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Fünftes Kapitel.

Der Himmel hält die Zeit; zum Ziele eilt
Die Kugel und der Pfeil, und nichts geschieht
Selbst im dem kleinsten Kreis, das zwecklos wär'.

Altes Schauspiel.

Nachdem Agelastes auf die gemeldete Weise dem Kaiser begegnet war, und nachdem er zum Gelingen der Verschwörung einige Maßregeln getroffen hatte, kehrte er zurück nach seiner Gartenwohnung, wo sich die Gräfin von Paris immer noch befand. Die einzige Gesellschaft, die sie daselbst hatte, war ein altes Weib, Vexhelia genannt, die Frau des Soldaten, welcher Bertha nach dem Kreuzlager begleitet hatte: denn dies wackere Mädchen hatte es nicht zugegeben, daß seine Herrin ohne Gesellschaft zurückbleiben sollte. Den ganzen Tag hatte Agelastes die Rolle des ehrgeizigen Politikers, des selbstsüchtigen Beobachters und des verschlossenen Verschwörers gespielt, und nun, gleichsam um sein Rollenfach zu erschöpfen, nahm er sich vor, sich als einen verschmitzten Sophisten darzustellen, und die Kunstgriffe zu rechtfertigen, durch die er zu Reichthum und Ansehen gelangt war, und durch die er selbst die Kaiserwürde zu erringen hoffte.

»Schöne Gräfin,« sagte er, »welche Ursache habt Ihr, den Schleier der Wehmuth über Euer reizendes Gesicht zu hängen?«

»Haltet Ihr mich für einen Stock, einen Stein, oder ein anderes gefühlloses Ding,« sagte Brenhilda, »daß ich Herzeleid, Gefangenschaft, Gefahr und Unglück erdulden soll, ohne mein Gefühl auszudrücken? Bildet Ihr Euch ein, daß man einer Dame, wie mir, die so frei ist wie der wilde Falke, die Schmach der Gefangenschaft anthun dürfe, ohne daß ich diese Beschimpfung fühlte, und ohne daß ich gegen die Urheber derselben aufgebracht wäre? Und wähnt Ihr, daß ich von Euch getröstet sein wolle – von Euch, einem der hauptsächlichsten Urheber dieses Truggewebes, in das man mich hinterlistig verwickelt hat?«

»Gewiß nicht verwickelt durch mich,« antwortete Agelastes; »schlagt in die Hände, begehrt, was Ihr wünschet, und der Sclave, der Euch Gehorsam versagt, wäre besser ungeboren. Hätte ich nicht um Eurer Sicherheit und Ehre willen es für eine kurze Zeit übernommen, Euer Wirth zu sein, so hätte sich der Cäsar ein Geschäft daraus gemacht, und Ihr wißt, was er beabsichtigt, und könnt leicht errathen, durch welche Mittel er seine Absicht verfolgen würde. Wie mögt Ihr also so kindisch weinen, daß Ihr Euch für eine kurze Zeit in einer ehrenhaften Zurückgezogenheit befindet, welcher die ruhmreichen Waffen Eures Gemahls wahrscheinlich schon morgen Vormittag ein Ende machen werden?«

»Kannst du es nicht begreifen,« sagte die Gräfin, »du Mann voll von Worten und leer an edlen Gefühlen, daß ein Herz, wie das meinige, das gewohnt ist, auf eigene Kraft und Stärke zu vertrauen, nothwendig beschämt sein muß, wenn man es zwingt, sein Heil von einem anderen als dem eigenen Schwert zu erwarten, und wäre es selbst das eines Gemahls?«

»Ihr seid mißleitet, Gräfin,« antwortete der Philosoph, »von Eurem Stolz mißleitet, der ein Hauptfehler des Weibes ist. Glaubt Ihr, es sei keine Vermessenheit, den Beruf der Mutter und des Weibes zu verlassen, und dem jener gehirnkranken Thörinnen zu folgen, die gleich weiblichen Banditen Alles, was ehrenhaft oder nützlich ist, einem verrückten und eingebildeten Heldenthume opfern? Glaubt mir, schöne Dame, daß die wahre Tugend von Euch darin zu suchen wäre, in der Gesellschaft Euren Platz mit Anmuth auszufüllen, Eure Kinder zu erziehen, und die Männer zu bezaubern; Alles, was darüber ist, kann Euch zwar gehaßter oder gefürchteter, aber nicht liebenswürdiger machen.«

»Ihr gebt Euch für einen Philosophen aus,« sagte die Gräfin; »Ihr solltet also wissen, daß der Ruhm, welcher das Grab eines Helden oder einer Heldin bekränzt, mehr werth ist als jeder Beruf, in welchem gewöhnliche Menschen ihr Leben zubringen. Eine einzige mit rühmlichen Thaten und kühnen Wagestücken ausgefüllte Lebensstunde überwiegt ganze Jahre des gemeinen Alltagtreibens, wo die Menschen durch's Leben schleichen ohne Ehre und Aufsehen gleich faulem Wasser im Sumpf.«

