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Viertes Kapitel.

Der Raum, in den der Herr von Cumnor-Place seinen würdigen Gast geführt hatte, war geräumiger als der, in welchem sie zuerst sich unterhalten hatten und machte doch mehr den Eindruck der Zerfallenheit. Große eichene Wandschränke, mit Fächern vom gleichen Holze gefüllt, standen rings an den Wänden und hatten ehedem zur Aufnahme einer reichhaltigen Sammlung von Büchern gedient, von denen noch viele vorhanden waren, aber zerrissen und unkenntlich, mit Staub bedeckt, der kostbaren Schlösser, Riegel und Einbände beraubt und in unordentlichen Haufen auf den Brettern zusammengeschoben, wie ganz abgetane und unbeachtete Sachen, die, wer Lust hatte, zerstören konnte. Die Schränke selber waren stellenweise beschädigt und angebrochen und überdies mit Spinngeweben förmlich überzogen und mit Staub dicht bedeckt.

»Die Männer, die diese Bücher geschrieben haben, haben sichs wohl nicht träumen lassen, in wessen Hut sie einmal fallen würden,« meinte Lambourne.

»Ah bah!« rief Anton Foster, »das ist lauter papistisches Gewäsch, Privatstudien von dem Abt von Abingdon, dem alten Mummelgreis. Der neunzehnte Teil einer reinen, rechtgläubigen Predigt wiegt eine Wagenladung von solchem Kram auf.«

»Brav gesprochen, Meister Toni Scheiterhaufenanstecker!« antwortete Lambourne.

Foster schielte finster nach ihm hin und erwiderte:

»Hört, Freund Michel, vergeßt den Namen und den Vorfall, auf den er sich bezieht, wenn Ihr nicht wollt, daß unsere neu belebte Kameradschaft eines plötzlichen und gewaltsamen Todes sterben soll.«

»Ei, ei,« sagte Michael Lambourne, »Ihr rühmtet Euch doch sonst, daß Ihr bei der Hinrichtung der beiden ketzerischen Bischöfe mitgeholfen habt.«

»Das,« sagte sein Kamerad, »war zu der Zeit, da ich noch in der Galle der Bitternis und in den Banden der Missetat gefangen war, und hat nichts mehr zu schaffen mit meinem Wandel oder meinen Wegen jetzt, da ich zu den Auserlesenen zähle. Herr Melchisedek Maultext hat mein Mißgeschick in dieser Angelegenheit mit dem des Apostel Paulus verglichen, der den Zeugen, die den heiligen Stephan steinigten, die Kleider hielt. Darüber hat er gepredigt vor drei Sabbathen, und zum darstellenden Beispiel, sagte er, nähme er das Verhalten eines ehrbaren Mannes, der unter den Zuhörern weile – damit meinte er mich.«

»Ich bitte Dich, verschone mich, Foster,« sagte Lambourne, »ich weiß nicht, wie es kommt, aber wenn ich den Teufel die heilige Schrift zitieren höre, dann läuft mirs wie eine Gänsehaut über das Fell, und übrigens, Mann, wie konntest Du das Herz haben, die bequeme, alte Religion zu verlassen, die Du aus- oder anziehen konntest wie Deinen Handschuh? Ist mirs nicht noch erinnerlich, wie Ihr Euer Gewissen zur Beichte zu führen pflegtet, so regelmäßig, wie der Monat herankam? Und wenn Dir der Priester Dein Gewissen gesäubert, gestriegelt und weißgewaschen hatte, dann warst Du allezeit bereit zu der schlimmsten Schurkerei, die ausgeheckt werden konnte, wie ein Kind, das immer die meiste Lust hat, in den Dreck zu rennen, wenns einen reinen Sonntagskittel anhat.«

»Mach Dir keine Kopfschmerzen um mein Gewissen,« sagte Foster, »das ist ein Ding, das Du nicht verstehen kannst, denn Du hast selber nie eins gehabt. Laß uns lieber zur Sache kommen und sage mir mit einem Worte, was Du mit mir vorhast und was für Hoffnungen Dich hierhergelockt haben.«

