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Vierzehntes Kapitel.

Erst nachdem Jerusalem erobert worden war, kehrte Graf Robert von Paris nach Constantinopel zurück, um mit seinem Weib und so viel Begleitern, als ihm das Schwert und die Pest des blutigen Feldzugs übrig gelassen hatte, zur Heimath zurückzureisen. Bei der Ankunft in Italien war es die erste Sorge des edlen Grafen und der edlen Gräfin, die Hochzeit Herewards und seiner getreuen Bertha, die unterdessen neue Ansprüche auf die Erkenntlichkeit ihrer Herrschaft erworben hatten, auf eine fürstliche Weise zu feiern.

Was das Schicksal des Kaisers Alexius betrifft, so kann man sich weitläufig in der Geschichte seiner Tochter Anna davon unterrichten, die ihn als den Helden manches Sieges schildert, den er, wie die Purpurgeborne (Buch 15, Cap. 3.) sagt, entweder durch die Waffen oder durch seine Klugheit gewonnen habe. »Einige Schlachten hat seine Kühnheit allein gewonnen, andere seine List. Er hat sich ein rühmliches Denkmal gesetzt dadurch, daß er sich der Gefahr aussetzte, wie ein gemeiner Soldat kämpfte, und sich ohne Kopfbedeckung in das dichteste Gedränge der Feinde stürzte. Andere Schlachten gewann er durch einen verstellten Schrecken oder selbst einen falschen Rückzug. Kurz, er verstand es, auf der Flucht und in der Verfolgung zu siegen, und blieb aufrecht selbst vor den Feinden, die ihn niedergeschmettert zu haben glaubten, dem Distelkopfe vergleichbar, der sich immer nach oben kehrt, wie man ihn auch zu Boden wirft.«

Es wäre ungerecht, wollten wir es nicht hören, wie sich die Prinzessin gegen die Beschuldigung der Parteilichkeit vertheidigt.

»Ich muß nochmals den Vorwurf zurückweisen, den mir Einige machen, als wenn ich meine Geschichte lediglich nach den Einflößungen der kindlichen Liebe schriebe, die in den Herzen der Kinder lebt. Wahrhaftig es ist nicht dieser Drang der Natur, sondern die Wahrheit der Thatsachen, die mich zwingt, so zu schreiben, wie ich es gethan habe. Ist es unmöglich, daß man das Gedächtniß eines Vaters und die Wahrheit zugleich liebe? Was mich betrifft, so hatte ich beim Schreiben meiner Geschichte keinen anderen Zweck, als mich der Thatsachen zu vergewissern. Bei diesem Zweck habe ich mir einen würdigen Mann zum Gegenstand gewählt. Ist es gerecht, daß man aus dem zufälligen Umstand, daß dieser Mann der Urheber meines Lebens ist, ein Recht herleiten will, meine Glaubwürdigkeit dem Leser verdächtig zu machen? Ich habe bei anderen Gelegenheiten hinlängliche Proben von dem Eifer gegeben, womit ich die Sache meines Vaters vertheidigte, und die mich kennen, zweifeln nicht daran; aber bei dieser Gelegenheit habe ich mich auf die strengste Genauigkeit in der Darstellung beschränkt, und ich würde mich schämen, sie unter dem Vorwand, dem Andenken meines Vaters zu dienen, wissentlich verletzt zu haben.«

Wir haben diese Anführung gemacht, um der schönen Geschichtschreiberin Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; wir wollen auch ihren Bericht von dem Tod des Kaisers ausziehen, und wir sind nicht abgeneigt, die Schilderung, welche unser Gibbon von der Prinzessin macht, im Ganzen für richtig und wahr anzunehmen.

