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Zehntes Kapitel.

Vollständig geharnischt und in der rechten Hand die Standarte seiner Väter haltend, erwartete Tankred mit seinem Häufchen Krieger, die eben so vielen Statuen von Erz glichen, einen Angriff von Seiten der Griechen, welche die Schranken besetzt hielten, oder von denen, welche aus den Stadtthoren herausstürzten. Diese Letzteren, Soldaten und zum Theil bewaffnete Bürger, die durch die verschiedenen Gerüchte von den Fortschritten des Kampfes beunruhigt worden waren, stürzten auf die Standarte des Fürsten Tankred los, um sie zu Boden zu werfen, und die Vertheidiger derselben zu verjagen. Aber wenn der Leser je durch ein Schäferland geritten ist, von einem Hunde edler Rasse begleitet, so muß er in der Ehrfurcht, die der gemeine Schäferhund, der sich für den Herrn und Beschützer des einsamen Thals hält, dem hochgebornen Hunde endlich zollet, ein ganz ähnliches Verhalten bemerkt haben, als das war, welches die erzürnten Griechen gegen die kleine Frankenschaar beobachteten. Bei dem ersten Zeichen vom Herannahen der Fremden springt der Schäferhund vom Schlummer auf, und stürzt unter bellendem Kriegsgeschrei gegen den edlen Eindringling los; aber wenn er aus geringerer Entfernung die Gestalt und Stärke seines Gegners erkennt, macht er es wie der Wilddieb, der auf der Jagd plötzlich zwei Flintenläufe statt einen gegen sich gerichtet sieht. Er hält – hört auf zu bellen, und zieht sich endlich zu seinem Herrn zurück mit allen Zeichen eines aus Feigheit vermiedenen Kampfes.

Mit gleichem Lärm und Geschrei stürzten die Schaaren der Griechen von der Stadt und den Schranken her auf Tankreds kleinen Haufen los, um ihn aus dem Felde zu verjagen. Als sie aber näher kamen, und die Ruhe und Ordnung bemerkten, womit sich diese Krieger unter der Fahne ihres Führers sammelten, verging ihnen die Lust zu einem alsbaldigen Angriff; ihr Marsch ward unsicher und schwankend; ihre Blicke waren häufiger nach dem Ort, woher sie gekommen waren, als gegen den Feind gerichtet; und die Lust zu einem Kampf verging ihnen ganz und gar, als sie sahen, daß ihr Erscheinen gar keinen Eindruck auf den Feind machen wollte.

Die Lateiner hielten um so fester Stand, als sie häufig kleine Verstärkungen von ihren Cameraden erhielten, die zerstreut längs der Bucht gelandet waren, so daß sie in weniger als einer Stunde an Reitern und Fußgängern fast so stark wie bei ihrer Abfahrt von Scutari waren.

Ein anderer Grund, warum die Lateiner unangefochten blieben, lag darin, daß die beiden Leibwachen gerade jetzt an keinen Kampf denken konnten. Die dem Kaiser treu gebliebenen Leibwächter, namentlich die Waräger, hatten Befehl, ihren Posten bei den Schranken und an anderen Sammelplätzen in Constantinopel, wo ihre Gegenwart zur Bekämpfung des Aufruhrs nöthig schien, nicht zu verlassen. Diese machten also keine feindselige Bewegung gegen die Frankenschaar, auch lag es nicht in der Absicht des Kaisers, daß sie eine machen sollten.

Auf der anderen Seite war der größere Theil der Unsterblichen und die verschwornen Bürger der Meinung (welche die Agenten des verstorbenen Agelastes unter ihnen verbreitet hatten), daß diese lateinische Schaar unter dem Befehl Tankreds, des Vetters Bohemunds, zu ihrem Beistand gekommen wäre. Diese Leute verhielten sich also ruhig, und thaten nichts, das Volk bei einem Angriff auf die ungebetenen Gäste zu leiten oder zu unterstützen, zumal da die Anzahl der Streitlustigen gar nicht besonders groß war.