»Die Hoffnung auf ein besseres Leben,« antwortete Lambourne, »wie das alte Weib sagte, als es über die Brücke in Kingston sprang. Seht her, diese Börse enthält den ganzen Rest einer so runden Summe, wie sie nur einer in der Hosentasche herumzutragen sich wünschen kann. Ihr sitzt hier im warmen Neste, wie es scheinen möchte, und erfreut Euch der Gunst guter Freunde, denn die Leute sagen, Ihr ständet unter ganz besondrer Protektion. Na, starr mich nur nicht an, wie ein Schwein, das gestochen wird – denkst Du, Du kannst in einem Netze herumtanzen, ohne daß die Leute Dich sehen? Nun weiß ich, solche Protektion ist nicht so ohne weitres feil, Ihr müßt dafür Dienste zu verrichten haben, und in diesen Diensten biete ich Dir meinen Beistand an.«

»Aber wenn ich nun keinen Beistand von Dir gebrauchen kann, Michel? Ich denke, bei Deiner Bescheidenheit hast Du eine solche Möglichkeit schon in Betracht gezogen?«

»Das heißt,« versetzte Lambourne, »Du willst lieber die ganze Arbeit allein herunterschuften, als den Lohn teilen – aber sei nicht allzu futterneidisch, Anton. Habgier und Knauserigkeit bringt den Sack zum Platzen, und das Korn wird verschüttet. Seht, wenn der Weidmann auf den Hirsch pirscht, dann nimmt er mehr als einen Hund mit. Er hat den festen Spürhund, der das wunde Wild über Hügel und Tal aufspürt, aber er hat auch den flinken Windhund, der es zu Tode hetzt, wenn ers zu sehen bekommen hat. Du bist der Bluthund, ich bin der Windhund, und Dein Gönner wird beide brauchen und kann sichs auch leisten, beide zu bezahlen. Du hast tiefen Scharfsinn, – eine zielbewußte, unerschütterliche Ausdauer – eine standfeste, langatmige Niederträchtigkeit, die die meine noch übertrifft. Dafür aber bin ich der kühnere, der schlagfertigere. Getrennt sind unsre Eigenschaften nicht so weit her, aber tu sie zusammen, so können wir die Welt vor uns herjagen. Wie sagst nun – sollen wir selbander jagen?«

»Das ist ein schurkisches Vorhaben, – sich so in meine Privatangelegenheiten hineinzudrängen,« erwiderte Foster, »aber Du warst von je ein bösartiger Hund.«

»Ihr sollt keine Ursache haben, das zu sagen, es sei denn, Ihr weist meinen höflichen Vorschlag ab,« sagte Michael Lambourne, »wenn Ihr aber das tut, dann hüte Dich vor mir, Herr Ritter, wie es in der Romanze heißt. Ich will entweder an Euern Plänen beteiligt sein oder sie vereiteln, denn ich bin hierher gekommen, um tätig zu sein, entweder im Verein mit Dir oder gegen Dich.«

»Gut,« sagte Anton Foster, »da Du mir eine so billige Wahl stellst, so will ich lieber Dein Freund sein als Dein Feind. Du hast recht, ich kann Dich in den Dienst eines Herrn bringen, der genug hat, uns beide zu versorgen und noch hundert andre. Kühnheit und Geschicklichkeit verlangt er – die Gerichtsbücher legen Zeugnis ab zu Deinen Gunsten. In seinen Diensten gibt es kein Stutzen aus Rücksichten, und man darf sich nicht an Skrupeln stoßen – ei, und wer hätte da wohl je bei Dir ein Gewissen vermutet? – Keckheit muß der haben, der einem Höfling dienen will – und Deine Stirn ist undurchdringlich wie ein mailändisches Visier. Nur eins würde ich gern in Dir abgefeilt sehen.«

»Und was ist das, mein Goldantonchen?« versetzte Lambourne, »denn beim Kissen der Siebenschläfer schwör ich, ich will nicht säumen, den Fehler abzulegen.«

