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Zweites Kapitel

Und ach, als wär's zum Tod, schallt her Trompetenklang.

Campbell.

Der Waräger, dem so wichtige Dinge, die ihm aufgetragen worden waren, im Kopf herumgingen, stand auf seinem Gang durch die mondbeleuchteten Straßen von Zeit zu Zeit still, um seine flüchtigen Gedanken festzuhalten, und ihr Gewicht genau zu erwägen. Seine Gedanken waren abwechselnd ermuthigender oder beunruhigender Art. Er war in einem Gemüthszustande, wo sich der Geist eines gewöhnlichen Menschen unvermögend fühlt, eine ihm plötzlich auferlegte Bürde zu tragen, und wo auf der anderen Seite der starke Mann, dem der Himmel seine besten Gaben – Verstand und Geistesgegenwart gegeben hat, seine Talente erwacht und den Geschäften gewachsen steht.

Gerade als er, in ein solches Nachsinnen vertieft, dastand, glaubte er den Ton einer fernen Trompete zu hören. Das überraschte ihn; Trompetentöne zu so später Stunde und in den Straßen von Constantinopel mußten etwas Außerordentliches bedeuten; denn da alle militärischen Bewegungen in Folge besonderer Befehle geschahen, so konnte nicht ohne eine wichtige Ursache die Nachtruhe gestört werden. Die Frage war, welches hier die Ursache sei?

War der Aufstand plötzlich und gegen den früheren Plan der Verschwornen ausgebrochen? – War dies der Fall, so war das Wiederfinden seiner verlobten Braut nach vieljähriger Trennung nur der Anfang einer ewigen Trennung. Oder hatten die Kreuzfahrer, eine Menschenart, deren Handlungsweise sich nicht leicht voraussehen ließ, plötzlich die Waffen ergriffen, und waren sie von dem anderen Ufer zum Ueberfall der Stadt zurückgekehrt? Das mochte wohl der Fall sein: denn man hatte den Kreuzfahrern so vielen Anlaß zu Klagen gegeben, daß nach ihrer Wiedervereinigung in ein großes Heer und bei den gegenseitig ausgetauschten Berichten über die Treulosigkeit der Griechen nichts wahrscheinlicher, natürlicher, vielleicht selbst mehr zu rechtfertigen war, als daß sie auf Rache denken sollten.

Doch der Ton glich eher einem regelmäßigen militärischen Zeichen, als dem wilden Durcheinander von Hörnern und Trompeten, das die Erstürmung einer Stadt begleitet, bis der raubgesättigte und blutgetränkte Sieger den elenden Einwohnern Ruhe vergönnt. Was es auch sein mochte, Hereward mußte seine Bedeutung erfahren, und darum nahm er seinen Weg nach einer breiten Straße in der Nähe der Baracken: denn dorther schien der Schall zu kommen, und dorthin ging ohnedies sein Weg.

Die Bewohner dieses Stadttheils wurden durch dies militärische Signal nicht sonderlich beunruhigt. Die Straße schlief im Mondschein, den die riesigen Thurmschatten der Sophienkirche, welche die Ungläubigen nach Eroberung der Stadt in ihre Hauptmoschee umgewandelt haben, durchschnitten. Kein menschliches Wesen erschien auf der Straße, und Diejenigen, welche aus den Thüren und Fenstern lugten, hatten ihre Neugier bald befriedigt: denn sie zogen ihre Köpfe zurück, und verschlossen die Oeffnungen, durch welche sie geguckt hatten.

Hereward fühlte sich plötzlich an eine vaterländische Sage erinnert, die er oft in den Wäldern von Hampshire gehört hatte – nämlich an die unsichtbaren Jäger, die mit gespenstischen Rossen und Hunden ungesehen durch das Dickicht der germanischen Wälder jagen. Von einem ähnlichen Getön mochte wohl der bezauberte Wald erschallen, wenn die wilde Jagd toste, und eben so ängstlich mochte man auf dies Getöse hören.

