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Elftes Kapitel.

Auf morgen – o, 's ist schnell! Schon' ihn, schon' ihn;
Er kann nicht sterben jetzt.

Shakespeare.

In dem Augenblicke, wo Achilles Tatius in großer Unruhe der Entwicklung der Staatsereignisse entgegensah, ward ein geheimer kaiserlicher Familienrath in der Halle des Musentempels gehalten, den wir aus den Vorlesungen der Prinzessin Anna Comnena kennen. Der Rath bestand aus der Kaiserin, der Prinzessin und dem Kaiser; der Patriarch der griechischen Kirche war zugegen, um den Weg der Strenge und einer gefährlichen Nachsicht mit einander zu vermitteln.

»Sprich mir nicht von Gnade, Irene,« sagte der Kaiser. »Habe ich nicht meiner Rache an meinem Nebenbuhler Ursel entsagt, und was habe ich dadurch gewonnen? Der alte, halsstarrige Mann, statt sich lenksam und erkenntlich zu bezeigen für die Schonung seines Lebens und Augenlichts, kann nur mit Mühe dahin gebracht werden, sich zu Gunsten eines Fürsten zu erklären, dem er so viel verdankt. Ich glaubte bisher, das Augenlicht und der Lebensathem wären Dinge, für die man Alles zum Opfer bringen würde; doch nun sehe ich, daß sie eitlem Tand gleichgeschätzt werden. Darum sprich mir nicht von Dankbarkeit, die ich diesem unerkenntlichen Buben einflößen würde, wenn ich ihn schone; und glaube mir, Tochter,« hier wandte er sich an Anna, »wenn ich eurem Rathe folgte, so würden nicht nur alle meine Unterthanen darüber lachen, daß ich einen Mann schonte, der mit so viel Eifer an meinem Verderben arbeitete, sondern du selbst würdest die Erste sein, mir die thörichte Nachsicht vorzuwerfen, die du mir nun abpressen willst.«

»Euer kaiserlicher Wille ist es also,« sagte der Patriarch, »daß Euer unglücklicher Schwiegersohn den Tod erleide für seinen Antheil an der Verschwörung, zu welcher ihn der heidnische Bösewicht Agelastes und der verrätherische Achilles Tatius verführten?«

»Das ist mein Wille,« sagte der Kaiser; »und zum Beweis, daß ich nicht gesonnen bin, das Urtheil nur zum Schein vollstrecken zu lassen, wie bei Ursel, so soll der undankbare Verräther von der Acheronstreppe durch die große Richthalle gebracht werden, an deren oberem Ende sich der Richtplatz befindet, bei dem ich schwöre« –

»Schwöre nicht!« sagte der Patriarch; »ich verbiete dir im Namen des Himmels, dessen Stimme durch mein unwürdiges Ich redet, nicht das kleinste Fünkchen Hoffnung zu verlöschen, das dich endlich veranlassen mag, deinen Entschluß gegen deinen mißleiteten Schwiegersohn zu ändern, wenn er sich um deine Verzeihung bewirbt. Erinnere dich, ich bitte dich, der Reue Constantins.«

»Was meint Ew. Ehrwürden?« sagte Irene.

»Possen,« versetzte der Kaiser, »die nicht würdig sind in dem Mund eines Patriarchen gehört zu werden, da sie wahrscheinlich eine Reliquie aus dem Heidenthum sind.«

»Was ist es?« riefen die Frauen eifrig, in der Hoffnung, etwas zu hören, was ihrem Gesuch vortheilhaft wäre, und vielleicht auch ein wenig aus Neugier, die selbst dann nicht in einem weiblichen Busen schläft, wenn die stärkeren Leidenschaften erwacht sind.