»Nun, eben gibst Du wieder eine Probe davon,« sagte Foster. »In Deiner Redeweise krakehlst Du noch zu sehr in der alten Manier und schmückst sie in jedem Satze mit absonderlichen Flüchen aus, die einen papistischen Beigeschmack haben. Überdies ist auch Dein Aeußeres zu wüst und lotterig für einen Anhänger seiner Lordschaft, denn er hat einen hohen Ruf in den Augen der Welt zu behaupten. Du mußt Deinen Anzug ein wenig ändern – in einen mehr ernsten und gesetzten Schnitt. Und dann – geh in die Kirche – oder noch besser, in den Gottesdienst, wenigstens einmal im Monat. Schwöre bloß bei Deinem Glauben und Deinem Gewissen – lege Deine martialische, großspurige Miene ab und greife nie nach Deinem Degen, außer wenn Du in allem Ernste blank ziehen willst.«

»In der Hinsicht, Anton, bist Du einfach verrückt,« antwortete Lambourne, »und hast mir jetzt katzenbuckelnd eher den Portier einer Puritanerin als den Untergebnen eines ehrgeizigen Höflings bezeichnet! Ja, so ein Ding, wie Du aus mir machen möchtest, muß wohl ein Buch am Gürtel tragen statt eines Dolches, aber wer im Gefolge eines Edelmanns mitmachen will, der muß flott und protzig auftreten.«

»O, gebt Euch zufrieden, Freundchen,« erwiderte Foster, »es ist anders geworden, seit Ihr aus der englischen Welt hinaus seid, und wir haben ihrer, die ihr Ziel auf den gefährlichsten und geheimsten Wegen verfolgen und doch nie ein prahlerisches Wort oder einen Fluch oder einen gottlosen Ausdruck in ihrer Rede fallen lassen.«

»Das heißt,« entgegnete Lambourne, »sie stehen in Handelsgemeinschaft und betreiben des Teufels Geschäfte, ohne seinen Namen in der Firma mit anzuführen. Na, ich will mir alle Mühe geben, es Euch nachzumachen, ehe ich in dieser neuen Welt Boden verliere. Aber, Anton, wie heißt der Edelmann, in dessen Dienst ich mich zum Heuchler ausbilden soll?«

»Aha, Meister Michael! Guckt Ihr aus der Luke?« fragte Foster mit einem boshaften Lächeln. »Und ist das die Kenntnis, die Ihr von meinen Angelegenheiten zu wissen vorgebt? Woher wißt Ihr denn, daß es eine solche Person in rerum natura gibt oder daß ich Euch nicht einen Bären aufgebunden habe?«

»Du und mir einen Bären aufbinden, Du dummöhriger Hornochs?« antwortete Lambourne, nicht im mindesten eingeschüchtert, »ei, so finster und schmutzig Du auch denkst, so wollt ich doch binnen einem Tage Dich und Deine Geheimnisse klar durchschauen.«

In diesem Augenblick wurde ihr Gespräch durch einen lauten Schrei unterbrochen, der aus dem anstoßenden Zimmer kam.

»Beim heiligen Kreuz von Abingdon,« rief Anton Foster und vergaß in seiner Bestürzung ganz seinen Protestantismus, »ich bin zu Grunde gerichtet.«

Mit diesen Worten stürzte er in das Gemach, aus dem der Schrei kam, und Michael Lambourne ihm nach.

Wie der Leser weiß, wurde, als Lambourne mit Foster in das Nebenzimmer ging, Tressilian in dem alten Empfangsraume allein gelassen. Sein dunkles Auge sah ihnen mit einem Blicke der Verachtung nach, die sich zum Teil sogleich wider ihn selber kehrte, daß er sich auch nur für einen Augenblick zum vertrauten Genossen dieser beiden herabgewürdigt hatte.