Unterdessen hatte der Kaiser von seinem Blachernäpallast die Ereignisse auf der Meerenge beobachtet, und gesehen, daß seine Flotte von Lemnos ihren Zweck, Tankred und seine Leute vermittelst des griechischen Feuers an der Landung zu hindern, gänzlich verfehlt hatte. Kaum hatte er den Brand des Admiralschiffes bemerkt, als er den Entschluß faßte, den unglücklichen Admiral zu verläugnen, und nöthigenfalls den Kopf desselben an die Lateiner zu senden, um Frieden zu machen.

In diesem Augenblick kam Achilles Tatius, der an dem heutigen wichtigen Tage den Kaiser nicht aus den Augen lassen wollte, voll Hast und scheinbarer Bestürzung in den Pallast.

»Herr! – kaiserlicher Herr! es schmerzt mich, der Verkünder so unglücklicher Neuigkeiten zu sein; aber es ist einer großen Schaar von Lateinern gelungen, von Scutari her über die Meerenge zu setzen. Das Geschwader von Lemnos wollte sie aufhalten, wie es in dem kaiserlichen Kriegsrath vergangene Nacht beschlossen worden ist. Eins oder zwei von den Schiffen der Kreuzfahrer sind durch das griechische Feuer verzehrt worden, aber die übrigen sind vorgedrungen, haben das Admiralschiff des unglücklichen Phraortes verbrannt, und es ist stark die Rede davon, daß er mit dem größten Theil seiner Leute umgekommen sei. Die übrigen Schiffe haben die Taue gekappt, und ihre Station verlassen.«

»Und aus welcher Absicht, Achilles Tatius,« sagte der Kaiser, »bringst du mir diese kläglichen Nachrichten jetzt, wo nichts mehr gut zu machen ist?«

»Erlaubt, gnädigster Kaiser,« versetzte der Verschworne, ohne die Farbe zu wechseln oder zu stocken, »das war nicht meine Absicht – ich hoffte, Euch einen Plan vorzulegen, wodurch dieser kleine Fehler verbessert werden könnte.«

»Gut, welchen Plan?« sagte der Kaiser trocken.

»Mit Ew. Majestät Gunst,« sagte der Akoluthos, »ich würde unverweilt gegen diesen Tankred und seine Italiäner Eure getreuen Waräger geführt haben, die nicht mehr Umstände mit der kleinen Frankenschaar, die am Ufer ist, machen würden, als der Bauer mit den Ratten, Mäusen und anderem Ungeziefer, die er in seinen Scheunen findet.«

»Und was soll ich unterdessen thun,« sagte der Kaiser, »während sich meine Angelsachsen für mich schlagen?«

»Ew. Majestät,« versetzte Achilles, der mit dem trockenen, spöttischen Ton des Kaisers nicht ganz zufrieden war, »könnte sich an die Spitze der unsterblichen Cohorten von Constantinopel stellen, und ich stehe dafür, daß Ihr dann einen Sieg über die Lateiner vervollständigen, oder eine etwaige Niederlage gut machen würdet, wenn Ihr an der Spitze dieser ausgezeichneten Schaaren für den Nothfall vorrücktet.«

»Du selbst, Achilles Tatius,« versetzte der Kaiser, »hast uns wiederholt versichert, daß diese Unsterblichen eine Anhänglichkeit an den Rebellen Ursel bewahren. Wie kommt es, daß du willst, daß wir uns ihnen anvertrauen sollen, während unsere tapferen Waräger die Blüthe des fränkischen Heeres bekämpfen? – Hast du diese Gefahr bedacht, Akoluthos?«

Achilles Tatius, höchst bestürzt, seinen Plan durchschaut zu sehen, antwortete, daß er in der Hast besorgter gewesen sei, für seine Person die größere Gefahr zu übernehmen, als an die größere Sicherheit seines kaiserlichen Herrn zu denken.

