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Siebentes Kapitel.

Die Gräfin warf sich dem edlen Fremden in die Arme, drückte ihn an die Brust und rief:

»Endlich – endlich – bist Du da!«

Varney zog sich diskret zurück, als sein Gebieter eintrat, und Jeanette wollte dasselbe tun, doch ihre Herrin gab ihr einen Wink zu bleiben. Sie begab sich wieder an das fernste Ende des Zimmers und blieb hier stehen, wie um auf den leisesten Wink sofort bereit zu sein.

Inzwischen erwiderte der Earl Zur damaligen Zeit die höchste englische Würde. – denn er war von nicht geringerem Range – die Liebkosungen seiner Dame mit zärtlichster Inbrunst, aber als sie versuchte, ihm den Mantel abzustreifen, tat er so, als wolle er es ihr wehren.

»Nein,« sagte sie, »ich muß Dir den Mantel ausziehen – ich muß sehen, ob Du Dein Versprechen gehalten hast und als der große Earl gekommen bist, den die Leute Dich nennen, und nicht wieder, wie bisher, als einfacher Ritter.«

»Du bist wie alle Welt, Amy,« sagte der Earl und ließ sie gewähren, »Juwelen, Federn und Seide gelten Dir mehr als der Mann, den sie zieren – doch manche armselige Schneide sieht sehr elegant aus in einer Scheide von Sammet.«

»Das aber können die Leute von Dir nicht sagen, Du edler Graf,« sagte seine Dame, als der Mantel auf den Boden fiel und sie ihn vor sich sah in der Tracht, die Fürsten beim Ausreiten anlegen, – »Du bist der gute, wohlerprobte Stahl, dessen innerer Wert den äußern Zierat verdient und doch gering schätzt. Denke nicht, daß Amy Dich in dieser prächtigen Tracht inniger lieben könnte als damals, da sie in den Wäldern dem Mann in dem braunen Kittel ihr Herz schenkte.«

»Und auch Du, mein Lieb,« sagte der Graf, indem er sie anmutig und hoheitsvoll auf den Staatssessel führte, der für sie beide hergerichtet war, »auch Du, meine Liebste, hast ein Deinem Range geziemendes Gewand angelegt, das aber doch Deine Schönheit nicht zu erhöhen vermag. Was denkst Du von dem Geschmack bei uns zu Hofe?«

»Setz Dich hierher,« sagte sie, »als etwas, das die Menschen anbeten und bewundern müssen.«

»Ja, Lieb,« sagte der Graf, »wenn Du meine Pracht mit mir teilen willst.«

»Nicht so,« sagte die Gräfin, »ich will auf diesem Sessel Dir zu Füßen sitzen, daß ich Deinen Glanz betrachte und zum erstenmal lerne, wie Fürsten angezogen sind,«

Und mit kindlicher Verwunderung, die ihre Jugend und ländliche Erziehung nicht nur entschuldbar, sondern allerliebst erscheinen ließ, und einer in zärtlichem Getändel betätigten Gattenliebe untersuchte und bewunderte sie von Kopf bis zu Füßen die edle Gestalt und das fürstliche Kleid des Mannes, der die stolzeste Zierde am Hofe von Englands jungfräulicher Königin war, so berühmt dieser Hof auch für glänzende Höflinge und weise Hofräte war. Als der Carl zärtlich seine reizende Braut betrachtete und sich befriedigt ihrer zwanglosen Bewunderung überließ, da sprachen aus seinen dunklen Augen und den edlen Zügen sanftere Leidenschaften, als der herrische und hochfahrende Ausdruck, der sonst auf seiner breiten Stirn saß und aus dem durchdringenden Glanz seines dunkeln Auges sprühte.

»Und nun, meine Geliebte,« sagte der Graf, als sie all den Zierat bewundert und er ihr die Herkunft aller seiner Orden und die daran geknüpften Geschichten erzählt hatte, – nun ist Dein Wunsch erfüllt, und Du hast Deinen Vasallen in aller Pracht gesehen, soweit er sie über einen Reitanzug anlegen kann; denn Staatsgewänder und Kronen sind nur für fürstliche Hallen.

