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Drittes Kapitel.

»Und wie geht es Euerm Neffen, guter Herr Wirt?« fragte Tressilian, als am andern Morgen Gosling in die Gaststube trat.

»Ganz gut, Herr, vor zwei Stunden ist er ausgegangen und hat, ich weiß nicht was für alte Kameraden aufgesucht. Eben erst ist er wiedergekommen und nimmt jetzt ein Frühstück von frischen Eiern und Muskateller zu sich. Und was die Wette anbetrifft, so warne ich Euch als Freund, laßt Euch auf nichts ein, was Michel Euch vorschlägt. Daher rate ich Euch, genießt jetzt zum Frühstuck eine Bouillon, die bringt den Magen wieder auf gleich, und laßt meinen Neffen und Meister Goldfaden das Maul von ihrer Wette so voll nehmen, wie sie wollen.«

»Es scheint mir, mein Wirt,« sagte Tressilian, »als wüßtet Ihr nicht recht, was Ihr von diesem Euern Verwandten sagen sollt. Ihr könnt ihn ohne leise Gewissensbisse weder anschwärzen noch herausbeißen.«

»Da trefft Ihr den Nagel auf den Kopf, Herr Tressilian,« erwiderte Giles Gosling. »Natürliche Zuneigung flüstert mir ins Ohr: Giles, Giles, willst Du Deinen eignen Neffen um seinen guten Namen bringen? Willst Du den Sohn Deiner Schwester in bösen Leumund bringen? Willst Du Dir das eigne Nest verschandeln, Dein eigen Blut verunglimpfen? – Und dann wieder kommt der Gerechtigkeitssinn und sagt zu mir: Da ist ein prächtiger Gast, wie nur je einer in den »Schwarzen Bären« gekommen ist. Ein Gast, der nie an einer Rechnung herumgenörgelt hat (das sag ich Euch ins Gesicht, Herr Tressilian, Ihr habt das nie getan, aber Ihr habt freilich auch keine Ursache dazu gehabt), einer, der nicht weiß, warum er hergekommen ist, und auch, so viel ich sehe, noch nicht weiß, wann er wieder gehen wird. Und willst nun Du als ein Gastwirt, der die langen Jahre her in der Stadt Cumnor alles redlich bezahlt hat, der Du jetzt Gemeindevorsteher bist, willst Du dulden, daß dieser Gast der Gäste, dieser Mann der Männer, dieser sechsreifige Humpen, wenn ich so sagen darf, von einem Reisenden, in die Netze Deines Neffen falle, der als ein Maulheld und Tollkopf bekannt ist, als Kartenspieler und Würfler, als Professor der sieben verdammungswürdigen Wissenschaften – sofern in ihnen je ein Mensch den Grad eines Gelahrten erreicht hat? Nein, beim Himmel! Ich kann wohl ein Auge zudrücken, wenn er einen so kleinen Schmetterling wie den Goldfaden fängt, aber Ihr, mein Gast, sollt gewarnt sein und gerüstet, wenn Ihr nur hören wollt auf Euern getreuen Wirt.«

»Nun, Herr Wirt, Euer Rat soll nicht verworfen werden,« erwiderte Tressilian, »in dieser Wette aber muß ich nun meinen Anteil durchhalten, da ich nun einmal mein Wort darauf verpfändet habe. Aber gebt mir nun in dieser Sache Euern Rat – dieser Foster oder – wer und was ist er eigentlich – und warum macht er ein solches Geheimnis aus dieser Frauensperson?«

