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Siebentes Kapitel.

Roland Gräme schritt durch den Garten, den ein eingefriedigter Rasenfleck, wo sich ein paar dem Gärtner gehörige Kühe es sich wohl sein ließen, von dem Dorfe schied. Wenn er der Worte des Paters Ambrosius gedachte, konnte er nicht umhin, einen gewissen Argwohn zu empfinden, als sei derselbe beflissener gewesen, die abweichenden Lehren der beiden Kirchen beiseite zu lassen als ihn der Zweifel zu entheben, in die ihn die Predigten des Kaplans Henderson versetzt hatten. Es mag ihm freilich, sagte er sich, an der Zeit dazu ebenso gefehlt haben, wie mir an der nötigen Ruhe und dem nötigen Wissen, auf Streitpunkte von solcher Tragweite sich einzulassen. Soviel ist aber doch sicher, daß es von mir erbärmlich wäre, meinem Glauben abtrünnig zu werden gerade dann, wenn ihm Zeit und Welt übel mitspielen. Ich bin als Katholik getauft, als Katholik erzogen, und will so lange Katholik bleiben, bis mich Zeit und Vernunft belehren, daß der katholische Glauben ein Irrglauben ist, ebenso will ich dieser armen gefangnen Königin dienstbar bleiben, wie es einem loyalen Untertan geziemt. Ich kann nicht dafür, daß die Wahl der Leute, die mich nach Lochleven schickten, nicht auf einen feilen und doppelzüngigen Schuft gefallen ist, der das Zeug dazu in sich hatte, den dienstwilligen Pagen der Königin und gleichzeitig den unterwürfigen Spion ihrer Feinde abzugeben. Die Schuld, sich geirrt zu haben, haben sie sich selbst beizumessen, nicht mir. Für mich gibt es kein Besinnen, wenn die Frage an mich tritt, ob ich ihr dienen oder sie verraten will. Wie aber soll ich mich gegenüber dieser Katharina Seyton verhalten, die mit mir kokettiert, während sie mit Georg Douglas Beziehungen unterhält? die mit mir Fangball spielt, ganz wie es ihrer Lust und Laune gefällt? .. Beim Himmel! sie soll mir Rede und Antwort stehen bei der ersten Gelegenheit, die sich mir bietet, und bekennt sie nicht ehrlich Farbe, so breche ich mit ihr auf immer!«

Von diesem kühnen Entschlusse beseelt, wollte er den Fuß aus dem Gartenzaune setzen, als er sich angesprochen fühlte von jemand, an den er am allerwenigsten gedacht hatte .. »Ei, sieh da, mein vortrefflichster Freund,« rief Doktor Lukas Lundin ihm entgegen, »wo kommt denn Ihr her? Aber ich wittere, was dahinter steckt. Nachbar Blinkhoolies Gärtchen ist ein vergnügliches Stelldichein, und in dem Alter, in welchem Ihr Euch befindet, steht einem ja der Sinn nach einem schmucken Dirndl fortwährend .. Und doch, mein Lieber, sieht es mir, wenn ich Euch genauer ansehe, ganz so aus, als ob Ihr eine trübselige Miene schnittet; hat Euch das Dirndl etwa gar übel angelassen? .. Laßt Euch kein graues Härlein drum wachsen, junger Freund! denn in Kinroß gibt's mehr Käthchen .. und sollt's Euch nebenher passiert sein, von Blinkhoolies unreifen Pflaumen zu naschen, na, so gibt's in meiner Apotheke ein Gläschen von zweimal abgezogner Aqua mirabilis, die Euch von allem Bauchkneifen im Nu erlösen .. diese aqua mirabilis de facto probatum est

Am liebsten hätte Roland dem Doktor, den er ob seines Witzes haßte, die Wege gewiesen; aber es fiel ihm ein, daß der Mann den Namen Käthe für Dirne bloß aus Vorliebe für Alliteration gewählt hatte, und so begnügte er sich, ihm die Frage zu stellen, ob schon Nachricht von den Fährleuten da sei?

