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Achtes Kapitel.

Süß sind des Mißgeschickes Weisungen;
Es trägt der garst'gen, gift'gen Kröte gleich
Doch eine schöne Perle in dem Haupt.

Wie es euch gefällt.

Von dem Platten Dach, zu dem man durch eine Rollthüre aus dem Schlafzimmer Ursels gelangte, genoß man eine der schönsten Aussichten, welche die Gegend von Constantinopel bieten konnte.

Hierher führte der Arzt seinen Kranken, nachdem sich derselbe erholt hatte, damit sich derselbe von seiner wiederhergestellten Sehkraft bei der Betrachtung der herrlichen Natur überzeugen könnte.

Zum Theil war das Bild, das vor seinen Augen lag, ein Meisterstück der menschlichen Kunst. Die stolze Hauptstadt der Welt, mit stattlichen Bauten geschmückt, zeigte eine Menge von glänzenden Pyramiden und Säulen; von den letzteren waren einige von einem reinen einfachen Styl, mit laubverzierten Capitälern, Andere hatten einen gerieften Schaft und glichen der Säule, an welche die früheren Griechen ihre Lanzen lehnten: einfache Formen, aber in ihrer Einfachheit anmuthiger als alle anderen, die der menschliche Geist seitdem erfunden hat. Neben diesen ächt classischen Mustern fanden sich andere aus späterer Zeit, wo ein neuerer Geschmack, nach Verbesserung strebend, durch Vermischung der Ordnungen nur Zusammengesetztes oder ganz Unregelmäßiges hervorgebracht hatte. Das Großartige der Gebäude jedoch, wo diese Säulen angebracht waren, verschafften denselben Ansehen, so daß selbst der Kenner, von der Größe des Ganzen entzückt, das Fehlerhafte in den Einzelheiten verzieh. Triumphbogen, Thürme, Obelisken und Pyramiden, zu verschiedenen Zwecken bestimmt, ragten durcheinander majestätisch in die Lüfte, während tief unten die engen Straßen der Stadt durcheinander liefen, mit Häusern von verschiedener Höhe und platten, mit Blumen, Pflanzen und Springbrunnen geschmückten Dächern, die, von Oben gesehen, einen lieblicheren Anblick gewährten, als die schrägen und einförmigen Dächer einer nordeuropäischen Hauptstadt.

Es hat uns viel Zeit gekostet, das Bild mit Worten zu beschreiben, das Ursel in einem Blick übersah, und das ihn zuerst schmerzlich berührte. Seine Augen hatten lange die Uebung entbehrt, die uns lehrt, die Bilder, die uns in's Auge fallen, vermittelst der Beihülfe unserer anderen Sinne zu ordnen. Sein Begriff von Entfernung war so unbestimmt, daß alle die Pyramiden, Thürme und Minarets, die er sah, vor seinen Augen zu schweben und dieselben fast zu berühren schienen. Schaudernd wandte sich Ursel weg, und blickte wo anders hin. Auch hier sah er Thürme und Thürmchen, aber sie gehörten zu den Kirchen und öffentlichen Gebäuden zu seinen Füßen, und spiegelten sich in dem Hafen, der von dem Reichthum, den er nach der Stadt brachte, den Namen des goldenen Horns führte. Dieser großartige Wasserbehälter war theils durch Hafendämme begränzt, wo große Schiffe ihre Fracht ausluden, während kleinere Fahrzeuge am Ufer die sonderbar geformten, schneeweißen Tücher flattern ließen, die ihnen als Segel dienten; theils war das goldene Horn von grünen Bäumen umsäumt, wo die Gärten der Reichen und Vornehmen, und die öffentlichen Erholungsplätze zusammentrafen.

Auf dem Bosporus, den man in der Ferne sah, lag die kleine Flotte Tankreds, wo sie in der Nacht die Anker geworfen hatte: denn ihr Führer hatte in der Nacht nicht landen wollen, da es zweifelhaft war, ob man ihn als Freund oder Feind empfangen würde. Dies Zaudern hatte jedoch den Griechen Gelegenheit verschafft, entweder auf den Befehl des Alexius oder auf den gleichmächtigen Befehl eines der Verschwornen sechs vollständig bemannte und bewaffnete Kriegsschiffe gerade da vor Anker zu legen, wo die Schaar Tankreds nothwendig landen mußte.

Diese Anstalten überraschten den tapferen Tankred, der nichts davon wußte, daß diese Schiffe am verwichenen Abend von Lemnos eingelaufen waren. Der Heldenmuth dieses Fürsten wurde jedoch bei dem Anblick dieser unerwarteten Gefahr keineswegs erschüttert.