»Fürwahr,« antwortete Gosling, »dem, was Ihr gestern abend gehört habt, kann ich nur wenig hinzufügen. Er ist einer von den Papisten der Königin Maria gewesen und ist nun einer von den Protestanten der Königin Elisabeth, er war ein Lehnsmann des Abtes von Abingford und wohnt nun als Herr in dem alten Herrenhause. Vor allem, er war arm und er ist jetzt reich. Die Leute reden von geheimen Gemächern im Herrenhause, die so vornehm ausgestattet und verziert sein sollen, daß die Königin drin wohnen könnte. Gott segne sie. Manche glauben, er habe einen Schatz gefunden im Obstgarten, einige meinen, er habe sich um einen Schatz dem Teufel verkauft, und einige sagen, er habe dem Abt das Silbergerät abgegaunert, das zur Reformation im Herrenhause versteckt worden war. Jedenfalls ist er reich, und Gott und sein Gewissen und vielleicht der Teufel noch daneben wissen allein, wie er zu seinem Reichtum gekommen ist. Er hat auch ein mürrisches Wesen und bricht den Verkehr mit allen Hiesigen ab, als wenn er entweder ein sonderbares Geheimnis zu hüten hätte oder sich aus anderm Stoff als wir dünkte. Ich halte es sehr wahrscheinlich, daß mein Verwandter und er in Streit geraten werden, wenn Michel wegen seiner frühern Bekanntschaft sich ihm aufdrängen sollte. Und ich bedauere es, daß Ihr, mein würdiger Herr Tressilian, noch immer daran denkt, mit meinem Neffen zu gehen.«

Tressilian antwortete ihm abermals, er werde die Sache sehr vorsichtig anstellen, und der Wirt brauche sich seinetwegen nicht zu sorgen. Kurz, er gab ihm alle jene Versicherungen, mit denen jemand, der zu einer raschen Tat entschlossen ist, den Rat eines Freundes abwehrt.

Einstweilen nahm der Reisende die Einladung des Wirtes an und war eben mit dem Frühstück fertig, das ihm und Giles Gosling die hübsche Cäcilie aufgetragen hatte, da trat Michael Lambourne herein.

Seine Toilette hatte ihm augenscheinlich einige Mühe gekostet, denn sein Anzug war im Gegensatz zu dem Reisekostüm vom vergangenen Tage nach der neuesten Mode und mit großer Sorgfalt so angelegt, daß seine Persönlichkeit möglichst vorteilhaft darin sich ausnahm.

»Meiner Treu, Oheim,« rief der Galan, »das war eine feuchte Nacht gestern, und es ist ein trockner Morgen, darauf gefolgt. Ich möchte Dir gern mit einem Humpen Bescheid tun. – Ei, mein hübsches Muhmchen Cilly! Als ich Dich verließ, lagst Du noch als Baby in der Wiege, und nun stehst Du im Sammetmieder da, ein so stattliches Mädchen, wie nur Englands Sonne bescheint. Erkenne Deinen Freund und Verwandten, Cilly, daß ich Dich küssen und Dir meinen Segen geben kann.«

»Kümmere Dich nicht um Cilly, Neffe,« sagte Giles Gosling, »sondern laß sie in Gottes Namen ihrer Wege gehen, denn wenn auch Deine Mutter die Schwester ihres Vaters war, so sollst Du Dich doch nicht mit ihr einlassen.«

»Wie, Oheim,« versetzte Lambourne, »denkst Du, ich sei ein Ungetreuer und würde den Angehörigen meines eigenen Hauses ein Leid zufügen?«

»Von Leid zufügen ist gar keine Rede, Michel,« antwortete sein Oheim, »das ist nur so ein bißchen Vorsicht von meiner Seite. Nun, Du bist allerdings so schmuck herausgeputzt, wie eine Schlange, wenn sie die alte Haut im Frühling abstreift, aber trotz alledem sollst Du nicht in mein Eden hineinschleichen. Ich will schon auf meine Eva aufpassen, und damit laß Dir Genüge sein, Michel. – Aber wie fein Du jetzt aussiehst, Junge! Wenn man Dich jetzt ansieht und mit Herrn Tressilian in seinem dunkelfarbenen Reitkostüm vergleicht, so möchte man wirklich meinen, Du wärst in Wirklichkeit der vornehme Herr und er der Stallknecht.«