»Ich suche Euch schon eine ganze Stunde,« erwiderte der Doktor, »um Euch zu sagen, daß die Ladung bereits im Boote liegt, und Eurer Heimfahrt mithin nichts im Wege steht. Die Rudersleute sind auf ihrem Posten, und drüben am Wachtturm haben sie schon ein paarmal die Flagge gehißt, zum Zeichen, daß Ihr erwartet werdet. Zu einem Imbiß bleibt Euch schließlich aber noch immer Zeit.« Trotzdem aber hierzu ein guter Schnaps als Magenstärkung vom Doktor in Aussicht gestellt und entschieden davon abgeraten wurde, sich der scharfen Luft auf dem See mit hohlem Magen auszusetzen, hielt es den Pagen doch nicht länger. Er eilte vielmehr in der Richtung zum Anlegeplatze davon. Unterwegs vermeinte er unter einem Haufen Menschen, der sich um eine Bande fahrender Spielleute geschart hatte, Katharina Seyton zu erkennen, und mit einem einzigen Satze war er an der Seite des Mädchens .. »Katharina,« flüsterte er, »ist es klug von Euch, noch hier zu weilen? Wollt Ihr nicht lieber mit nach dem Schlosse zurück?«

»Hol Eure Katharinen und Schlösser der Geier!« erwiderte ärgerlich die Angeredete, »habt Ihr Euch noch immer nicht aus Euren Narrheiten herausgefitzt? Macht, daß Ihr weiter kommt! ich mag nichts wissen von Euch, und wenn Ihr mich nicht in Ruhe laßt, so habt Ihr's Euch selbst zuzuschreiben, wenn Euch Ungelegenheiten zustoßen.« –

»Holde Kallipolis!« antwortete Roland, »wenn Ihr Ungelegenheiten befürchtet, warum soll ich sie nicht mit Euch teilen dürfen?«

»Zudringlicher Narr!« rief das Mädchen leise, »mich ficht keine Gefahr an, Du aber hast mit ihr zu rechnen! und damit Du es weißt, so laß Dir gesagt sein, daß Du sie vor allem in meiner Dolchspitze zu gewärtigen hast!« .. Mit dieser Drohung kehrte sie ihm trotzig den Rücken und verschwand unter der Menge, die ihr nicht ohne Befremden über die Rücksichtslosigkeit, mit der sie sich den Weg durch die Menge bahnte, nachsah.

Als Roland sich eben anschickte, ungeachtet seines lebhaften Verdrusses, ihr zu folgen, faßte ihn Doktor Lundin auf der andern Seite, denn der Biedermann hatte es nicht über sich gebracht, seinen Gast allein ziehen zu lassen, und erinnerte ihn, daß der Kahn noch immer seiner laure, und daß drüben am Turm eben wieder die Flagge aufgezogen worden sei. So sah sich Roland gewissermaßen gezwungen, die Heimfahrt nach Schloß Lochleven anzutreten. Es währte nicht lange, so befand er sich am Landungsplatze, wo ihn der greise Dryfesdale streng und höhnisch bewillkommnete ... »Also endlich wieder da? Ganze sechs Stunden seid Ihr junger Fant nun weg, und schon dreimal hab ich Euch das Zeichen geben lassen, daß Ihr erwartet werdet! Ich möchte wetten, daß Euch allerhand Larifari, vielleicht gar eine Schlemmerei oder Sauferei, verhindert hat, Euch Eurer Pflicht zu erinnern. Wo ist das Verzeichnis über das Silberzeug und Hausgerät? Hoffentlich ist nichts davon verloren gegangen unter Eurer Aufsicht, junger Taugenichts?«

»Sollten das Worte sein, Herr Hausmeier, im Ernste gesprochen,« erwiderte zornig der Page, »so dürft Euch, beim Himmel! das graue Haar nicht schützen gegen Eure schlimme Zunge!«

