Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehntes Kapitel.

Rolands Unternehmen schien zu gelingen, denn er verstand es geschickt, die Aufmerksamkeit von seiner eigentlichen Arbeit durch Anfertigung von allerhand Kleinigkeiten abzulenken. Bald hatte er eine Anzahl von Schlüsseln, an Gestalt und Schwere denen gleich, die allabendlich der Burgherrin von Lochleven überreicht wurden, geschmiedet; mit Salzwasser brachte er die dunkle, rostige Farbe hervor, die die Schlüssel bedeckte, und im Vollgefühl seiner Kunst überreichte er sie eines Abends der Königin etwa eine Stunde vor dem Abendläuten. Mit froher, aber auch bedenklicher Miene betrachtete sie Rolands Arbeit.

»Ich glaube schon, daß die Augen von Lady Lochleven sich hierdurch täuschen lassen mochten. Aber wie sollen wir es bewerkstelligen, daß wir ihr diese Schlüssel unterschieben? wer an unserm kleinen Hofe soll sich diesem Taschenspielerkniffe unterziehen?«

»Vielleicht fände sich auch hierfür ein Weg,« erwiderte Roland, »ich fürchte nur die Schildwache, die jetzt nachts im Garten ausgestellt wird, und bei der wir notwendigerweise vorbei müssen.«

»Die letzten Nachrichten, die wir von unsern Kinrosser Freunden erhalten haben, sagen uns in dieser Hinsicht Beistand zu,« erwiderte die Königin.

»Und Eure Gnaden sind der Treue und Wachsamkeit dieser auswärtigen Freunde versichert?« fragte Roland.

»Für ihre Treue stehe ich ein mit meinem Leben und für ihre Wachsamkeit nicht minder,« erwiderte die Königin. »Den Beweis hierfür will ich Dir sogleich geben, mein Sohn. Komm, Katharina, begleite Uns in Unser Kabinett. Du weißt, was ich Roland dort zeigen will. Aber ich begebe mich der bösen Zungen in Lochleven halber nicht allein mit einem jungen Manne in mein Kabinett. Oder besser noch, Fleming, komm Du mit! Deine ehrbare Gegenwart wird für Roland eine bessere Gewähr sein!« setzte sie mit einem lächelnden Seitenblick auf Katharina hinzu, »aber, Schatz! nicht eifersüchtig deshalb!«

In dem kleinen Zimmer, das nur durch ein Erkerfenster Licht erhielt, zeigte die Königin Roland die Stelle am jenseitigen Ufer, wo Kinroß lag, und wo die Abendlichter zu flackern begannen ...

»Siehst Du das einzelne Flämmchen dort, getrennt von den übrigen Lichtern, und ein Stück naher am See als die andern? So klein es Dir erscheint, so ist es doch Maria Stuart mehr wert, als jeglicher Stern am Himmelsfirmament. An diesem Zeichen erkenne ich, daß mehr als ein treues Herz auf meine Befreiung sinnt, und ohne dieses Zeichen wäre ich längst meinem Schicksal erlegen, wäre ich längst an gebrochenem Herzen gestorben, Plan auf Plan ist entworfen worden, und Plan auf Plan ist aufgegeben worden, aber noch immer flimmert das Licht, und so lange es flimmert, so lange erstirbt auch meine Hoffnung nicht.«

»Irre ich mich nicht,« bemerkte Roland, »so leuchtet das Licht in dem Häuschen des Gärtners Blinkhoolie?«

»Du hast ein scharfes Auge, mein Sohn,« versetzte die Königin, »ja, dort weilen meine Getreuen und halten Rat über das Werk meiner Befreiung. Die Stimme der armen Gefangnen möge früher auf diesen Wogen verhallen, als sie zu ihren Ohren hinüber dränge, und doch kann ich mich mit ihnen verständigen ... Ich will Dir alles vertrauen. Ich will jetzt bei meinen Getreuen Anfrage halten, ob der Augenblick für das große Werk gekommen ist ... Fleming, setz die Lampe ins Fenster!«

Sie gehorchte, nahm sie aber sogleich wieder weg. Im selben Augenblick verschwand auch in der Gärtnerhütte das Licht.

»Nun zähle,« sagte die Königin, »mir schlägt das Herz zu laut, daß ich selbst zu zählen vermöchte.«

Lady Fleming zählte bis zehn, und dann zeigte das Licht wieder seinen schwachen Schimmer.