»Fürwahr, Onkel,« versetzte Lambourne, »das kann auch nur so ein Bauer wie Du sagen, ders nicht besser versteht. Ich sage offen, und es ist mir einerlei, wer es hört, das Wesen des echten Adels hat etwas Besonderes an sich, das wenige, die nicht von adliger Geburt sind und so die Fähigkeit gleich mitbringen, sich aneignen können. Ich weiß nicht, worin der Kniff liegt, aber ich mag in eine Gaststube noch so dreist und selbstbewußt eintreten, mag noch so laut mit Kellnern und Buffetiers herumschimpfen, noch so tüchtig trinken, noch so dickbackig fluchen und noch so freigebig, wie nur irgend einer von den Bespornten und Befederten um mich her, mit Gold um mich werfen – es hilft nichts – den echten Chik bringe ich doch nicht heraus, obwohl ich es schon hundertmal versucht habe. Der Wirt weist mir den untersten Tisch an der Tafel an und schneidet mir zu allerletzt vor, und der Hausdiener sagt zu mir: Na, kommt, Freund, ohne mir eine Reverenz zu machen oder mir sonstwelche Ehrerbietung zu bezeigen. Aber Schwamm drüber! Ich pfeife darauf. Ich habe Adel genug in mir, um Toni, dem Scheiterhaufenanstecker, einen Streich zu spielen.«

»Ihr bleibt also dabei, Euern alten Bekannten zu besuchen,« fragte Tressilian den Abenteurer.

»Gewiß, Herr,« sagte Lambourne, »es ist gewettet worden, also muß das Spiel auch riskiert werden. Das ist Spielgesetz und gilt auf dem ganzen Erdenrund. Wenn mich mein Gedächtnis nicht im Stiche läßt – denn ich habe gestern ein bißchen zu tief ins Glas geguckt, habt Ihr Euch ja selber an meinem Risiko beteiligt.«

»Ich bleibe auch dabei, Euch bei Euerm Abenteuer zu begleiten,« sagte Tressilian, »wenn Sie mir die Gunst erzeigen und es mir erlauben wollen. Meinen Anteil am Einsatz habe ich unserm würdigen Wirt eingehändigt.«

»Das hat er getan,« sagte Giles Gosling. »Ich wünsche Euerm Unternehmen Glück, aber bei meiner Ehre, es wäre angebracht, wenn Ihr vorher noch einen Schluck trinkt, ehe Ihr geht, denn dort drüben in der Halle werdet Ihr einen etwas trocknen Willkommen finden. Und wenn es Euch an den Kragen gehen sollte, seht Euch vor, daß Ihr kein kaltes Eisen in den Magen bekommt. Schickt nach mir, und Giles Gosling, der Gemeindevorstand, wird schon mit Toni Foster fertig werden, so stolz er auch sein mag.«

Das Städtchen Cumnor ist anmutig auf einem Hügel erbaut, und in einem dicht angrenzenden Waldpark lag das alte Herrenhaus, das zu jener Zeit Anthony Foster bewohnte. Die Ruinen sind noch heute zu sehen. Der Park war damals voll von großen Bäumen und besonders von alten, mächtigen Eichen, die ihre riesigen Zweige über die hohe Umfassungsmauer des Hauses reckten. So eingeschlossen, nahm es sich recht abgeschieden, melancholisch und klösterlich aus. In den Garten führte ein altmodischer Torweg in der Außenmauer, dessen Tor aus zwei mächtigen Eichenbohlen gezimmert und wie das Tor einer alten Stadt mit Nägeln beschlagen war.

»Hier säßen wir fest,« sagte Michael Lambourne, mit einem Blick auf das Tor, »wenn der Mann in seinem Mißtrauen uns gar nicht hereinlassen wollte. Aber nein,« setzte er hinzu, indem er wider das Tor stieß, das nachgab, »die Tür steht einladend offen, und nun stehen wir auf dem verbotenen Boden.«

Vor ihnen lag eine Allee, von alten Bäumen beschattet und eingesäumt von hohen Hecken. Die waren aber jahrelang nicht gestutzt worden und nun zu großen Büschen oder vielmehr zu Zwergbäumen aufgeschossen und wucherten nun auf den Weg herüber, den sie einst beschirmt hatten.