»Pfui!« sagte er, indem er eine Anwandlung dieser abergläubischen Furcht unterdrückte; »gehen solche kindische Träume einen Mann an, dem man so viel anvertraut, und von dem man so viel erwartet.« Er ging darum die Straße hinab, seine Streitaxt auf der Schulter tragend, und befragte die erste Person, die er aus einer Thüre lugen sah, über die Ursache dieser kriegerischen Musik zu so ungewöhnlicher Stunde.

»Verzeiht, ich weiß es nicht, Herr,« sagte der Bürger, der nicht aufgelegt schien, an der Luft zu bleiben und sich in ein Gespräch einzulassen. Es war dies jener Politikus von Constantinopel, den wir im Anfang unserer Geschichte kennen gelernt haben. Er zog sich rasch in sein Haus zurück, und vermied so jedes fernere Gespräch.

Der Ringer Stephanos zeigte sich an der nächsten Thüre, die mit Eichen- und Epheublättern zu Ehren eines noch frischen Sieges begränzt war. Er blieb keck stehen, theils weil er sich auf seine Stärke verließ, theils weil er einen trotzigen Murrsinn besaß, der bei Leuten seiner Art oft mit wirklichem Muth verwechselt wird. Sein Bewunderer und Schmeichler Lysimachus hielt sich hinter seinen breiten Schultern verschanzt.

Im Vorbeigehen that Hereward die nämliche Frage, die er an den vorigen Bürger gerichtet hatte: »Wißt Ihr, was diese Trompetentöne so spät bedeuten?«

»Das müßt Ihr am besten wissen,« antwortete Stephanos mürrisch: »denn Eurer Axt und Eurem Helm nach sind es Eure und nicht unsere Trompeten, die ehrliche Leute im ersten Schlaf stören.«

»Schuft!« antwortete der Waräger mit einem Nachdruck, daß der Ringer zurückprallte, – »doch – wenn diese Trompete tönt, hat ein Soldat nicht Zeit, die Frechheit zu züchtigen, wie sie es verdient.«

Der Grieche purzelte rückwärts in's Haus, und hätte in der Eile beinahe den Künstler Lysimachus umgeworfen, der dem Auftritt zugelauscht hatte.

Hereward erreichte die Caserne, woher die Kriegsmusik zu kommen schien; und als er über die Hofschwelle ging, brach das Geschmetter von Neuem los, so daß er ganz bestürzt wurde, wiewohl ihm die Töne nicht unbekannt waren. »Was bedeutet das, Engelbrecht?« sagte er zu der Schildwache, welche die Axt in der Hand den Eingang bewachte.

»Ein Zweikampf wird ausgerufen,« antwortete Engelbrecht. »Es ist seltsam, Camerad; die verrückten Kreuzfahrer haben die Griechen gebissen und sie mit ihrer Kampfwuth angesteckt, so wie Hunde sich mit der Wuth anstecken.«

Hereward antwortete nicht, sondern eilte auf einen Haufen seiner Cameraden zu, die sich halbbewaffnet oder vielmehr in völliger Unordnung, wie sie aus den Betten gesprungen waren, um die Trompete ihrer Schaar drängten. Der mit der Riesentrompete, der die besonderen Befehle des Kaisers verkündigte, war ebenfalls zugegen, und die Musikanten wurden von einem Haufen bewaffneter Waräger bedeckt, die Achilles Tatius selbst führte. Als Hereward näher herzutrat, da seine Cameraden ihm Platz machten, zählte er sechs kaiserliche Herolde, die bei dieser Gelegenheit thätig waren; vier davon (zwei waren immer zugleich thätig) hatten bereits die Proclamation ausgerufen, die nun zum Drittenmal von den beiden übrigen verkündet werden sollte, wie es bei wichtigen kaiserlichen Mittheilungen in Constantinopel üblich war. Sobald Achilles Tatius seinen Vertrauten bemerkte, gab er ihm ein Zeichen, das Hereward so verstand, als wenn ihn sein Vorgesetzter nach beendigter Proclamation zu sprechen wünsche. Nach einem Tusch von Trompeten begann der Herold folgendermaßen:

»Im Namen des durchlauchtigsten Fürsten Alexius Comnenus von Gottes Gnaden, Kaisers des hochheiligen, römischen Reichs. Seine kaiserliche Majestät thut kund männiglich, insonderheit den Unterthanen dieses Reichs, welches auch ihre Abstammung und Glaube sein mag. – Kund und zu wissen sei, daß den zweiten Tag von heute an unser geliebter Schwiegersohn, der hochgeachtete Cäsar, es übernommen hat, sich im Kampf zu stellen gegen unsern geschwornen Feind, den Grafen Robert von Paris, wegen des Leichtsinns und Uebermuthes, womit derselbe sich öffentlich unseren Sitz angemaßt hat, und womit er in unserer kaiserlichen Gegenwart die Zierden unseres Throns, die Wunderwerke der Kunst, die sogenannten salomonischen Löwen zerschmissen hat. Und auf daß Niemand in Europa das Maul aufthun und sagen möge, daß die Griechen in Bezug auf Waffenübungen hinter den anderen christlichen Völkern zurückständen, so sollen die besagten edlen Gegner mit Beiseitsetzung von Falschheit, Zaubersegen und Schwarzkunst ihren Streit mit gespitzten Speeren und mit geschliffenen Schwertern je in drei Gängen ausfechten: den Kampfplatz wird der Kaiser allergnädigst nach seinem untrüglichen Wohlgefallen bestimmen. Und so zeige Gott das Recht!«

Ein fürchterlicher Trompetentusch schloß die Ceremonie. Achilles entließ die um ihn versammelten Krieger, so wie die Herolde und Musikanten; und nachdem er Hereward dicht an seine Seite genommen hatte, fragte er ihn, ob er von dem Gefangenen, dem Grafen Robert von Paris, etwas gehört hätte.

»Nichts,« sagte der Waräger, »als was diese Proclamation Neues sagte.«

»Glaubst du denn,« sagte Achilles, »daß der Graf dabei betheiligt gewesen sei?«

»Er hätte es wenigstens sein sollen,« antwortete der Waräger. »Ich weiß Niemand, der das Recht hat, für ihn das Erscheinen in den Schranken zu versprechen.«

»Ei, sieh' doch, du trefflicher, wiewohl hartköpfiger Hereward,« sagte der Akoluthos, »unser Cäsar hat die Vermessenheit gehabt, seinen dünnen Witz mit dem des Achilles Tatius messen zu wollen. Ueberdies besteht er auf seiner Ehre, der Erznarr, und der Gedanke mißfällt ihm, ein Weib herauszufordern, oder von ihr herausgefordert zu werden. Darum hat er den Namen des Herrn statt den der Dame gesetzt. Wenn der Graf nicht erscheint, so tritt der Cäsar als Herausforderer auf, und verlangt als Sieger (zu welcher Ehre er durch das Nichterscheinen des Gegners wohlfeilen Preises kommt) die Auslieferung der Gräfin als seiner Gefangenen. Dies wird das Zeichen eines allgemeinen Aufstandes werden, in Folge dessen der Kaiser, wenn er nicht todt auf der Stelle bleibt, nach dem Blachernägefängnisse gebracht werden wird, um daselbst das zu erdulden, was seine Grausamkeit über so viele Andere verhängt hat.«

»Aber« – sagte der Waräger.

»Aber – aber – aber,« sagte der Offizier, »aber du bist ein Thor. Siehst du nicht ein, daß dieser tapfere Cäsar den Kampf mit einer Dame vermeiden will, während er den mit ihrem Gemahl ernstlich zu wollen scheint? Unsere Sache ist es, dem Kampf eine solche Gestalt zu geben, daß dabei alle Verschwornen bewaffnet zugegen sein können. Sorge du nur dafür, daß der Kaiser von unseren Vertrauten umgeben werde, damit ihm der treugebliebene Theil der Leibwache nicht zu Hülfe kommen könne; und mag nun der Cäsar mit Mann oder Weib, oder mit Niemand kämpfen, die Empörung soll ausbrechen, und die Tatier sollen die Comnenen auf dem Kaiserthron von Constantinopel ersetzen. Geh', mein redlicher Hereward. Vergiß nicht, das Losungswort beim Aufstand ist Ursel, ihn liebt das Volk, obgleich es glaubt, daß er schon lang in den Blachernäkerkern begraben sei.«

