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Neuntes Kapitel.

Tressilian war bis in das Tal von Whitehorse gelangt, als der Tag heranbrach. Jetzt wurde er zu seinem Verdruß gewahr, daß sein Pferd ein Hufeisen an einem der Vorderfüße verloren hatte. Da er sich in der Nähe eines armseligen Dörfchens befand, stieg er ab und führte sein Pferd. Vor einem der kläglichen Häuschen, aus denen die verlassene Ortschaft bestand, stand eine alte Frau, die ihn aus seine Frage, ob nicht in der Nähe ein Grobschmied wohne, mit sonderbarer Miene ansah.

»Ein Grobschmied?« erwiderte sie. »Ja, ein Grobschmied ist wohl hier in der Nahe. – Was wollt Ihr von ihm?«

»Mein Pferd soll er beschlagen, gute Frau. Ihr seht, es hat ein Hufeisen verloren,« antwortete Tressilian.

»Magister Feiertag!« rief die alte Frau. »Magister Erasmus Feiertag! Kommt doch einmal her und sagt dem Manne hier Bescheid. Er fragt nach Wieland dem Schmied, und ich mag ihm den Weg zu dem Teufel nicht sagen. Sein Pferd hat ein Eisen verloren.«

»Quid mihi cum caballo?« versetzte eine Stimme aus dem Hause, und gleich darauf erschien der ehrliche Pädagoge, – denn daß er ein solcher war, dafür zeugte sein Anzug: Eine lange, hagere, gekrümmte Gestalt, deren Kopf von dünnem, schon stark ergrautem Haar bedeckt war. Als er einen Fremden von Tressilians Aeußerm erblickte, dessen Vornehmheit er zu würdigen verstand, zog er die Mütze und redete ihn mit den Worten an: »Salve domine! Intelligisne linguam latinam?«

Tressilian kramte sein Latein hervor und erwiderte: »Linguae latinae haut penitus ignarus venia tua, domine eruditissime vernaculam libentius loquor.«

Diese lateinische Antwort wirkte auf den Schulmeister etwa ebenso wie das Zeichen der Freimaurer auf die Brüder dieses Ordens. Er interessierte sich sofort für den gelehrten Reisenden, hörte die Geschichte von dem müden Pferde, und dem verlorenen Eisen und antwortete dann in feierlichem Tone:

»Es mag Euch, verehrter Herr, als die größte Einfachheit von der Welt, vorkommen, wenn ich Euch den Bescheid gäbe, daß nur ein kurzes Stückchen von hier der beste faber ferrarius, der vollendetste Grobschmied haust.«

»Ich würde dann wenigstens eine glatte Antwort auf eine einfache Frage erhalten,« versetzte Tressilian, »aber wie es scheint, ist die hier nicht zu haben.«

»Wer ein lebendes Wesen nach Wieland, dem Schmied, fragt, liefert eine Seele dem Bösen aus,« sagte die Alte.

»Still, Frau Schlamm!« sagte der Erzieher. »Pauca verba. Kümmert Euch um Euern Weizenbrei. Und Ihr, verehrtester Herr, würdet Euch wohl felix bis terque schätzen, wenn ich Euch die Wohnung dieses Schmiedes zeigte?«

»Ich bitte Euch,« wiederholte Tressilian ungeduldig, »sagt mir mit einem Wort, ob ich hier irgendwo mein Pferd füttern und beschlagen lassen kann?«

»Diese Gefälligkeit, Herr,« erwiderte der Schulmeister, »kann ich Euch ohne Schwierigkeiten selber erweisen. Ich will mich bei der guten Hausfrau verwenden, daß sie Euch eine Schüssel Weizenbrei vorsetze – das ist eine gar gesunde Speise – nur habe ich noch keinen lateinischen Namen dafür gefunden. Euer Pferd soll inzwischen im Kuhstall eingestellt werden und ein Bund Heu haben – die gute Mutter Schlamm hat einen reichen Vorrat davon. Man kann von ihrer Kuh sagen: foenum in cornu. Und wenn Ihr mir das Vergnügen bereiten wollt, mir Gesellschaft zu leisten, so soll Euch die Mahlzeit ne semissem quidem kosten, denn die gute Mutter Schlamm tut mir gern einen Gefallen, weil ich ihren hoffnungsvollen Enkel und Erben Richard in der lateinischen Sprache unterrichte.«