»Nun,« sprach die Königin, »Lob und Preis sei unsrer lieben Frau! ... vor kaum zwei Nächten konnte ich noch zählen bis dreißig, ehe der Lichtschein wieder sichtbar war. Die Stunde der Befreiung rückt näher. Gott möge die segnen, die mit solcher Treue für mich am Werke sind ... Aber wir müssen zurück ins andre Zimmer, denn unsre längre Gegenwart hier möchte Verdacht erregen.«

Sie verließen das Kabinett der Königin, und der Abend nahm seinen weiteren Verlauf wie gewöhnlich. Aber am folgenden Tage, um die Mittagsstunde, trug sich ein Vorfall zu, der die gleichmäßige Ruhe störte. Während Lady Lochleven bei der Mahlzeit der Königin anwesend war, kam ein Diener mit der Meldung, ein Gewappneter fordre Einlaß ins Schloß.

»Hat er die Losung gegeben?« fragte die Lady.

»Er spart sie wohl auf für das Ohr von Euer Gnaden,« erwiderte Randal, der Diener.

»Befiehl ihm, in der Halle auf mich zu warten,« beschied ihn die Dame, »doch nein, mit Eurer Erlaubnis, gnädigste Frau, bring ihn hierher!«

»Wenn es Euch beliebt, Eure Diener hier zu empfangen, ohne meine Einwilligung abzuwarten,« sagte die Königin, »so bleibt mir freilich keine Wahl.«

»Meine Kränklichkeit mag mir als Entschuldigung dienen,« erwiderte Lady Lochleven; »das Leben, das ich hier führen muß, paßt schlecht zu den früher verlebten Jahren; ich muß deshalb von mancher Förmlichkeit Abstand nehmen.«

»Ach, meine gute Lady,« versetzte darauf die Königin, »ich wünschte, es gebe in diesem Schlosse nichts, was schlimmern Zwang übte, als Förmlichkeitsrücksichten. Aber Schloß und Riegel sind doch noch bösere Gesellen.«

Unterdes trat der von Randal gemeldete Knappe ins Zimmer, in welchem Roland auf den ersten Blick den Pater Ambrosius erkannte.

»Euer Name, Freund?« fragte Lady Lochleven.

»Eduard Glendinning,« erwiderte mit geziemender Verbeugung der Abt.

»Bist Du verwandt mit dem Ritter von Avenel?« fragte die Lady.

»Jawohl, gnädige Dame, sehr nahe,« antwortete der Abt.

»Wahrscheinlich genug, denn der Ritter ist, was er ist, durch seine Taten und von geringer Abkunft zu seinem jetzigen hohen Stande im Staate gestiegen. Aber er ist von unbescholtner Treue und von erprobtem Werte, und sein Verwandter sei uns willkommen! Ihr bekennt Euch doch zu dem allein wahren Glauben?«

»Des dürft Ihr Euch überzeugt halten, gnädigste Dame!« versetzte der Abt.

»Gab Dir Sir William eine Losung?« fragte die Dame weiter.

»Ja! doch soll ich sie Euch im Vertrauen sagen!«

»Du hast recht,« sagte die Lady und trat mit dem Fremden in eine Fensternische... »So sag mir die Losung!«

»O Douglas, Douglas! lieb und treu!« sagte der Knappe.

»Es ist in Ordnung, Glendinning. Wir nehmen Dich in unser Gefolge auf. Doch, Randal, sorge, daß er nur die Außenwacht übernimmt! wenigstens bis wir aus seinem Munde Näheres gehört haben über unsern Sohn... Du bist doch Nachtluft gewohnt, oder scheust Du Dich vor ihr?«

»Ich scheue mich im Dienste Euer Gnaden vor nichts,« versetzte der Abt in Knappentracht. »So wäre denn unsre Besatzung durch solchen Zufall um einen treuen Mann verstärkt,« sagte Lady Lochleven, sichtlich erfreut. »Begebt Euch in die Speisekammer und laßt Euch reichlich bewirten.«

Kaum hatte sich die Lady mit dem Pseudo-Knappen entfernt, als die Königin sich zu Roland mit den Worten wandte:

»Ich erblicke Trost in den Zügen des fremden Mannes, wenn ich auch nicht weiß, warum es mir so zu Mute ist. Aber ich bin überzeugt, daß er uns ein Freund ist.«

Der Page unterrichtete die Königin, daß es der Abt des heiligen Marienklosters in Person sei, der hier in der Rolle des Kriegsknappen sich Eintritt ins Schloß verschafft habe.

