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Drittes Kapitel.

Der Waräger beurlaubte sich bei dem Grafen von Paris nicht eher, bis ihm derselbe seinen Siegelring eingehändigt hatte, der mit gebrochenen Lanzen und dem Wahlspruch » die meinige ist noch ganz« bedeckt war. Mit diesem Zeichen des Vertrauens versehen, machte er nun Anstalten, dem obersten Anführer des Kreuzheeres den bevorstehenden Kampf anzuzeigen, und von ihm im Namen des Grafen Robert und der Dame Brenhilda eine ritterliche Schaar zu begehren, die hinreichend wäre, dem Kampf den Charakter der Ehrlichkeit zu sichern. Die Umstände machten es Hereward unmöglich, sich selbst in das Lager Gottfrieds zu verfügen; und wiewohl er viele Waräger kannte, auf deren Treue er bauen durfte, so fand er doch unter seinen Untergebenen nicht einen Einzigen, auf dessen Verstand er sich in dieser kitzlichen Sache verlassen konnte. In dieser Verlegenheit schlenderte er, vielleicht ohne zu wissen warum, zu den Gärten des Philosophen, wo ihn das Glück nochmals mit Bertha zusammenführte.

Kaum hatte ihr Hereward seine Verlegenheit mitgetheilt, als der Entschluß der treuen Dirne gefaßt war.

»Ich sehe,« sagte sie, »dieser Theil des Geschäftes fällt mir zu, und warum sollte es nicht sein? Meine Herrin wollte im Schooße des Glücks wegen meiner in die weite Welt gehen; ich will wegen ihrer in das Lager dieses fränkischen Herrn gehen. Er ist ein ehrenhafter Mann und guter Christ, und seine Begleiter sind fromme Pilger. Ein Weib hat nichts zu fürchten, die zu solchen Männern in einer solchen Sache kommt.«

Der Waräger war mit den Sitten des Lagers zu bekannt, als daß er Bertha allein hätte gehen lassen. Er bestimmte ihr darum zum Begleiter einen alten Soldaten, der ihm wohl vertraut und ergeben war; und nachdem er ihr die Einzelheiten ihres Auftrags genau erklärt, und sie ermahnt hatte bei Tagesanbruch außerhalb der Gartenmauer bereit zu sein, kehrte er wieder zu seinem Quartiere zurück.

Bei Tagesanbruch war Hereward wieder an dem Ort, wo er sich in der Nacht von Bertha getrennt hatte, und der ehrliche Soldat, der das Mädchen begleiten sollte, war mit ihm. Bald sah er Beide an Bord eines kleinen Fahrzeugs eingeschifft, dessen Herr sie ohne Schwierigkeit zuließ, nachdem er ihren Paß geprüft hatte, der unter dem Namen des Akoluthos nachgemacht war, und mit dem Aeußeren des alten Osmunds und seiner jungen Gefährtin übereinstimmte.

Der Morgen war angenehm, und bald zeigte sich den Reisenden Scutari mit seinen vielen glänzenden Gebäuden, die, wie wunderlich sie auch aussahen, doch schön genannt werden mußten. Diese Gebäude erhoben sich aus einem Wald von Cypressen und anderen hohen Bäumen, die desto stämmiger waren, da sie als Wächter der Todten auf den Begräbnißplätzen unangetastet blieben.

Diese Ansicht, die zu allen Zeiten schön ist, hatte damals doppelte Reize. Ein großer Theil des gemischten Heeres, das gekommen war, die heiligen Orte in Palästina und das heilige Grab selbst den Ungläubigen zu entreißen, hatte sein Lager ungefähr eine halbe Stunde von Scutari aufgeschlagen. Da eine große Anzahl der Kreuzfahrer keine Zelte hatte, die Zelte einiger vornehmen Anführer ausgenommen, so hatte sich das Heer aus dem Stegreif Hütten erbaut, die, mit Laub und Blumen verziert, dem Auge wohlgefielen, während die über ihnen wehenden Fähnlein und Banner mit ihren verschiedenen Wahlsprüchen zeigten, daß hier die Blüthe von Europa versammelt sei. Ein lautes und vielstimmiges Summen wie von zahlreichen Bienenschwärmen wogte von dem Kreuzlager nach dem benachbarten Scutari, und zuweilen ward das Gemurmel durch den Klang eines Instruments oder den Schrei unterbrochen, den ein Kind oder Weib aus Schreck oder Lust ausstieß.