»Ja, aber,« sagte die Gräfin, »mein Wunsch hat, wie gewöhnlich, kaum befriedigt, schon wieder einen neuen geboren.«

»Und was ist es, was Du erbitten und ich Dir verweigern könnte?«

»Ich wünschte, meinen Earl diese entlegene und geheime Behausung in all seiner fürstlichen Pracht besuchen zu sehen,« sagte die Gräfin, »und nun dünkt mich, sehne ich mich danach, in einer seiner fürstlichen Hallen zu sitzen und ihn in einfachem, braunem Wamse hereintreten zu sehen, wie er es damals trug, als er der armen Amy Robsart Herz gewann.«

»Dieser Wunsch ist leicht zu erfüllen,« sagte der Graf, »das schlichte Wams soll morgen angelegt werden, wenn Du willst.«

»Aber soll ich,« sagte die Dame, »mit Euch auf eines Eurer Schlösser gehen?«

»Ei, Amy,« sagte der Earl und schaute sich um, »sind nicht diese Gemächer prächtig genug ausgestattet? Mich dünkt, meine Weisungen sind recht gut ausgeführt worden, – wenn Nu aber mir etwas nennen kannst, was noch zu tun wäre, so will ich unverzüglich Order erteilen.«

»Nein,, Mylord, nun spottet Ihr meiner,« versetzte die Gräfin, »die bunte Pracht dieses, reichen Hauses überflügelt meine Phantasie und gibt mir mehr, als ich verdiente. Aber soll nicht Deine Gattin – wenigstens nun binnen kurzem – mit all den Ehren umgeben werden, die ihr als der Gemahlin des stolzesten Grafen von England zukommen?«

»Binnen kurzem?« fragte ihr Gatte. »Ja, Amy, eines Tages wird das gewiß geschehen, und glaube mir, Du selber kannst diesen Tag nicht sehnlicher herbeiwünschen als ich. Mit welcher Freude könnte ich mich von meinen Staatsgeschäften und den Arbeiten und Sorgen des Ehrgeizes zurückziehen, um mein Leben in Würden und Ehren auf einer meiner großen Domänen mit Dir, meine reizende Amy, meiner Freundin und Gefährtin zu verbringen! Wer daß kann noch nicht sein, und diese süßen, doch verstohlnen Zusammenkünfte sind alles, was ich der liebwertesten und geliebtesten ihres Geschlechts gewähren kann.«

»Aber warum kann das nicht sein,« drang die Gräfin in ihn in den sanftesten Tönen der Ueberredung, »warum kann sie nicht unverzüglich stattfinden – diese vollkommenere und keiner Trennung mehr ausgesetzte Bereinigung, nach der Ihr Euch sehnt, wie Ihr sagt, und die die Gesetze Gottes und der Menschen zugleich erheischen? – Ach, wenn Ihr nur halb so sehr, als Ihr sagt, danach verlangtet, wer oder was könnte Euch, der Ihr so mächtig seid und in so hoher Gunst steht, an der Erfüllung Eures Wunsches hindern?«

Der Graf machte ein finsteres Gesicht.

»Amy,« sagte er, »Ihr sprecht da von etwas, was Ihr nicht versteht. Wir, die wir an Höfen arbeiten, sind wie Leute, die einen Berg von losem Sande hinanklimmen. Wir dürfen nicht Halt machen, ehe nicht ein vorspringender Fels uns sichern Ruhepunkt bietet – wenn wir eher rasten, dann gleiten wir durch unser eignes Gewicht wieder hinunter und fallen dem allgemeinen Gelächter anheim. Wenn ich meine Heirat bekannt geben wollte, so würde ich selber meinen Sturz herbeiführen. Aber glaube mir, ich werde einen Punkt erreichen, und das bald, wo ich Dir und mir Gerechtigkeit erweisen kann. Inzwischen vergifte nicht die Freude am gegenwärtigen Augenblick durch die Sehnsucht nach dem, was zurzeit noch nicht sein kann. Laß mich lieber wissen, ob hier alles nach Deinem Gefallen eingerichtet ist. Wie benimmt sich Foster gegen Euch? In allen Dingen respektvoll, nehme ich an, sonst soll der Bursche es büßen.«

»Ich habe nichts zu klagen,« antwortete die Lady, »er entledigt sich seiner Pflicht in aller Treue gegen Euch. Und seine Tochter Jeanette ist die liebste, beste Gefährtin meiner Einsamkeit. Der ihr eigene Zug von Frömmigkeit steht ihr gar zu gut.«

»So, so?« sagte, der Graf. »Wer Dir Freude macht, darf nicht unbelohnt bleiben. Komm her, Mädchen.«

»Jeanette,« sagte die Dame, »komm her zu Mylord.«

Jeanette kam herzu, und der Graf mußte unwillkürlich lächeln über den Kontrast zwischen der großen Schlichtheit ihres Kleides, der gezwungenen Sittsamkeit ihrer Miene und einem wirklich hübschen Gesicht mit schwarzen Augen, die trotz alles Bemühens ihrer Besitzerin, ernst drein zu schauen, stets lachten.

