch beide heiraten. Sie hat ihre Wahl getroffen – vielleicht nicht eben eine kluge – aber sie ist Varneys angetraute Gattin.«

»Hier sollte mein Gesuch verstummen, allergnädigste Landesherrin,« sagte Tressilian, »und mit meinem Gesuche meine Rache. Aber ich halte das Wort dieses Varney nicht eben für eine gute Bürgschaft der Wahrheit.«

»Wäre dieser Zweifel anderswo ausgesprochen worden,« antwortete Varney, »so sollte mein Schwert –«

»Dein Schwert!« fiel ihm Tressilian verächtlich ins Wort; »– mit Eurer Majestät Erlaubnis soll jetzt mein Schwert –«

»Ruhig, Ihr Buben! Alle beide!« rief die Königin. »Wißt Ihr, wo Ihr seid? Das kommt von Euern Streitigkeiten, Mylords,« setzte sie hinzu, sich an Leicester und Sussex wendend. »Eure Vasallen treibens ganz so wie Ihr selber – wie die Herren singen, so zwitschern die Diener. Gebt acht, Ihr Herren, wer mir vom Schwerterziehen spricht in irgend einem andern Zwist als im Kampfe für mich und England, – bei meiner Ehre, ich will ihm Armbänder von Eisen an Händen und Füßen anlegen lassen!« Dann hielt sie ein Weilchen inne und fuhr in sanfterm Tone fort: »Ich muß trotzdem zwischen diesen dreisten, aufrührerischen Burschen Recht sprechen. – Mylord von Leicester, wollt Ihr mit Eurer Ehre verbürgen – daß Euer Diener die Wahrheit spricht, indem er sagt, er habe diese Amy Robsart geheiratet?«

Dies war eine neue Wendung, die Leicester fast von neuem ins Verderben gestürzt hätte. Aber er war jetzt zu weit gegangen, um wieder umzukehren, und antwortete nach kurzem Besinnen:

»Nach meinem besten Gewissen – ja, nach meinem besten Wissen – sie ist angetraute Gattin.«

»Allergnädigste Frau,« sagte Tressilian, »darf ich danach fragen, wann und unter welchen Umständen diese angebliche Heirat –«

»Was, Du Fant!« versetzte die Königin, »angebliche Heirat! – Habt Ihr nicht das Wort dieses ausgezeichneten Grafen zur Bürgschaft für die Wahrheit der Angaben seines Dieners? Aber Du bist der verlierende Teil – und wir wollen Nachsicht mit Dir haben, – wir wollen die Sache näher untersuchen, wenn wir mehr Zeit haben. – Mylord von Leicester, ich denke, Ihr werdet nicht vergessen haben, daß wir willens sind, das Fest auf Euerm Schlosse Kenilworth in der folgenden Woche mitzumachen – wir wollen Euch gebieten, unsern guten und hochgeschätzten Freund, den Grafen von Sussex, zu ersuchen, daß er uns dort Gesellschaft leisten möge.«

»Wenn der edle, Graf von Sussex,« sagte Leicester und verneigte sich ungezwungen und graziös vor seinem Nebenbuhler, »meinem schlichten Hause so viel Ehre antun will, so will ich darin einen weitern Beweis für die freundschaftlichen Beziehungen erblicken, die Eure Majestät zwischen uns gepflogen zu sehen wünscht.«

Sussex war unbeholfner.

»Ich würde, Majestät,« sagte er, »Euch nur im Frohsinn stören, da ich eben erst von schwerer Krankheit genesen bin.«

»Und seid Ihr denn wirklich so krank gewesen?« fragte Elisabeth und sah ihn mehr mit Aufmerksamkeit an als zuvor. »Ihr seid wahrlich sehr verändert, und tief schmerzt mich das. Aber seid gutes Mutes, – wir wollen selber uns die Gesundheit eines so hochgeschätzten Dieners angelegen sein lassen, dem wir so sehr viel verdanken. Masters soll Euch Diät anordnen, und damit wir selber sehen, daß Ihr Euch nach seinen Vorschriften richtet, müßt Ihr auf dem Feste in Kenilworth mit uns zusammen sein.«

Dies wurde in so entschiednem Tone und dabei doch mit so viel Freundlichkeit gesagt, daß Sussex nichts weiter tun konnte, als sich in Gehorsam gegen die Befehle der Königin tief zu verneigen, so sehr es ihm auch zuwider war, bei seinem Nebenbuhler zu Gaste zu sein. Er sagte Leicester mit linkischer Höflichkeit die Annahme seiner Einladung zu.

»Mylords von Sussex und Leicester,« sagte die Königin, »Tressilian und Varney sind in Euern Diensten – Ihr werdet dafür sorgen, daß sie Euch nach Kenilworth begleiten – und da wir dann Paris und Menelaus in unsrer Nähe haben, so wollen wir auch die schöne Helena sehen, deren Untreue diesen Tumult verursacht hat. Varney, Dein Weib soll mit in Kenilworth sein und auf unsern Befehl sich zeigen. – Mylord von Leicester, wir erwarten, daß Ihr dafür sorgen werdet.«

Der Graf und sein Vasall verneigten sich tief und hoben den Kopf wieder, ohne daß sie die Königin oder sich selber anzusehen gewagt hätten, denn beiden war in diesem Augenblick zu Mute, als wenn die Netze und Stricke, die ihre eigne Falschheit gewoben hatte, sich dicht um sie schlössen.

Die Königin aber sah ihre Verwirrung nicht.

»Mylords von Leicester und Sussex,« fuhr sie fort, »wir benötigen Eurer Anwesenheit in dem geheimen Rat, der alsogleich tagen soll. Dinge von großer Wichtigkeit stehen auf der Tagesordnung. Dann wollen wir zu unsrer Kurzweil eine Wasserfahrt machen, und Ihr, Mylords, werdet uns begleiten. – Und das erinnert uns an noch etwas – vergeßt Ihr nicht, Herr Ritter vom beschmutzten Mantel« (dabei zeichnete sie Raleigh durch ein Lächeln aus), »daß Ihr auch an der Fahrt teilzunehmen habt. Ihr sollt mit geeigneten Mitteln versehen werden, Eure Garderobe in stand zu bringen.«

Und so endete diese gerühmte Audienz, auf der, wie durch ihr ganzes Leben, Elisabeth die Launenhaftigkeit ihres Geschlechts mit jenem feinen Verstand und mit jener tiefen Staatsklugheit vereint hatte, in denen kein Mann und kein Weib sie je wieder übertroffen haben.

Ende des ersten Bandes.

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