»Windbeutelt nicht, Musje,« versetzte Dryfesdale, »sondern denkt hübsch daran, daß wir in Lochleven für solche Streitbolde allerhand Unterkunft hinter Schloß und Riegel haben .. Scher Dich zur gnädigen Frau und mach Dich, wenn Du Courage dazu hast, vor ihr breit .. verdrießlich genug wirst Du sie finden, denn sie hat nun lange genug gewartet.«

»Soviel ich merke, sprichst Du von Lady Lochleven,« versetzte Roland mürrisch; »also sag mir lieber, statt zu räsonnieren, wo ich sie finde.«

»Was schwatzest Du da wieder?« sagte der Hausmeier; »von wem anders als Lady Lochleven sollt ich denn reden? Außer ihr hat doch niemand im Schlosse was zu sagen!«

»Lady Lochleven ist Deine Herrin,« antwortete Roland, »aber nicht meine. Ich diene der Königin von Schottland.«

Dryfesdale sah ihn einen Moment lang starr an. Dann rief er mit einer Miene erkünstelter Verachtung, der es jedoch gar nicht gelingen wollte, den Argwohn und Verdruß, der in seinem Herzen wohnte, zu verbergen: »Musje! durch Deine vorlaute Zunge wirst Du Dich selbst noch in arges Ungemach bringen .. Mir ist Dein verändertes Benehmen erst letzthin in der Kapelle aufgefallen; ich habe recht gut gesehen, was für Blicke Du einer gewissen Mamsell beim Essen zugeworfen hast! Ihr habt was vor miteinander, Musje, und darauf werde ich mein Auge gerichtet halten. Nun schert Euch, und wenn Ihr wissen wollt, wem Ihr auf dem Schlosse zu gehorchen habt, der Lady Lochleven oder der andern, so könnt Ihr Euch Belehrung darüber im Vorzimmer der andern verschaffen, denn dort stecken sie jetzt gerade beisammen.«

Von Herzen froh, dem knurrigen Greise aus dem Wege zu kommen, eilte Roland nach dem Schlosse. Unterwegs überlegte er aber, daß es doch einen besondern Grund haben müsse, weshalb die Schloßherrin zu solch ungewohnter Zeit und Stunde bei seiner Gebieterin weile, und er kam zu dem Schlusse, daß sie hierfür keinen andern Grund haben dürfte, als zu beobachten, wie ihn die Königin bei seiner Rückkunft begrüßen und sich gegen ihn verhalten werde, und er nahm sich vor, möglichst auf der Hut zu sein.

Als er in das Zimmer der Königin trat, sah er diese auf ihrem Stuhle sitzen, während sich Maria Fleming auf die Lehne desselben stützte. Dagegen stand Lady Lochleven vor ihr, und aus dem Verdrusse, den ihr Gesicht verriet, konnte Roland Gräme schließen, daß sie sicherlich schon eine geraume Zeit stehen mochte und noch immer auf eine Aufforderung der Königin, sich zu setzen, wartete. Roland machte, als er eintrat, erst der Königin eine tiefe, dann der Lady Lochleven eine weniger tiefe Verbeugung, Dann blieb er stehen, wie wenn er darauf wartete, von ihnen gefragt zu werden ... Die beiden Damen fragten ihn ziemlich zur gleichen Zeit ...

»Na, junger Mensch! endlich wieder da?« fuhr ihn Lady Lochleven an, verhielt sich aber still, als sie bemerkte, daß die Königin weiter sprach, ohne sich daran zu kehren, daß auch die andre sprach ..