Auf der Allee selber stand das Gras dicht und hoch, und hie und da lagen große Haufen von Reisig, das zum Trocknen zusammengetragen worden war. Der allgemeine Eindruck der Verödung, der sich immer stark einprägt, wenn wir die Werke der Menschen verwüstet und vernichtet sehen durch Vernachlässigung und allmählich das Pflanzenleben die Spuren des Menschenlebens vertilgt, wurde noch erhöht durch die Größe der Bäume und ihre weit ausgedehnten Wipfel. Selbst wenn die Sonne am höchsten stand, war es hier düster, und düstre Stimmung befiel jeden, der hier herkam.

Dies empfand selbst Michael Lambourne, so fern seinem Wesen auch sonst die Zugänglichkeit für Eindrücke liegen mochte, außer bei solchen Dingen, die unmittelbar mit seinen Leidenschaften zu tun hatten.

»Dieser Wald ist finster wie ein Wolfsrachen,« sagte er zu Tressilian, als sie die einsame, versperrte Allee selbander dahinschritten und eben in Sicht der klösterlichen Front des alten Herrenhauses gekommen waren, deren Bogenfenster und Ziegelsteine von Efeu und Schlinggewächsen überwuchert und von hohen, schweren Schornsteinen überragt waren. – »Und doch ist es ganz richtig so von Foster, wenn er doch keine Besuche haben will. So läßt er denn sein Grundstück in einem solchen Zustand, daß sich wenige verlockt sehen werden, in seine Einsamkeit einzudringen. Wenn er aber der Toni wäre, den ich einmal gekannt habe, dann wären diese stämmigen Eichen längst das Eigentum eines Holzhändlers geworden, und der Wald hier würde um Mitternacht heller aussehen, als jetzt am Morgen, während Foster selber mit dem daraus gelösten Gelde in irgendeiner Ecke von Whitefriars spielte.«

»War er denn so ein Verschwender?« fragte Tressilian.

»Er war wie wir alle,« erwiderte Lambourne, »kein Heiliger und kein Sparer. Aber was ich ihm immer am meisten nachgetragen habe, das war, daß er sich immer allein amüsierte und um jeden Tropfen grollte, der nicht auf seine Mühle floß. Das und auch eine Neigung zum Aberglauben, die ihm im Blut zu liegen schien, machte ihn der Gesellschaft guter Kameraden unwürdig. Und nun hat er sich hier vergraben in einer Höhle, die so recht für so einen schlauen Fuchs paßt.«

»Darf ich Euch fragen, Herr Lambourne,« sagte Tressilian, »da doch die Gemütsart Euers alten Bekannten so wenig zu der Euern paßt, warum ist Euch so viel daran gelegen, Eure Bekanntschaft mit ihm zu erneuern?«

»Und darf ich meinerseits Euch fragen, Herr Tressilian,« versetzte Lambourne, »warum Euch so viel daran gelegen zu sein scheint, mich auf diesem Vorhaben zu begleiten.«

»Ich habe Euch ja meinen Grund genannt,« sagte Tressilian, »als ich mich an Eurer Wette beteiligte. – Pure Neugierde.«

»Papperlappapp!« unterbrach ihn Lambourne. »Seht doch, wie Ihr höflichen, vorsichtigen Herren uns anführen wollt, die wir kein Blatt vor den Mund nehmen und uns geben, wie uns der Schnabel gewachsen ist. Wenn ich Eure Frage damit beantwortet hätte, daß es bloße Neugierde wäre, weshalb ich meinen alten Kameraden Anthony Foster besuche, dann möchte ich wetten, Ihr hättet es für eine Ausflucht erklärt, mit der ich nur meinen wahren Zweck verschleiern wollte. Aber mir, wie es scheint, muß jede Antwort recht sein.«