Unsere Reisenden traten endlich glücklich an's Land; und als sie sich einem der Thore des Lagers genähert hatten, stürzte ein muthwilliger Troß von Rittern, Pagen und Knappen heraus, die ihre oder ihrer Herren Rosse herumtummelten. Dem Lärm und Geschrei nach zu schließen, das sie machten, indem sie ihre Pferde tummelten, hatte sie der Dienst früher in Anspruch genommen, als der letzte Weindunst vom vergangenen Abendgelage verschlafen war. Sobald sie Bertha und ihren Begleiter bemerkten, nahten sie sich unter Geschrei, das sie als Italiäner verrieth:

» Al' erta! al' erta! – Roba de guadagno, cameradi!«

Sie umzingelten die junge Angelsächsin und ihren Begleiter, indem sie ihr Geschrei in einer Weise wiederholten, die Bertha zittern machte. Alle fragten sie, was sie in dem Lager thun wolle.

»Ich möchte zu dem Oberfeldherrn, ihr Ritter,« antwortete Bertha, »ich hab' einen geheimen Auftrag an ihn.«

»An wen?« sagte der Führer eines Haufens, ein schöner Jüngling von etwa achtzehn Jahren, der ein besseres oder ein mit Wein weniger übergossenes Gehirn als seine Cameraden zu haben schien. »Welchen von unseren Anführern verlangt Ihr zu sehen?« fragte er.

»Gottfried von Bouillon.«

»Sieh' doch!« sagte der Page, der zuerst gesprochen hatte; »wäre dir nicht mit einem Geringeren gedient? Betrachte uns einmal; jung sind wir Alle und ziemlich reich. Der Herzog von Bouillon ist alt, und wenn er einige Zechinen hat, so verthut er sie nicht für so was.«

»Ich habe ein untrügliches Erkennungszeichen für Gottfried von Bouillon,« antwortete Bertha; »und er wird's euch wenig danken, wenn ihr mir den Zugang zu ihm versperrt;« und hierbei zeigte sie ein kleines Kästchen, in welchem der Siegelring des Grafen von Paris verschlossen war. »Ich will es euch in die Hände geben,« sagte sie, »wenn ihr mir versprecht, es nicht zu öffnen, und mir bei dem edlen Führer des Kreuzheers freien Zutritt zu verschaffen.«

»Das will ich,« sagte der Jüngling, »und wenn es dem Herzog gefällt, so sollst du Zutritt bei ihm haben.«

»Ernst von Apulien, dein schwacher, italiänischer Witz ist in die Falle gegangen,« sagte einer von den Gesellen.

»Du bist ein Narr, Polydor,« versetzte Ernst; »an dieser Sache mag mehr sein, als dein und mein Witz ergründen kann. Dies Mädchen und ihr Begleiter tragen die Kleidung der kaiserlichen Leibwache der Waräger. Vielleicht haben sie einen Auftrag vom Kaiser, und es ist der Politik des Alexius nicht unähnlich, solche Boten zu senden. Begleiten wir sie darum zu dem Zelt des Feldherrn.«

»Von Herzen gern,« sagte Polydor. »Eine blauäugige Dirne ist ein köstlicher Bissen, aber die Brühe des Lager-Marschalls schmeckt mir nicht, eben so wenig seine Art, Leute aufzuputzen, die ihrer Lust nachgegeben haben Kreuzfahrer, die sich gewisser Vergehungen schuldig gemacht hatten, mußten in einem betheerten Federkleide Buße thun, wiewohl man diese Strafe neueren Zeiten zuschreibt.. Doch ehe ich mich als ein Narr zeigen möchte, wie mein Camerad, möchte ich wohl fragen, wer dies hübsche Mädchen ist, die da kommt, edle Fürsten und fromme Pilger daran zu erinnern, daß sie zu ihrer Zeit die menschlichen Thorheiten gekannt haben.«