»Willkommen daheim, Roland,« sagte die Königin, »also doch die treue Taube geblieben, und nicht zum Raben verwandelt? nun, ich hätte es Dir wahrlich nicht übel genommen, mein Kind, wenn Du den Weg zu unsrer vom Wasser umschlossnen Arche nicht wiedergefunden, sondern die goldne Freiheit unserm elenden Kerker vorgezogen hättest! Hoffentlich hast Du einen Oelzweig mit hergebracht, denn unsre gütige Frau Wirtin hat sich über Dein langes Ausbleiben in große Erregung hinein abwirtschaftet, und Uns war doch nie ein Sinnbild des Friedens und der Versöhnung so dringend von nöten wie gerade jetzt.«

»Es tut mir leid, daß ich nicht pünktlicher sein konnte, gnädigste Frau,« erwiderte Roland, »aber der Mann, dem die Sachen, die ich holen sollte, übergeben wurden, hat mich so lange aufgehalten.«

»Nun, da habt Ihr's,« sagte die Königin, sich zur Lady Lochleven wendend, »wir konnten Euch zu unserm Bedauern, geliebteste Frau Wirtin, nicht davon überzeugen, daß Euer Hausgerät wohl aufgehoben sei. Freilich finden Wir für Eure Sorge, daß etwas hätte abhanden kommen können, hinlängliche Erklärung in dem dürftigen Zustande, den diese königlichen Gemächer aufweisen. Sind Wir doch nicht einmal in der Lage gewesen, Euch einen Stuhl anzubieten während der langen Zeit, da Ihr Uns das Vergnügen Eurer königlichen Gesellschaft zu schenken die Güte hattet.«

»Hierzu, gnädigste Frau,« antwortete die Lady, »hat es wohl mehr am guten Willen als an den Mitteln gefehlt?«

»Wie,« sagte die Königin, indem sie sich umsah, mit erkünstelter Verwunderung, »sind denn wirklich Stühle hier? einer, zwei, richtig! wirklich vier Stühle! den zerbrochnen da mitgezählt – ein königlicher Hausrat! das muß ich wohl sagen – aber Unsre liebenswürdige Wirtin darf uns glauben, Wir hatten diesen Reichtum nicht bemerkt – ist's Euer Gnaden gefällig, Platz zu nehmen?«

»Nein, gnädigste Frau,« versetzte die Lady, »denn ich will Euch bald von meiner Gegenwart befreien, und die kurze Zeit, die ich noch hier zu verweilen habe, ertragen meine alten Glieder ein bißchen leichter, als mein Herz sich drein finden könnte, Erniedrigung zu heucheln.«

»Nein, Lady Lochleven, so tief gekränkt sollt Ihr Euch nicht fühlen,« sagte die Königin und stand auf, um ihr den eignen Stuhl hinzuschieben, »da bedient Euch doch lieber des meinigen! die erste aus Eurer Familie, die das tut, seid Ihr ja doch nicht!«

Lady Lochleven weigerte sich auch jetzt, von der Güte der Königin Gebrauch zu machen; es schien ihr aber schwer zu fallen, die Antwort, die sich ihr auf die Lippen drängte, zu unterdrücken. Roland hatte während der ganzen Zeit all seine Aufmerksamkeit auf Katharina Seyton gerichtet, die kurz nach ihm in ihrer gewöhnlichen Kleidung in das Zimmer der Königin getreten war. Von irgend welcher Eile, durch die Notwendigkeit schnellen Kleiderwechsels bedingt, oder von einer Spur von Verwirrung oder Bange, vielleicht doch entdeckt zu werden, konnte Roland nicht das geringste an ihr merken. Eine Verbeugung, die er ihr machte, wurde mit der gleichgültigsten Miene erwidert .. er wußte wirklich nicht, was er von ihr denken sollte! »daß sie auch jetzt wieder, wie seinerzeit die Begegnung in dem Gasthofe von Sankt Michael, alles sollte abstreiten wollen, was ich mit eignen Augen gesehen habe, kann ihr doch nicht in den Sinn kommen? immerhin will ich es sie merken lassen, daß sie sich in solchem Falle vergebliche Mühe machen möchte, und daß sie klüger wegkommen dürfte, wenn sie mir gegenüber weniger hinter dem Berge hielte.«