»Und warum sollte nicht pure Neugierde,« sagte Tressilian, »ein hinreichender Grund sein, daß ich mit Euch gehe?«

»O, gebt Euch doch zufrieden, Herr,« entgegnete Lambourne. »So leicht könnt Ihr mir kein X für ein U machen, denn ich habe mich lange genug in der tollen Welt umgesehen, daß ich kein Stroh mehr für Korn fresse. Ihr seid ein Adliger von Geburt und Erziehung – das erkenn ich an Euerm ganzen Wesen. Ihr seid ein höflicher Mann und von gutem Rufe – Eure Manieren beweisen es mir und mein Oheim bezeugt es, und doch tut Ihr Euch zusammen mit so einem Lotterkerl, wie die Leute mich nennen, und Ihr wißt, daß ich so einer bin, und tut Euch doch mit mir zusammen, um einen Mann zu besuchen, dem Ihr ganz fremd seid – und alles aus bloßer Neugierde – ei ja doch! – Wenn man diesen Vorwand genau abwägt, dann fehlen auch ein paar Striche am reellen Gewicht.« »Und wenn Euer Verdacht begründet wäre,« sagte Tressilian, »Ihr habt mir ja auch kein Vertrauen entgegengebracht – wie könnt Ihr da auf Vertrauen meinerseits rechnen?«

»O, wenns danach ginge,« entgegnete Lambourne, »meine Beweggründe schwimmen oben. So lange das Gold hier reicht,« und er nahm seine Börse heraus, schnippte sie in die Luft und fing sie im Fallen auf, – »so lange will ich es für Vergnügen und Spaß ausgeben, und wenns alle ist, dann muß ich mehr haben. Nun, wenn diese geheimnisvolle Dame vom Edelhof – diese Herzallerliebste von Toni, dem Scheiterhaufenanstecker – ein so wunderbares Stück Mensch ist, wie die Leute sagen, ei, dann ist Aussicht vorhanden, daß sie mir dazu verhelfen könnte, meine Rosenobels in Grots Eine kleine Silbermünze – 4 Pence. Rosenoble, eine alte Goldmünze – 4 Shilling 8 Pence. zu verwandeln, und wenn Anton wiederum ein so reicher Filz ist, wie das Gerücht geht, dann erweist er sich vielleicht als mein Stein der Weisen und verwandelt mir wieder meine Grots in schöne Rosenobels.«

»Die Sache ließe sich hören,« sagte Tressilian, »aber ich sehe nicht ein, wieso Ihr Aussicht hättet, diesen angenehmen Vorsatz auszuführen.«

»Heute nicht gleich – und wohl auch morgen noch nicht,« antwortete Lambourne. »Ich glaube selber nicht daran, daß ich den alten Fuchs fangen werde, ehe ich nicht den Grundköder fein sauber zurecht gelegt habe. Aber ich bin heute morgen schon etwas weiter in seine Schliche eingeweiht, als ichs gestern abend noch war, und was ich weiß, das will ich so anwenden, daß er denken soll, ich wüßte noch weit mehr, als ich eigentlich weiß. – Nein, wenn ich nicht bestimmt auf Vergnügen oder auf Gewinn rechnete, dann hätte ich nicht einen Fuß auf diesen Herrensitz gesetzt, das kann ich Euch sagen; denn ich versichere Euch, ich halte es gar nicht für so ungefährlich, daß wir hierher gekommen sind. Aber wir sind nun einmal da, und müssen eben sehen, wie wir am besten dabei fahren.«

Während dieser Worte waren sie in einen großen Obstgarten getreten, der das Haus auf zwei Seiten umschloß. Die Bäume entbehrten aller Pflege, waren von Moos überwuchert und schienen kaum noch Frucht zu tragen. Ein paar Statuen, die den Garten einst in den Tagen seines Glanzes geziert hatten, waren jetzt von ihren Piedestalen herabgeworfen und zerschellt, und ein großes Sommerhaus mit einer wuchtigen Steinfront, auf der Schnitzereien das Leben und die Taten Simsons darstellten, war in demselben Zustande des Verfalls.