»Der Patriarch soll's euch sagen,« antwortete Alexius, »da ihr darauf besteht; doch ich verspreche euch, das dumme Mährchen soll euch zu nichts nützen.«

»Hört es wenigstens,« sagte der Patriarch: »denn obgleich es eine alte Geschichte ist, die man sogar in heidnische Zeiten verlegt hat, so bleibt es gewiß, daß sie von einem Gelübde eines griechischen Kaisers spricht, das in der Kanzlei des gerechten Gottes aufgezeichnet worden ist. Was ich jetzt erzähle,« fuhr er fort, »ist wirklich nicht nur die Geschichte eines christlichen Kaisers, sondern des Kaisers, der das ganze Reich christlich gemacht hat, nämlich Constantins, der zuerst Constantinopel zur Hauptstadt des Reichs erklärte. Dieser durch seinen Religionseifer und seine Königsthaten ausgezeichnete Held wurde vom Himmel mit wiederholten Siegen und allen Segensgütern gekrönt, nur fehlte die Einigkeit in seiner Familie, nach welcher weise Männer so eifrig trachten. Nicht nur war der Segen brüderlicher Eintracht der Familie dieses siegreichen Kaisers verweigert, auch ein verdienstvoller Sohn reiferen Alters, von dem man geglaubt hatte, daß er die Regierung mit seinem Vater theilen würde, wurde plötzlich um Mitternacht vorgeladen, sich wegen Hochverraths zu vertheidigen. Ihr werdet es entschuldigen, wenn ich mich bei den Künsten nicht aufhalte, wodurch man den Sohn als schuldig in den Augen des Vaters darzustellen suchte. Es genüge zu sagen, daß der unglückliche, junge Mann als ein Opfer seiner Stiefmutter Fausta fiel, und daß er es verschmähte, sich gegen eine so grobe und falsche Beschuldigung zu vertheidigen. Man erzählt, daß der Zorn des Kaisers gegen seinen Sohn durch die Anhetzer genährt worden sei, die Constantin zu bemerken gaben, daß der Schuldige verschmähe, um Gnade zu bitten oder sich von einer so gehässigen Beschuldigung zu reinigen.

»Doch kaum hatte der Todesstreich den Unschuldigen getroffen, als sich der Vater von seiner Uebereilung überzeugte. Er war zu dieser Zeit gerade mit dem Ausbau des unteren Theils des Blachernäpallastes beschäftigt, und wollte ein Denkmal seines Schmerzes und seiner Reue hinterlassen. Oben an der Acheronstreppe ließ er die Gerichtshalle bauen. Eine gewölbte Thüre in der oberen Wand führte aus dieser Halle nach dem Ort der Pein, wo das Gerichtsbeil und andere Hinrichtungswerkzeuge für vornehme Staatsverbrecher aufbewahrt werden. Ueber dieser Bogenthüre ward ein kleiner Marmoraltar errichtet, über welchem das Bild des unglücklichen Crispus von Gold aufgestellt ward, mit der merkwürdigen Inschrift: Meinem Sohn, den ich voreilig verurtheilte und hinrichten ließ. Als Constantin diese Thüre erbaute, that er das Gelübde, daß er und seine Nachkommen bei dem Bilde des Crispus stehen sollten, wenn man einen von ihrer Familie zu Gericht führen würde, und daß der Angeklagte nicht eher von der Gerichtshalle nach der Kammer des Todes gebracht werden sollte, bis sie sich selbst von seiner Schuld vollständig überzeugt hätten.

»Die Zeit verging – Constantin ward fast den Heiligen gleich geachtet, und die Achtung, welche man seinem Andenken schenkte, machte diese Anekdote vergessen. Die Staatsbedürfnisse ließen es nicht zu, eine so große Summe in Gold auf einem Bilde haften zu lassen, das die Gewissensbisse eines so großen Mannes verewigte. Die Vorfahren Ew. kaiserlichen Hoheit verwandten das Metall dieser Statue für die Türkenkriege, und die Reue und Buße Constantins blieb nur noch eine dunkle Sage der Kirche und des Pallastes. Dennoch bleibt es meine Meinung, daß Ew. kaiserliche Majestät, wenn nicht wichtige Gründe zum Gegentheil rathen, dem Andenken seines größesten Vorfahren schwerlich Ehre erweiset, wenn dem unglücklichen Angeklagten, der ein so naher Verwandter von Euch ist, die Möglichkeit geraubt wird, sich am Altar der Zuflucht zu vertheidigen.«

Eine Trauermusik ward in diesem Augenblick von der oft erwähnten Treppe her gehört.

