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Sechstes Kapitel.

– – – Das Leben glüht bei Euch
Im Geist und tanzt erhitzt in allen Adern:
's ist gleich dem Weine, den ein Froher trinkt,
Und der das Herz erfreut, den Geist erhebt;
Das mein' ist nur des Bechers arme Neige,
Trüb, schal, geschmacklos, und den Becher nur
Mit ihrem schlechten Bodensatz besudelnd.

Altes Schauspiel.

»Nun denken Sie nur, was für ein Mann mein Bruder ist, Mr. Blattergowl, – daß er, ein kluger und gelehrter Mann, diesen Graf in's Haus bringt, ohne ein Sterbenswörtchen vorher zu sagen! – Und nun ist der Trauerfall bei den Mucklebackits dazwischen gekommen, daß wir keine Fischflosse haben konnten; Rindfleisch von Fairport holen zu lassen, dazu fehlte es auch an Zeit, und der Schöps ist erst frisch geschlachtet; und das dumme Ding, die Jenny Rintherout, hat Krämpfe bekommen, und thut nichts, als lachen und weinen, schon zwei Tage hintereinander. Am Ende müssen wir noch den fremden Menschen, der so vornehm und ernst wie der Graf selber aussieht, bitten, den Dienst am Schenktisch zu versehn! und ich kann nicht einmal in die Küche gehen und auf Ordnung sehen, denn er ist dort und bereitet ein besonderes Gericht für Mylord, der nicht wie andere Leute essen mag. Und was man mit dem fremden Bedienten während dem Essen anfangen soll, Mr. Blattergowl, das geht über meinen Verstand.«

»Freilich, Miß Griselda,« erwiederte der Geistliche, »Mr. Oldbuck hat unüberlegt gehandelt. Er hätte der Invitation einen Tag widmen sollen, wie es mit den betheiligten Personen, wo es sich um Abschätzung und Verkauf handelt, gehalten wird. – Aber der große Mann könnte so plötzlich in kein Haus im Kirchspiel kommen, wo er besser mit Lebensmitteln versorgt werden könnte, das muß ich sagen; auch der Dampf aus der Küche hat für mich einen höchst lieblichen Geruch, – und wenn Sie irgend etwas im Hause zu besorgen haben, Mrs. Griselda, so betrachten Sie mich nur nicht als Fremden. Ich kann mich recht gut mit der größern Ausgabe von Erskine's Institutionen unterhalten.«

Und indem er vom Fenstersitze den unterhaltenden Folianten (der schottische Coke über Littleton) nahm, öffnete er denselben, wie durch Instinkt geleitet, beim zehnten Kapitel des zweiten Buches, »von Zehnten,« und vertiefte sich alsbald in eine tiefsinnige Untersuchung, betreffend die weltlichen Einkünfte.

Die Mahlzeit, derenwillen Miß Oldbuck so viel Besorgniß geäußert hatte, befand sich endlich auf der Tafel, und der Graf von Glenallan saß zum erstenmal seit dem Tage seines Unglücks an eines Fremden Tafel, von Fremden umgeben. Er kam sich selber wie im Traume, oder wie ein Mensch vor, dessen Gehirn sich noch nicht ganz von den Wirkungen eines betäubenden Trankes erholt hat. Seit diesem Morgen von dem Schreckbilde der Schuld befreit, welches seine Phantasie so lange beunruhigt hatte, fühlte er seinen Kummer zu einer leichtern und erträglichern Bürde gewandelt, war jedoch noch unfähig, an der Unterhaltung Theil zu nehmen. Sie war freilich von ganz anderer Art, als die, an welche er sich gewöhnt hatte. Das offene Wesen Oldbuck's, die langen Entschuldigungsreden seiner Schwester, die Pedanterie des Geistlichen und die Lebhaftigkeit des jungen Kriegers, dem man mehr den Kriegsdienst als den Hofdienst ansah, dies Alles war neu für einen Edelmann, der seit Jahren ein einsames und melancholisches Leben geführt hatte, so daß ihm die Sitten der Welt eben so fremd als unerfreulich erscheinen mußten. Miß M'Intyre allein schien nach ihrer Artigkeit und der anspruchslosen Einfachheit ihrer Sitten zu derjenigen Klasse der Gesellschaft zu gehören, an welche der Graf in seinen frühern und bessern Tagen gewöhnt gewesen war.