Ungeachtet ihrer wiederholten Betheuerungen, daß sie mehr der reinen und strengen Wahrheit als dem Andenken ihres verstorbenen Vaters huldige, bemerkt Gibbon richtig, »daß ihr Styl und ihre Darstellungsweise, statt durch Einfachheit zu überzeugen, überall eine gesuchte Redekunst und die Eitelkeit einer Schriftstellerin verrathe. Der wahre Charakter des Alexius bleibt hinter einer trockenen Aufzählung von Tugenden versteckt, und die ewige Lob- und Ruhmhudelei zwingt uns, nach der Glaubwürdigkeit der Erzählerin und dem Verdienst des Helden zu fragen. Wir können jedoch ihre richtige und wichtige Bemerkung nicht verachten, daß die Verwirrung der Zeit des Alexius Unglück und Ruhm war, und daß jede Plage, die ein sinkendes Reich betrüben kann, durch ein Strafgericht des Himmels und durch die Laster seiner Vorgänger gegen seine Regierung anstürmte.« (Gibbon Roman Empire V. IX. p. 83.)

Die Prinzessin glaubt also fest, daß die damaligen Wahrsager in vielen Zeichen am Himmel und auf Erden Vorbedeutungen von des Kaisers Tod erkannten. Auf diese Art legt Anna Comnena ihrem Vater eine Wichtigkeit bei, die nach älteren Schriftstellern großen Männern zukommt, deren Scheiden aus der Welt auf die Natur Eindruck macht; aber sie verfehlt nicht, den christlichen Leser zu versichern, daß ihr Vater auf solche Vorbedeutungen nichts gegeben habe, ja daß er sogar bei folgendem Anlaß ungläubig geblieben sei. Eine schöne Statue, nach allgemeiner Annahme ein Werk des Heidenthums, die einen goldenen Stab in der Hand hielt und auf einem Postament von Porphyr stand, ward vom Strom umgeworfen, und man hielt dies allgemein für eine Vorbedeutung von des Kaisers Tod. Doch Alexius widersprach diesem. Phidias, sagte er, und andere große Bildhauer des Alterthums hätten die Gabe gehabt, den Menschenleib mit wunderbarer Genauigkeit nachzubilden; doch wenn man ihren Bildern die Gabe der Weissagung beilege, so müsse man ihren Urhebern die Macht zuschreiben, die sich Gott selbst Vorbehalten habe, wenn er spreche: »Ich bin es, der tödtet und lebendig macht.« In den letzten Tagen wurde der Kaiser sehr von der Gicht geplagt, deren Wesen den Witz vieler gelehrten Personen wie auch den der Anna Comnena beschäftigt hat. Der arme Kranke war so erschöpft, daß, als die Kaiserin von einigen beredten Männern sprach, die bei der Zusammenstellung seiner Geschichte behülflich sein sollten, er mit Verachtung solcher Eitelkeiten sagte: »Die Abschnitte meines unglücklichen Lebens verlangen eher Thränen und Klagen, als die Lobeserhebungen, von denen du sprichst.«

Eine Art von Engbrüstigkeit gesellte sich zu der Gicht, die Mittel der Aerzte waren so vergeblich, als das Einschreiten der Mönche und der Geistlichkeit und die reichen Almosenspendungen. Zwei oder drei auf einander folgende Ohnmächten verkündigten den drohenden Schlag, und bald war Leben und Regierung des Kaisers Alexius Comnenus geendet, eines Fürsten, der bei allen seinen Fehlern das Recht hat, der Reinheit seiner Absichten wegen den besten Herrschern des oströmischen Reichs zugezählt zu werden.

Für einige Zeit vergaß die Geschichtschreiberin ihren wissenschaftlichen Beruf, und brach wie ein gewöhnliches Weib in Thränen und Heulen aus, raufte sich das Haar und zerschlug sich das Gesicht, während die Kaiserin Irene die fürstlichen Kleider ablegte, das Haar abschnitt, statt der purpurnen Halbstiefel schwarze Trauerschuhe anzog, und ihre Tochter Maria, die selbst Wittwe war, einen ihrer schwarzen Traueranzüge nahm, und ihn ihrer Mutter gab. »Gerade in dem Augenblick, als sie ihn anlegte,« sagte Anna Comnena, »gab der Kaiser den Geist auf, und in diesem Augenblick ging die Sonne meines Lebens unter.«