»Wenn ich den Cäsar Nicephorus Briennius hören muß, ehe er am Altar der Zuflucht vorbeikommt, so ist keine Zeit zu verlieren,« sagte der Kaiser; »denn diese traurigen Töne verkünden, daß er sich schon der Gerichtshalle nähert.«

Die beiden Frauen begannen augenblicklich, sich mit dem größten Eifer für den unglücklichen Cäsar zu verwenden, und den Kaiser bei seinem Familienglück und ihrer ewigen Dankbarkeit zu beschwören, auf ihre Bitten für den unglücklichen Mann zu hören, der verführt worden sei, aber nicht durch sein eigenes Herz.

»Ich will ihn wenigstens sehen,« sagte der Kaiser, »und das Gelübde Constantins soll für diesmal genau gehalten werden. Aber bedenkt, Thörinnen, die Lage des Crispus ist von der dieses Cäsars so verschieden, wie Schuld von Unschuld, folglich muß auch das Schicksal Beider eben so verschieden sein. Doch ich will den Verbrecher sehen; und du, Patriarch, magst zugegen sein, um dem Sterbenden beizustehen: ihr, Weib und Schwiegermutter des Verbrechers, werdet wohl thun, in die Kirche zu gehen, und für die Seele des Verstorbenen zu beten, statt ihn in den letzten Augenblicken durch eure Klagen zu stören.«

»Alexius,« sagte die Kaiserin Irene, »ich bitte dich, gib dich zufrieden; sei versichert, daß wir dich in dieser blutigen Laune nicht verlassen; du möchtest der Geschichte Stoff geben, der einem Nero angemessener wäre als einem Constantin.«

Der Kaiser ging, ohne Antwort zu geben, nach der Gerichtshalle voraus, wo ein helleres Licht als gewöhnlich die Acheronstreppe erleuchtete, von woher in düsteren Pausen die Bußpsalmen ertönten, die in der griechischen Kirche bei Hinrichtungen gesungen wurden. Zwanzig stumme Sclaven, deren weiße Turbane ihren welken Gesichtern und matten Augen ein widriges Ansehen gaben, stiegen paarweise wie aus den Eingeweiden der Erde herauf, in der einen Hand einen Säbel und in der anderen eine brennende Fackel haltend. Hinter diesen kam der unglückliche Nicephorus; er war halb todt vor Angst, und seine ganze Aufmerksamkeit war auf zwei schwarz gekleidete Mönche gerichtet, die ihm abwechselnd erbauliche Stellen aus der griechischen Bibel oder aus den kirchlichen Gebeten wiederholten. Seine Kleidung paßte zu seiner gegenwärtigen traurigen Lage: Arme und Beine waren nackt, und die weiße Tunica, welche den Nacken bloß ließ, zeigte, daß sie ihm zum Sterbekleid dienen sollte. Ein großer, starker, nubischer Sclave, der sich offenbar als die Hauptperson des Zuges betrachtete, und auf seiner Schulter ein großes, schweres Richtbeil trug, folgte dem Opfer Schritt für Schritt gleich dem Dämon, der einen Zauberer begleitet. Der Zug wurde von vier Priestern, die abwechselnd von Zeit zu Zeit Psalmen anstimmten, die bei solchen Gelegenheiten üblich waren, und von Sclaven, die mit Köchern, Bogen und Lanzen bewaffnet waren, um jeden etwaigen Befreiungsversuch zu verhindern, geschlossen.