»Ich bin Dir verbunden, hübsche Maid,« sagte der Graf, »daß diese Dame so sehr mit Dir zufrieden ist.« Mit diesen Worten zog er einen wertvollen Ring vom Finger und gab ihn Jeanette Foster. »Trag dies,« setzte er hinzu, »um ihret- und meinetwillen.«

»Es ist mir Freude genug,« antwortete Jeanette spröde, »daß mein bescheidner Dienst meiner Lady angenehm ist, aber wir von der Gemeinde des ehrenwerten Meister Holbforth trachten nicht danach, wie die Töchter dieser Welt uns Gold um die Finger zu schlingen oder Steine um den Hals zu tragen, wie die eiteln Weiber von Tyrus und Sidon.«

»Ei, Nu bist eine gestrenge Jüngerin dieser frommen Schwesternschaft,« sagte der Graf, »und ich glaube, Dein Vater ist bei derselben Gemeinde, nun, ich mag Euch deshalb nur um so lieber leiden; denn in dieser Gemeinde ist für mich gebetet worden. So nimm denn dies, mein Mädchen, und wende es an nach Deinem Gefallen.«

Mit diesen Worten legte er ihr fünf große Goldstücke in die Hand.

»Ich würde auch dieses Gold nicht annehmen,« sagte Jeanette, »hoffte ich nicht, daß ich es einmal zum Segen für uns alle anwenden könnte.«

»Nun geh, ich bitte Dich, und sag den Leuten, sie sollen sich mit der Abendmahlzeit beeilen.«

»Ich habe Herrn Varney und Herrn Foster eingeladen, mit uns zu speisen, Mylord,« sagte die Gräfin, als Jeanette ging, um die Befehle des Grafen auszuführen, »ist Dir das recht?«

»Was Du tust, muß mir immer recht sein, meine süße Amy,« versetzte ihr Gemahl, »und es gefällt mir umsomehr, daß Du ihnen diese Gunst erweisest, da Richard Varney für mich durchs Feuer geht und ich fürs erste auf diesen Anton Foster noch rechnen muß.«

»Ich hätte Dich noch um etwas zu bitten und ein Geheimnis Dir anzuvertrauen, mein teurer Herr,« sagte die Gräfin stammelnd.

»Laß beides bis morgen, mein Lieb,« erwiderte der Earl. »Wie ich sehe, werden die Flügeltüren zum Speisesaal geöffnet, und da ich weit und schnell geritten bin, wird mir ein Becher Wein gut tun.«

Mit diesen Worten führte er sein reizendes Weib in das nächste Zimmer, wo Varney und Foster sie mit den tiefsten Verbeugungen empfingen, – der erste verneigte sich nach Höflingsmanier, der zweite, wie er es bei seinen frommen Versammlungen zu tun gewohnt war. Als das Mahl beendet war, war auch die Stunde der Ruhe herangekommen, und der Graf und die Gräfin zogen sich in ihr Gemach zurück. Die Nacht hindurch lag das Schloß in tiefer Stille.

Nachdem der Graf am anderen Morgen seine Pferde bestellt hatte, trat er wieder in das Schlafgemach, um raschen Abschied von der liebreizenden Gräfin zu nehmen. Er fand sie in einem Morgenrock von Seide mit Pelzbesatz, die kleinen Füße waren noch ohne Strümpfe und das Haar hing fessellos hernieder.

»Nun, Gott sei mit Dir, mein Teuerstes und Liebstes!« sagte der Graf, sie wieder und wieder in die Arme schließend und wieder ihr Lebewohl sagend und wieder zurückkehrend, sie zu küssen und zu umarmen.

»Schon ist die Sonne am Rande des blauen Horizonts, ich darf nicht länger säumen. Schon längst müßte ich zehn Meilen von hier weg sein.«

Mit diesen Worten wollte er endlich dem Abschied ein Ende machen.