»Das also ist der Umgang, Amy,« so sprach er zu sich selber, »zu dem Deine grausame Leichtsinnigkeit und Deine unbedachte und ganz unverdiente Falschheit einen Mann verurteilt haben, von dem seine Freunde einst andres erhofften und der jetzt sich selber verachtet, wie er von andern verachtet wird, wegen der Niedrigkeit, zu der er sich entwürdigt aus Liebe zu Dir. Aber ich will nicht nachlassen, Dich zu verfolgen, an der ich einst in reinster und hingebendster Liebe hing, – jetzt freilich kannst Du für mich nur noch ein Ding sein, um das ich Tränen vergieße. – Ich will Dich vor Deinem Verräter und vor Dir selber retten – ich will Dich Deinen Eltern – und Deinem Gotte – zurückgeben.«

Ein leises Geräusch in dem Gemach schreckte ihn aus seiner Träumerei; er sah um sich, und in der schönen, reichgekleideten Frau, die jetzt hereintrat, erkannte er sie, die er suchte. Sein erstes in der Ueberraschung dieser jähen Entdeckung war, daß er sein Gesicht mit dem Mantelkragen bedeckte, bis sich ihm ein günstiger Augenblick bieten würde, sich zu erkennen zu geben. Aber die junge Dame, die noch nicht über achtzehn Jahre alt war, vereitelte sein Vorhaben, indem sie freudig auf ihn zulief, ihn am Mantel zog und neckisch zu ihm sagte:

»Mein süßer Freund, nachdem ich so lange auf Euch gewartet habe, kommt Ihr doch nicht in mein Versteck, Mummenschanz zu treiben. Ihr seid des Verrats an treuer Liebe und zärtlicher Zuneigung bezichtigt, und Ihr müßt vor die Schranken treten und Euch mit unverhülltem Gesicht verteidigen – was habt Ihr zu sagen: schuldig oder nicht?«

»Ach, Amy!« sagte Tressilian leisen und schwermütigen Tones und ließ sich den Mantel vom Gesicht ziehen. Der Klang seiner Stimme und noch mehr der unerwartete Anblick seines Gesichts brachte im Augenblick die Dame aus ihrer scherzhaften Stimmung. – Sie taumelte zurück, bleich wie der Tod, und schlug die Hände vors Gesicht. Tressilian selber war für den Augenblick ganz überwältigt, aber plötzlich schien er sich wieder bewußt zu werden, daß er eine Gelegenheit ausnützen müsse, die vielleicht nie wiederkehren konnte, und sagte leise:

»Amy, fürchte mich nicht.«

»Warum sollte ich Euch fürchten?« fragte die Lady, ihre Hände von ihrem schönen Gesicht wegnehmend, das jetzt mit Purpurröte überzogen war, – »warum sollte ich Euch fürchten, Herr Tressilian? Doch wozu seid Ihr in meine Wohnung gedrungen, uneingeladen, Herr, und unerwünscht?«

»Eure Wohnung, Amy!« sagte Tressilian. »Ach, ist ein Gefängnis Eure Wohnung? – Ein Gefängnis, das bewacht wird von einem der schmutzigsten Menschen, der aber doch noch kein größers Scheusal ist als sein Gebieter?«

»Dies Haus ist mein,« sagte Amy, »mein, so lange es mir paßt, darin zu wohnen. Wenn es mir Spaß macht, in Abgeschiedenheit zu leben, wer will es mir verwehren?«

»Euer Vater, Jungfrau,« antwortete Tressilian. »Euer Vater, dem das Herz gebrochen ist, der mich abgesandt hat, nach Euch zu forschen, und mir jene Vollmacht erteilt hat, die er selber nicht in Person ausüben kann. Hier ist sein Brief – beim Schreiben hat er die Schmerzen gelobt, die seinen Körper peinigen, weil er über ihnen die Seelenqual nicht so tief empfindet.«

»Die Schmerzen! Ist denn mein Vater krank?« fragte die Dame.

»So krank,« antwortete Tressilian, »daß, wenn Ihr auch auf Flügeln zu ihm eiltet, Ihr ihn doch nicht gesund machen könntet, doch soll alles sogleich zu Eurer Abreise hergerichtet werden, sobald Ihr Euch dazu bereit erklärt.«

