Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.

Wißt ihr, wie das span'sche Fräulein
Einen Engländer gewann?
Schöne, im Juwelenschein,
Strahl'nde Kleider zog sie an.

Sie sah gar freundlich und huldvoll aus,
Und stammte aus einem vornehmen Haus.

Alte Ballade.

Wir verließen Alexius Comnenus, nachdem er sein Gewissen vor dem Patriarchen entlastete, und die Versicherung der Vergebung und des Schutzes der griechischen Kirche durch denselben erhalten hatte. Er verließ den Kirchenfürsten mit einigen freudigen Ausrufungen, die jedoch so unverständlich ausgedrückt waren, daß man ihren Sinn nicht erfassen konnte. Als er nach seiner Zurückkunft in den Blachernäpallast zuerst nach seiner Tochter fragte, wurde er nach dem schönen Marmorzimmer gewiesen, von dem sie und viele Andere ihres Stammes den Namen Porphyrogenita führten. In ihrem Gesichte lag Besorgniß, die beim Anblick ihres Vaters in offenes, unverhaltenes Leid ausbrach.

»Tochter,« sagte er mit einer Härte, die ihm nicht eigentümlich war, und mit einem Ernst, den er streng beibehielt, statt an der Betrübniß seiner Tochter Theil zu nehmen, »da du den albernen Thoren, mit dem du verheiratet bist, wohl verhindern möchtest, sich öffentlich als ein undankbares, verrätherisches Ungeheuer zu zeigen, so wirst du nicht verfehlen, ihn zur Unterwerfung, zum Nachsuchen der Verzeihung und zum offenen Eingeständniß seiner Verbrechen zu bewegen, oder, ich schwör's bei meiner Krone, er soll, des Todes sterben! Auch werde ich keinem Anderen verzeihen, der, dies Urteil tadelnd, sich unter die Fahne des Aufruhrs stellen würde, die mein undankbarer Schwiegersohn aufgepflanzt hat.«

»Was verlangt Ihr von mir, mein Vater?« sagte die Prinzessin. »Wollt Ihr, daß ich meine eigenen Hände in das Blut dieses Unglücklichen tauche, oder sucht Ihr eine noch blutigere Rache, als die ist, welche die alten Götter gegen Verbrecher verhängten, die sich wider ihre Macht auflehnten?«

»Glaube das nicht, meine Tochter!« sagte der Kaiser; »sondern bedenke lieber, daß dir mein Vaterherz hier die letzte Gelegenheit bietet, den albernen Thoren, deinen Gemahl, vom Tode zu retten, den er so vielfach verdient hat.«

»Mein Vater,« sagte die Prinzessin, »Gott weiß es, daß ich auf Eure Gefahr das Leben des Nicephorus nicht erkaufen möchte; aber er ist der Vater meiner Kinder, wiewohl sie nicht mehr sind, und Frauen können ein solches Band nicht vergessen, auch wenn es vom Schicksal zerrissen worden ist. Vergönnt mir nur die Hoffnung, daß der unglückliche Verbrecher Gelegenheit haben soll, seine Fehler wieder gut zu machen; auch soll es gewiß, glaubt mir, meine Schuld nicht sein, wenn er die verrätherischen und unnatürlichen Umtriebe fortsetzt, die gegenwärtig sein Leben in Gefahr bringen.«

»Folge mir denn, Tochter,« sagte der Kaiser, »und wisse, daß ich dir jetzt ein Geheimniß anvertrauen will, von dem mein Leben und meine Krone abhängt, wie denn auch das Leben meines Schwiegersohns davon abhängen wird.«

Er legte hierauf die Kleidung eines Sclaven des Pallastes an, und befahl seiner Tochter, auch ihre Kleider mehr aufzuschürzen, und eine brennende Lampe in die Hand zu nehmen.

»Wohin gehen wir, mein Vater?« sagte Anna Comnena.

»Das kümmere dich nicht,« versetzte ihr Vater, »mein Schicksal ruft mich, und das deinige will, daß du mir die Leuchte tragest. Glaube es, und erzähle es, wenn du das Herz dazu hast, in deinem Buche, daß Alexius Comnenus nicht ohne Furcht in diese schrecklichen Kerker hinunterstieg, die seine Vorgänger für Menschen gebaut hatten, obgleich seine Absichten unschuldig und gut gemeint waren. Schweige, und sollten wir einem Bewohner dieser unterirdischen Kerker begegnen, sprich kein Wort, und gib auf seine Erscheinung nicht Acht.«

Nachdem sie ein Labyrinth von Gemächern durchschritten hatten, gelangten sie in die große Halle, durch welche Hereward gekommen war, als er zum Erstenmal der Vorlesung der Prinzessin im Musentempel beiwohnte. Sie war, wie wir gemeldet haben, von schwarzem Marmor, und schwach beleuchtet. An dem oberen Ende stand ein kleiner Altar, auf dem Räucherwerk lag, während man oben durch den Rauch undeutlich zwei Menschenarme bemerkte, die aus der Wand herauszudringen schienen.