Graf Glenallan's Betragen setzte übrigens die Gesellschaft nicht weniger in Verwunderung. Obwohl ein zwar einfaches, aber treffliches Mahl aufgetragen war, (denn, wie schon Mr. Blattergowl sehr richtig bemerkte, es war unmöglich, Miß Griselda mit einer leeren Speisekammer zu überraschen,) und obwohl der Antiquar seinen besten Portwein anpries und ihn mit dem Falerner des Horaz verglich, so widerstand Graf Glenallan doch den Lockungen beider. Sein Diener setzte ihm eine kleine Schüssel mit Pflanzenspeise vor, das nämliche Gericht, dessen Bereitung Miß Griselda beunruhigt hatte, und welches mit der genauesten und sorgfältigsten Umständlichkeit zugerichtet war. Er aß sehr mäßig davon, und ein Glas reines Wasser, wie es vom Brunnen kam, machte seine Mahlzeit vollständig. Auf diese Weise hatte, nach des Bedienten Aussage, Se. Herrlichkeit viele Jahre gelebt, außer bei den hohen kirchlichen Festen, oder wenn Gesellschaft vom ersten Range in Glenallan bewirthet wurde, wo er die Strenge seiner Lebensweise etwas mäßigte und sich ein oder zwei Glas Wein gestattete. Aber in Monkbarns konnte kein Einsiedler ein einfacheres und kargeres Mahl halten.

Der Alterthümler besaß, wie wir gesehen haben, Gefühl, drückte sich aber geradezu und rücksichtslos aus, weil er mit Personen zu leben gewohnt war, vor denen er nichts zu unterdrücken hatte. Er griff daher seinen hohen Gast ohne Bedenken seiner strengen Lebensweise wegen an.

»Einiges halb kalte Gemüs und ein Paar Kartoffeln – ein Glas eiskaltes Wasser, um sie hinunter zu spülen – dafür bietet das Alterthum keine Autorität, Mylord. Dies Haus pflegt man als ein hospitium zu betrachten, als einen Zufluchtsort für Christen, aber Ew. Herrlichkeit Lebensweise ist die eines heidnischen Pythagoräers oder indischen Braminen – ja, strenger als beide wären Sie, wenn Sie diese schönen Aepfel nicht annehmen wollten.«

»Ich bin ein Katholik, wie Sie wissen,« sagte der Graf Glenallan, welcher der Erörterung zu entgehen wünschte, »und es ist Ihnen bekannt, daß unsere Kirche« –

»Viele Gebote der Selbstpeinigung auflegt,« fuhr der kecke Alterthümler fort; »aber ich habe nie gehört, daß man sie so streng befolgte. Dafür spricht mein Vorgänger, John von Girnell, oder der lustige Abt, welcher dieser Aepfelsorte seinen Namen gab, Mylord.«

Und während er den Apfel schälte, fuhr der Alterthümler fort, trotz dem »pfui, Monkbarns« seiner Schwester und dem anhaltenden Husten des Pfarrers, der von einem Schütteln seiner gewaltigen Perücke begleitet wurde, die Geschichte zu erzählen, welche den Apfelbaum des Abts so berühmt gemacht hatte, und dabei verfuhr er langsamer und umständlicher, als nothwendig war. Sein Scherz (wie man sich leicht denken kann,) fand keinen Anklang, denn diese Anekdote von klösterlicher Galanterie brachte in dem Gesicht des Grafen nicht das leiseste Lächeln hervor. Oldbuck kam nun auf Ossian, Macpherson und Mac Cribb; aber Lord Glenallan hatte von allen Dreien so gut als nichts gehört, so wenig war er in der modernen Literatur bewandert. Die Unterhaltung kam nun einigermaßen in Gefahr, zu stocken oder in die Hände Mr. Blattergowl's zu gerathen, welcher das schreckliche Wort »zehntfrei« soeben ausgesprochen hatte, als plötzlich die französische Revolution erwähnt wurde; dieses politische Ereigniß betrachtete Lord Glenallan mit all dem vorurtheilsvollen Abscheu eines bigotten Katholiken und eifrigen Aristokraten. Oldbuck war weit entfernt, seinen Abscheu vor ihren Grundsätzen so weit auszudehnen.