»Tressilian,« antwortete die Dame, »ich kann nicht, ich darf nicht diese Stätte verlassen. Kehrt zu meinem Vater zurück, sagt ihm, ich will mir Urlaub erwirken, ihn in zwölf Stunden von jetzt ab zu besuchen. Kehrt zurück, Tressilian, – sagt ihm, ich befinde mich wohl, ich bin glücklich – ich wäre glücklich, könnte ich denken, er wäre es auch – sagt ihm, er soll sich nicht davor fürchten, daß ich kommen will – ich will so zu ihm kommen, daß all der Kummer, den Amy ihm bereitet hat, vergessen sein soll – die arme Amy ist jetzt größer als sie verraten darf. Geht, mein guter Tressilian, – ich habe auch Euch weh getan, aber glaubt mir, ich habe Macht, die Wunden zu heilen, die ich geschlagen habe. Ich habe Euch ein kindisches Herz geraubt, daß Euer gar nicht würdig war, und ich kann den Verlust durch Ehren und Beförderung ersetzen.«

»Sagt Ihr das mir, Amy? – Bietet Ihr mir den Flitter eiteln Ehrgeizes für den stillen Frieden, den Ihr mir geraubt habt? Noch sei es so – ich bin nicht gekommen, Vorwürfe zu machen, – sondern Euch zu dienen und Euch zu befreien. Ihr könnt es vor mir nicht verbergen, Ihr seid eine Gefangene. Sonst wäre Euer liebes Herz – denn lieb und gut war es einst – schon am Bette Eures Vaters. Kommt, armes, betrognes, unglückliches Mädchen! – Alles soll vergessen sein – alles soll vergeben sein. Fürchtet nicht, ich könnte Euch Ungelegenheiten machen wegen unsers frühern Verhältnisses – es war ein Traum und ich bin erwacht. Doch kommt – Euer Vater lebt noch – kommt, und ein Wort der Liebe – eine Träne der Reue wird das Gedächtnis von allem, was vorgegangen ist, ausmerzen.«

»Habe ich nicht schon gesagt, Tressilian,« erwiderte sie, »daß ich ganz bestimmt zu meinem Vater kommen werde, und ich will dies nicht länger hinausschieben, als unbedingt nötig ist, um andre ebenso unerläßliche Pflichten zu erfüllen. – Geht, bringt ihm den Bescheid – ich komme, so gewiß, wie Licht am Himmel ist – das heißt, wenn ich Erlaubnis bekomme.«

»Erlaubnis? Erlaubnis, Deinem Vater auf dem Krankenbette, vielleicht auf seinem Totenbette zu besuchen?« sagte Tressilian, »und Erlaubnis von wem? – Von dem Schurken, der unter dem Mantel der Freundschaft jeder Pflicht der Gastfreundschaft Hohn sprach und Dich aus Deines Vaters Hause stahl?«

»Verunglimpf ihn nicht, Tressilian. Er, von dem Du sprichst, trägt ein Schwert, so scharf wie Deines, – ja schärfer noch, eitler Mann – denn die besten Taten, die Du je im Frieden oder Kriege getan hast, waren ebenso wenig würdig, in einem Atem mit den seinen genannt zu werden, wie Dein niedrer Rang sich mit der Sphäre messen kann, in der er sich bewegt. Verlaß mich! Geh, richte meine Bestellung an meinen Vater aus, und wenn er wieder zu mir schickt, soll er einen willkommnern Boten wählen.«

»Amy,« erwiderte Tressilian sanft, »mit Deinen Vorwürfen richtest Du nichts aus bei mir. Sage mir eins, daß ich wenigstens einen Strahl des Trostes meinem alten Freunde bringen kann. Seinen Rang, von dem Du so rühmlich sprichst, teilst Du mit ihm, Amy? – Hat er das Recht eines Gatten, Dir Vorschriften zu machen?«

»Zügle Deine unartige Zunge!« sagte die Dame. »Eine Frage, die meine Ehre in Zweifel stellt, würdige ich keiner Antwort.«

»Ihr habt schon genug gesagt, indem Ihr die Antwort darauf verweigertet,« versetzte Tressilian, »und merke wohl, unglücklich wie Du bist, ich bin gerüstet mit der Vollmacht Deines Vaters, Dir Gehorsam zu bieten, und ich will Dich retten aus der Sklaverei von Sünde und Kummer, selbst wider Deinen Willen, Amy!«

»Droh mit keiner Gewalttat hier!« rief die Dame und zog sich vor ihm zurück, bestürzt über die Entschlossenheit, die aus seinem Blick und Wesen sprach. – »Drohe mir nicht, Tressilian, denn ich habe Mittel, mich vor Gewalt zu schützen.«

