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Zwölftes Kapitel.

Nun zieht des Schicksals Hand den Vorhang weg,
und bringt an's Licht die Scene.

Don Sebastian.

Die Riesentrompete der Waräger gab laut das Zeichen zum Aufbruch, und die Haufen der getreuen Leibwächter, die vollständig geharnischt waren und den Kaiser in ihrer Mitte hatten, bewegten sich im Zuge durch die Straßen von Constantinopel. Die Gestalt des Alexius, die in einer glänzenden Rüstung schimmerte, schien kein ungeziemender Mittelpunkt für ein mächtiges Kaiserreich; und während sich die Bürger hinter dem Zuge drängten, konnte man einen deutlichen Unterschied sehen zwischen Denen, die gekommen waren, Aufruhr zu erregen, und dem größeren Theil, der sich der Bevölkerung anderer großer Städte gleich stieß und lärmte, um seine Neugierde zu befriedigen. Die Hoffnung der Verschwornen beruhte hauptsächlich auf den Unsterblichen, die zur Vertheidigung von Constantinopel bestimmt waren, an den gemeinen Vorurtheilen der Bürger Theil nahmen, und von den alten Anhängern Ursels, der vor seiner Gefangenschaft diese Leibwache befehligt hatte, bearbeitet waren. Die Verschwornen hatten beschlossen, daß Diejenigen von dieser Schaar, die für die Unzufriedensten galten, in der Frühe den Theil der Schranken besehen sollten, der für einen Angriff auf den Kaiser am geeignetsten schien. Aber trotz aller Mühe, die man sich gab, diesen Plan auszuführen, ward er durch einige Haufen Waräger vereitelt, die wie zufällig auf dem Platze erschienen. Etwas betroffen, daß ein Plan, den man für unentdeckt hielt, auf jedem Punkt gehindert und vereitelt werde, sahen sich die Verschwornen nach ihren Haupträdelsführern um; aber weder der Cäsar noch Agelastes war in den Schranken oder in dem Zug des Kaisers zu sehen, und wiewohl man Achilles Tatius in dem Letzteren reiten sah, so konnte man doch deutlich bemerken, daß sich derselbe eher in dem Gefolge des Protospatharius befinde, als an der Spitze seiner Waräger.

Als der Kaiser mit seinen glänzenden Schaaren die Phalanx Tankreds, die auf einem Hügel zwischen der Stadt und den Schranken aufgestellt war, erreicht hatte, wich der größere Theil des Zugs von der geraden Straße ab, um nach dem Kampfplatz zu ziehen, während der Protospatharius und der Akoluthos sich unter der Bedeckung eines Haufens Waräger zu dem Fürsten Tankred mit dem Auftrag des Kaisers begaben. Dieser kurze Marsch war bald vollbracht – die große Trompete blies zu einer Unterredung, und Tankred selbst, den Tasso den schönsten Kreuzfahrer nennt nach Rinaldo von Este, dem Geschöpfe der Phantasie des Dichters, trat hervor.

»Der Kaiser von Griechenland,« sagte der Protospatharius zu Tankred, »begehrt von dem Fürsten von Otranto vermittelst der beiden Offiziere, Ueberbringer dieses, zu wissen, warum derselbe gegen seinen Eid nach dem rechten Ufer dieser Meerenge zurückgekehrt sei, indem er den Prinz Tankred versichert, daß ihm nichts lieber sein werde, als eine Antwort zu erhalten, die gegen den Vertrag mit Gottfried von Bouillon und gegen den von den Kreuzfahrern geschwornen Eid nicht verstößt: denn dadurch würde der Kaiser seinem Wunsch gemäß befähigt werden, dem Fürsten Tankred und seiner Schaar durch einen gütigen Empfang zu zeigen, wie hoch er den Adel des Einen und die Tapferkeit Beider schätze. – Wir warten auf Antwort "