»Ich danke dir dafür,« sagte der Kaiser; »du bist meinen Wünschen zuvorgekommen, wiewohl ich für jetzt deinem Rath nicht folgen kann. Es wäre mir freilich lieb gewesen, wenn diese Lateiner wieder über die Meerenge zurückgedrängt worden wären, wie es der nächtliche Kriegsrath wollte; aber da sie nun einmal da sind, und in Schlachtordnung am Ufer stehen, wird's besser sein, wir bezahlen sie mit Geld und Beute als mit dem Blut unserer tapferen Unterthanen. Ueberdies können wir nicht glauben, daß sie in feindlicher Absicht gekommen sind; gewiß hat sie nur die Neugierde, einen Zweikampf zu sehen, was der Athem ihrer Naslöcher ist, zu diesem Rückmarsch verleitet. Ich befehle dir, Achilles Tatius, und dem Protospatharius, zu jener Standarte zu reiten und euch bei dem Anführer, dem Fürsten Tankred, wenn er zugegen ist, zu erkundigen, warum er zurückgekehrt und mit Phraortes und seinem Geschwader in Streit gerathen sei. Wenn sie eine vernünftige Entschuldigung haben, wollen wir uns nicht weigern, sie anzunehmen: denn wir haben nicht darum so große Opfer zur Erhaltung des Friedens gebracht, um einen Krieg zu beginnen, der noch vermieden werden könnte. Du wirst darum die Entschuldigungen, die sie vorzubringen haben, mit Güte und Nachsicht annehmen; und sei versichert, daß das Puppenspiel dieses Zweikampfes hinreichend gewesen ist, alle anderen Nebenabsichten aus den Köpfen dieser kindischen Kreuzfahrer zu verbannen.«

In diesem Augenblick klopfte es an der Thüre des kaiserlichen Gemachs, und auf das Wort herein zeigte sich der Protospatharius. Er trug eine glänzende, altrömische Rüstung. Der Mangel eines Visirs ließ sein Gesicht frei, das, bleich und ängstlich, nicht wohl zu dem kriegerischen Helmschmuck und dem nickenden Federbusch paßte. Er empfing den bereits erwähnten Auftrag mit wenig Freude, weil ihm der Akoluthos als College beigeordnet war: denn diese beiden Offiziere waren, wie der Leser bemerkt haben wird, von verschiedener Gesinnung und keineswegs Freunde. Auch der Akoluthos betrachtete den Umstand, daß ihm der Protospatharius beigeordnet wurde, weder als ein Zeichen des kaiserlichen Zutrauens noch als eines seiner eigenen Sicherheit. Indeß er befand sich in dem Blachernäpallast, wo die Sclaven nicht die geringsten Umstände machten, wenn ihnen befohlen wurde, irgend einen Hofbeamten hinzurichten. Den beiden Generalen blieb also keine andere Wahl übrig, als sich wie zwei Jagdhunde wider Willen an einander koppeln zu lassen. Achilles Tatius tröstete sich mit der Hoffnung, daß nach vollzogenem Auftrag die Verschwörung ausbrechen würde, da die Lateiner dieselbe wünschten und erwarteten, oder als ihnen gleichgültig betrachteten und verachteten.

Dem letzten Befehl des Kaisers gemäß sollten sie auf das Zeichen der großen Trompete der Waräger aufsitzen, sich an die Spitze der im Hof der Caserne befindlichen angelsächsischen Leibwächter stellen, und die ferneren Befehle des Kaisers erwarten.

In dieser Anordnung lag etwas, was das Gewissen des Achilles Tatius sehr beschwerte, doch wußte er sich seinen Argwohn nicht anders zu erklären, denn als Folge des Bewußtseins seiner Schuld. Es war ihm deutlich, daß er, indem er unter dem Vorwand eines ehrenhaften Auftrags an der Spitze der Waräger zurückgehalten wurde, aller Freiheit beraubt war, mit dem Cäsar und Hereward verbunden zu bleiben, auf deren Thätigkeit er rechnete, da er nicht wußte, daß jener in dem Blachernäpallaste, wo ihn Alexius in den Gemächern der Kaiserin verhaftet hatte, gefangen sitze, und dieser der hauptsächlichste Beistand des Kaisers an diesem entscheidungsvollen Tage sei.