»Aber doch wohl nicht den Wunsch, diese Mittel zu so schlimmem Zwecke zu benutzen,« sagte Tressilian. »Mit Deinem Willen – Deinem unbeeinflußten, freien und natürlichen Willen, Amy, kannst Du nicht diesen Zustand der Sklaverei und Schande auf Dich genommen haben – Du bist durch irgend einen Zauber gebannt worden – Du bist durch irgend einen Betrug umgarnt worden – Du wirst durch ein erzwungenes Gelübde festgehalten. – Aber so brech ich den Zauber – Amy, im Namen Deines herrlichen, vom Herzeleid gebrochnen Vaters gebiete ich Dir, mir zu folgen.«

Mit diesen Worten trat er auf sie zu und streckte den Arm aus, als wollte er sie ergreifen. Aber sie wich zurück vor seinem Griff und stieß den Schrei aus, der Lambourne und Foster in das Zimmer führte.

Der letztere rief, sobald er hereintrat:

»Feuer und Reisig! Was haben wir hier?« Dann wandte er sich an die Dame und setzte in einem Tone zwischen Bitte und Befehl hinzu: »Potzblitz, Madame! Was tut Ihr hier in voller Freiheit? Macht, daß Ihr wegkommt – weg – weg – Tod und Leben sind hier im Spiele! – Und Ihr, Freund, wer Ihr auch seid, verlaßt dieses Haus – hinaus mit Euch, ehe mein Dolch und Eure Brust miteinander Bekanntschaft machen. Zieh, Michel, und befrei uns von dem Schurken!«

»Ich nicht, bei meiner Seele,« versetzte Lambourne. »Er ist hierher gekommen in meiner Gesellschaft, und er ist sicher vor mir nach den Gesetzen der Diebszunft, zum wenigsten, bis wir einander wieder begegnen. Aber hört, mein Freund aus Cornwallis: Ihr habt einen echten kornischen Windsturm mit hierher gebracht, einen Taifun, wie sie im Orient sagen. Macht Euch dünn – zieht Leine – verschwindet, sonst soll Euch das Lebenslichtlein ausgeblasen werden.«

»Hinweg, erbärmlicher Bursche,« sagte Tressilian. »Und Ihr, Madame, gehabt Euch wohl – das letzte bißchen Leben in Euers Vaters Brust wird von hinnen fliehen bei der Nachricht, die ich ihm zu bringen habe.«

Er ging, – als er das Zimmer verließ, flüsterte die Dame ihm leise zu:

»Tressilian, seid nicht voreilig und unbedacht – sprecht nichts Ehrenrühriges von mir!«

»Da haben wir ja eine nette Bescherung,« sagte Foster, »ich bitte Euch, geht in Euer Zimmer, Mylady, und laßt uns bedenken, wie wir das wieder gut machen können. – Nein, säumet nicht.«

»Auf Euer Geheiß rühr ich kein Glied, Herr,« antwortete die Dame.

»Aber Ihr müßts, schöne Dame,« erwiderte Foster, »entschuldigt meine Freiheit, aber bei Blut und Nageln, wir haben keine Zeit jetzt, Höflichkeiten zu drechseln – Ihr müßt in Euer Zimmer gehen – Michel, geh diesem naseweisen Laffen nach, und wenn Dir selber daran liegt, gut zu fahren, sorge dafür, daß er von hier wegkommt, dieweil ich diese halsstarrige Dame zur Vernunft bringe. Zieh vom Leder, Kerl, und hinter ihm drein!«

»Das will ich,« sagte Michael Lambourne, »und weg soll er von hier. Aber einem zu Leibe gehen, mit dem ich am Morgen noch ein Glas zusammen getrunken habe, das ist ganz gegen mein Gewissen.«

Mit diesen Worten ging er hinaus.