Wir wollen ihre Klagen über ihren Vater nicht weiter verfolgen. Sie tadelt sich selbst, daß sie nach dem Tod ihres Vaters, dieses Lichtes der Welt, auch Irene, diese Wonne des Ostens und Westens, und ihren Gemahl überlebt habe. »Ich bin ungehalten darüber,« sagte sie, »daß meine Seele unter solchen Stimmen des Unglücks dennoch fortfährt, meinen Leib zu beleben. Bin ich nicht härter und gefühlloser gewesen, als die Felsen selbst, und ist es nicht billig, daß ein Weib, das einen solchen Vater, eine solche Mutter und einen solchen Gemahl überleben konnte, von so vielem Mißgeschick heimgesucht wurde? Doch ich will lieber diese Geschichte endigen, als die Leser länger durch vergebliche und traurige Klagen ermüden.«

Nachdem sie so ihre Geschichte beschlossen hat, fügt sie die nachstehenden Zeilen hinzu:

»Als ihr Vater beschloß seinen Heldenlauf,
Hörte Anna Comnena zu schreiben auf.«

Diese Anzüge werden dem Leser genügen, um den wahren Charakter der kaiserlichen Geschichtschreiberin näher kennen zu lernen. In Bezug auf die anderen Personen, welche, ihrer Geschichte entnommen, in dem vorhergehenden Drama eine Rolle gespielt haben, können wir uns kürzer fassen.

Es steht außer Zweifel, daß Graf Robert von Paris, der dadurch, daß er sich auf den kaiserlichen Thron setzte, großes Aufsehen machte, ein Mann von hohem Rang war: denn wie der gelehrte du Cange vermuthet, war er ein Vorfahr des Hauses Bourbon, das Frankreich so viel Könige gegeben hat. Er war, wie man sich denken kann, ein Nachfolger der Grafen von Paris, welche diese Stadt heldenmüthig gegen die Normannen vertheidigten, und ein Vorfahr von Hugo Capet Was ist Wahrheit! – Ich wasche Ein- und für Allemal die Hände in Unschuld. Anmerkung des Uebersetzers.. Der Stamm von Hugo Capet wird verschieden abgeleitet, erstens von der sächsischen Familie, zweitens von St. Arnulph, später Bischof von Altex, drittens von Nibilong, viertens von dem Herzog von Bayern und fünftens von einem natürlichen Sohn Kaisers Karl des Großen. Auf jeder dieser Geschlechtstafeln, wiewohl nicht immer an der nämlichen Stelle, kommt dieser Robert vor, mit dem Beinamen der Starke, als Graf des Landstrichs, welcher Paris zur Hauptstadt hatte, und die Grafschaft oder Isle de France genannt wurde. Anna Comnena, welche die kühne Einnahme des kaiserlichen Throns von Seiten dieses übermüthigen Anführers berichtet, erzählt uns auch, daß derselbe in der Schlacht bei Doryläum schwer, wenn gleich nicht tödtlich, verwundet worden sei, weil er die Winke, die ihm ihr Vater für den Türkenkrieg gegeben, nicht geachtet habe. Der Geschichtsfreund, der die Sache näher untersuchen will, mag die Genealogie des französischen Königshauses von dem letzten Lord Ashburnham zu Rath ziehen, auch eine Note von du Cange zu der Geschichte der Prinzessin, S. 362, wo die Identität ihres »übermüthigen Barbaren, Robert von Paris,« mit dem als ein Vorfahr von Hugo Capet genannten »Robert dem Starken« behauptet wird. Gibbon V. XL, p. 52. kann ebenfalls nachgeschlagen werden. Die französischen und englischen Geschichtschreiber suchen die in der Erzählung genannte Kirche U. l. F. zu den gebrochenen Lanzen in der dem h. Drusas oder Drosin von Loissins geweihten, von dem man glaubte, daß er auf den Ausgang der Kämpfe großen Einfluß habe, und daß er den Sieg Denen schenke, welche die vorhergegangene Nacht an seinem Altar zugebracht hätten.