Bertha näherte sich Ernst, und flüsterte ihm in's Ohr. Unterdessen trieben Polydor und die anderen lustigen Brüder allerlei lärmenden und wilden Spaß, den wir, wiewohl er die rohen Gesellen schildert, hier nicht wiederholen. Die Folge davon war, daß das sächsische Mädchen etwas den Muth sinken ließ. »Bei euren Müttern, ihr Herren,« sagte sie, »bei euren schönen Schwestern, die ihr vor Schimpf mit eurem besten Blute beschützen würdet – bei eurer Ehrfurcht vor den heiligen Orten, die ihr den Ungläubigen zu entreißen geschworen habt, habt Erbarmen mit mir, auf daß ihr in eurem Vorhaben glücklich sein mögt!«

»Fürchte nichts, Mädchen,« sagte Ernst, »ich will dein Beschützer sein; und ihr, Cameraden, folgt mir. Ich habe während eures Lärmens einen Blick auf ihr Erkennungszeichen geworfen, wiewohl das meinem Versprechen nicht ganz gemäß war, und wenn die Trägerin desselben beleidigt oder mißhandelt werden sollte, so wird Gottfried von Bouillon ganz gewiß dies Unrecht streng ahnden.«

»Nun, Camerad,« sagte Polydor, »wenn das so ist, so will ich selbst das junge Weib in aller Ehre und Sicherheit zu Herrn Gottfrieds Zelt bringen.«

»Die Fürsten,« sagte Ernst, »müssen sich bald zu Rath daselbst versammeln. Was ich gesagt habe, dafür stehe ich mit Leib und Leben. Ich könnte mehr muthmaßen, aber diese verständige Dirne kann wohl für sich selbst reden.«

»Nun, Gott segne dich, wackerer Knappe,« sagte Bertha, »und mache dich gleich tapfer und glücklich! Macht euch weiter keine Mühe wegen meiner, nur laßt mich sicher zu eurem Anführer gelangen.«

»Wir verlieren Zeit,« sagte Ernst, vom Pferde springend. »Du bist keine verzärtelte Morgenländerin, schöne Dirne, und ich hoffe, daß es dir nicht schwer fällt, ein gutes Roß zu lenken?«

»Nicht im Geringsten,« sagte Bertha, indem sie sich fest in ihre Kleidung hüllte, und mit einer Leichtigkeit auf das Pferd sprang wie der Hänfling auf einen Rosenbusch. »Und nun, Herr, da mein Geschäft keinen Aufschub leidet, werde ich Euch verbunden sein, wenn Ihr mich augenblicklich zum Zelt des Herzogs Gottfried von Bouillon bringt.«

Bertha hatte sich dadurch, daß sie das höfliche Anerbieten des jungen Apuliers angenommen hatte, unbedachtsam von dem alten Waräger getrennt; doch die Absichten des Jünglings waren ehrenhaft, und er führte sie an den Zelten und Hütten vorüber zu dem Zelt des berühmten Oberanführers des Kreuzheers.

»Hier,« sagte er, »warte ein wenig unter dem Schutz meiner Begleiter (denn ein paar Pagen waren ihnen gefolgt, um den Ausgang der Sache zu sehen), bis ich die Befehle des Herzogs von Bouillon eingeholt haben werde.«

Hiergegen war nichts einzuwenden, und Bertha fand nichts Besseres zu thun, als die Außenseite des Zeltes zu betrachten, welches der griechische Kaiser Alexius in einer Anwandlung von Freigebigkeit dem fränkischen Feldherrn geschenkt hatte. Es erhob sich auf langen Speeren, die von Gold zu sein schienen, und war mit einem starken Stoff von Seide, Wolle und Golddraht verhängt. Die Wächter, die es umringten, waren (wenigstens so lange die Rathsversammlung dauerte) alte, ernste Männer, größtentheils Leibknappen der Kreuzfürsten, zu denen man das Zutrauen haben konnte, daß sie das, was ihnen von den Verhandlungen vielleicht zu Ohren kommen könnte, nicht ausplaudern würden. Ihr Aussehen war ernst und gemessen, und man sah es ihnen an, daß sie das Kreuz nicht aus eitler Lust an Abenteuern, sondern aus einem höheren und wichtigeren Grunde genommen hatten. Einer von ihnen hielt den Italiäner an, und fragte ihn, warum er sich in den Rath der Kreuzfürsten dränge, deren Sitzung bereits begonnen hatte. Der Page antwortete, indem er seinen Namen nannte, Ernst von Otranto, Page des Fürsten Tankred, und angab, daß er ein junges Weib melden wolle, das eine mündliche Botschaft nebst einem Beglaubigungszeichen dem Herzog von Bouillon bringe.