Die Königin bekreuzte sich und sandte einen Blick gen Himmel.

»Ich unwürdige Sünderin,« sprach sie, »um meinetwillen setzt sich ein heiliger Mann von so hohem Rang in Gefahr, als Verräter zu sterben, und wechselt sein heiliges Kleid mit dem profanen Gewand eines Kriegsmanns!«

»Der Himmel wird seinen Diener schützen!« sagte Katharina. »Segnen würde seine Teilnahme unser Unternehmen, wäre es nicht schon gesegnet an sich selbst!«

»Und was das Zeichen vom andern Ufer angeht, so sagt mir mein Herz,« warf Katharina dazwischen, »daß wir heut nacht statt eines Flämmchens vom Garten Blinkhoolies zwei sehen werden! Und dann, Roland, gilt's! sei wacker, wie bisher, und wir wollen, gleich Feen zu mitternächtiger Stunde, auf dem grünen Rasen tanzen und springen.«

Katharina hatte recht. Am Abend flimmerten drüben über dem See zwei Flämmchen statt eines, und der Page hörte mit klopfendem Herzen, wie draußen vorm Schlosse der neue Knappe zur Wache bestellt wurde. Als er die erste Kunde hiervon der Königin überbrachte, reichte sie ihm die Hand. Er kniete nieder, führte die Hand in schuldiger Ehrfurcht an die Lippen und fühlte, daß sie kalt war wie Marmor.

»Um Gottes willen, gnädigste Frau,« rief die Fleming, »betet zu Eurem Schutzheiligen!«

»Betet zu den hundert Geistern der Königsreihe, von der Ihr abstammt!« sagte Roland wieder, »in dieser Stunde der Not wäre die Entschlossenheit eines Fürsten soviel wert wie der Beistand von hundert Heiligen!«

»Ach, Roland Gräme, sei mir treu,« sagte Maria im Tone höchster Verzagtheit, »sei mir treu – so manche sind falsch gegen mich gewesen! – Ach, und ich war mir selbst nicht treu!... Meinem Herzen ahnt es, daß ich in der Sklaverei sterben werde, daß dieses kühne Werk allen das Leben kosten werde! ... Von einer Wahrsagerin ist mir in Frankreich gekündet worden, daß ich im Gefängnis eines gewaltsamen Todes sterben werde ... Jetzt naht sie, die schwere Stunde!«

»O, gnädigste Frau,« rief Katharina Seyton, »erinnert Euch, daß Ihr eine Königin seid! Es ist besser, wir finden bei dem mutigen Werk alle unsern Tod, als daß wir hier bleiben, in Gefahr, den Tod durch Gift zu leiden, durch böses Gewürm, wie es in allem alten Gemäuer haust.«

»Du hast recht, Katharina,« erwiderte die Königin, »Maria wird sich zeigen Marias würdig. Aber, ach! ach! Dein jugendlicher, kräftiger Mut vermag die Ursachen nicht wohl zu erraten, die den meinigen brachen. Lebt wohl für ein paar Augenblicke, Kinder! ich will Geist und Leib bereiten zu diesem furchtbaren Abenteuer.«

Sie gingen voneinander und blieben getrennt, bis das Abendläuten sie wieder zusammenrief. Die Königin war ernst, aber fest und entschlossen. Lady Fleming verstand es meisterhaft, die Bangigkeit, die ihr Herz erfüllte, durch die Kunst der Hofdame zu verbergen; Katharinas Augen leuchteten von mutvollem Feuer, und ihren schönen Mund umspielte ein muntres Lächeln, das jeder Gefahr und aller Furcht vor Entdeckung zu spotten schien; Roland suchte sich in dem Bewußtsein, daß der Erfolg zum großen Teil von seiner Gewandtheit und Festigkeit abhängig sei, alle Geistesgegenwart zu erhalten, und stand, gleich dem Jagdhund an der Leine, Hand, Herz und Auge gespannt, alle Gelegenheit zur Durchführung des Anschlags wahrzunehmen.

