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Elftes Kapitel.

Leis nimmt das Leben ab in solchem Alter,
Unmerklich, wie die Fluth vom Wrack dort weicht.
Es regte lustig sich bei jedem Stoß,
Den Wind und Woge gab; nun aber sitzt
Sein Kiel im Sande fest, es macht der Mast
Jetzt einen Winkel mit dem Himmel, unbeweglich;
Die weichende Fluth bewegt es immer weniger,
Bis trocken es nun auf dem Strande liegt,
Nutzlos und regungslos.

Altes Schauspiel.

Als der Antiquar im Begriff war, die Thür zu öffnen, überraschte es ihn, die gellende zitternde Stimme Elsbeth's zu hören, welche in schauerlicher und seltsamer Weise eine alte Ballade sang.

»Der Häring liebt den schönen Mondschein,
Die Makrele liebt den Wind,
Die Austern aber, die lieben Gesang,
Weil sie edlerer Abkunft sind.«

Als ein fleißiger Sammler solcher Ueberbleibsel alter Dichtkunst vermochte Oldbuck nicht über die Schwelle zu treten, da sein Ohr so gefesselt wurde; seine Hand zog instinktartig Bleifeder und Schreibtasche hervor. Von Zeit zu Zeit sagte die alte Frau, als ob sie mit Kindern spräche: – »Nur still, Kinderchen, still, still! ich will euch ein hübscher Liedchen als das singen –

Nun schweigt mir alle, Weib und Mann,
Hört, Jung und Alt, mein Wort:
Ich singe vom Grafen Glenallan,
Der focht bei Harlaw dort.

Das Todtenlied tönt in Bennachie,
Tönt überall, fort und fort,
In Hoch- und Niederland trauern sie
Um die Schlacht bei Harlaw dort. –

Ich kann mich nicht genau auf den nächsten Vers besinnen – mein Gedächtniß wird schwach und es befallen mich so viel andere Gedanken – Gott schütz' uns vor Versuchung!«

Jetzt sank ihre Stimme zu einem unverständlichen Murmeln herab.

»Es ist eine historische Ballade,« sagte Oldbuck mit großer Theilnahme, »ein ächtes und unbestreitbares Fragment vom Liede eines Minstrel! – Percy würde seine Einfachheit bewundern – Ritson könnte seine Aechtheit nicht bezweifeln.«

»Ja, es ist eine traurige Sache,« sagte Ochiltree, »zu sehen, wie die menschliche Natur so schwach werden kann, daß sie sich an alten Liedern erfreut, nach einem so harten Verluste, wie er hier stattgefunden.«

»Still, still!« sagte der Alterthümler, – »sie hat den Faden der Geschichte wiedergefunden.« Als er dies sagte, begann sie zu singen:

»Hundert milchweiße Rosse sattelt man,
Zäumt hundert schwarz' auch auf,
Jedes Rosses Haupt schmückt ein Chafron dann,
Und ein tapfrer Ritter saß drauf.«

»Chafron!« rief der Alterthümler, – »gleichbedeutend vielleicht mit cheveron – das Wort ist allein seinen Dollar werth.« – Er schrieb es sogleich in seine Brieftasche.

»Sie ritten kaum eine Meile weit,
Eine Meil' und zehn alsdann,
Als Donald kam herab zum Streit
Mit zwanzigtausend Mann.

»Und ihre Tartans wehten weit,
Die Schwerter glänzten schön,
Der Pibroch schallte weit und breit,
Ein grausiges Getön!

»Im Bügel hob sich nun der Graf,
Das Hochlandsheer zu sehen: –
›Jetzt mag ein Ritter, kühn und brav,
Ein Wagestück bestehn! –

»›Was würdest du, mein Knappe thun,
Der nimmer von mir wich,
Wenn du Graf Glenallan wärst nun,
Und Roland Cheyne wär' ich?

»›Flucht wäre Sünd' und Schande nun,
Kampf droht Gefahr – Sag' an,
Was würdest, Roland Cheyne, du thun,
Wärst du Graf Glenallan?‹

»Ihr müßt wissen, Kinder, daß dieser Roland Cheyne mein Vorfahr war, wenn ich gleich jetzt arm und alt hier im Winkel sitze; und er war an diesem Tage in der Schlacht ein furchtbarer Mann, besonders aber, nachdem der Graf gefallen war; denn er machte sich Vorwürfe, daß er den Rath zum Angriffe gegeben, bevor noch Mar mit Mearns, Aberdeen und Angus heraufgezogen war.«

Ihre Stimme hob sich und ward lebhafter, als sie den kriegerischen Rath ihres Ahnherrn sang:

»›Wär' heut ich Graf von Glenallan,
Und Roland Cheyne wärst du,
Dem Roß gäb' ich die Sporen dann,
Den Zügel auch dazu.