Bertha legte indessen ihren, Mantel ab, und brachte ihren angelsächsischen Anzug in Ordnung. Kaum war sie damit fertig, als der Page des Fürsten Tankred zurückkam, um sie vor den Rath der Kreuzfürsten zu führen. Sie folgte seinem Wink, während sich die anderen jungen Männer, die sie begleitet hatten, über den leichten Zugang, den sie fand, verwundert zurückzogen, und in einiger Entfernung von dem Zelt dies seltsame Abenteuer überdachten.

Unterdessen trat die Botschafterin in die Rathsversammlung – zwar bescheiden und anspruchslos, aber fest entschlossen, ihrer Pflicht vollständig zu genügen. Es waren etwa fünfzehn Kreuzfürsten in der Versammlung mit ihrem Haupte Gottfried. Dieser war ein großer, starker Mann, in dem Alter, wo die männliche Thatkraft noch ungeschwächt dauert, während Klugheit und Umsicht reifer sind als in früheren Jahren. Das Gesicht Gottfrieds, das von Rabenlocken beschattet wurde, zu denen sich bereits einige Silberfäden gesellten, drückte Klugheit und Kühnheit aus.

Tankred, der edelste christliche Ritter, saß nicht weit von ihm mit Hugo, Grafen von Vermandois, gemeinhin der große Graf genannt, dem eigennützigen und verschmitzten Bohemund, dem mächtigen Raymund von der Provence und anderen Kreuzfürsten, die Alle mehr oder weniger vollständig gerüstet waren.

Bertha ließ den Muth nicht sinken; mit bescheidener Anmuth näherte sie sich Gottfried, händigte ihm den Siegelring ein, den ihr der Page wieder zugestellt hatte, und sprach nach einer tiefen Verbeugung also: »Gottfried, Graf von Bouillon, Graf von Niederlothringen, Oberfeldherr des heiligen Kreuzzugs, und ihr, seine tapferen Pairs, Verbündeten und Genossen, und was sonst eure Titel sein mögen, ich, ein schlichtes Mädchen aus England, die Tochter Engelreds, ehemaligen Freisassen in Hampshire und seitdem Häuptling der Fürsten oder freien Angelsachsen, welche der berühmte Edrich führte, nehme das Recht in Anspruch, das mir gebührt, Kraft der Beglaubigung, die ich euch übergeben habe, und die von einem Manne kommt, der nicht der Geringste unter euch ist, dem Grafen von Paris –«

»Unserem hochgeschätzten Kriegsgenossen,« sagte Gottfried, den Ring betrachtend. »Viele von euch, ihr Herren, müssen, glaub' ich, dies Siegel kennen – ein Feld mit vielen Lanzensplittern besät.« Das Siegel ging von Hand zu Hand, und wurde allgemein anerkannt.

Als dies Gottfried erklärt hatte, begann das Mädchen wieder: »Allen ächten Kreuzfahrern, Gefährten Gottfrieds von Bouillon, und hauptsächlich dem Herzog selbst – Allen, sage ich, Bohemund von Antiochien ausgenommen, den er keiner Beachtung werth hält –«

»Was! mich keiner Beachtung werth?« sagte Bohemund. »Was soll das heißen, Fräulein? – Doch der Graf von Paris soll mir darauf antworten.«

»Erlaubt, Herr Bohemund, nein,« sagte Gottfried. »Unsere Artikel verbieten den Zweikampf unter uns selbst, und wenn eine Sache nicht durch die Streitenden selbst vermittelt wird, so müssen sich diese dem Urtheil unserer Versammlung unterwerfen.«

»Es scheint mir, daß mir nun die Sache klar ist,« sagte Bohemund. »Der Graf von Paris will sich an mir reiben, weil ich ihm an dem Abend, wo ich Constantinopel verließ, einen guten Rath gab, den er vernachlässigte und nicht befolgte –«

»Das wird sich deutlicher zeigen, wenn wir zuvor die Botschaft hören,« sagte Gottfried. – »Sagt uns also den Auftrag des Herrn Robert von Paris, Fräulein, damit wir die Sache, die uns so verwickelt scheint, in Ordnung bringen können.«