»So wollt Ihr nicht meine Bitte erfüllen?« fragte die Gräfin. »Falscher Ritter! Hat je eine Dame mit nackten Füßen und Pantöffelchen einen wackern Ritter vergebens um eine Gunst gebeten?«

»Alles, Amy, alles, was Du erbitten kannst, will ich gewähren,« antwortete der Graf, »nur nicht etwas,« setzte er hinzu, »was uns beide ins Verderben bringen würde.«

»Nein,« sagte die Gräfin, »ich will nicht den Wunsch vorbringen, als die Gattin des ersten und verehrtesten unter Englands Edelleuten anerkannt zu werden – laßt mich nur das Geheimnis meinem lieben Vater mitteilen – laßt mich nur dem Jammer ein Ende machen, in den mein unwürdiges Verhalten ihn gestürzt hat – sie sagen, der arme, alte, liebe Mann sei krank.«

»Sie sagen?« fragte der Earl rasch. »Wer sagt es? Hat nicht Varney alles, was wir zurzeit über Euer Glück und Wohlergehen melden können, Sir Hugh übermittelt? Und hat er Euch nicht gemeldet, daß der gute, alte Ritter frisch und gesund seinen gewohnten Lieblingssport treibt? Wer hat es gewagt, Euch andre Gedanken in den Kopf zu setzen?«

»O, niemand, Mylord, niemand,« sagte die Gräfin, ein wenig bestürzt über den Ton, in dem die Frage gestellt war. »Aber ich möchte mich doch gern mit eigenen Augen davon überzeugen, daß mein Vater sich wohl befindet.«

»Gib Dich zufrieden, Amy – Du kannst jetzt nicht mit Deinem Vater oder den Seinen zusammentreffen, jener Mann aus Cornwallis – jener Trevanion oder Tressilian oder wie er gleich heißt, verkehrt im Hause des alten Ritters und würde sogleich erfahren, was dort bekannt wird. Und gerade dem mag ich nicht trauen – bei meiner Ehre, ich will ihm nicht trauen. Lieber wollte ich, der böse Feind mischte sich in unsere Sache, als dieser Tressilian.«

»Und warum, Mylord?« fragte die Gräfin, obgleich sie leicht erschauerte über den entschiedenen Ton, in dem er sprach. »Laßt mich nur wissen, warum Ihr so hart von Tressilian denkt?«

»Madam,« versetzte der Carl, »mein Wille sollte hinreichender Grund sein. Wenn Ihr mehr begehrt, so bedenkt, mit wem dieser Tressilian in Verbindung steht. Er steht hoch in der Achtung dieses Radcliffe, dieses Sussex, gegen den ich nur mit Mühe den Boden in der Gunst unsrer so mißtrauischen Königin behaupten kann; und wenn er einen solchen Vorteil gegen mich hätte, Amy, daß ihm die Geschichte unsrer Heirat bekannt wäre, ehe Elisabeth in geeigneter Weise darauf vorbereitet ist, so wäre ich für immer aus ihrer Gnade ausgestoßen – bankerott wäre ich zugleich in Gunst und Glück, und vielleicht – denn sie hat etwas von ihrem Vater Heinrich in sich – ein Opfer, ein blutiges am Ende, ihres gekränkten eifersüchtigen Zornes.«

Aber warum, Mylord,« drang die Dame wieder in ihn, »denkt Ihr so schmählich von einem Manne, von dem Ihr so wenig wißt. Was Ihr von Tressilian wißt, wißt Ihr durch mich, und ich selber gebe Euch die Versicherung, daß er unter keinen Umständen Euer Geheimnis verraten würde. Wenn ich ihm um Euretwillen unrecht getan habe, Mylord, so liegt mir jetzt umsomehr daran, daß Ihr ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen sollt. – Es kränkt Euch, daß ich von ihm spreche – was würdet Ihr sagen, wenn ich ihn wirklich gesehen hätte?«

»Wenn Ihr ihn gesehen hättet,« erwiderte der Graf, »so tätet Ihr gut, dieses Zusammentreffen so geheim zu halten, wie ein Geheimnis, das im Beichtstuhle abgelegt wird. Ich trachte niemand nach dem Leben, aber wer sich in meine Privatgeheimnisse, drängt wird in Zukunft auf Gottes Welt keinen gefahrlosen Schritt mehr tun können. Der Bär läßt keinen ungestraft seinen furchtbaren Pfad durchkreuzen.« Das Abzeichen des Grafen Leicester war das alte von seinem Vater, als er Earl von Warwick war, angenommene Wappen: der Bär und der Knotenstock.