In diesem schnellen Gedankenspiele wurde er unterbrochen durch die Königin, die sich nach dem Wortwechsel mit der Eigentümerin des Schlosses wieder an ihn wandte: »Wie hat's denn a name="page 66" title=" Schmidi/JWE" ID="page66"> ausgesehen in Kinroß, Roland Gräme? es mag wohl recht lustig drüben hergegangen sein, nach dem bißchen Musik zu urteilen, das bis zu den Fenstern hier herauf gedrungen ist, aber Du siehst ja so grämlich aus, als kämst Du unmittelbar aus einem Hugenotten-Konzil?«

»So unwahrscheinlich möchte das nicht sein, gnädigste Frau,« nahm Lady Lochleven, auf die diese Bemerkung gemünzt war, das Wort, »wenigstens bin ich der Ueberzeugung, daß es inmitten aller läppischen Torheit an besserem Element dort nicht gefehlt haben wird; nicht alle sind Freunde jener eitlen Lust, die aufflackert wie dürre Dornen, und den Toren, die sich dafür begeistern, nichts hinterlaßt als ein bißchen Staub und Flugasche.«

»Fleming,« sagte die Königin, sich umdrehend und den Mantel enger um sich ziehend, »wenn doch ein bißchen Dornicht, von dem unsre Wirtin so wundersam poetisch spricht, sich in unsern Ofen verirren möchte! mir kommt es vor, als wenn die feuchte Luft vom See, die in diesen gewölbten Räumen sich festnistet, empfindliche Kälte verursache.«

»Der Wunsch Euer Gnaden soll erfüllt werden,« erwiderte Lady Lochleven, »ich darf wohl aber daran erinnern, daß wir uns mitten im Sommer befinden.«

»Danke für die freundliche Belehrung,« sagte die Königin; »aber Gefangene sollen den Kalender ja in der Regel aus dem Munde ihrer Wächter besser erfahren als auf Grund der eignen Empfindungen ... Aber, wie war es denn in Kinroß, Roland, mit der Festbarkeit?«

»O, gnädigste Frau, das Treiben war äußerst munter und vielseitig,« antwortete der Page, »aber wohl kaum danach beschaffen, von Eurer Hoheit vernommen zu werden.«

»O, Ihr wißt nicht, lieber Roland,« sagte die Königin, »wie nachsichtig mein Ohr gegen alles geworden ist, was mir erzählt wird von Belustigungen freier Menschen. Ein Rundtanz froher Menschen um die Maie ist mir lieber als der prächtigste Maskenball in den Ringmauern eines Palastes.«

»Es werden, wie ich hoffen will, bei solchem Tand,« bemerkte Lady Lochleven, »keinerlei Anstößigkeiten passiert sein?«

»Nicht daß ich wüßte, gnädigste Frau,« erwiderte Roland, »ausgenommen höchstens, daß ein keckes Frauenzimmerchen mit ihrer Hand in zu große Nähe der Wangen eines fahrenden Schauspielers kam und halb und halb in Gefahr geriet, in den See getaucht zu werden.« Bei diesen Worten faßte er Katharina Seyton scharf ins Auge; es war ihr aber nicht das geringste anzumerken, als ob der Wink sie irgendwie getroffen hätte.