»Es waren viele Männer in der ersten Nationalversammlung,« sagte er, »welche vernünftige Whigsgrundsätze hatten und die Constitution so ordnen wollten, daß auch dem Volke anständige Freiheiten gesichert blieben. Und wenn jetzt eine Menge Rasender die Regierung an sich gerissen hat,« fuhr er fort, »so war dies bei großen Revolutionen oft der Fall, wo außerordentliche Maßregeln in der Hitze des Augenblicks genommen werden müssen und wo der Staat einem unruhigen Pendel gleicht, welcher sich eine Zeitlang hin und her schwingt, eh' er seine gehörige, perpendiculare Stellung erhalten kann. Oder er könnte auch einem Sturm oder Orcan vergleichbar sein, welcher über eine Gegend hinzieht, im Vorübergehn großen Schaden anrichtet, aber auch dumpfe und ungesunde Dünste verscheucht und durch die künftige Gesundheit und Fruchtbarkeit seine gegenwärtige Verwüstung und Zerstörung vergütet.«

Der Graf schüttelte den Kopf; da er aber weder Muth noch Lust zum Streiten hatte, so ließ er jene Behauptung unangefochten hingehen.

Diese Erörterung diente dazu, den jungen Krieger zur Mittheilung seiner Erfahrungen zu veranlassen; er sprach von den Gefechten, denen er beigewohnt hatte, mit Bescheidenheit, aber zugleich mit so viel Eifer und Feuer, daß der Graf seine Freude daran hatte, welcher, wie die andern seiner Familie, in der Meinung erzogen war, das Waffenhandwerk sei des Mannes erster Beruf, und die Waffen gegen die Franzosen zu brauchen, schien ihm eine Art heiligen Krieges.

»Was würd' ich darum geben,« sagte er leise zu Oldbuck, als sie aufstanden, um sich zu den Damen nach dem Gesellschaftszimmer zu begeben, »was würd' ich darum geben, wenn ich einen Sohn hätte, mit so lebhaftem Geiste, wie dieser junge Herr! Es fehlt ihm noch etwas äußere Politur, die er in guter Gesellschaft bald erlangen würde – aber mit welcher Lebendigkeit spricht er sich aus, wie laut weiß er Andre zu rühmen und wie bescheiden spricht er von sich selbst!«

»Hektor ist Ihnen sehr verbunden, Mylord,« erwiederte der Oheim, welcher zwar durch jenes Lob erfreut war, aber doch nicht so sehr, daß er das Bewußtsein seiner eignen geistigen Ueberlegenheit hinsichtlich des jungen Kriegers hätte verläugnen sollen, »ich glaube wirklich, daß bis daher noch Niemand halb so viel Gutes von ihm gesagt hat, außer etwa der Sergeant seiner Compagnie, wenn er einen hochländischen Rekruten bereden wollte, unter ihm zu dienen. Er ist übrigens ein guter Junge, obwohl er nicht ganz der Held ist, wie Ew. Herrlichkeit glauben, und obwohl mein Lob eher seinem guten Herzen, als der Lebendigkeit seines Charakters gilt. Wirklich, sein Muth ist eine Art angeborener Heftigkeit, die ihn bei Allem begleitet, was er vornimmt, und seinen Freunden oft sehr zur Last fällt. Ich sah ihn heute in einem Streite mit einer phoca oder einem Seehunde, und dabei benahm er sich mit solcher Heftigkeit, als hätt' er gegen Dumourier fechten sollen. Aber, Mylord, die phoca behielt die Oberhand, wie der besagte Dumourier auch manche andere Leute abzufertigen wußte. Und er wird mit gleichem, wenn nicht höherm Entzücken von dem guten Benehmen eines Jagdhunds plaudern, wie von einem Schlachtplane.«