»›Und zählten zwanzigtausend sie,
Zweihundert wir allein –
So deckt doch nur der Tartan die,
Uns hüllt der Harnisch ein.

»Durch ihre Reihen hin reit' ich
Wie durch das Gras der Au'n, –
Nie scheut ein edler Normann sich
Vor Hochlands Knechten, traun!«

»Hörst du das wohl, Neffe?« sagte Oldbuck; »du siehst, daß deine gälischen Vorfahren bei den Kriegern des Niederlands in jener Zeit nicht in besonderm Rufe standen.«

»Ich höre,« sagte Hektor, »von einem närrischen alten Weibe ein närrisches altes Lied singen. Es wundert mich, Oheim, daß Sie, der Sie Ossian's Gesänge von Selma nicht hören wollen, an solchem Zeug Gefallen finden können. Ich gestehe, noch nie hört ich eine schlechtere Pfennigballade. Schwerlich würden Sie eine ähnliche im Vorrathe eines Hausirers hier im Lande finden. Ich würde mich des Gedankens schämen, daß die Ehre der Hochlande durch solches elende Gewäsch verletzt werden könne.« – Bei diesen Worten warf er den Kopf in die Höhe und nahm eine möglichst hochmüthige Miene an.

Die Alte hatte offenbar ihre Stimmen vernommen, denn sie hörte auf zu singen und rief: »Nur herein, meine Herren – wer's gut meint, bleibt nie vor der Schwelle stehn.«

Sie traten hinein und fanden zu ihrem Staunen Elsbeth ganz allein, gleich einem Geist am Herde sitzend, ähnlich der Personification des Alters im Jägerliede von der Eule S. Mrs. Grant über den hochländischen Aberglauben, Bd. II. S. 260., runzelig, welk, elend, trübäugig und bleich.

»Alle sind ausgegangen,« sagte sie, als jene eintraten; »wollt Ihr Euch aber ein bischen hinsetzen, so wird schon Jemand kommen. Habt Ihr Geschäfte mit meiner Schwiegertochter oder mit meinem Sohn, nun, die werden bald da sein. Ich selber befasse mich nie mit Geschäften. Kinder, gebt ihnen die Stühle – ja so, die Kinder sind wohl ausgegangen,« – dabei schaute sie rings umher, – »ich habe lange gesungen, um sie ruhig zu halten, aber sie sind fortgegangen. Setzt Euch, Ihr Herrn, sie werden bald da sein;« und nun ließ sie die Spindel aus der Hand gleiten, daß sie sich auf dem Boden drehte. Bald schien sie einzig mit der Bewegung derselben beschäftigt zu sein, und wußte scheinbar ebenso wenig von der Gegenwart der Fremden, als ihr der Rang und das Anliegen derselben gleichgiltig gewesen war.

»Ich wünschte,« sagte Oldbuck, »sie finge wieder an, jenes Lied zu singen. Ich habe stets vermuthet, daß der Hauptschlacht von Harlaw ein Reitergefecht vorausging.«

»Aber, mit Ihrer Erlaubniß,« sagte Edie, »thäten Sie nicht besser, das Geschäft vorzunehmen, welches Sie herführte? Ich will sie schon dahin bringen, daß sie das Lied einmal singt.«

»Ich glaube, du hast Recht, Edie. Do manus! Ich gebe nach. Aber wie fangen wir an? dort sitzt sie, ein leibhaftiges Bild des Blödsinnes! – Rede sie an, Edie – versuche, ob du sie an deine Sendung nach Glenallan erinnern kannst.«

Edie erhob sich, ging durch das Zimmer zu ihr hin und nahm dieselbe Stellung ein, die er damals hatte, als sie ihm jenen Auftrag ertheilte. »Mich freut recht sehr, Euch so wohl zu sehen, Mutter; besonders, da der schwarze Ochse Euch so getreten hat, seit ich das letzte Mal unter Eurem Dache war.«