Als die Riesentrompete der Waräger ihr lautes Signal durch die Stadt erschallen ließ, trieb der Protospatharius den Akoluthos mit sich nach dem Sammelplatz der Waräger, und unterwegs sagte er zu ihm in einem gleichgültigen Ton: »Da der Kaiser persönlich im Feld ist, so hast du als sein Stellvertreter folglich keine Befehle der Leibwache zu geben, die nicht von ihm selbst kommen, so daß also deine Machtvollkommenheit für heute aufgehoben ist.«

»Ich bedauere,« sagte Achilles, »daß man diese Vorsicht für nothwendig halten konnte; ich glaube, daß meine Treue und Ergebung – doch – ich gehorche dem kaiserlichen Willen in Allem.«

»Das ist des Kaisers Wille,« sagte der andere Offizier, »und du weißt, bei welchen Strafen Gehorsam verlangt wird.«

»Wenn ich's nicht wüßte,« sagte Achilles, »so würde mich die Zusammensetzung dieser Leibwache daran erinnern: denn sie besteht nicht bloß aus einem großen Theil Warägern, den unmittelbaren Vertheidigern des kaiserlichen Throns, sondern auch aus denjenigen Sclaven des Pallastes, welche die Befehle des Kaisers vollstrecken.«

Der Protospatharius gab hierauf keine Antwort, und der Akoluthos, der bei näherer Betrachtung sah, daß sich die Wache fast auf dreitausend Mann belief, hätte sich glücklich geschätzt, wenn er durch Vermittelung des Cäsars, Agelastes oder Herewards den Verschwornen ein Zeichen hätte zukommen lassen können, die Empörung zu verschieben, gegen die der Kaiser mit ungewöhnlicher Vorsicht gerüstet zu sein schien. Gern hätte er den ganzen Traum seiner Kaiserwürde, mit der er sich eine kurze Zeit geschmeichelt hatte, darum gegeben, wenn er nur einen Schimmer von dem himmelblauen Federbusch des Cäsars, von dem weißen Mantel des Philosophen oder von der Streitaxt Herewards hätte sehen können. Doch es ließ sich nichts sehen, und der treulose Akoluthos war nicht wenig verdrossen, als er bemerkte, daß der Protospatharius und hauptsächlich die Pallastdiener ihm überallhin mit den Blicken folgten, wohin er auch die seinigen kehren mochte.

Unter den vielen Leuten, die er um sich sah, war Niemand mit dem er einen vertraulichen Blick hätte wechseln können, und er fühlte sich von allen Aengsten ergriffen, was um so niederschlagender ist, weil der Verräther weiß, daß, da er von Feinden umgeben ist, seine eigene Furcht ihn verrathen muß. Da in seiner Vorstellung die Gefahr zu wachsen schien, und da er nach äußeren Gründen davon suchte, mußte er glauben, daß einer von den drei Hauptverschwornen oder einige Untergeordnete die Angeber gemacht hätten, und er wußte nicht, ob er sich nicht, um sich seinen Antheil an der Verschwörung verzeihen zu lassen, dem Kaiser zu Füßen werfen, und ein vollständiges Bekenntniß ablegen sollte. Aber einerseits die Furcht, dies niedrige Mittel, sein Leben zu retten, möchte voreilig sein, andererseits die Abwesenheit des Kaisers ließen ihn ein Geheimniß bewahren, von dem nicht nur sein Glück, sondern auch sein Leben abhing. Es war ihm, als befände er sich auf einem Meer von Unruhe und Ungewißheit, wo die Flecken des Landes, das ihm Zuflucht verspreche, nur fern, unbestimmt und fast unerreichbar vor ihm lägen.



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