An dem unteren Ende dieser Halle führte eine kleine Eisenthüre zu einer einem Ziehbrunnen ähnlichen Wendeltreppe, deren Stufen außerordentlich steil waren, und die der Kaiser, nachdem er seiner Tochter zugewinkt hatte, ihm zu folgen, bei dem unvollkommenen Licht mühsam hinunterstieg. Sie kamen beim Hinuntersteigen an vielen Thüren vorbei, die wahrscheinlich zu verschiedenen Kerkerreihen führten, aus denen das dumpfe Seufzen und Stöhnen herdrang, welches Hereward bei einer früheren Gelegenheit gehört hatte. Der Kaiser gab auf diese Zeichen menschlicher Trübsal nicht Acht, und Vater und Tochter waren bereits drei Stockwerke tief hinuntergestiegen, als sie das tiefste Stockwerk des Gebäudes erreichten, das auf einen starken Felsen von festem, aber ungeschliffenem Marmor errichtet war.

»Hier,« sagte Alexius Comnenus, »sagt alle Hoffnung Lebewohl beim Drehen einer Angel und dem Knarren eines Schlosses. Doch das soll nicht immer so sein – die Todten sollen wieder aufleben und ihr Recht geltend machen, und die in diese Tiefe verstoßen waren, sollen wieder ihren Anspruch erheben, die Oberwelt zu bewohnen. Wenn mir der Himmel seinen Beistand versagt, dann glaube mir, meine Tochter, daß ich, ehe ich das schlechte Thier sein möchte, für das man mich gehalten und selbst in deiner Geschichte bezeichnet hat, lieber jeder Gefahr tapfer Trotz bieten werde, mit welcher mich gegenwärtig die Menge bedroht. Das ist ausgemacht, ich will als Kaiser leben und sterben; und du, Anna, sei versichert, wenn die Macht deiner Schönheit und deiner Geistesgaben so groß ist, wie man es rühmt, so wird dein Vater noch diesen Abend den größten Vortheil daraus ziehen.«

»Was meint Ihr damit, mein kaiserlicher Vater? – Heilige Jungfrau! haltet Ihr mir so das Versprechen, das Leben des unglücklichen Nicephorus zu schonen?«

»Das ist mein Wille,« sagte der Kaiser; »meine Güte ist nun erschöpft. Glaube nicht, daß ich noch einmal die Schlange an meiner Brust wärmen will, deren Stich mich fast getödtet hat. Nein, Tochter, ich habe dir zum Gemahl einen Mann ausersehen, der im Stande ist, die Rechte des Kaisers, deines Vaters, zu vertheidigen; – und hüte dich, meinem Willen Trotz bieten zu wollen! – Betrachte diese rauhen Marmorwände, und bedenke, daß es eben so möglich ist, zwischen Marmorwänden zu sterben, wie daselbst geboren zu werden.«

Die Prinzessin Anna Comnena war erschrocken, ihren Vater in einer Gemüthsstimmung zu sehen, die sie nie an ihm gekannt hatte. »O Himmel! wäre doch meine Mutter hier!« schluchzte sie in der Angst vor Etwas, das sie schwerlich selber wußte.

»Anna,« sagte der Kaiser, »deine Angst und deine Klage sind vergebens. Ich gehöre zu Denen, die bei gewöhnlichen Anlässen keinen eigenen Wunsch hegen, und ich bin dankbar gegen Diejenigen, welche mir, wie mein Weib und meine Tochter thun, die Mühe der Wahl ersparen. Doch wenn sich das Schiff zwischen Klippen befindet, und der Meister das Steuer fassen muß, dann soll mir keine geringere Hand dazwischen kommen, auch soll weder mein Weib noch meine Tochter, denen ich im Glück Alles zugestehe, dann meinen Willen durchkreuzen. Es wird dir nicht entgangen sein, daß ich fast im Begriff war, dich als ein Zeichen meiner Aufrichtigkeit jenem schlichten Waräger zu geben, ohne nach Stamm und Geburt zu fragen. Du magst es hören, wenn ich dich nun bald an einen Bewohner dieses Gefängnisses verspreche, der Cäsar sein soll an des Briennius Statt, wenn er eine fürstliche Braut und eine kaiserliche Thronfolge gegen einen schlechten Kerker zu vertauschen nicht abgeneigt ist.«

»Ich zittere bei Euren Worten, Vater,« sagte Anna Comnena; »wie könnt Ihr einem Manne trauen, der Eure Grausamkeit gefühlt hat? – Wie könnt Ihr wähnen, daß Euch irgend etwas wirklich mit einem Manne versöhnen könne, den Ihr des Augenlichtes beraubt habt?«

»Sei unbesorgt,« sagte Alexius; »er soll mein werden, oder er soll nie mehr erfahren, was es ist, sich selbst angehören. – Und du bleibe davon überzeugt, daß du, wenn ich es will, morgen die Braut meines jetzigen Gefangenen bist, oder dich in das strengste Kloster zurückziehst, um nie mehr in der Welt zu erscheinen. Darum schweige, und füge dich in dein Schicksal, wie es auch sein mag, und hoffe nicht, daß du durch deine Bemühungen seinen Lauf hemmen kannst.«

Als er dies sonderbare Gespräch beendigt hatte, das seiner Tochter so ungewöhnlich vorkam, daß sie zitterte, ging er durch mehr als eine verschlossene Thüre, während seine Tochter wankenden Schrittes den dunklen Weg erleuchtete. Endlich erreichte er durch einen anderen Gang die Zelle, in welcher Ursel saß; er fand ihn in hoffnungsloser Trübsal: alle Hoffnung, die der Graf von Paris auf einige Zeit in ihm erweckt hatte, war wieder verwelkt. Er kehrte sein augenloses Gesicht nach der Gegend, woher sich das Knarren der Riegel und der Schall von Tritten vernehmen ließen.