In Rücksicht auf das Geschlecht einer der mitspielenden Personen hat der Verfasser U. l. F. zu den gebrochenen Lanzen für eine würdigere Patronin gehalten, als den h. Drusas. Die Amazonen waren in jenem Zeitalter nicht ungewöhnlich; Gaeta z. B., die Gemahlin von Robert Guiscard, eine gefürchtete Heldin und Mutter vieler Heldensöhne, war selbst eine Amazone, und focht im Vordertreffen der Normannen, wie unsere kaiserliche Geschichtschreiberin Anna Comnena wiederholt berichtet.

Der Leser kann sich wohl von selbst denken, daß sich Robert von Paris unter seinen Waffenbrüdern während des Kreuzzugs ausgezeichnet habe. Sein Ruhm erschallte von den Wällen von Antiochien; aber in der Schlacht bei Doryläum wurde er so gefährlich verwundet, daß er an dem Hauptauftritt des Feldzuges keinen Antheil nehmen konnte. Die heldenmüthige Gräfin jedoch genoß die Freude, die Mauern von Jerusalem zu übersteigen, und so ihrem und ihres Gemahls Gelübde zu genügen. Das war ein um so größeres Glück, als die Meinung der Aerzte war, daß die Wunden des Grafen, die von vergifteten Waffen herrührten, nur unter dem Himmel seines Vaterlandes vollständig heilen dürften. Nachdem Graf Robert noch eine Zeitlang gewartet hatte, um sich diesen unangenehmen Ausweg zu ersparen, fügte er sich der Nothwendigkeit, und kehrte mit seinem Weib, seinem getreuen Hereward und Denjenigen von seiner Schaar, die gleich ihm zum Kampf untauglich geworden waren, zur See nach Europa zurück.

Eine leichte Galeere, für schweres Geld gemiethet, brachte sie glücklich nach Venedig, und von dieser berühmten Stadt gelangten sie, indem sie den Antheil an der Beute, welche dem Grafen bei der Eroberung von Palästina zugefallen war, verzehrten, in die eigenen Lande, die glücklicher als andere, während der Abwesenheit des Grafen nicht beunruhigt worden waren. Das Gerücht, daß der Graf seine Gesundheit eingebüßt und zur Verehrung U. l. F. zu den gebrochenen Lanzen fürder keine Macht mehr habe, zog ihm die Feindseligkeit einiger habgierigen oder neidischen Nachbarn zu, die jedoch von der tapferen Gräfin und dem entschlossenen Hereward gehörig zurückgewiesen wurden. In weniger als einem Jahr war der Graf von Paris vollständig hergestellt, so daß er seine eigenen Vasallen beschützen und dem König von Frankreich alles Zutrauen abgewinnen konnte. Dieser letzte Umstand befähigte den Grafen Robert, Hereward seine Schuld in einer Weise abzutragen, wie es derselbe nur hoffen und erwarten konnte. Da er nun eben so sehr wegen seiner Weisheit und seiner Klugheit geachtet wurde, wie er längst als ein tapferer und siegreicher Kreuzfahrer geachtet war, so wurde er wiederholt von dem französischen Hofe dazu verwandt, die Verwirrungen in's Klare zu bringen, in welche die normannischen Besitzungen England und Frankreich verwickelten. Wilhelm der Rothe war für sein Verdienst nicht blind, und suchte seine Neigung zu gewinnen, und da er merkte, wie eifrig er die Zurückkehr Herewards in das Land seiner Väter wünschte, so benutzte er die Gelegenheit, die ihm einige aufrührerische Edlen darboten, unseren Waräger mit einem großen Landstrich zu belehnen, der nahe bei New-Forest, seiner Heimath, lag. Hier lebten, wie es heißt, die Nachkommen des wackeren Knappen und seiner Bertha über manchen Wechsel der Zeiten hinaus, der so oft ausgezeichneteren Geschlechtern verderblich geworden ist.

 

Ende des dritten und letzten Theils


Druck der Carl Hoffmann'schen Officin in Stuttgart.

 


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