Der Ton dieser Botschaft hatte nichts sehr Beunruhigendes, und die Antwort kostete darum den Fürsten Tankred sehr wenig. »Die Ursache,« sagte er, »daß der Fürst von Otranto hier erschienen ist, liegt in dem Zweikampf zwischen Nicephorus Briennius, dem Cäsar dieses Reichs, und einem edlen Ritter und Genossen der Pilger, die das Kreuz genommen haben, um Palästina von den Ungläubigen zu befreien. Der Name dieses berühmten Ritters ist Robert von Paris. Es ist eine unerläßliche Pflicht für die Kreuzfahrer, einen ihrer Anführer mit so viel Bewaffneten zu senden, als hinreichen, die gesetzliche Ordnung beim Kampfe aufrecht zu erhalten. Daß solches ihre Absicht ist, ist daraus ersichtlich, daß sie nur fünfzig Lanzen sandten mit dem nöthigen Gefolge, während sie eine zehnmal größere Zahl hätten senden können, wenn sie einen Gewaltstreich hätten ausführen oder den gegenwärtigen Kampf stören wollen. Der Fürst von Otranto und sein Gefolge stellen sich also dem kaiserlichen Hof zu Befehl, und hoffen, daß sie als Zeugen des Kampfes sich von der genauen Beobachtung aller gesetzlichen Vorschriften dabei überzeugen werden.«

Die beiden griechischen Offiziere brachten diese Antwort dem Kaiser, der sie mit Vergnügen hörte; dem Friedensprincip gemäß, nach welchem er wo möglich zu handeln gesonnen gewesen war, ernannte er den Fürsten Tankred und den Protospatharius zu Marschällen der Schranken mit der Vollmacht, die Kampfbedingungen zu ordnen; bei abweichenden Meinungen sollten sie sich an Alexius selbst wenden. Dies wurde den Zuschauern feierlich bekannt gemacht, die auf solche Weise darauf vorbereitet wurden, den griechischen Offizier und den geharnischten, italiänischen Fürsten in den Schranken erscheinen zu sehen. Zugleich wurden die Anwesenden aufgefordert, eine zureichende Anzahl von Sitzen an einer Seite der Schranken zur Bequemlichkeit von des Fürsten Tankreds Gefolge zu räumen.

Achilles Tatius, der sorgfältig auf alle Vorgänge Acht gab, sah mit großer Unruhe, daß die Schaar der Lateiner ihren Platz zwischen den Unsterblichen und den verschwornen Bürgern erhielt, wodurch es ihm sehr wahrscheinlich wurde, daß die Verschwörung entdeckt sei, und daß Alexius einen guten Grund haben müsse bei der Unterdrückung derselben auf Tankred und seine Schaar zu rechnen. Dies, so wie der kalte, spöttische Ton, womit ihm der Kaiser seine Befehle gegeben hatte, brachte den Akoluthos auf die Meinung, daß er sich am besten aus der Klemme ziehen würde, wenn er die ganze Verschwörung fallen ließe, und an dem heutigen Tage nichts unternähme, den Thron des Alexius Comnenus zu erschüttern. Indes; auch so blieb es zweifelhaft, ob ein so verschmitzter und argwöhnischer Despot, wie der Kaiser, sich damit begnügen würde, eine verfehlte Verschwörung entdeckt zu haben, ohne die Bogenstränge und Blendeisen seiner Stummen in Bewegung zu setzen. Flucht und Widerstand waren hier gleich wenig möglich. Der geringste Versuch, sich aus der Nähe der getreuen Begleiter des Kaisers, seiner persönlichen Feinde, die ihn immer enger umringten, zu entfernen, wurde mit jedem Augenblicke schwieriger, und hätte einen Ausbruch herbeigeführt, den die schwächere Partei durchaus verschieben mußte. Und während die Soldaten, die dem Achilles unmittelbar untergeben waren, ihn immer noch als ihren Befehlshaber zu betrachten schienen, und von ihm das Commando erwarteten, so würde doch der geringste Argwohn, den er gegeben haben würde, seine unverzügliche Verhaftung veranlaßt haben. Mit bangem Herzen und Blicken, die vom Tageslicht und der Welt Abschied zu nehmen schienen, sah sich der Akoluthos verdammt, den Lauf der Dinge, auf den er keinen Einfluß ausüben konnte, zu beobachten, und die Entwicklung des Drama's, in dem es sich um sein Leben handelte, obgleich die Rollen von Anderen gespielt wurden, zu erwarten. Es schien in der That, als wenn die ganze Versammlung auf ein Zeichen warte, das Niemand zu geben im Stande war.

Die unzufriedenen Bürger und Soldaten schauten sich vergeblich nach Agelastes und dem Cäsar um, und als sie sahen, in welcher Lage sich Achilles Tatius befände, wurden sie dadurch mehr bestürzt als ermuthigt. Die Verschwornen aus den unteren Classen jedoch, die sich in ihrer Unbedeutendheit sicherer fühlten, beeiferten sich, den Aufruhr zu erregen, der einzuschlafen schien.