»Furchtbar in der Tat!« sagte die Gräfin, tief erbleichend,

»Dir ist nicht wohl, mein Lieb,« sagte der Graf und stützte sie mit dem Arm. »Lege Dich noch einmal nieder, es ist noch zu früh für Dich. Hast Du noch irgend etwas andres, wobei mein Ruhm, mein Glück, mein Leben weniger im Spiele ist, von mir zu erbitten?«

»Nichts, mein Lord und Leben,« antwortete die Gräfin matt. »Es war wohl etwas, was ich Euch sagen wollte, aber vor Euerm Groll ist es mir entfallen.«

»Heb es auf, bis wir uns wiedersehen, mein Lieb,« sagte der Earl zärtlich und umarmte sie wiederum. »Und wenn Du die Ansuchen beiseite läßt, die ich nicht gewähren kann und darf, dann muß Dein Wunsch mehr umfassen, als ganz England erfüllen könnte, wenn er nicht bis auf den Buchstaben befriedigt werden sollte.«

Mit diesen Worten nahm er endlich Abschied. Am Fuß der Treppe reichte ihm Varney einen weiten Mantel und einen breitkrempigen Hut, beide machten ihn völlig unkenntlich. Im Hofe standen für ihn und Varney Pferde bereit. Ein paar Leute seines Gefolges, die so weit in das Geheimnis eingeweiht waren, daß sie um die Liebschaft des Grafen mit einer ihnen dem Namen und dem Stande nach unbekannten Name in diesem Hause wußten, warm bereits über Nacht weggeschickt worden.

Anton Foster selber hielt das Pferd des Grafen am Zügel, einen stämmigen Straßengaul, während sein alter Dienstbursche das stattlichere und seiner aufgeputzte Pferd Varneys, der hier als der Herr gelten sollte, am Zügel hielt.

Als der Earl herantrat, sprang jedoch Varney herzu, um seinem Herrn den Zügel zu halten und Foster nicht diesen Dienst dem Grafen erweisen zu lassen, den er offenbar als zu seinem Amte gehörig betrachtete. Foster warf ihm einen bösen Blick zu, als er so gehindert wurde, seinem Gönner seine Aufwartung zu machen, aber er machte Varney Platz, und der Graf stieg ohne eine weitere Bemerkung zu Pferde. Er vergaß, daß er gemäß der Rolle des Dieners, die er spielen sollte, eigentlich hinter seinem Herrn herreiten müßte, und ritt ganz in Gedanken zu, dem Hofe hinaus, die Hand mehrfach schwenkend zur Antwort auf die Zeichen, die ihm die Gräfin noch aus dem Fenster ihres Zimmers mit dem Taschentuch nachwinkte.

Während seine vornehme Gestalt unter dem dunkeln Torweg verschwand, murmelte Varney: »Das nenn ich schlau gehandelt – der Diener reitet vor dem Herrn!« Dann benutzte er die Gelegenheit, noch ein Wort mit Foster zu sprechen.

»Du schaust mich finster an, Anton,« sagte er, »als hätte ich Dich um den Abschiedsgruß von Deinem Herrn gebracht, aber ich habe ihn bewogen, daß er Dir ein bessres Andenken für Deinen treuen Dienst hinterläßt. Sieh hier! Eine Börse voll so gutem Golde, als je unter der Faust eines Geizhalses geklimpert hat. Ja, zähle sie nur, Bursche,« sagte er, als Foster sie mit grimmigem Lächeln entgegennahm, »und tu dazu noch das gute Trinkgeld, das er gestern abend der Jeanette gegeben hat.«

»Was? Was?« rief Anton Foster rasch. »Hat er der Jeanette Geld gegeben?«

»Gewiß, Mann, warum nicht? Der Dienst, den sie seiner schönen Dame erweist, erfordert doch auch seine Belohnung.«

»Sie soll nichts davon behalten,« sagte Foster, »sie soll es wieder zurückgeben. Ich weiß, er ist nur kurze Zeit immer in ein Lärvchen vernarrt, aber dafür um so gründlicher. Seine Liebe ist veränderlich wie der Mond.«

»Ei, Foster, Du bist verrückt – auf so ein gutes Glück hoffst Du doch nicht etwa, daß Mylord ein Auge auf Jeanette haben sollte? Wer in des Teufels Namen lauschte wohl der Drossel, wenn die Nachtigall singt?«

»Drossel oder Nachtigall, dem Vogelsteller ist alles gleich – und ich will nicht, daß meiner Tochter eine solche Gunst erwiesen werde, wie Ihr schon manchem armen Mädchen erwiesen habt. – Lachst Du? – Ein Glied meiner Familie wenigstens soll vor den Klauen Satans bewahrt werden, darauf magst Du Dich verlassen. Sie soll das Gold zurückgeben.«

»Oder es Dir zum Aufheben überlassen, Toni, was eben so gut ist,« antwortete Varney, »aber ich habe etwas zu sagen, was ernster ist. – Unser Herr kehrt in einer für uns nicht günstigen Stimmung nach Hofe zurück. Er trägt sich mit dem Gedanken, dem Hofe Valet zu sagen, um ihretwillen. Dann wäre freilich alles verloren, aber ich denke doch, Cumnorplace soll vorerst noch ein Freigut werden. Nur folge meinem Rate und verrate nicht, daß dieser Tressilian hier gewesen ist – nicht ein Wort, bis ich Dir einen Wink gebe.«

»Und warum das?« fragte Foster mißtrauisch.