Das Herz der unglücklichen Prinzessin hätte härter sein müssen, um das Fürchterliche und Peinliche dieser Anstalten zu ertragen, die gegen das Leben ihres jugendlichen Ehegemahls gerichtet waren. Als sich der düstere Zug dem Altar der Zuflucht näherte, warf der Kaiser, der gerade im Wege stand, einige in Weingeist getränkte Späne wohlriechenden Holzes in die Flamme des Altars, die aufflackernd auf einmal Alles erleuchtete – den Trauerzug, den Verurtheilten und die Sclaven, die, sobald sie zur Treppe heraufgestiegen waren, ihre Kerzen ausgelöscht hatten.

Das plötzliche Licht des Altars machte dem Trauerzuge, der durch die Halle schritt, den Kaiser und die Fürstinnen bemerkbar. Alle hielten – Alle schwiegen. Es war eine Begegnung, wie sich die Prinzessin in ihrer Geschichte ausdrückte, wie die zwischen Ulysses und den Schatten der Unterwelt, die, als sie das Blut seines Opfers getrunken hatten, ihn zwar erkannten, aber das schwache, klaglose Wesen der Schatten behielten. Auch die Bußgesänge schwiegen; und die einzige Gestalt, die aus der Gruppe hervorstach, war die des riesigen Scharfrichters, dessen hohe, gefurchte Stirn von der Flamme des Altars geröthet wurde, die sein glänzendes Beil wiederstrahlte. Alexius erkannte die Nothwendigkeit, das Schweigen zu brechen, um etwaigen weiteren Fürbitten für den Verurtheilten zuvorzukommen.

»Nicephorus Briennius,« sagte er mit einer Stimme, die, wiewohl sie gewöhnlich etwas schwer war (weßwegen er auch von seinen Feinden der Stammler genannt wurde), doch bei wichtigen Gelegenheiten wie die gegenwärtige so wohl gemessen und gehalten war, daß man keinen organischen Fehler vermuthen konnte – »Nicephorus Briennius, ehemals Cäsar, das gerechte Urtheil ist gesprochen, daß dir als einem Verschwörer gegen das Leben deines rechtmäßigen Herrn und zärtlichen Vaters der Kopf vom Rumpfe gehauen werde. Ich zeige mich dir darum hier, an dem Altar der Zuflucht, gemäß dem Gelübde des unsterblichen Constantins, um dich zu fragen, ob du gegen dies Urtheil etwas vorzubringen hast? Deine Zunge hat alle Freiheit, für dein Leben zu reden. Alles ist bereit für diesseits und jenseits. Sieh' vor dich durch die Bogenthüre – der Block ist bereit. Sieh' hinter dich, das Beil ist geschliffen – dein guter oder böser Platz in der anderen Welt ist bestimmt – die Zeit flieht – die Ewigkeit naht. Hast du was zu sagen, sprich offen – hast du nichts, so nenne dein Urtheil gerecht, und geh' hin zum Tod.«

Der Kaiser begann seine Rede mit Blicken, die, wie seine Tochter sagt, gleich Blitzen durchdringend waren, und wenn auch seine Perioden nicht gerade der glühenden Lava glichen, so waren sie doch der Ausdruck eines Mannes, der die Allgewalt der Macht hatte, und so machte die Rede nicht nur auf den Verurtheilten Eindruck, sondern auf den Fürsten selbst, dessen schwimmende Augen und zitternde Stimme zeigten, daß er sich von der Wichtigkeit des Augenblicks durchdrungen fühlte. Nachdem sich der Kaiser gefaßt hatte, fragte er den Gefangenen nochmals, ob er nichts zu seiner Vertheidigung vorzubringen habe.