Tressilian schritt indessen in Hast auf dem ersten besten Wege dahin, der ihn aus dem wilden, überwucherten Park, in welchem Fosters Haus lag, hinauszuführen versprach. Hast und tiefer Seelenschmerz ließen ihn irre gehen, und anstatt die Allee einzuschlagen, die nach der Stadt führte, schlug er einen andern Weg ein, der ihn, nachdem er ihm eine Zeitlang mit hastigen, unachtsamen Schritten gefolgt war, an die andre Seite des Grundstücks brachte, wo eine Hintertür in der Mauer aufs freie Feld hinausführte. Tressilian blieb einen Augenblick stehen. Es war ihm gleichgültig, auf welchem Wege er eine jetzt für seine Erinnerung so hassenswerte Stätte verließ, aber es war doch anzunehmen, daß die Hintertür verschlossen wäre und er hier nicht hinausgelangen könnte.

»Ich muß es aber doch versuchen,« sagte er zu sich selber, »das einzige Mittel, dieses verlorene, – dieses verworfene – dieses trotz allem noch liebreizende und unglückliche Mädchen zurückzufordern, ist, daß ihr Vater sich an die Gesetze seines Landes wendet. Ich muß ihm schleunigst diese herzzerreißende Nachricht bringen.«

Als in diesem Selbstgespräch Tressilian herantrat und versuchte, ob er die Tür öffnen oder über die Mauer steigen könnte, bemerkte er, daß von außen ein Schlüssel in das Schloß gesteckt wurde. Der Schlüssel wurde herumgedreht, der Riegel sprang zurück, und ein Kavalier trat herein, in den Reitmantel gehüllt und einen breitkrempigen Hut mit herabhängender Feder auf dem Kopfe und stand nun dicht vor Tressilian, der eben hinauswollte. Im Tone des Grolls und Erstaunens rief der eine: »Varney!« und der andere: »Tressilian!«

»Was macht Ihr hier?« war die barsche Frage, die der Fremde an Tressilian richtete, als die erste Ueberraschung überwunden war, »was macht Ihr hier, wo Eure Anwesenheit weder erwartet noch erwünscht wird?«

»Nein, Varney,« versetzte Tressilian, »was macht Ihr hier? Seid Ihr gekommen, über die Unschuld, die Ihr vernichtet habt, zu triumphieren, wie der Geier oder die Aaskrähe kommt, sich an dem Lamme zu mästen, dem sie zuerst die Augen ausgehackt haben? – Oder seid Ihr gekommen, der verdienten Rache eines ehrlichen Mannes Euch zu stellen? – Zieh, Hund, und verteidige Dich!«

Tressilian zog sein Schwert, aber Varney legte nur die Hand auf den Griff des seinen, indes er antwortete:

»Du bist verrückt, Tressilian – ich gebe zu, der äußere Schein ist gegen mich, aber bei allen Eiden, die ein Priester aufsetzen oder ein Mensch ablegen kann, Mistreß Amy Robsart ist kein Leid von mir widerfahren; und wahrhaftig, es sollte mir doch ein wenig leid tun, Euch um deswillen zu verwunden. – Du weißt, ich kann fechten.«

»So hört ich Dich sagen, Varney,« antwortete Tressilian, »jetzt aber, dünkt mich, hätte ich gern einen bessern Beweis als Dein bloßes Wort.«

»Der soll nicht ausbleiben, so mir Griff und Klinge treu sind,« antwortete Varney, und sein Schwert zog er mit der Rechten, den Mantel warf er um die Linke und fiel Tressilian mit einem Ungestüm an, der ihm auf einen Moment den entscheidenden Vorteil im Zweikampfe zu geben schien. Aber nicht lange hielt diese günstige Wendung an. Tressilian war von Rachedurst erfüllt und hatte obendrein eine sichere Hand und ein festes Auge – Eigenschaften, die ihn zu einem Meister in der Handhabung des Rapiers machten. Varney sah sich bald hart bedrängt und versuchte, sich seine überlegene Körperkraft zu nutze zu machen und mit seinem Gegner handgemein zu werden. Zu diesem Zwecke wagte er es beherzt, einen von Tressilians Stößen in seinem Mantel aufzufangen, den er um den Arm gewickelt hatte, und ehe sein Gegner sein so festgeranntes Rapier herausziehen konnte, fiel er ihn dicht an, indem er sein Schwert kurz faßte, um ihm den Garaus zu machen. Aber Tressilian war auf der Hut, und er riß den Dolch aus der Scheide, parierte mit der Klinge dieser Waffe den Todesstoß, der sonst dem Zweikampf ein Ende gemacht hätte, und führte nun den Kampf so geschickt weiter, daß Varney zu Boden gestreckt wurde. Sein Schwert flog ein paar Schritte weit, und ehe er wieder aufspringen konnte, setzte ihm sein Gegner die Degenspitze an die Kehle.