»Er soll vollkommene Freiheit haben, in meinem Gebiete zu jagen,« sagte der Graf, »wenn ihm dies so viel Vergnügen macht.«

»Sie werden ihn mit Leib und Seele verbinden, Mylord,« sagte Monkbarns; »geben Sie ihm Erlaubniß, seine Vogelflinte gegen ein Paar arme Rebhühner oder wilde Enten loszuschießen, und er ist auf ewig der Ihrige. Ich werde ihn durch diese Kunde entzücken. Aber, ach! Mylord, daß Sie meinen Phönix Lovel gesehn hätten! – Er war der erste und trefflichste aller jungen Männer seines Alters, und dabei nicht etwa ohne Muth und Feuer – glauben Sie, er hat meinem hitzigen Verwandten ein Quid pro quo gegeben – ein Roland für seinen Oliver, wie man mit Anspielung auf die beiden berühmten Paladine Karl's des Großen zu sagen pflegt.«

Nach dem Kaffee bat Lord Glenallan um eine geheime Unterhaltung mit dem Alterthümler, und ward nach dessen Bibliothek geführt.

»Ich muß Sie aus dem Kreise Ihrer liebenswürdigen Familie rufen,« sagte er, »um Sie mit den Verlegenheiten eines unglücklichen Mannes zu belästigen. Sie sind bekannt mit der Welt, aus welcher ich so lange verbannt war; denn das Schloß Glenallan ist für mich eher ein Gefängniß, als eine Wohnung gewesen, obwohl ein Gefängniß, aus welchem mich zu befreien ich weder Kraft noch Muth hatte.«

»Lassen Sie mich zuerst Ew. Herrlichkeit fragen,« sagte der Alterthümler, »welches Ihre eignen Wünsche und Pläne in der betreffenden Sache sind?«

»Vor Allem wünsche ich,« antwortete der Graf, »meine unglückliche Heirath zu erklären und den Ruf der unglücklichen Eveline herzustellen; das heißt, wenn Sie eine Möglichkeit sehen, daß dies geschehen kann, ohne das Verfahren meiner Mutter öffentlich zu machen.«

» Suum cuique tribuito,« sagte der Alterthümler, »einem jeden sein Recht! Das Andenken der unglücklichen jungen Dame ist zu lange mit Schmach bedeckt gewesen, und ich glaube, es könnte, ohne jenes Ihrer Mutter zu beflecken, aufgehellt werden, wenn man nur zu verstehen gäbe, daß die letztere die Heirath gemißbilligt und sich derselben auf's heftigste widersetzt habe. – Jeder, – Sie verzeihen mir, Mylord, – jeder, der von der verstorbenen Gräfin von Glenallan jemals gehört hat, wird diese Kunde ohne Verwunderung vernehmen.«

»Aber Sie vergessen einen schrecklichen Umstand, Mr. Oldbuck,« sagte der Graf mit zitternder Stimme.

»Ich wüßte nicht welchen,« erwiederte der Alterthümler.

»Das Schicksal des Kindes – sein Verschwinden mit der vertrauten Dienerin meiner Mutter, und die schrecklichen Schlüsse, welche sich aus meiner Unterredung mit Elsbeth ziehen lassen.«

»Wenn Sie meine freie Meinung hören wollen, Mylord,« antwortete Oldbuck, »und nicht allzu schnell eine Hoffnung darauf gründen, so möcht' ich sagen, daß möglicherweise das Kind wohl noch leben könne. Denn durch meine frühern Nachforschungen in Betreff des unglücklichen Abends weiß ich so viel gewiß, daß ein Kind und ein Weib in jener Nacht aus dem Hause zu Craigburnfoot in einem vierspännigen Wagen durch Ihren Bruder Edward Geraldin Neville abgeführt wurde, dessen Reise nach England in der genannten Gesellschaft ich für mehrere Stationen verfolgt habe. Ich glaubte damals, es gründe sich auf einen Familienvertrag, daß ein Kind, welches von unehelicher Geburt war, aus einem Lande geführt werde, wo ihm der Zufall Beschützer und Ansprüche verschaffen konnte. Nun aber denk' ich, daß Ihr Bruder aus gleichem Grunde, wie Sie, das Kind mit noch ärgerer Schmach bedeckt glaubte und es entfernte, theils aus Rücksicht für die Ehre seines Hauses, theils der Gefahr wegen, welcher es in der Nähe der Gräfin Glenallan ausgesetzt sein konnte.«