Diese prächtige Aussicht, von deren Beschreibung wir gewissermaßen abgekommen sind, wurde von dem Arzt und Ursel auf einem der höchsten Balcone des Blachernäpallastes genossen.

Kaum hatte Ursel nach der Hafenseite hingeblickt, als er von dem Rand des Balcons erschrocken zurückfuhr, und ausrief: »Rettet mich – rettet mich, wenn ihr nicht wirklich die Vollstrecker des kaiserlichen Willens seid!«

»Das sind wir in der That,« sagte Douban, »und zwar, dich zu retten und dich wo möglich zu heilen, aber nicht, dir Böses anzuthun, oder dir von Andern anthun zu lassen.«

»Bewahret mich vor mir selbst,« sagte Ursel, »und heilet mich von dem unwiderstehlichen Drang, den ich fühle, mich in den Abgrund zu stürzen, an dessen Rand ihr mich geführt habt.«

»Diesen gefährlichen Drang,« sagte der Arzt, »verspüren Alle, die lange von keiner schwindeligen Höhe hinabgesehen haben, und sich nun plötzlich auf einer solchen befinden: die Natur, wiewohl sie gütig ist, verläßt uns in dem Fall, wo wir Fähigkeiten, die wir Jahre lang nicht geübt haben, auf einmal wiedergewinnen. Hier bedarf es eines längeren oder kürzeren Uebergangs. Scheint dir dieser Balcon kein sicherer Standpunkt, wenn du dich auf mich und diesen getreuen Sclaven stützen kannst?«

»Doch,« sagte Ursel; »aber laß mich mein Gesicht gegen die Mauer kehren: denn ich kann nach dem dünnen Drahtgeländer nicht sehen, das mich allein von dem Abgrund scheidet.« Er meinte ein sechs Fuß hohes und verhältnißmäßig dickes Geländer von Erz. Als Ursel dies sprach, hielt er sich zitternd an dem Arzt, und wiewohl er jünger und kräftiger als dieser war, schleifte er doch seine Füße nach, als wenn sie von Blei wären, bis er die Rollthüre erreichte, woselbst ein Sitz angebracht war, auf den er sich niederließ. – »Hier,« sagte er, »will ich bleiben.«

»Und hier,« sagte Douban, »will ich dir auch die Mittheilungen des Kaisers machen, auf welche du nothwendig eine Antwort geben mußt. Er stellt es dir frei, Freiheit oder Gefangenschaft zu wählen, aber er bedingt sich aus, daß du auf die Rache verzichtest, welche dir der Zufall, wie ich dir nicht verhehlen kann, in die Hand gibt. Du weißt, wie sehr der Kaiser deine Nebenbuhlerschaft gefürchtet hat, und wie viel du von seiner Hand zu leiden hattest. Es fragt sich nun, kannst du ihm das verzeihen?«

»Laß mich meinen Kopf in meinen Mantel hüllen,« sagte Ursel, »um den Schwindel zu zerstreuen, der mein armes Gehirn belästigt; ich will dir meine Meinung sagen, sobald mir der Kopf klar sein wird.«

Er sank auf seinen Sitz, indem er sich den Kopf verhüllte, und nachdem er einige Minuten lang nachgesonnen hatte, wandte er sich an Douban mit einem Zittern, das seine fortdauernde Nervenschwäche verrieth, und sprach: »Eine ungerechte und grausame Behandlung erregt im ersten Augenblicke den höchsten Unwillen Dessen, der sie erleidet, und vielleicht gibt es keine Leidenschaft, die länger im Busen lebt, als der natürliche Trieb zur Rache. Hättest du mir darum in dem ersten Monat, wo ich auf dem Bette der Trübsal ausgestreckt lag, Gelegenheit verschafft, mich an meinem Unterdrücker zu rächen, so hätte ich gern den Rest meines elenden Lebens als Preis dafür bezahlt. Aber Leiden, die Wochen und Monate dauern, sind nicht zu vergleichen mit denen, die Jahre dauern. Denn bei einem kurzen Leiden behalten Körper und Geist die Kraft, an dem gewohnten Leben und seinen Hoffnungen, Wünschen, Täuschungen und Widerwärtigkeiten festzuhalten. Aber die Wunden schließen sich nach und nach, und machen besseren Gefühlen Platz. Die Lüste und Genüsse der Welt beschäftigen Den nicht mehr, hinter welchem sich das Thor der Verzweiflung geschlossen hat. Ich gestehe dir, mein guter Arzt, daß ich zu einer Zeit einen großen Theil des Felsens durchschnitten habe, um meine Freiheit zu gewinnen. Aber der Himmel hat mich von dieser Thorheit geheilt; und wenn ich auch dazu nicht kommen konnte, den Alexius Comnenus zu lieben – denn wie wäre es möglich, daß ich dies bei gesundem Verstand thun könnte? – so wurde ich doch immer mehr und mehr davon überzeugt, je mehr ich meine Thorheiten, Sünden und Verbrechen erkennen lernte, daß Alexius nur das Mittel sei, wodurch mich der gerechte Himmel strafen wollte, und daß ich darum an dem Kaiser keine Rache zu nehmen hätte. Und ich kann dir nun sagen, wenn ich anders nach solchen Wechselfällen meinen Gemüthszustand kenne, daß ich keinen Drang fühle, um mit Alexius um die Herrschaft zu buhlen, noch um die Anerbietungen anzunehmen, die er mir für meine Verzichtleistung macht. Er mag seine Krone ungekauft besitzen, für die er meiner Meinung nach nur zu viel bezahlt hat.«