»Blödes Vieh!« versetzte Varney. »Wo Mylord jetzt so gestimmt ist, so wäre das der leichteste Weg, ihn in seinem Entschlusse zu bestärken – man brauchte ihn nur wissen zu lassen, daß seine Dame in seiner Abwesenheit von einem solchen Gespenst heimgesucht wird. Er selber würde den Drachen über seinem Kleinod abgeben wollen, und dann wäre Dein Dienst, zu Ende! Doch lebe wohl – ich muß ihm folgen!«

Er wandte sein Pferd, gab ihm die Sporen und ritt hinter seinem Herrn her zum Torweg hinaus.

»Ich wollte, Dein Dienst wär zu Ende oder Du hättest Dir schon das Genick gebrochen, verfluchter Kuppler!« brummte Anton Foster hinter ihm drein. »Kein verderblicher Hauch soll Jeanetten streifen – sie soll rein bleiben wie ein Engel, wäre es auch nur, um für ihren Vater Gott zu bitten. Ich bedarf ihrer Fürbitte, denn es steht schlimm um mich. Seltsame Gerüchte über meine Lebensweise sind im Umlauf. Die Gemeinde sieht mich kalt an, und als Holdforth letztens von Heuchlern sprach, die wie Grabmäler aussehen, innen aber voller Totengebeine sind, da war mirs, als sähe er mich voll an. Der römische Glaube war bequem, Lambourne hat recht – da brauchte man bloß seine Rosenkränze zu beten, eine Messe zu hören, zu beichten – und man hatte Absolution. Diese Puritaner gehen einen härtern und rauhern Pfad. Aber ich will erst eine Stunde in der Bibel lesen, ehe ich wieder meine eiserne Geldkiste öffne.«

Varney ritt inzwischen hinter seinem Herrn her, den er am Hinterpförtchen das Gartens wartend fand.

»Ihr vertrödelt die Zeit, Varney, und die Zeit drängt,« sagte der Earl. »Ich muß bis nach Woodstock, ehe ich meine Verkleidung ablegen kann, und bis dahin ist mein Weg nicht geheuer.«

»Wenn Ihr schnell reitet, seid Ihr in zwei Stunden dort, Mylord,« sagte Varney, »ich habe mich nur versäumt, um diesem Foster noch einmal Eure Befehle einzuschärfen und nach der Wohnung des Herrn zu fragen, den ich für das Gefolge Eurer Lordschaft an Trevors Stelle vorschlagen möchte. Er verspricht, sich gut zu eignen. Und wenn Euer Lordschaft geruhen wollte, weiter zu reiten, so könnte ich nach Cumnor zurückreiten und ihn nach Woodstock mitbringen.« »Gut, sorgt dafür, daß Ihr bei mir seid, wenn ich aufbreche.«

Mit diesen Worten gab er seinem Pferde die Sporen und ritt weiter, während Varney auf der Verkehrsstraße nach Cumnor zurückritt. Er hielt am Tor des »Schwarzen Bären« an und begehrte Herrn Michael Lambourne zu sprechen. Dieser Ehrenmann erschien sogleich vor seinem neuen Gönner, aber mit niedergeschlagenen Blicken.

»Du hast die Spur Deines Kameraden Tressilian verloren,« sagte Varney. »Das seh ich Dir an Deinem langen Gesicht an. Ist das Deine Gewandtheit, Du unverschämter Bursche?«

»Potzblitz!« sagte Lambourne. »Nie ist eine Spur so fein verfolgt worden. Hier bei meinem Onkel hab ich ihn einkehren sehen – ich hab mich an ihn gehängt wie Pech – ich hab aufgepaßt, bis er in, sein Zimmer gegangen war, und presto – am nächsten Morgen war er verschwunden, selbst der Gastwirt weiß nicht, wohin.«

»Das klingt, als wolltest Du mir eine Nase drehen, Bursche,« sagte Varney, »und wenn sich das herausstellt, so sollst Du es bei meiner Seele bereuen!«

»Herr, der beste Hund kann einmal fehlgehen,« antwortete Lambourne. »Ihr mögt den Wirt fragen – den Kellner, den Hausdiener, wie scharf ich Tressilian im Auge behalten habe, solange er auf den Beinen war; es war doch nicht zu erwarten, daß ich wie ein Krankenwärter über ihm wachen sollte, als ich ihn hübsch hatte zu Bett gehen sehen.«

Varney erkundigte sich in der Tat bei dem Personal und erfuhr, daß Lambourue ihm die Wahrheit gesagt hatte. Tressilian war plötzlich und unerwartet zwischen Nacht und Morgen abgereist.