Während er so sprach, war der Graf von Glenallan äußerst blaß geworden, und fast vom Stuhle gesunken. Der beunruhigte Alterthümler rannte hin und her, um Heilmittel zu suchen; aber sein Museum, obwohl mit einer hinreichenden Auswahl unnützer Dinge angefüllt, enthielt nichts, was bei dieser oder jeder andern Gelegenheit hätte Dienste leisten können. Als er aus dem Zimmer eilte, um seiner Schwester Riechfläschchen zu borgen, konnte er nicht umhin, unwillkührlich einige Laute des Aergers und der Verwunderung zu äußern, daß so mancherlei Zufälle sein Haus erst in ein Spital für einen verwundeten Duellanten und nun in ein Krankenzimmer für einen sterbenden Edelmann verwandelten. »Und gleichwohl,« sagte er, »hab' ich mich stets vor Soldaten und Edelleuten gehütet. Mein coenobitium braucht nur noch ein Entbindungshaus zu werden, und dann, denk' ich, wird die Umwandlung vollständig sein.«

Als er mit dem Mittel zurückkam, befand sich Lord Glenallan weit besser. Das neue und unerwartete Licht, welches Mr. Oldbuck auf die traurige Geschichte seiner Familie fallen ließ, hatte ihn fast überwältigt. »Sie meinen also, Mr. Oldbuck, – denn Sie sind fähig Gedanken zu fassen, ich aber nicht, – Sie meinen also, daß es möglich sei – daß es nicht unmöglich sei, mein Kind lebe noch?«

»Ich halte es für unmöglich,« sagte der Alterthümler, »daß ihm von Ihrem Bruder Gewalt angethan worden sein sollte. Er war als ein fröhlicher und vergnügungssüchtiger, nicht aber als ein grausamer und unehrenhafter Mann bekannt, auch ist nicht möglich, daß, wofern er eine schlechte Absicht hatte, er sich selbst so persönlich mit dem Kinde befaßt haben würde, und daß dies der Fall war, kann ich Ew. Herrlichkeit beweisen.«

Mit diesen Worten öffnete Mr. Oldbuck ein Fach des Schrankes seines Vorfahren, Aldobrand's, und brachte ein Bündel mit schwarzem Band zusammengebundener Papiere hervor, welche die Aufschrift führten: Verhöre, u. s. w. angestellt durch Jonathan Oldbuck, Friedensrichter, am 18. Febr. 17 –; ein wenig weiter unten stand mit kleiner Schrift: Eheu Eveline! Die Thränen entfielen dem Auge des Grafen, als er sich umsonst bemühte, den Knoten, welcher diese Schriften zusammenhielt, zu lösen.

»Ew. Herrlichkeit,« sagte Mr. Oldbuck, »thäten besser, diese Documente jetzt nicht zu lesen. Sie sind aufgeregt, haben noch viel zu thun, und dürfen Ihre Kraft nicht erschöpfen. Sie sind jetzt vermuthlich der Erbe Ihres Bruders, und es wird leicht für Sie sein, bei seinen Dienern und Untergebenen Nachforschung anzustellen, um zu erfahren, wo das Kind ist, wenn es zum Glück noch am Leben sein sollte.«

»Kaum wag' ich das zu hoffen,« sagte der Graf mit einem tiefen Seufzer – »warum sollte mein Bruder gegen mich davon geschwiegen haben?«

»Nun, Mylord! warum sollte er ihnen von der Existenz eines Wesens Nachricht gegeben haben, von welchem Sie glauben mußten, es sei der Sprößling einer« –

»Sehr wahr – das ist ein natürlicher und freundlicher Grund für sein Schweigen. In der That, wenn noch irgend etwas dem Grauen des schrecklichen Traumes, der mein ganzes Sein vergiftete, hinzugefügt werden konnte, so hätte es die Kunde sein müssen, daß ein solches Unglückskind existire.«