»Ja,« sagte Elsbeth, während sie übrigens mehr an Unglück im Allgemeinen, als an das kürzlich Geschehene dachte, – »Es ist Trauer unter uns gewesen. Mich wundert, wie die jungen Leute es ertragen; auf mir lastet es schwer; ich kann den Wind nicht pfeifen, die See nicht brausen hören, daß ich nicht stets auch das Boot umgeschlagen und einige mit den Wellen kämpfen sehe. Ja, ihr Herren, den Menschen befallen schwere Träume zwischen Schlafen und Wachen, bevor er in den langen und tiefen Schlaf sinkt! – Manchmal ist mir es beinah, als wäre mein Sohn, oder Steenie, mein Enkel, todt, und ich hätte sein Leichenbegängniß gesehn. Ist das nicht ein wunderlicher Traum für ein altes taubes Weib? warum sollte einer von ihnen vor mir sterben? das ist ja ganz gegen den Lauf der Natur, wie ihr wißt.«

»Ich glaube, Sie werden wenig aus diesem alten, stumpfsinnigen Weibe herausbringen können,« sagte Hektor, der vielleicht noch immer eine Abneigung gegen sie nährte, weil sie in ihrem Liede seine Landsleute mit Verachtung erwähnt hatte. »Ich glaube, Sie werden wenig herausbringen, Oheim; und es heißt nur unsre Zeit verschwenden, wenn wir hier sitzen und auf ihren Wahnsinn lauschen.«

»Hektor,« sagte der Alterthümler unwillig, »wenn du ihr Unglück nicht achtest, so achte zum wenigsten ihr hohes Alter und ihr graues Haar. Sie steht auf der letzten Stufe des Lebens, die der lateinische Dichter so schön schildert:

– – – Omni Membrorum damno major dementia, quae nec
Nomina servorum, nec vultus agnoscit amici,
Cum queis praeterita coenavit nocte, nec illos
Quos genuit, quos eduxit.
«

»Das ist lateinisch!« sagte Elsbeth, indem sie aufstand, wie wenn sie die Verse mit Aufmerksamkeit hören wollte, die der Alterthümler sehr pathetisch recitirte. »Das ist Lateinisch!« dabei schaute sie wild umher – »hat mich doch am Ende ein Priester gefunden?«

»Du siehst, Neffe, sie hat die schöne Stelle nur in demselben Grade verstanden, wie du.«

»Ich hoffe, Oheim, du glaubst, daß ich so gut wie sie wußte, es sei Lateinisch?«

»Ei, was das betrifft – doch halt! sie will sprechen.«

»Ich will keinen Priester haben – keinen,« sagte die Alte mit ohnmächtiger Heftigkeit – »wie ich lebte, so will ich sterben. Keiner soll sagen, daß ich meine Gebieterin verrieth, und wär' es auch, um meine Seele zu retten!«

»Das bedeutet ein böses Gewissen,« sagte der Bettler; »sie würde sich da wohl frei aussprechen, wär' es nur ihrer selbst willen.« Darauf redete er sie wieder an.

»Nun, Mutter, Eure Botschaft beim Grafen hab' ich ausgerichtet.«

»Bei welchem Grafen? ich kenne keinen Grafen – ich kannte einst eine Gräfin – wollte der Himmel, ich hätte sie nie gekannt! denn aus dieser Bekanntschaft, Nachbar, entstand« (sie zählte an ihren welken Fingern, während sie sprach,) »erstlich Stolz, dann Bosheit, dann Rachsucht, dann falsches Zeugniß; und Mord klopfte wenigstens an die Thür, wenn er auch nicht eintrat. Und meinst du nicht, daß dies hübsche Gäste waren, um in eines Weibes Herzen einzukehren? ich denke, es war eine stattliche Gesellschaft.«

»Aber, Mutter,« fuhr der Bettler fort, »ich sprach nicht von der Gräfin Glenallan, sondern von ihrem Sohne, dem Lord Geraldin.«

»Jetzt besinn' ich mich,« sagte sie; »ich hab' ihn lange nicht gesehn und wir hatten ein gewichtiges Gespräch mit einander. – Ja, Freund, der hübsche junge Lord ist so alt und gebrechlich wie ich selber geworden. Ja, Kummer und Herzweh und die Täuschung treuer Liebe setzen dem jungen Blute hart zu. Aber hätte das seine Mutter nicht selber einsehn sollen? Wir handelten nur auf ihren Befehl, wie ihr wißt. Ich bin gewiß, mir kann kein Mensch darum Vorwürfe machen. Er war nicht mein Sohn, und sie war meine Gebieterin. Ihr wißt ja, was der Reim sagt – ich habe fast das Singen vergessen; sonst ist mir doch die Weise in meinem alten Kopfe übrig geblieben:

»Er faßt' ihn an und sprach: schmäh' mir
Die Mutter nicht! denn sieh,
Ein Liebchen find' ich immer hier,
Die zweite Mutter nie.«

Dann war er ja auch nur halb vom Blute, wie ihr wißt, aber in ihren Adern floß das ächte Blut der Glenallan. Nein, nein, nie will ich beklagen, was ich für die Gräfin Joscelinde that und duldete. Nie will ich das beklagen.«

Darauf zog sie wieder den Flachs vom Rocken, mit der trotzigen Miene eines Menschen, der entschlossen ist, nichts zu bekennen, und begann ihre unterbrochene Beschäftigung wieder.

»Ich habe gehört,« sagte der Bettler, indem er sich auf das stützte, was ihm Oldbuck von der Familie gesagt hatte, »ich habe gehört, Mutter, daß eine böse Zunge zwischen dem Grafen, dem Lord Geraldin, und seiner jungen Braut Unheil angerichtet habe.«

»Böse Zunge?« sagte sie in heftiger Unruhe; »und was hatte sie von einer bösen Zunge zu fürchten? Sie war gut und schön genug; wenigstens sagte das Jedermann. Aber hätte sie ihre eigne Zunge vor andern Leuten gezügelt, so könnte sie noch leben als Lady, mochte auch entstehen und vorfallen, was da wollte.«

»Aber ich hörte sagen, Mutter,« fuhr Ochiltree fort, »daß man im Lande erzählte, ihr Gemahl und sie wären zu nahe verwandt gewesen, da sie einander heiratheten.«

»Wer durfte das sagen?« rief die alte Frau hastig; »wer durfte sagen, daß sie verheirathet waren? Wer wußte das? Nicht die Gräfin – nicht ich – wenn sie ingeheim verheirathet waren, so wurden sie ingeheim geschieden. – Sie tranken aus dem Quell ihres eignen Betrugs.«

»Nein, unglückliche Alte,« rief Oldbuck, der nicht länger zu schweigen vermochte, »sie tranken das Gift, welches du und deine schlechte Gebieterin ihnen bereiteten.«

»Ha, ha!« erwiederte sie, »ich dachte immer, es würde dahin kommen. Ich brauche nur stumm zu sitzen, wenn sie mich verhören – in unsern Tagen gibt's keine Tortur. Und wenn auch, mögen sie mich zerreißen! Es wäre schlecht vom Munde des Dieners, wenn er den verriethe, dessen Brod er ißt.«

»Rede sie an, Edie,« sagte der Alterthümler, »sie kennt deine Stimme und antwortet am ersten darauf.«

»Wir können weiter nichts mit ihr anfangen,« sagte Ochiltree. »Wenn sie sich so hinsetzt und die Arme in einander schlägt, spricht sie, wie man sagt, wochenlang kein Wort mehr. Ueberdies kommt es mir vor, als habe sich ihr Gesicht sehr verändert, seit wir hereintraten. Ich will's aber noch einmal versuchen, um Sie zufrieden zu stellen. – Könnt Ihr Euch nicht besinnen, Mutter, daß Eure alte Gebieterin, die Gräfin Joscelinde, gestorben ist?«

»Gestorben!« rief sie; denn jener Name verfehlte nie seine gewöhnliche Wirkung auf sie; »dann müssen wir Alle folgen. Alle müssen reiten, wenn sie im Sattel sitzt. Laßt nur Lord Geraldin sagen, wir wären schon voraus – bringt mir Hut und Schärpe – ihr wollt doch nicht, daß ich mit Mylady in den Wagen steige, wenn mein Haar so in Unordnung ist?«

Sie schlug die verschränkten Arme auseinander und schien geschäftig wie ein Weib, das den Mantel umwirft, um auszugehen; dann ließ sie die Arme wieder steif und langsam sinken. Aber noch immer schien der Gedanke an eine Reise ihr Gehirn zu beschäftigen, sie sprach eilig und abgebrochen weiter: – »Ruft Miß Neville – Was soll denn Lady Geraldin? ich sagte Eveline Neville – nicht Lady Geraldin – 's gibt keine Lady Geraldin – sagt ihr das, und heißt sie ihr nasses Kleid ablegen, auch soll sie nicht so bleich sehen. – Das Kind! was sollte sie mit einem Kinde thun? – Jungfrauen haben ja keine Kinder. – Teresa – Teresa – Mylady ruft uns! – Bring' ein Licht, die große Treppe ist so finster wie um Mitternacht – Wir kommen schon, Mylady!« Mit diesen Worten sank sie auf dem Stuhle zurück und von da auf den Boden herab.