Lady Lochleven stand mit dem Rücken dem Fenster zugekehrt, das, wie das im Schlafkabinett, nach Kinroß und auf die Kirche hinaus sah, die ein Stück vom Dorfe dem See näher lag und damals nur durch wenige Hütten mit ihm im Zusammenhang stand. Das Gesicht hielt sie dem Tische zugewandt, auf dem für die kurze Zeit, die sie zum Kosten der Speisen brauchte, das Schlüsselbund lag; ihre Miene war – so meinten wenigstens die Gefangnen – herausfordernder denn sonst, ihr Blick fester als sonst auf das Werkzeug strenger Haft gerichtet. Gerade als sie nach dem Bunde greifen wollte, warf der Page den Blick nach Kinroß hinüber und rief, er sehe ja Totenlichter auf dem Friedhofe; die Lady war zwar vom Aberglauben, der zur damaligen Zeit die Gemüter beherrschte, ziemlich frei, aber sie gedachte des Schicksals ihrer Söhne, ein sogenanntes Totenlicht auf dem Friedhofe bedeute Todesfall in der Familie, und so drehte sie sich um, in der Absicht, zum Fenster hinaus zu sehen; sie sah die Flämmchen flimmern, die für die Gefangnen Signale waren, und vergaß auf einen Augenblick ihr Amt, und ging nun der Früchte ihrer Wachsamkeit verlustig. Mit großer Gewandtheit vertauschte der Page die selbstgeschmiedeten Schlüssel, die er unter dem Mantel trug, gegen die echten, hatte aber ein schwaches Geklirr doch nicht verhüten können. Im Nu fuhr die Lady mit dem Kopfe herum und rief: »Wer rührt an meinen Schlüsseln?« der Page sagte, er habe mit dem Aermel daran gestreift; sie aber sah sich um, griff nach dem Schlüsselbund, ohne gewahr zu werden, daß sie das falsche nahm, und blickte wie er hinüber nach den vermeintlichen Totenlichter.

»Mir scheint,« sagte sie, »die Lichter kommen nicht vom Friedhofe, sondern von Blinkhoolies Hütte herüber. Was der alte Mann wohl vorhat, daß er seit kurzem immer bis in die Nacht hinein Licht brennt? Ich habe ihn immer für einen ruhigen, fleißigen Mann gehalten; nimmt er jedoch Nachtschwärmer und Tagediebe bei sich auf, dann werden wir Sorge tragen müssen, daß er seinen Aufenthalt wechselt.«

»Er mag wohl Körbe flechten, gnädige Frau,« sagte der Page in der Absicht, ihre Aufmerksamkeit abzulenken.

»Oder Netze, wie?« erwiderte die Lady.

»Kann auch sein,« versetzte der Page, »für den Forellen- und Lachsfang, dem er ja obliegt.«

»Oder für Narren- und Schurkenfang!« rief die Lady Lochleven grimmig. »Doch morgen soll das untersucht und festgestellt werden!« Dann wandte sie sich zu der Königin. »Für heute wünsche ich Euer Gnaden und Eurer Gesellschaft guten Abend. Randal, komm mit uns mit!«

Die Lady verschwand mit ihrem Diener, dem sie das Schlüsselbund in die Hand gelegt hatte. Roland aber rieb sich vergnügt die Hände, daß ihm sein Streich gelungen war, und sagte zu Katharina:

»Narren verschieben auf morgen, was gescheite Leute heute tun. Doch ich muß jetzt gehen, diese Werkzeuge zur Freiheit gut zu schmieren, daß sie durch Knarren uns nicht verraten. Mut und Ausdauer! dann wird alles gut gehen. Wenn nur unsre Freunde rechtzeitig mit dem Boote zur Stelle sind!«

»Ihretwegen seid ohne Furcht!« sagte Katharina, »sie sind treu wie Gold – wenn bloß unsre teure Gebieterin den Mut nicht sinken läßt, der sie so lange aufrecht erhalten hat!« »Zweifle nicht an mir, Katharina,« sprach die Königin, »wenn ich vor einer Weile noch unterlag, so habe ich doch den Mut der früheren, fröhlicheren Tage wiedergefunden, als ich mit meinen bewaffneten Adelingen durch Wald und Flur ritt und das Verlangen im Herzen trug, ein Mann zu sein, um zu lernen, wie es sich lebt im Felde, mit Schild und Schwert, mit Panzer und Brotbeutel.«