Bertha fuhr in ihrem Vortrag weiter fort, und nachdem sie die jüngsten Ereignisse in der Kürze erzählt hatte, schloß sie also: »Der Kampf soll morgen, zwei Stunden nach Tagesanbruch, stattfinden, und der Graf ersucht den Herzog von Bouillon, zu erlauben, daß an fünfzig Lanzen dem Kampfe beiwohnen, damit die Ehrlichkeit desselben, die sonst von dem Gegner gefährdet werden dürfte, unangefochten bleiben möge. Wenn irgend ein junger und tapferer Ritter aus freien Stücken dem Kampfe zusehen will, so wird es sich der Graf zur Ehre rechnen; doch aber wünscht er, daß ein solcher Ritter den Bewaffneten zugezählt werde, welche die Schranken bewachen sollen, und daß das Ganze auf fünfzig Lanzen beschränkt bleibe: denn diese Zahl sei zum Schutz des Kampfes hinreichend, während ein größerer Haufen bei den Griechen Argwohn erregen, und die kaum gestiftete Ruhe von Neuem stören könnte.«

Kaum hatte Bertha ihren Vortrag mit einer tiefen Verbeugung gegen die Versammlung beschlossen, als sich ein allgemeines Flüstern vernehmen ließ, das bald lauter und lebhafter wurde.

Das feierliche Gelübde der Kreuzfahrer, auf ihrem Weg nach Palästina, nun, da sie Hand an's Werk gelegt hatten, nicht umzukehren, wurde von einigen älteren Rittern des Raths und von ein paar großen Prälaten, die damals an den Verhandlungen Theil nahmen, eifrig verfochten. Die jungen Ritter hingegen wurden mit Unwillen erfüllt über die Art, wie man ihren Genossen in die Falle gelockt hatte, und Wenige wollten in einem Lande von einem Zweikampf zurückbleiben, der hier ein seltenes Schauspiel war, und ganz in der Nähe stattfand.

Gotfried hielt den Kopf auf die Hand gestützt und schien in großer Verlegenheit. Mit den Griechen zu brechen, schien ihm, nachdem er zur Erhaltung des Friedens so manche Beleidigung erduldet hatte, sehr unpolitisch, und ein Verscherzen alles Dessen, was er durch lange Nachsicht gegen Alexius Comnenus gewonnen hatte. Auf der anderen Seite war er als Ehrenmann verbunden, das Unrecht zu rügen, das man dem Grafen Robert von Paris zugefügt hatte, der wegen seines ritterlichen Charakters der Liebling des ganzen Heeres war. Ueberdies war eine schöne und tapfere Dame in der Sache betheiligt; jeder Ritter im Heere würde sich vermöge seines Gelübdes für verpflichtet geachtet haben, zu ihrer Vertheidigung herbeizueilen. Als Gottfried sprach, beklagte er die Schwierigkeit und die Kürze der Zeit, welche ein Entschluß in dieser Sache fordere.

»Der Herr Herzog erlaube mir,« sagte Tankred, »ich bin Ritter gewesen, ehe ich Kreuzfahrer wurde, und habe die Gelübde der Ritterschaft abgelegt, ehe ich das heilige Zeichen auf die Schulter nahm; das frühere Gelübde muß zuerst erfüllt werden. Ich will dafür Buße thun, wenn ich für einige Zeit die Pflichten des zweiten Gelübdes vernachlässige, während ich die erste der Ritterpflichten erfülle, indem ich eine hülfsbedürftige Dame aus den Händen von Leuten rette, die wegen ihres Betragens gegen sie und gegen dies Heer mit vollem Recht verrätherische Schurken genannt werden müssen.«

»Wenn mein Vetter Tankred,« sagte Bohemund, »seiner Heftigkeit gebieten will, und ihr, Herren, auf meinen Rath hören wollt, wie ihr bisweilen schon gethan habt, so kann ich euch ein Mittel angeben, wie ihr euren Eid halten, und doch unseren bedrängten Mitpilgern zu Hülfe kommen könnt. – Ich sehe, daß man mir einige argwöhnische Blicke zuwirft, die ich vielleicht der groben Art zumessen darf, womit dieser heftige und in diesem Fall höchst unsinnige junge Krieger meinen Beistand zurückgestoßen hat. Mein großes Unrecht gegen ihn ist, ihn durch Wort und Beispiel vor der Falle, die man ihm legte, gewarnt und ihm Geduld und Mäßigung empfohlen zu haben. Er verachtete meine Warnung, verschmähte es, meinem Beispiel zu folgen, und ging in die Falle, die man ihm vor seinen Augen stellte. Wenn mich der Graf von Paris blindlings zurückstößt, so kommt das von einer Stimmung her, die durch Unglück und Täuschungen gereizt ist. Ich bin ihm so wenig böse darum, daß ich, wenn ihr mir dazu die Erlaubniß gebt, mit fünfzig Lanzen nach dem Kampfplatz eilen will, indem ich jedem dieser fünfzig eine Begleitung von wenigstens zehn Mann gebe, was im Ganzen fünfhundert machen würde, und mit dieser Zahl hoffe ich den Grafen und die Gräfin sicher zu retten.«