»Ein neues Gesicht in meinem Kerker,« sagte er – »ein Mann kommt mit schwerem und entschiedenem Tritt und ein Weib oder ein Kind, das kaum den Boden berührt! – Bringt ihr mir den Tod? – O, glaubt mir, ich habe lange genug in diesem Kerker gelebt, um den Tod willkommen zu heißen.«

»Man will nicht deinen Tod, edler Ursel,« sagte der Kaiser mit etwas verstellter Stimme. »Leben, Freiheit, Alles, was die Welt geben kann, legt Kaiser Alexius seinem edlen Feinde zu Füßen mit der festen Zuversicht, daß Jahre des Glückes und der Macht denselben bald das Blachernägefängniß aus dem Andenken tilgen werden.«

»Es kann nicht sein,« sagte Ursel mit einem Seufzer. »Derjenige, für dessen Augen die Sonne um Mittag untergegangen ist, hat selbst von der günstigsten Veränderung der Umstände nichts mehr zu erwarten.«

»Das könnt Ihr nicht mit Bestimmtheit behaupten,« sagte der Kaiser; »vergönnt uns, Euch zu überzeugen, daß unsere Gesinnungen gegen Euch gut und freundlich sind, und ich hoffe, daß Ihr Eure Lage bald für verbesserlicher halten werdet, als Ihr es jetzt zu glauben scheint. Macht einmal die Probe, und versucht, ob Eure Augen etwas von dem Lampenlicht gewahren.«

»Thut mit mir nach Eurem Gefallen,« sagte Ursel; »ich habe weder die Kraft des Körpers noch die des Geistes, Euch zu widerstreben. Ich sehe einen Schein; aber ich weiß nicht, ob es Täuschung ist oder Wirklichkeit. Wenn Ihr gekommen seid, mich Lebendigbegrabenen zu befreien, so möge Gott es Euch lohnen; aber wenn Ihr mir unter einem trügerischen Vorwand das Leben zu nehmen trachtet, so empfehle ich meine Seele dem Himmel und die Rache meines Todes Dem, der das tiefste Dunkel durchschaut, in welchem sich Ungerechtigkeit verbirgt.«

Nachdem er dies gesagt hatte, verfiel er in eine Abspannung, worin er kein Lebenszeichen mehr geben konnte; er sank auf seinen Sitz zurück, und sprach kein Wort, während ihn Alexius von den Banden befreite, die er so lang getragen hatte, daß sie ein Theil von ihm zu sein schienen.

»Das ist eine Arbeit, zu welcher dein Beistand nicht ausreicht, Anna,« sagte der Kaiser; »es wäre gut gewesen, wenn wir Beide ihn an die frische Luft hätten tragen können: denn es ist nicht klug, die Geheimnisse dieses Gefängnisses Leuten zu offenbaren, die nichts von denselben wissen; indeß gehe, mein Kind, nicht weit von der Treppe, die wir heruntergestiegen sind, wirst du Edward, den wackeren und treuen Waräger finden; befiehl ihm hierherzukommen, um mir beizustehen, und schicke mir auch Douban, den erfahrnen Arzt.«

Die Prinzessin, die von Angst und Schrecken erfüllt war, fühlte sich durch den sanfteren Ton, in dem ihr Vater zu ihr redete, etwas beruhigt. Mit wankenden Schritten, doch etwas ermuthigt durch den Inhalt des erhaltenen Auftrags, stieg sie die Treppe, die zu den unterirdischen Kerkern führte, hinauf. Als sie die Höhe derselben erreicht hatte, bemerkte sie an der Thüre der Halle eine große, kräftige Gestalt. Von Abscheu erfüllt bei dem Gedanken, das Weib eines so ekelhaften Geschöpfes, wie Ursel, zu werden, wurde der Geist der Prinzessin einen Augenblick von Schwäche überwältigt, und als sie die traurige Wahl bedachte, die ihr ihr Vater gelassen hatte, konnte sie sich nicht enthalten, den schönen und tapferen Waräger, der die kaiserliche Familie bereits aus einer großen Gefahr gerettet hatte, als eine zu einer ehelichen Verbindung, wenn sie durchaus eine zweite Wahl treffen müsse, geeignetere Person anzusehen, als das seltsame, widerstehliche Geschöpf, das die Politik ihres Vaters in der Tiefe des Blachernägefängnisses aufraffte.

Die arme Anna Comnena, die ein schüchternes, aber kein kaltsinniges Weib war, würde an so etwas nicht gedacht haben, wenn nicht das Leben ihres Gemahls, Nicephorus Briennius, in der größten Gefahr geschwebt hätte; der Entschluß des Kaisers war offenbar der, das Leben desselben nur unter der Bedingung zu schonen, daß seine Tochter von ihm getrennt und einem Manne verbunden würde, der sich als ein getreuer Schwiegersohn zu erweisen wünsche. Auch dachte die Prinzessin gar nicht mit Bestimmtheit daran, den Waräger zu ihrem zweiten Gemahl zu erwählen. Sie schwebte in dringender Gefahr, aus welcher sie sich nur durch einen schnellen Schritt retten konnte, und war dieser einmal gethan, so mochte die Prinzessin wohl Gelegenheit finden, sich von Ursel und dem Waräger zugleich zu befreien, ohne den Beistand derselben für ihren Vater und sich selbst auf's Spiel zu setzen. Das sicherste Rettungsmittel war jedenfalls, den jungen Krieger zu gewinnen, dessen Gesicht und Gestalt von der Art waren, daß ein solcher Umstand einem schönen Weib nicht unangenehm sein konnte. Eroberungspläne sind dem schönen Geschlecht so natürlich, daß Anna Comnena, der dieser Plan beim Anblick des Kriegers erst gekommen war, sich davon schon ganz erfüllt fühlte, als der Waräger, über ihr plötzliches Erscheinen auf der Acherontreppe höchlichst erstaunt, sich tief verbeugte, niederkniete und ihr den Arm lieh, um ihr aus der fürchterlichen Treppe herauszuhelfen.