»O, keine Lerche singt froher als ein lustiger Soldat,« rief der Page; »bald, bald wird sich Eure königliche Majestät in der Mitte ihres Heers befinden, und das Auge der Königin wird in jedes Mannen Herz erhöhten Mut pflanzen! Aber ich muß jetzt an meine letzte Arbeit! Entschuldigt also, Eure Gnaden!«

»Es bleibt nur wenig Zeit noch,« sagte die Königin, »eins von den beiden Lichtern ist verloscht. Das ist uns ein Zeichen dafür, daß eins der Boote schon unterwegs ist.«

»Die Leute werden nur langsam rudern,« erwiderte der Page, »stellenweis werden sie es, kein Geräusch zu machen, schieben müssen. Aber jetzt jeder auf seinen Posten! Ich will im Vorbeigehen Rücksprache mit dem frommen Vater nehmen.«

Die Mitternachtsstunde schlug, Totenstille herrschte im Schlosse, als die Glocke verklungen war. Da schob der Page den Schlüssel in das Schloß des Pförtchens, das sich unterhalb der zu den Zimmern der Königin in den Schloßgarten führenden Wendeltreppe befand. Der Riegel leistete nur geringen Widerstand, und das Schloß knarrte kaum, Roland hatte die Schlüssel gut geölt. Aber er wagte es nicht, den Fuß über die Pforte hinaus zu setzen, sondern flüsterte dem verkleideten Abte bloß die Frage zu, ob das Boot bereit sei.

»Schon seit einer halben Stunde,« antwortete dieser, »unter dem Wall, zu dicht an der Insel, um vom Turmwart gesehen zu werden, aber wenn es abstößt, wird es den Späherblicken desselben wohl kaum entgehen.«

»Die Dunkelheit wird uns schützen,« erwiderte der Page, »wir werden suchen, so unbemerkt abzustoßen, wie die Leute gelandet sind. Zudem hat Hildebrand die Wache auf dem Turm, ein Tölpel, der nie ohne einen vollen Krug auf Nachtwache zieht. Der schläft doch sicher!«

»So hole die Königin!« flüsterte der Abt, »ich will Heinrich Sehton rufen, er soll den Herrschaften beim Einsteigen helfen.«

Leisen Schrittes, mit verhaltenem Atem, zusammenschreckend beim leisesten Rascheln der eignen Gewänder, schlüpften die holden Gefangnen, eine hinter der andern, von Roland geleitet, die Wendeltreppe hinunter und wurden am Pförtchen von Heinrich Seyton und dem Abte in Empfang genommen. Der erstere schien die Leitung des ganzen Unternehmens in die Hand genommen zu haben.

»Hochwürdiger Abt,« flüsterte er, »reicht meiner Schwester den Arm, ich werde die Königin geleiten, der junge Mann hier wird die Ehre haben, sich der Lady Fleming anzunehmen.«

Roland mußte sich fügen, denn Zeit zu einem Einspruch war nicht vorhanden. Freilich hätte Roland eine andre Anordnung lieber gesehen, Katharina hüpfte gleich einer Sylphide voraus und führte mehr den Abt, statt von ihm geführt zu werden. Die Königin, deren angeborener Mut alle Furcht und alle Bedenken besiegte, schritt unter Seytons fester Hand festen Schrittes voran, während die Fleming für Roland ihrer Ängstlichkeit und Unbeholfenheit wegen eine rechte Last war. Er bildete mit ihr den Nachtrab, und während er sie an der einen Hand führte, trug er unter dem andern Arm ein Päckchen für die Königin. Roland trat, als er die Wendeltreppe glücklich mit seiner Dame herunter gestiegen war, an die Gartentür und versuchte sie mit einem der in seiner Hand befindlichen Schlüssel zu öffnen, mußte aber mehrere probieren, ehe er den richtigen fand. Darüber verstrich ein banger Augenblick. Endlich gab die Tür nach, und nun wurden die Damen von Männern, die bislang, im Rasen versteckt, auf dem Boden gelegen hatten, zum Boote, das ihrer mit sechs Ruderern im See wartete, halb geführt, halb getragen. Heinrich Seyton führte die Dame in das Hinterteil des Bootes, der Abt wollte Katharinen beim Einsteigen helfen, aber die Maid war mit einem Satze im Boote, noch ehe der Abt den Arm erhoben hatte, ihn ihr zu reichen, und Roland wollte grade der Lady Fleming den gleichen Ritterdienst erweisen, als ihm plötzlich ein Gedanke in den Sinn schoß. Mit dem Rufe: »Ich hab was vergessen. Wartet bloß eine Minute auf mich!« warf er, es seiner Dame überlassend, wie sie zurechtkäme, das Paket der Königin in das Boot und eilte, geräuschlos wie ein leichtbeschwingter Vogel, durch den Garten zurück.