»Gebt mir augenblicks die Mittel, das Opfer Eures Verrats zu erlösen,« sagte Tressilian, »oder tut Euern letzten Blick zur Sonne Euers Schöpfers!«

Zu bestürzt oder zu trotzig zu antworten, machte Varney eine plötzliche Anstrengung, aufzuspringen, und sein Gegner zog den Arm zurück und hätte wohl seine Drohung ausgeführt, aber der Stoß wurde durch den Griff Michael Lambournes aufgehalten, der dem Klange der klirrenden Schwerter nachgeeilt war und gerade zur rechten Zeit ankam, um Varneys Leben zu retten.

»Kommt, kommt, Kamerad,« sagte Lambourne, »hier ist genug getan und mehr als genug – tut Euer Schwert zur Seite und laßt uns heim bummeln.«

»Hinweg, Auswurf!« sagte Tressilian und riß sich von Lambourne los. »Wagst Du es, zwischen mich und meinen Feind zu treten?«

»Auswurf! Auswurf!« wiederholte Lambourne; »das soll mit kaltem Stahl beantwortet werden, sobald ein Glas Sekt die Erinnerung an den Morgentrunk hinweggespült hat, den wir miteinander geleert haben. Mittlerweile, seht Ihr, – geht los, schwimmt ab, zieht Leine – wir sind zwei gegen einen.«

Er sagte die Wahrheit, denn Varney hatte die Gelegenheit benutzt, seine Waffe wieder aufzuraffen, und Tressilian sah ein, daß es Wahnwitz wäre, den Kampf bei so ungleichem Stande fortzusetzen. Er zog die Börse, nahm zwei Goldnobels heraus und warf sie Lambourne zu:

»Da, Sklave, ist Dein Morgenlohn – Du sollst nicht sagen, Du habest mich ohne Lohn geführt. Varney, lebt wohl! Wir sehen einander wieder, wo niemand zwischen uns treten soll!«

Mit diesen Worten wandte er sich um und ging zur Hinterpforte hinaus.

Varney schien keine Lust zu haben – oder keine Kraft (denn sein Sturz war schwer gewesen), seinem Feinde zu folgen, aber er starrte ihm finster nach, dann wandte er sich an Lambourne:

»Bist Du ein Kamerad von Foster, guter Bursch?«

»Wir sind geschworene Freunde, wie Heft und Messer,« erwiderte Michael Lambourne.

»Da hast Du einen Zehrgroschen, – geh dem Buben da nach und sieh, wohin er geht und bring mir Bescheid ins Herrenhaus hier. Vorsichtig und verschwiegen, Bursche, sofern Dir Deine Kehle lieb ist.«

»Genug gesagt,« erwiderte Lambourne, »ich kann eine Spur verfolgen so gut wie ein Schweißhund.«

»Dann geh Deines Weges,« sagte Varney, steckte sein Rapier in die Scheide, kehrte Lambourne den Rücken zu und schritt langsam dem Hause zu.

Lambourne verweilte nur einen Augenblick, um die Nobels aufzulesen, die sein ehemaliger Gefährte ihm so unfein zugeworfen hatte, und während er sie mit dem Handgeld Varneys einsteckte, murmelte er vor sich hin:

»Zu den Hornochsen da drüben hab ich vom Eldorado gesprochen. Bei Sankt Anton, für Leute unsers Schlages gibt es kein Eldorado, das sich mit dem guten Altengland vergleichen läßt! Hier regnet es Nobels vom Himmel – sie liegen auf dem Grase so dick wie Tautropfen – man braucht sie bloß aufzulesen. Und wenn ich nicht meinen Teil an diesen glitzernden Tautropfen habe, so mag mein Schwert schmelzen wie ein Eiszapfen!«


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