»Das ist schön gedacht,« sagte der Herzog von Bouillon, »und der christlichen Feindesliebe gemäß, die Kreuzfahrern ziemt. Doch du hast die Hauptschwierigkeit vergessen, Bruder Bohemund, nämlich, daß wir geschworen haben, auf dem Kreuzzug nicht umzukehren.«

»Wenn wir diesen Eid für diesmal umgehen können,« sagte Bohemund, »so ist es unsere Pflicht, es zu thun. Sind wir so schlechte Reiter, oder sind unsere Rosse so unlenksam, daß wir sie nicht von hier bis zum Landungsplatz in Scutari rückwärts gehen lassen könnten? Auf dieselbe Art können wir in's Schiff steigen, und wenn wir in Europa ankommen, wo uns unser Gelübde nicht mehr bindet, wird dem Grafen und der Gräfin von Paris geholfen sein, und unser Gelübde wird unverletzt bleiben in der Kanzlei des Himmels.«

Allgemeiner Beifall erschallte: »Lang lebe der wackere Bohemund! – Schande über uns, wenn wir einem so tapferen Ritter und einer so liebreizenden Dame nicht zu Hülfe eilen, da wir es thun können, ohne unser Gelübde zu brechen.«

»Die Frage,« sagte Gottfried, »scheint mir eher umgangen als gelöst; doch haben die gelehrtesten und bedächtigsten Casuisten dergleichen Umgehungen für zuläßlich erklärt; auch zögere ich nicht mehr, Bohemunds Rath zu befolgen, als wenn der Feind unsere Nachhut angegriffen hätte, was unseren Rückmarsch ebenfalls nothwendig gemacht haben würde.«

Einige Mitglieder des Raths, namentlich geistliche, hielten dafür, daß das Gelübde der Kreuzfahrer buchstäblich gehalten werden müsse. Aber Peter der Einsiedler, der einen Platz im Rath hatte, und großes Gewicht besaß, äußerte die Meinung, daß die strenge Ausführung des Gelübdes die Kreuzfahrer schwächen müßte, sie sei also ungesetzlich, und man sollte nicht auf dem buchstäblichen Sinn bestehen, wenn ein guter Ausweg vorhanden sei.

Er selbst bot sich an, auf seinem Thier, d. h. auf seinem Esel, rückwärts reiten zu wollen, und wiewohl er von diesem Vorhaben durch die Vorstellungen Gottfrieds von Bouillon abgebracht ward, der sich dadurch bei den Heiden lächerlich zu machen fürchtete, so setzte er doch mit seinen Gründen so viel durch, daß sich die Ritter lebhaft um die Ehre stritten, an dem Zuge nach Constantinopel Theil zu nehmen, dem Kampfe beizuwohnen, und den tapferen Grafen von Paris, an dessen Siege Niemand zweifelte, nebst seiner heldenmüthigen Gattin in's Lager zurückzubringen.