»Und deshalb,« fuhr der Alterthümler fort, »wiewohl es zu rasch schließen hieße, wenn man nach einem Zeitraum von zwanzig Jahren annähme, Ihr Sohn müsse nothwendig noch leben, weil er nicht in der ersten Kindheit umkam, aber ich halte es deßhalb doch für's Beste, daß Sie Ihre Nachforschungen ohne Verzug beginnen.«

»Es soll gescheh«,« erwiederte Lord Glenallan, der begierig die dargebotene Hoffnung ergriff, die erste, die er seit zwanzig Jahren genährt hatte; »ich will an einen treuen Hausverwalter meines Vaters schreiben, der dasselbe Amt unter meinem Bruder Neville versah. Aber, Mr. Oldbuck, ich bin nicht meines Bruders Erbe.«

»Wirklich? – das bedauere ich, Mylord! Es ist ein schönes Besitzthum, und die Ruinen des alten Schlosses Neville-Burgh, welche die herrlichsten Reste anglonormännischer Baukunst in der Gegend sind, wären allein schon ein wünschenswerthes Eigenthum. Ich glaubte, Ihr Vater habe weiter keinen Sohn oder nahen Verwandten gehabt.«

»Er hatte keinen, Mr. Oldbuck,« erwiederte Lord Glenallan; »aber mein Bruder nahm andere politische Ansichten und auch eine andere Form der Religion an, die den in unserm Hause befolgten entgegengesetzt waren. Unser Charakter war sehr verschieden, auch glaubte meine unglückliche Mutter stets, er bezeige ihr nicht die gehörige Aufmerksamkeit. Kurz, es fand ein Zwiespalt statt, und mein Bruder, der frei über sein Vermögen verfügen konnte, bediente sich dieser Freiheit, um einen Fremden zu seinem Erben einzusetzen. Es ist dies ein Umstand, dem ich nie die geringste Wichtigkeit beigelegt habe, denn wenn weltliche Güter inneres Elend erleichtern könnten, so hätte ich deren mehr als genug. Jetzt aber macht mich der Umstand doch besorgt, weil er meiner Forschung Hindernisse in den Weg legt; denn wenn ich einen Sohn aus rechtmäßiger Ehe hatte, und mein Bruder starb ohne Nachkommenschaft, so mußten meines Vaters Güter auf jenen übergehen. Es ist daher nicht wahrscheinlich, daß der Erbe, sei er wer er wolle, uns zu einer Entdeckung behilflich sein werde, die seinem eigenen Vortheil so sehr im Wege stände.«

»Und höchst wahrscheinlich befindet sich der Verwalter, dessen Ew. Herrlichkeit erwähnten, auch in seinem Dienste,« sagte der Alterthümler.

»Das dürfte wohl der Fall sein; und der Mann ist Protestant, – wie weit ihm zu trauen räthlich sein mag« –

»Ich sollte denken, Mylord,« sagte Oldbuck ernst, »daß ein Protestant des Vertrauens eben so würdig sein könnte, als ein Katholik. Bei dem protestantischen Glauben bin ich doppelt interessirt, Mylord. Mein Ahnherr, Aldobrand Oldenbuck, druckte die berühmte Augsburger Confession, wie ich Ihnen durch die Originalausgabe, die ich hier im Hause habe, beweisen kann.«

»Ich zweifle nicht im Geringsten an dem, was Sie sagen, Mr. Oldbuck,« erwiederte der Graf, »auch sprach ich nicht aus Bigotterie oder Intoleranz; aber wahrscheinlich wird der protestantische Hausverwalter den protestantischen Erben mehr begünstigen als den katholischen – wofern nämlich mein Sohn im Glauben seiner Väter erzogen ward – oder, ach! wofern er überhaupt noch lebt!«