»Theuerster Hereward,« sagte die Prinzessin mit einer ungewöhnlichen Vertraulichkeit, »wie sehr freut es mich, mich in dieser Schreckensnacht in deinen Schutz zu begeben! Ich bin an Orten gewesen, die der Geist der Hölle für die Menschen eingerichtet zu haben scheint.« Die ängstliche Verwirrung, worin sich die schöne Prinzessin befand, als sie, der geängstigten Taube vergleichbar, Schutz an der Brust des Starken und Tapferen suchte, muß die zärtliche Anrede entschuldigen, womit sie Hereward grüßte; auch würde die Tochter des Kaisers, wenn der Krieger aus dem nämlichen Ton hätte antworten wollen, was bei seiner Treuherzigkeit wohl der Fall gewesen sein würde, wenn er seine Bertha nicht wiedergefunden gehabt hätte, darüber in Wahrheit nicht unversöhnlich beleidigt gewesen sein. Erschöpft, wie sie war, lehnte sie sich an die Brust und Schulter des Angelsachsen; auch machte sie keinen Versuch, sich zu ermannen, wiewohl ihr ihr Geschlecht und Stand eine solche Anstrengung empfahlen. Hereward fragte sie mit dem kalten und ehrerbietigen Ausdruck eines schlichten Soldaten, ob er ihre Dienerinnen rufen solle, worauf sie mit einem schwachen Nein antwortete. »Nein, nein,« sagte sie, »ich habe etwas für meinen Vater zu thun, und ich darf keine Augenzeugen herbeirufen; – er weiß mich in Sicherheit, Hereward, denn er weiß, daß ich bei dir bin; und wenn ich dich durch meine Schwäche belästige, so setze mich auf diese Marmorstufen nieder – ich werde mich bald erholen.«

»Verhüt's der Himmel, Prinzessin,« sagte Hereward, »daß ich es mit Eurer Hoheit Gesundheit so leicht nehmen sollte! Ich sehe Eure Fräulein, Astarte und Violante, die Euch suchen. – Erlaubt, daß ich sie herbeirufe, und ich will Euch bewachen, wenn Ihr unfähig sein solltet, Euch nach Eurem Gemach zurückzuziehen, wo sich diese Nervenaufregung bald geben würde.«

»Thu', was dir gefällt, Fremdling,« sagte die Prinzessin, sich fassend, mit einer gewissen Verdrossenheit, die vielleicht daher rührte, weil sie die Anwesenheit von mehr als zwei Personen bei dem gegenwärtigen Auftritt für überflüssig hielt. Darauf, als wenn ihr der Auftrag ihres Vaters plötzlich wieder einfiele, befahl sie dem Waräger, sich alsbald zu dem Kaiser zu begeben.

Bei dergleichen Auftritten haben die geringfügigsten Umstände ihren Einfluß auf die handelnden Personen. Der Angelsachse merkte, daß die Prinzessin über etwas verdrossen war, wiewohl es ihn nicht kümmerte, ob sie es darum wäre, weil sie sich in seinen Armen befände, oder darum, weil die beiden Mädchen Zeugen dieses Auftritts wurden; er stieg also zu den düsteren Gewölben hinunter, seine nie fehlende, doppelt geschliffene, manchem Türken verderbliche Streitaxt auf der Schulter tragend.

Astarte und ihre Begleiterin waren von der Kaiserin Irene abgeschickt worden, um Anna Comnena in allen Gemächern zu suchen, in denen sie sich gewöhnlich aufhielt. Die Prinzessin war nirgends zu finden, und doch war die Angelegenheit, um derentwillen sie die Kaiserin suchen ließ, sehr dringend. Da aber in einem Pallast nichts ganz unbemerkt geschieht, so erfuhren die Bötinnen der Kaiserin endlich, daß man ihre Herrin und den Kaiser zu den düsteren Kerkern hinuntersteigen gesehen hätte, die man mit Anspielung auf die heidnische Unterwelt die Tiefe des Acheron nannte. Sie kamen also hierher, und wir haben bereits erzählt, was weiter geschah. Hereward glaubte sagen zu müssen, daß die Prinzessin, als sie an die obere Luft gekommen, ohnmächtig geworden wäre. Anna Comnena ihrerseits trennte sich schnell von ihren jungen Dienerinnen, und erklärte sich bereit, nach dem Gemach ihrer Mutter zu gehen. Die Verbeugung, die sie beim Weggehen gegen Hereward machte, war etwas hochfahrend, doch von einem freundlichen Blick der Achtung gemildert. Als sie durch ein Gemach kam, in welchem verschiedene kaiserliche Sklaven warteten, wandte sie sich an einen derselben, einen ehrwürdigen, arzneigelehrten Alten, und befahl ihm, sich mit seinem Säbel zu dem Kaiser zu verfügen, den er unten an der Acheronstreppe finden würde. Wie gewöhnlich war Hören gehorchen, und Douban, so hieß der Alte, kündigte durch diese Worte seine unverzügliche Bereitwilligkeit an. Anna Comnena aber eilte nach den Gemächern ihrer Mutter, und fand daselbst die Kaiserin.