Diesem Wetteifer wurde ebenfalls ein Ende gemacht durch Gottfried von Bouillon, der selbst die fünfzig Ritter auswählte, die das Häuflein bilden sollten. Sie wurden aus den verschiedenen Völkern genommen, und der Befehl über sie wurde dem jungen Tankred von Otranto gegeben. Gottfried schlug die Forderung Bohemunds ab, und hielt ihn unter dem Vorwand zurück, daß der Rath seiner Landes- und Völkerkenntniß bedürfe, um den Plan zum syrischen Feldzug zu entwerfen; in der That aber fürchtete er die Selbstsucht eines Mannes von großem Genie und militärischen Gaben, der an der Spitze eines abgesonderten Haufens versucht werden könnte, die übertragene Vollmacht zum Nachtheil des Kreuzzuges zu überschreiten. Die jüngeren Theilnehmer des Zugs waren vorzüglich besorgt, sich solche Pferde auszuwählen, mit denen man leicht das Manöver ausführen konnte, wodurch man das Gelübde zu umgehen gedachte. Die Auswahl ward endlich getroffen, und die Schaar erhielt Befehl, sich bei der Nachhut oder am östlichen Ende des christlichen Lagers aufzustellen. Unterdessen übertrug Gottfried Bertha eine Botschaft an den Grafen von Paris, wodurch er denselben gelind tadelte, daß er in seinem Umgang mit den Griechen nicht vorsichtiger sei, und ihm meldete, daß ein Haufen von fünfzig Lanzen mit den dazu gehörigen Knappen, Pagen, Knechten und Schützen, im Ganzen fünfhundert, unter der Führung des tapferen Tankreds, ihm zu Hülfe zöge. Auch die Zusendung einer vorzüglichen Rüstung nebst einem guten Streitroß zeigte ihm der Herzog an: denn Bertha hatte nicht verfehlt, anzudeuten, daß Graf Robert einer ritterlichen Ausrüstung ermangele. Das Roß wurde, völlig geharnischt und mit der Rüstung des Ritters beladen, vor das Zelt gebracht. Gottfried selbst gab Bertha die Zügel in die Hand.

»Du brauchst nicht zu fürchten, dich diesem Pferd anzuvertrauen, es ist so sanft und gelehrig als geschwind und stark. Setze dich auf, und gehe nicht von der Seite des edlen Fürsten Tankred von Otranto, der gerne ein Mädchen beschützen wird, das heute so viel Gewandtheit, Muth und Treue gezeigt hat«

Bertha verbeugte sich tief, und ihre Wangen glühten bei dem Lob eines Mannes, dessen Werth so allgemein geachtet wurde, daß man ihn an die Spitze eines Heeres erhob, in welchem sich die tapfersten und ausgezeichnetsten Helden der Christenheit befanden.

»Wer sind jene Zwei dort?« sagte Gottfried, indem er auf Bertha's Begleiter deutete, die er in einiger Entfernung von dem Zelte sah.

»Der Eine,« antwortete das Mädchen, »ist der Herr des Schiffs, das mich herüberbrachte, und der Andere ein alter Waräger, der mich hierher begleitet hat.«

»Da es möglich ist, daß sie hier ihre Augen und auf dem anderen Ufer ihre Zungen brauchen könnten,« versetzte der Feldherr der Kreuzfahrer, »so halte ich es nicht für gerathen, daß sie dich begleiten. Sie sollen auf eine kurze Zeit hier bleiben. Die Bürger von Scutari werden nicht gleich wissen, was unsere Absicht ist, und ich wünsche, Fürst Tankred und seine Begleiter möchten ihre Ankunft selbst ankündigen.«

Bertha zeigte den Beiden den Wunsch des fränkischen Feldherrn an, ohne den Grund davon anzugeben. Der Schiffer begann, sich über die Störung in seinem Gewerbe zu beklagen, und Osmund, über die Hinderung in seiner Dienstpflicht. Doch Bertha ließ sie, auf Gottfrieds Befehl, unter der Versicherung zurück, daß sie bald ihre Freiheit erhalten würden. Da sie sich so verlassen sahen, ging Jeder von ihnen seinem Lieblingsvergnügen nach. Der Schiffer beschäftigte sich, sich nach Neuigkeiten umzuthun, und Osmund, der unterdessen von einem der Diener zum Frühstück eingeladen worden war, saß ruhig bei einer Flasche Rothen, die ihn wohl mit einem schlimmeren Loos, als sein gegenwärtiges war, versöhnt haben würde.