»Beim Himmel!« rief Seyton, »noch im letzten Moment bricht er die Treue. Gefürchtet hab ich es ja immer.«

»Er ist treu, wie der Himmel selbst!« rief Katharina, »dafür stehe ich ein.«

»Still, Püppchen!« erwiderte Seyton, »Dein Urteil gilt mir nichts. Stoßt ab, Leute, und rudert auf Tod und Leben!« »Helft mir an Bord!« rief ängstlich, und lauter als sie mochte, die Fleming, »helft mir an Bord!«

»Stoßt ab! stoßt ab!« befahl Seyton; »laßt alles schießen, wenn bloß die Königin in Sicherheit ist.«

»Gnädigste Frau, wollt Ihr das zugeben?« rief da Katharina flehend; »soll Euer Retter dem sichern Tode anheimfallen?«

»Nein! das soll nicht sein!« sagte die Königin .. »Seyton, ich befehle Euch, zu warten, auf jede Gefahr!«

»Verzeiht mir, gnädigste Name, wenn ich ungehorsam bin,« erwiderte der unbeugsame Jüngling, und nachdem er schnell der Fleming noch ins Boot geholfen hatte, gab er dem Boote selbst einen Tritt mit dem Fuße und sprang dann hinterher.

Etwa Zwei Klaftern weit war es vom Lande, als Roland am Ufer erschien und mit einem Satze im Wasser war, es noch zu erreichen. Mit einem zweiten Satze war er im Boote, rannte aber dabei Seyton über den Haufen, der darüber einen derben Fluch ausstieß. Als Roland nach dem Hinterteil des Bootes gehen wollte, wo sich die Damen befanden, trat ihm Seyton in den Weg mit den Worten:

»Euer Platz ist nicht bei hochgebornen Damen. Bleibt vorn und sorgt, daß das Boot nicht aus dem Gleichgewicht kommt ... Na, Platz da! versteht Ihr nicht Schottisch? .. Leute, rudert, rudert um Gottes und der Königin willen!«

»Warum habt Ihr die Ruder nicht umwickelt?« flüsterte Roland, »das Plätschern muß ja die Wache wecken ... Bursche, rudert, daß Ihr aus Schuhweite kommt! hätte der alte Hildebrand nicht heut einen Teller Mohnsuppe geschluckt, dann hätt er schon längst von Eurem Geflüster munter sein müssen.«

»Du bist allein an der Säumnis schuld!« rief Seyton. »Wenn wir drüben am Lande sind, sollst Du mir hierfür und für manch andres Rede und Antwort stehen!«

Aber Rolands Befürchtung bewahrheitete sich schnell genug, so daß er sich einer Antwort hierauf enthalten mußte. Die Wache hatte in ihrem Schlummer wohl das Geflüster der Stimmen nicht gehört, aber das Plätschern der Ruder machte sie munter, und jetzt vernahm man den Alarmruf: »Ein Boot! ein Boot! haltet an, oder ich schieße!«

Und als die Ruderer nur um so derber sich ins Zeug legten, schrie die Wache mit Stentorstimme: »Verrat! Verrat!« schoß ihre Feuerbüchse nach dem Boote ab und zog die Glocke.

Wie gescheuchte Vögelchen drängten sich die Damen zusammen, als der Schuß über das Wasser dröhnte. Die Ruderer setzten die besten Kräfte ein. Andre Kugeln pfiffen nun über die Wasserfläche, und im ganzen Schlosse fing es an, lebendig zu werden.