»Tochter,« sagte Agelastes, indem er sich der Dame näherte, »es thut mir leid, Euch in einem Irrthum befangen zu sehen, den eine ruhige Betrachtung beseitigen kann. Wir können uns schmeicheln, und die menschliche Eitelkeit verfehlt nicht, es zu thun, daß übermenschliche Wesen, die unendlich mächtiger sind als wir, täglich Gutes und Böses unserer Welt zutheilen, das Schicksal der Schlachten und der Reiche bestimmen, indem sie ihnen eigenen Begriffen von Recht und Unrecht folgen, oder vielmehr dem, was wir dafür halten. Die heidnischen Griechen, wegen ihrer Weisheit und ihrer ruhmreichen Thaten berühmt, stellten den gewöhnlichen Menschen, den erdichteten Jupiter und sein Pantheon hin, wo verschiedene Gottheiten über verschiedene Tugenden und Laster walteten, und das zeitliche und zukünftige Schicksal ihrer Verehrer lenkten. Die Gelehrteren und Weiseren unter den Alten verwarfen diese Vorstellungen des Volks, und wiewohl sie äußerlich dem Volksglauben zugethan schienen, so läugneten sie doch vor ihren Schülern den Tartarus und Olympus als grobe Erdichtungen, das Dasein der Götter als leere Lüge, und die Unsterblichkeit sowohl des Leibes als der Seele. Einige dieser weisen und tugendhaften Männer gaben zwar das Dasein dieser Götter zu, behaupteten aber, daß sich die Götter so wenig um die Handlungen der Menschen kümmerten, wie um die der Thiere. Sie schrieben diesen Göttern ein heiteres, frohes, sorgenfreies Leben zu, wie es die Schüler Epikurs für sich selber wünschten. Andere, die kühner und folgerichtiger schlossen, läugneten gänzlich das Dasein der Götter als zwecklos, und behaupteten, daß übernatürliche Wesen, deren Dasein und Eigenschaften uns nicht durch übernatürliche Erscheinungen bewiesen würden, gar keine Wirklichkeit hätten.«

»Genug, Tropf!« sagte die Gräfin, »wisse, daß du nicht zu blinden Heiden sprichst, deren abscheulichen Lehren du dies Alles entnommen hast. Bin ich auch eine sündhafte, so bin ich doch eine getreue Tochter der Kirche, und das Kreuz auf meiner Schulter bezeugt das Gelübde, das ich der Kirche gethan habe. Sei darum so vorsichtig, als du hinterlistig bist: denn, glaube mir, wenn du was gegen meine heilige Religion sagst, so soll dir, wenn dir meine Zunge nicht dagegen dienen kann, die Spitze meines Dolches darauf antworten.«

»Glaubt mir, schöne Dame,« sagte Agelastes, »daß ich Euch zu dieser Beweisführung nicht treiben werde. Obwohl ich nun nichts mehr gegen jene erhabenen und gütigen Mächte sagen will, denen Ihr die Regierung der Welt zuschreibt, so werdet Ihr doch nicht böse werden, wenn ich mich über den elenden Aberglauben aufhalte, womit die Magier das sogenannte böse Prinzip erklärt haben. Haben je die Menschen etwas Dümmeres und Lächerlicheres geglaubt, als der christliche Teufel ist? Eine Bocksgestalt mit einem häßlichen Gesichte, worin sich die widerlichsten Leidenschaften ausdrücken; eine Macht, die der der Gottheit fast gleichkommt; und dabei eine Gemüthsart, die der der verächtlichsten Geschöpfe kaum ähnlich ist! Was ist dies Wesen, das die zweite Stelle im großen Ganzen einnimmt, wenn man seinen unsterblichen Geist nicht rechnet, im Vergleich mit einem murrsinnigen und haßerfüllten alten Mann oder alten Weib?«

Hier hielt Agelastes auf einmal in seiner Rede ein. Ein großer Spiegel hing in dem Gemach, so daß der Philosoph die Gestalt Brenhilda's darin sehen, und bemerken konnte, wie sie die Farbe wechselte, wiewohl sie ihm wegen seines Gesprächs den Rücken zugekehrt hatte. Auf diesen Spiegel blickte der Philosoph, als er betroffen eine Gestalt hinter einem Vorhang hervorschlüpfen sah, die ihn mit einem Teufels- oder Satyrengesichte anglotzte.

»Mensch!« sagte Brenhilda, deren Aufmerksamkeit auf diese vermeintliche Teufelserscheinung gerichtet war, »hast du durch deine schlechten Reden und noch schlechteren Gedanken den bösen Feind beschworen? Gleich treibe ihn wieder weg, oder, bei U. l. F. zu den gebrochenen Lanzen! du sollst sehen was ein fränkisches Weib in der Nähe von Teufeln und Teufelsbeschwörern zu thun im Stande ist! Ich wünsche nicht, ohne Noth gegen ihn zu kämpfen; aber wenn ich zum Kampf mit einem so schrecklichen Feind gezwungen werde, dann soll Niemand sagen, daß Brenhilda Furcht habe.«

Nachdem Agelastes mit Staunen und Schrecken die Gestalt im Spiegel erblickt hatte, wandte er sich um, den Gegenstand zu untersuchen; dieser war jedoch hinter dem Vorhang verschwunden, und lag daselbst vermuthlich versteckt, bis sich nach ein paar Minuten das höhnische, mürrische Gesicht wieder wie zuvor im Spiegel zeigte.