Edie eilte sie zu unterstützen, aber kaum hielt er sie in seinen Armen, als er sagte: »'s ist Alles aus, sie ist mit dem letzten Worte verschieden.«

»Unmöglich,« sagte Oldbuck, indem er hastig hinzutrat, was auch sein Neffe that. Aber nichts konnte gewisser sein. Mit dem letzten hastigen Worte, welches ihren Lippen entfloh, hatte sie den Geist ausgehaucht; vor den Umstehenden blieb nichts zurück, als die sterblichen Reste des Wesens, welches so lange mit dem Bewußtsein heimlicher Schuld gekämpft hatte, verbunden mit allem Trübsal des Alters und der Armuth.

»Gott gebe, daß sie zu einem bessern Orte heimgegangen ist!« sagte Edie, während er den entseelten Körper betrachtete; »aber ach! es lag auf ihrem Herzen irgend Etwas hart und schwer. Ich habe so manchen sterben sehen, auf dem Schlachtfelde, so wie im Bette daheim; aber lieber wollt' ich sie alle noch einmal sterben sehen, als ein so schreckliches Ende, wie das ihre!«

»Wir müssen die Nachbarn herbeirufen,« sagte Oldbuck, nachdem er sich von seinem Schrecken und Staunen etwas erholt hatte, »und sie von diesem neuen Unfall benachrichtigen. Ich wollte, man hätte ihr ein Bekenntniß entlocken können. Und obwohl dies unwichtiger ist, hätt' ich doch auch gern ihre Liederbruchstücke aufgeschrieben. Aber des Himmels Wille geschehe!«

Sie verließen nun die Hütte und machten Lärm im Dörfchen, dessen Frauen sich sogleich versammelten, um den Leib derjenigen in die gehörige Ordnung zu legen, die als die Mutter des ganzen Ortes angesehen werden konnte. Oldbuck versprach seinen Beistand beim Leichenbegängniß.

»Ew. Gnaden,« sagte Alison Breck, die der Verstorbenen im Alter am nächsten stand, »könnten uns auch etwas schicken, um unsre Herzen bei der Leichenwache munter zu halten, denn Saunders, des armen Mannes, Branntwein ist bei Steenie's Begräbniß rein aufgetrunken worden, und mit trockenem Munde wollen wenige bei dem Leichnam sitzen. Elsbeth war gar klug in ihren jungen Tagen, wie ich mich noch wohl erinnern kann, aber es hieß immer, sie könne kein rechtes Glück haben. Man soll von den Todten nicht übel reden, besonders wenn es Gevattern und Nachbarn betrifft. Aber man hat doch wunderliche Dinge erzählt von einer Dame und einem Kinde, als sie Craigburnfoot verließ. Es würde nun freilich eine arme Leichenwache werden, wenn uns Ew. Gnaden nichts schicken, damit wir munter bleiben.«

»Ihr sollt etwas Whisky haben,« antwortete Oldbuck, »um so mehr, weil Ihr das eigentliche Wort für die alte Sitte, bei den Todten zu wachen, beibehalten habt. – Du mußt wissen, Hektor, das ist ächt deutsch, von dem gothischen Leiche, ein todter Körper. Ganz irrthümlich hat man es letzte Wache genannt, obwohl Brand diese neuere Ableitung und Verderbung des Wortes in Schutz nimmt.«

»Ich glaube,« sagte Hektor zu sich selbst, »mein Oheim würde ganz Monkbarns gleich dem Ersten hingeben, der es auf ächt deutsch verlangte! Keinen Tropfen Branntwein hätten die alten Weiber bekommen, wenn ihn ihre Wortführerin zur letzten Wache verlangt hätte.«

Während Oldbuck noch einige fernere Weisungen ertheilte und seinen Beistand versprach, kam ein Diener des Sir Arthur eilig am Strande hergeritten und hielt sein Pferd an, sobald er den Alterthümler erblickte. »Es hat sich,« sagte er, »etwas sehr Eigenthümliches auf dem Schlosse zugetragen,« (er konnte oder wollte nicht erklären, was?) »und Miß Wardour hat mich sogleich nach Monkbarns geschickt, um Mr. Oldbuck zu bitten, doch ohne Verzug nach Knockwinnock zu kommen.«