»Aber ich will ihm kein Unrecht tun,« sagte der Wirt, »er hat auf dem Tisch seines Zimmers den vollen Betrag seiner Rechnung zurückgelassen und noch ein Trinkgeld für die Bediensteten obendrein, was eigentlich gar nicht nötig war, da er ja sein Pferd ohne Beistand des Stallknechts ganz allein gesattelt hat.«

Also beruhigt über Lambournes Verhalten, sprach Varney zu ihm über das, was er mit ihm vorhabe, da er von Foster gehört habe, daß er nicht abgeneigt sei, in den Dienst eines Edelmanns zu treten,

»Bist Du je am Hofe gewesen?« fragte Varney.

»Nein,« antwortete Lambourne, »aber seit meinem zehnten Lebensjahre habe ich einmal wöchentlich geträumt, ich wäre an einem Hofe und machte mein Glück.«

»Vielleicht ist es Deine Schuld, wenn sich Dein Traum nicht erfüllt. Weißt Du, was der Gefolgsmann eines großen Herrn am Hofe haben muß?«

»Ich habe es mir selber ausgedacht, Herr,« antwortete Lambourne. »So zum Beispiel ein flinkes Auge – einen verschlossenen Mund – eine rasche, kühne Hand – einen scharfen Witz und ein stumpfes Gewissen.«

»Und bei dem Deinen,« sagte Varney, »hat sich jedenfalls die Schneide schon lange abgestumpft.«

»Allzu scharf ist seine Schneide nie gewesen, soviel ich mich erinnere,« erwiderte Lambourne. »Als ich noch jung war, hatte ich wohl ein paar Grillen, aber auf dem rauhen Schleifstein des Krieges habe ich sie zum, Teil abgeschliffen, und was übrig blieb, haben die breiten Wogen des Atlantischen Ozeans mit weggespült.«

»Du kannst mir und meinem Lord und Dir selber gute Dienste tun,« sagte Varney nach einer Pause. »Aber merke wohl, ich kenne die Welt, – und antworte mir der Wahrheit gemäß: Kannst Du treu sein?«

»Wenn Ihr die Welt nicht kenntet,« antwortete Lambourne, »so wäre meine Pflicht, ja zu sagen, ohne weitere Umstände, und bei meinem Leben und meiner Ehre und so weiter darauf zu schwören. Da Euch aber lieber mit ehrlicher Wahrheit als mit schlauer Liebe gedient zu sein scheint – so antworte ich Euch: Ich kann treu sein bis zum Fuße des Galgens, ja bis zur Schlinge, die daran herunter hängt – wenn der Dienst gut ist und ordentlich bezahlt wird – sonst nicht.«

»Hast Du einen Gaul im Stall?«

»Ja, Herr,« sagte Lambourne, »als ich jüngst bei Shooters-Hill einen ehemaligen Viehhändler anhielt, dessen Taschen besser gefüllt waren als sein Hirnkasten, da hat mich die gute Mähre flott vor allen Verfolgern gerettet.«

»Dann sattle ihn und begleite mich,« sagte Varney, »laß Kleider und Gepäck bei dem Wirt in Verwahrung, und ich will Dich in einen Dienst bringen, in dem Du Dein Glück machen kannst.«

»Herzlich gern – und in einem Augenblick bin ich zu Pferde!« rief Lambourne. »Geht mein Neffe mit Euch?«, fragte Giles Gosling, als er die Anstalten zum Aufbruch sah.

»Ja, das ist seine Absicht,« antwortete Richard Varney.

»Da tust Du recht, Neffe,« sagte der Wirt, »da tust Du ganz recht. Wenn Du durchaus durch einen Strick vom Leben zum Tode befördert werden willst – und so sieht es ja ganz aus, da Du mit diesem Herrn da gehst – so suche Dir wenigstens Deinen Galgen möglichst weit von Cumnor aus, und so sitz auf und reite Deiner Wege.«

Der Herr und der neue Diener ritten in schnellem Trabe davon, und als sie den Anstieg eines sandigen Hügels hinter sich hatten, setzten sie ihr Gespräch fort.

»Du bists also zufrieden,« sagte Varney zu seinem Gefährten, »bei Hofe Dienste zu nehmen?«

»Durchaus, Herr, wenn Euch meine Bedingungen ebenso recht sind, wie mir die Euern.«

»Und was sind Deine Bedingungen?« fragte Varney.