»Geht hinaus, ihr Mädchen,« sagte Irene, »und du läßst Niemand herein, auch wenn der Kaiser es beföhle. Mach' die Thüre zu, Anna; wenn uns die Eifersucht der Männer Schloß und Riegel versagt, unsere Gemächer zu verschließen, bedienen wir uns anderer Mittel, die uns zu Gebot stehen, um diesen Zweck zu erreichen; und bedenke, Prinzessin, daß, wie sehr du deinem Vater verpflichtet sein magst, du es mir nicht weniger bist: denn du bist von dem nämlichen Geschlecht wie ich, und ich kann dich buchstäblich Blut von meinem Blut und Bein von meinem Bein nennen. – Sei versichert, dein Vater kennt nicht das Gefühl eines Weibes. Weder er noch sonst ein Mann begreift die Pein eines Herzens, das in einem weiblichen Busen schlägt. Diese Männer, Anna, zerreißen ohne Bedenken die zartesten Bande des Herzens, von denen des Weibes Sorge, Freude, Pein, Liebe, Verzweiflung abhängen. Darum vertraue mir, meine Tochter, und glaube mir, ich will deines Vaters Krone und dein Glück zugleich retten. Das Betragen deines Gemahls war schlecht, im höchsten Grade schlecht; aber, Anna, er ist ein Mann – und indem ich ihn so nenne, lege ich ohne gedankenlosen Verrath, leichtfertige Untreue, und jede Art von Thorheit und Unbeständigkeit als natürliche Schwächen bei. Du darfst also an diese Fehler nicht denken, es sei denn, um sie zu verzeihen.«

»Mutter,« sagte Anna Comnena, »verzeiht mir, wenn ich Euch erinnere, daß Ihr einer Prinzessin, die im Purpur geboren wurde, ein Betragen vorschreibt, das selbst einem Weibe nicht geziemen würde, das mit dem Wasserkrug zum Brunnen des Dorfes geht. Alle, die in meiner Nähe sind, huldigen meiner hohen Geburt, und als dieser Nicephorus Briennius auf den Knieen nach der Hand Eurer Tochter kroch, die Ihr ihm darreichtet, suchte er eher das Joch einer Herrin als die Freundschaft einer Hausfrau. Er hat seine Strafe verdient, ohne daß er sich durch Versuchung entschuldigen könnte, wie geringere Verbrecher seiner Art; und wenn es der Wille meines Vaters ist, daß er sterbe, oder Verbannung oder Gefängniß für sein begangenes Verbrechen erleide, so wird Anna Comnena nichts dagegen einzuwenden haben: ich bin am meisten beleidigt von ihm, und habe das größte Recht, mich über seine Falschheit zu beklagen.«

»Tochter,« sagte die Kaiserin, »ich bin insofern mit dir einverstanden, daß der Verrath des Nicephorus gegen deinen Vater und mich ganz unverzeihlich ist, und daß sein Leben nur aus Gnade geschont werden kann. Aber du stehst zu ihm in einem ganz anderen Verhältniß als ich, und als ein zärtlich liebendes Weib wird dich der frühere vertraute Umgang oft an das blutige Ende des Verbrechers erinnern. Seine Gestalt und sein Gesicht, lebendig oder todt, sind der Art, daß Frauen sich leicht daran erinnern. Bedenke, was es dich kosten wird, wenn du erwägst, daß der mürrische Scharfrichter seinen letzten Gruß empfing, – daß sein schöngeformter Hals keine bessere Stütze hatte, als den rauhen Block, – daß die Zunge, deren Stimme du der schönsten Musik vorzogst, nun im Staube schweigt!«

Anna, die für die Schönheit ihres Gemahls nicht unempfindlich war, ward durch diese kräftige Erinnerung sehr ergriffen. »Warum mich so betrüben, Mutter?« versetzte sie in einem weinerlichen Tone. »Ich fühlte das so gut als Ihr; aber dennoch würde ich diesen schrecklichen Augenblick leicht ertragen. Ich hätte bloß seine körperlichen Eigenschaften mit denen seines Geistes zu vergleichen, von denen jene durch diese völlig aufgehoben werden, um mich wegen seines verdienten Schicksals ganz in den Willen meines Vaters zu ergeben.«

»Um dich durch seinen bloßen Willen,« sagte die Kaiserin, »mit irgend einem gemeinen Kerl verbinden zu lassen, der durch seine glücklichen Ränke dem Kaiser wichtig geworden ist, und darum mit der Hand der Anna Comnena belohnt werden soll.«

»Denkt nicht so gering von mir, Mutter,« sagte, die Prinzessin – »ich weiß so gut, als es je eine Griechin wußte, wie ich mich von Schmach zu retten habe; und Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß Ihr wegen Eurer Tochter nie erröthen sollt.«

»Sage mir das nicht,« versetzte die Kaiserin; »denn ich werde gleich sehr über die Grausamkeit erröthen, die einen geliebten Gemahl dem schimpflichsten Tode überläßt, als über die Neigung, für die ich keinen Namen habe, die die Stelle des Geopferten einem unbekannten Barbaren aus dem entlegensten Thule oder irgend einem Tropf einräumt, der den Blachernäkerkern entschlüpft ist.«

Die Prinzessin war erstaunt, ihre Mutter mit den geheimsten Plänen vertraut zu sehen, die ihr Vater in der gegenwärtigen Verlegenheit befolgen wollte. Sie wußte nicht, daß Alexius und seine Gemahlin, deren Zusammenleben selbst für Personen ihres Rangs in vielen Dingen musterhaft war, zuweilen bei wichtigen Gelegenheiten Familienkriege führten, wobei der Gemahl, durch das scheinbare Mißtrauen der Gemahlin gereizt, mehr von seinen Plänen verrieth, als er bei kaltem Blut gethan haben würde.