»Das ist ein übertriebener Stoicismus, edler Ursel,« antwortete der Arzt Douban. »Muß ich also glauben, daß du die Anerbietungen des Kaisers verwirfst, und daß du mit Verachtung seines Willens, ja seiner heißen Wünsche, dich nach deinem finsteren Kerker zurücksehnst, um daselbst die kopfhängenden Betrachtungen fortzusetzen, die dich zu einer so verrückten Entschließung gebracht haben?«

»Arzt,« sagte Ursel, indem ein Zittern seines Körpers den Abscheu verrieth, den diese Vorstellung auf ihn machte, »deine eigene Kunst sollte dich gelehrt haben, daß kein schwacher Sterblicher, falls er nicht ein Heiliger zu werden bestimmt ist, Finsterniß dem Tageslicht, Blindheit dem Gesicht, Trübsal der Gemächlichkeit und Kerkerdunst der freien Gottesluft vorzieht. Nein! – es mag Tugend sein, so zu handeln, aber die meinige strebt nicht so hoch. Alles, was ich von dem Kaiser dafür verlange, daß ich ihm mit dem ganzen Einfluß meines Namens in der gegenwärtigen Gefahr beistehe, ist, daß er mir Aufnahme in eins der angenehmen und wohl ausgestatteten Klöster verschaffe, die er aus Frömmigkeit oder Gewissensfurcht gestiftet hat. Laßt mich nicht wieder der Gegenstand seines Argwohns werden, was schrecklicher ist, als der Gegenstand seines Hasses zu sein. Vergessen von der Macht, wie ich das Andenken der Machthaber vergessen habe, laßt mich zu Grabe gehen unbemerkt, ohne Zwang, in Freiheit, im Besitz meines blöden und geschwächten Gesichts und vor Allem in Frieden.«

»Wenn das dein aufrichtiger Wunsch ist, edler Ursel,« sagte der Arzt, »so bin ich gewiß, daß dir derselbe vollständig gewährt werden wird. Aber bedenke, daß du heute am Hof Alles zu erreichen vermagst, während du morgen, im Fall dich deine Uneigennützigkeit gereute, vergeblich auf weitere Bedingungen dringen würdest.«

»So sei es,« sagte Ursel; »ich behalte mir also noch eine Bedingung vor, die freilich nur für den heutigen Tag gilt. Ich bitte seine kaiserliche Majestät in aller Demuth, mir die Pein einer persönlichen Unterhandlung zu ersparen, und sich mit der Versicherung zu begnügen, daß ich zu Allem bereit bin, was er wünschen mag, indem ich mir nur die angegebene Versorgung für die Zukunft ausbedinge.«

»Aber warum scheust du dich,« sagte Douban, »dem Kaiser selbst deine Bedingungen mitzutheilen, die er doch nur sehr gemäßigt finden kann? Ich fürchte, der Kaiser wird auf einer kurzen Unterredung bestehen.«

»Ich schäme mich nicht,« sagte Ursel, »die Wahrheit zu gestehen. Wahr ist's, ich habe dem entsagt, was die Schrift weltlichen Stolz nennt; aber der alte Adam lebt immer in uns fort, und führt gegen unser besseres Selbst einen ununterbrochenen Krieg. Als ich vergangene Nacht der Gegenwart meines Feindes mir nur halb bewußt war, da mir meine Sinne seine verhaßte Stimme nur halb zurückriefen, pochte mir nicht das Herz, wie das eines gefangenen Vogels, und soll ich nun wiederum mit einem Manne zusammenkommen, der, mag sein Betragen im Allgemeinen sein, welches es wolle, der Urheber aller meiner unsäglichen Leiden gewesen ist? Nein, Douban! – der bloße Klang seiner Stimme würde alle Leidenschaften meines Herzens aufregen; und wiewohl meine Gesinnungen gegen ihn gewiß aufrichtig sind, so wäre doch ehe Zusammenkunft weder ihm noch mir räthlich.«