Sie hatten eben diesen Garten der Fäulnis durchschritten und waren nur noch ein paar Schritte vom Tor des Herrenhauses entfernt, als Lambourne ausgeredet hatte. Das war Tressilian sehr angenehm, denn er war somit der Verlegenheit enthoben, zu dem freimütigen Bekenntnis der Absichten, die seinen Gefährten hierher geführt hatten, etwas zu bemerken. Lambourne klopfte ohne alle Umstände und ziemlich ungestüm an die Tür des Herrenhauses, indem er gleichzeitig bemerkte, selbst an Stadtgefängnissen hätte er selten so starke Tore gefunden. Erst als sie mehrmals geklopft hatten, lugte ein alter Diener mit sauertöpfischem Gesicht durch ein kleines, viereckiges Loch in der Tür nach ihnen aus und fragte durch die Eisenstäbe, mit denen die kleine Oeffnung wohl versichert war, nach dem Begehr der Fremden.

»Wir wünschen augenblicklich Herrn Foster in dringenden Staatsgeschäften zu sprechen,« war Michael Lambournes schlagfertige Antwort.

»Mich dünkt, es wird Euch Schwierigkeiten machen, damit durchzukommen,« flüsterte Tressilian seinem Gefährten zu, während der Diener ging, die Botschaft seinem Herrn zu überbringen.

»Still doch,« versetzte der Abenteurer, »im ganzen Leben würde ein Soldat nichts ausrichten, wenn er immer erwägen wollte, wie er durchkommen sollte. Wenn wir nur erst einmal Einlaß erlangen, dann wird schon alles gut gehen.«

Binnen kurzem erschien der Diener wieder, schob mit behutsamer Hand Riegel und Eisenstab zur Seite und öffnete das Tor. Durch einen gewölbten Gang kamen sie nun in einen viereckigen Hof, der von Gebäuden umgeben war. Dem Torweg gegenüber lag ein andres Tor, das der Diener in gleicher Weise entriegelte, und sie traten nun in einen mit Stein gepflasterten Raum, darin nur wenig Mobiliar war, und was drinnen stand, von der gröbsten, altmodischsten Art. Die Fenster waren hoch und weit und reichten fast bis an die Decke des Raumes, die von schwarzem Eichenholz war, die auf den viereckigen Hof hinaussehenden Fenster waren durch die Höhe der Gebäude ringsherum verdunkelt, und da sie mit massigen Steinpfeilern durchsetzt und dick mit religiösen Sprüchen und Szenen aus der Geschichte der Heiligen Schrift bemalt waren, ließen sie ein im Verhältnis zu ihrer Größe nur sehr karges Licht herein, und was hereinfiel, nahm noch den düstern, dämmerigen Schimmer des gefärbten Glases an.

Tressilian und sein Führer hatten Zeit genug, all diese Einzelheiten zu bemerken, denn sie warteten geraume Zeit im Gemach, ehe der gegenwärtige Herr des Hauses endlich erschien. Tressilian war wohl darauf gefaßt, einen Mann von unheilverkündendem, abscheuerregendem Aeußern zu sehen, aber die Häßlichkeit Anton Fosters überbot noch, was er zu sehen erwartet hatte. Er war von mittlerm Wuchs, stämmig gebaut, aber dabei so plump, daß er fast mißgestaltet erschien und die knotige Tölpligkeit eines an Händen und Beinen linken Menschen hatte. Sein Haar, in dessen Pflege die Männer damals eben so peinlich waren, wie heutzutage, war nicht sauber frisiert und in Löckchen gekräuselt und auch nicht hinten aufgestutzt, wie man es auf alten Gemälden findet – es hing vielmehr in schmutziger Vernachlässigung unter einer Pelzmütze hervor und fiel in Alpzöpfen, die nie einen Kamm kennen gelernt zu haben schienen, über die struppigen Brauen und in das seltsame, jedes anheimelnden Zuges bare Gesicht hinein. Seine stechenden, finstern Augen saßen tief unter breiten, zottigen Augenbrauen und waren stets zu Boden geschlagen, als schämten sie sich selber des ihnen eignen Ausdrucks, und suchten ihn vor menschlichen Blicken zu verbergen. Bisweilen aber, wenn er mehr auf die Beobachtung andrer bedacht war, schlug er sie plötzlich auf und heftete sie scharf auf die, mit denen er sprach, und dann drückten sie um so wilder tiefe Leidenschaft und jene Gewalt des Beistandes aus, die willkürlich die Tiefe und den Umfang der innern Gefühle unterdrücken und verhehlen kann. Die Züge, die zu diesen Augen und dieser Gesichtsform paßten, waren unregelmäßig und doch so ausgeprägt, daß sie sich unauslöschlich der Erinnerung dessen, der sie jemals gesehen hatte, einprägten.