»Es dürfte nicht notwendig sein,« bemerkte Lady Lochleven, »Euer Gnaden noch länger mit meiner Gegenwart zu belästigen .. es müßte denn sein, Ihr hättet mir noch Weiteres zu melden.«

»Nicht das mindeste, gute Wirtin,« antwortete die Königin, »höchstens hätte ich zu bitten, daß Ihr es bei weiteren Anlässen nicht wieder für notwendig erachtet, Uns so lange aufzuwarten und liebere Aemter dadurch zu verabsäumen.«

»Es beliebt wohl Euer Gnaden,« bemerkte Lady Lochleven noch, »Euern Pagen dahin zu belehren, daß er gehalten ist, mir Rechenschaft über die Dinge abzulegen, die zu Euer Gnaden Bestem durch ihn aufs Schloß geholt worden sind?«

»Roland, begleitet die Lady, sofern Unser Befehl wirklich von nöten dazu ist. Du magst Uns morgen von Kinroß und der Festlichkeit erzählen. Für heute entlassen Wir Dich Deines Dienstes.«

Roland beantwortete die Fragen, die ihm die Lady unterwegs stellte, mit äußerster Vorsicht und hütete sich besonders, irgend etwas über Frau Magdalena und den Pater Ambrosius verlauten zu lassen. Als die Dame sah, daß er ihr wenig oder gar nichts Belangreiches zu berichten hatte, verabschiedete sie ihn, und er sah nun zu, sich vor allen Dingen mit etwas Speise und Trank zu versorgen, denn er fühlte regen Appetit. Dann stahl er sich, da ihn die Königin beurlaubt hatte, hinaus in den Garten. Hier ging er trübsinnig auf und ab, überdachte noch einmal die Vorfälle des Tages und stellte, was er vom frommen Pater über Georg Douglas vernommen hatte, zusammen mit den eignen Beobachtungen. Er kam zu dem Schlusse, daß es sein Beistand sein müsse, der es ihr möglich mache, sich wie ein Irrlicht bald dort, bald hier zu zeigen, nach Belieben jetzt auf dem Festlande, und nachher wieder auf der Insel zu erscheinen. Dann aber durchkreuzte ihn der Gedanke, – denn Liebe hofft ja immer, wenn Ueberlegung schon verzweifelt – daß sie vielleicht mit Douglas bloß um der Wohlfahrt ihrer Herrin willen schön tue, und daß sie zu edel und offen sei, ihn mit Hoffnungen zu erfüllen, deren Erfüllung nicht in ihrem Sinne läge. Versunken in diese Betrachtungen, setzte er sich auf eine Rasenbank, von der aus man auf der einen Seite nach dem See hinaus, auf der andern nach der Schloßseite die Aussicht hatte, wo sich die Zimmer der Königin befanden.

Es war schon eine geraume Weile nach Sonnenuntergang, und das Mai-Zwielicht verlor sich schnell in einer heitern Maiennacht. Der Wasserspiegel des Sees hob und senkte sich beim leisesten Hauche des Südwinds; in der Ferne erblickte man die dunkeln Umrisse der St.-Serf-Insel, auf die einst mancher Pilgrim in Sandalen gepilgert kam, die aber als Zuflucht fauler Mönche seit Jahren verachtet und aus der Reihe der heiligen Stätten gestrichen worden war .. ihr Anblick lenkte Rolands Gedanken auf den Widerstreit der Glaubensmeinungen, in den er heute wiederholt einbezogen wurde, und in dieser Stunde des Sinnens stellten sich ihm die Gründe und Beweise des Kaplans Henderson mit verdoppelter Stärke vor die Seele, so daß sie sich durch die Berufung des Abtes Ambrosius von seinem Verstände an sein Gefühl kaum zurückweisen ließen: eine Berufung, die ihm mitten im regen Lebensgewühle eindringlicher zu sein bedünkte als jetzt bei ungestörter Betrachtung. Sein Gemüt von diesem beunruhigenden Gegenstande abzulenken, erforderte Anstrengung, und er spürte, daß ihm dies am besten gelänge, indem er seine Augen nach der Schloßseite lenkte und dort die Stelle beobachtete, wo noch immer ein flimmerndes Licht vom Fenster Katharina Seytons ausging, das zuweilen auf Augenblicke verdunkelt wurde, wenn der Schatten seiner schönen Bewohnerin zwischen die Kerze und das Fenster fiel. Schließlich aber wurde das Licht entfernt oder verlöscht, und so entschwand auch dieser Gegenstand der Betrachtung den Augen des sinnenden Verliebten. Die Augen wurden ihm schwer, Zweifel über die verschiedenen Punkte seiner Glaubensmeinung, bange Vermutungen über die Neigung der Geliebten, schließlich auch die Abspannung nach solchem von seiner Lebensführung in den letzten Monaten so grundverschiedenen Tage; dies alles wirkte so stark auf seine Nerven, daß er zuletzt in festen Schlaf versank .. Erst als die eiserne Zunge der Turmglocke zu lärmen begann und die Höhe, die sich jäh am südlichen Gestade des Sees erhob, die tiefen dumpfen Klänge widerhallen ließ, fuhr Roland aus seinem Schlafe auf: pünktlich um zehn Abend für Abend wurde diese Glocke geläutet zum Zeichen, daß die Tore geschlossen und ihre Schlüssel dem Seneschall zur Obhut übergeben wurden. Hurtig rannte er zur Pforte, die aus dem Garten nach dem Schlosse führte, um noch Einlaß zu bekommen; aber eben raffelte der Riegel in die steinerne Fuge der Pforte. »Halt! halt!« rief er, »laßt mich ein, bevor Ihr das Tor sperrt!«