»Wenn das deine Meinung ist,« versetzte Douban, »so will ich ihm einfach deine Bedingung mittheilen, die du zu halten beschwören mußt. Ohne dies würde es schwer, wo nicht unmöglich sein, den Vertrag nach dem Wunsch beider Theile zu schließen.«

»Amen!« sagte Ursel; »und so aufrichtig ich meinen Entschluß bis an's Ende durchzuführen wünsche, so möge mich der Himmel vor wilder Rache, altem Groll und neuem Zwist bewahren!«

Ein lautes Klopfen an der Thüre des Schlafzimmers ließ sich hier vernehmen, und Ursel, der durch gewaltigere Empfindungen von seinem Schwindel befreit worden war, ging festen Schrittes in das Schlafzimmer, und, nachdem er sich gesetzt hatte, erwartete er mit abgewandtem Gesicht den Eintritt Dessen, der Einlaß begehrte, und der kein Anderer war, als Alexius Comnenus.

Der Kaiser erschien an der Thüre in einem Kriegeranzug, wie er einem Fürsten ziemte, der einem Kampf in den Schranken beiwohnen sollte.

»Weiser Douban,« sagte er, »hat unser geschätzter Gefangener Ursel zwischen unserer Freundschaft und Feindschaft gewählt?«

»Herr,« versetzte der Arzt, »er hat sich den Glücklichen beigesellt, die Herz und Leben den Diensten Ew. Majestät geweiht haben.«

»Er will mir also heute den Dienst erzeigen,« fuhr der Kaiser fort, alle Diejenigen von sich zu stoßen, die in seinem Namen und unter dem Vorwand, ihn zu rächen, Aufruhr erregen?«

»Herr,« versetzte der Arzt, »er will Alles thun, was Ihr von ihm verlangt.«

»Und auf welche Art,« sagte der Kaiser, indem er seiner Stimme den gnädigsten Ausdruck gab, »wünscht unser getreuer Ursel, daß Dienste wie diese, welche in der Stunde der höchsten Gefahr geleistet werden, vom Kaiser belohnt werden möchten?«

»Einfach dadurch,« antwortete Douban, »daß davon keine Rede sein möge. Er wünscht nur, daß in Zukunft alle Eifersucht zwischen Euch und ihm aufhören, und daß er in ein Kloster aufgenommen werden möge, wo er den Rest seines Lebens Gott und den Heiligen widmen könne.«

»Hat er dich das glauben gemacht?« sagte der Kaiser leise zu Douban. »Bei Gott! wenn ich erwäge, in welchem Kerker er war, und wie er daselbst gehalten wurde, so kann ich an eine so unverbitterte Gemüthsverfassung nicht glauben. Er muß wenigstens erst mit mir reden, ehe ich es glauben kann, daß der stolze Ursel in ein Wesen verwandelt worden ist, das nichts mehr mit den gewöhnlichen Bestrebungen der Menschen gemein hat.«

»Höre mich, Alexius Comnenus,« sagte der Gefangene, »und so möge dein Gebet zum Himmel Aufnahme und Erhörung finden, wie da den Worten Glauben schenkst, die ich in Einfältigkeit des Herzens zu dir rede. Wenn dein Kaiserreich von Gold wäre, würde es so wenig Reiz für mich haben wie jetzt; auch hat, dem Himmel sei Dank, das Unrecht, welches ich durch dich erlitten habe, wie groß und peinigend es auch war, keineswegs die Lust in mir erweckt, Verrath mit Verrath zu vergelten. Denke von mir, was du willst, wenn du nur mit mir zu reden vermeidest; und glaube mir, wenn du mich in dem strengsten Mönchskloster untergebracht haben wirst, so sollen mir Kasteiungen, Fasten und Vigilien weit wünschenswerther sein, als das Leben Derer, die der Kaiser ehrt, und die darum dem Kaiser Gesellschaft leisten müssen, so oft er es verlangt.«

»Es kommt mir wohl nicht zu,« sagte der Arzt, »mich in eine so wichtige Sache zu mischen. Doch da mir der edle Ursel und des Kaisers Hoheit Vertrauen geschenkt haben, so habe ich den Inhalt der von beiden Seiten sub crimine falsi zu haltender Bedingungen in der Kürze verfaßt.«

Der Kaiser verlängerte die Unterhaltung mit Ursel, bis er demselben erklärt hatte, auf welche Weise er ihm den heutigen Dienst zu leisten hätte. Beim Abschied umarmte Alexius mit vieler Wärme seinen gewesenen Gefangenen, während Ursel alle seine Selbstbeherrschung aufbot, um der Person, die ihm schmeichelte, seinen Abscheu nicht in Worten auszudrücken.



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