Seine Kleidung bestand aus einem Wamse von rostbraunem Leder – wie die bessere Klasse der Landleute trug – und einem Gürtel von Rindsleder, in dem links ein langes Dolchmesser und rechts ein Hirschfänger steckte. Er hob die Augen, als er in das Gemach trat und heftete einen scharf durchdringenden Blick auf die beiden Gäste, dann schlug er den Blick zu Boden, als wenn er seine Schritte zählte, während er langsam bis zur Mitte des Raumes vorkam, und sagte in leisem, gedämpftem Tone:

»Laßt mich Euch bitten, Ihr Herren, mir die Ursache dieses Besuches zu sagen.«

Er schien die Antwort von Tressilian zu erwarten, so sehr traf Lambournes Bemerkung zu, daß höhere Geburt und Anstand auch durch die Verkleidung niederer Tracht erkenntlich sei. Aber Michael gab ihm die Antwort in der ungezwungenen Vertraulichkeit eines alten Freundes und in einem Tone, der nicht durch den geringsten Zweifel an einer herzlichen Aufnahme beeinträchtigt klang.

»Ha, mein teurer Freund und Kamerad, Toni Foster!« rief er und ergriff die unwillige Hand und schüttelte sie so nachdrücklich, daß er fast die vierschrötige Gestalt der Person, der sie gehörte, ins Taumeln gebracht hätte. – »Wie gehts Euch seit so manchem langen Jahre? Was! Habt Ihr ganz Euern alten Freund, Gevatter und Spielkameraden Michael Lambourne vergessen?«

»Michael Lambourne!« sagte Foster und sah ihn auf einen Augenblick an. Dann senkte er den Blick und zog ohne alle Umstände die Hand aus dem freundschaftlichen Griff des Mannes, von dem er angeredet wurde, – »seid Ihr Michael Lambourne?«

»Ja doch, so gewiß wie Ihr Anton Foster seid,« versetzte Lambourne.

»Na schön,« sagte sein mürrischer Wirt, »und was kann Michael Lambourne von seinem Besuche hier erwarten?«

» Voto a dios!« antwortete Lambourne, »einen bessern Willkommen habe ich erwartet, als mir zuteil wird.«

»Ei, Du Galgenvöglein, Du Gefängnisratte, Du Duzbruder vom Henker und seiner Kundschaft,« versetzte Foster, »bist Du so keck, von irgendwem, dessen Hals noch nicht mit dem Eisen Bekanntschaft gemacht hat, Entgegenkommen zu erwarten?«

»Es mag schon so sein,« erwiderte Lambourne, »und nehmen wir mal an, ich laß es gelten, bloß daß wir weiter kommen – so bin ich doch noch gut genug als Bekanntschaft für meinen alten Freund Anton, den Scheiterhaufenanstecker, wenn er auch zurzeit durch irgend ein nicht ganz koscheres Privilegium Herr von Cumnor-Place ist.«

»Hört, Michael Lambourne, Ihr seid jetzt ein Spieler,« sagte Foster, »und Ihr lebt vom guten Glück – was kommt es mir darauf an, daß ich Euch in diesem Augenblick aus dem Fenster dort in den Graben werfe?«

»Ich wette zwanzig gegen eins, daß Ihr das hübsch bleiben lassen werdet,« antwortete der abgebrühte Gast.