Nicephorus war keiner von jenen verhärteten Verbrechern, die wegen ihrer Kälte, mit der sie ihre Verbrechen und ihre oder Anderer Bestrafung betrachteten, die Ungeheuer der Geschichte genannt werden können. »Ich bin verführt worden,« sagte er, auf die Kniee fallend, »und ich bin unterlegen. Ich habe keine Entschuldigung für meine Thorheit und Undankbarkeit, und ich bin bereit, meine Schuld mit dem Leben zu büßen.« Ein tiefer Seufzer, einem Schrei zu vergleichen, ward jetzt dicht hinter dem Kaiser gehört, und die Ursache desselben durch den plötzlichen Ausruf der Kaiserin erklärt: »Herr! Herr! deine Tochter ist hin!« Wirklich lag Anna Comnena starr und bewußtlos ihrer Mutter in den Armen. Der Vater eilte seinem ohnmächtigen Kind zu Hülfe, und der unglückliche Gemahl bestrebte sich, seinem Weibe beizustehen. »Laßt mir nur fünf Minuten von dem Leben, das dem Gesetz verfallen ist – laßt mich behülflich sein, ihr Leben zurückzurufen, das so lang währen soll, als es ihre Tugenden und Talente verdienen; und dann laßt mich zu ihren Füßen sterben, denn ich möchte keinen Schritt weiter gehen.«

Der Kaiser, der in der That über die Verwegenheit des Nicephorus mehr befremdet als über die Macht desselben beunruhigt war, betrachtete ihn mehr als einen Mann, der verführt war, und Andere verführt hatte, und war daher ganz von dieser Zusammenkunft ergriffen. Ueberdies war er von Natur nicht grausam, wenn er Augenzeuge von Grausamkeiten sein sollte.

»Der göttliche und unsterbliche Constantin,« sagte er, »hat gewiß seine Nachkommen diesem feierlichen Brauch nicht unterworfen, damit fernere Vertheidigungsgründe eines Verbrechers aufgefunden werden möchten, sondern damit eine Gelegenheit da sei, ein Verbrechen gnädigst zu verzeihen, das ohne ausdrückliche Vergebung von Seiten des Fürsten der Strafe nicht entgehen kann. Es freut mich, daß ich eher von der Weide als von der Eiche stamme, und ich bekenne meine Schwachheit, daß selbst die Sicherheit meines Lebens und mein Unwille gegen die Verrätherei dieses Unglücklichen mir nicht so beachtenswerth sind als die Thränen meines Weibes und die Ohnmacht meiner Tochter. Stehe auf, Nicephorus Briennius, ich begnadige dich, und gebe dir deinen Rang als Cäsar zurück. Dein Gnadenbrief, mit dem goldenen Siegel versehen, soll dir durch den Großlogotheten ausgestellt werden. Auf vierundzwanzig Stunden bist du ein Gefangener, bis Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe getroffen sind. Unterdessen bleibst du unter der Aufsicht des Patriarchen, der für dich verantwortlich sein wird. – Tochter und Gemahlin, ihr müßt nun nach euren Gemächern gehen; die Stunde wird schon kommen, wo ihr weinen und euch umarmen, trauern und fröhlich sein könnt. Bittet den Himmel, daß mir keine Ursache gegeben werde, ernstlich zu bereuen, daß ich Gerechtigkeit und Politik der ehelichen Liebe und väterlichen Zärtlichkeit aufgeopfert habe.«

Der begnadigte Cäsar fand es so schwer, sich in die unerwartete Veränderung seiner Lage zu versetzen, als es Ursel fand, den langentbehrten Anblick der Natur zu ertragen: denn die Geistesverwirrung ist in der Wirkung ein und dieselbe, ob sie von geistigen oder sinnlichen Ursachen herrühre.

Endlich stammelte er das Gesuch, daß ihm erlaubt sein möge, den Kaiser in's Feld zu begleiten, um mit seinem Leibe den Kaiser gegen die Streiche zu decken, die ein Verräther an diesem wahrscheinlich gefährlichen und blutigen Tage gegen denselben richten könnte.