»Ich erschrecke,« sagte der Alterthümler, »sollte auch ihm sein Ziel so nahe gerückt sein? Was kann ich thun?«

»Thun, Sir?« rief Hektor mit seiner natürlichen Ungeduld, – »zu Pferde steigen und es dorthin lenken – binnen zehn Minuten werden Sie in Knockwinnock sein.«

»Er ist ein ganz sicheres Thier,« sagte der Diener, absteigend und Gurt und Steigbügel zurecht machend, – »er wird nur manchmal ein Bischen wild, wenn er merkt, daß kein geübter Reiter über ihm ist.«

»Ich würde da bald aller Uebung überhoben sein, mein Freund,« sagte der Alterthümler. – »Was Teufel, Neffe, bist du meiner überdrüssig? oder glaubst du, daß ich meines Lebens überdrüssig bin, um mich auf den Rücken solch eines Bucephalus zu setzen? Nein, nein, mein Freund, wenn ich heute nach Knockwinnock kommen soll, so muß es auf ruhige Weise mittelst meiner Füße geschehn, und diese will ich auch mit so wenig Verzug als möglich in Gang setzen. Capitain M'Intyre mag das Thier selber reiten, wenn er Lust hat.«

»Ich darf kaum hoffen, dort etwas nützen zu können, Oheim; aber ich kann nicht an ihre Trübsal denken, ohne zu wünschen, ihnen mindestens mein Beileid zu beweisen. Daher will ich voraus reiten und Ihre Ankunft dort melden. – Ich muß um deine Sporen bitten, Freund.«

»Sie werden sie kaum nöthig haben, Sir,« sagte der Mann, während er sie ablöste und dem Capitain M'Intyre anschnallte, »er läuft ganz von selber.«

Oldbuck war betroffen von diesem letzten Beweise der Unbedachtsamkeit seines Neffen. »Bist du toll, Hektor?« rief er, »oder hast du vergessen, was Quintus Curtius sagt, mit welchem, als einem Krieger, du doch bekannt sein mußt: Nobilis equus umbra quidem virgae regitur; ignavus ne calcari quidem excitari potest; woraus dort deutlich hervorgeht, daß Sporen in jedem Falle unnütz sind, und in den meisten Fällen, wie ich wohl sagen kann, gefährlich?«

Aber Hektor, den die Meinung des Quintus Curtius so wenig wie die des Alterthümlers kümmerte, wo es einen derartigen Gegenstand galt, antwortete blos mit einem sorglosen »Fürchten Sie gar nichts, Oheim.«

»Damit gab er dem wackern Roß die Zügel
Und drückte, vorwärts eilend, seine Sporen
Dem armen Thiere tüchtig in die Seiten,
Mit aller Kraft. Wie er so vorwärts stürmte,
Schien er den Weg im Rennen zu verschlingen
Und stand nicht weiter Rede.«

»Da brausen sie dahin, ein gutes Paar,« sagte Oldbuck, während er nachsah, als Roß und Mann davon eilten, – »ein tolles Pferd und ein wilder Bursche, das sind die beiden unlenkbarsten Creaturen in der Christenheit! und Alles das nur, um eine halbe Stunde früher an einem Orte zu sein, wo ihn kein Mensch braucht; denn ich fürchte, Sir Arthur's Noth geht über die Hilfsfähigkeit unsers leichten Reiters. Es muß wohl die Schurkerei Dousterswivel's sein, für welchen Sir Arthur so viel gethan hat; ich muß dabei nothwendig bemerken, wie sich bei manchen Menschen die Maxime des Tacitus bewährt: Beneficia eo usque laeta sunt dum videntur exsolvi posse; ubi multum antevenere, pro gratia odium redditur – woraus sich ein weiser Mann die Lehre nehmen kann, daß man Niemand in höherm Grade verpflichten muß, als so lange man hoffen kann, sich belohnt zu sehn, denn sonst kann der Schuldner in der Dankbarkeit bankrott werden.«

Während er solche Sprüche seiner cynischen Philosophie vor sich hinmurmelte, schritt der Alterthümler am Strande nach Knockwinnock hin; aber es ist nothwendig, daß wir ihm vorauseilen, um die Ursachen zu erklären, die ihn so angelegentlich dorthin riefen.


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