»Wir müssen dies Alles genauer erwägen,« sagte Oldbuck, »bevor wir an's Werk gehen. Ich habe einen literarischen Freund zu York, mit welchem ich lange über das sächsische Horn correspondirt habe, welches im Dome dort aufbewahrt wird; wir wechselten sechs Jahre lang Briefe, und waren bis daher nur im Stande, über die erste Zeile der Inschrift in's Reine zu kommen. Ich will gleich an diesen Herrn, den Dr. Dryasdust, schreiben, und will mich besonders genau nach dem Charakter von Ihres Bruders Erben, nach dem Herrn, der seine Geschäfte ordnete und überhaupt nach Allem, was Ihre Forschungen fördern kann, erkundigen. Inzwischen werden Ew. Herrlichkeit die Beweise der Heirath sammeln, die sich hoffentlich noch finden lassen werden?«

»Unstreitig,« erwiederte der Graf; »die Zeugen, die früher Ihrer Nachforschung entzogen wurden, leben noch. Mein Lehrer, der unsre Ehe einsegnete, war in Frankreich mit einer Versorgung bedacht worden, und kehrte jüngst nach seiner Heimath als Emigrant zurück, als Opfer seines Eifers für den Fürsten, für Legitimität und Religion.«

»Das ist eine glückliche Folge der französischen Revolution, Mylord – das müssen Sie doch wenigstens zugeben,« sagte Oldbuck; »aber ich meine es gut, ich will so eifrig in Ihren Angelegenheiten handeln, als theilte ich Ihren eignen Glauben in Politik und Religion. Und nehmen Sie meinen Rath an: – so bald Sie eine Sache von Wichtigkeit gehörig durchgeführt haben wollen, so vertrauen Sie sie den Händen eines Antiquars; denn da diese ihren Geist stets üben, indem sie Kleinigkeiten erforschen, so ist es unmöglich, sie in wichtigen Angelegenheiten zu hintergehen. Uebung macht den Meister; und das Corps, welches bei der Parade am häufigsten gemustert wurde, wird am Tage der Schlacht den Dienst am besten versehn. Ja, und da wir einmal über diesen Gegenstand plaudern, so würde ich Ew. Herrlichkeit sehr gern, um die Zeit bis zum Abendessen hinzubringen, vorlesen, was ich« –

»Ich möchte nicht gern die Ordnung Ihres Hauses stören,« sagte Lord Glenallan, »aber nach Sonnenuntergang genieße ich nie etwas.«

»Auch ich nicht immer, Mylord,« antwortete sein Wirth, »trotzdem, daß es bei den Alten Sitte gewesen sein soll; aber ich speise auch zu Mittag ganz anders, als Ew. Herrlichkeit, und kann mich daher weit leichter der künstlichen Speisen enthalten, welche meine Weibsleute (das heißt, meine Schwester und Nichte, Mylord,) auf den Tisch zu stellen gewohnt sind, mehr um ihre Kochkunst zu zeigen, als um unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Indeß, eine Cotelette oder ein geräucherter Schellfisch, eine Auster, ein Schnittchen Schinken aus unserm eignen Haushalt, mit einem Schnitt gerösteten Brodes und einem Trunk Bier – oder sonst etwas Aehnliches dieser Art, um den Magen zu schließen, eh' man zu Bett geht, dagegen hab' ich nun eben nichts einzuwenden, und, wie ich hoffe, auch Ew. Herrlichkeit nicht.«

»Mein Nichtessen am Abend ist buchstäblich zu verstehn, Mr. Oldbuck; aber mit Vergnügen werd' ich Ihrem Mahle beiwohnen.«

»Gut, Mylord,« erwiederte der Alterthümler, »ich werde mich bemühen, zum wenigsten Ihre Ohren zu bewirthen, da ich Ihrem Gaumen nichts bieten darf. Was ich Ew. Herrlichkeit jetzt vorlesen werde, betrifft die hochländischen Thäler.«

Obwohl Lord Glenallan lieber auf seine eigenen noch unaufgeklärten Angelegenheiten zurückgekommen wäre, sah er sich doch genöthigt, aus Höflichkeit einzuwilligen.