Ein Murmeln, das fast zum lauten Geschrei ward, wurde gehört: »Gerechtigkeit, Gerechtigkeit! Ursel, Ursel! Die Rechte der Unsterblichen!« u. s. w. Alsbald ertönte die Trompete der Waräger, deren schmetternde Töne gleich der Stimme einer vorsitzenden Gottheit durch den ganzen Umkreis schallten. Todesstille erfolgte in der Versammlung, und ein Herold verkündete im Namen des Alexius Comnenus den Willen des Herrschers.

»Bürger des römischen Reichs, eure Beschwerden, von Unruhestiftern aufgestachelt, haben das Ohr eures Kaisers erreicht; ihr selbst sollt Zeugen sein, wie er den Wünschen seines Volkes zu genügen vermag. Auf euren Wunsch und vor euren Augen soll die erloschene Sehkraft wieder belebt werden – und Der, welcher bisher darauf beschränkt war, sich mit seinen eigenen Bedürfnissen zu beschäftigen, soll, wenn er es wünscht, eine große Provinz oder Antheil am Reiche erhalten. Die politische Eifersucht, die schwerer zur Erkenntniß kommt als der Blinde zum Sehen, soll sich durch die väterliche Liebe des Kaisers zu seinem Volk und durch sein Bestreben, dasselbe zufrieden zu stellen, für überwunden bekennen. Ursel, euer Liebling, der so lang für todt, wenigstens für blind galt, ist euch wiedergegeben in guter Gesundheit, sehend und mit jeder Fähigkeit begabt, die Gunst des Kaisers und die Liebe des Volks zu gewinnen«

Als der Herold so gesprochen hatte, trat eine Gestalt, die bisher hinter einigen Dienern des Pallastes versteckt gewesen war, hervor, und als sie ein dunkles Gewand, in das sie gehüllt war, weggeworfen hatte, erschien sie in einem Scharlachkleide, während Aermel und Halbstiefel die Zierden trugen, die einen der kaiserlichen Würde benachbarten Rang ankündigten. Die Gestalt hielt den silbernen Commandostab der unsterblichen Leibwache, und indem sie vor dem Kaiser niederkniete, gab sie demselben zum Zeichen der Verzichtleistung den Stab in die Hand zurück. Die ganze Versammlung war bei dem Erscheinen eines Mannes durchbebt, den man so lange für todt oder geblendet gehalten hatte. Einige erkannten den Mann, dessen Gestalt und Gesicht nicht leicht zu vergessen war, und wünschten ihm Glück zur Rückkehr in den Dienst des Landes. Andere standen verwundert da, nicht wissend, ob sie ihren Augen trauen sollten, während einige Unzufriedene die Versammlung zu überreden suchten, daß es ein falscher Ursel wäre, und daß das Ganze eine List des Kaisers sei.

»Rede sie denn an, edler Ursel,« sagte der Kaiser. »Sag' ihnen, daß, wenn ich an dir gesündigt habe, Täuschung daran schuld gewesen sei, und daß mein Wunsch, Alles wieder gut zu machen, größer ist, als jemals mein Entschluß war, dir zu schaden«

»Freunde und Landsleute,« sagte Ursel, indem er sich gegen die Versammlung kehrte, »seine kaiserliche Majestät erlaubt mir, euch die Versicherung zu geben, daß wenn ich in meinem vergangenen Leben Ungemach durch ihn erlitten habe, dies durch den gegenwärtigen schönen Augenblick mehr als ausgewogen wird; und daß ich für jetzt gesonnen bin, den Ueberrest meines Lebens entweder dem Dienste des großmüthigsten und gnädigsten Fürsten, oder, mit seiner Erlaubniß, dem aller Heiligen und Engel in frommer Andacht zu weihen. Welche Wahl ich auch treffe, so zähle ich darauf, daß ihr, liebe Landsleute, die ihr so freundlich Jahre hindurch mein Andenken bewahrt habt, mir die Einschließung in euer Gebet nicht versagen werdet.«

Die plötzliche Erscheinung des langverlornen Ursels nahm die ganze Theilnahme der Menge in Anspruch, und die Ausbrüche des Jubels über die geschlossene Versöhnung sollen so lebhaft gewesen sein, daß die Vögel, den Erschütterungen der Luft nicht widerstehend, erschöpft auf die Erde herunterfielen.



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