»Wenn ich ein flinkes Auge im Interesse meines Herrn haben soll, so muß er meinen Fehlern gegenüber ein Auge zudrücken können,« sagte Lambourne.

»Gewiß,« sagte Varney, »wenn sie nur nicht so hagebuchen am Tage liegen, daß er darüber fallt.«

»Einverstanden,« sagte Lambourne. »Ferner, wenn ich ein Wild erlegt habe, muß ich die Knochen kriegen.«

»Das ist nur billig,« versetzte Varney, »das heißt, Deine Vorgesetzten kommen zuerst dran.«

»Gut,« stimmte Lambourne bei, »und es bleibt nur noch zu sagen übrig, daß, wenn ich mit dem Gesetz in Konflikt gerate, mein Gönner mir heraushelfen muß, das ist ein Hauptpunkt.«

»Auch nur recht und billig,« sagte Varney, »wenn Ihr im Dienste Euers Herrn mit dem Gesetz uneins geworden seid.«

»Was den Lohn und so weiter betrifft,« fuhr Lambourne fort, »so sage ich gar nichts darüber, selbstverständlich muß ich davon leben können.«

»Da sei ohne Sorge, Du kommst in einen Haushalt, wo es Gold wie Heu gibt.«

»Das ist so mein Fall,« erwiderte Michael Lambourne, »und es wäre nun nur noch übrig, daß Ihr mir den Namen meines Herrn nenntet.« »Mein Name ist Herr Richard Varney,« antwortete sein Gefährte.

»Aber ich meine,« sagte Lambourne, »den Namen des edeln Lords, zu dem Ihr mich in Dienst bringen wollt.«

»Wie, Bursche, dünkst Du Dich zu gut, mich Herrn zu nennen?« fragte Varney rasch. »Ich sehe es gern, wenn Du frech bist gegen andre – mir gegenüber laß Deine Unverschämtheit beiseite.«

»Ich bitte Euer Gnaden um Vergebung,« sagte Lambourne, »aber Ihr scheint auf vertraulichem Fuße mit Anton Foster zu stehen – und mit dem steh ich selber auf Du und Du.«

»Du bist ein durchtriebner Bursche, wie ich sehe,« erwiderte Varney. »Hör mich an – ich habe allerdings die Absicht, Dich bei einem Edelmann in Dienst zu bringen, aber meiner Person in der Hauptsache wirst Du zu dienen haben und von mir wirst Du abhängig sein. Ich bin sein Stallmeister – seinen Namen wirst Du bald erfahren – er ist einer, der unter den Räten der Königin die erste Rolle einnimmt und das Ruder des Staates in der Hand hat.«

Die Reiter verfielen nun wieder in den flotten Trab, den sie bei ihrem Zwiegespräch gezügelt hatten, und langten bald in dem königlichen Park von Woodstock an. Sie ritten ohne Umstände in den Hof des alten, verfallenen Herrenhauses hinein, in welchem an diesem Morgen dem Auge sich ein buntbelebtes Bild zeigte. Beamten vom Haushalt des Grafen, Diener in Livree kamen und gingen mit all dem rücksichtslosen Lärm, der ihrem Gewerbe anzuhaften scheint. Pferdegewieher und Hundegebell war zu hören; denn wenn auch Mylord hierher gekommen war, um das alte Haus und Gewese zu besichtigen, so hatte er sich doch auch mit allem versehen, um eine Jagd abhalten zu können in dem Park, dem ersten, eingezäunten Wildpark in England, der reich mit Wild versehen war, das nun schon lange unbelästigt dort geäset hatte. Einige Einwohner des Dorfes lungerten, in der Hoffnung, daß bei diesem ungewohnten Besuch auch für sie etwas abfallen würde, im Hofe herum und warteten, ob der große Mann sich zeigen werde. Ihre Spannung wuchs noch, als sie Varney in aller Eile hereinsprengen sahen, und ein Gemurmel lief herum: »Der Stallmeister des Grafen!«, während sie eilig ihn, für sich einzunehmen trachteten, indem sie die Hüte zogen und dem begünstigten Diener und seinem Begleiter Zügel und Steigbügel hielten. Kurz darauf erschien der Earl mit seinem Gefolge und begab sich zu Pferde, um nach dem Hofe zurückzukehren, begleitet von dem lauten Zuruf der Einwohner von Woodstock, die so laut brüllten, daß die alten Eichen widerhallten: »Lang lebe Königin Elisabeth und der Graf von Leicester!«


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