Der Alterthümler nahm daher seine Mappe, die nur einzelne Papiere enthielt, zur Hand. Nachdem er zuvor bemerkt hatte, daß die topographischen Aufsätze, die er hier aufbewahrte, den Zweck hätten, eine geringe Abhandlung über Lagerbefestigung zu erläutern, welche in verschiedenen alterthumsforschenden Gesellschaften mit Beifall vorgelesen worden sei, begann er, wie folgt: »Der Gegenstand, Mylord, ist die Bergfeste Quickensbog, mit deren Lage Ew. Herrlichkeit ohne Zweifel bekannt sind; denn sie liegt in Ihrem Pachtgute Mantanner, in der Baronie Clochnaben.«

»Ich glaube die Namen dieser Orte gehört zu haben,« sagte der Graf.

»Die Namen gehört zu haben? und das Pachtgut bringt ihm doch sechshundert Pfund jährlich ein – O, mein Gott!«

Nur mit Mühe wußte der Alterthümler seinen Ausruf zu beherrschen. Aber seine Gastfreundschaft behielt die Oberhand gegen sein Staunen, und er fuhr fort, seine Abhandlung mit vernehmlicher Stimme zu lesen, höchst erfreut, einen geduldigen und, wie er sich schmeichelte, theilnehmenden Zuhörer gefunden zu haben.

»Quickensbog scheint ursprünglich seinen Namen von einer Pflanze, Quicken, wie wir auf schottisch das Triticum repens des Linnaeus benennen, erhalten zu haben, und sodann von dem gewöhnlichen, englischen, einsilbigen Bog, worunter, nach gemeiner Redeweise, ein Sumpf oder Morast, lateinisch palus, zu verstehen ist. Indeß mag es wohl die allzu raschen Freunde naheliegender etymologischer Ableitungen verwirren, wenn sie hören, daß jene Pflanze, welche auch Hundegras heißt, oder in der Kunstsprache, triticum repens Linnaei, in einem Umkreise von einer halben Viertelstunde um dieses Schloß oder diese Bergfeste gar nicht wächst, da die Wälle derselben vielmehr mit kurzem grünem Rasen bekleidet sind; und daß man ferner einen Bog, Sumpf oder palus in noch größerer Entfernung suchen muß, indem der nächste der, eine gute Viertelstunde entlegene, Gird-the-Mear ist. Die letzte Silbe, Bog, ist daher natürlich nur das verdorbene sächsische Burgh, welches wir auf verschiedene Weise verändert finden, als: Burrow, Brough, Bruff, Buff und Boff, welches letztere sich dem in Frage stehenden Laute sehr nähert. Denn angenommen, daß das Wort ursprünglich Borgh hieß, welches ächt sächsisch ist, so wird mittelst einer geringen Veränderung, wie sie die modernen Organe nur zu oft mit alten Wörtern vornehmen, zuerst Bogh entstehen, und dann, elisa H, oder je nachdem der Kehllaut hervorgehoben oder unterdrückt wird, gemäß dem gemeinen Sprachgebrauch, werden Sie entweder Boff oder Bog bekommen. Das Wort Quickens verlangt auf gleiche Weise verändert zu werden, denn es ist gleichfalls verdorben; es muß auf seinen ursprünglichen und eigentlichen Laut zurückgeführt werden, ehe wir über seine wirkliche Bedeutung entscheiden können. Durch die gewöhnliche Verwandlung des Qu in Wh, die dem ungebildetsten tiro bekannt ist, der nur je ein altes schottisches Gedichtbuch aufschlug, bekommen wir entweder Whilkens- der Whichensborgh – und dies entstand, wie wir annehmen können, mittelst einer Frage, indem diejenigen, die den Namen ertheilten, denselben, überrascht von dem außerordentlichen Alter des Ortes, in Form einer Frage ausdrückten: » Welchem gehörte diese Burg?« – Oder es könnte auch Whackensburg heißen, von dem sächsischen Whacken, mit der Hand schlagen, daß ohne Zweifel in der Nähe eines offenbar so wichtigen Platzes Gefechte vorfielen, die eine solche Ableitung rechtfertigen mußten,« u. s. w.

Ich will gegen meine Leser gnädiger sein, als Oldbuck gegen seinen Gast war; denn da er erwog, daß ihm die Gelegenheit, einen geduldigen Zuhörer an einem so bedeutenden Manne wie Lord Glenallan zu finden, nicht häufig kam, so brauchte, oder mißbrauchte er vielmehr diese Gelegenheit im höchsten Grade.


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