»Still!« sagte Alexius Comnenus; »ich will zwar, da dir eben erst das Leben geschenkt worden ist, nicht gleich wieder an deiner Ergebenheit zweifeln; aber du giltst immer noch für das Haupt der Verschwornen, und es wird am gerathensten sein, die Ruhestiftung Anderen als dir anzuvertrauen. Geh', besprich dich mit dem Patriarchen, und verdiene deine Begnadigung durch ein offenes Bekenntniß alles Dessen, was von dieser schändlichen Verschwörung noch verborgen ist. – Tochter und Weib, lebt wohl! Ich muß jetzt nach den Schranken aufbrechen, wo ich mit dem Verräther Achilles Tatius und dem ungläubigen Heiden Agelastes zu sprechen habe, falls dieser Letztere noch lebt, denn es gehen Gerüchte von seinem schrecklichen Tode.«

»Ach, gehe nicht, lieber Vater!« sagte die Prinzessin; »ich will lieber gehen, um deine getreuen Unterthanen anzufeuern. Die außerordentliche Gnade, die du meinem schuldigen Gemahl erwiesen hast, überzeugt mich von deiner großen Güte gegen deine unwürdige Tochter, und von dem großen Opfer, das du ihrer Liebe für einen undankbaren Mann gebracht hast, der dein Leben in Gefahr stürzt.«

»Das heißt, Tochter,« sagte der Kaiser lächelnd, »die Begnadigung deines Gemahls ist ein Geschenk, das werthlos wird, wenn man's erhalten hat? Folge meinem Rath, Anna, und denke anders; Eheleute müssen sich gegenseitig ihre Fehler verzeihen, sobald es die menschliche Natur erlaubt. Das Leben ist zu kurz und der eheliche Frieden zu unbeständig, als daß man einen Zankapfel lange aufbewahren sollte. Nach euren Gemächern, Fürstinnen, und haltet mir die Scharlachstiefel, so wie die gestickten Aufschläge und Kragen, die Kennzeichen der kaiserlichen Würde, in Bereitschaft. Bis morgen darf ich nicht ohne sie erscheinen. – Ehrwürdiger Vater, ich erinnere dich nochmals daran, daß der Cäsar bis morgen um die nämliche Stunde unter deiner persönlichen Aufsicht steht.«

Sie trennten sich, der Kaiser, um sich an die Spitze seiner Waräger zu stellen, der Cäsar, um sich unter der Aufsicht des Patriarchen in das Innere des Pallastes zu begeben, wo er den Knoten der Verschwörung entwickeln, und alle mögliche Auskunft darüber geben mußte.

»Agelastes, Achilles Tatius und der Waräger Hereward,« sagte er, »wären die hauptsächlichsten Eingeweihten gewesen. Ob sie Alle ihrem Versprechen treu geblieben seien, könne er nicht wissen.«

In den weiblichen Gemächern fand ein heftiger Wortwechsel zwischen Anna Comnena und ihrer Mutter statt. Die Gefühle und Empfindungen der Prinzessin hatten im Lauf des Tages oft gewechselt; zuletzt hatten sie sich Alle in einer starken Theilnahme an dem Schicksal ihres Gemahls vereinigt, kaum aber war die Furcht vor seiner Bestrafung beseitigt, als das Gefühl seines undankbaren Betragens wieder aufzuleben begann. Es verdroß sie auch, daß ein Weib von ihren hohen Gaben eine so erbärmliche Figur bei all' diesen Intriguen gespielt habe, abgesehen daß sie dabei wie eine Sache betrachtet worden sei, die gar keinen Willen für sich habe. Die Gewalt ihres Vaters über sie war freilich unzweifelhaft; dennoch schien es ihr etwas Entwürdigendes zu sein, eine purpurgeborne Prinzessin, zumal eine Schriftstellerin und Ruhmesspenderin, bald dem einen, bald dem anderen Freier an den Kopf zu werfen, wenn es die Staatspolitik für vortheilhaft hielt. In Folge dieser ärgerlichen Betrachtungen sann Anna Comnena ernstlich auf Mittel, ihre verletzte Würde geltend zu machen, und sie verfiel auf verschiedene Auswege.



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