Die Prinzessin war ergriffen von der Vorstellung des Todes ihres Gemahls, auch konnte dies wohl nicht anders sein; noch mehr aber war sie darüber betroffen, daß ihre Mutter es für gewiß annahm, daß sie dem Cäsar bereits einen noch ungewissen, jedenfalls aber unwürdigen Nachfolger bestimmt habe. Was sie auch veranlaßt haben mochte, Hereward den Vorzug zu geben, diese Wahl erschien ihr jetzt in einem gehässigen Licht, zumal da Frauen, was wohl zu bemerken ist, ihre ersten Empfindungen zu Gunsten eines Freiers immer gern verhehlen, und sie nur dann offenbaren, wenn Zeit und Umstände dazu einladen. Voll Eifer rief sie also den Himmel zum Zeugen, um den Vorwurf von sich zu weisen.

»Unsere liebe Frau, die Königin des Himmels, bezeuge mir –« sagte sie; »die Heiligen und Märtyrer, und alle seligen Geister, die mehr, als wir es selbst thun, unsere Herzensreinheit bewahren, sollen mir bezeugen, daß ich keine Neigung kenne, die ich nicht eingestehen darf, und daß, wenn des Nicephorus Leben bei Gott und Menschen von mir abhinge, ich mit Verachtung alles Unrechts, das er mir gethan hat, ihm ein so langes Leben gönnen würde, wie es jener Mann Gottes lebte, der, ohne den Stachel des Todes zu fühlen, von der Erde weggenommen ward!«

»Du hast kühn geschworen,« sagte die Kaiserin. »Sieh' zu, Anna Comnena, daß du dein Wort hältst: denn es bindet dich.«

»Wie so bindet es mich, Mutter?« sagte die Prinzessin; »kann ich dem Cäsar, der meiner Macht nicht unterworfen ist, das Urtheil sprechen?«

»Ich will dir's zeigen,« sagte die Kaiserin ernst; und, nachdem sie die Prinzessin zu einem Kleidercabinet geführt hatte, das von einer Vertiefung der Wand gebildet war, zog sie den Vorhang davon weg, und der unglückliche Nicephorus Briennius stand halb angekleidet und mit gezogenem Schwerte da.

Die Prinzessin, die ihn als einen Feind ansah, that einen ängstlichen Schrei, als sie ihn so nah und mit einer Waffe in der Hand erblickte.

»Fasse dich,« sagte die Kaiserin, »oder dieser unglückliche Mann wird das Opfer deiner Furcht, wenn nicht deiner Rache.«

Diese Rede schien Nicephorus als sein Stichwort zu betrachten: er senkte sein Schwert, fiel auf die Kniee, und rang die Hände, um von der Prinzessin Verzeihung zu erflehen.

»Was verlangst du von mir?« sagte seine Gemahlin, welche bei seiner demüthigen Haltung ihre Fassung natürlich wieder gewonnen hatte – »was kannst du von mir verlangen, wenn beleidigte Dankbarkeit, betrogene Liebe, gebrochene Schwüre und zerrissene Liebesbande dich vor Scham verstummen lassen?«

»Glaube nicht, Anna,« versetzte der Flehende, »daß ich in diesem wichtigen Augenblicke den Heuchler spielen möchte, um den elenden Rest eines geschändeten Lebens zu retten. Ich wünsche nur, versöhnt von dir zu scheiden, meinen Frieden mit dem Himmel zu machen, und die Hoffnung zu gewinnen, daß mich, wiewohl mich manches Verbrechen belastet, meinen Weg zu jenen Gefilden finden möge, wo ich deine Schönheit und deine Gaben allein wieder antreffen kann.«

»Hörst du, Tochter?« sagte Irene; »er will nur Verzeihung; desto gottähnlicher kannst du handeln, da du zu der Vergebung seiner Fehler die Gewährung seines Lebens fügen kannst.«

»Ihr irrt, Mutter,« antwortete Anna. »Mir steht es nicht zu, ihm seine Schuld zu verzeihen, noch weniger, ihm seine Strafe zu erlassen. Ihr habt mich gelehrt, so zu sein, wie ich der Nachwelt erscheinen möchte; was würde sie von mir sagen, wenn ich als Tochter kaltsinnig genug wäre, Dem zu verzeihen, der meinen Vater morden wollte, weil ich in ihm meinen treulosen Gatten erblickte?«

»Sieh' da,« sagte der Cäsar, »o gnädigste Kaiserin, hab' ich nicht allen Grund zu verzweifeln? hab' ich nicht umsonst mein Herzblut angeboten, den Flecken des Vatermords und der Undankbarkeit zu vertilgen? hab' ich mich nicht gerechtfertigt von der unverzeihlichsten Beschuldigung, den Mord des frommen Kaisers gewollt zu haben? Hab' ich nicht bei Allem, was heilig ist, geschworen, daß mein Plan nicht weiter ging, als den Kaiser auf einige Zeit der Regierungssorgen zu überheben, und ihn an einen Ort der Erholung und des Stilllebens zu versetzen, während die Geschäfte in seinem Namen und durch meine Vermittlung ihren gewöhnlichen Gang gehen sollten?"