»Stemmt Euch gegen die Ruder!« rief Seyton, »zieht an, daß Euch das Blut unter die Nägel tritt, oder ich will's Euch mit dem Dolche aus dem Leibe zapfen ... gleich wird uns von drüben ein Boot auf den Hacken sein!«

»Daß das nicht der Fall sein kann, dafür ist gesorgt!« bemerkte Roland kalt und ruhig, »denn ich bin vorhin nochmals zurückgeeilt, um die schweren Hauptriegel vor die Tore zu legen. In dieser Nacht wird kein Boot aus Lochleven mehr über den See fahren, denn mit den falschen Schlüsseln können sie die Tore nicht öffnen, und ehe sie sich bei Tage von ihrem Verlust überzeugen weiden, sind wir in Sicherheit ... Und nun lege ich mein Schließeramt von Lochleven nieder, und übergebe das Schlüsselbund der Nixe tief unten am Grunde.«

Als die schweren Schlüssel unter dem Wasser verschwanden, sagte der Abt:

»Gottes Segen über Dich, mein getreuer Sohn! Deine Klugheit und Vorsicht, Dein Mut und Dein Eifer beschämt uns alle!«

Als das Boot aus Büchsenschußweite gebracht worden war, schöpfte die Königin Atem und gewann langsam die Ruhe wieder. Dann sagte sie:

»Die Treue und Klugheit meines Knappen zog ich nie in Zweifel. Ich muß ihn mit meinen beiden nicht minder getreuen Rittern Douglas und Seyton als einen lieben Freund ansehen .. aber wo ist Douglas?«

»Hier, gnädigste Dame!« antwortete eine tiefe Stimme aus der Reihe der Ruderer; sie kam aus der Brust des ihr zunächst sitzenden, der das Steuer lenkte.

»Also decktet Ihr mich mit Eurem Leibe, als die Kugeln um das Boot pfiffen?« fragte die Königin gerührt.

»Seid Ihr der Meinung, ein Douglas überließe einem andern die Gefahr, das Leben seiner Königin durch das eigne zu schützen?«

Hier wurde die Unterhaltung durch schwerere Schüsse gestört, die vom Schlosse nach dem Boote herüberstrichen. Man feuerte jetzt aus den Falkonetten, leichteren Kanonen, die damals zur Bollwehr für Schlösser und Burgen im Brauch waren. Aber die Schüsse waren aufs Geratewohl gefeuert worden, da das Boot mittlerweile verhältnismäßig weit aus Sehweite gelangt war. Der dumpfe Knall indes, der jedem Schusse vorausging, und die Blitze, die vom Schlosse herüberzuckten, waren für die Damen doch ein Gegenstand großen Schreckens. Endlich stieß das Boot ans Land, und zwar an einem primitiv angelegten Landungsplätze vor einem großen Garten, und während hier der Abt Gott für das bisherige Gelingen inbrünstig dankte, erntete Douglas den schönsten Dank für seine Treue, denn er durfte die Königin am Arme nach der Gärtnerhütte geleiten. Aber die Königin vergaß auch jetzt der Dienste Rolands nicht und befahl ihm, Katharina den Arm zu reichen, während sie Seyton befahl, sich der Lady Fleming anzunehmen. Aber Seyton übergab diese Sorge dem Abte unter dem Vorwande, daß er sich nach den Pferden umsehen müsse, und seine Mannen beeilten sich, indem sie die Ruderermäntel abwarfen, ihm hierin beizustehen.

In der kurzen Zeit, die nun die Königin in der Hütte verweilte, bemerkte sie in einem Winkel den alten Mann, dem die Hütte gehörte, und rief ihn zu sich. Mit Widerstreben folgte er dem Rufe.

»Aber, Bruder,« sagte der Abt Ambrosius, »so langsam, wenn es gilt, Deiner erlauchten Königin und Gebieterin Glück zu ihrer Befreiung aus schmählicher Haft zu wünschen?«

Der Greis kam dieser Aufforderung mit ein Paar schicklichen Worten nach. Die Königin dankte ihm huldvoll und reichte ihm als Belohnung seiner Treue eine kleine Börse ... »Nehmt sie,« sagte sie, »Eure Wohnung ist lange genug Zufluchtsort für unsre getreuen Diener gewesen. In Zukunft gedenken wir solche Dienste besser zu lohnen.«

»Danke der Königin für solche Huld, Bruder, und kniee nieder!« sagte Abt Ambrosius.