»Freilich, vergelts Euch Gott, Magister Feiertag,« sagte die gute Alte. »Wenn nur der kleine Dickie recht fleißig lernen möchte.«

Tressilian bedachte, daß sein Pferd der Ruhe bedürfe und daß er, wenn er den guten, alten Pädagogen sich gehörig ausschwatzen ließe, über kurz oder lang doch noch erfahren werde, wo der Schmied wohne. Er ging daher mit dem Schulmeister in die Hütte, setzte sich zu ihm und aß mit ihm von dem Weizenbrei. Eine gute halbe Stunde lang mußte er erst allerlei gelehrtes Gewäsch über die Persönlichkeit des Erziehers mit anhören, ehe es ihm möglich war, den redseligen Mann auf ein andres Thema zu bringen. Wir geben diese weitschweifigen Ausführungen nur in kurzer Skizze wieder.

Er war in Hogsnoton geboren. Den Namen Erasmus hatte er daher, weil seine Mutter, eine Wäscherin, dem großen Gelehrten gleichen Namens die Wäsche besorgt hatte, und weil wohl die gute Frau die dunkle Ahnung gehabt hatte, daß in dem kleinen Täufling ein Genius verborgen sei, der einst zu einem ebenbürtigen Nebenbuhler des Erasmus von Rotterdam heranreifen würde. Den Namen Feiertag führte er wohl seines Erachtens quasi lucus a non lucendo – weil er seinen Schülern wenig Feiertage vergönnte. Dann aber neigte er auch wieder zu der Annahme, daß der Name sich auf seine große Begabung bezöge, Theaterspiele, Mohrentänze, Maifeste und andre für Feiertage passende Veranstaltungen zu arrangieren. In dieser Fähigkeit sei er der erfinderischste Kopf in ganz England, und seine Begabung für solche Belustigungen habe ihm schon die Bekanntschaft manches vornehmen Herrn verschafft, und vor allem des edeln Grafen von Leicester.

»Erlaubt mir, auf Eure eigene gelehrte Weise zu fragen,« unterbrach ihn Tressilian endlich, »quid hoc ad Iphicli boves? Was hat das mit dem Beschlagen meines Pferdes zu tun?«

»Festina lente!« sagte der Gelehrte. »Wir kommen sogleich darauf. Ihr müßt wissen, vor ein paar Jahren kam in diese Gegend ein gewisser Doktor Doboobie, der war – was her gemeine Mann einen Hexenmeister nennt. Er behauptete, ein Bruder vom geheimnisvollen Orden der Rosenkreuzer zu sein. Er heilte Wunden, wahrsagte aus der Hand, wußte gestohlenes Gut aufzufinden, sammelte Kräuter, durch die sich die Menschen unsichtbar machen können, und verstand, Blei in Silber zu verwandeln.«

»Mit anderen Worten, er war ein ganz gemeiner Quacksalber und Gauner,« unterbrach ihn Tressilian abermals, »doch was hat das mit dem verlorenen Hufeisen meines Pferdes zu schaffen?«

»Das sollt Ihr sogleich erfahren,« erwiderte der weitschweifige Gelehrte. »Patentia, werter Herr! Dieser Demetrius Doboobie hätte es sicherlich weit gebracht, wenn nicht in einer dunkeln Nacht der Teufel gekommen und mit ihm davongeflogen wäre. Seitdem hat man nichts wieder von ihm gehört und gesehen. Nun komm ich auf den eigentlichen Kern meiner Erzählung. Dieser Doktor Doboobie hatte einen Diener, einen armen Kerl, der ihm den Ofen zu heizen, die Zauberkessel zu füllen, die Tropfen anzufertigen, die Zauberkreise zu ziehen und die Patienten zu beschwichtigen hatte. Als nun der Doktor in so absonderlicher Weise verschwunden war, hat dieser Wieland angefangen, die gefährliche Kunst seines Herrn weiterzutreiben. Aber in diesen Künsten konnte er sein Brot nicht finden, da die ganze Gegend nach dem unerklärlichen Verschwinden des Doktors zu sehr in Angst und Grauen war, als daß irgendwer den Mut gehabt hätte, sich bei dem Diener Hilfe zu holen. So hat sich denn nun dieser Bursche – ob es ihn der Teufel gelehrt oder ob er es in der Jugend gelernt hat, – darauf gelegt, Pferde zu beschlagen, und er tut das ebenso gut, wie nur irgend ein Grobschmied.«