»Thor!« sagte die Prinzessin, »hast du dich dem Schemel des Alexius Comnenus so sehr nahen, und doch von ihm glauben können, daß er sich zur Puppe hergeben würde, damit du sein Reich dir unterwerfen möchtest? Wisse, daß das Blut des Comnenus so arm nicht ist; mein Vater würde dem Verrath mit den Waffen widerstanden haben; und nur durch den Tod deines Wohlthäters hättest du deinen verbrecherischen Ehrgeiz befriedigen können.«

»So glaube es denn,« sagte der Cäsar; »ich habe genug für mein Leben gesprochen, das mir weder theuer ist noch theuer sein kann. Ruft eure Wachen, und laßt sie das Leben des unglücklichen Briennius nehmen, da dies Leben seiner ehemaligen Geliebten verhaßt geworden ist. Fürchte nicht, daß mein Widerstand meine Gefangennehmung unsicher oder blutig machen könnte. Nicephorus Briennius ist nicht länger Cäsar, und er legt hier zu den Füßen seiner fürstlichen Gemahlin die einzigen Vertheidigungsmittel nieder, die ihm noch zu Gebote stehen.«

Er warf sein Schwert der Prinzessin zu Füßen, während Irene mit wahren oder verstellten Thränen ausrief: »Ich habe zwar solche Auftritte gelesen, aber nie hätte ich geglaubt, daß meine Tochter als Hauptperson dabei handeln könnte – hätte ich je glauben sollen, daß ihr Geist, den Jedermann als einen Pallast der Musen bewunderte, nicht Raum haben sollte für die bescheidneren, aber liebenswürdigeren weiblichen Tugenden der Gnade und Barmherzigkeit, die selbst in dem Busen der niedrigsten Magd ein Plätzchen finden? Haben Fähigkeiten und Gaben deinem Herzen eben so viel Härte gegeben als Glätte? O, wenn das ist, so entsage jeder Bildung, und behalte in deinem Busen nur die bescheidenen, häuslichen Tugenden, die das Herz des Weibes am meisten zieren. Ein hartherziges Weib ist das größte Ungeheuer, das am meisten gegen alle Weiblichkeit verstößt.«

»Was wollt Ihr, daß ich thun soll?« sagte Anna; »Ihr, Mutter, solltet es besser wissen als ich, daß sich das Leben meines Vaters mit dem dieses verwegenen Verbrechers nicht verträgt. O, ich bin davon überzeugt, daß er noch immer an seine Verschwörung denkt! Er, der ein Weib betrügen konnte, wie er es gethan hat, wird von dem Mord seines Wohlthäters nicht abstehen.«

»Du thust mir Unrecht, Anna,« sagte Briennius, aufspringend und ihr, ehe sie sich's versah, einen Kuß auf die Lippen drückend. »Bei diesem Kuß, dem letzten, den du von mir erhältst, schwöre ich dir, daß ich mich, wiewohl ich der Thorheiten viele in meinem Leben begangen, doch nie des Verraths an einem Weibe schuldig gemacht habe, das die Uebrigen seines Geschlechts an Geist und Bildung, wie an Schönheit des Leibes übertrifft.«

Die Prinzessin, um Vieles besänftigter, schüttelte den Kopf und versetzte: »O Nicephorus! – das waren einst deine Worte! das waren vielleicht auch deine Gedanken! Aber wer oder was soll mir nun die Wahrheit derselben verbürgen?«

»Gerade diese deine Gaben und deine Schönheit,« versetzte Nicephorus.

»Und wenn das nicht genug ist,« sagte Irene, »so verbürgt sich deine Mutter für ihn. Halte meine Bürgschaft in dieser Sache nicht, für gering; als deine Mutter, als das Weib von Alexius Comnenus bin ich mehr als Alle an seinem und deinem Glück und Wohl betheiligt, und ich sehe hier eine Gelegenheit, die Zerwürfnisse in der kaiserlichen Familie zu versöhnen, und die Regierung auf einen Grund zu befestigen, daß sie, wenn Treue und Dankbarkeit bei den Menschen dauern, keinem Unfall mehr ausgesetzt sein soll.«

»So wollen wir denn diese Treue und Dankbarkeit fest erwarten,« sagte die Prinzessin, »da es unserer Mutter Wille ist, obwohl mich Wissenschaft und Erfahrung gelehrt haben, in diesem Stück nicht zu voreilig zu sein. Doch wiewohl wir Beide die Fehler des Nicephorus verzeihen, so hängt es am Ende immer nur von dem Kaiser ab, zu begnadigen und zu vergessen.«

»Fürchte Alexius nicht,« antwortete die Kaiserin; »er wird scharf und streng sprechen; doch wenn er nicht in dem Augenblick, wo er redet, auch handelt, so ist sein Wort nicht mehr als ein Eiszapfen bei Thauwetter. Sage mir, wenn du kannst, was der Kaiser gegenwärtig schafft, und ich verspreche dir, daß ich ihn zu unserer Meinung bekehre.«

»Sollte ich die Geheimnisse verrathen, die mir mein Vater anvertraut hat?« sagte die Prinzessin; »und nun gar vor Einem, der noch eben erst sein Feind war?«