»Bruder,« antwortete der Gärtner, aber mit verdrießlicherer Stimme als bisher, »Du standest einst verschiedene Stufen unter mir und bist um manches Jahr jünger als ich. Drum laß mich danken auf meine Weise! Es hat Tage gegeben, da Königinnen vor mir knieten, und meine Kniee sind zu alt und steif geworden, daß ich sie beugen könnte, selbst vor solch holdseliger Dame wie dieser! ... Gestatten Eure Gnaden mir die bescheidene Bemerkung, daß es mir der schönste Lohn wäre, wenn sie in Zukunft ihren Aufenthalt recht weit von dieser Stätte stiller Zurückgezogenheit nehmen wollte, die über Gebühr durch den mitternächtigen Verkehr von Dienern Eurer Gnaden gelitten hat. Weiß ich doch kaum, ob ich es noch mein Eigentum nennen darf! alle Blumen haben sie mit ihren schweren Stiefeln niedergetreten, und seit sie sogar ihre Streitrosse hergeführt haben, ist es um all mein Obst geschehen ... Ich bin ein Greis, hoch an Jahren, und möchte gern die paar Jahre, die mir der Herr in seiner Güte noch verleihen wird, in Ruhe und Frieden verbringen.«

»Gern versprech ich Euch, daß mich die Mauern dort drüben nicht wieder sehen sollen, guter Mann,« antwortete die Königin, »aber nehmt immerhin dies bißchen Geld! es mag doch halbwegs im stande sein, den Schaden auszugleichen, den Ihr erlitten habt.«

»Vielen Dank, Euer Gnaden!« antwortete der Greis, »aber es wird mir kaum Entschädigung sein können. Die zerstörte Arbeit eines Jahres läßt sich von einem Menschen, der vielleicht bloß ein Jahr noch zu leben hat, nicht leicht wett machen. Zudem höre ich, daß ich diesen Ort werde meiden und wieder zum Pilgerstabe greifen müssen. Das ist für einen Greis in meinem Alter eine harte Zuversicht. Außer diesen paar Blumen und Obstbäumen nenn ich nichts mein eigen, höchstens noch ein Paar Dokumente und Familienpapiere, Geheimnisse bergend, der Mitteilung und Kunde wohl kaum wert. Hätt ich dem Golde angehangen, so hätte ich Klosterabt von Sankt-Marien bleiben können; und doch, wenn ich denke, daß aus meinem Nachfolger Ambrosius ein Kriegsmann geworden mit Schild und Tartsche, so ist mir das Los als Gärtner doch lieber, denn es entspricht dem Leben eines Bonifazius doch besser!«

»Ist dies wirklich Abt Bonifazius, von dem ich so viel gehört habe?« sprach die Königin. »Das Knie hätt ich vor Euch beugen sollen, daß Ihr mich segnet, frommer Vater!«

»Beugt nicht das Knie vor mir, Fürstin! aber der Segen eines Greises, der kein Abt mehr ist, möge Euch begleiten über Berg und Tal ... Ich höre das Getrappel Eurer Rosse.«

»Lebt wohl, mein Vater!« sagte die Königin, »wenn Wir Unsern Thron zu Holyrood wieder bestiegen haben, wollen Wir Eurer und Eures Gartens huldvoller gedenken!«

»Vergeßt mich und den Garten, Fürstin,« sagte der Ex-Abt, »und Gott sei mit Euch!«

In düsterm Selbstgespräch verschwand der Greis hinter seiner Pforte und verwahrte sie durch Schloß und Riegel.

»Die Rache des Hauses Douglas wird den armen Greis erreichen, « sagte die Königin. »Gott helfe mir! ich richte jeden zu grunde, dem ich nahe komme.«

»Für seine Sicherheit ist gesorgt,« sagte Seyton, hier darf er nicht bleiben, sondern wird nach einem Orte überführt, wo er sichrer sein wird. Doch ich wollte, Euer Gnaden säßen bereits im Sattel ... Zu Pferde! zu Pferde!« Durch die bei den Pferden zurückgebliebne Dienerschaft vermehrte sich die Begleitung von Seyton und Douglas um etwa ein Dutzend. Die Damen saßen alsbald auf und erreichten, unter der Führerschaft von Georg Douglas, das offne Feld. Dann jagten sie in gestrecktem Galopp von dannen.


 << zurück weiter >>