»Wo wohnt er?« fragte Tressilian. »Zeigt mir sogleich seine Wohnung.«

»Hört erst weiter, ehe Ihr Euch in eine solche Gefahr begebt,« sagte Erasmus Feiertag. »Dieser Grobschmied nimmt für seine Arbeit von niemand Geld an.«

»Und das ist ein sicheres Zeichen,« fiel die alte Frau ein, »daß er mit dem Teufel unter einer Decke steckt. Jeder gute Christ nimmt Lohn für seine Arbeit.«

»Die alte Frau hat recht,« sagte der Pädagog. »Rem aou tstigit, – sie hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Dieser Wieland nimmt kein Geld und läßt sich auch vor niemand sehen. Und doch verrichtet er seine Arbeit musterhaft – selbst Mulciber. mit seinen Zyklopen könnte es nicht besser machen. Aber es ist nicht ratsam, sich von jemand helfen zu lassen, der mit dem Anstifter alles Bösen gemeinschaftliche Sache macht.«

»Ich muß es doch darauf wagen, guter Magister Feiertag,« sagte Tressilian und erhob sich.

»So zeigt ihm doch, wo er wohnt,« sagte die Alte, die gern den Gast los sein wollte. »Wen der Teufel treibt, der läßt sich doch nicht halten.«

»Nun, meinetwegen,« sagte der Magister. »Ich nehme die Welt zum Zeugen, daß ich diesen wackern Edelmann aufs beste gewarnt habe. Ich will auch nicht selber mit meinem Gaste hingehen. Ricarde, adsis, nebulo

»Nein, mit Verlaub!« fiel ihm das alte Weib ins Wort. »Meinen kleinen Dickie sollt Ihr nicht zu einem solchen Dienst vorschlagen!«

»Gute Mutter Schlamm,« versetzte der Lehrer, »er soll ja nur bis auf den Hügel mitgehen und die Wohnung des Schmiedes dem fremden Herrn mit dem Finger zeigen. Glaubt nicht, daß ihm ein Leid widerfahren wird, er hat auf nüchternen Magen heute früh schon ein Kapitel in der Septuaginta gelesen. Ich vermute außerdem, er geht zu seinem eigenen Vergnügen oft zu dem Beschwörer hin, so mag er denn einmal aus Gefälligkeit für uns sich auf den Weg machen. Ergo heus, Ricarde! adsis quaeso, mi didascale

Der so herbeigerufene Zögling kam endlich ins Zimmer gestolpert. Er war ein kleiner, watschelnder, verwachsener Zwerg, der seiner kleinen Gestalt nach kaum zwölf oder dreizehn Jahre alt sein konnte, obgleich er in Wirklichkeit wohl ein oder zwei Jahre älter sein mochte. Das rote Haar hing ihm verwildert um das von Sommersprossen bedeckte, verbrannte Gesicht herab, er hatte eine Stülpnase, ein spitzes Kinn und graue, durchdringende Augen, die zu schielen schienen. Beim bloßen Anblick des kleinen Kerls fühlte man den lebhaftesten Kitzel zum Lachen.

»Ricarde,« sagte der Lehrer, »Du sollst mit dem Herrn dort bis auf den Hügel hinauf und ihm zeigen, wo Wieland, der Schmied, wohnt.«

»Mein guter Junge,« sagte Tressilian, »ich will Dir ein Silberstück geben, wenn Du mich nach der Werkstätte des Schmiedes führst.«

Der Knabe warf ihm einen listigen Seitenblick zu:

»Ich will Euch schon führen,« sagte er, »setzt Euch nur den Hut auf, zieht Euer Pferd aus dem Stall und vergeht nicht, daß Ihr mir ein Silberstück versprochen habt.«

»Nun, nun, nicht so hastig!« rief der Lehrer. »Suflamanina Ricarde!«

»Seid Ihr nur hübsch still,« sagte Dickie und entschlüpfte dem Lehrer.

Tressilian bestieg ohne Säumen sein Pferd und folgte seinem gnomenhaften Führer.


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