»Bei den Göttern!« sagte Agelastes –

»Denen Ihr eben erst Euren Unglauben zu erkennen gegeben habt,« unterbrach ihn die Gräfin.

»Bei den Göttern!« wiederholte Agelastes gefaßter, »es ist Sylvan, dies seltsame Ebenbild des Menschen, den man von Taprobana hierhergebracht haben soll! Ich wette, er glaubt ebenfalls an den Gott Pan und den alten Sylvan. Seine Erscheinung ist voll Schrecken für die, welche ihn nicht kennen, aber er zittert vor dem Philosophen wie Unwissenheit vor Weisheit.« So sprechend, riß er den Vorhang weg, hinter dem sich das Thier, nachdem es zum Fenster hereingekommen war, versteckt hatte, und indem er einen Stock erhob, bedrohte er es mit den Worten: »Was soll das, Sylvan! was bedeutet diese Frechheit? – Pack dich gleich fort!«

Da er bei diesen Worten das Thier schlug, und ein Schlag zum Unglück die verwundete Hand desselben traf, so wurde es schmerzlich an seine Wunde erinnert. Seine zurückkehrende Wildheit überwog in diesem Augenblick seine Scheu vor Menschen; mit einem wüthenden und zugleich erstickten Schrei sprang es gegen den Philosophen, und schlang seine starken, nervigen Arme mit der größten Wuth um dessen Hals. Der Alte wand sich und kämpfte, sich von dem Thier zu befreien, aber vergebens. Sylvan hielt sein Opfer fest, drückte die nervigen Arme mit aller Gewalt zusammen, und schien den Philosophen erst dann fahren lassen zu wollen, wenn er ihm die Kehle ganz zugedrückt haben würde. Ein zweimal wiederholtes Wuthgeschrei, das von einer gräßlichen Verzerrung des Gesichtes begleitet war, wurde gehört, und ein Druck der Arme vollendete in weniger als fünf Minuten die schreckliche Rache.

Agelastes lag todt am Boden, und sein Mörder Sylvan sprang, als wäre er vor seiner That erschrocken, von dem Leichnam weg und zum Fenster hinaus. Die Gräfin stand voll Erstaunen, nicht wissend, ob sie einem natürlichen oder übernatürlichen Strafgericht des Himmels beigewohnt habe. Auch ihre neue Dienerin Vexhelia war nicht weniger erstaunt, wiewohl ihr das Thier nicht ganz unbekannt war.

»Dame,« sagte sie, »dies riesige Geschöpf ist ein Thier von großer Stärke, das dem Menschen gleicht; aber da es seine ungeheure Stärke kennt, so ist es gegen die Menschen oft bösartig. Ich habe die Waräger oft erzählen hören, daß es zu dem kaiserlichen Museum gehört. Doch wir müssen die Leiche dieses Unglücklichen wegbringen, und sie im Gesträuch des Gartens verbergen. Es ist nicht wahrscheinlich, daß man ihn heute Abend vermissen wird, und morgen wird es so viel zu thun geben, daß man vermuthlich nicht nach ihm fragen wird.« Die Gräfin Brenhilda willigte ein: denn sie gehörte nicht zu den furchtsamen Frauen, denen der Anblick des Todes Schrecken verursacht.

Agelastes hatte gegen ein gegebenes Versprechen der Gräfin und ihrer Dienerin die Gärten offen gelassen, wenigstens den um den Pavillon liegenden Theil derselben. Es war darum keine Störung zu besorgen, als sie die Leiche hinaustrugen, und in einem der dichtesten Gebüsche des Gartens niederlegten.

Als sie nach dem Pavillon zurückgekehrt waren, sagte die Gräfin halb zu sich selbst, halb zu Vexhelia: »Der Vorfall schmerzt mich, nicht darum, daß dieser schlechte Kerl die volle Rache des Himmels nicht verdient hätte, als er sich gerade in Spötterei und Lästerung ergoß, sondern weil Treue und Glaube der armen Brenhilda dadurch leiden könnte, da der Mord in ihrer und ihrer Dienerin Gegenwart stattfand, und Niemand Zeuge des seltsamen Endes war, welches der Lästerer genommen hat. – Du weißt,« fuhr sie fort, den Blick zum Himmel kehrend – »du, gebenedeite Jungfrau zu den gebrochenen Lanzen, Schützerin Brenhilda's und ihres Gemahls, du weißt wohl, daß ich, was ich auch für Fehler haben mag, frei bin von jeglichem Verrath; deinen Händen befehle ich meine Angelegenheit mit dem festen Vertrauen, daß deine Weisheit und Güte Alles zu meinem Besten lenken werde.« So sprechend, kehrte sie ungesehen nach ihrem Gemach zurück, und beschloß den ereignißvollen Abend mit frommen, demüthigen Gebeten.



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