»Und warum wohl, ich bitte Euch?« fragte Anton Foster, preßte die Zähne aufeinander und kniff die Lippen zusammen, wie jemand, der sich bemüht, eine wilde innere Erregung zu bezwingen.

»Weil,« sagte Lambourne gelassen, »Ihrs bei Euerm Leben nicht wagen dürft, mich auch nur mit dem Finger anzutippen. Ich bin jünger und stärker als Ihr und habe in mir eine doppelte Portion von dem Teufel, der mit Hieb und Stich losgeht, wenn auch vielleicht nicht ganz so viel von dem maulwurfsartigen Satan, der unter der Erde einen Weg zu seinem Ziele findet – der den Leuten Galgenstricke unter die Kissen legt und ihnen Rattengift in die Suppe tut, wies in dem Bühnenstück heißt.«

Foster sah ihn ernst an, wandte sich dann ab und durchschritt den Raum zweimal mit demselben festen, bedachtsamen Schritt, mit dem er ihn betreten hatte. Dann kam er plötzlich zurück, streckte Michael Lambourne die Hand hin und sagte:

»Sei nicht böse auf mich, guter Michel; ich wollte nur probieren, ob Du Deine alte, ehrliche Freimütigkeit eingebüßt hättest, die Deine Neider und Verleumder freche Unverschämtheit nannten.«

»Mögen sie sie nennen, wie sie wollen,« sagte Michael Lambourne, »darin besteht doch das Handgepäck, das wir mit uns durchs Leben tragen müssen. Potz Dolch und Schneide! Ich sage Dir, Mann, mein eigener Vorrat an Keckheit war zu klein, um was daraus zu schlagen, so habe ich denn ein paar Tonnen Frechheit mehr in jedem Hafen einladen müssen, an dem ich auf meiner Lebensfahrt angelegt habe, und was ich an Bescheidenheit und Skrupeln noch übrig hatte, das habe ich über Bord geworfen, damit für den Ballast Platz wurde.«

»Nein, nein,« versetzte Foster, »was die Skrupel und die Bescheidenheit betrifft, an dem Ballast hattest Du ja genug, als Du von hier absegeltest. – Aber wer ist dieser edle Herr dort? – Ist das auch so ein Luftikus, so ein Windbeutel, wie Du?«

»Bitte schön, ich stelle Dir Herrn Tressilian vor, mein Dickerchen,« erwiderte Lambourne und stellte zur Antwort auf die Frage seines Freundes seinen Bekannten vor. – »Kenn ihn und ehre ihn, denn er ist ein Edelmann von vielen bewundernswerten Eigenschaften; und wenn er auch nicht in meiner Branche Geschäfte macht, wenigstens soweit ich es weiß, so hat er doch eine gerechte Hochachtung und Bewunderung für Tausendkerle unsrer Klasse. Er wird mit der Zeit schon auch in unser Fahrwasser steuern, das bleibt ja selten aus; vorjetzt aber ist er nur ein Neophyt, ein Proselyt.«

»Wenn er solche Vorzüge besitzt, so will ich Euch bitten, mir in einem andern Gemach Eure Gesellschaft zu vergönnen, ehrlicher Michel, denn was ich Dir zu sagen habe, ist nur für Dein Ohr. – Inzwischen bitte ich Euch, edler Herr, in diesem Gemach auf uns zu warten und sich nicht daraus zu entfernen. Es sind ihrer in diesem Hause, die über den Anblick eines Fremden sich erschrecken würden.«

Tressilian war einverstanden, und die beiden würdigen Kumpane verließen das Zimmer zusammen, in welchem er nun allein zurückblieb.


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