Die Schaar Tankreds, fünfzig Lanzen und ihre bewaffnete Begleitung, was volle fünfhundert Mann ausmachte, war nach einem kurzen Mahl bewaffnet und beritten vor der heißen Mittagsstunde. Nach einigen Bewegungen, aus denen die Griechen von Scutari, deren Neugier rege geworden war, nicht gescheid werden konnten, bildete die Schaar eine einzige Colonne, vier Mann in der Fronte. Als die Pferde in dieser Stellung waren, begannen die sämmtlichen Reiter auf einmal rückwärts zu reiten. Sowohl Reiter als Rosse waren an diese Bewegung gewöhnt, und zuerst waren die Zuschauer wenig darüber erstaunt; aber als diese Bewegung fortdauerte, und die Schaar im Begriff zu sein schien, auf so seltsame Weise ihren Einzug in Scutari halten zu wollen, ging den Bürgern ein Licht auf. Das Geschrei ward endlich allgemein, als Tankred und einige Andere, deren Pferde sehr gut abgerichtet waren, den Hafen erreichten, sich einer Galeere bemächtigten, in die sie ihre Pferde trotz aller Einsprache der kaiserlichen Hafenbeamten, brachten, und das Schiff vom Ufer abstießen.

Die übrigen Ritter erreichten ihre Absicht nicht so leicht; die Reiter oder Rosse waren weniger gewöhnt, einen so anstrengenden Marsch, der so lange dauerte, auszuführen, so daß einige Ritter, nachdem sie ein paar hundert Schritte rückwärts geritten waren, ihrem Gelübde Genüge geleistet zu haben glaubten, und, indem sie auf die gewöhnliche Weise in die Stadt ritten, sich einiger Schiffe zu bemächtigen suchten, die, unbeschadet der Befehle des griechischen Kaisers, auf der asiatischen Seite der Meerenge hatten bleiben dürfen. Einige weniger geschickte Reiter erlitten allerlei Unfälle: denn ungeachtet des damaligen Sprüchworts, daß nichts kühner sei als ein blindes Pferd, wurden doch bei dieser Art zu reiten, wobei Roß und Reiter ihren Weg nicht sahen, einige Pferde zu Boden geworfen, andere stießen auf gefährliche Hindernisse, und die Knochen der Reiter selbst litten weit mehr, als es bei einem gewöhnlichen Marsch der Fall gewesen sein würde.

Diejenigen Reiter, welche gestürzt waren, wären in Gefahr gewesen, von den Griechen erschlagen zu werden, hätte nicht Gottfried seine frommen Zweifel bei Seite gesetzt, und ihnen ein Reitergeschwader zu Hülfe gesandt. Dem größten Theil von Tankreds Begleitern gelang es sich einzuschiffen, wie man beabsichtigt hatte, und es wurden am Ende nur wenige vermißt. Doch um die Ueberfahrt zu bewerkstelligen, mußten sich der Fürst von Otranto selbst und die meisten seiner Begleiter zu dem unritterlichen Geschäft des Ruderns bequemen. Hierbei fand man große Schwierigkeiten, die sowohl von Wind und Strömung herkamen als auch von der Unbekanntschaft mit dieser Arbeit. Gottfried sah von einer benachbarten Anhöhe der Ueberfahrt zu, und betrübte sich über die Schwierigkeit derselben, die noch dadurch vermehrt wurde, daß man zusammenbleiben mußte, also gezwungen war, auf das geringste Fahrzeug zu warten, was die Ueberfahrt sehr verzögerte. Sie kamen indeß doch etwas vorwärts, und Gottfried zweifelte nicht, daß sie vor Sonnenuntergang das jenseitige Ufer glücklich erreichen würden.

Er verließ endlich seinen Beobachtungsposten, nachdem er daselbst eine Wache aufgestellt hatte mit der Anweisung, ihm Meldung zu thun, sobald die Ueberfahrenden das Ufer erreicht haben würden. Der Soldat konnte dies leicht sehen, wenn die Landung noch am Tage geschah; für den Fall, daß man erst in der Dunkelheit ankäme, hatte der Fürst von Otranto Befehl, gewisse Feuerzeichen zu geben, die, wenn man von Seiten der Griechen Widerstand fände, sich auf eine eigenthümliche Art als Nothzeichen kundgeben sollten.

Hierauf erklärte Gottfried den griechischen Vorgesetzten von Scutari, die er zu sich berufen hatte, die Nothwendigkeit, so viel Schiffe, als zu haben wären, in Bereitschaft zu halten; mit diesen wollte er im Nothfall eine starke Hülfsschaar übersetzen, die den Vorausgegangenen Beistand bringen sollte. Er ritt dann zurück nach dem Lager, dessen verworrenes Summen, durch die verschiedenen Besprechungen der Tagesbegebenheiten verstärkt, sich über das zahlreiche Kreuzheer erhob, und mit dem Rauschen des wogenreichen Bosporus vermischte.



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