»Nenne es nicht verrathen,« sagte Irene, »denn es steht geschrieben, du sollst Niemand verrathen, am wenigsten deinen Vater und den Vater des Landes. Doch der heilige Lukas schreibt ebenfalls, daß die Menschen verrathen werden sollen durch Aeltern und Geschwister, Verwandte und Freunde, folglich gewiß auch durch Töchter; darunter verstehe ich aber nur, daß du uns so viel von den Geheimnissen deines Vaters offenbaren sollst, als wir brauchen, um das Leben deines Gemahls zu retten. Der Nothfall entschuldigt das, wenn es nicht ganz in der Ordnung ist.«

»So sei es denn, Mutter. Da ich einmal, vielleicht zu voreilig, eingewilligt habe, diesen Verbrecher dem Rächerarm meines Vaters zu entziehen, so muß ich wohl alle möglichen Mittel zu seiner Erhaltung aufbieten. Ich ließ meinen Vater unten an der Treppe, die man die Tiefe des Acheron nennt, in dem Kerker eines blinden Mannes, den er Ursel nannte.«

»Heilige Jungfrau!« rief die Kaiserin aus, »du hast einen Namen genannt, den man lange nicht gehört hat.«

»Hat die Furcht vor den Lebendigen den Kaiser verleitet, die Todten zu beschwören?« sagte der Cäsar – »denn Ursel gehört seit drei Jahren nicht mehr zu den Lebendigen.«

»Genug, ich rede die Wahrheit,« sagte Anna Comnena. »Mein Vater bespricht sich in diesem Augenblick mit einem erbarmenswürdigen Gefangenen, den er so nannte.«

»Das vergrößert die Gefahr,« sagte der Cäsar; »er kann es nicht vergessen haben, mit welchem Eifer ich die Partei des jetzigen Kaisers gegen ihn nahm, und sobald er in Freiheit sein wird, wird er sich dafür zu rächen suchen. Diesem Umstand müssen wir zu begegnen suchen, wiewohl es schwierig ist. – Darum setzt Euch, liebe gütige Mutter, und du, mein Weib, das die Liebe zu einem unwürdigen Gemahl der Eifersucht und Rache vorzog, setze dich auch, und laßt uns sehen, was wir für Mittel finden, unser beschädigtes Schiff glücklich in den Hafen zu bringen, ohne unsere Pflicht gegen den Kaiser zu verletzen.«

Mit vielem Anstand führte er Mutter und Tochter zu ihren Sitzen, und nachdem er vertraulich zwischen Beiden Platz genommen hatte, beriethen sie die Maßregeln, die für morgen ergriffen werden sollten, um das Leben des Cäsars zu retten, und zugleich das griechische Reich gegen die Verschwörung zu sichern, von der er der Haupturheber gewesen war. Briennius meinte, daß es vielleicht am besten sein würde, die Verschwörung ihren Gang gehen zu lassen, indem er sein Wort gab, daß die Rechte des Kaisers während der Verwirrung unverletzt bleiben sollten; aber die Kaiserin und ihre Tochter wollten ihm kein so großes Vertrauen schenken. Sie verboten ihm, den Pallast zu verlassen, und den geringsten Antheil an den Unordnungen zu nehmen, deren Ausbruch auf morgen bestimmt war.

»Ihr vergeßt, edle Damen,« sagte der Cäsar, »daß ich bei meiner Ehre verpflichtet bin, mit dem Grafen von Paris zu kämpfen.«

»Ei was! schwatze mir da von Ehre, Briennius,« sagte Anna Comnena; »weiß ich etwa nicht, daß diese Ehre, dieser fleischfressende und bluttrinkende Götze der abendländischen Krieger, wiewohl er in der Halle lärmt und brüllt, weit weniger unversöhnlich auf dem Kampfplatz ist? Ich habe dir nicht darum große Beleidigungen verziehen, um mich mit einer solchen falschen Münze, wie Ehre ist, bezahlen zu lassen. Du müßtest sehr arm an Witz sein, wenn du keine annehmbare Entschuldigung ersinnen könntest; und in allem Ernst, Briennius, aus diesem Kampfe wird nichts. Ich leide es nicht, daß du dich dem Grafen oder der Gräfin zu Feindseligkeiten oder Freundseligkeiten stellest. Und du bleibst so lange hier als Gefangener, bis die für diese Narrensposse bestimmte Stunde vorüber ist.«

Der Cäsar war vielleicht in seinem Herzen nicht verdrossen, daß sich sein Weib so fest und streng gegen den anberaumten Kampf erklärte. »Wenn du meine Ehre unter deine Vormundschaft nimmst,« sagte er, »so kann ich, da ich hier dein Gefangener bin, für jetzt nichts dagegen machen. Wann ich wieder frei sein werde, dann wird mir auch meine Tapferkeit und meine Lanze wieder zu Gebot stehen.«

»Amen, Herr Paladin,« sagte die Prinzessin mit Ruhe. »Ich hoffe, daß Ihr nie etwas mit diesen Wagehälsen von Paris, männlichen oder weiblichen Geschlechts, zu schaffen haben sollt, und wenn sich Euer Muth zu hoch verfliegt, so wollen wir seinen Flug regeln mit Hülfe der griechischen Philosophie und U. l. F. von der Barmherzigkeit statt der von den gebrochenen Lanzen.«

In diesem Augenblick unterbrach ein starkes Klopfen an der Thüre die Berathung des Cäsars und der Damen.



 << zurück weiter >>