Die grämliche Stimme Dryfesdales antwortete ihm: »Musje! die Stunde hat geschlagen; wie es scheint, behagt's Euch nicht mehr recht drinnen bei uns im Schlosse .. macht also richtigen Feiertag und bringt nach dem Tage auch die Nacht noch außerhalb der Ringmauern zu! Und nun, Musje! Glück zu der frischen Luft heute nacht, die Deinem heißen Blute recht gut zusagen wird!«

Roland lief in seiner Wut über die Gemeinheit Dryfesdales eine Weile lang, sich in eitlen Rachegelübden erschöpfend, durch den Garten. Dann überkam ihn eine Empfindung, daß seine Lage eher belachens- als beklagenswert sei, denn für einen an das Jägerleben so gewöhnten Menschen wie ihn, war es weiter nichts Unangenehmes, eine Nacht im Freien verleben zu müssen, und so sagte er sich bald, daß die kleinliche Bosheit des Hausmeiers weit mehr Verachtung verdiene als Zorn. Ruhiger kehrte er nach seiner Rasenbank zurück, die von einer Hecke auf der einen Seite halbwegs verdeckt war, hüllte sich in seinen Mantel und streckte sich auf das grüne Lager in der Hoffnung, den Schlaf wiederzugewinnen, den die Turmglocke in einer für ihn so wenig ersprießlichen Weise unterbrochen hatte. Aber je eifriger Roland ihn suchte, desto länger floh er ihn; er war völlig munter geworden, und der Aerger über Dryfesdale hatte seine Nerven wieder so belebt, daß er nach geraumer Zeit bloß in eine Art träumenden Sinnens versank, aus dem er aber bald wieder, und zwar durch die Stimme von zwei im Garten auf und niederwandelnden Personen, aufgerüttelt wurde. Eine Weile lang vermischten sich die Worte, die zu seinen Ohren drangen, noch mit seinen Träumen, dann aber erwachte er vollständig und richtete sich auf seinem Lager empor. Mit maßlosem Erstaunen sah er nun deutlich zwei Personen im Garten, die sich lebhaft wenn auch leise, unterhielten. Im ersten Augenblicke dachte er, überirdische Wesen vor sich zu haben; dann dachte er an ein Komplott von Anhängern der Königin, schließlich an Georg Douglas und Katharina Seyton, die sich hier, unter Wahrnehmung des Vorteils, daß Georg als Verwahrer der Schlüssel freien Aus- und Eingang habe, ein Stelldichein gäben; und in dieser letzten Auffassung wurde er bestärkt durch den Ton der Stimme, die flüsternd die Frage stellte, ob alles bereit sei?


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