»Wer war dieser Ursel,« sagte Hereward, »von dem die Leute so verschieden sprechen?«

»Ein Mitbewerber des Alexius Comnenus um den Thron, gut, tapfer und bieder, aber mehr durch die Hinterlist als durch die Weisheit oder Tapferkeit seines Gegners besiegt. Er starb, wie ich glaube, in dem Blachernägefängniß; wann und wie, kann ich nicht sagen. Doch auf und handle, Hereward! Sprich den Warägern Muth ein. – Wirb so viel du kannst. Eine hinlängliche Anzahl der Unsterblichen und der unzufriedenen Bürger sind bereit, das Geschrei anzuheben, und bei dem Unternehmen den Anfang zu machen. Die Sorgfalt, womit Alexius öffentliche Versammlungen meidet, soll ihn nicht länger schützen; er kann sich mit Ehren nicht wohl der Anwesenheit bei diesem Kampfe entziehen; und Mercurius sei für die Beredtsamkeit gepriesen, die ihn nach einigem Bedenken zu dieser Proclamation entschied!«

»Ihr habt ihn also diesen Abend gesehen?« sagte der Waräger.

»Gesehen! Ohne Zweifel,« antwortete der Akoluthos. »Hätte ich diese Trompeten blasen lassen ohne sein Wissen, so hätte das mir den Kopf von den Schultern geblasen.«

»Ich wäre Euch fast im Pallast begegnet,« sagte Hereward, während sein Herz so stark schlug, als wenn er diese gefährliche Begegnung wirklich gehabt hätte.

»Ich hörte etwas davon,« sagte Achilles, »daß du kämest, die letzten Befehle des derzeitigen Regenten zu holen. Gewiß, hätte ich dich dort gesehen mit deinem unwandelbaren, offenen und redlich aussehenden Gesicht, wie du mit aller Treuherzigkeit den feinen Griechen betrogst, so hätte mich der Gegensatz zwischen diesem und deinen Gedanken gewiß zum Lachen gebracht.«

»Gott allein kennt die Gedanken unseres Herzens,« sagte Hereward; »und ich nehme ihn zum Zeugen, daß ich, meinem Versprechen getreu, den mir gewordenen Auftrag ausführen will.«

»Bravo! mein redlicher Angelsachse,« sagte Achilles. »Sei so gut und rufe meine Sklaven, daß sie mich entwaffnen; und wenn du selbst diese Rüstung eines gewöhnlichen Leibwächters ablegst, so denke daran, daß sie nicht mehr als zweimal noch deinen Leib bedecken wird, da dir das Schicksal einen passenderen Anzug zugedacht hat.«

Hereward wagte es nicht, eine Antwort auf eine so verfängliche Rede zu machen; er verbeugte sich tief und suchte seine Wohnung in dem Gebäude auf.

Als er in das Gemach trat, wurde er von dem Grafen Robert begrüßt, der laut und freudig die Stimme erhob, ohne zu besorgen, daß er sich dadurch verrathen könne.

»Hast du's gehört, bester Hereward,« sagte er – »hast du die Proclamation gehört, durch welche mich diese griechische Antilope auf drei Gänge mit spitzen Lanzen und scharfen Schwertern fordert? Doch etwas ist seltsam dabei, nämlich daß er es nicht für gerathener hält, meine Dame zu fordern! Vielleicht glaubt er, die Kreuzfahrer würden einen solchen Kampf nicht zugeben. Doch, bei U. l. F. zu den gebrochenen Lanzen! er weiß wenig davon, daß wir Abendländer so viel auf den Muth unserer Damen als auf unseren eigenen halten. Ich habe den ganzen Abend darüber nachgedacht, welche Rüstung ich anlegen, welche Anstalten für ein Roß ich machen, und ob ich ihn nicht für genug geehrt halten soll, wenn ich seiner Rüstung und Bewaffnung nur meinen Tranchefer entgegensetze.«

»Ich werde jedoch dafür sorgen,« sagte Hereward, »daß Ihr für den Nothfall besser vorgesehen seid. – Ihr kennet die Griechen nicht.«



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